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"id": 909,
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} | W 601/18 Kart | 2018-12-20T00:00:00 | 2019-01-08T23:46:52 | 2019-02-12T13:10:40 | Beschluss | ECLI:DE:OLGKOBL:2018:1220.W601.18KART.00 | <div class="docLayoutText">
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<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Verfügungsklägerin gegen die Streitwertfestsetzung im Urteil der 12. Zivilkammer - 2. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Mainz vom 27. Juni 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
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<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Verfügungsklägerin, mit der sie sich gegen die Festsetzung des Streitwerts für das einstweilige Verfügungsverfahren auf 50.000 € wendet, ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg; die Beschwerde ist deshalb zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>1. Das Landgericht hat den Streitwert für das einstweilige Verfügungsverfahren zu Recht auf 50.000 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>a) Auf das vorliegende Verfahren ist § 53 Abs. 1 Nr. 4 GKG in der seit dem 3. Februar 2017 geltenden Fassung anzuwenden, weil das einstweilige Verfügungsverfahren erst nach Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung anhängig geworden ist (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 GKG); die Antragsschrift ist am 10. April 2018 bei dem Landgericht eingegangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>b) Nach § 53 Abs. 1 Nr. 4 GKG bestimmt sich der Wert in Verfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG über gerügte Rechtsverletzungen nach § 3 der Zivilprozessordnung, der Wert beträgt höchstens 100.000 €. Nach § 3 ZPO wird der Wert von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt. Ausweislich der Begründung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu seiner Beschlussempfehlung, in § 53 Abs. 1 GKG eine neue Nr. 4 einzufügen (BT-Drs. 18/10503 S. 7/8), soll durch die Streitwertbegrenzung auf 100.000 € im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes verhindert werden, dass hohe Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren die beteiligten Unternehmen davon abhalten, durch die Beantragung einer einstweiligen Verfügung zügig Rechtsschutz zu suchen. Dies gelte umso mehr, als nach § 47 Abs. 5 n.F. EnWG potenziell drei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in einem Konzessionsverfahren gestellt werden könnten. Der Streitwert sei vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen. Der Regelung liege die Einschätzung zugrunde, dass hierbei insoweit nicht der Wert der zu übernehmenden Netze und der dazugehörigen Anlagen entscheidend sei. Streitgegenstand in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 5 n.F. EnWG sei die Sicherung der Stellung des Anspruchstellers im Verfahren zur Vergabe der Wegenutzungsrechte und nicht die sich einem solchen Verfahren möglicherweise anschließende Netzübernahme. Vor diesem Hintergrund lasse die Streitwertbegrenzung auf höchstens 100.000 € den Gerichten einen angemessenen Spielraum zur Beurteilung des jeweiligen Einzelfalles (Begründung Beschlussempfehlung, aaO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>c) Die Streitwertfestsetzung des Landgerichts hält sich innerhalb des durch § 53 Abs. 1 Nr. 4 GKG eröffneten Rahmens und ist in der Höhe angemessen. Der Streitwert ist nicht, wie die Verfügungsklägerin mit ihrem Hauptantrag erstrebt, auf bis zu 6.000 € festzusetzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>aa) Die Verfügungsklägerin hat in ihrer Antragsschrift den Streitwert (vorläufig geschätzt) mit 5.000 € angegeben; näher erläutert hat sie diesen Wert in der Antragsschrift nicht. Zwar hat die Wertangabe nach § 61 GKG Bedeutung als Indiz für den Wert und bleibt im Zweifel maßgeblich (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 3 Rdnr. 16 Stichwort „Wertangabe“ m.w.Nachw.). Die Wertangabe ist jedoch für das Gericht nicht bindend (Dörndorfer in Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 4. Aufl., § 61 Rdnr. 1 und 4 m.w.Nachw.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>bb) Die Wertangabe der Verfügungsklägerin in der Antragsschrift ist im Hinblick auf ihr anhand der Antragsschrift erkennbares Interesse an der Sicherung ihrer Stellung im Vergabeverfahren (Begründung Beschlussempfehlung aaO) wesentlich zu niedrig angesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>(1) Die Verfügungsklägerin hat in ihrer 36-seitigen Antragsschrift zahlreiche Rügen betreffend das Vergabeverfahren geltend gemacht. Insbesondere hat sie ausgeführt, die Verfügungsbeklagte habe das Rügeregime nach § 47 EnWG n.F. nicht wirksam eingeführt, das Konzessionierungsverfahren enthalte durch seine Ausgestaltung eine unzulässige Vorfestlegung, ferner sei die gewählte Bewertungsmethode fehlerhaft und die Verfügungsbeklagte verwende eine Reihe von unzulässigen Auswahlkriterien. Durch die Vielzahl ihrer Rügen hat die Verfügungsklägerin ihr erhebliches Interesse an der Sicherung ihrer Rechtsstellung im Vergabeverfahren deutlich gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>(2) Dagegen kommt es nicht entscheidend auf die Größe oder den Wert des Netzes und der zu übertragenden Anlagen an (Begründung Beschlussempfehlung, aaO). Gleichwohl hat der Senat in die Gesamtbewertung einbezogen, dass es sich bei der Verfügungsbeklagten, um deren Gasnetz es geht, um eine kleinere Ortsgemeinde handelt. Allein dieser Umstand gebietet es jedoch nicht, den Streitwert ausschließlich aus dem unteren Bereich des Streitwertrahmens zu entnehmen. Denn auch bei kleineren Netzen kann das wirtschaftliche Interesse des Anspruchstellers an der Zuschlagserteilung für den Betrieb des Netzes die Streitwertgrenze von 100.000 € übersteigen. Die Verfügungsklägerin hat Umstände, die Aufschluss über ihr wirtschaftliches Interesse an der Zuschlagserteilung geben würden, nicht dargelegt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>(3) Ein Indiz für das Interesse der Verfügungsklägerin an der Sicherstellung ihrer Rechte im Verfahren lässt sich dem zuvor geführten einstweiligen Verfügungsverfahren betreffend die Ortsgemeinde ...[Z] entnehmen, die ebenfalls der Verbandsgemeinde ...[Y] angehört (LG Mainz 12 HK O 29/17; OLG Koblenz U 989/17 Kart). In jenem Verfahren hat die Verfügungsklägerin den Streitwert mit 50.000 € angegeben. Das Landgericht und der Senat haben den Streitwert entsprechend festgesetzt, ohne dass dies von der Verfügungsklägerin beanstandet worden wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>(4) Die im Beschwerdeverfahren von der Verfügungsklägerin angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen keine niedrigere Wertfestsetzung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>(a) Unerheblich ist, dass die Verfügungsklägerin parallel acht weitere Verfahren gegen andere Ortsgemeinden der Verbandsgemeinde ...[Y] geführt hat. Hiervon ausgehend erstrebt die Beschwerdeführerin die Herabsetzung des Streitwerts auf bis zu 6.000 € (50.000 € : 9 Verfahren). Maßgeblich ist jedoch das konkrete Interesse der Verfügungsklägerin an der Durchsetzung ihrer Rechte in dem auf die jeweilige Ortsgemeinde und deren Gasnetz bezogenen Vergabeverfahren. Eine übergreifende „saldierende“ Betrachtung sämtlicher einstweiliger Verfügungsverfahren kommt deshalb nicht in Betracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>(b) Für die hier allein zu beurteilende Bemessung des Streitwerts für die Gerichtsgebühren nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes ist es auch ohne Bedeutung, ob, wie die Verfügungsklägerin meint, ein Fall des § 15 Abs. 2 RVG vorliegt, wonach der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern kann. Die Gebühren für das gerichtliche Verfahren fallen nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes in jedem einzelnen Verfahren an, dessen Streitwert deshalb auch gesondert zu beurteilen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>(c) Die weitere Erwägung der Verfügungsklägerin, sie werde unangemessen benachteiligt, weil hinsichtlich des Prozesskostenrisikos ein Ungleichgewicht sowie eine Ungleichbehandlung der Prozessparteien entstehe, trifft nicht zu. Zwar lassen die Ortsgemeinden der Verbandsgemeinde ...[Y] das Vergabeverfahren einheitlich durch die Verbandsgemeinde durchführen, die ihrerseits anwaltlich beraten ist. Daraus folgt jedoch keine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Prozesskostenrisikos. Vielmehr trägt jede Partei das Prozesskostenrisiko des einzelnen Gerichtsverfahrens in gleicher Weise. Dass die jeweilige Ortsgemeinde betreffend die Verfügungsklägerin nur ein Verfahren</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>zu führen hat, die Verfügungsklägerin dagegen einstweilige Verfügungsverfahren gegen alle Ortsgemeinden führt, ist nicht Ausdruck einer Ungleichbehandlung, sondern Folge des Umstandes, dass die Verfügungsklägerin sich um die Erteilung der Konzession für das jeweilige Gasnetz aller Ortsgemeinden beworben hat. Dem Rechtsschutz- und Kosteninteresse der Anspruchsteller hat der Gesetzgeber schon durch die Streitwertbegrenzung nach § 53 Abs. 1 Nr. 4 GKG Rechnung getragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>d) Auch der Hilfsantrag der Verfügungsklägerin, den Streitwert auf die Gebührenstufe bis zu 2.000 € festzusetzen, ist nicht begründet. Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, der Streitwert sei auf ein Drittel von bis zu 6.000 € (oben c)) herabzusetzen, weil Anspruchsteller nach § 47 Abs. 5 EnWG gezwungen sein könnten, bis zu drei einstweilige Verfügungsverfahren zu führen. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch ausweislich der Gesetzesbegründung schon Grund für den Gesetzgeber gewesen, den Streitwert auf höchstens 100.000 € zu begrenzen (oben a)) und kann  deshalb bei der Ermessensausübung nicht nochmals mindernd berücksichtigt werden. Hiervon abgesehen hat die Verfügungsklägerin auch nur ein Verfahren gegen die Verfügungsbeklagte geführt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>e) Der weiter hilfsweise gestellte Antrag, den Streitwert auf bis zu 13.000 € festzusetzen, ist unter die Bedingung gestellt, dass das Gericht davon ausgeht, dass für alle neun Verfahren insgesamt ein Streitwert von 100.000 € anzusetzen ist (100.000 : 9 Verfahren). Diese prozessuale Bedingung ist nicht eingetreten. Dem Hilfsantrag ist aber auch in der Sache nicht stattzugeben. Zur Begründung wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>3. Dem Antrag der Verfügungsklägerin, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, kann nicht stattgegeben werden. Nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG findet eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes nicht statt. Die Rechtsbeschwerde ist deshalb unstatthaft (vgl. auch Zöller/Herget, aaO, § 3 Rdnr. 9 m.w.Nachw.).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div>
|
142,287 | olgsh-2018-12-20-5-u-27918 | {
"id": 1070,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht",
"slug": "olgsh",
"city": null,
"state": 17,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Oberlandesgericht"
} | 5 U 279/18 | 2018-12-20T00:00:00 | 2019-01-08T23:46:16 | 2019-01-17T12:02:27 | Urteil | ECLI:DE:OLGSH:2018:1220.5U279.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">Die Berufung des Klägers gegen das am 25. Mai 2018 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">Die Revision wird zugelassen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt"><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund vermeintlicher Pflichtverletzungen im Rahmen eines Wertpapier-Kommissionsgeschäfts.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Kläger ist beruflich mit dem Handel von Wertpapieren und Derivaten befasst und erwarb und veräußerte im Rahmen einer laufenden Geschäftsbeziehung zur Beklagten für seine private Vermögensverwaltung mehrfach Wertpapiere. Am Morgen des 3. Juni 2011 erteilte er der Beklagten über deren Mitarbeiter H. den Auftrag, 5.000 Stück des Wertpapiers mit der Bezeichnung „R.Silber“ („Silberzertifikate“) der Emittentin M GmbH (ISIN: XXX) zu erwerben. Die Beklagte beauftragte die X AG mit der Ausführung. Diese führte den Auftrag aus und erwarb die Wertpapiere um 10:22 Uhr an der Frankfurter Wertpapierbörse im Freiverkehr (sogenanntes „Scoach Premium Trading“) zum Preis von € 40,14 pro Stück.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Anbieterin des Wertpapiers stellte nach Abschluss des Geschäfts einen sogenannten „Mistrade-Antrag“ bei der Frankfurter Wertpapierbörse mit der Begründung, das Geschäft sei zu einem offensichtlich nicht marktgerechten Preis zu Stande gekommen, der marktgerechte Preis habe € 51,50 pro Stück betragen. Die Börse gab dem Antrag statt und hob das Geschäft wegen offensichtlicher Preisabweichung nach § 25 der „Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse“ auf. Nach Mitteilung der Entscheidung an ihn wies der Kläger den Mitarbeiter der Beklagten H. an, gegen diese Entscheidung vorzugehen, ohne konkretere Weisungen zu erteilen. Herr H. teilte der Frankfurter Wertpapierbörse noch am 3. Juni 2011 telefonisch und nochmals am 10. Juni 2011 mit vom Kläger vorgegebenem Text per E-Mail sowie ein Mitarbeiter der Beklagten am 23. November 2011 nach erneuter Aufforderung des Klägers mit, dass dieser mit der Aufhebung des Geschäfts nicht einverstanden sei, ohne dass eine Reaktion der Frankfurter Wertpapierbörse erfolgte. Am letzteren Tag erteilte der Kläger gleichzeitig einen Verkaufsauftrag zum aktuellen Kassakurs an der Frankfurter Wertpapierbörse von seinerzeit € 49,24.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Kläger verlangt von der Beklagten nunmehr Ersatz entgangenen Gewinns, den er aus der Differenz des Preises der Wertpapiere von € 40,14/ Stück am 3. Juni 2011 und € 49,25/ Stück am 23. November 2011 errechnet. Danach ergibt sich eine Differenz in Höhe von € 9,11/ Stück, ein errechneter Schaden in Höhe von € 45.550,00 (5.000 Stück x € 9,11/ Stück). Dazu macht er vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten geltend. Bei der staatlich anerkannten Gütestelle C in X reichte er am 30. Dezember 2014 einen am 12. Januar 2015 der Beklagten zugestellten Güteantrag ein (Anlage K 10, Blatt 64 d. A.). Mit Schreiben vom 20. April 2015 (Anlage K 12, Blatt 75 d. A.), das dem Kläger am 22. April 2015 zuging, bescheinigte die Gütestelle die Erfolglosigkeit des Güteverfahrens. Die Klage ist am 16. Oktober 2015 beim Landgericht eingegangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat erstinstanzlich gemeint, er habe einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte, da diese es versäumt habe, gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse durch Einlegung eines form- und fristgerechten Widerspruchs vorzugehen und so dem von ihm gewünschten Wertpapiergeschäft zur Durchführung zu verhelfen (§ 384 Abs. 1 und § 385 Abs. 1 HGB). Darüber hinaus habe sie ihm nicht gemäß § 384 Abs. 3 HGB zugleich mit der Anzeige von der Ausführung der Kommission den Dritten benannt, mit dem sie das Erwerbsgeschäft abgeschlossen habe und hafte sie nach Nr. 9 Satz 1 ihrer „Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte“.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat sich im Wesentlichen lediglich zum Abschluss und zur Abwicklung des Geschäfts verpflichtet gesehen, nicht zum Vorgehen gegen die Mistrade-Entscheidung. Es fehle auch der Kausalzusammenhang zwischen dem unterbliebenen Widerspruch und dem geltend gemachten Schaden, da die Entscheidung auch bei Widerspruch nicht abgeändert worden wäre. Einem Schadensersatzanspruch stehe auch § 242 BGB entgegen, da der Kläger ein Geschäft habe ausführen lassen wollen, dessen Preis erkennbar auf einem Fehler des Vertragspartners beruht habe. Dem Kläger falle jedenfalls ein erhebliches Mitverschulden zur Last. Dazu hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben, da der Güteantrag nicht hinreichend individualisiert gewesen sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch schon dem Grunde nach nicht zu. Er folge zunächst nicht aus § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. § 384 Abs. 1, § 385 Abs. 1 HGB. Ein Kommissionsvertrag liege vor, die Beklagte habe aber keine Pflichten hieraus verletzt. Eine unmittelbare Benachrichtigung des Klägers von der Mistrade-Entscheidung sei unstreitig pflichtgemäß erfolgt. Ein Verstoß gegen eine konkrete Weisung liege nicht vor, da der Kläger die Beklagte nicht angewiesen habe, einen förmlichen Rechtsbehelf einzulegen. Den erteilten Weisungen zur Kontaktaufnahme zur Frankfurter Wertpapierbörse und zur Versendung von E-Mails sei die Beklagte unstreitig nachgekommen. Eine Pflichtverletzung liege insbesondere auch nicht darin, dass die Beklagte es unterließ, gegen die Mistrade-Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse form- und fristgerecht Widerspruch einzulegen oder den Kläger über die Möglichkeit eines solchen zu informieren. Zwar handele es sich bei der Entscheidung um einen Verwaltungsakt mit den entsprechenden möglichen Rechtsbehelfen. Ein kostenauslösender Widerspruch habe aber - ohne konkrete Weisung - nicht zu den Pflichten der Beklagten aus dem Kommissionsvertrag gehört. Gleiches gelte für eine Information über die Möglichkeit förmlicher Rechtsbehelfe. Da die Beklagte nicht zu einer rechtlichen Beratung verpflichtet gewesen sei, wäre ihr ein solcher Hinweis nur bei einer klaren und überschaubaren Rechtslage zumutbar gewesen, die nicht vorgelegen habe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Beklagte die Angelegenheit tatsächlich übernommen habe. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte über die konkret verlangten Maßnahmen (Anruf, E-Mails) hinaus tätig werden würde. Auch eines Hinweises auf die Unkenntnis der Beklagten habe es nicht bedurft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Ein Schadensersatzanspruch folge auch nicht aus § 384 Abs. 3 HGB, da die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Der Kläger solle nämlich nicht besser gestellt werden, als sei ihm der Vertragspartner durch die Beklagte namhaft gemacht worden. Die Aufhebung des Geschäfts wegen Mistrades habe mit dem Namen des Vertragspartners nichts zu tun.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 394 HGB i. V. m. Nr. 9 Satz 1 der Geschäftsbedingungen der Beklagten, da auch diese Regelung nicht dem Zweck diene, eine Wirksamkeit des Geschäfts zu fingieren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Mangels Hauptanspruchs stünden dem Kläger auch keine Nebenforderungen zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, die er wie folgt begründet:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hafte bereits verschuldensunabhängig aus § 394 HGB i. V. m. Nr. 9 Satz 1 der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte der Beklagten, wo sie eine Delkredere-Haftung übernommen habe. Es gebe nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass sich der Kläger wegen einer etwaigen Treuwidrigkeit nicht hierauf berufen könne. Die vom Bundesgerichtshof zu § 384 Abs. 3 HGB im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift entwickelte Reduktion sei nicht auf § 394 HGB übertragbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Auch bestehe ein Anspruch aufgrund Weisungsverstoßes nach § 385 Abs. 1 HGB. Es habe nämlich unstreitig - auch nach dem Tatbestand des angegriffenen Urteils - eine Weisung des Klägers gegeben, gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse vorzugehen. Daraus ergebe sich die Pflicht, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, hier Widerspruch gegen die Entscheidung einzulegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Daneben hafte die Beklagte auch aus § 280 Abs. 1 BGB mangels Aufklärung über das Erfordernis eines formgerechten Widerspruchs. Die Beklagte habe hierdurch sowohl den allgemeinen zivilrechtlichen Pflichtenkreis des Kommissionärs als auch den besonderen Pflichtenkreis des Wertpapierdienstleistungsunternehmens verletzt. Der Kommissionär habe im Rahmen der sachgerechten Ausführung des Geschäfts auch den Mistrade-Fall zu berücksichtigen, weil der Kunde dazu selbst gar nicht in der Lage sei. Die Beklagte habe daher Widerspruch einlegen oder zumindest den Kläger über die entsprechende Erforderlichkeit der Einlegung informieren müssen. Auch ohne Rechtsbehelfsbelehrung in der Mistrade-Entscheidung sei ihr dies zumutbar gewesen. Schon am 3. Juni 2011 habe an der Erforderlichkeit eines Widerspruchs gegen die Entscheidung als Verwaltungsakt kein Zweifel bestanden. Die Rechtslage sei eindeutig gewesen, was auch in Gerichtsentscheidungen vor dem streitgegenständlichen Geschäft ausgedrückt worden sei und was der als „Wertpapierspezialist“ ausgewiesene Mitarbeiter der Beklagten H. jedenfalls durch Nachfrage in der eigenen Rechtsabteilung hätte erkennen müssen. Zumindest nach ein paar Tagen oder Wochen hätte sich für die Beklagte aufdrängen müssen, schriftlich gegen die Mistrade-Entscheidung vorzugehen, da die Frankfurter Wertpapierbörse auf das Telefonat und die E-Mail der Beklagten nicht in eine Sachprüfung eingetreten sei. Mangels Rechtsbehelfsbelehrung habe hierfür sogar ein Jahr Zeit bestanden. Auch das Kostenargument greife nicht, da die Beklagte die Übernahme der ohnehin geringen Kosten eines Widerspruchs mit dem Kläger hätte klären können. Schließlich habe die Beklagte es gegenüber dem Kläger übernommen, bei der Frankfurter Wertpapierbörse gegen die Mistrade-Entscheidung vorzugehen. Damit habe sie eine Pflicht zur ordnungsgemäßen Ausführung gemäß § 362 Abs. 1 Satz 1 HGB getroffen. Hätte sie das nicht gewollt, hätte sie den Auftrag ausdrücklich gemäß § 663 BGB ablehnen müssen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Der Kläger beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 45.550,00 zuzüglich 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz liegende Jahreszinsen seit dem 23. November 2011 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von € 3.395,39 zu zahlen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Sie verteidigt im Wesentlichen das angegriffene Urteil und wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 17. Dezember 2018 hat dem Senat keinen Anlass gegeben, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt"><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Berufung ist nicht begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von € 45.550,00 nebst Nebenforderungen gegen die Beklagte nicht zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>A)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Ein Anspruch aus § 394 HGB i. V. m. Nr. 9 Satz 1 der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte (Delkredere-Haftung) besteht nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Zwischen den Parteien liegt ein Kommissionsgeschäft vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Vertragliche Grundlagen der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Beziehungen sind unter anderem die „Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte“ (Anlage K 7, Blatt 56 f. d. A.), die gemäß dortigen Vorbemerkungen auch gelten, wenn die Rechte nicht in Urkunden verbrieft sind. Danach wird die Bank (hiesige Beklagte) Kundenaufträge zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren entweder als Kommissionärin ausführen (Nr. 1 Abs. (2)) oder mit dem Kunden Festpreisgeschäfte tätigen (Nr. 1 Abs. (3)). Da vorliegend kein Festpreisgeschäft im Raum steht, handelt es sich - was von den Parteien nicht in Frage gestellt wird und bei der Ausführung von Aufträgen zum Kauf von Wertpapieren dem Regelfall entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - XI ZR 239/01, juris Rn. 13; OLG Nürnberg, Urteil vom 10. Juli 2015 - 14 U 468/07, juris Rn. 32) - um ein Kommissionsgeschäft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte haftet grundsätzlich für die ordnungsgemäße Erfüllung des Ausführungsgeschäfts Wertpapierkauf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Nr. 9 der „Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte“ der Beklagten (Anlage K 7, Blatt 56 f. d. A.) regelt die Haftung der Bank bei Kommissionsgeschäften. Die Bank haftet für die ordnungsgemäße Erfüllung des Ausführungsgeschäfts durch ihren Vertragspartner oder den Vertragspartner des Zwischenkommissionärs im Sinne des § 394 Abs. 1 HGB, also ohne Einschränkung nach § 278 BGB (vgl. Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, SoBedWp § 9 Rn. 1).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Der Kommissionär haftet dem Kommittenten aus dem Delkredere persönlich (also mit seinem gesamten Vermögen) und unmittelbar (primär, also ohne vorherige Inanspruchnahme des Dritten; anders § 771 BGB). Der Kommittent kann aber Abtretung fordern und nach dieser den Dritten allein oder neben dem Kommissionär belangen. Der Kommissionär haftet unbeschränkt für die Erfüllung, auch zum Beispiel wegen Sachmangels, aus Vertragsstrafen, für Verzugsfolgen (Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, SoBedWp § 9 Rn. 3).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>3.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Allerdings besteht keine Haftung für die Mistrade-Entscheidung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Die Haftung der Beklagten als Kommissionärin setzt gemäß § 394 Abs. 2 Satz 1 HGB eine wirksame Verbindlichkeit aus dem Ausführungsgeschäft voraus (BGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - XI ZR 239/01, juris Rn. 18; OLG Nürnberg, Urteil vom 10. Juli 2015 - 14 U 468/07, juris Rn. 35, 37; Füller in: Boujong/Ebenroth/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, § 394 Rn. 5). Anders als die normale Garantie setzt sie das Bestehen der Verbindlichkeit des Dritten voraus (Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 394 Rn. 2).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Daran fehlt es vorliegend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 394 Abs. 2 HGB ist der Kommissionär, der für den Dritten einzustehen hat, dem Kommittenten für die Erfüllung im Zeitpunkte des Verfalls (gemeint ist die Fälligkeit der Forderung) unmittelbar insoweit verhaftet, als die Erfüllung aus dem Vertragsverhältnisse (mit dem Dritten) gefordert werden kann (Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 394 Rn. 3, 4; Füller in: Boujong/Ebenroth/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, § 394 Rn. 5). Der Einkaufskommissionär muss somit grundsätzlich den Lieferanspruch erfüllen. Das Ausmaß der Haftung wird durch den Bestand und den jeweiligen Umfang der Verbindlichkeit bestimmt, die der Kommissionär gegen den Dritten begründet hat; sie ist somit akzessorisch. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 394 Abs. 2 Satz 1 HGB, der die Delkrederehaftung bürgschaftsähnlich ausformt (§ 767 BGB). Der Kommissionär hat deshalb auch einzustehen, wenn sich der Charakter der Verbindlichkeit ändert, z.B. Gewährleistungs-, Schadensersatz- oder Vertragsstrafenansprüche entstehen. Eine Schlechtleistung des Dritten, die Ansprüche wegen Sach- oder Rechtsmängeln oder sonstige vertragliche Sekundäransprüche auslöst, lässt somit die Einstandspflicht des Kommissionärs bestehen bleiben (Füller in: Boujong/Ebenroth/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, § 394 Rn. 4: soweit dort von der „Einstandspflicht des Kommittenten“ die Rede ist, handelt es sich offenbar um ein Schreibversehen). Damit haftet der Kommissionär auch dann, wenn dem Dritten aufgrund einer von ihm zu vertretenden Pflichtverletzung die Leistung unmöglich geworden ist und sich der Anspruch auf Lieferung in einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung umwandelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Der Kommissionär haftet nur insoweit, als die Erfüllung aus dem Vertragsverhältnis (mit dem Dritten) gefordert werden kann, also nicht bei wirksamer Stornierung bei Mistrade (OLG Nürnberg, Urteil vom 10. Juli 2015 - 14 U 468/07, juris Rn. 35 ff.; Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 394 Rn. 4).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Die Anbieterin der Wertpapiere, die M Ltd. stellte nach Abschluss des streitgegenständlichen Geschäfts am 3. Juni 2011 zum Preis in Höhe von € 40,14 pro Stück einen sogenannten „Mistrade-Antrag“ bei der Frankfurter Wertpapierbörse mit der Begründung, das Geschäft sei zu einem offensichtlich nicht marktgerechten Preis zustande gekommen, der marktgerechte Preis habe € 51,50 pro Stück betragen. Die Frankfurter Wertpapierbörse gab dem Antrag statt und hob das Geschäft wegen offensichtlicher Preisabweichung nach § 25 der „Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurt Wertpapierbörse“ (Anlage K 3, Blatt 16 ff. d. A.) auf (vgl. Anlagen K 1 und K 2, Blatt 14 und 15 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Damit bestand keine Verbindlichkeit des Dritten (Anbieters der Wertpapiere) mehr.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Der Kommissionär haftet lediglich für die Ausführung des Geschäfts durch den Geschäftspartner, hier die Anbieterin der Wertpapiere, nicht aber für die Aufhebung durch die Frankfurter Wertpapierbörse. Diese traf die Entscheidung, dem Mistrade-Antrag wegen offensichtlicher Preisabweichung nach § 25 der „Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurt Wertpapierbörse“ stattzugeben. Für diese Entscheidung, die die Frankfurter Wertpapierbörse gemäß § 25 der genannten Bedingungen nach eigenen Ermittlungen traf, kann die Beklagte keine Haftung treffen (anders etwa bei zu Unrecht erfolgter Stornierung des Geschäfts durch die Emittenten, vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - XI ZR 239/01, juris Rn. 18 ff.; Senat, Beschluss vom 9. Januar 2004 - 5 U 130/03, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Eine Haftung der Beklagten auf Schadensersatz in Form des entgangenen Gewinns scheidet vorliegend aus, weil hinsichtlich der vom Kläger am 3. Juni 2011 georderten 5.000 Stück „Silberzertifikate“ zu einem Kurs von € 40,14 je Stück wirksame Ausführungsgeschäfte zwischen der Beklagten und der Anbieterin des Wertpapiers letztlich nicht zustande kamen. Denn die Frankfurter Wertpapierbörse hat von dem ihr zustehenden Aufhebungsrecht erfolgreich Gebrauch gemacht (vgl. zu einem ähnlichen Fall: OLG Nürnberg, Urteil vom 10. Juli 2015 - 14 U 468/07, juris Rn. 39). Sie hat über die Aufhebung durch Verwaltungsakt entschieden. Sie ist eine Anstalt öffentlichen Rechts (vgl. § 2 Abs. 1 BörsG) und handelt als solche hoheitlich. Dass sie im vorliegenden Fall eines privatrechtlich organisierten Freiverkehrs (vgl. § 48 BörsG) unter dem Briefkopf „Deutsche Börse Group“ (Anlage K 1, Blatt 14 d. A.) agierte, ändert daran nichts. Damit suggeriert sie zwar eine Nähe zur juristischen Person des Privatrechts „Deutsche Börse AG“ und ihrer Konzern- und Tochtergesellschaften, das ändert aber nichts daran, dass die Frankfurter Wertpapierbörse Anstalt des öffentlichen Rechts ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Soweit die Frankfurter Wertpapierbörse im Rahmen der Vertragsaufhebung öffentlich-rechtlich handelte (so Jaskulla, WM 2012, 1708, 1711 ff. - privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt - mit Darstellung des Streitstandes siehe dazu im Einzelnen auch die angegriffene Entscheidung des Landgerichts), ist der Senat an die Bestandskraft des entsprechenden Verwaltungsakts aufgrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung, welche eine Bindung an Verwaltungsentscheidungen und verwaltungsgerichtliche Entscheidungen bedingt, gebunden (vgl. etwa zu § 638 RVO: BGH, Urteil vom 4. April 1995 - VI ZR 327/93, juris Rn. 14).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen (auch falls die Frankfurter Wertpapierbörse zivilrechtlich gehandelt hätte) gelten für die Aufhebung von Geschäften im Open Market (Freiverkehr) die Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse gemäß § 3 Abs. 2 der Handelsordnung für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse entsprechend. Hierin wird - ähnlich einer Schiedsvereinbarung - der Geschäftsführung der Börse die Entscheidung über den Mistrade (§§ 23 ff. der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse) unter Ausschluss von Ansprüchen der Parteien gegeneinander auf Schadensersatz (§ 32 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse) überlassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Insoweit ist dem Landgericht darin zuzustimmen, dass auch die Haftung aus § 394 HGB i. V. m. Nr. 9 Satz 1 der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte (Delkredere-Haftung) nicht dem Zweck dient, eine Wirksamkeit des Geschäftes zu fingieren, sondern dazu, den Kommittenten vom Risiko der Vertragstreue des Vertragspartners des Kommissionärs zu befreien.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Die Zwischenschaltung der X AG als Intermediärin ändert nichts daran, dass es auf die Wirksamkeit des Ausführungsgeschäfts ankommt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Überdies wird vom insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Kläger zwar dargelegt, dass im Zeitraum von 31. Mai 2011 bis zum 10. Juni 2011 Geschäfte zu ähnlichen Preisen wie dem tatsächlich (zunächst) erzielten (€ 40,14 je Stück) stattgefunden hätten (Anlage K 6, Blatt 51 ff. d. A.), damit wird aber noch nicht dargelegt, dass das konkrete Geschäft nicht zu einem offensichtlich nicht marktgerechten Preis zustande gekommen ist, zumal nicht auszuschließen ist, dass auch die Geschäfte, die deutlich vom von der Frankfurter Wertpapierbörse als marktgerecht angesehenen Preis abwichen, ebenfalls im Rahmen eines Mistrade-Verfahrens aufgehoben wurden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, es sei unstreitig, dass tatsächlich kein offensichtlich unzutreffender Preis vorgelegen habe, ist das unrichtig. Die Beklagte behauptet nicht nur einen solchen, sondern darüber hinaus, dass der Kläger - vermutlich mit Hilfe eines Computerprogramms - zielgerichtet nach derartigen Preisen suche.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>B)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Eine Haftung der Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 384 Abs. 3 HGB.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Eine solche Haftung wird vom Kläger in der Berufungsinstanz nicht mehr geltend gemacht (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte haftet auch nicht gemäß § 384 Abs. 3 HGB.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 384 Abs. 3 HGB haftet der Kommissionär dem Kommittenten zwar für die Erfüllung des Geschäfts, wenn er ihm nicht sogleich mit der Anzeige von der Ausführung der Kommission den Dritten namhaft macht, mit dem er das Geschäft abgeschlossen hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Zwischen den Parteien liegt ein Kommissionsgeschäft vor (siehe oben).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat unstreitig den Namen des Dritten, von dem sie erwarb, nicht bekannt gemacht, sondern das streitgegenständliche Wertpapier für die Klägerin am Vormittag des 3. Juni 2011 über die X AG an der Frankfurter Wertpapierbörse im Freiverkehr zum Preis von € 40,14 pro Stück erworben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>c)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Die Vorschrift des § 384 Abs. 3 HGB ist nach ihrem Sinn und Zweck vorliegend indes nicht anwendbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Die Selbsthaftung des Kommissionärs nach § 384 Abs. 3 HGB soll den Kommittenten vor Spekulationen des Kommissionärs schützen, ihm nach der Anzeige der Ausführung des Geschäfts ohne Nennung des Dritten einen weniger leistungsfähigen Vertragspartner unterzuschieben oder das Geschäft mit dem leistungsfähigen Kontrahenten für sich oder einen anderen Kommittenten in Anspruch zu nehmen (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - XI ZR 386/13, Rn. 14 mwN; vgl. Füller in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, § 384 Rn. 43). Die Nennung des Dritten soll dem Kommissionär ermöglichen, eigenverantwortlich die Leistungsfähigkeit des Dritten zu überprüfen oder sich mit ihm in Verbindung zu setzen, um festzustellen, ob tatsächlich ein Ausführungsgeschäft zu den angezeigten Konditionen abgeschlossen worden ist (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - XI ZR 386/13, Rn. 14 mwN).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Danach tritt die Selbsthaftung des Kommissionärs nach § 384 Abs. 3 HGB nach allgemeiner Auffassung nicht nur ein, wenn der Kommissionär den Dritten nicht nennt, sondern auch in den Fällen, in denen der Kommissionär einen anderen Dritten nennt oder überhaupt nicht mit einem Dritten abgeschlossen hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1952 - I ZR 105/51, LM § 675 BGB Nr. 3; Füller in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, § 384 Rn. 45) oder ein unwirksamer Selbsteintritt vorliegt (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - XI ZR 386/13, Rn. 15 mwN).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Der Zweck des § 384 Abs. 3 HGB erschöpft sich darin, den Kommittenten so zu stellen, als habe der Kommissionär den Dritten benannt und ihm darüber den Vollzug des Geschäfts ermöglicht. Die aus dieser Vorschrift folgende Erfüllungshaftung bezieht sich somit nur auf das tatsächlich geschlossene Geschäft und soll nicht noch zusätzlich dessen Wirksamkeit fingieren. Aufgrund dessen scheidet eine Haftung des Kommissionärs nach § 384 Abs. 3 HGB etwa aus, wenn er von dem Geschäft hätte zurücktreten können oder ihm die Ausführung des Geschäfts unmöglich geworden ist (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - XI ZR 386/13, Rn. 16 mwN).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>So liegt der Fall hier. Die Aufhebung des Geschäfts wegen Mistrades hat mit dem Namen des Vertragspartners nichts zu tun, sondern betrifft die Wirksamkeit des Geschäfts, welche gerade nicht fingiert werden soll. Die Aufhebung des nicht marktgerechten Geschäfts (sogenannter Mistrade) wird vom Schutzzweck des § 384 Abs. 3 HGB nicht erfasst. Die Stornierung wäre auch dann erfolgt, wenn die Beklagte dem Kläger den Dritten namhaft gemacht hätte. Eine Besserstellung des Kommittenten im Vergleich zu dieser Rechtslage wird mit § 384 Abs. 3 HGB nicht bezweckt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - XI ZR 386/13, Rn. 17).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Dem steht nicht entgegen, dass bei der vorliegenden Fallkonstellation dem Kunden einer Bank erhebliche Vermögensschäden drohen, wenn er etwa im Daytrading Gewinne sofort in neue Geschäfte investiert, dabei verliert und sodann das erste, gewinnbringende Geschäft als „Mistrade" rückabgewickelt wird. Der dadurch dem Kunden entstehende Schaden wird nicht von der Haftung aus § 384 Abs. 3 HGB erfasst. Vielmehr wird der Kommittent insoweit dadurch ausreichend geschützt, dass der Kommissionär - in Erfüllung der ihm obliegenden Interessenwahrungspflicht nach § 384 Abs. 1 Halbs. 2 HGB - in dem Ausführungsgeschäft einen dem § 122 BGB entsprechenden Schadensersatzanspruch zu vereinbaren hat (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - XI ZR 386/13, Rn. 18).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Aufgrund dessen kann offen bleiben, ob die dispositive Vorschrift des § 384 Abs. 3 HGB für den Wertpapierhandel durch einen entgegenstehenden Handelsbrauch außer Kraft gesetzt ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1952 - I ZR 105/51, LM § 675 BGB Nr. 3, juris; BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - XI ZR 386/13, Rn. 19).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>C)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Herausgabe eines Schadensersatzanspruches der Beklagten beziehungsweise der für sie auftretenden X AG gegen die M GmbH (oder die für sie an der Börse handelnden Akteurin/ Intermediärin) gemäß § 384 Abs. 2 HGB besteht ebenfalls nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Nach dieser Vorschrift hat der Kommissionär dem Kommittenten unter anderem dasjenige herauszugeben, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Die X AG und hierüber die Beklagte haben keinen Schadensersatzanspruch gegen die M GmbH (oder die für sie an der Börse handelnden Akteurin), denn solche Ansprüche sind gemäß § 32 Satz 2 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse (Anlage K 3, Blatt 16 ff. d. A., dort Seite 20, Blatt 35 der Akte) ausgeschlossen. Hiernach sind gegenseitige Ansprüche der Parteien auf Schadensersatz im Fall der Aufhebung von Geschäften durch die Geschäftsführung der Frankfurter Wertpapierbörse - wie hier - ausgeschlossen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>D)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aufgrund einer Pflichtverletzung im Rahmen des geschlossenen Kommissionsvertrages gemäß § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. § 384 Abs. 1, § 385 Abs. 1 HGB stehen dem Kläger nicht zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>Ein Kommissionsvertrag liegt vor (1.). Eine Pflichtverletzung liegt allerdings nicht vor (2.). Eine Pflicht des Kommissionärs zur (Rechts-) Beratung hinsichtlich etwaig gegen eine Mistrade-Entscheidung einzulegende Rechtsmittel besteht - jedenfalls ohne konkrete Weisung - nicht (a). Es liegt weder ein Weisungsverstoß (b) noch ein Verstoß gegen Warn- oder Hinweispflichten (Erfordernis eines formgerechten Widerspruchs) (c) noch ein Verstoß gegen eine übernommene Verpflichtung (d) vor. Eine etwaige Pflichtverletzung erfolgte schuldhaft (3.), wurde für den entgangenen Gewinn des Klägers aber nicht kausal (4.). Ein Schaden besteht in beantragter Höhe (5.). Ein etwaiger Anspruch wäre nicht verjährt (6.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>Ein Kommissionsvertrag liegt vor (siehe oben).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>Eine Pflichtverletzung liegt allerdings nicht vor. Eine Pflicht des Kommissionärs zur (Rechts-) Beratung hinsichtlich etwaig gegen eine Mistrade-Entscheidung einzulegende Rechtsmittel besteht - jedenfalls ohne konkrete Weisung - nicht (a). Es liegt weder ein Weisungsverstoß (b) noch ein Verstoß gegen Warn- oder Hinweispflichten (Erfordernis eines formgerechten Widerspruchs) (c) noch ein Verstoß gegen eine übernommene Verpflichtung (d).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Der Kommissionär ist gemäß § 384 Abs. 1 HGB verpflichtet, das übernommene Geschäft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns auszuführen; er hat hierbei das Interesse des Kommittenten wahrzunehmen und dessen Weisungen zu befolgen. Er hat dem Kommittenten gemäß § 384 Abs. 2 HGB die erforderlichen Nachrichten zu geben, insbesondere von der Ausführung der Kommission unverzüglich Anzeige zu machen; er ist verpflichtet, dem Kommittenten über das Geschäft Rechenschaft abzulegen und ihm dasjenige herauszugeben, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_68">68</a></dt>
<dd><p>Eine Pflicht des Kommissionärs zur (Rechts-) Beratung hinsichtlich etwaig gegen eine Mistrade-Entscheidung einzulegende Rechtsmittel besteht - jedenfalls ohne konkrete Weisung - danach nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_69">69</a></dt>
<dd><p>Die Pflichten des Kommissionärs betreffen die Ausführung des Geschäfts. Allein hierbei hat er (jedenfalls zunächst) das Interesse des Kommitenten wahrzunehmen und dessen Weisungen zu befolgen. Danach hat er lediglich Benachrichtigungspflichten, insbesondere hinsichtlich der Ausführung, und ist er zur Rechenschaft und Herausgabe des aus der Geschäftsbesorgung Erlangten verpflichtet. Mit einem Vorgehen gegen eine nach Ausführung des Geschäfts erfolgte Entscheidung der Börse zur Aufhebung des Geschäfts wegen Mistrades hat dies nichts zu tun. Rat oder Empfehlung schuldet der Kommissionär vor Auftrag in der Regel nur auf Verlangen (Füller in: Boujong/Ebenroth/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, § 384 Rn. 12), danach soweit handelsüblich oder von Treu und Glauben gefordert (Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 384 Rn. 2). Beides ist hier hinsichtlich der Ausführung des Geschäfts weder vorgetragen noch ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_70">70</a></dt>
<dd><p>Ein Verstoß gegen vom Kläger erteilte Weisungen im Sinne des § 384 Abs. 1, § 385 Abs. 1 HGB liegt nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_71">71</a></dt>
<dd><p>Weisung ist eine nach Vertragsschluss einseitig vom Kommittenten getroffene Bestimmung, mit der <em>das Ausführungsgeschäft</em> näher konkretisiert wird (Füller in: Boujong/Ebenroth/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, § 384 Rn. 18). Das Weisungsrecht ist ein den Vertrag ausfüllendes, nicht abänderndes Gestaltungsrecht des Kommittenten (Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 384 Rn. 1). Der Kommittent kann nur im Rahmen des Kommissionsvertrages Weisungen erteilen (Füller in: Boujong/Ebenroth/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, § 384 Rn. 19).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_72">72</a></dt>
<dd><p>Der Kommissionär ist gemäß § 385 Abs. 1 HGB dem Kommittenten zum Ersatz des aus dem Weisungsverstoß entstehenden Schadens verpflichtet, wenn er nicht gemäß dessen Weisungen handelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>aa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_73">73</a></dt>
<dd><p>Das ist vorliegend nicht zu erkennen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(1)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_74">74</a></dt>
<dd><p>Zum einen betraf die Anweisung des Klägers, gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse vorzugehen, nicht die Ausführung des Auftrages, die zu diesem Zeitpunkt längst erfolgt war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(2)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_75">75</a></dt>
<dd><p>Zum anderen ergriff die Beklagte auch nach Erledigung des eigentlichen Auftrags genau die Maßnahmen, die der Kläger von ihr verlangte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_76">76</a></dt>
<dd><p>Nach dem Tatbestand der angegriffenen Entscheidung ist mit der Wirkung des § 314 ZPO festgestellt, dass der Kläger den Mitarbeiter der Beklagten H. zunächst anwies, gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse vorzugehen, ohne zu erklären, was genau zu tun sei. Nach dem Vortrag der Beklagten in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2016 (Protokoll, Blatt 244 ff. d. A., dort Seite 2, Blatt 245 d. A.) gab der Kläger stets ganz konkrete Anweisungen, also auch hinsichtlich des Telefonats.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_77">77</a></dt>
<dd><p>Daraufhin telefonierte der Mitarbeiter der Beklagten entsprechend dieser Anweisung mit der Frankfurter Wertpapierbörse und teilte sogleich mit, dass der Kläger mit der Aufhebung des Geschäfts nicht einverstanden sei. Am 10. Juni 2011 telefonierte der Kläger erneut mit dem Mitarbeiter der Beklagten und wies diesen an, an bestimmte Empfänger eine E-Mail mit einem konkret vorgegebenen Text zu schreiben, was wiederum Herr H. exakt entsprechend der Vorgabe mit E-Mail vom 10. Juni 2011, 15:55 Uhr, tat (Anlage B 5, Blatt 192 f. d. A.). Hierüber unterrichtete er auch den Kläger. Gleiches spielte sich am 23. November 2011 erneut ab, dieses Mal allerdings durch einen anderen Mitarbeiter der Beklagten, Herrn B (Anlage K 4, Blatt 37 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_78">78</a></dt>
<dd><p>Damit ergriff die Beklagte durch ihre Mitarbeiter exakt die Maßnahmen, die der Kläger von ihr verlangte. Wenn er nunmehr ausführt, es sei aus der Weisung des Klägers für die Beklagte erkennbar gewesen, dass sie die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen hätte, so kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Kläger - wie er in seiner persönlichen Anhörung im Rahmen der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2016 (Protokoll, Blatt 244 ff. d. A.) eingeräumt hat - selbst nicht wusste, auf welchem Weg gegen die Mistrade-Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse vorzugehen war. Ob der Kläger lediglich einen Anruf bei der Börse oder aber die Einlegung eines formellen Widerspruchs wollte, ist seiner Anweisung nach eigenen Angaben nicht eindeutig zu entnehmen. Verantwortlich für den Widerspruch war aber, anders als für die Ausführung des Geschäfts, der Kläger selbst und nicht die Beklagte als Kommissionärin. Diese schuldete keine Rechtsberatung oder aber die Einlegung eines formellen Widerspruchs gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_79">79</a></dt>
<dd><p>Überdies ist im Rahmen der Entscheidung über den Mistrade-Antrag eine etwaige Stellungnahme fernmündlich durchaus möglich, wie schon die Tatsache zeigt, dass auch der Antrag selbst gemäß § 24 Abs. 2 Satz 3 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse (Anlage K 3, Blatt 16 ff. d. A.) nicht nur schriftlich, per Fax oder per E-Mail, sondern auch telefonisch gestellt werden kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>bb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_80">80</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen hätten weder der Kommissionär noch der Kommittent eine Möglichkeit, durch Widerspruch die (unterstellt unrechtmäßige) Ausübung des Aufhebungsrechtes zu verhindern; diese stellt ein einseitiges Gestaltungsrecht dar, so dass es auf ein Einverständnis des Kommissionärs nicht ankommt (siehe dazu auch oben). Eine Prüfung der Voraussetzungen würde somit leer laufen und wäre nicht geeignet, Schwebezustände zu beseitigen. Ein Interesse des Kommittenten im Sinne des § 384 Abs. 1 HGB an einer Prüfung der Voraussetzungen für eine Aufhebung seitens des Emittenten durch den Kommissionär ist damit nicht erkennbar (OLG Nürnberg, Urteil vom 10. Juli 2015 - 14 U 468/07, juris Rn. 170).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>cc)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_81">81</a></dt>
<dd><p>Darauf, ob der Beklagten ein Widerspruch nicht zuzumuten gewesen wäre aufgrund unklarer Rechtslage und etwaiger Kosten eines Verfahrens, kommt es nicht mehr an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_82">82</a></dt>
<dd><p>Insoweit ist dem vom Landgericht zitierten Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg (Urteil vom 4. Oktober 2013 - 13 U 211/11, dort unter II. 1. b), Beck-Online) jedenfalls insoweit zuzustimmen, als es die Anforderungen an die Beklagte als Kommissionärin im Rahmen der ihr obliegenden Interessenwahrnehmungspflicht überspannt, sie ohne konkrete Weisung zu verpflichten, für den Kläger als Kommittenten (formell) Widerspruch gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse einzulegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_83">83</a></dt>
<dd><p>Darauf, ob sie eine konkrete Weisung hätte einholen können, kommt es angesichts der letztlich konkret erteilten Weisungen des Klägers hinsichtlich der Versendung von ihm verfasster E-Mails nicht an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>c)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_84">84</a></dt>
<dd><p>Der Kommittent kann einen Anspruch gegen den Kommissionär auf Ersatz des entgangenen Gewinns auch nicht darauf stützen, dieser habe seine Pflichten aus dem Kommissionsvertrag zur Wahrung der Interessen des Kommittenten nach Abschluss des Ausführungsgeschäfts verletzt, indem er die Berechtigung der Frankfurter Wertpapierbörse zur Stornierung des Wertpapiergeschäfts nicht überprüft und entsprechende Warnungen oder Hinweise erteilt habe. Diese Prüfung betrifft nämlich die Durchsetzung der Ansprüche aus dem Ausführungsgeschäft. Zur Durchsetzung solcher Ansprüche ist der Kommissionär aber nicht verpflichtet (OLG Nürnberg, Urteil vom 10. Juli 2015 - 14 U 468/07, juris Leitsatz 5 und Rn. 167).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_85">85</a></dt>
<dd><p>Eine solche Pflichtverletzung wäre auch nicht kausal für den durch entgangenen Gewinn entstandenen Schaden des Kommittenten. Das Stornierungsrecht stellt ein einseitiges Gestaltungsrecht des Wertpapieremittenten bzw. hier der Frankfurter Wertpapierbörse dar, für dessen Ausübung es auf ein Einverständnis des Kommissionärs nicht ankommt. Ein Interesse des Kommittenten auf Überprüfung der Voraussetzungen des Stornierungsrechts durch den Kommissionär ist somit nicht erkennbar (OLG Nürnberg, Urteil vom 10. Juli 2015 - 14 U 468/07, juris Leitsatz 6 und Rn. 168).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>d)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_86">86</a></dt>
<dd><p>Ein Verstoß gegen eine Verpflichtung, die aus der Übernahme der Aufgabe des Vorgehens gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse im Sinne des § 662 BGB entstanden wäre, besteht nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_87">87</a></dt>
<dd><p>Die konkrete Übernahme der Aufgabe, schriftlich Widerspruch gegen die Entscheidung einzulegen, wird weder vorgetragen noch ist sie ersichtlich. Spiegelbildlich zur nicht konkret erteilten Weisung übernahm die Beklagte auch nicht eine konkrete Verpflichtung; dies zumal auch nach den Angaben des Klägers zum Zeitpunkt der Gespräche über ein Vorgehen gegen die streitgegenständliche Entscheidung weder ihm noch dem Mitarbeiter der Beklagten klar war, was man konkret unternehmen müsste.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>3.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_88">88</a></dt>
<dd><p>Eine etwaige Pflichtverletzung erfolgte schuldhaft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_89">89</a></dt>
<dd><p>Es gilt die Vermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, zu deren Widerlegung nichts vorgetragen oder ersichtlich ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>4.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_90">90</a></dt>
<dd><p>Eine etwaige Pflichtverletzung wurde für den entgangenen Gewinn des Klägers nicht kausal.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_91">91</a></dt>
<dd><p>Eine etwaige Pflichtverletzung rechtfertigt nicht die Klageforderung, weil der Kläger, wenn in dem Ausführungsgeschäft (im außerbörslichen Handel) ein dem § 122 BGB entsprechender Schadensersatzanspruch vereinbart worden wäre, nur den Schaden, der ihm durch sein Vertrauen auf die Gültigkeit des Ausführungsgeschäfts entstanden ist, nicht aber den Gewinn aus dem Ausführungsgeschäft, der den Gegenstand der Klage bildet, ersetzt verlangen könnte (BGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - XI ZR 239/01, juris Rn. 22). Gleiches muss im börslichen Handel - wie hier - gelten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_92">92</a></dt>
<dd><p>Ein ersatzfähiger Schaden (negatives Interesse) ist weder vorgetragen noch ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>5.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_93">93</a></dt>
<dd><p>Ein (allerdings nicht ersatzfähiger, siehe oben) Schaden besteht in beantragter Höhe. Hierzu kann auf die im Tatbestand des angegriffenen Urteils befindliche Berechnung des Klägers anhand der beauftragten Veräußerungsmöglichkeit hinsichtlich der Papiere am 23. November 2011 (vgl. E-Mails des Mitarbeiters der Beklagten B, Anlage K 4, Blatt 37 d. A.) zu einem um € 9,11 pro Stück höheren Kurs (5.000 Stück x € 9,11 = € 45.550,00) verwiesen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>6.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_94">94</a></dt>
<dd><p>Etwaige Ansprüche des Klägers sind nicht verjährt im Sinne eines Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 214 Abs. 1 BGB.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_95">95</a></dt>
<dd><p>Die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren ist nicht abgelaufen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_96">96</a></dt>
<dd><p>Die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ablauf der Verjährungsfrist trägt derjenige, der sich als Schuldner auf sie beruft (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – XI ZR 319/06, Rn. 25; Ellenberger in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, vor § 194 Rn. 24), hier die Beklagte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_97">97</a></dt>
<dd><p>Nach dem Abschluss des Geschäfts am 3. Juni 2011 entstand der Anspruch im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB grundsätzlich bereits zu diesem Zeitpunkt, weil bereits der Erwerb der Kapitalanlage aufgrund einer ggf. fehlerhaften Information ursächlich für den späteren Schaden ist, da der ohne die erforderliche Aufklärung gefasste Entschluss von den Mängeln der fehlerhaften Aufklärung beeinflusst ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - XI ZR 586/07).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_98">98</a></dt>
<dd><p>Die weitere (subjektive) Voraussetzung des Verjährungsbeginns gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, dass der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erklangen müsste, lag zu diesem Zeitpunkt bzw. jedenfalls kurz danach ebenfalls vor. Der Kläger wurde durch den Mitarbeiter der Beklagten H. sogleich über die Mistrade-Entscheidung informiert und wusste von den ergriffenen Maßnahmen der Beklagten, nämlich dem Telefonat und den anschließenden E-Mails, die er selbst vorgegeben hatte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_99">99</a></dt>
<dd><p>Damit lief die Verjährungsfrist grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres 2011 an (§ 199 Abs. 1 BGB) und endete nach Ablauf von drei Jahren (§ 195 BGB) mit dem Schluss des Jahres 2014.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_100">100</a></dt>
<dd><p>Der Kläger kann sich allerdings auf eine Hemmung der Verjährung aufgrund des Güteantrags vom 30. Dezember 2014 (Anlage K 10, Blatt 64 ff. d. A.) gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB und in der Folge auf eine Hemmung durch Klageerhebung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB berufen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_101">101</a></dt>
<dd><p>Der Güteantrag war rechtzeitig (aa) und hinreichend individualisiert (bb). Er war gegenüber der Beklagten auch nicht rechtsmissbräuchlich (cc). Als am 16. Oktober 2015 Klage erhoben worden ist (Blatt 1 ff. d. A.), sind etwaige Ansprüche noch nicht verjährt gewesen (dd).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>aa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_102">102</a></dt>
<dd><p>Der Güteantrag war rechtzeitig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_103">103</a></dt>
<dd><p>Nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB wird die Verjährung dadurch gehemmt, dass die Bekanntgabe eines Antrags, mit dem der Anspruch geltend gemacht wird, bei einer staatlichen oder staatlich anerkannten Streitbeilegungsstelle veranlasst wird; die Verjährung wird schon durch den Eingang des Antrags bei der Streitbeilegungsstelle gehemmt, wenn der Antrag demnächst bekannt gegeben wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_104">104</a></dt>
<dd><p>Die Voraussetzungen dieser Norm, namentlich der Eingang des Güteantrags am 30. Dezember 2014 und damit vor Ablauf der Verjährungsfrist am 31. Dezember 2014 sowie die Bekanntgabe „demnächst“, nämlich mit Zustellung an die Beklagte am 12. Januar 2015, liegen nach dem Tatbestand der angegriffenen Entscheidung - mit der Wirkung des § 314 ZPO - vor. Dagegen wendet sich die Berufung auch (naturgemäß) nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>bb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_105">105</a></dt>
<dd><p>Der Güteantrag war auch hinreichend individualisiert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(1)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_106">106</a></dt>
<dd><p>Der Güteantrag muss zwar nicht in jeder Beziehung den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO für eine Klageerhebung entsprechen. Er muss für den Schuldner aber erkennen lassen, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht werden soll, damit er prüfen kann, ob eine Verteidigung erfolgversprechend ist und ob er in das Güteverfahren eintreten möchte. Dementsprechend muss der Güteantrag einen bestimmten Rechtsdurchsetzungswillen des Gläubigers unmissverständlich kundgeben und hierzu die Streitsache darstellen sowie das konkrete Begehren erkennen lassen. Der verfolgte Anspruch ist hinreichend genau zu bezeichnen. Auch wenn insoweit keine allzu strengen Anforderungen zu stellen sind, weil das Güteverfahren in erster Linie auf eine außergerichtliche gütliche Beilegung des Rechtsstreits abzielt und keine strikte Antragsbindung wie im Mahn- oder Klageverfahren besteht, kommt hinzu, dass die Gütestelle durch den Antrag in die Lage versetzt werden muss, als neutrale Schlichterin und Vermittlerin im Wege eines Schlichtungsversuchs einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. Dies setzt voraus, dass sie ausreichend über den Gegenstand des Verfahrens informiert wird. Maßgebend für die Individualisierung ist sonach nicht allein die Perspektive des Antragsgegners, sondern auch die Sicht der Gütestelle, an die sich der Güteantrag in erster Linie richtet, damit diese im Sinne einer gütlichen Einigung zwischen den Anspruchsparteien tätig wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_107">107</a></dt>
<dd><p>Nach diesen Grundsätzen hat der Güteantrag in Anlageberatungsfällen - wie hier nicht - regelmäßig die konkrete Kapitalanlage zu bezeichnen, die Zeichnungssumme sowie den (ungefähren) Beratungszeitraum anzugeben und den Hergang der Beratung mindestens im Groben zu umreißen, so dass der Anspruch für den Schuldner erkennbar ist und die Gütestelle in die Lage versetzt wird, auf der Grundlage der Angaben im Güteantrag einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. Ferner ist das angestrebte Verfahrensziel zumindest soweit zu umschreiben, dass dem Gegner und der Gütestelle ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich ist; eine genaue Bezifferung der Forderung muss der Güteantrag seiner Funktion gemäß demgegenüber grundsätzlich nicht enthalten (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 20; BGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - III ZR 170/14, Rn. 17; BGH, Urteil vom 20. August 2015 - III ZR 373/14, Rn. 18; BGH, Urteil vom 3. September 2015 – III ZR 347/14, Rn. 17; BGH, Beschluss vom 13. August 2015 - III ZR 358/14, Rn. 3; BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2015 – III ZR 164/14, Rn. 3 und III ZR 302/14, Rn. 5; BGH, Beschlüsse vom 18. Juni 2015 – III ZR 198/14, Rn. 25; III ZR 189/14, Rn. 24; III ZR 191/14, Rn. 25 und III ZR 227/14, Rn. 25; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZR 116/15, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 Rn. 16; BGH, Beschluss vom 4. Februar 2016 - III ZR 356/14, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016 - III ZB 74/15, Rn. 16; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016, III ZB 76/15, Rn. 16; BGH, Beschluss vom 24. März 2016 - III ZB 75/15, Rn. 16; BGH, Beschluss vom 30. Juni 2016 - III ZR 341/15, 1. Absatz des Tenors; BGH, Beschluss vom 4. Mai 2016 - III ZR 90/15, Rn. 5). Jedenfalls die Größenordnung der insoweit verfolgten Ansprüche muss sich aber aus den Angaben zum Schaden ergeben (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 20).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_108">108</a></dt>
<dd><p>Wesentliche Angaben zur Darstellung des Streitgegenstands müssen sich nicht zwingend im Güteantrag selbst befinden, wenn sich die Angaben in einem vorprozessualen Anspruchsschreiben finden, das dem Antrag beigefügt ist; es wäre bloßer Formalismus und erforderte lediglich unnötige Schreibarbeit, wenn verlangt würde, die entsprechenden Textpassagen aus dem beigefügten Schreiben in den Antrag selbst zu übernehmen (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 15 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(2)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_109">109</a></dt>
<dd><p>Diesen Anforderungen genügt der Güteantrag des Klägers. Im Güteantrag selbst (Anlage 10, Blatt 64 ff. d. A.) werden das streitgegenständliche Wertpapier sowie das Auftrags- und Erwerbsdatum und die Auftragssumme genannt; der geltend gemachte Schadensersatzbetrag wird konkret berechnet und beziffert. Dazu sind der Ablauf der Geschäftsabwicklung und die gerügten vermeintlichen Pflichtverletzungen zumindest teilweise genannt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_110">110</a></dt>
<dd><p>Das ist nach der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung ausreichend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(3)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_111">111</a></dt>
<dd><p>Dem steht auch nicht entgegen, dass nicht alle vermeintlichen Pflichtverletzungen im Güteantrag genannt sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_112">112</a></dt>
<dd><p>Der Beklagten ist allerdings zuzugeben, dass als vermeintliche Pflichtverletzung lediglich angegeben ist, dass sie es versäumt habe, <em>„…den Börsenmakler X AG anzuweisen, die erforderlichen Darlegungen im Prüfungsverfahren der Geschäftsführung der Börse zu machen.“</em> sowie dem Kläger im Sinne des § 384 Abs. 3 HGB zeitgerecht den Dritten namhaft zu machen, mit dem die Beklagte das Ausführungsgeschäft geschlossen hatte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_113">113</a></dt>
<dd><p>Nunmehr stützt der Kläger seine Klage und die Berufung allerdings im Wesentlichen darauf, dass die Beklagte es - entgegen einer vermeintlichen Weisung - versäumt habe, gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse durch Einlegung eines form- und fristgerechten Widerspruchs vorzugehen und so dem von ihm gewünschten Wertpapiergeschäft zur Durchführung zu verhelfen bzw. ihn jedenfalls über die Notwendigkeit eines schriftlichen Widerspruchs zu informieren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_114">114</a></dt>
<dd><p>Für Fälle der Anlageberatung hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Verjährung mehrerer eigenständiger und hinreichend deutlich voneinander abgrenzbarer Pflichtverletzungsvorwürfe zwar materiell-rechtlich selbständig zu beurteilen sind. Die kenntnisabhängige regelmäßige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB berechnet sich für jeden dieser Beratungsfehler gesondert, so dass die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für jede Pflichtverletzung getrennt zu prüfen sind (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14, Rn. 14 mwN; BGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - III ZR 170/14, Rn. 15). Die Reichweite der Hemmungswirkung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen gemäß § 204 Abs. 1 BGB beurteilt sich jedoch - ebenso wie die materielle Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO - nicht nach dem einzelnen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern nach dem den Streitgegenstand bildenden prozessualen Anspruch. Dieser erfasst alle materiell-rechtlichen Ansprüche, die sich im Rahmen des Rechtsschutzbegehrens aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen, in Anlageberatungsfällen folglich sämtliche Pflichtverletzungen eines zu einer Anlageentscheidung führenden Beratungsvorgangs, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Pflichtverletzungen vorgetragen worden sind oder vorgetragen hätten werden können (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2013 - XI ZR 42/12, Rn. 15 ff; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2014 - XI ZB 12/12, Rn. 142 ff.; BGH, Beschluss vom 26. Februar 2015 - III ZR 53/14, Rn. 1; BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14, Rn. 15; BGH Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 303/14, Rn. 8 ff; BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 - III ZR 238/14, Rn. 15; BGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - III ZR 170/14, Rn. 15). Dementsprechend wird die Verjährung der Ansprüche für jeden einer Anlageentscheidung zugrunde liegenden Beratungsfehler gehemmt, wenn in unverjährter Zeit wegen eines oder mehrerer Beratungsfehler Klage erhoben oder ein Mahn- oder Güteverfahren eingeleitet wird (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14, Rn. 15; BGH Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 303/14, Rn. 8 ff; jeweils mwN; BGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - III ZR 170/14, Rn. 15).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_115">115</a></dt>
<dd><p>Diese Maßstäbe sind auf den vorliegenden Fall eines vermeintlichen Verstoßes gegen eine Weisung und eine Pflicht zum formgemäßen Widerspruch gegen eine Mistrade-Entscheidung zu übertragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(c)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_116">116</a></dt>
<dd><p>Vorliegend waren die einzelnen Pflichtverletzungen also im Güteantrag nicht zu benennen, sondern umfasste dessen Hemmungswirkung sämtliche Pflichtverletzungen im Rahmen des geschilderten Sachverhalts.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_117">117</a></dt>
<dd><p>Dieses zumal in der Schilderung des Sachverhalts im Güteantrag (Anlage K 10, Blatt 64 ff. d. A.) der seinerzeitige Antragsteller und jetzige Kläger bereits erklärt hat, dass er der Beklagten die Weisung erteilt habe, gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse Widerspruch zu erheben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>cc)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_118">118</a></dt>
<dd><p>Der Güteantrag des Klägers gegenüber der Beklagten war auch nicht missbräuchlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_119">119</a></dt>
<dd><p>Es ist grundsätzlich legitim und begründet im Regelfall keinen Rechtsmissbrauch, wenn ein Antragsteller eine Gütestelle ausschließlich zum Zwecke der Verjährungshemmung anruft (BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 - VI ZR 306/92, juris Rn. 22; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 526/14, Rn. 33; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 25). Hiervon ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn schon vor der Einreichung des Güteantrags feststeht, dass der Antragsgegner nicht bereit ist, an einem Güteverfahren mitzuwirken und sich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen, und er dies dem Antragsteller schon im Vorfeld in eindeutiger Weise mitgeteilt hat. In einem solchen Fall ist von vornherein sicher, dass der Zweck des außergerichtlichen Güteverfahrens - die Entlastung der Justiz und ein dauerhafter Rechtsfrieden durch konsensuale Lösungen (BTDrucks 14/980, Seite 1 und 5) - nicht erreicht werden kann, weshalb sich eine gleichwohl erfolgte Inanspruchnahme der Gütestelle als rechtsmissbräuchlich erweist. Als Rechtsfolge einer derartigen missbräuchlichen Inanspruchnahme des Verfahrens ist es dem Gläubiger gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf eine Hemmung der Verjährung durch Bekanntgabe des Güteantrags zu berufen (BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 - III ZR 238/14, Rn. 23 mwN [für Hemmung durch Mahnverfahren]; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 526/14, Rn. 34).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_120">120</a></dt>
<dd><p>Nach diesen Maßstäben war der Güteantrag gegenüber der Beklagten nicht rechtsmissbräuchlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_121">121</a></dt>
<dd><p>Der Zweck der Verjährungshemmung bewirkt dies allein nicht. Es stand auch nicht bereits vor der Einreichung des Güteantrags fest, dass die Beklagte nicht bereit sein würde, an einem Güteverfahren mitzuwirken und sich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>dd)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_122">122</a></dt>
<dd><p>Als am 16. Oktober 2015 Klage erhoben worden ist (Blatt 1 ff. d. A.), sind etwaige Ansprüche des Klägers noch nicht verjährt gewesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_123">123</a></dt>
<dd><p>Die Hemmung der Verjährung durch Bekanntgabe des Güteantrags endete mit Ablauf des 20. Oktober 2015. Unter Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB endete die Verjährungshemmung sechs Monate, nachdem die Gütestelle (hier: C GmbH) veranlasst hatte, das Absehen vom Güteverfahren dem Kläger mitzuteilen. Das ist hier am 20. April 2015 der Fall gewesen (Anlage K 12, Blatt 75 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(1)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_124">124</a></dt>
<dd><p>§ 204 Abs. 2 Satz 1 BGB legt für die in Absatz 1 geregelten Hemmungstatbestände fest, dass die Hemmung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens endet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_125">125</a></dt>
<dd><p>Grundsätzlich endet ein Güteverfahren im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB durch Abschluss eines Vergleichs, die Rücknahme des Güteantrags oder durch die Einstellung des Verfahrens wegen Scheiterns des Einigungsversuchs. Dabei kann die konkrete Beendigung des Verfahrens nur innerhalb der Verfahrensordnung der jeweiligen Gütestelle festgestellt werden (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2014 - XI ZB 12/12, Rn. 160; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 27; BGH, Beschluss vom 4. Mai 2016 - III ZR 100/15, Rn. 9). § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB ist dabei nach seinem Sinn und Zweck so auszulegen ist, dass es auch in dem Fall, in dem die Beendigung eines Hemmungstatbestands vom Gläubiger nicht unmittelbar wahrnehmbar ist, für den Lauf der sechsmonatigen Nachlauffrist darauf ankommt, dass dieser Umstand dem Gläubiger zur Kenntnis gebracht wird (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 32). Denn der Zweck der Nachlauffrist des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB besteht darin, dass dem Gläubiger insbesondere dann, wenn im Verfahren keine Sachentscheidung ergeht, in jedem Falle eine Frist bleibt, in der weitere Rechtsverfolgungsmaßnahmen eingeleitet werden können (BTDrucks 14/6040, Seite 117); das aber setzt die Kenntnis von der Verfahrensbeendigung voraus (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 30 f.). Auch beim Güteverfahren ist im Grundsatz eine Kenntnisnahme des Gläubigers vom Beendigungsgrund geboten, damit sie die vom Gesetzgeber eingeräumte Nachlauffrist nutzen können (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 32). Das bedeutet, dass selbst dann, wenn nach der Verfahrensordnung das Güteverfahren bereits mit Eingang der ablehnenden Stellungnahme des Gegners beendet ist, der Beginn der Nachlauffrist davon abhängt, dass die Bekanntgabe der Weigerung an die Gegenpartei durch die Gütestelle veranlasst wird (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 30 ff.; BGH, Beschluss vom 4. Mai 2016 - III ZR 100/15, Rn. 10). An die Veranlassung der Bekanntgabe wird dabei deshalb angeknüpft, weil im Güteverfahren eine förmliche Zustellung nicht vorgeschrieben ist (vgl. auch § 15a EGZPO; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 405/14, Rn. 37).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(2)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_126">126</a></dt>
<dd><p>Danach ist für die Beendigung des Güteverfahrens nach der einschlägigen Verfahrensordnung auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem veranlasst worden ist, die Entscheidung der Gütestelle zum Absehen von einer Schlichtung vom 20. April 2015 (Anlage K 12, Blatt 75 d. A.) dem Kläger zur Kenntnis zu bringen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_127">127</a></dt>
<dd><p>Von dieser Veranlassung ist frühestens am 20. April 2015 auszugehen. Damit endete die Nachlauffrist des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB frühestens am 20. Oktober 2015. Die Klageerhebung am 16. Oktober 2015 hat mithin die Verjährungsfrist erneut rechtzeitig gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_128">128</a></dt>
<dd><p>Für den Ablauf der absoluten Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 3 BGB bestehen hinsichtlich der einzelnen geltend gemachten Pflichtverletzungen keine Anhaltspunkte. Denn der Anspruch entstand erst am 3. Juni 2011. Die Klageerhebung am 16. Oktober 2015 hat mithin die Verjährungsfrist jedenfalls rechtzeitig gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>E)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_129">129</a></dt>
<dd><p>Damit bestehen auch keine Nebenansprüche (Zinsen, vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>F)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_130">130</a></dt>
<dd><p>Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>G)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_131">131</a></dt>
<dd><p>Die Revision ist zuzulassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_132">132</a></dt>
<dd><p>Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_133">133</a></dt>
<dd><p>Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 – V ZB 16/02, juris Rn. 4; BGH, Beschluss vom 8. April 2003 - XI ZR 193/02, juris Rn. 2). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2010 - 1 BvR 381/10, Rn. 12). Die hier entscheidenden Rechtsfragen sind aufgrund der genannten höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Ob der Kommissionär über die Möglichkeiten belehren muss, wie gegen die Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse vorgegangen werden kann und welche Maßnahmen er selbst ergreifen muss, ist ungeklärt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_134">134</a></dt>
<dd><p>Auch die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist tangiert, da hierin nicht eindeutig geklärt scheint, welche Pflichten den Kommissionär im jeweiligen Fall exakt treffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_135">135</a></dt>
<dd><p>Auch die Frage der Delkrederehaftung bei Zwischenschaltung eines Intermediärs ist von grundsätzlicher Bedeutung.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
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<div>
<p>I. Die Beklagte wird verurteilt,</p>
<p>1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen:</p>
<p>Vorrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,</p>
<p>die Folgendes umfassen:</p>
<p>eine Induktivität, die betreibbar ist zum Empfangen eines Schaltsignals und zum Bereitstellen eines Versorgungsstroms;</p>
<p>ein Schaltelement, das betreibbar ist zum Abfühlen eines Eingangsstroms und zum Generieren des Schaltsignals zum Laden und Entladen der Induktivität zum Bereitstellen des Versorgungsstroms, wobei das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt, um einen größeren Versorgungsstrom über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset;</p>
<p>einen Hüllkurvenverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen eines Hüllkurvensignals und zum Bereitstellen eines zweiten Versorgungsstroms basierend auf dem Hüllkurvensignal, wobei ein Gesamtversorgungsstrom den Versorgungsstrom von dem Schaltelement und den zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker umfasst; und einen Boost- bzw. Aufwärtswandler, der betreibbar ist zum Empfangen einer ersten Versorgungsspannung und zum Bereitstellen einer geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung mit einer höheren Spannung als die erste Versorgungsspannung, wobei der Hüllkurvenverstärker selektiv basierend auf der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung arbeitet.</p>
<p>(Anspruch 1, unmittelbare Verletzung)</p>
<p>2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 9. September 2017 begangen habt, und zwar unter Angabe</p>
<p>a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<p>b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<p>3. der Klägerin schriftlich in geordneter Form (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 9. September 2017 begangen hat und zwar unter Angabe:</p>
<p>a) der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse,</p>
<p>b) der einzelnen Lieferungen (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie aller Identifikationsmerkmale wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der einzelnen Angebote (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie aller Identifikationsmerkmale wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<p>d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,</p>
<p>e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben zu b) die entsprechenden Belege (nämlich Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,</p>
<p>wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu benennenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt, und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Liste enthalten ist;</p>
<p>4. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten und im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen,</p>
<p>indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Beklagte die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nimmt.</p>
<p>II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter I.1. bezeichneten, seit dem 9. September 2017 begangenen Handlungen der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.</p>
<p>III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</p>
<p>IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 668,4 Mio. € vorläufig vollstreckbar.</p>
</div>
<h2>Tatbestand</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/>Die Klägerin nimmt die Beklagtenseite wegen Verletzung ihrer Rechte aus dem nationalen Teil des europäischen Patents EP … 461 auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.</p>
<p>A. Zu den Parteien</p>
<p><rd nr="2"/>Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents … 461 (im Folgenden: Klagepatent, Anlage K 5) mit dem Titel „Leistungseffizienter Niederspannungs-Hüllkurvenverfolger“. Sie ist eine USamerikanische Gesellschaft mit Sitz in San Diego, Kalifornien.</p>
<p><rd nr="3"/>Die Beklagte ist das Mutterunternehmen der P.-Gruppe und eine USamerikanische Gesellschaft mit Sitz in Cupertino, Kalifornien. Sie entwickelt, vertreibt und stellt u.a. mobile Computer und Kommunikationsgeräte her. Sie bietet in Deutschland die angegriffene Ausführungsform an, unter anderem auf der Website der deutschen P. Online Stores.</p>
<p>B. Zu dem Klagepatent</p>
<p><rd nr="4"/>I. Die Klägerin hat das Klagepatent am 24.06.2012 angemeldet. Der Hinweis auf die Patenterteilung erfolgte (nach Klageerhebung) am 09.08.2017.</p>
<p><rd nr="5"/>II. Patentanspruch 1 lautet im englischen Original wie folgt:</p>
<p>„1. An apparatus (150) comprising:</p>
<p>an inductor (162) operative to receive a switching signal and provide a supply current;</p>
<p>a switcher (160b) operative to sense an input current (Isen) and generate the switching signal to charge and discharge the inductor to provide the supply current, the switcher (160b) adding an offset to the input current to generate a larger supply current via the inductor than without the offset an envelope amplifier (170a) operative to receive an envelope signal and provide a second supply current (Ienv) based on the envelope signal, wherein a total supply current (Ipa) comprises the supply current from the switcher (160b) and the second supply current from the envelope amplifier (170a); and a boost converter (180) operative to receive a first supply voltage and provide a boosted supply voltage having a higher voltage than the first supply voltage, wherein the envelope amplifier selectively operates based on the first supply voltage or the boosted supply voltage.“</p>
<p><rd nr="6"/>Patentanspruch 1 lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:</p>
<p>„1. Eine Vorrichtung (150), die Folgendes umfasst:“</p>
<p><rd nr="7"/>Eine Induktivität (162), die betreibbar ist zum Empfangen eines Schaltsignals und zum Bereitstellen eines Versorgungsstroms;</p>
<p>ein Schaltelement (160b), das betreibbar ist zum Abfühlen eines Eingangsstroms (Isen) und zum Generieren des Schaltsignals zum Laden und Entladen der Induktivität zum Bereitstellen des Versorgungsstroms, wobei das Schaltelement (160b) dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt, um einen größeren Versorgungsstroms [sic] über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset;</p>
<p>einen Hüllkurvenverstärker (170a), der betreibbar ist zum Empfangen eines Hüllkurvensignals und zum Bereitstellen eines zweiten Versorgungsstroms (Ienv) basierend auf dem Hüllkurvensignal, wobei ein Gesamtversorgungsstrom (Ipa) den Versorgungsstrom von dem Schaltelement (160b) und den zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker (170a) umfasst; und einen Boost- bzw. Aufwärtswandler (180), der betreibbar ist zum Empfangen einer ersten Versorgungsspannung und zum Bereitstellen einer geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung mit einer höheren Spannung als die erste Versorgungsspannung, wobei der Hüllkurvenverstärker selektiv basierend auf der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung arbeitet.</p>
<p><rd nr="8"/>Die Merkmale des (zuletzt allein) geltend gemachten Patentanspruchs 1 gliedern die Parteien übereinstimmend nach der Merkmalsgliederung K 2, der sich die Kammer anschließt.</p>
<p><rd nr="9"/>III. Mit der nachfolgenden Abbildung (Figur 5 des Klagepatents - im Original in Schwarzweiß) wird der Erfindungsgegenstand anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels verdeutlicht:</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33572-1-de.png" alt=""/></p>
<p><rd nr="10"/>Das Klagepatent befasst sich mit der Bereitstellung einer Stromversorgung für elektrische Verstärker, insbesondere zum Zwecke der Übertragung elektrischer Signale.</p>
<p><rd nr="11"/>Um Informationen über die Luftschnittstelle zu übertragen, werden sie typischerweise in ein hochfrequentes Signal (RF-Signal, „radio frequency-signal“) umgewandelt und sodann über einen Kommunikationskanal an einen Empfänger übertragen. Das RF-Signal wird dabei durch einen Leistungsverstärker („power amplifier“) verstärkt (vgl. Abs. [0002] f. KPS). Diese Verstärkung ist energieintensiv. Insbesondere bei dem Einsatz mobiler Geräte, die mit Batterien betrieben werden, ist ein effizienter Einsatz von Energie gewünscht.</p>
<p><rd nr="12"/>Das Klagepatent benennt als Stand der Technik die so genannte Hüllkurvenverfolgung, die in der Lage ist, dem zu sendenden hochfrequenten Signal zeitlich zu folgen. Hintergrund ist, dass das zu übertragende Signal größere Amplituden (Spannbreiten eines Signals) aufweisen kann. Wieviel Energie in die Verstärkung und Übermittlung des Signals investiert werden muss, hängt insbesondere von dieser Amplitude ab. Ohne die Hüllkurvenverfolgung muss eine Spannung angelegt werden, die in der Lage ist, die gesamte Bandbreite der Amplitude abzudecken. Ist das Signal schwach und die Amplitude klein, wird so unnütz Energie aufgewandt, die als Wärme abgegeben wird. Durch die Hüllkurvenverfolgung kann ein bedarfsspeziI. Energieaufwand betrieben werden, was Energie spart. Bildlich lässt sich das wie folgt darstellen (Abbildung Klage S. 8 - im Original in Farbe):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33572-2-de.jpeg" alt=""/></p>
<p><rd nr="13"/>Die linke Abbildung zeigt die lineare Spannungsversorgung ohne Hüllkurvenverfolgung, die rechte Abbildung eine solche mit Hüllkurvenverfolgung. Der rot markierte Bereich stellt jeweils überschüssig aufgewendete Energie dar.</p>
<p><rd nr="14"/>IV. Das Klagepatent ist - unstreitig - nicht standardessentiell.</p>
<p>C. Zu der angegriffenen Ausführungsform</p>
<p><rd nr="15"/>Die klägerseits als angegriffene Ausführungsform identifizierten Geräte enthalten den Chip Typ O. 81003 M (im Folgenden „O.-Chip“). Mit der Klage griff die Klägerin explizit zunächst die Mobiltelefone P. 7plus und P. 7 der Beklagtenseite an. Mit der Replik (dort S. 13) benannte sie explizit auch die Geräte P. 8, P. 8 plus, P. X als verletzend. Sie beschränkte ihren Angriff indes nicht auf die vorgenannten Gerättypen, sondern griff alle Ausführungsformen an, die von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen (S. 17, 20 der Klageschrift).</p>
<p><rd nr="16"/>Der O.-Chip ist Teil des O.-Envelope Trackers. Dieser wiederum ist Teil des Radio Freqency Front End (RFFE) der angegriffenen P.s (S. 18/20 Klageschrift, S. 10/11 Replik, jeweils mit Bildern). Der O.-Envelope Tracker stellt ein sog. System Inside Package Modul dar, das einen Chip und weitere Elemente wie Kondensatoren (capacitors) und Induktivitäten (inductors) umfasst.</p>
<p><rd nr="17"/>Die genaue Ausgestaltung des O.-Chips ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin hat im Wege eines reverse engineering das gesamte Modul O.-Enevlope-Tracker untersucht. Die Untersuchungsergebnisse liegen vor in Form von Teardown-Reports (Nr. 1: K 3, korrigiert K 7 - siehe S. 2 Schriftsatz vom 30.11.2017 = Bl. 197 d. A., vergrößerte Schaltpläne K 15, elektronische Version K 16 = S. 13 Replik; Nr. 2: K 4, zu der Erstellungsweise der Teardown-Reports siehe Replik S. 11/12). Die ursprünglichen Schaltpläne lagen dabei nicht vor. Auf Basis dieses Reports hat die Klägerin ein privates Sachverständigengutachten zur Funktionsweise des Chips anfertigen lassen und vorgelegt (K 22).</p>
<p><rd nr="18"/>Folgende Bauteile enthält die angegriffene Ausführungsform unstreitig: Sie weist einen envelope tracker auf, der einen Versorgungsstrom für einen Leistungsverstärker bereitstellt. Der Versorgungsstrom wird verstärkt. Des Weiteren gibt es eine Induktivität mit Schaltelement. Das Schaltelement wird basierend auf dem Leistungsnachverfolgungssignal gesteuert. Die angegriffene Ausführungsform verfügt auch über einen Kondensator, dessen Auswirkungen für ihre Funktionsweise zwischen den Parteien streitig ist.</p>
<p><rd nr="19"/>D. Die Beklagte ist Konzernmutter der P. Distribution International ULC mit Sitz in Irland und der P. Retail Germany BV & Co KG mit Sitz in Frankfurt a.M., Deutschland. Mit deren Hilfe vertreibt sie die vorgenannten Endgeräte in Deutschland (S. 20/22 Klageschrift). Die Beklagte ist Inhaberin der Internet-Domain <span style="text-decoration: underline">www.P...com</span> (S. 21 Klageschrift, Whois-Abfrage K 5).</p>
<p>E. </p>
<p><rd nr="20"/>Die Klägerin bringt (zusammengefasst) vor:</p>
<p><rd nr="21"/>I. Die Klage sei nicht wegen § 145 PatG unzulässig. Die Klägerin bestreite mit Nichtwissen, dass die Klage der Beklagtenseite nicht am 18.10.2017 zugestellt worden sei (S. 2 Schriftsatz 25.01.2018). Die Beklagtenseite trage schon nicht schlüssig vor, weil es nach unstreitigem Vortrag noch nicht einmal eine Übereinstimmung der Oberbegriffe der unabhängigen Ansprüche beider Klagepatente gebe, und sie nicht eine Überlappung der charakteristischen Teile der beiden Patente darlege (S. 4/5 Schriftsatz 25.01.2018), und verkenne außerdem den rechtlichen Maßstab des § 145 PatG nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Richtigerweise gebe es keine Überlappung zwischen den charakteristischen Merkmalen der beiden Klagepatente; Übereinstimmung bestehe zwischen ihnen nur insoweit, als in beiden Fällen ein Envelope Signal = Hüllkurvensignal einer Leistungsversorgungseinheit zugeführt werde. Es bestehe noch nicht einmal ein identischer Oberbegriff (S. 5/12 Schriftsatz 25.01.2018, Figuren K 8,K 9).</p>
<p><rd nr="22"/>Auch die zweite Erwägung der Beklagtenseite, wonach das Klagepatent ein Problem löse, das das Mannheimer Patent erschaffe, greife nicht durch - schon deswegen nicht, weil das Mannheimer Patent prioritätsjünger sei. Das Klagepatent löse unabhängig von dem Mannheimer Patent das technische Problem der Steigerung der Effizienz der Energieversorgung des Leistungsverstärkers. Die Charakteristika der Lehre des Mannheimer Patents (einheitliches Leistungsverfolgungssignal für mehrere Sendesignale, einheitliche Versorgungsspannung für einzigen Leistungsverstärker) seien für die Lehre des hiesigen Klagepatents ohne Bedeutung (S. 4/5 Replik). Richtig sei, dass die Ausgestaltung der im Klagepatent geschützten Vorrichtung „PA supply generator 150“ auch ein Element der Lehre des Mannheimer Patents sei. Die konkrete Ausgestaltung der hier geschützten Vorrichtung spiele für das Mannheimer Patent hingegen keine Rolle (S. 5 Replik).</p>
<p><rd nr="23"/>II. Das Klagepatent sei unmittelbar wortsinngemäß durch die angegriffene Ausführungsform verletzt.</p>
<p><rd nr="24"/>1. „Offset“ oder Versatz im Sinne des Merkmals 1.2.1 sei eine Manipulation, die entweder dadurch erfolgen könne, dass dem abgefühlten Strom ein Versatzstrom hinzugefügt werde, oder indem in der Einheit (Komparator), die den abgefühlten Strom bewertet, die Referenzwerte geändert würden. Anspruchsgemäß sei der Offset nur (insoweit unstreitig, S. 3 Klageerwiderung II = Bl. 274 d. A.), wenn der Offset bewirke, dass der über die Induktivität generierte Versorgungsstrom mit Offset größer sei als ohne Offset. Soweit das Ausführungsbeispiel von Offset current spreche, beziehe sich dies auf Unteranspruch 3. M1.2.1 sei hingegen breiter zu verstehen, wie [0039] des Klagepatents zeige.</p>
<p><rd nr="25"/>2. Die angegriffenen Ausführungsformen machen nach Auffassung der Klägerin von dem Merkmal 1.2.1 wortsinngemäß Gebrauch:</p>
<p><rd nr="26"/>Unabhängig von der konkreten Implementierung müsse es schlicht einen Offset im Sinne des Merkmals 1.2.1 geben. Unbeachtlich sei der Einwand der Beklagten unter Verweis auf die Entgegenhaltung „Choi“, der O.-Chip in der angegriffenen Ausführungsform weise eine andere Architektur auf und müsse daher keinen Offset erzeugen: die Lehre in „Choi“ funktioniere für die hier erforderlichen Bandbreiten nicht, wie „Choi“ selbst klarstelle.</p>
<p><rd nr="27"/>Jedenfalls der Digital-Analog-Wandler (digital-to-analog-converter, DAC) passe den Strom an und erzeuge so einen klagepatentgemäßen Offset. Dass der DAC deaktiviert sei, wie die Beklagtenseite behauptete, bestritt die Klägerin und unterstrich, dass auch eine Deaktivierung aus Rechtsgründen nicht aus einer Verletzung herausführe.</p>
<p><rd nr="28"/>Mit der Replik brachte die Klägerin vor, auch der Komparator (Figur 3.4.6 aus dem Teardown-Bericht) stelle einen Offset dar (dort S. 62, Bl. 414 d. A.). Mit der Triplik (dort S. 15 ff., Bl. 638 ff. d. A.) erläuterte die Klägerin ihr Vorbringen unter Bezugnahme auf das Privatgutachten K 23.</p>
<p><rd nr="29"/>II.1. „selektiv basierend“ im Sinne des Merkmals 1.4.1 meine: Vboost komme nur zum Einsatz, wenn die Batteriespannung unterhalb eines bestimmten Grenzwerts liegt. Entscheidend sei daher die selektive Verwendung einer geboosteten Spannung für die Versorgung des Hüllkurvenverstärkers. Nicht entscheidend sei, ob die erste Versorgungsspannung, wie sie am Boost Converter anliegt, genau identisch mit der Versorgungsspannung ist, wie sie vom Hüllkurvenverstärker zu jedem Zeitpunkt als Alternative zur geboosteten Spannung verwendet wird.</p>
<p><rd nr="30"/>2. Es sei letztlich unstreitig, dass die angegriffene Ausführungsform eine geboostete Spannung verwende, wenn die Batteriespannung unter einen gewissen Spannungswert absinke - dann arbeite der Hüllkurvenverstärker nicht mit der niedrigen Batteriespannung, sondern mit einer höheren Spannung, die durch einen mittels Kondensator erzeugten Boost hervorgerufen werde. Unbeachtlich sei, dass die Batteriespannung und die geboostete Spannung jeweils noch reguliert würden - derartige Maßnahmen der Spannungsanpassung lasse das Klagepatent zu. Demnach sei eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals 1.4.1 gegeben.</p>
<p><rd nr="31"/>Das umfassende Vorbringen der Klägerin zu der Auslegung der (streitigen) Merkmale und der Darstellung der wortsinngemäßen Verletzung stellt das Gericht im Rahmen der Entscheidungsgründe dar.</p>
<p><rd nr="32"/>III. Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagtenseite habe das klägerische Vorbringen nicht (substantiiert) bestritten (S. 3 Replik). Soweit sie in der Quadruplik erstmals ansatzweise substantiiert bestritten habe sollte, sei dieses Vorbringen verspätet und daher nach § 296 ZPO zurückzuweisen.</p>
<p><rd nr="33"/>Die Klägerin habe in einem technisch komplizierten, kosten- und arbeitsintensiven (S. 57 Replik) Verfahren des reverse engingeering einen tear down-Bericht erstellen lassen, um substantiiert vortragen zu können. Das Bestreiten der Beklagtenseite sei in Anbetracht dessen unsubstantiiert. Die Beklagtenseite habe nach eigenen Angaben Informationen über den konkreten Aufbau des Chips, wolle sie nur nicht preisgeben. Der nur pauschale Verweis auf Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers verfinge indes nicht (S. 57/58 Replik). Das Aufklärungsinteresse der Klägerin habe jedenfalls nach der neueren Rechtsprechung des BGH Vorrang (S. 58/60 Replik, unter Verweis auf BGH GRUR Int 2007, 157, 161 Rn. 42 - Restschadstoffentfernung und BGH GRUR 2010, 318 - Lichtbogenschnürung zu einer Vorlage nur gegenüber den klägerischen Prozessbevollmächtigten).</p>
<p><rd nr="34"/>Die Klägerin habe zwar in den USA vor dem US District Court for the Middle District of North Carolina ein sog. Discovery-Verfahren eingeleitet (28 USC § 1782), um Informationen über die Architektur des O.-Chips zu erhalten (S. 3 Replik). Sie habe indes nicht versprochen, die Schaltpläne des O.-Chips aus dem Discovery-Verfahren in das Verfahren einzuführen, hierauf habe sich die Beklagtenseite folglich nicht verlassen dürfen. Vielmehr habe sie schon mit der Replik (dort S. 3) deutlich gemacht, dass es auf die Schaltpläne rechtlich gar nicht ankomme, weil der Vortrag der Beklagten rechtlich unbeachtlich sei (S. 15 Protokoll vom 8.11.2018).</p>
<p><rd nr="35"/>IV. Die Klägerin lizenziere nur Contract Manufacturers (CMs), hierdurch sei indes grundsätzlich auch die Beklagtenseite geschützt. Die Verträge sähen capture periods vor, die die ihnen unterfallenden Schutzrechte von bestimmten Einsatzzeitpunkten abhängig machten. Hierüber sei die Beklagtenseite stets informiert gewesen (S. 82 Replik, S. 2/3 Schriftsatz 31.10.2018). Keiner der CMs sei mit Blick auf das hiesige Klagepatent lizenziert (S. 3 Schriftsatz 31.10.2018, FBD 203 S. 2, K 10 S. 4, konkludent Replik S. 83).</p>
<p><rd nr="36"/>Die Klägerin treffe mit Blick auf den Lizenzeinwand keine (sekundäre) Darlegungslast, jedenfalls nicht nach Autorisierung der US-Anwälte der Klägerin, der Beklagtenseite die Angaben der Klägerin zu bestätigen. Die Beklagtenseite hätte schlicht bei ihren CMs um die erforderlichen Informationen nachfragen können, die gewillt gewesen seien, Auskünfte zu geben, wie die Beklagtenseite selbst vorbringe (S. 2, 5 Schriftsatz 31.10.2018, FBD 204). Die Anfrage FB 202 vom 12.09.2018 sei die erste Anfrage zur Lizenzierung bei der Klägerin seit Anhängigkeit hiesiger Verfahren (S. 4 Schriftsatz 31.10.2018). Bezüglich des Erschöpfungseinwands trage die Beklagtenseite die Darlegungslast, auch wenn dies mit Schwierigkeiten verbunden sei (S. 4 Schriftsatz 31.10.2018, unter Bezug u.a. auf OLG Düsseldorf GRUR 2017, 1219, 1220, Rn. 119 ff.; OLG München GRUR-RR 2003, 303, 304; BGH GRUR 2012, 630, 633 Rn. 37 ff. - Converse II).</p>
<p><rd nr="37"/>Die Beklagtenseite habe die CMs angewiesen, die Lizenzgebühren nicht mehr zu zahlen, weswegen die Klägerin Zahlungsklage gegen die CMs, und Klage wegen Eingriffs in die Vertragsbeziehungen zu den CMs gegen die Beklagtenseite habe erheben müssen. Vertragsverhandlungen, um das hiesige Klagepatent in die Lizenzverträge einzubeziehen, hätten wegen der Nichtzahlung der Lizenzgebühren nicht stattgefunden (S. 84/85 Replik). Durch die Anstiftung der CMs, die Lizenzgebühren nicht zu zahlen, hätte die Beklagtenseite sich zu ihrer behaupteten Lizenzbereitschaft in Widerspruch gesetzt (S. 48 Triplik).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… </p>
<p>Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="38"/>Die Klägerin habe der Beklagtenseite auch nicht versichert, alle CMs seien mit Blick auf alle Schutzrechte lizenziert, vielmehr habe die Klägerin der Beklagtenseite das Gegenteil mitgeteilt (S. 83 Replik, S. 8 Schriftsatz 31.10.2018, Zusammenstellung K 11).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… </p>
<p>Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="39"/>V. Auch der Kartellrechtseinwand der Beklagtenseite greife nicht durch.</p>
<p><rd nr="40"/>Es gebe schon keinen sachlich begrenzten Markt für „Premium-LTE-Basisband-Chipsätze“, auf einem solchen habe die Klägerin auch keine marktbeherrschende Stellung. Die Beklagtenseite behaupte auch noch nicht einmal einen relevanten Missbrauch auf dem sachlich relevanten Markt (S. 85/86 Replik, S. 59/62 Triplik). Die Argumentation der Beklagtenseite, warum der Unterlassungsanspruch ein Mittel zum Ausschluss von N. vom LTE-Basisband-Chipsatz-Markt sei, sei nicht schlüssig. Insbesondere habe die Klägerin das Klagepatent auch an CMs lizenziert; die Beklagtenseite habe aber kein Interesse hieran gehabt (S. 86/89 Replik). Die Lizenzsätze seien nicht ausbeuterisch, das lege die darlegungs- und beweisbelastete Beklagtenseite nicht dar (S. 46/48 Triplik). Im Übrigen sei eine missbräuchliche Zielsetzung auf dem Markt für „Premium-LTE-Basisband-Chipsätze“ nicht geeignet, eine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs betreffend den (nicht beherrschten) Markt für Radio Frequency Front End Chips zu begründen, denn dafür brauche es eine objektive Verknüpfung zwischen der marktbeherrschenden Stellung, dem angeblichen Missbrauch und den angeblich wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen (S. 89/90 Replik). Auch vergangenes, mit Bußgeld belegtes (und damit sanktioniertes) Verhalten könne eine Unverhältnismäßigkeit nicht begründen (S. 90/94 Replik, S. 62/64 Triplik), abgesehen davon, dass die beklagtenseits in Bezug genommenen KOM-Entscheidungen noch nicht rechtskräftig abgeschlossen seien. Eine Konsultation der Kommission komme ebenso wenig wie ein Vorabentscheidungsverfahren in Betracht (S. 95 Replik, S. 64/65 Triplik). Denn die gerichtliche Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs wegen einer Patentverletzung könne keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Klägerin begründen (S. 50/54 Triplik, nur unter außergewöhnlichen Umständen), und es gebe auch keine neue Fallkategorie, weil die Beklagtenseite eine Lizenzierung jedenfalls bewusst verhindert habe (S. 54/56 Triplik). Es sei durch den Unterlassungsanspruch auch kein Ausschluss des Wettbewerbs zu befürchten; vielmehr trage die Beklagtenseite gerade vor, dass die Patentbenutzung für die Tätigkeit der Beklagtenseite nicht erforderlich sei (S. 56 Triplik).</p>
<p><rd nr="41"/>VI. Das Verfahren sei auch nicht mit Blick auf das Verfahren vor dem UK High Court (nach § 148 ZPO/ <verweis.norm>Art. 30 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm>) auszusetzen, weil es im dortigen Verfahren allein um standardessentielle Patente gehe (S. 95/98 Replik, K 19, FBD 9 S. 43 ff., S. 65/68 Triplik). Auch im Übrigen sei das Verfahren nicht auszusetzen.</p>
<p><rd nr="42"/>VII. Der Beklagten stehe keine Aufbrauchfrist zu. Die Beklagtenseite habe ausdrücklich erklärt, dass die patentierte Technologie nicht unverzichtbar sei, so dass ein Unterlassungstitel keine erheblichen Auswirkungen auf die Beklagtenseite hätte. Die Beklagtenseite habe auch keinen Anlass gehabt, davon auszugehen, dass ihre Produkte unbegrenzt von den Lizenzvereinbarungen erfasst sein würden (S. 98 Replik, S. 68 Triplik).</p>
<p><rd nr="43"/>VIII. Die geforderte Sicherheitsleistung sei weit überhöht; die Beklagtenseite habe hierzu nicht substantiiert vorgetragen (S. 98 Replik).</p>
<p>E. Anträge</p>
<p><rd nr="44"/>I. Die Klägerin hat zunächst folgenden Antrag gestellt:</p>
<p>I. Die Beklagte wird verurteilt,</p>
<p>1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen:</p>
<p>Vorrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,</p>
<p>die Folgendes umfassen:</p>
<p>eine Induktivität, die betreibbar ist zum Empfangen eines Schaltsignals und zum Bereitstellen eines Versorgungsstroms;</p>
<p>ein Schaltelement, das betreibbar ist zum Abfühlen eines Eingangsstroms und zum Generieren des Schaltsignals zum Laden und Entladen der Induktivität zum Bereitstellen des Versorgungsstroms, wobei das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt, um einen größeren Versorgungsstrom über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset;</p>
<p>einen Hüllkurvenverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen eines Hüllkurvensignals und zum Bereitstellen eines zweiten Versorgungsstroms basierend auf dem Hüllkurvensignal, wobei ein Gesamtversorgungsstrom den Versorgungsstrom von dem Schaltelement und den zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker umfasst; und einen Boost- bzw. Aufwärtswandler, der betreibbar ist zum Empfangen einer ersten Versorgungsspannung und zum Bereitstellen einer geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung mit einer höheren Spannung als die erste Versorgungsspannung, wobei der Hüllkurvenverstärker selektiv basierend auf der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung arbeitet (Anspruch 1, unmittelbare Verletzung) insbesondere wenn das Schaltelement basierend auf der ersten Versorgungsspannung arbeitet, und wobei der Versatz bzw. Offset basierend auf der ersten Versorgungsspannung bestimmt wird;</p>
<p>(Anspruch 2, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn das Schaltelement Folgendes umfasst:</p>
<p>einen Summierer, der betreibbar ist zum Summieren des Eingangsstroms und eines Versatz- bzw. Offsetstroms und zum Bereitstellen eines summierten Stroms, einen Stromabfühlverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen des summierten Stroms und zum Bereitstellen eines abgefühlten Signals, und einen Treiber, der betreibbar ist zum Empfangen des abgefühlten Signals und zum Bereitstellen wenigstens eines Steuersignals, das verwendet wird zum Generieren des Schaltsignals für die Induktivität;</p>
<p>(Anspruch 3, unmittelbare Verletzung) dies insbesondere wenn das wenigstens eine Steuersignal ein erstes Steuersignal und ein zweites Steuersignal umfasst, und wobei das Schaltelement weiter Folgendes umfasst:</p>
<p>einen P-Kanal-Metalloxidhalbleiter- bzw. PMOS-Transistor (PMOS = P-channel metal oxide semiconductor) mit einem Gate, das das erste Steuersignal empfängt, einer Quelle bzw. Source, die eine erste Versorgungsspannung empfängt, und einer Senke bzw. Drain, die das Schaltsignal bereitstellt, und einen N-Kanal-Metalloxidhalbleiter- bzw. NMOS-Transistor (NMOS = N-channel metal oxide semiconductor) mit einem Gate, das das zweite Steuersignal empfängt, einer Senke bzw. Drain, die das Schaltsignal bereitstellt und einer Quelle bzw. Source, die an Schaltungsmasse gekoppelt ist;</p>
<p>(Anspruch 4, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die Vorrichtung weiter Folgendes umfasst:</p>
<p>einen Leistungsverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen des Versorgungsstroms von der Induktivität und zum Empfangen und Verstärken eines Eingangshochfrequenz- bzw. Eingangs-HF-Signals und zum Bereitstellen eines Ausgangs-HF-Signals.</p>
<p>(Anspruch 5, unmittelbare Verletzung)</p>
<p>2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 9. September 2017 begangen habt, und zwar unter Angabe</p>
<p>a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<p>b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<p>3. der Klägerin schriftlich in geordneter Form (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 9. September 2017 begangen hat und zwar unter Angabe:</p>
<p>a) der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse,</p>
<p>b) der einzelnen Lieferungen (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie aller Identifikationsmerkmale wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der einzelnen Angebote (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie aller Identifikationsmerkmale wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und - preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<p>d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,</p>
<p>e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben zu b) die entsprechenden Belege (nämlich Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,</p>
<p>wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu benennenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt, und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Liste enthalten ist;</p>
<p>4. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten und im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen,</p>
<p>indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Beklagte die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nimmt.</p>
<p>II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter I.l. bezeichneten, seit dem 9. September 2017 begangenen Handlungen der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.</p>
<p>III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.</p>
<p><rd nr="45"/>Die Klägerin stellte zuletzt den obigen Antrag, mit der Maßgabe, dass die Bezugnahme auf Unteransprüche 2 bis 5 entfällt (S. 3 des Protokolls 7 O 10495/17 vom 8.11.2018).</p>
<p><rd nr="46"/>II. Die Beklagtenseite beantragt,</p>
<p>Klageabweisung,</p>
<p>hilfsweise Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das anhängige Einspruchsverfahren.</p>
<p><rd nr="47"/>Sie beantragt weiter hilfsweise, das Urteil nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von mindestens 1,671 Mrd. € für vorläufig vollstreckbar zu erklären, und den Beklagten zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung (auch durch Gestellung einer Bürgschaft) abzuwenden.</p>
<p><rd nr="48"/>Im Hinblick auf die nichttechnischen Erwiderungen beantragt die Beklagtenseite weiter hilfsweise die Aussetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des UK High Court, § 148 ZPO, bzw. bis zur Entscheidung der EU-Kommission über die Wettbewerbsverfahren gegen die Klägerin wegen AT.40220, AT.39711, <verweis.norm>Art. 16 <v.abk ersatz="VO 2003/1/EG">VO 2003/1/EG</v.abk></verweis.norm>, außerdem weiter hilfsweise von der EU Kommission eine Stellungnahme zur Anwendung der Wettbewerbsregeln einzuholen und das Verfahren bis zum Erhalt der Stellungnahme auszusetzen, und zuletzt hilfsweise eine Vorlage an den EuGH, um die Kartellrechtswidrigkeit des behaupteten klägerischen Verhaltens überprüfen zu lassen.</p>
<p><rd nr="49"/>Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung.</p>
<p><rd nr="50"/>F. Die Beklagtenseite bringt (zusammengefasst) vor:</p>
<p><rd nr="51"/>I. Die Klage sei unzulässig, § 145 PatG. Eine Klage vor dem Landgericht Mannheim wegen Verletzung des EPs 2 954 737 (DE 60 2014 010 962.4) (Klageschrift LG Mannheim FBD 1, dortige Klagepatentschrift FBD 2) betreffe eine gleichartige Handlung wie die hiesige Klage. Auch in dem dortigen Verfahren gehe es um das envelope tracking durch den O.-Chip 81003M (S. 3/4, 6 Schriftsatz vom 20.11.2017 = Bl. 178/179 d. A.). Auch Parteiidentität bestehe (S. 6 Schriftsatz 20.11.2017).</p>
<p><rd nr="52"/>Zur Darlegung der Merkmalsgliederung des Anspruchs 1 des Patents EP 2 954 737 nimmt das Gericht Bezug auf S. 3 Schriftsatz vom 20.11.2017 = Bl. 178 d. A.</p>
<p><rd nr="53"/>Es bestehe zwischen beiden geltend gemachten Verletzungshandlungen ein so enger technischer Zusammenhang, dass die gemeinsame Durchsetzung beider Patente sich aufdränge. In beiden Verfahren greife die Klägerin den O.-Chip an, einmal als Leistungsversorgungsgenerator im Sinne des hiesigen Klagepatents, einmal im Sinne eines Envelope Tracking Moduls im Sinne des Mannheimer Klagepatents, so dass die technischen Lehren beider Patente nach Auffassung der Klägerin zusammenwirken müssten. Das zeige sich auch daran, dass Figur 5 des hiesigen Klagepatents der Figur 9 des Mannheimer Klagepatents entspreche. Nach Auffassung der Klägerin nutze das hiesige Klagepatent das im Mannheimer Klagepatent beanspruchte Leistungsverfolgungssignal als Hüllkurvensignal. Ferner verweise das Mannheimer Klagepatent auf die Anmeldung des US-Gegenstücks des hiesigen Klagepatents (S. 7/8 Schriftsatz vom 20.11.2017 = Bl. 182/183 d. A.).</p>
<p><rd nr="54"/>Die Lehre des hiesigen Klagepatents gestalte die charakteristischen Merkmale des in Mannheim geltend gemachten Patents durch zusätzliche Merkmale weiter aus. Der Zusammenhang ergebe sich des Weiteren daraus, dass die Zusammenfassung einer Vielzahl von I/Q-Paaren einer Vielzahl von Sendesignalen zu einem einzigen Leistungsverfolgungssignal die insbesondere für die sogenannte Carrier Aggregation spezifische Energieverteilung im Sendesignal bewirke (stärkere Spreizung von Durchschnittssendeleistung und Spitzensendeleistung) (S. 45 ff Duplik). Der Frequenzabstand der einzelnen Träger bedürfe einer hohen Sendeleistung und damit einer hohen Spannungsversorgung (S. 50/51 Duplik, unter Bezugnahme auf klägerische Replik im Mannheimer Verfahren HRM 7, dort S. 37).</p>
<p><rd nr="55"/>Schon wegen der hiesigen Sachverständigen-Anhörung sei es prozessökonomischer, beide Verfahren zusammen zu verhandeln (S. 53 Duplik).</p>
<p><rd nr="56"/>Der Antrag nach § 145 PatG sei auch nicht verfristet, im Übrigen sei die Verspätung jedenfalls entschuldigt, § 296 Abs. 3 ZPO (S. 2/5 Schriftsatz vom 18.01.2018).</p>
<p><rd nr="57"/>II. Die Beklagte verletze das Klagepatent - jedenfalls bei zutreffender Auslegung - nicht.</p>
<p><rd nr="58"/>1. Offset im Sinne des Merkmals 1.2.1 könne sich (allein) auf die Hinzufügung von Strom beziehen, weil sich andere Dinge Strom nicht hinzufügen ließen. Das Ausführungsbeispiel in Beschreibungsstelle [0039] S. 2 des Klagepatents sei nicht beansprucht. Der Anspruch sei auf eine Ausgestaltung beschränkt, in der der zweite Versorgungsstrom auch den Spulenstrom zur Verfügung stellen könne (Gleichstrom). Wenn man die Auslegung der Klägerin heranziehe, ergebe sich kein Neuheitswert gegenüber dem zitierten Patent „Mathe“, das sei ersichtlich nicht gemeint.</p>
<p><rd nr="59"/>2. Das Merkmal 1.2.1 sei nicht verwirklicht. Die Klägerin trage noch nicht einmal schlüssig vor, da sie sich nur auf den Teardown-Bericht stütze, der keinen eindeutigen Aufschluss über die tatsächliche Funktionsweise der angegriffene Ausführungsform biete (S. 4 Klageerwiderung II). Der von der Klägerin zunächst als DAC identifzierte Funktionsblock sei deaktiviert und im Übrigen technisch nicht in der Lage, den Versorgungsstrom zu erhöhen (S. 4 Klageerwiderung II).</p>
<p><rd nr="60"/>II.1. Das Merkmal 1.4.1 sei nicht verwirklicht, wenn der Hüllkurvenverstärker mit einer Spannung arbeitet, die ihrerseits auf der ersten oder auf der erhöhten Versorgungsspannung basiere. Richtigerweise erfordere das Merkmal ein Umschalten zwischen der ersten Versorgungsspannung und der von dieser abgeleiteten Spannung. Eine „wahlweise“-Konfiguration könne die Beklagtenseite nicht einmal wählen; sie sei vielmehr zulieferseitig ausgeschlossen (S. 4 Klageerwiderung II).</p>
<p><rd nr="61"/>III. Generell könne die Beklagtenseite nur so viel vortragen, wie es Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers O. erlaubten. Insbesondere Schaltpläne könne sie nicht vorlegen. Indes habe die Klägerin im ersten Termin in Aussicht gestellt, die Schaltpläne nach Durchführung des US-Discovery-Verfahrens vorzulegen. Die Beklagtenseite habe sich auf diese Ankündigung der Klägerin verlassen und auch verlassen dürfen. Daher dürfe, soweit man erst den Vortrag in der Quadruplik als substantiiertes Bestreiten ansehen wolle, dieser jedenfalls nicht als verspätet gewertet werden: erst nach Vorlage der Triplik habe die Beklagtenseite erkannt, dass die Klägerin trotz Durchführung des Discovery-Verfahrens die Schaltpläne nicht vorlegen würde, und habe unter Inanspruchnahme des Zulieferers weiter vorgetragen (S. 14 Protokoll).</p>
<p><rd nr="62"/>IV. Ihren Antrag auf Aussetzung mit Blick auf die Nichtigkeitsklage stützt die Beklagtenseite vor allem auf die Entgegenhaltung Hou (HRM 2, 2a) aus dem Einspruchsverfahren gegen das Klagepatent. Die Beklagtenseite ist der Auffassung, diese nehme alle Merkmale der streitgegenständlichen Ansprüche neuheitsschädlich vorweg. Des Weiteren sei das Klagepatent mit Blick auf die Entgegenhaltungen K. (HRM 4a) und K1 (HRM 3a) nicht erfinderisch.</p>
<p><rd nr="63"/>V. Erstmals mit der Quadruplik brachte die Beklagtenseite einen Lizenzeinwand vor.</p>
<p><rd nr="64"/>Die Klägerin habe der Beklagtenseite mehrfach zugesichert, über ihre CMs für das gesamte Portfolio lizenziert zu sein. Deswegen und wegen der systematischen Verschleierung der Klägerin mit Blick auf das Ausmaß der Lizenzierung in zeitlicher Hinsicht („capture periods“) sei davon auszugehen, dass die Beklagtenseite auch bezüglich des Klagepatents der Lizenz- und/oder Erschöpfungseinwand zustehe. Außerdem trage die Klägerin jedenfalls nach § 242 BGB die sekundäre Darlegungslast (S. 2, 6, 14/15 Quadruplik Teil III, unter Bezugnahme auf BGH GRUR 2012, 626 - Converse I und BGH GRUR 2004, 268 - Blasenfreie Gummibahn II). Gleichwohl behaupte die Klägerin nach wie vor, für das hiesige Klagepatent seien die CMs nicht lizenziert (S. 4 Quadruplik Teil III). Da die Beklagtenseite weiterhin ihre Produkte von CMs bezöge (genauer: von den CMs O., I. und E., die jeder für sich alle explizit angegriffenen Ausführungsformen herstellten, S. 12 Quadruplik Teil III), sollten Patentverletzungsklagen im Übrigen eigentlich ausgeschlossen sein (S. 16 Quadruplik Teil I, FBD 29, S. 6 Quadruplik Teil III). Gleiches gelte mit Blick auf die klägerseits öffentlich in Bezug genommene forbearance-Politik, wonach sie SEPverletzende Mitbewerber nicht verfolge (S. 17 Quadruplik).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>…</p>
<p>Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="65"/>Die Beklagtenseite habe die CMs nicht zum Vertragsbruch angestiftet (S. 36 Quadruplik Teil I, Quadruplik Teil III S. 13). Rechtlich sei die Nichtzahlung von Lizenzgebühren an dieser Stelle unerheblich, weil die Klägerin jedenfalls keine Kündigung behaupte, daher die jeweilige Lizenz auch nicht erloschen sein könne (S. 13 Quadruplik Teil III).</p>
<p><rd nr="66"/>Die Beklagtenseite unterstrich schon in der Klageerwiderung (dort S. 12), die Lizenzverträge zwischen der Klägerin und deren Auftragsfertigern seien geheim. Die Beklagtenseite könne sie nicht einsehen und prüfen. Auch FBD 204, wonach die Informationen in FBD 203 korrekt sein sollen, sei nicht ausreichend, weil sie der Beklagtenseite keine eigene Prüfungsmöglichkeit einräume und nur die Prozessbevollmächtigten Kenntnis nehmen könnten, auf deren Kenntnis es aber prozessual nicht ankomme (S. 4, 14 Quadruplik Teil III). Dass sie mithin nicht schon vor der Quadruplik den Lizenzeinwand habe erheben können, liege allein an dem Verhalten der Klägerin, die der Beklagtenseite systematisch eine Offenlegung des Umfangs der Lizenzen verweigert habe (S. 6/10 Quadruplik Teil III). Auch in einem beklagtenseits angestrengten Discovery-Verfahren nach 28 USC § 1782 habe die Klägerin der Vorlage der Lizenzverträge widersprochen, mit der Begründung, dass mangels Berufung der Beklagtenseite auf den Lizenzeinwand eine Relevanz der Verträge nicht zu ersehen sei (S. 10 Quadruplik Teil III, FBD 208). Die Beklagtenseite habe mit Blick auf die langjährigen und wichtigen Geschäftsbeziehungen zu den CMs erst zu dem Mittel der Streitverkündung gegriffen, als sich abzeichnete, dass andere Wege nicht zum Erfolg führen würden (S. 11 Quadruplik Teil III). Sie habe im Übrigen alle außergerichtlichen und gerichtlichen Schritte ausgeschöpft, um an die relevanten Informationen zu gelangen (S. 16 Quadruplik Teil III).</p>
<p><rd nr="67"/>Die Klägerin habe eingeräumt, dass für einige Patente Lizenzen für die CMs E. und O. bestünden (FBD 203), habe indes gerade nicht dargelegt und begründet, wieso dies für das Klagepatent nicht der Fall sein solle. Wenn ein CM lizenziert sei, dann umfasse die Lizenz - so sehe das auch die Klägerin - jedenfalls auch die Beklagtenseite (S. 12 Quadruplik Teil III). An den durch lizenzierte CMs hergestellten Produkten sei auch Erschöpfung eingetreten (S. 16 Quadruplik Teil III).</p>
<p><rd nr="68"/>Für den Fall, dass die Kammer davon ausgehe, dass die Beklagtenseite die Darlegungslast für die klägerseits verheimlichten Umstände treffe, beantragte die Beklagtenseite, der Klägerin die Vorlage der Lizenzverträge nach §§ 421, 423 oder nach § 142 ZPO aufzugeben (S. 17/20 Quadruplik Teil III).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>…</p>
<p>Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="69"/>VI. Im Übrigen sei jedenfalls ein etwaiger Ausspruch des Unterlassungsanspruchs unverhältnismäßig, weil er gegen Kartellrecht verstoßen würde: Die Klägerin halte auf dem Markt für Premium-LTE-Basisband-Chipsätze und auf dem SEP-Lizenzmarkt (zum relevanten Markt S. 28/30 Klageerwiderung = Bl. 228/230 d. A., FBD 10a, S. 19/21 Quadruplik) eine marktbeherrschende Stellung (S. 30/34 Klageerwiderung = Bl. 230/ d. A., S. 4 ff. Duplik, FBD 11, FBD 21, SVG, S. 21/22 Quadruplik). Die relevanten Märkte seien durch starke Markteintrittsbarrieren gekennzeichnet (S. 34/35 Klageerwiderung = Bl. 234/235 d. A., S. 15/19 Duplik, FBD 12, FBD 23, FBD 21, SVG, S. 25/30 Quadruplik). Eine Vielzahl von Wettbewerbsbehörden (im Einzelnen S. 26/28, 49/50 Klageerwiderung = Bl. 226/228, 249/250 d. A., FBD 8a, 9, 10) ermittelten wegen missbräuchlichen Verhaltens (u.a. die „no-licence-no-chips“-Politik = wettbewerbswidrige Kopplungsvereinbarung, s. S. 4/5, 12, 38/40 Klageerwiderung, S. 21 Duplik, S. 32/33 Quadruplik, Rabattverträge u.a. im Gegenzug zu Nichtangriffsklauseln, S. 5/6, 13/17, 36/38, 40/41 Klageerwiderung, S. 19/21 Duplik, S. 31/32 Quadruplik) gegen die Klägerin, teilweise sei sie schon zur Zahlung hoher Bußgelder verpflichtet worden. Unter anderem habe sie durch ein Rabattsystem die Beklagtenseite zu einem exklusiven Bezug von Premium-Basisband-Chipsätzen gezwungen, um so ihre Mitbewerber aus dem Markt zu drängen. Nur durch die Rabattierung habe die Beklagtenseite die diskriminierend hohen Lizenzgebühren (S. 41/43 Klageerwiderung = Bl. 241/243 d. A., S. 21/22 Duplik, FBD 24, S. 33/34 Quadruplik) der Klägerin, die die Auftragsfertiger ihr weiterbelastet hätten, wirtschaftlich auf ein angemessenes Maß reduzieren zu können (S. 17, 37 Klageerwiderung = Bl. 217, 237 d. A.). Auch die selektive Lizenzpraxis sei wegen der hieraus folgenden strukturell überhöhten Lizenzgebühren und entstehender Intransparenz missbräuchlich (S. 34/35 Quadruplik). Ihre marktbeherrschende Stellung wolle sie auch durch die hiesige Klage stärken. Dabei sei irrelevant, dass das hiesige Verfahren keine Premium-LTE-Basisband-Chipsätze beträfe. Denn die Klägerin wolle die Beklagtenseite durch die hiesige und andere Klagen (Übersicht FBD 8) dafür „bestrafen“, dass die Beklagtenseite nach einer fünfjährigen Periode des Bezugs nur von Chips der Klägerin nunmehr N.-Chipsätze verwende (S. 48/49 Klageerwiderung, FBD 13). So mache die Klägerin ihre angeblichen Unterlassungsansprüche überwiegend (Bl. 206 = S. 6 der Klageerwiderung Teil I) gegen P.s geltend, die Chipsätze von N. enthielten. Die Klägerin habe der Beklagtenseite mehrfach zugesichert, über ihre CMs für das gesamte Portfolio lizenziert zu sein. Da die Beklagtenseite weiterhin ihre Chips von CMs bezögen, sollten Patentverletzungsklagen eigentlich ausgeschlossen sein (S. 16 Quadruplik, FBD 29). Gleiches gelte mit Blick auf die klägerseits öffentlich in Bezug genommene forbearance-Politik, wonach sie SEPverletzende Mitbewerber nicht verfolge (S. 17 Quadruplik). Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs habe kein anderes Ziel als die Aufrechterhaltung und Ausweitung der marktbeherrschenden Stellung der Klägerin durch den Ausschluss von N., sei daher missbräuchlich, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>, und daher abzuweisen. Anderenfalls trüge das Gericht zu einer Schädigung oder einem Ausschluss des Wettbewerbs auf dem Markt für Premium-Basisband-Chipsätzen bei (S. 52 Klageerwiderung). Auch wenn hier ein nicht-beherrschter Markt betroffen sei, müsse nach der Rechtsprechung des EuGH das hiesige Verhalten mit Blick auf die Stellung der Klägerin im beherrschten Markt in einer Gesamtbetrachtung gewürdigt werden (S. 46/48 Klageerwiderung = Bl. 246/248 d. A., S. 38/40 Duplik, S. 3/4, 23/25, 38/39 Quadruplik). Wenn die Beklagtenseite zu einem Alleinbezug von Chipsätzen von der Klägerin gezwungen würde, könnte sich N. voraussichtlich nicht auf dem Markt halten, und die Klägerin könnte ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Premium-LTE-Basisband-Chipsätze zu einer Monopolstellung ausbauen. Dies hätte auch Auswirkungen auf den entstehenden Markt für 5G-Basisband-Chipsätze (S. 31/34 Duplik). Auch Patente seien nicht schrankenlos gewährt (S. 44/46 Klageerwiderung = Bl. 244/246 d. A., S. 37/38 Duplik). Hinzu komme, dass die hier fragliche Technologie zwar nicht unverzichtbar sei, aber nicht ohne Weiteres änderbar und technologisch mit Basisband-Chipsätzen verbunden (S. 51 Klageerwiderung, S. 23 ff. Duplik, S. 41 ff. Quadruplik). Die Klägerin selbst betone die Wichtigkeit der hier fraglichen Energiesparfunktionen (S. 50/52 Klageerwiderung, FBD 14).</p>
<p><rd nr="70"/>Die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs würde zu einer erheblichen Behinderung und Beseitigung des Wettbewerbs im relevanten Markt führen, auch weil RF-Schaltkreise mit dem Basisband-Chipsatz-Markt technisch eng verbunden seien (S. 23/ Duplik, SVG, Zeugen A., I.).</p>
<p><rd nr="71"/>Auch die US International Trade Commission (ITC) habe kürzlich aus kartellrechtlichen Erwägungen (verankert in der USamerikanischen Rechtsfigur des „public interest“) eine Unterlassungsanordnung trotz festgestellter Verletzung abgelehnt (Schriftsatz vom 8.11.2018, FBD 35(a)).</p>
<p><rd nr="72"/>Neben der möglichen Aussetzung nach <verweis.norm>Art. 16 Abs. 1 <v.abk ersatz="VO 2003/1/EG">VO 2003/1/EG</v.abk></verweis.norm>, oder zur Anfrage bei der Europäischen Kommission oder zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens oder mit Blick auf ein Verfahren im Vereinigten Königreich (S. 7, 53/57 unten der Klageerwiderung Teil I = Bl. 207, 253/257 d. A., S. 34/44 Duplik, Urteil UK FBD 27, S. 51/52 Quadruplik, Schriftsatz vom 8.11.2018, FBD 36) müsse das Gericht daher die Unverhältnismäßigkeit des Ausspruchs des Unterlassungsanspruchs nach <verweis.norm>Art. 3 Abs. 2 der <v.abk ersatz="Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG beachten (S">Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG beachten (S</v.abk></verweis.norm>. 8, 59/62 Klageerwiderung Teil I = Bl. 208, 259/262 d. A., FBD 17). Die Klägerin verstoße auch unmittelbar gegen <verweis.norm>Art. 3 der <v.abk ersatz="Entscheidung der Kommission vom 24">Entscheidung der Kommission vom 24</v.abk></verweis.norm>.01.2018 (S. 6, 9/16 Quadruplik). Der Unterlassungsantrag sei schließlich missbräuchlich nach § 242 BGB: die Klägerin habe der Beklagten seit Jahren versichert, sie stünde im Genuss einer umfassenden Durchlizenzierung implementierter Patente ihrer Auftragsfertiger (S. 8, 18/26, 62/64 Klageerwiderung Teil I = Bl. 208, 218/226, 262/264 d. A.). Die Klägerin habe sich geweigert, der Beklagtenseite Lizenzen zu erteilen (S. 64 Klageerwiderung), auch für SEPs (S. 43/44 Klageerwiderung = Bl. 243/244 d. A.). Jedenfalls müsse der Beklagtenseite wegen § 242 BGB eine Aufbrauchfrist gewährt werden (S. 64/65 Klageerwiderung, S. 44/46 Duplik, S. 53 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="73"/>VII. Hilfsweise seien Rückruf- und Vernichtungsansprüche wegen Unverhältnismäßigkeit abzuweisen, weiter hilfsweise seien vollstreckungsrechtliche Besonderheiten zu beachten (S. 65/71 Klageerwiderung, FBD 18, FBD 19, S. 46 Duplik), insbesondere eine erhöhte Vollstreckungssicherheit.</p>
<p><rd nr="74"/>G. Die Klage vom 17.07.2017 wurde der Beklagtenseite am 05.12.2017 zugestellt (EB hinter Bl. 56 d. A.). Bereits unter dem 18.10.2017 war der Beklagtenseite nebst Beschluss nach § 184 ZPO eine beglaubigte Abschrift der Terminsverfügung vom 21.07.2017 (Bl. 54 d. A.) und eine Ladung zum Termin zugegangen. Unter dem 12.10.2017 bestellten sich Prozessbevollmächtigte für die Beklagtenseite; die Klageerwiderungsfrist wurde für das materielle Vorbringen verlängert bis 15.12.2017 (Bl. 173 d. A., Verfügung vom 12.10.2017). Unter dem 20.11.2017 erhob die Beklagtenseite die Einrede der Unzulässigkeit nach § 145 PatG, mit Blick auf eine in Mannheim durch Zustellung an die Beklagtenseite am 10.11.2017 erhobene Klage wegen einer Verletzung des Patents EP 2 954 737 (DE 60 2014 010 962.4).</p>
<p><rd nr="75"/>Ein Antrag auf Gestellung einer Prozesskostensicherheit der Beklagtenseite (Schriftsatz vom 20.11.2017 S. 9 ff. = Bl. 184 ff. d. A.) wurde mit Beschluss vom 27.11.2017 behandelt (Bl. 186/188 d. A.).</p>
<p><rd nr="76"/>Wegen geheimhaltungsbedürftiger Informationen wurde die Öffentlichkeit während der Sitzung am 08.11.2018 per Beschluss zeitweise ausgeschlossen. Unter dem 20.12.2018 hat die Kammer einen Beschluss gem. <verweis.norm>§ 173 Abs. 2 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> erlassen. Soweit dieses Urteil im Tatbestand oder in den Entscheidungsgründen geheimhaltungsbedürftige Informationen erhält, sind diese grau hinterlegt. Vorab wird jeweils auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der folgenden Passage hingewiesen, auch das Ende der geheimhaltungsbedürftigen Passage wurde markiert.</p>
<p><rd nr="77"/>Möglicherweise war die Zutrittsmöglichkeit zu dem Landgericht München I während der Sitzung am 08.11.2018 von ca. 18 Uhr bis ca. 19.10 Uhr nicht gegeben. Das Gericht hat, nachdem es von Umständen erfahren hat, die hierauf hindeuten, den fraglichen Teil der Sitzung sicherheitshalber nachgeholt. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 8.11.2018, die Aktenvermerke hierzu, sowie auf die Entscheidungsgründe verwiesen.</p>
<p><rd nr="78"/>Das Gericht hat sich durch einen Sachverständigen technisch beraten lassen (Anordnung S. 1 der Verfügung vom 21.03.2018 = Bl. 345 d. A.). Es hat ferner unter Ausschluss der Öffentlichkeit Beweis erhoben durch Zeugenanhörung. Wegen des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 8.11.2018 sowie auf die Entscheidungsgründe verwiesen.</p>
<p><rd nr="79"/>Nach dem Schluss der mündlichen Verhaltung reichten die Parteien nachgelassene und nicht nachgelassene Schriftsätze wie folgt ein:</p>
<p>Klagepartei:</p>
<p>Schriftsatz vom 29.11.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 6.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 7.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 12.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 14.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Beklagtenseite:</p>
<p>Schriftsatz vom 22.11.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 29.11.2018 (nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 10.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 13.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 13.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 17.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p><rd nr="80"/>Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 22.11.2018 beantragte die Beklagtenseite den Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagtenseite. Im Einzelnen stellt das Gericht das Begehr der Beklagtenseite in den Entscheidungsgründen dar.</p>
<p><rd nr="81"/>Im Übrigen nimmt das Gericht Bezug auf sämtliche zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie alle gerichtlichen Verfügungen, Vermerke, Beschlüsse und Protokolle.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="82"/>Die Klage ist zulässig (A.) und begründet (unter B.). Das Verfahren ist entscheidungsreif. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht angezeigt (E.).</p>
<p>A. Zulässigkeit</p>
<p><rd nr="83"/>Die Klage ist zulässig.</p>
<p>I. Zuständigkeit</p>
<p><rd nr="84"/>Das Landgericht München I ist international und örtlich nach <verweis.norm>Art. 7 Nr. 2 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm> zuständig. Die sachliche Zuständigkeit folgt aus § 143 PatG, weil es sich um eine Patentstreitsache handelt.</p>
<p>II. <verweis.norm>Art. 64 Abs. 3 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 145 PatG</p>
<p><rd nr="85"/><verweis.norm>Art. 64 Abs. 3 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 145 PatG steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Die Einrede aus § 145 PatG ist zwar beklagtenseits fristgerecht erhoben, greift aber mangels gleichartiger Handlungen iSd § 145 PatG nicht durch.</p>
<p>1. Frist</p>
<p><rd nr="86"/>Die Einrede aus § 145 PatG ist fristgerecht erhoben. Die Einrede des § 145 PatG betrifft die Zulässigkeit der weiteren Klage (Benkard PatG/Grabinski/Zülch PatG § 145 Rn. 2 mwN) und muss daher innerhalb der Klageerwiderungsfrist geltend gemacht werden, § 282 Abs. 3 S. 2 ZPO (BeckOK PatR/Kircher PatG § 145 Rn. 23). Das ist hier geschehen: die Beklagtenseite hat sich noch vor förmlicher Klagezustellung und innerhalb der (verlängerten materiellen) Klageerwiderungsfrist auf § 145 PatG berufen.</p>
<p>2. keine gleichartige Handlung iSd § 145 PatG</p>
<p><rd nr="87"/>Es liegt indes keine gleichartige Handlung iSd <verweis.norm>§ 145 <v.abk ersatz="PatG">PatG</v.abk></verweis.norm> vor.</p>
<p><rd nr="88"/>a. „Handlung“ ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der mit dem Klageantrag konkret beschriebene, durch die Ausgestaltung eines bestimmten Teils der Gesamtvorrichtung charakterisierte konkrete Verletzungstatbestand ( BGH GRUR 2011, 411, 414 Rn. 24 - Raffvorhang; BGH GRUR 1989, 187, 189 - Kreiselegge II). Nicht entscheidend ist, ob Verletzungstatbestände durch dieselbe (Gesamt-)Vorrichtung verwirklicht werden (BGH GRUR 2011, 411, 414 Rn. 25 - Raffvorhang). Ob eine Handlung gleichartig ist, ist bei einer wertenden Abwägung der Interessen des Beklagten auf Schutz vor einer Inanspruchnahme in mehreren Prozessen einerseits und der Interessen des Klägers an der Durchsetzung seiner Schutzrechte andererseits zu bestimmen. Maßgeblich ist, ob es sich aufdrängt, beide Patente in einer Klage anzugreifen, weil die Handlungen „im Vergleich zu der im ersten Rechtsstreit angegriffenen Handlung zusätzliche oder abgewandelte Merkmale aufweisen“, so dass sie einen engen technischen Zusammenhang aufzeigen (BGH GRUR 2011, 411, 414 Rn. 27 - Raffvorhang). Nicht ausreichend ist es, wenn einzelne Teile einer Gesamtvorrichtung, deren konkrete Ausgestaltung im ersten Rechtsstreit angegriffen worden ist, auch für die Verwirklichung des im zweiten Rechtsstreit geltend gemachten Verletzungstatbestands von Bedeutung sind. Vielmehr muss auch im zweiten Rechtsstreit die konkrete Ausgestaltung dieser Teile angegriffen werden, in derselben oder in abgewandelter Form (BGH GRUR 2011, 411, 414 Rn. 28 - Raffvorhang). § 145 PatG ist mit Blick auf <verweis.norm>Art. 14 <v.abk ersatz="GG eng zu verstehen (BGH GRUR 2011">GG eng zu verstehen (BGH GRUR 2011</v.abk></verweis.norm>, 411, 413 Rn. 18 ff. mwN - Raffvorhang).</p>
<p><rd nr="89"/>b. Hiernach liegen keine gleichartigen Handlungen vor.</p>
<p><rd nr="90"/>Die Klage in Mannheim richtet sich zwar unstreitig gegen dieselben Beklagten. Ebenso ist die angegriffene Ausführungsform in beiden Verfahren dieselbe, und die Klägerin greift in beiden Verfahren u.a. den O.-Chip an. Die Handlungen im Sinne des Klageantrags sind aber weder dieselben noch gleichartig, weil die Patente, deren Schutz durch die Klagen verfolgt wird, keinen hinreichenden technischen Zusammenhang aufweisen. Beide Patente befassen sich zwar grundsätzlich mit einem Hüllkurvensignal. Schon die Oberbegriffe (“Power Tracker for multiple transmit signals sent simultaneously“ in FBD 2 und „Lowvoltage power-efficient envelope tracker“ im hiesigen Klagepatent) sind indes nicht deckungsgleich. Das hiesige Klagepatent versucht, ein speziell bei Niedrigspannung auftretendes Problem zu lösen. Das Patent FBD 2 (im Folgenden vereinfachend „Mannheimer Patent“) unternimmt es, aus mehreren Komponenten ein einheitliches Power Tracking Signal zu erzeugen. Der Power Tracker des Mannheimer Patents ist nicht das Gleiche wie der Envelope Tracker im hiesigen Klagepatent (Vortrag Klägerin S. 9 Schriftsatz 25.01.2018, unbestritten).</p>
<p><rd nr="91"/>Unbeachtlich ist dabei auch, dass die Merkmalsanalysen beider Patente bei einer Gegenüberstellung teils Überschneidungen aufweisen (Duplik S. 49/50). Die Beklagtenseite stützt sich dabei auch auf Unteransprüche, die nicht Gegenstand der Klage in Mannheim sind, wie sich aus FBD 1 ergibt. Nur die klageweise in Bezug genommenen (Unter-) Ansprüche können für die maßgebliche, durch die Klageanträge umgrenzte Handlung im Sinne des § 145 PatG indes eine Rolle spielen. Nach oben dargestellter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist für die Anwendbarkeit des <verweis.norm>§ 145 <v.abk ersatz="PatG">PatG</v.abk></verweis.norm> nicht ausreichend, wenn es technische Überschneidungen gibt, vielmehr soll er nur Anwendung finden, wenn in beiden Verfahren die konkrete Ausgestaltung der fraglichen Teile einer Gesamtvorrichtung angegriffen ist. Das ist hier nicht der Fall. Aus den gleichen Gründen ist die Übereinstimmung in den Figuren 5 des hiesigen Klagepatents/ Figur 9 des Mannheimer Patents irrelevant.</p>
<p><rd nr="92"/>Die Beklagtenseite dringt auch nicht durch mit ihrer Argumentation, das hiesige Klagepatent gestalte die technische Lehre des Mannheimer Patents weiter aus. Hiergegen spricht schon, dass das hiesige Klagepatent jünger ist als das Mannheimer Patent, also denklogisch nicht an das Mannheimer Patent anknüpfen kann. Dann kann es dessen Lehre auch nicht (zielgerichtet) weiter ausgestalten. Das belegt auch nicht die Zusammenschau der beiden Patentansprüche, wie die Beklagtenseite sie betreibt (S. 47/48 Duplik). Das Mannheimer Patent setzt auf einem Leistungsversorgungsgenerator 586 auf, beispielsweise dargestellt in Figur 5. Wie der Leistungsversorgungsgenerator ausgestaltet sein soll, lässt das Mannheimer Patent offen. Dass es zwingend an das Klagepatent anknüpft, ist nicht ersichtlich, wie die Klägerin zu Recht unterstrichen hat (S. 5 Replik).</p>
<p><rd nr="93"/>Dabei ist auch unbeachtlich, dass das von dem Klagepatent adressierte Problem insbesondere bei der Kombination mehrerer Sendesignale (Carrier Aggregation) entsteht, und letzteres Gegenstand des Mannheimer Patents ist (zu S. 51/52 Duplik). Hieraus folgt gleichwohl nicht, dass das Mannheimer Patent sich die technische Lehre des hiesigen Klagepatents zu Eigen macht. Dies folgt insbesondere nicht aus dem beklagtenseits in Bezug genommenen Unteranspruch 9 des Mannheimer Patents. Dieser ist schon nicht Gegenstand der Klage in Mannheim und daher nicht handlungsdefinierend, s.o. Wegen der verfassungsrechtlich gebotenen restriktiven Anwendung des § 145 PatG (s.o.) kann allein der Umstand, dass die Einbindung der Erfindung eines Patents in die Anwendung der Erfindung eines anderen Patents zielführend sein könnte, nicht einen technischen Zusammenhang im Sinne des § 145 PatG begründen.</p>
<p><rd nr="94"/>Schließlich ist für § 145 PatG nicht durchgreifend entscheidend, dass im hiesigen Verfahren ein Sachverständiger gehört wurde. Ziel des § 145 PatG ist es nicht, die Verfahrensökonomie zu erhöhen, sondern die Beklagtenseite vor einer übergebührlichen Inanspruchnahme zu schützen. Die ZPO sieht insbesondere mit § 411a ZPO eine andere niederschwellige Möglichkeit vor, eine nochmalige Sachverständigenanhörung in parallelen Verfahren zu vermeiden.</p>
<p><rd nr="95"/>III. Die zuletzt gestellten Klageanträge sind hinreichend bestimmt, weil in Gesamtschau mit der Klagebegründung klar wird, wogegen sich die Klägerin wendet. Die Kammer hat im Hinblick auf die ausführliche Schilderung der angegriffenen Ausführungsform in den Entscheidungsgründen davon abgesehen, den Tenor entsprechend der BGH-Rechtsprechung (GRUR 2005, 569 - Blasfolienherstellung und GRUR 2012, 485 - Rohrreinigungsdüse II) zu konkretisieren.</p>
<p><rd nr="96"/>IV. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Schadensfeststellungsklage sind gegeben. Ein Feststellungsinteresse iSd § 256 ZPO liegt vor. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist vor Erteilung der begehrten Auskünfte noch nicht bezifferbar.</p>
<p><rd nr="97"/>IV. Es liegt eine objektive Klagehäufung vor, § 260 ZPO.</p>
<p><rd nr="98"/>V. Der Klage fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, auch nicht wegen des beklagtenseits erhobenen Kartellrechtseinwands.</p>
<p><rd nr="99"/>1. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt einer Klage nur unter besonderen Umständen. Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf die Möglichkeit, ein ordentliches Gericht anzurufen. Das Rechtsschutzbedürfnis einer Klage ist von der Begründetheit zu trennen, d.h. der Berechtigung des materiellen Klagebegehrens (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor <verweis.norm>§ 253 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 18 mwN). Eine Klage kann u.a. unzulässig sein, wenn das Gericht bei einer Gesamtwürdigung Indizien dafür feststellt, dass der Kläger mit der Klage ausschließlich prozesszweckfremde Zwecke verfolgt (BGH NJW 2017, 674, 675 Rn. 25 mwN; als höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Prozessvoraussetzung auf das Patentrecht übertragbar).</p>
<p><rd nr="100"/>Immaterialgüterrechte sind im europäischen Primär- und Sekundärrecht ebenso wie national auf verfassungsrechtlicher Ebene geschützt. Sie gewähren ein Ausschließlichkeitsrecht, das insbesondere die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs gewährt. Dessen Ausübung kann grundsätzlich keinen Missbrauch begründen (Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> Rn. 39 mwN): Es ist eine Grundwertung des Patentrechts, dass der Patentinhaber sein Ausschließlichkeitsrecht auch ausüben darf. Anderes kann grundsätzlich nur gelten, wenn das fragliche Patent standardessenziell ist und dem Patentinhaber hierdurch eine marktbeherrschende Stellung vermittelt, oder wenn sich aus den Modalitäten der Ausübung der Rechte aus dem (nicht standardessentiellen aber nicht umgehbaren) Patent ergibt, dass ein kartellrechtlich relevantes Ziel verfolgt wird (und die Ausübung des Rechts mithin nicht mehr seinem „spezifischen Gegenstand“ entspricht, siehe Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> Rn. 39 mwN; grundlegend EuGH verb. Rs. C-241/91 P und 242/91 P GRUR-Int 1995, 490, 493, Rn. 50 ff. - Magill; EuGH 238/87 GRUR-Int 1990, 141, Rn. 9 - Volvo/Veng). An die Annahme einer solchen Ausnahmesituation sind strenge Anforderungen zu stellen (zB EuGH Rs. C-418/01 - IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 34, 35 mwN). Eine Lizenz soll dann erteilt werden müssen, wenn ihre Verweigerung das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert, nach dem eine potenzielle Nachfrage der Verbraucher besteht, die Verweigerung darf nicht gerechtfertigt sein, und sie muss geeignet sein, jeglichen Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt auszuschließen (EuGH Rs. C-418/01 - IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 38 mwN). Dieser Ansatz kann dahingehend generalisiert werden, dass bei Vorliegen der vorgenannten Umstände die Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung aus einem Ausschließlichkeit vermittelnden Immaterialgüterrecht ausgeschlossen sein soll.</p>
<p><rd nr="101"/>2. Nach diesem Maßstab liegt keine Rechtsmissbräuchlichkeit der Anträge auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung (nachfolgend alleine: Antrag auf Unterlassung) vor, die zu einer Unzulässigkeit der Klage insoweit führen würde.</p>
<p><rd nr="102"/>a. Das Gericht prüft die Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags auf Unterlassung als Teil der Zulässigkeit der Klage, obwohl die Beklagtenseite diesen Punkt (nur) als Begründetheitsproblem ansieht. Das Gericht hat aber die Zulässigkeit einer Klage von Amts wegen zu prüfen und vorgetragene Tatsachen rechtlich eigenständig zu werten, unabhängig von der juristischen Einkleidung durch die Parteien.</p>
<p><rd nr="103"/>b. Die Beklagtenseite hat nicht belegt, dass die Klägerin (lediglich) prozesszweckfremde Ziele mit der Klage verfolgt. Sie hat nicht belegt, dass die Klage nur dem Zweck dient, ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Premium-Basisband-Chipsätze auszubauen, und/ oder N. als Mitbewerber aus dem Markt zu drängen.</p>
<p><rd nr="104"/>Irrelevant ist, ob die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung innehat, und wenn ja, auf welchem Markt. Denn die Geltendmachung der klägerischen Ansprüche, insbesondere des Unterlassungsanspruchs, ist schon keine missbräuchliche Verhaltensweise. Entgegen den oben dargestellten Grundsätzen hat die Beklagtenseite schon nicht belegt, dass durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert wird. Vielmehr behauptet die Beklagtenseite, dass die patentgemäße Erfindung nicht benutzt werde, und die Nutzung auch nicht erforderlich sei. Die engen Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des EuGH die Geltendmachung eines Immaterialgüterrechts ausgeschlossen sein soll, sind mithin nicht erfüllt.</p>
<p><rd nr="105"/>Die Vorgehensweise der Klägerin erfordert des Weiteren keine Marktmacht, auch nicht bei der beklagtenseits herangezogenen Gesamtschau des Prozessverhaltens der Klägerin. Die Klägerin geht als Patentinhaberin gegen die Beklagtenseite vor, unabhängig von der Stellung beider Parteien auf bestimmten Märkten. Die Beklagtenseite behauptet zwar, dass die Klägerin mit den Klagen ein außerhalb des eigentlichen Klagebegehrens liegendes Ziel verfolge, nämlich N. aus dem Markt zu drängen. Dem steht indes schon entgegen, dass die Klägerin nach dem Vortrag der Beklagtenseite ihre Unterlassungsansprüche (nur) „überwiegend“ gegen P.s richte, die N.-Chips enthielten (S. 6 Klageerwiderung Teil I). Das bedeutet gleichzeitig, dass sie auch gegen P.s vorgeht, die Qualcomm-Chips enthalten. Belegt ist die Behauptung, die Klägerin verfolge mit den Klagen das Ziel, N. aus dem Markt zu drängen, im Übrigen nicht. Schließlich kommt hinzu, dass die Beklagtenseite eines der wichtigsten Unternehmen auf dem Markt der Mobilfunktelefonherstellung ist, und die hiesigen Verfahren Signalwirkung für andere Unternehmen haben können, die ein gesondertes gerichtliches Vorgehen gegen diese Unternehmen entbehrlich machen würde. Im Übrigen hat die Beklagtenseite nicht im Einzelnen vorgetragen, welche konkreten anderen Unternehmen durch welche konkreten Produkte Patentrechte der Klägerin verletzen und warum und seit wann die Klägerin hiervon in einer Weise Kenntnis erlangt hat, die eine Klageerhebung mit einiger Erfolgswahrscheinlichkeit ermöglichten.</p>
<p><rd nr="106"/>Wollte man der Argumentationslinie der Beklagtenseite folgen, wäre die Klägerin im Übrigen effektiv jeglicher Möglichkeit beraubt, die Verletzung ihrer Patente durch Mobilfunkhersteller zu ahnden, jedenfalls soweit diese andere als ihre Chips verwenden. Konsequent zu Ende gedacht dürfte die Klägerin auch nicht gegen die Hersteller patentverletzender Chips (wie hier O.) vorgehen, weil ein etwaiger Unterlassungs- und Rückrufanspruch Auswirkungen auf Mobilfunkhersteller und damit mittelbar auf die Marktquote N.s haben könnte. Die Klägerin wäre mithin wegen einer (bestrittenen) marktbeherrschenden Stellung auf einem abgeschlossenen Markt effektiv daran gehindert, jegliche ihrer Patente - gleich welcher Markt hierdurch betroffen sein könnte - durchzusetzen. Dieses Ergebnis ist mit der oben dargestellten gesetzgeberischen Wertung des Patentrechts nicht vereinbar.</p>
<p><rd nr="107"/>Hinzu kommt: Die Beklagtenseite wird nicht durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs im Klagewege gezwungen, wieder die Klägerin als Lieferantin zu wählen (S. 49 Klageerwiderung Teil I). Sie wäre allenfalls auf die Klägerin als Lieferantin verwiesen, wenn sie die (erwiesene, dazu sogleich) Patentverletzung nicht abstellen könnte. Das ist indes kein kartellrechtlich relevanter Punkt. Eine Berufung auf eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Vorgehens der Klägerin wäre jedenfalls der Beklagtenseite als Patentverletzerin verwehrt - denn eine solche Berufung wäre ihrerseits rechtsmissbräuchlich.</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>c. …</p>
<p>Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="108"/>Ein Anspruch auf Lizenzerteilung kommt nur unter engen Voraussetzungen bei standardessentiellen Patenten in Betracht, ein solches liegt unstreitig nicht vor. Eine Ausweitung auf nicht standardessentielle Patente, kommt nach der Rechtsprechung des EuGH (wie vorzitiert) allenfalls dann in Betracht, wenn deren Benutzung unabdingbar ist. Die Beklagtenseite trägt insoweit aber gerade vor, das Klagepatent nicht zu benutzen und dass die Benutzung auch nicht notwendig, mithin nicht unabdingbar, sei.</p>
<p><rd nr="109"/>d. Die Klägerin verstößt durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs auch nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission, Case AT.40220. Zwar ist sie trotz der eingelegten Nichtigkeitsklage mangels Suspensivwirkung (<verweis.norm>Art. 278 S. 1 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>) verbindlich. Der Beschluss der EU-Kommission erfasst aber die hiesige Klage nicht. Wie oben festgestellt, stellt die Klage keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Klägerin dar. Insbesondere ist für die Klage keine marktbeherrschende Stellung erforderlich, sondern nur die Inhaberschaft des Klagepatents. Es liegt mithin kein Verhalten vor, das ein vergleichbares Ziel oder eine vergleichbare Wirkung aufweist wie das durch den Beschluss der EU-Kommission adressierte Verhalten.</p>
<p><rd nr="110"/>3. Ein anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung der ITC. Das erkennende Gericht ist an die Entscheidung der ITC nicht gebunden, wie die Beklagtenseite selbst unterstreicht. Ungeachtet dessen sieht die Kammer keine inhaltliche Übertragbarkeit der Entscheidung der ITC auf den hiesigen Fall. Maßgeblich ist, dass die ITC eine gerichtsähnliche Behörde ist, die bestimmte Maßnahmen aussprechen kann. Ihre Anrufung ist aber nach dem Verständnis der Kammer nicht die einzige Möglichkeit, sich in den USA gegen eine Patentverletzung zu wehren. Vielmehr bleibt hierneben die Möglichkeit, Verfahren vor den ordentlichen Gerichten anzustrengen, s. 281 Patent Act, wenngleich diese andere Rechtsfolgen zeitigen können. Die Klägerin ist in den USA durch die Entscheidung FBD 35 mithin nicht rechtlos gestellt, worauf FBD 35 auch abstellt (S. 194: „Another relevant matter that I note is that Qualcomm is an established and profitable concern that has an adequate remedy at law for any patent infringement by P..“) Die Anrufung der ordentlichen Gerichte ist in Deutschland aber die einzige dem Patentinhaber unmittelbar zur Verfügung stehende Ahndungsmöglichkeit einer Patentverletzung. Mithin ist schon die rechtliche Situation, von der FBD 35 ausgeht, nicht mit der Situation vergleichbar, wie sie sich der Kammer präsentiert.</p>
<p><rd nr="111"/>4. Nach alledem ist die Klage nicht als kartellrechtsverstoßend anzusehen. Sie ist nicht rechtsmissbräuchlich.</p>
<p>B. Begründetheit</p>
<p><rd nr="112"/>Die Klage ist begründet. Die angegriffene Ausführungsform benutzt das Klagepatent (unter I.), die Beklagte hat die Patentverletzung begangen (unter II.). Die Beklagte dringt mit ihrem Lizenz- und Erschöpfungseinwand nicht durch (unter III.).</p>
<p>I. Klagepatent</p>
<p><rd nr="113"/>Das Klagepatent betrifft ein Verfahren für eine effiziente Stromversorgung elektrischer Verstärker, speziell eines Hüllkurvenverfolgers (englisch envelope tracker).</p>
<p><rd nr="114"/>Das Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme der Priorität vom 23.06.2011 (US 201113167659) am 24.06.2012 angemeldet. Die Patenterteilung wurde am 09.08.2017 veröffentlicht.</p>
<p>1. Relevanter Fachmann</p>
<p><rd nr="115"/>Relevanter Fachmann ist nach der übereinstimmenden Definition der Parteien im Termin am 08.02.2018 (S. 3 des Protokolls 7 O 10495/17), der sich die Kammer anschließt, ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet des Chipdesigns für Mobilfunkanwendungen.</p>
<p>2. Stand der Technik</p>
<p><rd nr="116"/>Im Stand der Technik war zum Prioritätszeitpunkt bekannt, Informationen in RF-Signale (“radio frequency signal“, hochfrequentes Signal) umzuwandeln und sodann an einen Empfänger zu übertragen. Vor Übertragung wird das RF-Signal durch einen power amplifier (Leistungsverstärker) verstärkt [0002], [0003]. Alle Amplituden (Ausschläge) eines Signals müssen verhältnismäßig verstärkt werden, was energieintensiv ist.</p>
<p><rd nr="117"/>Das Klagepatent baut auf der (im Stand der Technik bekannten, [0005]) sog. Hüllkurvenverfolgung („envelope tracking“) als ein mögliches Mittel zur Optimierung des Leistungswirkungsgrads von Hochfrequenz-Leistungsverstärkern auf. Ansatz der Hüllkurvenverfolgung ist, einem Signal spezifisch zu folgen, mithin den Verlauf einer Amplitude abzubilden, und die Energieversorgung entsprechend der Amplitude zu- und abnehmen zu lassen. Alternativ müsste so viel Spannung angelegt werden, dass die gesamte Bandbreite einer Amplitude abgebildet werden könnte, was zu überschüssiger Energieabgabe führen würde - eine erhöhte Wärmeabgabe und eine ineffiziente Nutzung der Batterie wären die Folge (zum envelope tracking und zu der Alternative, dem sog. average power tracking S. 27/30 Replik):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33572-3-de.jpeg" alt=""/></p>
<p>(Abbildung Klage S. 8, im Original in Farbe)</p>
<p><rd nr="118"/>Der Hüllkurvenverstärker (= Linearverstärker) hat indes für sich gesehen einen schlechten Wirkungsgrad, d.h. bei der Verstärkung geht viel Energie verloren.</p>
<p>3. Kritik am Stand der Technik</p>
<p><rd nr="119"/>Dieser Stand der Technik wird in der Patentschrift nicht ausdrücklich kritisiert.</p>
<p><rd nr="120"/>Das Klagepatent beschreibt es indes als wünschenswert, dass der Leistungsverstärker in der Lage ist, eine hohe Ausgangsleistung bereitzustellen, und einen hohen Leistungswirkungsgrad („power-added efficiency“) aufweist, auch bei geringer Batteriespannung [0003] S. 2, 3.</p>
<p><rd nr="121"/>Angestrebt wird ein Ausgleich zwischen einer möglichst akkuraten Leistung, u.a. der Verstärkung zur Übertragung des RF-Signals, und der Batterieleistungsdauer.</p>
<p>4. Aufgabe</p>
<p><rd nr="122"/>Als Aufgabe gibt die Klagepatentschrift in [0005] an: „Techniques for efficiently generating a power supply for a power amplifier and/or other circuits are described herein.“ Das soll insbesondere dann gelten, wenn die Batteriespannung niedrig ist ([0033]). Dieser Wertung schließt sich die Kammer an.</p>
<p><rd nr="123"/>Die Klägerin beschreibt die technische Aufgabe - beklagtenseits unbestritten - wie folgt: Es solle ein Leistungsverstärker mit einem hohen Wirkungsgrad bei der Leistungsversorgung geschaffen werden, der für den Einsatz in einem batteriebetriebenen Gerät geeignet ist, insbesondere dann, wenn die Batteriespannung niedrig ist (S. 30/31 Replik, [0031]). Dem ist zuzustimmen.</p>
<p>5. Lösung</p>
<p><rd nr="124"/>Das Klagepatent schlägt zur Lösung dieser Aufgabe in Patentanspruch 1 eine Vorrichtung vor, um eine effiziente Leistungsversorgung auch bei sinkender oder niedriger Batteriespannung sicherzustellen. Die Vorrichtung umfasst ein Schaltelement, einen Hüllkurvenverstärker und einen Boost Converter [0006] S. 1. Der Einsatz eines Schaltelements mit einer Induktivität und die flexible Steuerung des Ladens der Induktivität mittels eines Offsets, sowie der selektive Einsatz einer geboosteten Versorgungsspannung für den Hüllkurvenverstärker ist zentral für die Erfindung (S. 31 Replik).</p>
<p><rd nr="125"/>Beide Parteien gliedern Patentanspruch 1 auf dieselbe folgende Weise (K 2), der sich die Kammer anschließt:</p>
<p>Anspruch 1</p>
<p>1. Vorrichtung, die Folgendes umfasst:</p>
<p>1.1 eine Induktivität, die betreibbar ist zum Empfangen eines Schaltsignals und zum Bereitstellen eines Versorgungsstroms;</p>
<p>1.2 ein Schaltelement, das betreibbar ist zum Abfühlen eines Eingangsstroms und zum Generieren des Schaltsignals zum Laden und Entladen der Induktivität zum Bereitstellen des Versorgungsstroms,</p>
<p>1.2.1 wobei das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt, um einen größeren Versorgungsstrom über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset;</p>
<p>1.3 einen Boost- bzw. Aufwärtswandler, der betreibbar ist zum Empfangen einer ersten Versorgungsspannung und zum Bereitstellen einer geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung mit einer höheren Spannung als die erste Versorgungsspannung,</p>
<p>1.4 einen Hüllkurvenverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen eines Hüllkurvensignals und zum Bereitstellen eines zweiten Versorgungsstroms basierend auf dem Hüllkurvensignal,</p>
<p>1.4.1 wobei der Hüllkurvenverstärker selektiv basierend auf der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung arbeitet</p>
<p>1.5 wobei ein Gesamtversorgungsstrom den Versorgungsstrom von dem Schaltelement und den zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker umfasst;</p>
<p>Anspruch 2</p>
<p>2. Die Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das Schaltelement basierend auf der ersten Versorgungsspannung arbeitet, und wobei der Versatz bzw. Offset basierend auf der ersten Versorgungsspannung bestimmt wird.</p>
<p>Anspruch 3</p>
<p>3. Die Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das Schaltelement Folgendes umfasst:</p>
<p>3.1 einen Summierer, der betreibbar ist zum Summieren des Eingangsstroms und eines Versatz- bzw. Offsetstroms und zum Bereitstellen eines summierten Stroms,</p>
<p>3.2 einen Stromabfühlverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen des summierten Stroms und zum Bereitstellen eines abgefühlten Signals, und</p>
<p>3.3 einen Treiber, der betreibbar ist zum Empfangen des abgefühlten Signals und zum Bereitstellen wenigstens eines Steuersignals, das verwendet wird zum Generieren des Schaltsignals für die Induktivität.</p>
<p>Anspruch 4</p>
<p>4. Die Vorrichtung nach Anspruch 3,</p>
<p>4.1 wobei das wenigstens eine Steuersignal ein erstes Steuersignal und ein zweites Steuersignal umfasst, und</p>
<p>4.2 wobei das Schaltelement weiter Folgendes umfasst:</p>
<p>4.2.1 einen P-Kanal-Metalloxidhalbleiter- bzw. PMOS-Transistor (PMOS = P-channel metal oxide semiconductor) mit einem Gate, das das erste Steuersignal empfängt, einer Quelle bzw. Source, die eine erste Versorgungsspannung empfängt, und einer Senke bzw. Drain, die das Schaltsignal bereitstellt, und</p>
<p>4.2.2 einen N-Kanal-Metalloxidhalbleiter- bzw. NMOS-Transistor (NMOS = N-channel metal oxide semiconductor) mit einem Gate, das das zweite Steuersignal empfängt, einer Senke bzw. Drain, die das Schaltsignal bereitstellt und einer Quelle bzw. Source, die an Schaltungsmasse gekoppelt ist.</p>
<p>Anspruch 5</p>
<p><rd nr="126"/>5. Die Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei die Vorrichtung weiter umfasst: einen Leistungsverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen des Versorgungsstroms von der Induktivität und zum Empfangen und Verstärken eines Eingangshochfrequenz- bzw. Eingangs-HF-Signals und zum Bereitstellen eines Ausgangs-HF-Signals.</p>
<p><rd nr="127"/>Mit der nachfolgenden (systemischen) Abbildung (im Original in schwarz-weiß) wird der Erfindungsgegenstand anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels verdeutlicht:</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33572-4-de.png" alt=""/></p>
<p><rd nr="128"/>In obiger Abbildung ist dargestellt, wie der Leistungsverstärkers (PA) mit Strom versorgt wird: Ihm wird ein Gesamtversorgungsstrom Ipa zugefügt, der aus zwei „Stromteilen“ gebildet wird: Der eine Versorgungsstrom kommt von dem rechts angesiedelten Schaltelement (Switcher). Dabei handelt es sich um den patentgemäß ersten Versorgungsstrom (Merkmal 1.1). Der Hüllkurvenverstärker, links in obiger Figur, stellt einen zweiten Versorgungsstrom bereit, Merkmal 1.4, in der Figur Ienv. Der Hüllkurvenverstärker arbeitet mit - wahlweise geboosteten - Batteriestrom, das Schaltelement mit Batteriestrom, der von der Induktivität = Spule bereitgestellt wird. Letzterer wird in obiger Figur als Iind bezeichnet.</p>
<p><rd nr="129"/>Der Hüllkurvenverstärker empfängt ein Hüllkurvensignal und stellt basierend hierauf signalspezifisch den anspruchsgemäß zweiten Versorgungsstrom bereit. Der Hüllkurvenverstärker arbeitet mit Batteriestrom, der so schnell ist, dass er dem Hüllkurvensignal auch bei den höheren Amplituden folgen kann, was die Induktivität nicht leisten kann (S. 36 Replik, [0034]). Der Hüllkurvenverstärker arbeitet indes nicht effizient genug, so dass der Hauptanteil des Gesamtversorgungsstroms für den Leistungsverstärker Ipa aus dem ersten Versorgungsstrom, mithin von der Induktivität/ dem Schaltelement kommen soll. Die Induktivität arbeitet weit effizienter. Der Fachmann erkennt, dass die Induktivität einen höheren Wirkungsgrad als ein Linearverstärker hat. Deshalb soll nach dem Klagepatent ein möglichster großer Anteil des Versorgungsstroms von dem Switcher bereitgestellt werden (S. 32 Replik, [0032]). Hüllkurvenverstärker und Induktivität hängen an der Batteriespannung, Vbat.</p>
<p><rd nr="130"/>Ob die Induktivität lädt oder entlädt (= mit der Batterie verbunden ist oder nicht) ist abhängig von dem Schaltelement: Dem Schaltelement wird der von dem Hüllkurvenverstärker kommende abgefühlte Strom Isen zugeführt; das Schaltelement vergleicht den Isen als Spannung mit einer Referenzspannung. Das geschieht in der Figur 5 im Current Sense Amplifier, einem Komparator (Analog-Digital-Wandler). Er ordnet den Eingangsstrom (abgefühlten Strom) oder die gewandelten Spannungen anhand von vorgegebenen Referenzspannungen, für die üblicherweise ein Fenster definiert ist, ein, und gibt basierend hierauf ein Signal mit den logischen Größen high oder low aus, das über den Driver das Schaltsignal (an oder aus) steuert (S. 34/35 Replik). Je nach Maß des Stroms Isen wird die Induktivität geladen oder nicht, und liefert sie mehr oder weniger ersten Versorgungsstrom zum Gesamtversorgungsstrom Ipa.</p>
<p><rd nr="131"/>Durch einen patentgemäßen Offset (Merkmal 1.2.1) kann auf die Menge des von der Induktivität gelieferten Anteils am Versorgungsstrom Einfluss genommen werden. Die Auslegung dieses Merkmals ist zwischen den Parteien streitig. Der Hüllkurvenverstärker kann selektiv mit der Batteriespannung (erste Versorgungsspannung, Vbat) und mit der geboosteten Spannung (Vboost) betrieben werden, Merkmale 1.3 und 1.4.1. Zwischen den Parteien ist auch die Auslegung des Merkmals 1.4.1 streitig. Die Kammer geht auf die Auslegung dieser Merkmale nachfolgend gesondert ein.</p>
<p>II. Wortsinngemäßer Gebrauch</p>
<p><rd nr="132"/>Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der Lehre des Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß Gebrauch. Die Beklagte verletzt das Patent unmittelbar gemäß § 9 Nr. 1 PatG.</p>
<p>1. angegriffene Ausführungsform</p>
<p><rd nr="133"/>Die klägerseits als angegriffene Ausführungsform identifizierten Geräte enthalten den Chip Typ O. 81003 M (im Folgenden „O.-Chip“). Mit der Klage griff die Klägerin explizit zunächst die Geräte P. 7plus und P. 7 der Beklagtenseite an. Mit der Replik (dort S. 13) benannte sie explizit auch die Geräte P. 8, P. 8 plus, P. X als verletzend. Sie beschränkte ihren Angriff indes nicht auf die vorgenannten Gerättypen, sondern griff alle Ausführungsformen an, die von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen (S. 17, 20 der Klageschrift).</p>
<p><rd nr="134"/>Der O.-Chip ist Teil des O.-Envelope Trackers. Dieser wiederum ist Teil des Radio Freqency Front End (RFFE) der angegriffenen P.s (S. 18/20 Klageschrift, S. 10/11 Replik, jeweils mit Bildern). Der O.-Envelope Tracker stellt ein sog. System Inside Package Modul dar, das einen Chip und weitere Elemente wie Kondensatoren (capacitors) und Induktivitäten (inductors) umfasst.</p>
<p><rd nr="135"/>Die genaue Ausgestaltung des O.-Chips ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin hat im Wege eines reverse engineering das gesamte Modul O.-Enevlope-Tracker untersucht. Die Untersuchungsergebnisse liegen vor in Form von Teardown-Reports (Nr. 1: K 3, korrigiert K 7 - siehe S. 2 Schriftsatz vom 30.11.2017 = Bl. 197 d. A., vergrößerte Schaltpläne K 15, elektronische Version K 16 = S. 13 Replik; Nr. 2: K 4, zu der Erstellungsweise der Teardown-Reports siehe Replik S. 11/12). Die ursprünglichen Schaltpläne lagen dabei nicht vor. Auf Basis dieses Reports hat die Klägerin ein privates Sachverständigengutachten zur Funktionsweise des Chips anfertigen lassen und vorgelegt (K 22).</p>
<p><rd nr="136"/>Folgende Bauteile enthält die angegriffene Ausführungsform unstreitig: Sie weist einen envelope tracker auf, der einen Versorgungsstrom für einen Leistungsverstärker bereitstellt. Der Versorgungsstrom wird verstärkt. Des Weiteren gibt es eine Induktivität mit Schaltelement. Das Schaltelement wird basierend auf dem Leistungsnachverfolgungssignal gesteuert. Die angegriffene Ausführungsform verfügt auch über einen Kondensator, dessen Auswirkungen für ihre Funktionsweise zwischen den Parteien streitig ist.</p>
<p><rd nr="137"/>Mangels wirksamen Bestreitens der Beklagtenseite (dazu sogleich) geht das Gericht davon aus, dass sich der Hüllkurvenmodulator in der angegriffenen Ausführungsform darstellen lässt wie in Abbildung 1 des Privatgutachtens K 23 (Abbildung im Original schwarz-weiss):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33572-5-de.png" alt=""/></p>
<p><rd nr="138"/>Der Hüllkurvenverstärker liefert in der angegriffenen Ausführungsform hiernach den zweiten Versorgungsstrom Ienv. Durch einen Kondensator werden die Gleichstromanteile des Ienv entnommen. Der Hüllkurvenverstärker liefert Ipa daher nur Wechselstrom zu. Der Gleichstrom kommt vollständig von dem Schaltelement.</p>
<p><rd nr="139"/>Der Gesamtversorgungsstrom Ipa ist in Abhängigkeit von dem Hüllkurvensignal variabel. Um eine ausreichende Menge Gleichstrom für den Gesamtversorgungsstrom bereitzustellen, wird dem abgefühlten Strom Isen (eine Nachbildung von Ienv) ein Offset/ Versatz hinzugefügt, indem der Schaltpunkt des Komparators verringert und dadurch der Tastgrad der Schaltstufe erhöht wird. Im Einzelnen verweist die Kammer auf das Gutachten K 23.</p>
<p><rd nr="140"/>Ungeachtet der konkreten Ausgestaltung des Offsets geht die Kammer im Übrigen mit der Klägerin (mangels wirksamen Bestreitens der Beklagtenseite) davon aus, dass die angegriffene Ausführungsform über einen Offset verfügen muss.</p>
<p><rd nr="141"/>Die angegriffene Ausführungsform weist einen Boost Converter auf, der technisch eine Buck-Boost-Kombination darstellt. Der Buck-Konverter liefert eine Ausgangsspannung, die kleiner/ gleich der Batteriespannung sein kann, der Bost-Konverter generiert eine Ausgangsspannung, die größer als die Batteriespannung ist. In dem Boost Converter Control wird entschieden, ob Boost- oder Buck-Funktion geschaltet werden müssen, oder ob die Batteriespannung direkt auf den Ausgang geschaltet wird. Für die Einzelheiten wird auf das Privatgutachten K 23 verwiesen.</p>
<p>2. Unmittelbare wortsinngemäße Nutzung</p>
<p><rd nr="142"/>Patentanspruch 1 des Klagepatents wird durch die angegriffene Ausführungsform unmittelbar wortsinngemäß benutzt, weil alle Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 1 des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht werden.</p>
<p>a. Schutzbereichsbestimmung</p>
<p><rd nr="143"/>Gemäß <verweis.norm>Art. 69 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> wird der Schutzbereich eines europäischen Patents durch die Patentansprüche bestimmt. Beschreibung und Zeichnungen sind zur Auslegung indes heranzuziehen. Erforderlich ist eine funktionsorientierte Auslegung, wobei die Patentschrift grundsätzlich ihr eigenes Lexikon stellen kann (BGH GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube). Begriffe in den Patentansprüchen und in der Patentbeschreibung sind so zu deuten, wie sie der angesprochene Durchschnittsfachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht (BGH GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube, mwN). Eine Auslegung muss auch dann (wohlwollend) erfolgen, wenn der Wortlaut scheinbar eindeutig ist (BGH GRUR 2015, 875, 876 - Rotorelemente, mwN). Auch innerhalb eines Patentanspruchs mehrfach verwendete Begriffe müssen jeweils in Bezug auf die im konkreten Zusammenhang gegebene technische Funktion ausgelegt werden und können sogar unterschiedlich zu verstehen sein (Kühnen, 10. Auflage A. Rn. 52 mwN).</p>
<p>b. Unstreitig verwirklichte Merkmale</p>
<p><rd nr="144"/>Zu Recht ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Merkmale 1, 1.1, 1.2, 1.3 und 1.4 unmittelbar wortsinngemäß verwirklicht sind.</p>
<p><rd nr="145"/>c. M 1.2.1 verwirklicht Auch das Merkmal 1.2.1 (“the switcher adding an offset to the input current to generate a larger supply current via the inductor than without the offset“) ist verwirklicht.</p>
<p>(1) Auslegung „Offset“</p>
<p><rd nr="146"/>„Offset“ im Sinne des Merkmals 1.2.1 ist mit der Klägerin dahingehend auszulegen, dass er jegliche Veränderung der Bewertung des Eingangsstroms umfasst.</p>
<p><rd nr="147"/>(a) Die Klägerin hat hierzu vorgebracht:</p>
<p><rd nr="148"/>(aa) Der Offset im Sinne des Merkmals 1.2.1 bewirke anspruchsgemäß, dass der über die Induktivität generierte Versorgungsstrom größer sei als ein Versorgungsstrom ohne Offset. Diese Maßnahme sei insbesondere wichtig wenn die Batteriespannung sinke, weil dann die Induktivität langsamer lade und der Induktivitätsstrom sinke (S. 34 Replik, Figur 4b und [0035] des Klagepatents). Durch den Offset könne bewusst herbeigeführt werden, dass sich das Schaltelement länger im „An“-Zustand befinde als ohne Offset, was zu einer Erhöhung des durch die Induktivität bereitgestellten ersten Versorgungsstroms (Gleichstromanteil des Gesamtversorgungsstroms, S. 4 Schriftsatz 31.10.2018) gegenüber einer Vorrichtung ohne Offset führe (S. 16 Klageschrift, Abs. [0041] von K 1/ [0037] von K 5, S. 7, 38/40, 43/44 Replik). Der Offset sei damit eine Veränderung (“Manipulation”) der Bewertung des “Eingangsstroms” (abgefühlter Strom), die zu einer anderen Steuerung der Induktivität durch das Schaltelement führe (S. 7, 38 Replik, [0040], Figur 4c). Der Offset könne patentgemäß durch jede beliebige Maßnahme/ Mechanismus implementiert werden, durch welche die Pulslänge der Schaltsignale verlängert werde, die Induktivität somit länger lade, was zu einem höheren ersten Versorgungsstrom als ohne Offset führe (S. 8, 21, 41 Replik, Klagepatent [0039] aE, S. 9 Triplik, S. 3 Schriftsatz 6.12.2018). Beweiswürdigend stellte die Klägerin heraus, das habe auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt (S. 3 Schriftsatz 6.12.2018).</p>
<p><rd nr="149"/>Das könne dadurch geschehen, dass der abgefühlte Strom manipuliert werde (also ein Versatzstrom hinzugefügt werde), oder dadurch, dass in der Einheit (Komparator), welche den abgefühlten Strom mit Blick auf das das Schaltelement steuernde Signal (mit einer bestimmten Pulslänge) bewerte, die Referenzwerte geändert würden (Änderung einer Referenzspannung im Komparator). Dass letzteres als Realisierung eines Offset ohne Hinzufügung eines Offsetstroms möglich sei, erkenne der Fachmann (S. 14 Triplik mit Erläuterung, Gutachten K 23 S. 12). In beiden Fällen werde in dem System eines grundsätzlich vom abgefühlten Hüllkurvenstrom gesteuerten Induktivitätsstroms durch eine weitere Maßnahme der Versorgungsstromanteil der Induktivität (Schaltelement) vergrößert und somit der Anteil des Hüllkurvenstroms an der Leistungsversorgung des Leistungsverstärkers verringert (S. 9 Triplik).</p>
<p><rd nr="150"/>Der Offset müsse nicht in Reaktion auf eine Veränderung der Batteriespannung festgelegt werden (das betreffe nur Anspruch 2), vielmehr sei durch das Klagepatent allgemein die Lehre geschützt, dass durch einen Offset - abhängig von verschiedenen Inputvariablen - ein höherer Induktorstrom erzeugt werden könne als ohne Offset (S. 41/42 Replik, [0038]).</p>
<p><rd nr="151"/>(bb) In dem Ausführungsbeispiel werde der Offset in Gestalt eines offset current hinzugefügt (Versatzstrom). Diese besondere Ausgestaltung sei indes Gegenstand des Anspruchs 3, der deshalb ausdrücklich von einem Offsetstrom spreche. Schon systematisch könne daher Gegenstand des Offsets im Sinne des Anspruchs 1 nicht (nur) ein Offsetstrom sein, zumal der Offset iSd Anspruchs 1 dann auf das Ausführungsbeispiel in Figur 5 beschränkt wäre - das aber liefe den anerkannten Auslegungsgrundsätzen entgegen. Auch für die Figur 5 werde Offsetstrom in der Beschreibung [0036] im Übrigen nur als Beispiel genannt (S. 13 Triplik). Das vorgenannte Verständnis entspreche auch dem Sprachgebrauch der Beschreibung [0037] zu diesem Ausführungsbeispiel. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1, M 1.2.1 sei indes breiter. Es genüge jeder Offset (Versatz), nicht nur ein offset current. Entscheidend sei allein die bereits im Wortlaut des Anspruchs genannte Funktion, nämlich dass der von der Induktivität gelieferte erste Versorgungsstrom (M1.1) durch den „Mechanismus“ [0039] größer werde als ohne den Offset (Wortlaut M 1.2.1) (S. 42/45 Replik, S. 11 Triplik).</p>
<p><rd nr="152"/>Die Klägerin erläuterte, das Hinzufügen eines Versatzes zum „Eingangsstrom“ (input current) sei deshalb im Wortlaut des M1.2.1 genannt, weil der Eingangsstrom, also bevorzugt der abgefühlte Strom Isen, ohne den Versatz nach M1.2 gerade die Größe sei, an welche die Generierung des Schaltsignals zum Laden der Induktivität anknüpfe. Allerdings gelte auch für den Eingangsstrom (Isen), dass dieser typischerweise in eine Spannung umgewandelt werde, bevor ein Komparator (wie der Current Sense Amplifier) ein Ausgangssignal erzeuge (high/ low), welches das Eingangssignal bewerte. Der Anspruch fordere mithin nicht, dass gerade der Strom die Eingangsgröße eines vergleichenden Elements sein müsse (S. 43 Replik).</p>
<p><rd nr="153"/>Für den Fachmann sei eine Vielzahl von Implementierungen für den Offset auch ohne Hinzufügen von Strom denkbar (S. 14/15 Triplik, Privatgutachten K 23 S. 12). Entscheidend sei, dass neben dem abgefühlten Strom Isen ein zweiter Eingabeparameter Eingang in die Steuerung des Switchers finde und somit die Bewertung der Eingangsgröße des abgefühlten Stroms „manipuliert“ werde. Zum Vergleich verwies die Klägerin auf die Patentschrift O. K 18, Fig 14, 5a uns 5b. Hier werde in der Beschreibung Sp. 25 Z. 37 ff der Begriff „offset voltage“ verwendet, der gerade nicht deckungsgleich sei mit offset, so wie im Klagepatent offset current ungleich offset sei (S. 45 Replik, K 18). Auch im Übrigen belege die Patentschrift K 18, dass das fachmännische Verständnis von Offset dem der Klägerin entspreche. Insbesondere sei ein Offset erreichbar durch eine Änderung des Fensters der Referenzgrößen M 1 und M 2, weil so die Bewertung des abgefühlten Signals geändert werde (S. 45/49 Replik). Der in K 18 enthaltene Kondensator bewirke eine Entkoppelung der jeweiligen Ausgangsspannung von Hüllkurvenverstärker und Induktivität, anders als im Ausführungsbeispiel des Klagepatents. Diese müsse grundsätzlich durch einen Offset kompensiert werden, anderenfalls würde der Leistungsverstärker nicht genug Strom erhalten (S. 48/49 Replik).</p>
<p><rd nr="154"/>(cc) Die Klägerin unterstreicht: Soweit die Beklagtenseite meine, [0039] S. 2 sei nicht beansprucht, begründe sie das nicht. Dabei stelle das Patent grundsätzlich sein eigenes Lexikon, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung schon mehrfach festgestellt habe (S. 7, 12 Triplik unter Bezugnahme auf BGH GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube). Der hiesige Fall sei mit den Konstellationen in BGH Okklusionsvorrichtung (GRUR 2011, 701) und Diglycidverbindung (GRUR 2012, 45) gerade nicht vergleichbar. Insbesondere habe es im Erteilungsverfahren keine Anspruchsänderung gegeben, siehe HRM01-K 4: Anspruch 1 = dort Anspruch 20, UA3 = dort abhängiger Anspruch 22 (S. 13 Triplik).</p>
<p><rd nr="155"/>(dd) Soweit die Beklagtenseite sich auf den Standpunkt stellen wolle, Merkmal 1.2.1 beanspruche nur eine Ausgestaltung, in der der zweite Versorgungsstrom auch den Strom, den die Spule zur Verfügung stellt, zur Verfügung stellen könne, sei das mit den nach <verweis.norm>Art. 69 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> anerkannten Auslegungsgrundsätzen nicht vereinbar, weil der Anspruch sich dazu nicht verhalte (S. 6 Schriftsatz 31.10.2018). Der Leistungsverstärker sei auch nicht auf einen fixen Gleichstromanteil angewiesen (mit der Folge, dass das Schaltelement immer den gleichen Strom liefern würde, unabhängig von der Einstellung des Offsets). Vielmehr richte sich die Menge des benötigten Gesamtversorgungsstroms (Ipa) allein nach dem Hüllkurvensignal. Es könne in einem dynamischen System wie dem hiesigen keine exakten Abgrenzungen zwischen Gleich- und Wechselstromanteilen geben, daher spreche auch das Klagepatent in [0015] im Zusammenhang mit dem Schaltelement von einem Anteil mit Gleichstrom und niedrigen Frequenzen. Der Übergang von Gleichzu Wechselstrom sei fließend (S. 9 Schriftsatz 12.12.2018).</p>
<p><rd nr="156"/>(b) Die Beklagtenseite bringt hingegen vor:</p>
<p><rd nr="157"/>Zutreffend sei, dass das „Offset“ stromerhöhende Funktion habe (S. 3 Klageerwiderung).</p>
<p><rd nr="158"/>Mit der Duplik betonte die Beklagtenseite, für ein breites Verständnis entsprechend dem der Klägerin gebe es keine Grundlage im Klagepatent. M1.2.1 benenne Zweck („um einen größeren Versorgungsstrom über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset“) und Mittel („wobei das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt“). Verändert werde entgegen der klägerischen Darstellung nicht eine Bewertung des Eingangsstroms, sondern dieser selbst, und zwar durch Hinzufügen eines Offsets, mithin durch Addition von Strom. Bei einer Änderung der Referenzspannung im Komparator werde dem Eingangsstrom nichts hinzugefügt (S. 18 Duplik, S. 7 Quadruplik, SVG). Die Beklagtenseite stützte sich auf [0027], wonach ein Ensemble aus Schaltelement und Induktivität eingeschaltet sei, wenn ein hoher Eingangsstrom abgefühlt werde, sonst nicht. Daher müsse sich der Offset stromerhöhend auf diesen Eingangsstrom auswirken, wenn er die Einschaltdauer verlängern solle. Die Beklagtenseite meint, die Klägerin führe in der Sache eine Äquivalenzdiskussion, ohne deren Voraussetzungen im Einzelnen aufzuzeigen (S. 6 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="159"/>Zu Zweck/ Ursache erläuterte die Beklagtenseite in der Quadruplik, Merkmal 1.2.1 des Klagepatents beanspruche eine Erhöhung des Gleichstromanteils von Iind (S. 3/5 Quadruplik, S. 6 oben von K 22, SVG, rechtsausführend S. 7 Schriftsatz 10.12.2018).</p>
<p><rd nr="160"/>Zu [0036] unterstrich die Beklagtenseite, es fehle an anderen Dingen, die man Strom hinzufügen könne (S. 20 Duplik, S. 8/9 Quadruplik, SVG). [0039] S. 2 (Offset durch andersgeartete Veränderung der Pulsbreite eines Ausgangssignals) sei nicht beansprucht. Und/Oder [0039] befasse sich nur mit dem Begriff des Hinzufügens (S. 8 Quadruplik). Anspruch 3 befasse sich entgegen der klägerischen Darstellung nicht mit dem Offset an sich, sondern mit dem Switcher (S. 9 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="161"/>Die Patentschrift O. (K 18) habe nichts mit dem Klagepatent zu tun, sondern befasse sich mit der Ladung eines Kondensators, der dazu diene, Signale unverändert in einen anderen Spannungsbereich zu verschieben, um die Effizienz der Schaltung zu optimieren. Die klägerischen Ausführungen zu einem angeblichen Zusammenhang von Entkoppelung und Offset seien gänzlich unverständlich und entzögen sich einer Erwiderung. Der Kondensator diene in der Patentschrift O. nicht der Erzeugung einer geboosteten Spannung, sondern nur der Glättung der Ausgangsspannung (S. 21/22 Duplik, SVG).</p>
<p><rd nr="162"/>Die Beklagtenseite betont: Folgte man der Auslegung der Klägerin, würde schon der im Klagepatent erwähnte Stand der Technik „Mathe“ (HRM1/K 16, dort Fig. 6) einen Offset aufweisen. Das sei aber ersichtlich nicht gemeint: vielmehr erfordere Anspruch 1 des Klagepatents einen „Offset“ in der Form eines steuernden Stromsignals, das überdies die merkmalsgemäße Wirkung habe (S. 10/12 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="163"/>(c) Wertung Bei einer gebotenen funktionsorientierten Auslegung wie unter a. dargelegt, ist Offset im Sinne des Merkmals 1.2.1 im klägerischen Sinne auszulegen.</p>
<p><rd nr="164"/>(aa) Eine rein funktionale Betrachtung führt den Fachmann zu dem klägerischen Verständnis. Denn entscheidend für die Funktionsweise des Switchers ist die Erhöhung des Induktivitätsstroms, die patentgemäß durch den Offset erfolgen soll. Ob das Schaltelement dem abgefühlten Strom einen Offset (=Strom) hinzufügt oder die Erhöhung des Induktivitätsstroms auf andere Weise herbeiführt, ist dabei funktionell aus Sicht des Fachmanns nicht entscheidend.</p>
<p><rd nr="165"/>Erhöht werden muss der Induktivitätsstrom = Gleichstrom, nicht der Gleichstromanteil. Für ein solches beschränkendes Verständnis macht das Klagepatent keine Vorgaben.</p>
<p><rd nr="166"/>(bb) Eine einschränkende Auslegung in dem Sinne, dass offset nur einen Versatzstrom meine, lässt sich dem Wortlaut des Klagepatents nicht entnehmen. Der Hauptanspruch 1 spricht nur von „offset“, ohne sich auf einen Strom zu beschränken. Nur Unteranspruch 3 bezieht sich explizit auf einen offset current. Das zeigt im Umkehrschluss, dass „offset“ im Sinne des Merkmals 1.2.1 weiter zu verstehen ist als in Unteranspruch 3.</p>
<p><rd nr="167"/>(aaa) Unteransprüche können bei der Auslegung des Hauptanspruchs Berücksichtigung finden, wobei die Auslegung eines Unteranspruchs den Gegenstand des Hauptanspruchs grundsätzlich nicht einengen darf. Dabei ist insbesondere zu beachten, worin die mit dem Unteranspruch vorgeschlagene Ergänzung der technischen Lehre des Hauptanspruchs besteht und auf welche Weise sie den Gegenstand des Hauptanspruchs fortbildet. Rückschlüsse sind eher zulässig, wenn ein Merkmal im Interesse funktionaler Optimierung um einen dieses Merkmal weiter ausformenden Aspekt ergänzt wird, als wenn den Merkmalen des Hauptanspruchs additiv ein weiteres Element hinzugefügt wird (BGH GRUR 2016, 1031, 1033 Rn. 15 - Wärmetauscher, mwN).</p>
<p><rd nr="168"/>(bbb) Im Streitfall definiert Unteranspruch 3 den Hauptanspruch 1 weiter, ohne nur additiv Elemente hinzuzufügen. Summer, Stromabfühlverstärker und Treiber werden dort erstmals in den Ansprüchen aufgeführt.</p>
<p><rd nr="169"/>(ccc) Nicht zum Erfolg verhilft der Beklagtenseite ihre Argumentation, Unteranspruch 3 befasse sich nur mit dem Switcher, ohne den Offset näher definieren zu wollen. Dem vermag sich die Kammer nicht zwingend anzuschließen, gleichwohl kann diese Frage dahinstehen: Anspruch 3 macht nämlich zugleich deutlich, dass der „offset current“ in den vorhergehenden Ansprüchen noch nicht definiert ist. Anderenfalls ließe sich die Verwendung des Wortes „an“ als undefinierter Artikel nicht erklären. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es sich um ein redaktionelles Versehen handelt, weil in Bezug auf den input current, vordefiniert in Anspruch 1, der bestimmte Artikel „the“, in Bezug auf den - ebenfalls noch nicht vordefinierten summed current - ebenfalls der unbestimmte Artikel verwendet wird. Das Klagepatent differenziert hier mithin bewusst.</p>
<p><rd nr="170"/>(cc) Gegen das klägerische Verständnis spricht auch nicht die Formulierung des Hauptanspruchs, wonach das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz/ Offset hinzufügt (“the switcher adding an offset to the input current to generate (…)“). Unstreitig kann Strom nichts anderes als Strom hinzugefügt werden (zu der Argumentation der Beklagten, S. 20 Duplik, S. 8/9 Quadruplik). Funktionell versteht der Fachmann das Merkmal indes dahingehend, dass durch eine Maßnahme ein Versatz herbeigeführt wird.</p>
<p><rd nr="171"/>Das ergibt sich aus den Ausführungsbeispielen in der Klagepatentschrift.</p>
<p><rd nr="172"/>(aaa) Beschreibungen und Zeichnungen sind nicht nur Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs, sondern auch für die Auslegung des Patentanspruchs. Der Patentanspruch ist so zu lesen, dass sich im Zweifel keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben. Ein anderes gilt grundsätzlich nur, wenn und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in Einklang bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt (BGH GRUR 2015, 972, 974 Rn. 22 - Kreuzgestänge, mwN).</p>
<p><rd nr="173"/>(bbb) Hiernach ist zu berücksichtigen, dass [0036] generell von offset spricht, und den Versatzstrom (offset current) nur als Beispiel (“e.g.“) benennt. In [0038] ist generell die Rede von offset. Auch in [0039] S. 1 wird nur der offset benannt. In [0039] S. 2 wird explizit unterstrichen, dass ein offset mit irgendeinem geeigneten Mechanismus („via any suitable mechanism“) hervorgerufen werden kann.</p>
<p><rd nr="174"/>Insbesondere die letztgenannte Beschreibungsstelle spricht für die Klägerin. Die Beklagtenseite dringt nicht durch mit ihrer Argumentation, [0039] S. 2 sei nicht beansprucht. Grundsätzlich gilt, dass der Patentanspruch nach Möglichkeit so zu lesen ist, dass er mit der Beschreibung in Einklang zu bringen ist, s.o. Genau das ist aber der Fall, wenn man offset so versteht wie die Klägerin.</p>
<p><rd nr="175"/>Der Sachverständige hat dem Gericht dieses Verständnis aus Sicht des Fachmanns bestätigt. Er hat unterstrichen, dass Figur 5 des Klagepatents systemisch ist und für den Fachmann nicht dargestellt ist, dass es sich um einen Offset im Strom handeln müsse. Vielmehr könne auch eine Erhöhung der Spannung einen patentgemäßen Offset darstellen (S. 4/5 Protokoll vom 8.11.2018).</p>
<p><rd nr="176"/>Das Gericht folgt den Angaben des Sachverständigen vollumfänglich. Er hat als Lehrstuhlinhaber einer angesehenen technischen Universität im technisch einschlägigen Bereich seine hohe fachliche Kompetenz dargelegt. Seine Angaben waren dem Gericht technisch plausibel und in sich schlüssig. Er erläuterte sie auf wiederholte Nachfragen in einer mehrstündigen Anhörung in sich konsistent. Eine Meinungsänderung des Sachverständigen beruhte darauf, dass er gezeigte Figuren nur nach Erläuterung und bei Unterstellung bestimmter Tatsachen als wahr technisch nachvollziehen konnte, nicht auf fehlender technischer Expertise. (dd) Dem Klagepatent ist nicht zu entnehmen, dass der Offset einen Strom erhöhen müsste, der auch von dem Hüllkurvenverstärker geliefert werden könnte - mithin einen Wechselstrom. Ebenso wenig enthält das Klagepatent einen Hinweis darauf, dass der Anteil des Spulenstroms an dem Gesamtversorgungsstrom sich durch den Offset verändern müsste.</p>
<p><rd nr="177"/>(ee) Gegen die klägerische Auslegung spricht schließlich nicht die Entgegenhaltung Mathe.</p>
<p><rd nr="178"/>(aaa) Zitierte Schriften dürfen zur Ermittlung des Stands der Technik, der Anhaltspunkte für das Verständnis eines Merkmals liefern kann, herangezogen werden (Kühnen, 10. Auflage, A. Rn. 55). Nach einer Meinung sind Patentansprüche dabei grundsätzlich so auszulegen, dass ihr Inhalt nicht durch zitierte Schriften neuheitsschädlich offenbart wäre (zu auf dem Deckblatt zitierten Druckschriften Kühnen, 10. Auflage, A. Rn. 55). Offenbart ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, „was aus fachmännischer Sicht einer Schrift „unmittelbar und eindeutig“ zu entnehmen ist“ (BGH GRUR 2009, 382, 384 - Olanzapin mwN).</p>
<p><rd nr="179"/>(bbb) Nach diesen Grundsätzen gebietet die Entgegenhaltung Mathe keine andere Auslegung als oben dargestellt.</p>
<p><rd nr="180"/>Die Entgegenhaltung Mathe ist in [0031] zitiert, indes nur zur Darlegung der möglichen Ausführung des envelope amplifiers - bildlich gesprochen mit dem linken Teil des Bilds K 17. Der „offset“ im Sinne des Merkmals 1.2.1 befasst sich - wiederum bildlich gesprochen - mit dem rechten Teil, dem Schaltelement. Weil sich das Zitat in [0031] nur auf den envelope amplifier bezieht, darf die Entgegenhaltung Mathe schon nicht zur Ermittlung des fachmännischen Verständnisses mit Blick auf das Schaltelement/ den Offset herangezogen werden.</p>
<p><rd nr="181"/>Im Übrigen ist in der Entgegenhaltung Mathe zwar die Rede von einem Offset, allerdings nur in [0097]. Der Offset ist der Entgegenhaltung auch nicht im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.</p>
<p><rd nr="182"/>Das dargestellte Verständnis der Kammer hat der Sachverständige dem Gericht im Termin aus Sicht des Fachmanns bestätigt (S. 4 des Protokolls). Der Sachverständige hat dem Gericht darüber hinaus verdeutlicht, dass aus Sicht des Fachmanns der Offset in der Entgegenhaltung Mathe der Stabilisierung der Arbeitspunkte im Hüllkurvenverstärker dient, nicht der Erhöhung des Induktivitätsstroms wie im Klagepatent (S. 4 des Protokolls).</p>
<p><rd nr="183"/>(ff) Ein anderes folgt nicht aus der vorläufigen Stellungnahme der Einspruchsabteilung K 23, dort 4.1.2 (zu S. 11 Schriftsatz vom 10.12.2018). Nach dem Verständnis der Kammer wird hier mitgeteilt, dass schon die Offenbarung eines Offsets fraglich ist, dass aber jedenfalls die weiteren Voraussetzungen des Merkmals 1.2.1 fraglich seien. Die Einspruchsabteilung teilt aber nicht explizit mit, dass ein merkmalsgemäßer Offset nur ein solcher sei, der einen Versatzstrom hinzufügt.</p>
<p><rd nr="184"/>(gg) Nach alledem ist Merkmal 1.2.1 dahingehend auszulegen, dass jegliche Veränderung an dem abgefühlten Strom, die eine Erhöhung des Induktivitätsstroms bewirkt, einen klagepatentgemäßen Offset darstellt.</p>
<p><rd nr="185"/>(2) Nutzung M 1.2.1 durch angegriffene Ausführungsform Die angegriffene Ausführungsform macht von Merkmal 1.2.1 Gebrauch. Denn sie fügt dem abgefühlten Strom einen klagepatentgemäßen Offset hinzu.</p>
<p><rd nr="186"/>(a) Die Klägerin hat hierzu vorgebracht:</p>
<p><rd nr="187"/>(aa) Mit der Klage stützte sich die Klägerin mit Blick auf die Verwirklichung des Merkmals 1.2.1 zunächst (nur) auf den Digital-Analog-Wandler (digital-to-analog converter, DAC). Sie erläuterte, der Digital-Analog-Wandler passe den Strom mittels der (in nachfolgenden Darstellungen grün umrandeten) programmierbaren Stromsenke oder der (in nachfolgenden Darstellungen rot umrandeten) programmierbaren Stromquelle in der Stromsenke an und gebe ihn an der VG-VOUT1-Verbindung an die Stromabfühleinheit (Merkmal 1.2) ab. Dieser Strom werde sodann in den Komparator eingespeist, der das Schaltsignal für das Schaltelement generiere. Indem der Strom angepasst werde, werde ein klagepatentgemäßer Offset hinzugefügt. Bildlich lasse sich das wie folgt zeigen (S. 28/29 Klageschrift, K 3 Figuren 3.4.6, 3.4.6.6, Hervorhebungen klägerseits hinzugefügt):</p>
<p>Figur 3.4.6 (im Original farbig):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33572-6-de.png" alt=""/></p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33572-7-de.png" alt=""/>Detail, Figur 3.4.6.6 (im Original farbig)</p>
<p><rd nr="188"/>An der Verwirklichung des Merkmals 1.2.1 durch den DAC hielt die Klägerin auch nach weiterem Vortrag fest (Triplik S. 24/25, Privatgutachten K 23 S. 11, 13).</p>
<p><rd nr="189"/>Eine beklagtenseits behauptete Deaktivierung der DAC-Funktionseinheit bestritt die Klägerin und unterstrich, eine Deaktivierung sei aus Rechtsgründen ohnehin unerheblich (S. 8, 54/56, Replik, unter Berufung auf BGH - Rangierkatze, OLG Düsseldorf - Primäre Verschlüsselungslogik). Das Vorbringen der Beklagtenseite, die Funktionseinheit stelle auch bei Aktivierung keinen Offset bereit, sei unsubstantiiert und daher unbeachtlich (S. 8, 56/57 Replik).</p>
<p><rd nr="190"/>(bb) Im Übrigen müsse es - unabhängig von der konkreten Implementierung - einen Offset in der angegriffenen Ausführungsform geben, weil der Spulenstrom auch bei sinkender Batteriespannung konstant bleibe oder steige - anderenfalls würden die angegriffenen Geräte bei sinkender Batteriespannung deutlich ineffizienter arbeiten und sich stark erwärmen. Auch die Messungen der Klägerin zeigten, dass es einen Versatz geben müsse, weil die Ausgangsspannung des Hüllkurvenverstärkers unterhalb der Ausgansspannung der Induktivität liege (S. 12 von K 27). Auch die beklagtenseits in Bezug genommene Erhöhung des Gleichstromanteils belege gerade, dass es einen Offset geben müsse - anders sei nicht zu erklären, dass sich der Spulenstrom ändere, denn der Hüllkurvenstrom steuere unstreitig den Spulenstrom. Er müsse mithin verändert oder anders bewertet werden, um eine Erhöhung des Spulenstroms zu erreichen (S. 4/5 Schriftsatz 23.10.2018). Es komme für eine Verletzung nicht darauf an, dass gerade durch eine bestimmte Komponente eine Signalisierung vorgenommen werde, wie die Klägerin schon in der mündlichen Verhandlung betont habe (S. 57 Replik).</p>
<p><rd nr="191"/>Die von der Beklagtenseite ins Feld geführte Entgegenhaltung Choi sei unbeachtlich, weil die dortige Lehre schon für 5 MHz-Bandbreite des Eingangssignals nicht mehr funktioniere, das hier wesentliche LTE-Signal aber eine Bandbreite von bis zu 20 MHz habe (S. 5/7, 26 ff. Triplik). Für größere Bandbreiten als 5 MHz sehe Choi es im Ergebnis als effizienter an, eine parallele Stromquelle bereitzustellen, als ein Schaltelement mit hoher Schaltfrequenz zu benutzen (S. 28/29 Triplik). Die Klägerin habe die Schaltfrequenz in der angegriffene Ausführungsform überprüft und habe hierdurch ebenfalls belegt, dass die angegriffene Ausführungsform nicht die Architektur von Choi haben könne (S. 6, 30/31 Triplik). Unbeachtlich sei auch das Argument der Beklagtenseite mit Blick auf die Versorgungsspannung für das Schaltelement. Auch das Schaltelement könne nach dem Teardown-Report mit einer höheren als der Batteriespannung versorgt werden. Das habe indes nichts mit Choi zu tun, und sei von dem Anspruch 1 des Klagepatents auch nicht ausgeschlossen. Das Problem der absinkenden Batteriespannung werde mit einem Boost-Converter für das Schaltelement auch nicht behoben (S. 31/32 Triplik).</p>
<p><rd nr="192"/>(cc) Im Übrigen bestünden weitere Signalisierungen, die einen Offset bereitstellen könnten. Die Klägerin habe noch weitere Signalisierungswege identifiziert, die die Induktivität durch das Schalelement patentgemäß steuere - das lasse sich gut an der US-Patentschrift der Lieferantin O. (K 18) und dem Teardown-Bericht erläutern (S. 8, 22, 60 ff der Replik). Die Ausgaben der Induktivität und des Hüllkurvenverstärkers seien durch einen Kondensator getrennt. Daher müsse es in der angegriffenen Ausführungsform einen Offset geben, weil die Spannung des Hüllkurvensignals nicht mehr unverändert „durchgeschaltet“ werden könne. Es gebe einen Komparator (genauer gebe es drei Komparatoren, die alle drei genutzt werden könnten), der die Bewertung des abgefühlten Stroms manipuliere.</p>
<p><rd nr="193"/>Die Klägerin ergänzte in der Triplik, maßgeblich sei der Einsatz von zwei Komparatoren, die jeweils über zwei Eingangssignale verfügten: die Signale CMP_VR1 bzw. CMP_VR2 von dem Reference Voltage Generator (Referenzspannung), sowie den abgefühlten Strom Isens, nach dessen Umwandlung in eine Spannung Vcmp. Diese Spannungen würden in den Komparatoren verglichen. Die Ausgangssignale der beiden Komparatoren würden das Schaltsignal steuern. Durch die Programmierung der Referenzspannung in den Komparatoren würde der Eingangsstrom Isens mit einem anderen Schaltpunkt bewertet, damit würde durch die Programmierung der Referenzspannung in den Komparatoren ein Offset hinzugefügt (S. 15/19 Triplik, Privatgutachten K 23). Es bestehe ein Spannungsfenster, wie es die Klägerin schon mit Blick auf die Patentschrift O. K 17 in der Replik dargelegt habe (S. 21 Triplik).</p>
<p><rd nr="194"/>(dd) Soweit die Klägerin mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 6.12.2018 (dort S. 5/7) die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform auf Basis der Sachverständigenanhörung auf neue Weise erläuterte, war der hierin enthaltene Sachvortrag wegen § 296a ZPO nicht mehr zuzulassen und gebot keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung. Wie unter (c) zu sehen sein wird, kam es hierauf nicht an.</p>
<p><rd nr="195"/>(b) Die Beklagte rügte den Vortrag der Klägerin unter Bezugnahme auf den Teardown-Bericht zunächst als unschlüssig (S. 4 Klageerwiderung II) und bestritt die Richtigkeit des Teardown-Berichts generell mit Nichtwissen (S. 30 Duplik). Sie unterstrich, sie könne wegen Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers O. nur eingeschränkt vortragen (S. 3 Protokoll vom 08.02.2018, S. 23/24 Duplik).</p>
<p><rd nr="196"/>Sie bringt des Weiteren vor:</p>
<p><rd nr="197"/>(aa) Der fragliche DAC-Funktionsblock in dem O.-Chip sei deaktiviert (S. 4, 6/7 Klageerwiderung II). Der O.-Chip werde mittels des N.-Chips PMB 5750 konfiguriert (S. 6 Klageerwiderung II, SVG). Die entsprechende Deaktivierung nehme der Zulieferer N. vor und könne seitens der Beklagten nicht verändert werden. Für die Kunden sei sie irreversibel (S. 7 Klageerwiderung II, SVG). Der Chip könne auch nicht allein betrieben werden, sondern brauche „Zuarbeit“, u.a. ein analoges Hüllkurvensignal, von einem anderen Chip (S. 28 Quadruplik, SVG, Zeuge A.). Für die Erstellung der entsprechenden Firmware brauche es Programmierkenntnisse, den streng geheimen Sourcecode für den zweiten Chip und die Kenntnis eines 120 Seiten starken Programming Guide für den U.-Chip (S. 29 Quadruplik, SVG, Zeugen A., O.). De facto gebe es daher keine deaktivierten Schaltkreise; die Situation sei auch mit dem vom BGH in dem Urteil „Rangierkatze“ entschiedenen Fall nicht vergleichbar (S. 29/30 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="198"/>Im Übrigen sei der Funktionsblock nicht in der Lage, den Versorgungsstrom zu erhöhen (S. 4, 8 Klageerwiderung II). Bei einer Aktivierung könne der Funktionsblock zwar Signale zur Gesamtschaltung beisteuern, es sei indes ausgeschlossen, dass hierdurch ein größerer Versorgungsstrom über die Induktivität generiert werde als ohne Versatz/ Offset. Daher könne es sich nicht um einen klagepatentgemäßen Offset handeln (S. 8 Klageerwiderung II, SVG). Im Termin am 8.02.2018 trug die Beklagtenseite vor, dass es in dem von der Klägerin angegriffenen O.-Chip kein Bauteil gebe, dass dazu führe, dass ein Schalter länger geöffnet werde, was dazu führe, dass gemäß dem Merkmal 1.2.1 über die Induktivität ein größerer Versorgungsstrom generiert werde, als ohne diese Maßnahme. Dies sei dadurch begründet, dass bei der angegriffenen Ausführungsform aufgrund eines abweichenden Designs des Hüllkurvenverfolgers das erfindungsgemäße Problem nicht auftrete und dadurch auch nicht durch diese Maßnahmen gelöst werden müsse (S. 3/4 Protokoll vom 8.02.2018).</p>
<p><rd nr="199"/>Die Beklagtenseite präzisierte in Duplik und Quadruplik, der DAC gehöre wohl zu einer zulieferseitig als „ICOR“ bezeichneten Komponente, die im „Teardown Report“ der Klägerin insbesondere hinsichtlich ihrer Einbindung in die Gesamtschaltung nicht vollständig erfasst sei. Ihre Beträge sollten lediglich der Signal-Glättung dienen und würden an zwei Stellen in die Schaltung eingespeist, so dass sie sich dem Betrage nach wieder aufhöben. Es sei damit schaltungstechnisch ausgeschlossen, dass hierdurch ein klagepatentgemäßer Offset bereitgestellt werde. Die Ladedauer sei vom „ICOR“ gänzlich unabhängig (S. 33/34 Duplik, SVG). In der Quadruplik ergänzte sie, die Komponente könne außerdem nur Wechselstrom liefern, keinen Gleichstrom, so dass sie schon deswegen keinen klagepatentgemäßen Offset bereitstellen könne. Das Glättungssignal würde ferner auch dem Hüllkurvenstrom selbst hinzugefügt, nicht nur dem abgefühlten Hüllkurvenstrom, und würde schließlich nicht in Abhängigkeit von der Batteriespannung erzeugt. Die gelb markierte Linie führe daher weder zu einem DAC, noch transportiere sie Informationen über eine Batteriespannung (S. 18/20 Quadruplik, SVG, Zeuge A.).</p>
<p><rd nr="200"/>Daher komme es auf die Deaktivierung der Komponente gar nicht mehr an, im Übrigen verstehe die Klägerin indes die Entscheidung „Primäre Verschlüsselungslogik“ falsch (S. 34 Duplik).</p>
<p><rd nr="201"/>(bb) Die Grundannahme der Klägerin, es müsse unabhängig von der konkreten Implementierung einen Offset geben, sei unzutreffend (S. 2 Duplik, SVG). Es gebe in der angegriffenen Ausführungsform schlicht keinen Offset, weder aktiviert noch deaktiviert (S. 31 Duplik, SVG). Die Klägerin verkenne, dass die klagepatentgemäße Lehre keine Lösung für ein allgemeines Problem sei, sondern für ein nur bei der im Klagepatent konkret zugrunde gelegten Architektur auftretendes Problem (S. 3/14, 32 Duplik). So würden in anderen Architekturen Schaltelemente und Induktivitäten verwendet, die erheblich schneller als das Leistungsnachverfolgungssignal arbeiteten. Zudem würde nicht nur dem Leistungsnachverfolgungssignal, sondern auch der Kombination aus Schaltelement und Induktivität eine gleiche, gegebenenfalls verstärkte Spannung zur Verfügung gestellt. So sei es in der Entgegenhaltung Choi (HRM 5a/b), die ebenfalls ohne Offset auskomme (S. 14/17 Duplik). Soweit die Klägerin in der Triplik hierzu Messungen vorgetragen habe, habe sie einen atypischen Fall angenommen; die Schlussfolgerung der Klägerin sei falsch (S. 27 Quadruplik, Zeuge A., SVG).</p>
<p><rd nr="202"/>Die Beklagtenseite könne wegen der Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers O. derzeit nicht anhand von Schaltplänen die relevanten Eigenschaften der angegriffenen Ausführungsform erläutern. Sobald die Schaltpläne aus dem US-Discovery-Verfahren aber klägerseits vorgelegt würden, würde sich zeigen, dass die angegriffene Ausführungsform eine Kombination aus Schaltelement und Induktivität aufweise, die wie in Choi deutlich schneller schalte als die Perioden des Leistungsnachverfolgungssignals lang seien und im Bedarfsfall (bei sinkender Batteriespannung, S. 28 Quadruplik, SVG, Zeuge A.) mit einer im Vergleich zur Batteriespannung höheren Spannung versorgt würden (S. 25 Duplik). Daher sei ein Offset hier weder erforderlich noch vorhanden (S. 25 Duplik, SVG).</p>
<p><rd nr="203"/>Die Beklagtenseite unterstrich, die Klägerin habe zu dem Offset in der Klage (dort S. 27/28) anders vorgetragen als in der Replik (dort S. 15) (S. 28 Duplik).</p>
<p><rd nr="204"/>(cc) Soweit die Klägerin sich auf die Patentschrift O. K 18 beziehe, sei der Verweis rätselhaft. Dort gehe es nicht darum, dass der Offset einem Eingangsstrom hinzugefügt werde. Weitere Ausführungen der Klägerin zu einem Zusammenhang von Entkoppelung und Offset seien gänzlich unverständlich und entzögen sich der Erwiderung (S. 21 Duplik). K 17 bezöge sich auch nur auf die Ladung eines Kondensators, der dazu diene, ein Signal als solches unverändert in einen anderen Spannungsbereich zu verschieben, um die Effizienz der Schaltung zu optimieren. Die Änderungen der Spannung, auf die sich die Klägerin bezieht, änderten keinen durch Schaltelement und Induktivität erzeugten Teilstrom, der in einen Gesamtstrom eingehe. Der Kondensator diene in Fig. 6 von K 17 nur der Glättung der Ausgangsspannung und sei nicht entscheidend für die Erzeugung einer geboosteten Spannung (S. 22 Duplik, SVG).</p>
<p><rd nr="205"/>Soweit die Klägerin auf weitere Signalisierungen Bezug nehme, sei der Vortrag unschlüssig und unsubstantiiert (S. 33 Duplik). Die Klägerin lege nicht dar, wieso sich hier ein klagepatentgemäßer Offset ergeben solle - tatsächlich gebe es ihn nicht (S. 34/35 Duplik, SVG). Der Kondensator, auf den die Klägerin auf S. 59 oben Replik Bezug nimmt, habe mit dem Offset nichts zu tun (S. 35 Duplik, SVG). Das vermeintliche Zusammenwirken S. 60 oben Replik basiere auf einem grundlegenden Fehlverständnis der angegriffenen Ausführungsform, das sich mit den Schaltplänen aufklären lassen werde. Die gelb eingezeichnete „Feedbackleitung“ existiere jedenfalls nicht, auch sonst funktioniere die Schaltung anders als dargestellt (S. 35 Duplik).</p>
<p><rd nr="206"/>Zu dem ergänzten Vortrag der Klägerin zu den Komparatoren in der Triplik führte die Beklagtenseite in der Quadruplik aus, die Komparatoren seien so zusammengeschaltet, dass sie nur gemeinsam programmiert werden könnten: ihre Schwellwerte seien von einer festen Referenzspannung von 1,2 V jeweils zwingend gleich weit beabstandet. Der eine diene dem Einschalten, der anderen dem Ausschalten des Ladevorgangs, daher sei ausgeschlossen, dass durch ihre Programmierung das Tastverhältnis eines Signals zur Steuerung des Schaltelements vergrößert und damit der Induktivitätsstrom durch Verlängerung der Ladedauer der Induktivität erhöht werde (S. 21 Quadruplik, SVG, Zeuge A.). Dies ergebe sich aus der Illustration S. 22 Quadruplik. Das habe die Klägerin unberücksichtigt gelassen, wohl weil die angegriffene Ausführungsform für zwei Modi vorgesehen sei (Average Power Tracking Mode und Envelope Tracking Mode), zwischen denen hin- und hergeschaltet werden könne. Diese Modi schlössen sich indes wechselseitig aus, auch hardwaretechnisch seien bestimmte Bauteile nur dem einen Modus zugeordnet. Die Klägerin betrachte aber fälschlicherweise Elemente aus beiden Modi zusammen (S. 23/24 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="207"/>Ferner seien die Referenzwerte in der angegriffene Ausführungsform fest auf 1,1 bzw. 1,3 V programmiert. Eine Änderung könnte weder die Beklagtenseite noch ihre Abnehmer bewerkstelligen, vielmehr müsste N. seine Firmware ändern (S. 25, 30, 32 Quadruplik, SVG, Zeuge A.). Eine geänderte Referenzspannung könne auch nicht Gegenstand eines Vorrichtungsanspruchs sein (S. 32, SVG, Zeuge A.).</p>
<p><rd nr="208"/>Auch die Ströme ICorr und ICS seien stromlos gestellt und damit deaktiviert. Im Übrigen könnten sie wegen des Kondensators keinen Offset bereitstellen (S. 33 Quadruplik, SVG, Zeuge A.).</p>
<p><rd nr="209"/>(dd) Schließlich werde der Kondensator in dem Privatgutachten nicht hinreichend gewürdigt: aus seiner Existenz folge, dass der gesamte Gleichstromanteil des Verstärkerstroms zwingend von Schaltelement und Induktivität bereitgestellt werde, wie auch der Privatgutachter auf S. 6 oben von K 22 zu konzedieren scheine (S. 26 Quadruplik). So wie der Strom Iind nicht abfallen könne, könne ein Offset ihn auch nicht erhöhen (S. 26 Quadruplik, SVG, Zeuge A.).</p>
<p><rd nr="210"/>(ee) Auf weiteres Vorbringen in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen nimmt das Gericht unter (c) Bezug.</p>
<p>(c) Wertung</p>
<p><rd nr="211"/>Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht hiernach Merkmal 1.2.1.</p>
<p><rd nr="212"/>(aa) Vorab: Der Vortrag der Klägerin genügte - auch ohne Vorlage der Schaltpläne - den Anforderungen an substantiierten Klagevortrag.</p>
<p><rd nr="213"/>Gemäß § 138 Abs. 1 ZPO hatte die Klägerin vollständig und der Wahrheit gemäß vorzutragen. Die Klägerin hatte dabei grundsätzliche alle für sie günstigen Tatsachen zu beweisen. Die Gestaltung der angegriffenen Ausführungsform ist Tatfrage (und damit einer Geständnisfiktion zugänglich, § 138 Abs. 3 ZPO: BGH GRUR 2009, 1142, 1143, Rn. 14 - MP3-Player-Import). Ist die Pflicht zum vollständigen Vortrag aus § 138 Abs. 1 ZPO erfüllt, trifft den Gegner eine Erklärungslast aus § 138 Abs. 2 ZPO. Ein bloß pauschales Bestreiten genügt hierfür grundsätzlich nicht. Abhängig von der Tiefe des Vorbringens der Klägerseite muss die Beklagtenseite entsprechend tiefen Gegenvortrag erbringen. Anderenfalls greift nach § 138 Abs. 3 ZPO eine Geständnisfiktion. Den Gegner trifft hierbei eine Erkundigungspflicht zu Vorgängen im Bereich von Personen auch in fremden Unternehmen, die unter Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung der erklärungspflichtigen Partei tätig geworden sind (Cepl/Voß-Nielen, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, § 138 ZPO Rn. 36 mwN). Ebenso kann die Pflicht bestehen, weitere Hilfsmittel einzusetzen, u.a. auch die Zuhilfenahme externer Sachverständiger (ibid. mwN), wenngleich der Gegner zur Entkräftung eines Privatgutachtens der Gegenseite grundsätzlich kein eigenes Gutachten erstellen lassen muss (ibid Rn. 42 mwN). Auf § 138 Abs. 4 ZPO kann sich die Beklagtenseite nicht berufen, wenn sie beispielsweise bei einem Zulieferer Informationen über den Aufbau einer angegriffenen Ausführungsform hätte erfragen können, ihrer Erkundigungspflicht aber nicht nachkam (ibid Rn. 25 mwN).</p>
<p><rd nr="214"/>Einer Partei kann grundsätzlich nicht die Durchführung eines US-Discovery-Verfahrens abverlangt werden, um ihrer Vortragslast zu genügen. Das Discovery-Verfahren geht über die von der ZPO vorgesehene Darlegungs- und Beweislast hinaus, weil es letztlich Ausforschungsmöglichkeiten bietet, die die ZPO gerade verhindern will (siehe etwa Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/11637 S. 4). Der deutsche Gesetzgeber hat eine Erklärung nach <verweis.norm>Art. 23 <v.abk ersatz="HBÜ">HBÜ</v.abk></verweis.norm> abgegeben (BGBl. II 1979, 781), wonach Rechtshilfeersuchen, die auf pretrial-discovery-Verfahren gerichtet sind, nicht erledigt werden, siehe <verweis.norm>§ 14 <v.abk ersatz="AusfG-HBÜ">AusfG-HBÜ</v.abk></verweis.norm>. Wenn schon keine Rechtshilfeersuchen bearbeitet werden, kann einer vor einem deutschen Gericht klagenden Partei nach dieser Wertentscheidung des deutschen Gesetzgebers erst recht nicht abverlangt werden, ein Discovery-Verfahren durchzuführen, um vortragen zu können.</p>
<p><rd nr="215"/>Hiernach hat die Klägerin ihrer Vortragslast genügt. Die Komplexität des fraglichen Bauteils bringt es mit sich, dass Feststellungen über die Funktionsweise ohne Kenntnis der Schaltpläne nur schwer getroffen werden können. Gewissheit über die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform können nur Schaltpläne bringen, die nicht öffentlich verfügbar sind. Die Klägerin hat unter Zuhilfenahme eines Tear Down-Reports zu der angegriffenen Ausführungsform vorgetragen, und damit alles getan, was sie zu einer Aufklärung beitragen konnte. Weitere auch prozessuale Möglichkeiten standen ihr nicht zur Verfügung: Sie konnte gegen die Beklagtenseite insbesondere nicht nach § 140c PatG die Besichtigung der Schaltpläne verlangen, weil diese sich vorprozessual nicht im Besitz der Beklagtenseite befanden, sondern im Besitz des Zulieferers O.. Die Klägerin hätte im Prozess nicht mit Erfolg einen Antrag nach § 142 ZPO stellen können, weil der Zulieferer als Dritter im Sinne des § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO gegebenenfalls ein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 384 Nr. 3 ZPO hatte. Auch die Beklagtenseite hätte die Vorlage mit Blick auf Geschäftsgeheimnisse verweigern können, so wie sie sich darauf berief, nicht weiter vortragen zu können. Die Verweigerung der Vorlage hätte das Gericht nicht ohne Weiteres als Zugeständnis eines bestimmten Inhalts werten dürfen.</p>
<p><rd nr="216"/>Die Schaltpläne mittels eines US-Discovery-Verfahrens zu erlangen, konnte der Klägerin nach oben Gesagtem nach § 138 Abs. 1 ZPO gerade nicht auferlegt werden.</p>
<p><rd nr="217"/>(bb) Das Gericht hat davon auszugehen, dass ein klagepatentgemäßer Offset vorliegt, weil die Beklagtenseite den klägerischen Vortrag nicht wirksam bestritten hat, dass die Architektur der angegriffenen Ausführungsform die Existenz eines Offsets verlange.</p>
<p><rd nr="218"/>(aaa) Ein wirksames Bestreiten ist abhängig von dem Grad der Tiefe des Vortrags des Gegners: während allgemeine Erklärungen „einfach“ bestritten werden dürfen, müssen substantiierte Ausführungen des Gegners auch substantiiert bestritten werden (Cepl/Voß-Nielen, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage 2018, § 138 ZPO Rn. 21, 22 mwN). Bestreiten mit Nichtwissen ist nur unter den Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO zulässig, im Übrigen prozessual unbeachtlich. Bestreiten, das nicht so tiefgehend ist wie die Erklärung des Gegners, ist prozessual ebenfalls unbeachtlich. Das führt zu einer Geständnisfiktion, § 138 Abs. 3 ZPO.</p>
<p><rd nr="219"/>(bbb) Wie oben dargelegt, hat die Klägerin substantiiert vorgetragen. Sie hat insbesondere dargelegt, dass die Ausgangsspannung des Hüllkurvenverstärkers unterhalb der Ausgansspannung der Induktivität liege. Weil der Strom des Hüllkurvenverstärkers Einfluss auf die Ladung der Induktivität nimmt, liegt es auf der Hand, dass die Spannung (nach Wandlung eines Stroms in Spannung, siehe im Privatgutachten K 23 Abbildung 1: „I to V“) verändert wird. Die Beklagtenseite musste daher substantiiert bestreiten, mithin darlegen, wie die angegriffene Ausführungsform ohne Offset funktioniere.</p>
<p><rd nr="220"/>Dem hat sie nicht genügt. Sie hat zwar vorgebracht, es gebe in der angegriffenen Ausführungsform schlicht keinen Offset, ein solcher sei wegen der Architektur der angegriffene Ausführungsform - entsprechend Choi - auch nicht erforderlich. Wegen der Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers könne die Beklagtenseite nicht näher zu der Ausgestaltung vortragen, nach Vorlage der Schaltpläne aus dem US-Discovery-Verfahren würde sich aber zeigen, dass die angegriffene Ausführungsform eine Kombination aus Schaltelement und Induktivität aufweise, die wie in Choi deutlich schneller schalte als die Perioden des Leistungsnachverfolgungssignals lang seien und im Bedarfsfall (bei sinkender Batteriespannung, S. 28 Quadruplik, SVG, Zeuge A.) mit einer im Vergleich zur Batteriespannung höheren Spannung versorgt würden (S. 25 Duplik).</p>
<p><rd nr="221"/>Ihr Bestreiten war dabei indes nicht erheblich. Unerheblich war das Bestreiten der klägerischen Behauptung, die Architektur der angegriffenen Ausführungsform bewirke, dass sie keinen Offset brauche. Denn die Beklagtenseite hat nicht dargelegt, aufgrund welcher technischer Ausgestaltung die angegriffene Ausführungsform gerade keinen Offset brauche, obwohl die Klägerin ihrerseits technische Gründe für das zwingend erforderliche Vorhandensein eines Offsets dargelegt hat. Unbeachtlich war der beklagtenseitige Verweis auf die Entgegenhaltung Choi: Diese funktioniert in den hier erforderlichen Signalbreiten gerade nicht. Das ergibt sich schon aus der Patentschrift selbst; zusätzlich hat der Sachverständige, dem das Gericht vollumfänglich folgt (s.o.), dies festgestellt.</p>
<p><rd nr="222"/>Wie die angegriffene Ausführungsform stattdessen funktionieren soll, hat die Beklagtenseite nicht dargetan. Insbesondere ist hier auch nicht ihre Behauptung heranzuziehen, die angegriffene Ausführungsform funktioniere mittels eines Boosts der Spannung an den Switcher. Entgegen der beweiswürdigenden Darlegung der Beklagtenseite, der Sachverständige habe ihre Behauptung bestätigt, wonach ein Offset in der angegriffene Ausführungsform weder erforderlich noch vorhanden sei, sieht das Gericht diesen Vortrag nicht bestätigt (zu Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 147). Der Sachverständige hat in der Anhörung zwar wie beklagtenseits in Bezug genommen angegeben „Mit Blick auf den Unterschied der Figuren 4 a und 4 b kann ich sagen, dass für den Fall, dass bei der Figur 4 b statt der Spannung VSW = 2,3 V wie bei der Figur 4 a 3,7 V angesetzt werden, sich der Graph so verhalten würde wie bei Figur 4 a, weil es für das Messergebnis (der an der Induktivität messbare Strom) egal ist, woher die erhöhte Spannung kommt.“ Das ist indes eine technische Selbstverständlichkeit. Der Unterschied zwischen den Figuren 4a und 4b besteht gerade darin, dass Vsw differiert, siehe [0034] und [0035] des Klagepatents. Wenn der Unterschied in der Spannung aufgehoben wird, verhalten sich die Figuren denklogisch gleich. Das ist kein Beweis für die Behauptung der Beklagtenseite, es brauche in der angegriffenen Ausführungsform keinen Offset. Sie hat nämlich nicht dargetan, warum in der angegriffenen Ausführungsform Vsw 3,7 V ist und sie gleichzeitig grundsätzlich energieschonend (S. 51 Klageerwiderung Teil I) funktioniert. Soweit die Beklagtenseite sich darauf beruft, die Spannung an den Switcher werde geboostet (S. 50 Schriftsatz 22.11.2018) erklärt das zwar, warum Vsw 3,7 V ist, aber nicht, wie dann energieschonend gearbeitet werden kann. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen wäre der Boost zwar technisch machbar, aber gerade nicht energieeffizient.</p>
<p><rd nr="223"/>Im Übrigen ist die Angabe des Sachverständigen, es sei technisch machbar, die Spannung dauerhaft heraufzusetzen, für die Argumentation der Beklagtenseite unerheblich. Denn diese Behauptung hat die Beklagtenseite vor dem Termin am 8.11.2018 gerade nicht aufgestellt. Sie unterstrich in der Duplik zwar, dass dies bei der Entgegenhaltung Choi so sei (S. 17 Duplik), behauptete indes in Bezug auf die angegriffene Ausführungsform in der Duplik, die Spannung werde „im Bedarfsfall“ mit einer im Vergleich zur Batteriespannung höheren Spannung versorgt. „Im Bedarfsfall“ bedeutet gerade nicht dauerhaft. Die Beklagtenseite machte sich die Angabe des Sachverständigen im Termin als für sie positives Ergebnis der Beweisaufnahme zwar im Zweifel zu Eigen (dazu beispielsweise BGH, Beschluss vom 03.12.2015, VII ZR 77/15, Beck RS 2015, 21041, Randnummer 14, im Grundsatz auf das Patentrecht übertragbar; explizit S. 50 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 148). Dann aber war sie jedenfalls verspätet, weil erst aufgrund dieser Behauptung eine Sichtung der Schaltpläne durch den Sachverständigen erforderlich würde, was einen weiteren Termin erforderlich machen würde (dazu sogleich).</p>
<p><rd nr="224"/>Soweit die Beklagtenseite mit nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 10.12.2018 unter Bezugnahme auf die Privatgutachten P. und I. ergänzend zu der Architektur der angegriffenen Ausführungsform vortrug und unterstrich, das Schaltelement könne hier mit einer effizienten, geboosteten Spannung versorgt werden, war der Vortrag nach § 296a zurückzuweisen und gebot keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung. Die Beklagtenseite hat nicht vorgebracht, warum sie die Privatgutachten erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorlegte. Die Privatsachverständige P. hat bereits im Juni 2018 vor der ITC eine Stellungnahme abgegeben, s. S. 1 von HRM 13, Fußnote 1. Die Beklagtenseite hat das Verfahren vor der ITC eng verfolgt, wie sie insbesondere im kartellrechtlichen Teil dargelegt hat. Warum die Beklagtenseite daher das Gutachten HRM 13 nicht jedenfalls mit der Quadruplik vorlegen, und so eine Stellungnahme des Sachverständigen hierauf ermöglichen konnte, hat sie nicht dargetan.</p>
<p><rd nr="225"/>Ebenso wenig belegt die Verwendung des Kondensators in der angegriffenen Ausführungsform deren anderweitige Architektur, die gerade ohne Offset auskommen würde.</p>
<p><rd nr="226"/>Die Beklagtenseite meint, der Kondensator führe dazu, dass der gesamte Gleichstromanteil des Verstärkerstroms zwingend von Schaltelement und Induktivität bereitgestellt werde - das übersehe auch der Sachverständige. Das Klagepatent befasse sich unstreitig nur mit der Erhöhung des durchschnittlichen Stroms = Gleichstromanteils. Der Wechselstromanteil trage kodierte Information, und solle gerade nicht verändert werden.</p>
<p><rd nr="227"/>Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz stellte die Beklagtenseite klar, der Gesamtversorgungsstrom Ipa entspreche daher dem Induktivitätsstrom Iind (Ipa = Iind), S. 8 Schriftsatz vom 10.12.2018, unter Berufung auf Privatgutachten SV P..</p>
<p><rd nr="228"/>Dieser Angriff ist nicht schlüssig. Der gerichtliche Sachverständige hat bestätigt, dass über den Kondensator die Gleichstromlieferung von dem Linear Amplifier, der den patentgemäßen Hüllkurvenverstärker entspricht, an den Power Amplifier unterdrückt wird. So ist das System gezwungen, (Gleich-)Strom überwiegend über den Driver zur Verfügung zu stellen, während der gelieferte Wechselstrom die kodierte Information (die Einhüllende) weitergebe. Das ist auch in dem Gutachten K 23 dargestellt, wonach der Kondensator die Reduktion des Stroms Ienv bewirkt (S. 5 unten). Der Betrag, um den der Strom reduziert wird, muss denklogisch von der Induktivität kommen, um die benötigte Gesamtstrommenge Ipa zu erhalten. Ein Bauteil in der angegriffenen Ausführungsform muss daher denklogisch das Signal geben, den Induktivitätsstrom zu erhöhen. Weil die Gesamtstrommenge Ipa nicht konstant ist, ist auch die von der Induktivität gelieferte Strommenge nicht konstant. Dass der Gleichstromanteil, der von der Induktivität geliefert wird, dabei immer 100% ist, verbietet das Klagepatent nicht, wie oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="229"/>Entgegen der Darstellung der Beklagtenseite kann Ipa nicht Iind entsprechen, weil dann die Information aus dem Wechselstromanteil des Ienv nicht weitergegeben würde. Dass der Wechselstromanteil, der geliefert würde, durch den Kondensator nicht beeinflusst würde, hat der gerichtliche Sachverständige dargelegt (S. 5 unten Protokoll 8.11.2018).Ihr hilft auch nicht der Verweis auf Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers. Die Beklagtenvertreter hatten nach eigenem Vortrag Kenntnis von den Schaltplänen, durften hierzu nur keine konkreteren Angaben machen. Ein Fall des § 138 Abs. 4 ZPO, in dem die Beklagtenseite wirksam mit Nichtwissen bestreiten durfte, liegt daher schon nicht vor. Es kann dahinstehen, ob § 138 Abs. 4 ZPO auch eingreift, wenn eine Partei durch ein Geschäftsgeheimnis an substantiiertem Vortrag gehindert ist. Ein solches hat die Beklagtenseite jedenfalls nicht substantiiert vorgebracht, sich vielmehr nur pauschal auf Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers bezogen.</p>
<p><rd nr="230"/>Unbeachtlich war auch das Bestreiten im Termin am 08.02.2018: Hier hat die Beklagtenseite nur das Vorbringen der Klägerin negiert. Auch ein einfaches Bestreiten war nicht ausreichend, weil die Klägerin substantiiert dargelegt hat, welche Gründe für das Vorhandensein eines Offsets sprechen.</p>
<p><rd nr="231"/>(ccc) Somit hat das Gericht davon auszugehen, dass die angegriffene Ausführungsform einen klagepatentgemäßen Offset aufweisen muss.</p>
<p><rd nr="232"/>Das Gericht muss diesen (nicht wirksam bestrittenen) Vortrag der Klägerin nach dem Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz für dieses Urteil unterstellen, ohne die beklagtenseits angebotenen Beweise auf Basis ihres Vortrags zu erheben, insbesondere die angebotenen präsenten Zeugen zu hören. Die Beweiserhebung auf Basis des noch nicht hinreichend detaillierten Vortrags der Beklagtenseite wäre Ausforschung gewesen: Es gilt, dass die Parteien die Tatsachen vorzutragen haben, und die Zeugen nur zu der Richtigkeit der wirksam bestrittenen Tatsachen gehört werden.</p>
<p><rd nr="233"/>Gleiches gilt für den im Termin am 08.11.2018 angebotenen Sachverständigenbeweis „zum Beweis, dass die angegriffenen Ausführungsformen keinen patentgemäßen Offset aufweisen, weil selbst bei Unterstellung, dass die dortigen Maßnahmen noch als Offset zu verstehen sein könnten, jedenfalls im Endeffekt dadurch keine höheren Ströme bereitgestellt würden. Ferner werde eine einheitliche Ausgangsspannung dem Hüllkurvenverstärker bereitgestellt. Darüber hinaus wird auch dem Switcher eine Versorgungsspannung über einen Buck-Boost-Converter bereitgestellt. Die Fensterverschiebung gemäß Schriftsatz vom 15.10.2018, Seite 22 ergebe sich wie gezeigt.“ (S. 6 Protokoll). Auch dieser Vortrag ist unsubstantiiert, weil er die klägerischen Behauptungen lediglich negiert. Auch der Sachverständige hat hierin aus technischer Sicht keine neuen Tatsachen erkannt (S. 7 Protokoll). Eine Beweiserhebung auf Basis eines unsubstantiierten Tatsachenvortrags hätte die Klägerin in ihren Rechten verletzt.</p>
<p><rd nr="234"/>(cc) Auch der klägerseits in Bezug genommene DAC ist als Offset im klagepatentgemäßen Sinne anzusehen.</p>
<p><rd nr="235"/>(aaa) Soweit die Beklagtenseite zunächst behauptete, der fragliche Funktionsblock sei deaktiviert, ist dies aus Rechtsgründen unbeachtlich.</p>
<p><rd nr="236"/>Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt eine Patentverletzung schon dann vor, wenn die Merkmale der angegriffenen Ausführungsform objektiv geeignet sind, die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen zu erreichen. Unerheblich ist, ob die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen regelmäßig, nur in Ausnahmefällen oder zufällig erreicht werden und ob es der Verletzer darauf absieht, diese Wirkung zu erzielen. Deshalb liegt eine Patentverletzung auch vor, wenn eine Vorrichtung regelmäßig so bedient wird, dass die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen nicht erzielt werden. Die Patentverletzung entfällt in diesem Fall selbst dann nicht, wenn der Hersteller oder Lieferant seinen Abnehmern ausdrücklich eine andere Verwendung seiner Vorrichtung empfiehlt, solange die Nutzung der patentgemäßen Lehre möglich bleibt (BGH GRUR 2006, 399, 401 Rn. 21 - Rangierkatze mwN).</p>
<p><rd nr="237"/>Die behauptete Deaktivierung ist hiernach unbeachtlich. Die Deaktivierung ist unstreitig nicht irreversibel. Mit dem erforderlichen Knowhow und technischen Equipment ist es demnach möglich, die Deaktivierung aufzuheben. Das hat auch der Sachverständige festgestellt. Dass ein Durchschnittsverwender den Funktionsblock nicht deaktivieren kann, ist dabei nicht relevant. Die Deaktivierung führt mithin jedenfalls nicht aus der Patentverletzung heraus.</p>
<p><rd nr="238"/>(bbb) Der Vortrag in der Klageerwiderung II, wonach der Funktionsblock jedenfalls keinen patentgemäßen Offset zur Verfügung stellen könne, war nach oben dargestelltem Maßstab als einfaches Bestreiten prozessual unbeachtlich.</p>
<p><rd nr="239"/>(ccc) Auch der Vortrag in der Duplik/ Quadruplik ist unbeachtlich, weil er unschlüssig ist.</p>
<p><rd nr="240"/>Die Beklagtenseite behauptete hier zwar, die Beträge des fraglichen Funktionsteils dienten nur der Signalglättung und würden an zwei Stellen in die Schaltung eingespeist, so dass sie sich dem Betrage nach wieder aufhöben. Sie trug aber nicht vor, wo die Beträge in die Schaltung eingespeist werden, so dass nicht schlüssig vorgebracht ist, dass ein Offset ausgeschlossen ist.</p>
<p><rd nr="241"/>Auch die mit der Quadruplik erhobene Behauptung, die Komponente könne nur Wechselstrom liefern, ist technisch nicht schlüssig. Zwar kann die Spule/ Induktivität nur Gleichstrom liefern, und (nur) die Erhöhung des Gleichstroms ist nach obiger Auslegung patentgemäß. Unerheblich ist dabei indes, ob der DAC-/ICOR-Funktionsblock nur Wechselstrom liefern kann. Denn der aus dem DAC/ ICOR kommende Strom wird nach dem Vortrag der Klägerin über die Stromabfühleinheit in den Komparator eingespeist, der das Schaltsignal für das Schaltelement signalisiert. Beansprucht ist nur, dass sich der Spulenstrom durch den Offset erhöht, gleich ob durch Einspeisung von Wechselstrom oder Gleichstrom. Auch wenn der DAC/ ICOR nur Wechselstrom liefern kann, ist daher gerade nicht ausgeschlossen, dass er den Induktivitätsstrom (Gleichstrom) erhöht. Insbesondere kann der Komparator (nach Wandlung von Strom in Spannung) nach dem Verständnis der Kammer auch Wechselspannung mit Gleichspannung vergleichen, nachdem die Wechselspannung gleichgeschaltet worden ist.</p>
<p><rd nr="242"/>Der Sachverständige hat in seiner Anhörung bestätigt, dass der Vortrag der Beklagtenseite nicht schlüssig ist.</p>
<p><rd nr="243"/>Die Behauptung der Beklagtenseite, das Glättungssignal würde nicht nur dem abgefühlten Hüllkurvenstrom, sondern auch dem Hüllkurvenstrom selbst hinzugefügt, ist unbeachtlich (BGH Rangierkatze, wie vor). Solange durch die Hinzufügung des Signals zu dem abgefühlten Strom der Induktivitätsstrom erhöht wird, handelt es sich um einen klagepatentgemäßen Offset.</p>
<p><rd nr="244"/>Soweit die Beklagtenseite schließlich vortrug, die gelbe Linie existiere nicht (S. 35 Duplik), führe nicht zu einem DAC und transportiere auch keine Informationen über eine Batteriespannung, ist dies unsubstantiiert. Die bloße Negation ist ein einfaches, unbeachtliches Bestreiten. Die Beklagtenseite bringt auch nicht vor, was stattdessen die etwaige Funktion sein soll.</p>
<p><rd nr="245"/>(ddd) Auch der Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik zu den klägerseits in Bezug genommenen Komparatoren ist nicht schlüssig.</p>
<p><rd nr="246"/>Davon ist die Kammer nach Anhörung des Sachverständigen Professor A. überzeugt. Der Sachverständige erklärte zunächst, er könne bei Wahrunterstellung der Angaben der Beklagtenseite nicht erkennen, dass keine Patentverletzung vorliege. Denn sie präsentiere keine Alternative, wie der O.-Chip anders als patentgemäß funktionieren könne (S. 7 des Protokolls vom 08.11.2018 oben).</p>
<p><rd nr="247"/>Der Sachverständige räumte auf weitere Nachfrage der Beklagtenseite ein, er erkenne aus technischer Sicht keinen klagepatentgemäßen Offset, wenn er von der Richtigkeit der Figuren S. 22 der Quadruplik ausgehe. Die Figuren könne er mathematisch nachvollziehen, wenn er die Behauptungen der Beklagtenseite S. 21 der Quadruplik als wahr unterstelle, die Schwellwerte seien zwingend gleich weit beabstandet und unter einer festen Differenzspannung von 1,2 Volt eingestellt, außerdem verschiebe sich das Signal nicht (S. 7 des Protokolls vom 08.11.2018). Er unterstrich gleichzeitig, er könne den Ausführungen und Figuren der Beklagtenseite in der Quadruplik gleichwohl nicht entnehmen, ob oder ob nicht das Signal verschoben werde.</p>
<p><rd nr="248"/>Hernach hat die Beklagtenseite gerade nicht dargelegt, wie der O.-Chip funktionieren soll, ohne das Klagepatent zu verletzen. Nichts anderes folgt aus den Angaben des Sachverständigen S. 7 des Protokolls Mitte, wonach kein klagepatentgemäßer Offset bestehe, wenn der Sachverständige die vorzitierten beklagtenseits herangezogenen Bedingungen unterstelle. Denn maßgeblich für die Frage eines Offsets ist gerade die Signaländerung. Wenn technisch unterstellt wird, dass das Signal nicht verschoben wird, gibt es denklogisch keinen Offset. Der Vorhalt der Beklagtenseite, auf den der Sachverständige S. 7 Mitte des Protokolls vom 8.11.2018 reagierte, ließ mithin letztlich keinen Schluss auf die Schlüssigkeit des (schriftsätzlichen) Beklagtenvorbringens zu. Im Übrigen hat die Beklagtenseite auch dann nicht dargestellt, wie die angegriffene Ausführungsform insgesamt funktioniert, das heißt welche abweichende Architektur bewirkt, dass eine Hysterese entsteht, und wie gleichzeitig die beklagtenseits in Bezug genommenen Energiesparfunktionen (Klageerwiderung Teil I S. 51) verwirklicht werden können.</p>
<p><rd nr="249"/>Nach alledem war auch dieses Beklagtenvorbringen nicht schlüssig.</p>
<p><rd nr="250"/>Gleiches gilt für das Vorbringen der Beklagtenseite, die Klägerin betrachte Schaltkreise zusammen, die wegen zweier Modi der angegriffenen Ausführungsform nicht zusammen betrachtet werden dürften: hardwaremäßig würden hier mittels einer Art Wechselschalter verschiedene Funktionen zu- und abgeschaltet (S. 23/24 Duplik). Die Beklagtenseite hat auch hier nicht vorgebracht, wie die angegriffene Ausführungsform denn stattdessen funktionieren soll.</p>
<p><rd nr="251"/>Soweit die Beklagtenseite zu diesem Punkt ergänzend unter Bezugnahme auf die Privatgutachten I. und P. vortrug, war ihr Vortrag nach § 296a ZPO zurückzuweisen, wie oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="252"/>(fff) Wollte man das Vorbringen der Beklagtenseite in der Quadruplik - wie nicht - als schlüssig ansehen, wäre es erstmals substantiierter Vortrag, als solcher verspätet und daher nicht mehr zu berücksichtigen, § 296 Abs. 2 ZPO.</p>
<p><rd nr="253"/>Nach <verweis.norm>§ 296 Abs. 2 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> können Angriffs- und Verteidigungsmittel zurückgewiesen werden, wenn sie entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht.</p>
<p><rd nr="254"/>Angriffs- und Verteidigungsmittel sind u.a. tatsächliches Vorbringen sowie Bestreiten (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 282 ZPO Rn. 2).</p>
<p><rd nr="255"/>Sie sind nicht rechtzeitig vorgebracht, wenn sie später vorgebracht werden, als es - abgestellt auf die jeweilige Prozesslage - einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht (Cepl/Voß-Schilling, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage 2018, <verweis.norm>§ 296 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 35).</p>
<p><rd nr="256"/>Eine Verzögerung tritt ein, wenn der Prozessablauf durch die Zulassung des verspäteten Vorbringens kausal und erheblich verlängert würde (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 296 ZPO Rn. 11, 12).</p>
<p><rd nr="257"/>Grobe Nachlässigkeit liegt vor bei Verletzung der prozessualen Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße, wenn Partei oder Prozessbevollmächtigte das außer Acht lassen, was jedem, der einen Prozess führt, hätte einleuchten müssen (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 296 ZPO Rn. 27 mwN).</p>
<p><rd nr="258"/>Hiernach wäre das Vorbringen der Beklagtenseite in der Quadruplik wegen Verspätung zurückzuweisen und daher nicht mehr entscheidungserheblich.</p>
<p><rd nr="259"/>Das Vorbringen in der Quadruplik stellt ein Verteidigungsmittel iSd § 296 Abs. 2 ZPO dar.</p>
<p><rd nr="260"/>Den Tatsachenvortrag erbrachte die Beklagtenseite entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig. Er hätte schon in der Duplik als Erwiderung auf die Replik erfolgen müssen. Denn in der Replik hatte die Klägerin die hier fraglichen Punkte erstmals angebracht.</p>
<p><rd nr="261"/>Die Klägerin hat schon in der Klage vorgebracht, der DAC könne einen klagepatentgemäßen Offset bereitstellen. In der Replik hat sie insbesondere unterstrichen, diesen Vortrag habe die Beklagte nicht wirksam bestritten, und des Weiteren die Abbildungen S. 16, 62 Replik dargetan, in denen u.a. eine gelbe Feedbacklinie dargestellt ist, die Informationen über die Batteriespannung an den DAC zurückgebe. Deren Existenz bestritt die Beklagtenseite zwar in der Duplik und erwiderte, der DAC gehöre, soweit ersichtlich, zu einer Komponente „ICOR“, die nur der Signal-Glättung dienen solle. Dieses Vorbringen war nach oben Gesagtem indes unschlüssig. Erstmals in der Quadruplik brachte die Beklagtenseite vor, die Komponente könne nur Wechselstrom liefern und schon deswegen keinen klagepatentgemäßen Offset bereitstellen (S. 18/19 Quadruplik). Das Glättungssignal würde außerdem nicht nur dem „abgefühlten Hüllkurvenstrom“ sondern auch dem Hüllkurvenstrom selbst hinzugefügt. Schließlich werde es - entgegen der Annahme der Klägerin - nicht in Abhängigkeit von der Batteriespannung erzeugt (S. 19 Quadruplik mit Abbildung). Die gelbe Feedbacklinie führe auch weder zu einem DAC, noch transportiere sie Informationen über eine Batteriespannung (S. 20 Quadruplik, Zeuge A., SVG).</p>
<p><rd nr="262"/>Dieses Vorbringen in der Quadruplik führt - ohne dass es durch weiteren Vortrag der Klägerin veranlasst gewesen wäre - über den Vortrag in der Duplik hinaus. Ein rechtzeitiges Vorbringen hätte insbesondere vorausgesetzt, dass die Klägerin hierauf gegebenenfalls noch schriftsätzlich im Rahmen der für sie geltenden nächsten Schriftsatzfrist (Triplik) hätte erwidern können. Insbesondere mit Blick auf die avisierte Sachverständigenbegutachtung hätte es einer prozessfördernden Verfahrensführung entsprochen, den fraglichen Vortrag in der Duplik zu erbringen.</p>
<p><rd nr="263"/>Durch die Berücksichtigung des Vortrags würde eine kausale Verzögerung eintreten. Unbeachtlich war dabei, dass Herr A. als Zeuge angeboten war: er war als präsenter Zeuge im Termin am 8.11.2018 anwesend und hätte ohne Verzögerung gehört werden können. Indes wäre die Klägerin erstmals durch den (als solchen unterstellten) substantiierten Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik veranlasst gewesen, die im Discovery-Verfahren erlangten Schaltpläne vorzulegen. Deren Sichtung hätte nicht im Termin erfolgen können, sondern hätte nach Angabe des Sachverständigen mindestens 100 Arbeitsstunden erfordert. Das Gericht hätte mithin vertagen und nach entsprechender Sichtung die mündliche Verhandlung fortsetzen müssen. Der nächste freie Termin der Kammer für eine Verhandlung hiesiger zeitlicher Dimensionen liegt Mitte 2019. Der Verkündungstermin konnte hingegen schon auf Dezember 2018 anberaumt werden. Durch die Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagtenseite wäre mithin eine Verzögerung eingetreten.</p>
<p><rd nr="264"/>Die Beklagtenseite handelte dabei auch grob nachlässig. Denn es leuchtet jedem Prozessbeteiligten sofort ein, dass substantiierte Behauptungen des Gegners über die Funktionsweise einer angegriffenen Ausführungsform substantiiert bestritten werden müssen, und dass Geheimhaltungsinteressen zwischen einer Partei und einem Dritten nicht zu Lasten des Prozessgegners führen können. Unbeachtlich ist dabei das Vorbringen der Beklagtenseite, eine etwaige Verzögerung sei der Klägerin zuzurechnen, weil sie sich verpflichtet hätte, die Schaltpläne vorzulegen. Eine derartige Verpflichtung hat die Klägerin im Termin am 08.02.2018 nicht erklärt. Insbesondere haben die Parteien keinen Zwischenvergleich geschlossen mit dem Inhalt, dass die Klägerin die Schaltpläne vorlegen werde. Die Klägerin hat schon in der Replik unterstrichen, dass es auf die Schaltpläne nach dem derzeitigen Vortragsstand nicht ankomme, und dies in der Triplik nur noch verschärft. Mithin hatte die Beklagtenseite schon nach der Replik Anlass, vertieft vorzutragen und sich nicht auf die Vorlage der Schaltpläne zu verlassen, somit im Rahmen der Duplik. Das Gericht hatte im Übrigen ohne Vorlage der Schaltpläne einen Sachverständigen beauftragt, und die Beweisaufnahme gerade nicht von der Vorlage der Schaltpläne abhängig gemacht. Auch dies gab der Beklagtenseite Anlass, unabhängig von der Vorlage der Schaltpläne substantiiert vorzutragen.</p>
<p><rd nr="265"/>Gleiches gilt mit Blick auf den erweiterten Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik zu den Komparatoren. Zwar hat die Klägerin ihren Vortrag zu den Komparatoren in der Triplik ergänzt und durch Vorlage eines Privatgutachtens unterfüttert. Sie hatte indes die wesentlichen Aspekte bereits in der Replik im Rahmen der Erläuterung der Wirkweise des Offset vorgetragen („Dasselbe wäre natürlich auch einfach dadurch möglich, dass die Referenzgrößen M1 und M2 verändert würden (also die Referenzspannungen, mit denen die „sense voltage 124“ verglichen wird). Man ändert so die Bewertung dieses abgefühlten Signals, indem man die Skala (das Fenster mit Ml und M2) verschiebt; somit erreicht dasselbe Signal die Punkte bereits bei geringeren oder höheren Werten der tatsächlich abgefühlten Spannung.“ (S. 45 Replik)).</p>
<p><rd nr="266"/>Der neue Vortrag in der Quadruplik ist mithin wegen § 296 Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen, wollte man ihn als substantiiert ansehen.</p>
<p><rd nr="267"/>(dd) Ein anderes ergibt sich nicht aus den nachterminlich beweiswürdigend unterstrichenen Aspekten.</p>
<p><rd nr="268"/>Entgegen der beweiswürdigenden Darlegung der Beklagtenseite, der Sachverständige habe ihre Behauptung bestätigt, wonach ein Offset in der angegriffene Ausführungsform weder erforderlich noch vorhanden sei, sieht das Gericht diesen Vortrag nicht bestätigt (zu Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 147), siehe schon oben unter (c)(bb)(bbb).</p>
<p><rd nr="269"/>(ee) Auch die Verwendung des Kondensators in der angegriffenen Ausführungsform belegt nicht deren anderweitige Architektur, die gerade ohne Offset auskommen würde, wie oben dargelegt (zu S. 8 Schriftsatz vom 10.12.2018, S. 10 Schriftsatz 12.12.2018).</p>
<p><rd nr="270"/>Wollte man das Vorbringen der Beklagtenseite - wie nicht - als schlüssig ansehen, wäre es jedenfalls verspätet, § 296 Abs. 2 ZPO, § 296 a ZPO, siehe oben.</p>
<p><rd nr="271"/>Nach alledem ist Merkmal 1.2.1 verwirklicht.</p>
<p><rd nr="272"/>d. M 1.4.1 verwirklicht Die angegriffene Ausführungsform macht auch von Merkmal 1.4.1 (“wherein the envelope amplifier selectively operates based on the first supply voltage or the boosted supply voltage“) des Klagepatents Gebrauch.</p>
<p>(1) Auslegung</p>
<p><rd nr="273"/>„selectively operates based on“ in diesem Sinne ist dahingehend zu verstehen, dass auch die Verwendung des ersten Versorgungsstroms oder des geboosteten Versorgungsstroms nach einer Nachjustierung klagepatentgemäß ist. „selectively“ ist als wahlweise zu verstehen, ohne dass es eines Umschaltens bedürfte.</p>
<p><rd nr="274"/>(a) Die Klägerin bringt zu der Auslegung dieses Merkmals vor:</p>
<p><rd nr="275"/>Besondere Bedeutung erlange der Boost Converter, wenn die Spannung der Batterie abnehme (zB von 3,2 auf 2,5 Volt). In diesem Fall reiche diese Spannung für den Hüllkurvenverstärker unter Umständen nicht mehr aus, um hohe Amplituden des Hüllkurvensignals akkurat zu verarbeiten. Der Einsatz des Boost Converters führe dazu, dass bei Bedarf eine erhöhte Spannung (zB 3,2 Volt) für den Hüllkurvenverstärker zur Verfügung steht, wie [0033] erläutere. Der Einsatz des Boost Converter trage dazu bei, dass der Envelope Tracker auch bei einer abnehmenden Batteriespannung zum Einsatz kommen könne (S. 49/50 Replik mit Figur). Die Spannung für den Hüllkurvenverstärker werde bei sinkender Batteriespannung (zB 2,5 V) vom Boost Converter bereitgestellt, wodurch sich eine erhöhte Spannung ergebe, zB 3,2 V. Während die Batteriespannung allein nicht in der Lage wäre, den Hüllkurvenverstärker bei bestimmten Spitzen des Hüllkurvensignals mit einer ausreichenden Spannung zu versorgen, sei dies mittels der erhöhten Spannung wieder möglich. Dadurch würden Verzerrungen im verstärkten Signal vermieden. Wie eine geboostete Spannung erzeugt werde (nämlich mit dem Kondensator 618), sei dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen; das Klagepatent zeige das beispielhaft anhand Fig 6.</p>
<p><rd nr="276"/>Die Funktion des Merkmals liege darin, dass der Hüllkurvenverstärker zur Effizienzsteigerung nur dann auf der Basis einer erhöhten, geboosteten Spannung (Vboost) arbeite, wenn dies infolge eines großen Ausschlags der Hüllkurve des RF-Signals erforderlich sei. Im Übrigen arbeite er basierend auf der Spannung der Batterie (Vbat), siehe [0028]. Der selektive Boost trage damit zur Effizienzsteigerung bei, vgl [0044] (nicht beansprucht) und [0045] (beansprucht). Nur wenn die Batteriespannung hernach unterhalb eines bestimmten Grenzwerts liege komme Vboost zum Einsatz. Wenn Vbat über dem Grenzwert liege, bleibe es bei der Batteriespannung Vbat. Entscheidend sei mithin die selektive Verwendung einer geboosteten Spannung für die Versorgung des Hüllkurvenverstärkers. Nicht entscheidend sei, ob die erste Versorgungsspannung, wie sie am Boost Converter anliegt, genau identisch mit der Versorgungsspannung sei, wie sie vom Hüllkurvenverstärker zu jedem Zeitpunkt als Alternative zur geboosteten Spannung verwendet werde. Dem Fachmann sei nämlich zum Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen, dass die Versorgungsspannung zu hoch sein könnte, und sie durch einen Abwärtswandler auf einen niedrigeren Wert eingestellt werden müsste. Eine solche Maßnahme lasse das Klagepatent offen. Ein solcher Abwärtswandler (step down converter oder buck converter) werde zB auch für das Herabsetzen der Spannung des in Fig 2b des Klagepatents dargestellten Average Power Tracker verwendet (S. 52 Replik, S. 10 Triplik). Der Anspruchswortlaut lasse auch offen, ob die geboostete Spannung wiederum auf einen Zielwert reguliert werde (S. 8/9 Replik).</p>
<p><rd nr="277"/>Diese Auslegung werde auch durch den Anspruchswortlaut gestützt: „Basierend auf“ belege, dass nicht die identische erste Eingangsspannung oder die geboostete Spannung mit demselben Wert auch am Hüllkurvenverstärker anliegen müsse, sondern auch etwa eine weiter auf einen Zielwert angepasste („regulierte“) Spannung anliegen könne (S. 53 Replik).</p>
<p><rd nr="278"/>(b) Die Beklagte macht geltend:</p>
<p><rd nr="279"/>Das Merkmal erfordere die Möglichkeit eines bedarfsweisen Umschaltens zwischen der ersten Versorgungsspannung und der von dieser abgeleiteten Spannung, wie sich schon im Umkehrschluss aus der nicht beanspruchten Beschreibungsstelle [0044] ergebe (S. 23 Duplik, S. 14 Quadruplik, SVG). In der Quadruplik (S. 13) unterstrich sie, der Hüllkurvenverstärker erhalte patentgemäß selektiv die erste Versorgungsspannung als solche, oder die erhöhte Versorgungsspannung als solche, und könne auf dieser Grundlage arbeiten. Es heiße in Merkmal 1.4.1 gerade nicht, dass der Hüllkurvenverstärker mit einer Spannung arbeite, die ihrerseits auf der ersten oder auf der erhöhten Versorgungsspannung basiere. Die erhöhte Versorgungsspannung werde aus der ersten Versorgungsspannung gewonnen (M1.3); die erste Versorgungsspannung bleibe als solche aber erhalten. Dabei sei irrelevant, dass der buck converter zum Prioritätszeitpunkt schon bekannt gewesen sei: dann hätte die Klägerin ihn schließlich in den Anspruch aufnehmen können; mangels Aufnahme sei davon auszugehen, dass die Klägerin dies nicht gemeint habe. Die Beklagtenseite unterstrich, die Überlegungen des Privatgutachters der Klägerin bewegten sich eher im Bereich äquivalenzrechtlicher Überlegungen (S. 14 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="280"/>(c) Wertung Bei gebotener funktionaler Auslegung des Merkmals ergibt sich ein Verständnis im Sinne der klägerischen Lesart.</p>
<p><rd nr="281"/>Funktionell ist entscheidend, dass der envelope tracker je nach Energiebedarf und Batteriespannung mit der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten Spannung arbeitet. Eine Einschränkung dahingehend, dass genau die erste Versorgungsspannung oder genau die geboostete Spannung - ohne Zwischenschaltung einer Nachregulierung - verwendet werden muss, lässt sich dem Klagepatent weder im Anspruchswortlaut noch in der Beschreibung entnehmen. Zwar spricht Merkmal 1.4.1 von “the first supply voltage” und “the boosted supply voltage”. Die Verwendung des bestimmten Artikels ist indes nur Folge der allgemein üblichen Technik, nur bei erster Verwendung eines Begriffs den unbestimmten Artikel „a“ zu verwenden, ansonsten „the“.</p>
<p><rd nr="282"/>Zur Erläuterung des fachmännischen Verständnisses hat der Sachverständige dem Gericht dargelegt, dass es zwar möglich, aber technisch unvernünftig sei, eine Spannung erst durch einen boost zu erhöhen, und sie sodann wieder herunter zu regulieren. Eine Nachjustierung einer geboosteten Spannung indes sei operativ sinnvoll, da das Schaltmoment technisch sehr kritisch sei und die Gefahr bestehe, das System gegebenenfalls nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen.</p>
<p><rd nr="283"/>„selectively“ ist nicht so zu verstehen, dass es eines Umschaltens bedürfte, vielmehr ist es als wahlweise zu verstehen: Der Hüllkurvenverstärker arbeitet je nach Bedarf entweder mit der ersten Versorgungsspannung oder mit der geboosteten Spannung. Ein anderes folgt im Umkehrschluss weder aus der (unstreitig) nicht beanspruchten Beschreibungsstelle [0044]. Auch aus [0045] ergibt es sich nicht. Zwar ist in [0045] die Rede von einem Switch, indes wird in [0045] nur ein Ausführungsbeispiel gegeben, das die Auslegung des Patentanspruchs grundsätzlich nicht einschränkt.</p>
<p><rd nr="284"/>(2) Nutzung M 1.4.1 Merkmal 1.4.1 wird nach obiger Auslegung von der angegriffenen Ausführungsform auch benutzt.</p>
<p><rd nr="285"/>(a) Die Klägerin meint: Soweit die Beklagte bestreite, dass der Hüllkurvenverstärker selektiv auf der Basis einer geboosteten Spannung oder einer Versorgungsspannung arbeiten würde, unter Verweis darauf, dass stets nur eine „regulierte“ Spannung vorliege, liege das nur an der divergierenden Auslegung (S. 8/9 Replik).</p>
<p><rd nr="286"/>In der Klage unterstrich die Klägerin, der Hüllkurvenverstärker arbeite mit der als „VDD3I2“ bezeichneten Ausgabe des Boostwandlers (Figur 3.6). Bei dieser könne es sich wahlweise um die geboostete Spannung oder die erste Spannung im Sinne des Anspruchs handeln. Dies ergebe sich aus den Figuren 3.2, 3.2.9 und 3.4.6 der Anlage K 3.</p>
<p><rd nr="287"/>Der Boostwandler umfasse einen Schaltblock mit Schaltern, deren Eingänge an VDD_EX gebunden seien. Diese Schalter könnten so konfiguriert werden, dass der Wandler wahlweise entweder die nicht-geboostete erste Versorgungsspannung (VDD2_EX) oder die geboostete Spannung als seine Ausgabespannung (VDD3) ausgeben könne (S. 33/34 Klageschrift).</p>
<p><rd nr="288"/>In der Replik betonte die Klägerin, die Beklagte „verschleiere“ mit dem Begriff der regulierten Spannung die Tatsachen. Sie habe nicht bestritten, dass der Hüllkurvenverstärker mit einer Spannung betrieben werden könne und müsse, die über der Batteriespannung liege, sofern die Batteriespannung unter einen bestimmten Wert gesunken sei. Liege die Spannung über einem bestimmten Wert, werde in der angegriffenen Ausführungsform keine geboostete Versorgungsspannung verwendet - der Hüllkurvenverstärker operiere „basierend auf der ersten Batteriespannung“. Unerheblich sei, ob noch weitere Maßnahmen zu Regelung der Batteriespannung oder der geboosteten Spannung vorgesehen seien (S. 9, 63 Replik, S. 33 ff. Triplik, Privatgutachten K 23 S. 18 ff.). Dass die Batteriespannung und die geboostete Spannung noch reguliert würden, ändere daran nichts, weil nach zutreffender Auslegung der Hüllkurvenverstärker gleichwohl selektiv auf Basis der geboosteten Spannung oder der ersten Versorgungsspannung arbeite (S. 63 Replik). Die Klägerin unterstrich, selbst wenn man ein Umschalten zwischen zwei verschiedenen spezifischen Spannungswerten fordern wollte, wäre ein solches in der angegriffenen Ausführungsform gegeben (S. 37/38 Triplik, Privatgutachten K 23 S. 21/24).</p>
<p><rd nr="289"/>(b) Die Beklagte macht geltend:</p>
<p><rd nr="290"/>Der Hüllkurvenverstärker der angegriffene Ausführungsform arbeite immer nur mit der Ausgangsspannung des „Boostwandlers“, nicht selektiv aufgrund zweier verschiedener Spannungen (S. 9 Klageerwiderung Teil I, S. 25 Duplik). Die Ausgangsspannung am Buck Boost Converter werde den jeweiligen Anforderungen entsprechend aus der Batteriespannung erzeugt (S. 36/37 Duplik, SVG). Die von der Klägerin ins Auge gefasste Konfiguration gebe es nicht, diese sei vielmehr zulieferseitig ausgeschlossen. Die klägerseitig erwähnten Schalter könnten das Eingangssignal auch nicht zum Ausgang „durchschalten“, so dass die unveränderte erste Versorgungsspannung ausgegeben würde (S. 9 Klageerwiderung II, SVG). Es werde insbesondere nicht zwischen zwei Spannungen hin- und hergeschaltet (S. 37 Duplik). In der Quadruplik präzisierte die Beklagtenseite, die von der Klägerin in Bezug genommene blaue Box schalte nicht zwischen Buck und Boost, sondern enthalte Schaltkreise, die beides nutzten, um eine konstante, programmierte Ausgansspannung unabhängig von der Batteriespannung zur Verfügung zu stellen. Die grünen Boxen seien nicht Buck Converter, sondern Steuerungsschaltkreise (S. 30 Quadruplik). Daher sei ausgeschlossen, dass zwischen erster und erhöhter Versorgungsspannung selektiv geschaltet werde (S. 33 Quadruplik, SVG, Zeuge I. A.).</p>
<p>(c) Wertung </p>
<p><rd nr="291"/>Hiernach ist Merkmal 1.4.1 verwirklicht.</p>
<p><rd nr="292"/>(aa) Unbeachtlich ist zunächst die Einlassung der Beklagtenseite, in der angegriffenen Ausführungsform sei die klägerseits ins Auge gefasste Konfiguration zulieferseitig ausgeschlossen. Wegen der zuvor dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH Rangierkatze) kommt es hierauf nicht an. Vielmehr belegt die Behauptung der Beklagtenseite eine Verletzung.</p>
<p><rd nr="293"/>(bb) Ebenso ist irrelevant die Behauptung der Beklagtenseite, die erste oder geboostete Spannung würden ihrerseits vor Verwendung reguliert, so dass der Hüllkurvenverstärker nicht basierend auf diesen Spannungen arbeiten würde. Das Merkmal fordert nur, dass der Hüllkurvenverstärker die erste oder die geboostete Spannung nutzt, unabhängig davon, ob eine Regulierungsmaßnahme zwischengeschaltet ist.</p>
<p><rd nr="294"/>(cc) Das Vorbringen der Beklagtenseite in der Duplik, die Ausgangsspannung am Buck Boost Converter werde den jeweiligen Anforderungen entsprechend aus der Batteriespannung erzeugt (S. 36/37 Duplik, SVG), hilft nicht aus der Verletzung heraus. Soweit hierin ein Bestreiten der klägerischen Behauptung liegen soll, wonach die angegriffene Ausführungsform bei einem Absinken unter eine bestimmte Batteriespannung mit einer geboosteten Spannung arbeiten müsse, ist dieses Bestreiten nach obigen Maßstäben nicht substantiiert. Die Klägerin hat substantiiert vorgebracht, warum die angegriffene Ausführungsform auf eine geboostete Spannung zurückgreifen müsse. Der bloße Vortrag, die Ausgangsspannung werde (allein) aus der Batteriespannung erzeugt, genügt nicht für ein substantiiertes Bestreiten, weil er über ein bloßes Negieren der klägerseitigen Behauptung nicht hinausgeht.</p>
<p><rd nr="295"/>(dd) Auch der Vortrag in der Quadruplik führt nicht schlüssig aus einer Verletzung heraus. Die Beklagtenseite behauptet zwar auch hier, die Ausgangsspannung sei unabhängig von der Batteriespannung, legt indes nicht dar, wie die angegriffene Ausführungsform dann bei sinkender Batteriespannung stattdessen funktioniert. Daher ist davon auszugehen, dass die angegriffene Ausführungsform schon das enge Verständnis der Beklagtenseite von „selectively operates“ verwirklicht.</p>
<p><rd nr="296"/>Hinzu kommt: Bei dem oben dargelegten weiten Verständnis des Begriffs „selectively operates based on (…)“ vermittelt auch eine (konstante) Ausgangsspannung, die indes auf buck und boost beruht, und die sodann dem Hüllkurvenverstärker zur Verfügung gestellt wird, eine merkmalsgemäße erste oder geboostete Spannung.</p>
<p><rd nr="297"/>(ee) Auch der Sachverständige, dem das Gericht aus o.g. Gründen folgt, hat dem Gericht vermittelt, dass der Vortrag der Beklagtenseite nicht schlüssig ist.</p>
<p>e. M 1.5 verwirklicht </p>
<p><rd nr="298"/>Auch Merkmal 1.5, dessen Verwirklichung die Beklagtenseite erst mit - nicht nachgelassenem - Schriftsatz vom 10.12.2018 angriff (S. 10), ist erfüllt.</p>
<p><rd nr="299"/>(1) Die Auslegung dieses Merkmals ergibt, dass sich der Gesamtversorgungsstrom Ipa aus dem ersten Versorgungsstrom von dem Schaltelement und dem zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker zusammensetzt. Gesamtversorgungsstrom bezieht sich dabei nicht nur auf den Gleichstrom. Sprachlich lässt sich eine solche Beschränkung nicht begründen. Sie macht auch technisch keinen Sinn. Denn unstreitig liefert der Hüllkurvenverstärker Wechselstrom. Ein Gesamtversorgungsstrom, der auch den Strom des Hüllkurvenverstärkers umfasst, kann daher nicht nur Gleichstrom bedeuten.</p>
<p>(2) Nutzung Merkmal 1.5</p>
<p><rd nr="300"/>Das Merkmal ist in der angegriffenen Ausführungsform erfüllt. Das behandelte die Beklagtenseite in der Duplik (dort S. 30) explizit als unstreitig.</p>
<p><rd nr="301"/>Auch die im Schriftsatz vom 10.12.2018 dargelegten Umstände sind nicht geeignet, aus der Verletzung herauszuführen: Die Beklagtenseite behauptet zwar, die angegriffenen Ausführungsformen würden keinen Gesamtversorgungsstrom, bestehend aus den zwei Versorgungsströmen von dem Hüllkurvenverstärker und dem Schaltelement, bilden. Zum Beleg dieser Tatsache trägt sie indes vor, dass der Gleichstromanteil des Schaltelements stets 100% betragen würde. Das bedeutet indes keine Nichtverletzung. Denn gleichwohl liefert der Hüllkurvenverstärker - für sich gesehen unstreitig - den Wechselstromanteil zu dem Gesamtversorgungsstrom zu. Die Behauptung der Beklagtenseite, die angegriffene Ausführungsform verletze das Merkmal 1.5 nicht, ist mithin letztlich auf die (geänderte) Auslegung des Merkmals zurückzuführen, der die Kammer nicht folgt.</p>
<p><rd nr="302"/>Wollte man den Vortrag der Beklagtenseite anders verstehen, würde er neue Tatsachen enthalten, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurden und daher nach § 296a ZPO unbeachtlich sind und keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung geboten, § 156 ZPO.</p>
<p><rd nr="303"/>f. Auf die Unteransprüche kam es nach der Umformulierung der Anträge durch die Klägerin im Termin am 8.11.2018 (S. 3 Protokoll vom 8.11.2018) nicht mehr an.</p>
<p><rd nr="304"/>4. Die Beklagtenseite ist passivlegitimiert. Die Beklagte entwickelt, vertreibt und stellt unstreitig u.a. mobile Computer und Kommunikationsgeräte her, und bietet in Deutschland unstreitig die angegriffene Ausführungsform an, unter anderem auf der Website des deutschen P. Online Stores.</p>
<p><rd nr="305"/>III. Lizenzeinwand greift nicht durch Die Beklagtenseite hat nicht dargelegt und bewiesen, für die fraglichen Nutzungshandlungen lizenziert zu sein.</p>
<p><rd nr="306"/>1. Jede Partei muss grundsätzlich die für sie positiven Umstände darlegen und beweisen. Darlegungs- und beweisbelastet für den Lizenzeinwand ist daher die Partei, die sich auf eine bestehende Lizenz beruft (Kühnen, 10. Auflage, E. 187 zum Lizenzeinwand, Rn. 562 zum Erschöpfungseinwand; BGH GRUR 2004, 268, 269 - Blasenfrei Gummibahn II mwN). Eine sekundäre Darlegungslast der gegnerischen Partei, d.h. eine Darbietung von Informationen zur Erleichterung der Beweisführung, kann nur in Betracht kommen, wenn ihre Darlegung für die darlegungsbelastete Partei mit erhöhten Schwierigkeiten verbunden ist, während sie für den Gegner ohne Weiteres möglich und zumutbar ist (BGH GRUR 2004, 268, 269 - Blasenfrei Gummibahn II). Das setzt voraus, dass bereits Anhaltspunkte für die darzulegende Tatsache vorgetragen werden (zB Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 284 ZPO Rn. 34 mwN). Aus der sekundären Darlegungslast ergibt sich keine Verpflichtung, Urkunden vorzulegen - hierfür gelten <verweis.norm>§§ 421 ff. <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>, § 142 ZPO (BGH NJW 2007, 2989 Rn. 16).</p>
<p><rd nr="307"/>Geschäftsgeheimnisse müssen nicht offenbart werden (BGH GRUR 2012, 626, 628, Rn. 27, 28 - Converse I; auf patentrechtliche Fragestellungen übertragbar).</p>
<p><rd nr="308"/>2. Hiernach greift keine sekundäre Darlegungslast der Klägerin für das Vorbringen der Beklagtenseite, sie sei durch eine Lizenz ihrer CMs geschützt.</p>
<p><rd nr="309"/>Wegen der grundsätzlich ihr obliegenden Darlegungslast traf zunächst die Beklagtenseite die Verpflichtung, die Frage einer Lizenzierung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln aufzuklären. Es war ihr ohne Weiteres zuzumuten, bei ihren CMs nachzufragen, ob eine Lizenzierung auch mit Blick auf das hiesige Klagepatent bestehe. Zwar trägt sie vor, sie habe dies getan, allerdings hätten ihr die CMs Auskünfte wegen Geheimhaltungsverpflichtungen verschwiegen (S. 7/10 Quadruplik Teil III). Indes fanden die Anfragen bei den CMs nach dem Vortrag der Beklagtenseite 2016 in Vorbereitung auf Lizenzvereinbarungen statt, nicht mit Blick auf das hiesige Verfahren. Dass die Beklagtenseite nach Klageerhebung bei den CMs um Informationen nachgesucht hat, um eine Verteidigungslinie aufzubauen, hat sie nicht vorgebracht.</p>
<p><rd nr="310"/>Die Kammer ist sich des Umstands bewusst, dass insbesondere Streitverkündungen gegenüber Geschäftspartnern nicht leichtfertig ausgesprochen werden. Prozessuale Zurückhaltung aus geschäftlichen Gründen zu üben steht jeder Partei frei. Indes kann eine - auch geschäftlich notwendige - prozessuale Entscheidung gegen eine Streitverkündung nicht zu der Annahme einer sekundären Darlegungslast zu Lasten der Klägerin führen. Vielmehr bewirkt die Nichtausschöpfung möglicher Aufklärungsquellen, dass es bei der Darlegungslast der Beklagtenseite bleibt.</p>
<p><rd nr="311"/>Ebenso erkennt das Gericht nicht, dass die Weigerung der Klägerin, Informationen im US-Discovery-Verfahren preiszugeben, eine sekundäre Darlegungslast entstehen lässt. Wie oben dargelegt, wirken deutsche Gerichte nicht im Rahmen der Rechtshilfe an US-Discovery-Verfahren mit. Das Gericht kann daher nicht - über die „Hintertür“ der sekundären Darlegungslast - einer Partei faktisch auferlegen, an dem US-Discovery-Verfahren mitzuwirken.</p>
<p><rd nr="312"/>3. Ihrer Darlegungs- und Beweislast ist die Beklagtenseite nicht nachgekommen. Die Klägerin hat eine Lizenzierung mit Blick auf das Klagepatent substantiiert bestritten. Die Beklagtenseite hat nicht belegt, dass (seit wann?) das Klagepatent an die fraglichen CMs lizenziert ist.</p>
<p><rd nr="313"/>Das Gericht musste auch nicht der Klägerin auferlegen, die (Original-) Lizenzverträge vorzulegen. Eine solche Pflicht ergibt sich weder aus <verweis.norm>§§ 421 ff. <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>, noch aus § 142 ZPO.</p>
<p><rd nr="314"/>Eine Anordnung nach § 421 ZPO setzt nach § 422 ZPO eine bürgerlich-rechtliche Vorlagepflicht voraus. Dazu hat die Beklagtenseite nichts vorgetragen, eine solche Verpflichtung ist auch sonst nicht ersichtlich. Sie hat einen Vorlagegrund nicht glaubhaft gemacht, § 424 Nr. 5 S. 2 ZPO. Insbesondere bestand hier kein Vorlageanspruch aus § 423 ZPO, weil die Klägerin nur auf den Inhalt der Verträge, nicht auf die Verträge als Urkunde Bezug genommen hatte (hierzu Thomas/Putzo-Reichold, § 423 ZPO Rn. 1; MüKoZPO/Schreiber ZPO § 423 Rn. 1).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>…</p>
<p>Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="315"/>4. Aus den gleichen Gründen war keine Anordnung nach § 142 ZPO geboten: Die Beklagtenseite hat die Beweiseignung der Urkunde, die für eine Anordnung nach § 142 ZPO indes Voraussetzung ist, selbst in Abrede gestellt.</p>
<p><rd nr="316"/>Wollte man entgegen 2. eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin annehmen, wäre sie dieser jedenfalls nachgekommen. Denn sie hat vorgetragen, dass das Klagepatent nicht den capture periods der einschlägigen Lizenzverträge unterfällt, und Verhandlungen über die Einbeziehung des Klagepatents wegen des Streits über die (Nicht-) Zahlung von Lizenzgebühren nicht stattgefunden hätten. Näher, nämlich unter Angabe der capture period, musste sie nicht vortragen, weil ihr die Auskunft über Geschäftsgeheimnisse (um solche handelt es sich bei dem Umfang von Lizenzverträgen zwischen der Klägerin und den CMs) nicht zumutbar war.</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>5.… </p>
<p>Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="317"/>6. Auf die Nichtzahlung der Lizenzgebühren kam es nicht an, wie die Beklagtenseite zu Recht unterstreicht. Nach dem Verständnis der Kammer argumentiert die Klägerin insoweit indes nicht mit einer Beendigung der Lizenzverträge ex nunc, sondern legt mit ihrem Vortrag dar, warum es nicht zu einer vertraglichen Einbeziehung der Klagepatente in die Lizenzverträge mit den CMs kam.</p>
<p><rd nr="318"/>7. Irrelevant ist der Vortrag, die Beklagtenseite sei stets lizenzwillig gewesen. Da das Klagepatent unstreitig kein standaressentielles Patent ist, war die Klägerin nicht verpflichtet, die Beklagtenseite direkt zu lizenzieren. So sieht es auch die beklagtenseits zitierte ITC (S. 194 von FBD 35, vorletzter Absatz).</p>
<p><rd nr="319"/>8. Ein anderes folgt schließlich nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin der Beklagtenseite suggeriert habe, sie sei über die CMs für das gesamte Portfolio lizenziert.</p>
<p><rd nr="320"/>Zwar kann eine solche Mitteilung grundsätzlich einen Vertrauenstatbestand schaffen, der eine spätere Rechtsverfolgung wegen § 242 BGB unzulässig machen würde (venire contra factum proprium). Dass die Klägerin einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, was sie bestreitet, hat die Beklagtenseite indes nicht belegt. Der Inhalt der beklagtenseits in Bezug genommenen Mitteilungen der Klägerin ist nicht streitig, indes folgt hieraus nicht, dass die Beklagtenseite auf eine Durchlizenzierung vertrauen durfte:</p>
<p><rd nr="321"/>Das folgt nicht aus FBD 29. Insbesondere durfte sich die Beklagtenseite nicht wegen einer E-Mail aus 2005 darauf verlassen, dass zwingend auch ein 2017 erteiltes Patent dem Lizenzportfolio aller CMs unterfalle.</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… </p>
<p>Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="322"/>Dem vorgetragenen mündlichen Vorbringen vom 18.08.2017 kann das Gericht nicht entnehmen, dass die Klägerin sich hier auf alle erdenklichen Patente bezog. Hinzu kommt, dass die Klägerin am 18.08.2017 jedenfalls keinen Vertrauenstatbestand für das hier streitgegenständliche Verhalten schaffen konnte, weil die hiesige Klage schon am 17.07.2017 erhoben worden ist.</p>
<p><rd nr="323"/>Der Vortrag der Klägerin vor dem Southern District Court of California kann ebenfalls keinen Vertrauenstatbestand geschaffen haben, weil die Klägerin hier nicht davon spricht, dass alle nicht-standardessentiellen Patente Teil der Lizenzvereinbarungen seien („certain patents“, „many other patents“). Dass Lizenznehmer bestimmte Rechte an dem globalen Patentportfolio der Klägerin erlangten, durfte die Beklagtenseite gleichwohl nicht dahingehend verstehen, dass die CMs automatisch Lizenzen an allen Rechten, auch neu erteilten Patenten, erhielten.</p>
<p><rd nr="324"/>9. Gleiches gilt mit Blick auf die beklagtenseits (in anderem Kontext) vorgetragene forbearance-Politik der Klägerin. Diese bezieht sich auf standardessentielle Patente, worum es sich bei hiesigem Klagepatent gerade nicht handelt. Mithin schuf die Klägerin hier keinen Vertrauenstatbestand, sie werde die Beklagtenseite wegen der Verletzung des Klagepatents nicht verfolgen.</p>
<p><rd nr="325"/>10. Nach alledem hatte die Beklagtenseite die Darlegungs- und Beweislast für eine Lizenzierung, sie hat eine solche aber nicht belegt. Daher greifen weder Lizenz- noch Erschöpfungseinwand durch.</p>
<p>IV. Ansprüche der Klägerin</p>
<p><rd nr="326"/>Wegen der vorgenannten Verletzungshandlung stehen der Klägerin folgende Ansprüche zu:</p>
<p>1. Unterlassung</p>
<p><rd nr="327"/>Die Klägerin hat Anspruch auf Unterlassung, <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> iVm § 139 Abs. 1 PatG.</p>
<p><rd nr="328"/>a. Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform besteht Wiederholungsgefahr. Sie wird durch die festgestellten rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert. Es besteht die Besorgnis künftiger Rechtsverletzungen.</p>
<p><rd nr="329"/>b. Der Anspruch ist nicht unverhältnismäßig wegen Verstoßes gegen das Kartellrecht. Wie oben im Rahmen der Zulässigkeit der Klage dargelegt, greift der Kartellrechtseinwand der Beklagten nicht durch.</p>
<p><rd nr="330"/>c. Ebenso wenig steht <verweis.norm>Art. 3 Abs. 2 der <v.abk ersatz="Richtlinie 2004/48/EG">Richtlinie 2004/48/EG</v.abk></verweis.norm> zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums („Durchsetzungsrichtlinie“) dem Ausspruch des Unterlassungsgebots entgegen. Das Unterlassungsgebot ist nach oben Gesagtem nicht unverhältnismäßig.</p>
<p><rd nr="331"/>d. Es besteht auch kein Anlass, der Beklagtenseite eine Aufbrauchfrist einzuräumen.</p>
<p><rd nr="332"/>(1) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Aufbrauchfrist in Patentverletzungsverfahren nur als Ausnahmefall zu gewähren. Denn der Unterlassungsanspruch ist der zentrale Anspruch um das Patent als Ausschließlichkeitsrecht durchzusetzen. Eine Aufbrauchfrist kann daher nur in Betracht kommen, wenn die wirtschaftlichen Folgen eines mit sofortiger Wirkung bestehenden Unterlassungsgebots den Verletzer im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände über das gewöhnliche Maß hinaus derart treffen und benachteiligen würden, dass die unbedingte Untersagung unzumutbar erscheinen lässt (BGH GRUR 2016, 1031, 1036 - Wärmetauscher).</p>
<p><rd nr="333"/>(2) Die Beklagtenseite stützt sich auf den Umstand, dass die Klägerin ihr suggeriert habe, sie nehme an dem Schutz der ihren Zulieferern erteilten Lizenzen teil (S. 64/65 Klageerwiderung II). Des Weiteren macht sie geltend, es handele sich bei dem Chip um ein funktionswesentliches komplexes Bauteil, das nicht leicht ersetzt werden könne, und wobei erhebliche Marktbarrieren auf dem Zulieferermarkt bestünden. Der Chip sei wertmäßig untergeordnet. Die Klägerin sei schließlich durch Schadensersatzansprüche hinreichend gesichert (S. 45/46 Duplik, S. 53 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="334"/>Sie benannte einen Zeitraum von bis zu 36 Monaten als erforderlich für eine Umstellung (S. 29/30 Duplik).</p>
<p><rd nr="335"/>(3) Wie unter III.8. dargelegt, kann sich die Beklagtenseite nicht mit Erfolg deswegen auf eine Einrede aus § 242 BGB stützen (venire contra factum proprium), weil die Klägerin ihr suggeriert habe, sie sei durch Lizenzen ihrer Zulieferer geschützt.</p>
<p><rd nr="336"/>Auch die mit der Duplik vorgebrachten Einwände verfangen nicht. Die Beklagtenseite bringt Umstände vor, die bei Patentverletzungsverfahren üblich sind. Gleichwohl ist es nicht ausreichend, die Klägerin auf einen Schadensersatzanspruch zu verweisen, weil der Unterlassungsanspruch das zentrale Verteidigungsmittel eines Ausschließlichkeitsrechts ist. Der Verweis auf einen Schadensersatzanspruch käme einer Zwangslizenzierung im Ergebnis gleich, was mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit gerade nicht vereinbar ist. Das gilt insbesondere mit Blick auf den beklagtenseits in Anspruch genommenen Zeitraum von bis zu 36 Monaten für eine Umstellung.</p>
<p>2. Auskunft- und Rechnungslegung</p>
<p><rd nr="337"/>Die geltend gemachten Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung bestehen ebenfalls. Der Anspruch auf Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> iVm § 140 b Abs. 1 PatG. Der Umfang der Auskunftspflicht folgt aus <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 140 b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, <verweis.norm>§§ 242, 259 <v.abk ersatz="BGB">BGB</v.abk></verweis.norm>. Hierdurch soll die Klägerin in die Lage versetzt werden, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihr abverlangten Ansprüche auch nicht unzumutbar belastet. Der Anspruch bezieht sich auf Gegenstände, die seit dem 09.09.2017 in Verkehr gelangt sind. Dabei hat die Klägerin bereits eine einmonatige Karenzzeit ab Erteilung des Patents (am 09.08.2017, K 5) eingerechnet.</p>
<p>3. Rückruf- und Vernichtungsanspruch</p>
<p><rd nr="338"/>Der Rückrufanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist gemäß <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 140 a Abs. 3 PatG im tenorierten Umfang gegeben. Insbesondere liegt keine Unverhältnismäßigkeit iSd § 140 a Abs. 4 PatG vor.</p>
<p><rd nr="339"/>a. Darlegungs- und beweisbelastet für die Unverhältnismäßigkeit ist die Beklagtenseite. § 140a Abs. 4 PatG erfordert eine Einzelfallprüfung und ist als Ausnahmetatbestand restriktiv zu handhaben (Benkard PatG/Grabinski/Zülch, PatG § 140a Rn. 8, 8a mwN; BGH GRUR 1997, 899, 901 - Vernichtungsanspruch). In die Abwägung einzustellen sind etwa Grad und Schwere des Verschuldens, Abänderungsmöglichkeiten, sowie generalpräventive Gesichtspunkte.</p>
<p><rd nr="340"/>b. Die Beklagtenseite bringt vor, die Klägerin sei keine Wettbewerberin der Beklagten, so dass das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an dem Rückruf und der Vernichtung der angegriffenen Produkte „marginal“ sei. Eine Schadensersatzzahlung würde ihrem Interesse vollumfänglich gerecht. Zudem sei das Interesse der Klägerin lediglich auf eine untergeordnete Funktionalität eines untergeordneten Teilbereichs der P.s beschränkt. Die Beklagtenseite hingegen habe ein sehr hohes wirtschaftliches Interesse (allein für 2017/2018 gehe es um Geräte im Gesamtwert von mindestens 1,671 Mrd. €), des Weiteren sei bei ihr ein erheblicher Imageschaden zu befürchten (S. 65/66 Klageerwiderung Teil II).</p>
<p><rd nr="341"/>c. Hernach ist der Beklagtenseite zwar darin zuzustimmen, dass die Klägerin keine Wettbewerberin der Beklagtenseite ist. Gleichwohl kann das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Vernichtung der Produkte nicht, wie von der Beklagtenseite erfolgt, marginalisiert werden. Denn sie ist Wettbewerberin anderer Zulieferer der Beklagtenseite, wie diese an anderer Stelle unterstreicht, und daher auch an einem Rückruf der ihre Patente verletzenden Ausführungsformen interessiert.</p>
<p><rd nr="342"/>Dem hohen wirtschaftlichen Interesse der Beklagtenseite steht ein ebenfalls hohes wirtschaftliches Interesse der Klägerin an der Durchsetzung ihrer Patente entgegen. Des Weiteren wird dem hohen wirtschaftlichen Interesse durch die sehr hohe Sicherheitsleistung begegnet. Der Umstand, dass die Beklagtenseite einen Imageschaden befürchtet, kann eine Unverhältnismäßigkeit nicht begründen. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, einen Rückruf durch Vermeidung der Patentverletzung zu verhindern.</p>
<p><rd nr="343"/>4. Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach Der Klägerin steht auch ein Anspruch auf Schadensersatz zu, weil die Beklagte schuldhaft gehandelt hat, <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 139 Abs. 2 PatG. Die Beklagte hat die im Verkehr erforderlichen Informations- und Nachforschungspflichten jedenfalls fahrlässig verletzt. Die Beklagte hätte prüfen müssen, ob die angegriffene Ausführungsform im Einzelfall gegen die Klagepatente verstößt.</p>
<p><rd nr="344"/>V. Einwendungen oder Einreden bestehen nicht.</p>
<p><rd nr="345"/>Insbesondere ist der Anspruch auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung nach dem unter A.VI. Gesagten nicht wegen eines Verstoßes gegen das Kartellrecht unverhältnismäßig.</p>
<p><rd nr="346"/>Ebenso wenig besteht nach dem unter III.8. und IV.1. Gesagten eine Einrede aus § 242 BGB (venire contra factum proprium), weil die Klägerin der Beklagtenseite suggeriert hätte, sie nehme an dem Schutz der ihren Zulieferern erteilten Lizenzen teil.</p>
<p><rd nr="347"/>C. Keine Aussetzung wegen Einspruchsverfahrens</p>
<p><rd nr="348"/>Das Verfahren war nicht mit Blick auf das beklagtenseits eingeleitete Einspruchsverfahren auszusetzen, § 148 ZPO.</p>
<p>I. Aussetzungsmaßstab</p>
<p><rd nr="349"/>Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens stellt als solches keinen Grund, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang (siehe Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 106 mwN). Denn das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, noch zusätzlich praktisch aufgehoben. Daher kommt eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 107 mwN).</p>
<p><rd nr="350"/>Eine Aussetzung kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn neuheitsschädlicher Stand der Technik vorgelegt wird, der im Erteilungsverfahren nicht berücksichtigt wurde, und der der technischen Lehre des Klagepatents näher kommt als der berücksichtigte Stand der Technik (Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 111 mwN).</p>
<p><rd nr="351"/>Bei der Aussetzungsentscheidung sind durch das Verletzungsgericht lediglich diejenigen Umstände zu prüfen, welche von der Beklagtenseite in einer in sich geschlossenen, verständlichen und zusammenhängenden Darstellung schriftsätzlich vorbereitet vorgetragen worden sind. Allgemein reicht eine Bezugnahme auf Anlagen allenfalls dann aus, wenn diese Anlagen selbst den Anforderungen an schriftsätzliches Vorbringen im Zivilprozess genügen. Dies ist jedoch bei einem an das DPMA, das EPA oder das BPatG gerichteten Schriftsatz oftmals gerade nicht der Fall, weil sich die Parteien in einer Vielzahl von Fällen darauf verlassen, dass die dort statuierten Spruchkörper mit technisch sachverständigen Personen besetzt sind, die den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln und denen eventuell im Einzelfall sogar Stand der Technik bereits geläufig ist, ohne dass es hierzu näherer Erläuterungen bedarf. Hingegen sind im Patentverletzungsprozess wie in jedem Zivilprozess aufgrund des Vortragsgrundsatzes die tatsächlichen Umstände schriftsätzlich vorzutragen, aus welchen sich die begehrte Rechtsfolge ergibt. Eine Amtsermittlung findet nicht statt. Mündliche Ausführungen können den schriftsätzlichen Vortrag allenfalls in einzelnen Punkten ergänzen, vertiefen oder verdeutlichen. Bei dem Einwand fehlender Rechtsbeständigkeit eines Patents gehören hierzu auch Erläuterungen zu Gegenstand und Hintergrund der in den Entgegenhaltungen beschriebenen und offenbarten Erfindungen, sowie zu den Kenntnissen und der Herangehensweise des angesprochenen Fachmanns. Denn erst durch einen dahingehenden Sachvortrag wird eine mit ausschließlich juristisch qualifizierten Richtern besetzte Patentstreitkammer in die Lage versetzt, eine Aussage dazu zu treffen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich das Streitpatent vor dem Hintergrund der derart schriftsätzlich diskutierten Entgegenhaltungen als rechtsbeständig erweisen wird (ständige Rechtsprechung der Kammer, z.B. LG München I, Schlussurteil vom 24.07.2014 - Aktenzeichen 7 0 24814/13, BeckRS 2014, 16686).</p>
<p><rd nr="352"/>Eine Aussetzung wegen fehlender Erfindungshöhe ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, indes kommt sie nur in Betracht, wenn sich für die Zuerkennung keine vernünftigen Argumente finden lassen (Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 114 mwN). Der Vortrag der die Nichtigkeit einwendenden Partei muss die Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH GRUR 2018, 1128, 1130, Rn. 27 ff. - Gurtstraffer) zu der Darlegung fehlender Erfindungshöhe erfüllen.</p>
<p>II. Hiernach keine Aussetzung</p>
<p><rd nr="353"/>Hiernach besteht kein Anlass, das Verfahren auszusetzen. Denn aus dem Vorbringen der Beklagtenseite und den Entgegenhaltung Hou (HRM2a-c), K1 (HRAM3a/b) und K. (HRM 4a/b) ergibt sich keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich das Klagepatent nicht als rechtsbeständig erweisen wird.</p>
<p>1. Hou nicht neuheitsschädlich</p>
<p><rd nr="354"/>Die Entgegenhaltung Hou nimmt den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neuheitsschädlich vorweg.</p>
<p><rd nr="355"/>a. Unstreitig offenbart Hou nicht explizit einen Boostwandler. Die Beklagtenseite meint, Hou impliziere auch batteriebetriebene Geräte, bei denen es auf der Hand liege, erhöhte Spannungen mittels eines Boost- oder Aufwärtswandlers zu erzeugen (S. 17 Klageerwiderung II). Im Übrigen sei das Klagepatent nicht auf batteriebetriebene Geräte beschränkt, und die Entgegenhaltung Hou nicht auf Verwendung in einer Basisstation. Der Fachmann erkenne vielmehr, dass „Hou“ das Ziel verfolge, die vom Linearverstärker verbrauchte Leistung zu minimieren und den Gesamtwirkungsgrad der Tracking-Stromquelle zu erhöhen (S. 37 ff Duplik). Figur 5 der Entgegenhaltung zeige Batterien (was der Fachmann als Hinweis auf einen Boost-Converter verstehe, S. 41 ff. Duplik, S. 35 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="356"/>b. Die Klägerin unterstreicht, Hou adressiere nicht das Problem des Klagepatents, ein Envelope Tracking auch für mobile, batteriebetriebene Endgeräte bei sinkender Batteriespannung effizient nutzbar machen zu können. Daher fehle es - neben dem Offset - an einem klagepatentgemäßen Boostwandler (S. 65/66 Replik, S. 39 Triplik). Figur 5 der Entgegenhaltung Hou belege nur die grundsätzlich dem Klagepatent vergleichbare hybride Struktur. Die hybride Struktur sei aber nicht der Kern der klägerischen Erfindung (S. 66 Replik). Genauer: Die Hüllkurvenverfolgung mit hybrider Architektur sei im Stand der Technik in Basisstationen bekannt gewesen, die Übertragung auf mobile Endgeräte hingegen eine Neuheit. Nur hier trete das Problem der begrenzten Kapazität der Batterie als Spannungsquelle auf. Daher würde der Fachmann erwarten, dass Hou auf Besonderheiten mobiler Endgeräte eingehe, wenn diese adressiert wären. Das sei aber - anders als im Klagepatent ([0011], [0018], [0033]) - bei der Entgegenhaltung gerade nicht der Fall. Die von der Beklagtenseite zitierten Passagen stünden in keinem Zusammenhang mit der Spannungsversorgung des Linearverstärkers (S. 38/39 Triplik).</p>
<p><rd nr="357"/>Der Boostwandler lasse sich auch nicht mitlesen. Damit seien Merkmale 1.3 und 1.4.1 nicht erfüllt (S. 68 Replik, S. 40 Triplik). Die Batterien seien in Fig 5 nur exemplarisch dargestellt. Der Fachmann würde einen Boost Converter als solchen bezeichnen, wenn er einen darstellen wollte, wie die beklagtenseits vorgelegten Fachveröffentlichungen zeigten. Die Entgegenhaltung Hou befasse sich nicht mit dem Problem von Einschränkungen bei der Versorgungsquelle, ebenso wenig mit der Generierung der Versorgungsspannung (S. 40 Triplik).</p>
<p><rd nr="358"/>Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 29.11.2018 legte die Klägerin eine Mitteilung der Einspruchsabteilung vom 23.11.2018 (K 32) vor, die vorläufig der Meinung ist, dass das Klagepatent nicht zu widerrufen ist.</p>
<p><rd nr="359"/>c. Es könnte an der Verwirklichung von Merkmal 1.3 und 1.4.1 fehlen. Der Boost-Wandler wird durch die Entgegenhaltung Hou (unstreitig) nicht offenbart. Für die Kammer ergibt sich aus der Entgegenhaltung auch nicht unmittelbar und eindeutig, dass der Fachmann den Boost-Converter „mitliest“. Die Kammer vermag schon nicht zu beurteilen, ob der Fachmann mitliest, dass bei batteriebetriebenen Geräten automatisch ein Boostwandler zum Einsatz kommt. Jedenfalls ist der Kammer nicht ersichtlich, dass sich die Entgegenhaltung Hou auf batteriebetriebene Geräte bezieht. Der einzige Anhaltspunkt hierfür ist die Figur 5, in der Batterien dargestellt sind. Das bewirkt indes keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung eines Boostwandlers.</p>
<p><rd nr="360"/>Auf die Stellungnahme der Einspruchsabteilung des EPA (K 32) kam es nicht mehr an.</p>
<p><rd nr="361"/>Ebenso wenig war die Verwirklichung der anderen Merkmale noch relevant</p>
<p><rd nr="362"/>2. Erfindungshöhe fehlt nicht Die Beklagtenseite hat nicht dargelegt, dass es Anspruch 1 gegenüber einer Kombination von K. und K^^ an erfinderischer Tätigkeit fehlt.</p>
<p><rd nr="363"/>a. K1 offenbart unstreitig keine Umschaltbarkeit der Versorgungsspannung für den Hüllkurvenverstärker (S. 18/21 Klageerwiderung II). Die Beklagtenseite unterstreicht indes, K. offenbare einen solchen (S. 21/23 Klageerwiderung II). Zur Veranlassung trägt die Beklagtenseite vor, Umschalten der Versorgungsspannung und Vorsehen eines Offsets seien aggregative Maßnahmen, deren gemeinsame Wirkung nicht über die Summe der Einzelwirkungen hinausgingen, sie hätten keinen kombinatorischen Effekt. Daher sei der Gegenstand von Anspruch 1 für den Fachmann durch K1 und K. nahegelegt und beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit (S. 23 Klageerwiderung II).</p>
<p><rd nr="364"/>b. Die Klägerin unterstreicht, dass die Entgegenhaltung K1 auch Merkmal 1.2.1 nicht offenbare (S. 69/73 Replik). K. offenbare entgegen der Ansicht der Beklagtenseite keinen klagepatentgemäßen Boostwandler und habe auch keine mobilen Endgeräte im Blick (S. 73/79 Replik). Die Angaben der Beklagtenseite zu einer Kombination beider Entgegenhaltungen seien unsubstantiiert (S. 79 Replik).</p>
<p><rd nr="365"/>c. Nach den eingangs dargelegten Aussetzungsmaßstäben genügt der Vortrag der Beklagtenseite nicht, um eine Aussetzung wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit zu begründen. Insbesondere legt die Beklagtenseite nicht dar, wieso der Fachmann eine der beiden Lehren zum Ausgangspunkt genommen hätte, und wieso er Veranlassung gehabt hätte, beiden Lehren zu kombinieren. Das sieht die Beklagtenseite auch und hat zu der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ab der Duplik nicht mehr vorgetragen. Weitere Ausführungen hierzu sind nicht veranlasst.</p>
<p><rd nr="366"/>D. Keine Aussetzung wegen anderer Verfahren</p>
<p><rd nr="367"/>Das Verfahren war auch nicht mit Blick auf andere Verfahren (im Einzelnen sogleich) auszusetzen.</p>
<p><rd nr="368"/>I. Eine Aussetzung war nicht mit Blick auf das Verfahren vor dem UK High Court angezeigt.</p>
<p><rd nr="369"/>1. <verweis.norm>Art. 30 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm> gebot keine Aussetzung. Hiernach kann ein Gericht ein Verfahren aussetzen, wenn in einem anderen Mitgliedstaat ein im Zusammenhang stehendes Verfahren anhängig ist. Verfahren stehen nach <verweis.norm>Art. 30 Abs. 3 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm> in Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Bestehen wegen der mutmaßlichen Verletzung desselben Immaterialgüterrechts Verfahren vor verschiedenen Gerichten, kann eine Aussetzung in Betracht kommen (zB MüKoZPO/Gottwald Brüssel Ia-VO Art. 30 Rn. 2 mwN).</p>
<p><rd nr="370"/>Die Verfahren stehen hiernach in keinem Zusammenhang iSd <verweis.norm>Art. 30 Abs. 3 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm>. Denn das Verfahren vor dem UK High Court betrifft nicht das hiesige Klagepatent, sondern standardessentielle Patente. Auch wegen der kartellrechtlichen Vorfragen war eine Aussetzung nicht angezeigt, weil nichtessentielle und standardessentielle Patente kartellrechtlich anders zu beurteilen sind.</p>
<p><rd nr="371"/>2. Aus denselben Gründen war auch keine Aussetzung nach § 148 ZPO geboten.</p>
<p><rd nr="372"/>II. Auch mit Blick auf zwei anhängige Wettbewerbsverfahren gegen die Klägerin war eine Aussetzung nicht nach <verweis.norm>Art. 16 Abs. 1 S. 3 Abs. 1 <v.abk ersatz="VO 1/2003/EG (Wettbewerbsregeln-DVO">VO 1/2003/EG (Wettbewerbsregeln-DVO</v.abk></verweis.norm>) angezeigt. Denn wie oben dargelegt kann die hiesige Klage keinen Verstoß gegen <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> (vormals <verweis.norm>Art. 82 <v.abk ersatz="EGV">EGV</v.abk></verweis.norm>-Nizza) begründen.</p>
<p><rd nr="373"/>III. Ebenso wenig war die Einholung einer Stellungnahme oder Informationen der EU-Kommission nach <verweis.norm>Art.15 Abs. 1 <v.abk ersatz="VO 1/2003/EG (Wettbewerbsregeln-DVO">VO 1/2003/EG (Wettbewerbsregeln-DVO</v.abk></verweis.norm>) erforderlich. Denn das Gericht konnte, wie oben gezeigt, anhand der schon ergangenen Entscheidungen des EuGH über die kartellrechtlichen Fragen entscheiden.</p>
<p><rd nr="374"/>IV. Auch ein Vorabentscheidungsersuchen kommt aus vorgenannten Gründen nicht in Betracht. Hinzu kommt, dass das erkennende Gericht zu der Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens nicht verpflichtet ist, weil es nicht letztinstanzlich entscheidet, <verweis.norm>Art. 267 Abs. 3 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>.</p>
<p><rd nr="375"/>E. Kein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung, § 156 ZPO Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung war nicht nach § 156 ZPO geboten.</p>
<p><rd nr="376"/>I. Kein Wiederaufnahmegrund nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Es liegt kein Wiederaufnahmegrund nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vor. Die Beklagtenseite ist nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.</p>
<p><rd nr="377"/>1. Kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör durch Nichtgewährung einer Schriftsatzfrist</p>
<p>a. Vorbringen der Klägerin</p>
<p><rd nr="378"/>Die Beklagtenseite bringt vor, ihr rechtliches Gehör sei verletzt, weil ihr - entgegen höchstrichterlicher Rechtsprechung (unter Bezugnahme auf BGH NJW 2009, 2604; NJW 2018, 2723) - keine Schriftsatzfrist zur Stellungnahme auf die Anhörung des Sachverständigen eingeräumt worden ist. Es habe sich hier offensichtlich um schwierige technische Sachfragen gehandelt - genau darum habe das Gericht schließlich einen Sachverständigen geladen und auch in der Verfügung vom 25.10.2018 deutlich gemacht, dass die Fragen komplex seien. Auch der Sachverständige habe das Vorbringen der Beklagtenseite nicht „leicht“ verstanden. Die Beklagtenseite selbst sei schließlich nicht sachkundig, sondern sei auf Unterstützung ihres Zulieferers O. angewiesen. Der als präsenter Zeuge anwesende Herr I. A. habe aber wegen einer möglichen Vernehmung nicht an der Sitzung teilgenommen, weil das Gericht auch auf Frage hin nicht mitgeteilt habe, dass der Zeuge nicht mehr gehört werde, und er daher zu der Sachverständigenanhörung nicht hinzugezogen worden sei. Die Beklagtenseite sei gerade nicht privatgutachterlich beraten gewesen, daher sei der Fall anders gelagert als BGH Xa ZR 130/07. Vor diesem Hintergrund hätte das Gericht der Beklagtenseite zwingend eine Schriftsatzfrist einräumen müssen; die Möglichkeit einer mündlichen Stellungnahme im Termin sei nicht ausreichend gewesen. Vorsichtshalber habe die Beklagtenseite die Stellungnahme des Sachverständigen gleichwohl mit nicht nachgelassenem Schriftsatz gewürdigt. Eine privatgutachterliche Stellungnahme sei der Beklagtenseite auch nur im Rahmen einer Schriftsatzfrist möglich, etwaige weitere Äußerungen werde sie gegebenenfalls nachreichen. Auf Basis eines Gegenprivatgutachtens der Beklagtenseite könnte der Sachverständige seine Angaben gegebenenfalls revidieren oder präzisieren. Auch dies sei ein Grund, warum ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung geboten sei.</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="379"/>Die mündliche Gutachtenserstattung ist durch die ZPO ausdrücklich vorgesehen, § 402, § 395 ZPO. Die Anordnung einer schriftlichen Begutachtung steht im Ermessen des Gerichts, § 411 ZPO. Die ZPO sieht grundsätzlich eine Erörterung einer Beweisaufnahme noch im Termin vor, um einerseits zu gewährleisten, dass die Parteien sich zu allen entscheidungserheblichen Punkten äußern konnten, andererseits eine Diskussion noch unter dem Eindruck der Beweisaufnahme zu ermöglichen. Daher ist grundsätzlich keine Gewährung einer Schriftsatzfrist erforderlich (BGH NJW 2018, 2723, 2724 Rn. 25 mwN).</p>
<p><rd nr="380"/>Eine vorläufige Beweiswürdigung des Gerichts nach Beweisaufnahme ist grundsätzlich nicht Voraussetzung für eine Erörterung (BGH NJW 2016, 3100, 3103 a.A. Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, <verweis.norm>§ 279 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 5), da Beweiswürdigung Rechtsausführung ist.</p>
<p><rd nr="381"/>Die Würdigung einer Anhörung eines Sachverständigen ist nach Auffassung der 7. Zivilkammer grundsätzlich Beweiswürdigung und damit stets zulässige Rechtsausführung. Im Anschluss an eine Sachverständigenanhörung muss eine Stellungnahmemöglichkeit nur gewährt werden, wenn der Partei eine sofortige Stellungnahme nicht abverlangt werden kann, weil sie Zeit braucht, um in Kenntnis der Sitzungsniederschrift angemessen vorzutragen (BGH NW 2018, 2723, 2724 Rn. 26). Das kann bei nur mündlich erstatteten Gutachten der Fall sein, wenn die technischen Fragen komplex waren, um der Partei gegebenenfalls die Möglichkeit zu geben, sich sachverständig beraten zu lassen und auf dieser Grundlage zu dem Beweisergebnis Stellung zu nehmen (BGH NJW 2009, 2604, 2605, Rn. 8 mwN). Ebenso ist eine Stellungnahmefrist erforderlich, wenn ein Sachverständiger zu komplexen Fragen mündlich ausführlich angehört wird, ohne dass er vorher ein schriftliches Gutachten erstattet hat (BGH NJW 2018, 2723, 2724 Rn. 26 mwN).</p>
<p><rd nr="382"/>Eine Partei muss bei nicht gewährter Schriftsatzfrist alle Möglichkeiten der Gehörsverschaffung ausnutzen, insbesondere wenn das Gericht zu erkennen gegeben hat, es werde sich mit jeglichem Vorbringen, sei es nachgelassen oder nicht, auseinandersetzen (BGH NJW 2018, 2723, 2725/6 Rn. 36 ff.).</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="383"/>Nach Vorgesagtem liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.</p>
<p><rd nr="384"/>Die Fragestellungen, zu denen der Sachverständige Stellung nahm, waren nicht komplex. Der Sachverständige war aufgefordert, das Gericht bei der Bewertung des Parteivortrags zu unterstützen. Insbesondere sollte er dazu Stellung nehmen, ob der Vortrag der Beklagtenseite aus technischer Sicht plausibel belege, dass die Beklagtenseite das Klagepatent nicht verletze. Er bewertete damit nur Parteivortrag. Wenngleich der Sachverständige aus technischer Sicht Stellung nahm, war dies eine Plausibilitätsprüfung. Er konfrontierte Parteien und Gericht nicht mit einer von ihm technisch durchgeführten Überprüfung, die neuen Sachvortrag der Parteien erforderlich machen konnte. Die technischen Fragen, mit denen er sich befasste, sind dabei aus Sicht des Gerichts zwar komplex. Aus Sicht der Beklagtenseite sind sie es indes nicht, denn es handelt sich um ihren eigenen technischen Vortrag. Es ging in dem Termin nicht etwa um die sachverständigenseits ermittelte konkrete Ausgestaltung des O.-Chips, sondern nur um den Vortrag der Parteien, insbesondere der Beklagtenseite, zu dessen Ausgestaltung.</p>
<p><rd nr="385"/>Unbeachtlich ist dabei, dass der Sachverständige an einer Stelle seine Meinung änderte. Das ist kein Beleg für die technische Komplexität. Vielmehr hatte er den kompliziert vorgetragenen Beklagtenvortrag erst durch die Erläuterung in der mündlichen Verhandlung verstehen können und dann auch die entsprechende Frage beantwortet.</p>
<p><rd nr="386"/>Ebenso wenig ist relevant, dass die Beklagtenseite, auch wenn sein nach außen als Herstellerin der angegriffenen Mobiltelefone auftritt, nach eigenem Vortrag nicht über hinreichende technische Sachkunde verfügt. Es war ihr unbenommen, einen Privatgutachter hinzuzuziehen und zum Termin mitzubringen, wie die Klägerin dies unternommen hat. Unabhängig hiervon war die Beklagtenseite im Termin durch 5 Patentanwälte und 8 technisch versierte Rechtsanwälte von zwei renommierten Kanzleien vertreten. Die Beklagtenseite kannte nach eigenem Vortrag (S. 3 des Protokolls vom 08.02.2011) die Schaltpläne des O.-Chips seit geraumer Zeit.</p>
<p><rd nr="387"/>Die Beklagtenseite hätte auch den als präsenten Zeugen angebotenen Herrn A. zu der Sachverständigenanhörung hinzuziehen dürfen. Die Kammer hat ihn selbst nicht als Zeugen geladen oder einen dahingehenden Beweisbeschluss erlassen. Der präsente Herr A. war demnach als Teil der im Sitzungssaal anwesenden Öffentlich zu werten. Herr A. hatte den Sitzungssaal auf freiwilliger Basis verlassen (S. 3 Protokoll vom 8.11.2018). Unabhängig hiervon schließt die ZPO die Anwesenheit eines Zeugen bei einer Anhörung eines Sachverständigen nicht aus, arg e contr e <verweis.norm>§ 394 Abs. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>, wobei § 394 Abs. 1 ZPO für Sachverständige gerade nicht gilt (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 394 ZPO Rn. 1). Die Entscheidung über die Anwesenheit des Herrn A. während der Sachverständigenanhörung lag daher im alleinigen Ermessen des Herrn A..</p>
<p><rd nr="388"/>Das Gericht hatte insbesondere bereits mit Verfügung vom 26.10.2018 darauf aufmerksam gemacht, dass eine etwaige Vernehmung des Herrn A. als präsenten Zeugen von den Angaben des Sachverständigen abhängen könnte, so dass es vor Abschluss der Sachverständigenanhörung nicht darauf hinweisen konnte, dass eine derartige Einvernahme nicht in Betracht kommt. Nach Ende der Sachverständigenanhörung hatte der Vorsitzende in einer Verhandlungspause auf Frage eines der Beklagtenvertreter mitgeteilt, dass eine Einvernahme des Herrn A. als Zeuge nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus hätte die Beklagtenseite jederzeit Unterbrechung beantragen können, um gegebenenfalls technische Aspekte mit dem präsenten Herrn A. zu klären und um dann dem Sachverständigen Vorhalte machen können. Das Gericht hat Anträgen der Beklagten auf Unterbrechungen, wie im Protokoll vom 08.11.2018 dokumentiert, bei entsprechender Begründung entsprochen.</p>
<p><rd nr="389"/>Ebenso wenig ist relevant, dass das Gericht seine vorläufige Beweiswürdigung nicht mitteilte. Das war nach vorzitierter höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht erforderlich (zu S. 3 Schriftsatz vom 13.12.2018). Im Übrigen hat die Kammer deutlich gemacht, dem Sachverständigen voraussichtlich folgen zu wollen, und nach seinen Angaben im Ergebnis eher von einer Verletzung auszugehen. Anderenfalls wäre insbesondere keine Diskussion des Rechtsbestands und des Lizenzeinwands erforderlich gewesen.</p>
<p><rd nr="390"/>Hinzu kommt, dass die Nichtgewährung einer Schriftsatzfrist hier jedenfalls nicht das rechtliche Gehör verletzte, weil das Gericht deutlich machte, jeden weiteren Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und die Erforderlichkeit des Wiedereintritts in die mündliche Verhandlung zu prüfen (S. 21 des Protokolls vom 8.11.2018: „Die Kammer verspricht, etwaige Anträge auf Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung zu prüfen.“). Dass die Kammer diese Selbstverpflichtung wahrnimmt, hat sie durch dieses Urteil belegt. Daher hatte die Beklagtenseite Gelegenheit und Anlass, unabhängig von der Gewährung einer Schriftsatzfrist den Vortrag zu erbringen, den sie im Rahmen einer Schriftsatzfrist erbracht hätte.</p>
<p><rd nr="391"/>Die Beklagtenseite ist dem auch mit den nachterminlichen Schriftsätzen, insbesondere dem Schriftsatz vom 22.11.2018 und dem Schriftsatz vom 10.12.2018, mit dem sie zwei Privatgutachten vorlegte, nachgekommen. Auch auf dieser Basis war indes kein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung angezeigt, wie im Folgenden darzustellen sein wird. 2. Zu Unrecht übergangene Beweismittel (Zeugen A., O., Schaltpläne)</p>
<p>a. Vorbringen der Beklagtenseite</p>
<p><rd nr="392"/>Die Beklagtenseite sieht ihr rechtliches Gehör des Weiteren dadurch verletzt, dass die Kammer die Herren A. und O. nicht als präsente Zeugen gehört und die Schaltpläne aus dem Discovery-Verfahren nicht eingeführt hat.</p>
<p><rd nr="393"/>Die Beklagtenseite meint, das Gericht habe die Bereithaltung der Herren A. und O. als präsente Zeugen in der Verfügung vom 25.10.2018 gefordert, um in der Verhandlung sodann ohne Begründung hiervon abzuweichen. Von der Vorlage der Schaltpläne habe das Gericht nur mit Blick auf die Zeit (100 bis 160 Sachverständigenstunden zur Sichtung) Abstand genommen.</p>
<p><rd nr="394"/>Die Beklagtenseite unterstreicht, rechtlich sei das Übergehen eines entscheidungserheblichen Beweisangebotes eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das gelte auch, wenn die Anforderungen an die Darlegungslast überspannt würden (S. 13 Schriftsatz vom 22.11.2018 unter Bezugnahme auf BGH VI ZR 565/15 Rn. 6). Die Kammer habe den Vortrag der Beklagtenseite aus der Quadruplik nicht übergehen dürfen, weil er nicht verspätet gewesen sei (S. 14/25 Schriftsatz vom 22.11.2018).</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="395"/>Entscheidungserhebliche, rechtzeitig (isd <verweis.norm>§§ 282, 296 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>) angebotene Beweise müssen erhoben werden. Die Anforderungen an die Darlegungslast stellt die Beklagtenseite unter Bezug auf BGH VI ZR 565/15 richtig dar.</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="396"/>Gleichwohl liegt hier keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Die nicht erhobenen Beweise sind nicht entscheidungserheblich.</p>
<p><rd nr="397"/>(1) Nicht entscheidungserheblich waren die Zeugenangebote O. und A..</p>
<p><rd nr="398"/>(a) Die Herren A. und O. wurden erstmals in der Quadruplik als Zeugen benannt. Herr A. ist - neben einem Sachverständigengutachten - als Beweis für den gesamten technischen Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik als Zeuge angeboten worden. Herr O. ist nur zum Beweis der Tatsache als Zeuge angeboten, dass eine Umprogrammierung des Chips durch die Beklagtenseite oder ihre Abnehmer ausgeschlossen sei (S. 29 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="399"/>(b) Dem Zeugenangebot O. durfte das Gericht nach oben genanntem Maßstab nicht nachgehen, weil seine Angaben aus Rechtsgründen nicht entscheidungserheblich waren. Soweit er zum Beweis von Tatsachen als Zeuge angeboten war, kann das Gericht diese behaupteten Tatsachen aus Rechtsgründen als wahr unterstellen, ohne dass sich am Ergebnis etwas ändern würde. Im Übrigen handelte sich bei den „Tatsachen“, zu deren Beweis er angeboten war, um Sachverständigenfragen.</p>
<p><rd nr="400"/>(aa) Die Beklagtenseite hat hier vorgebracht: „Um eine solche Firmware zu erstellen, bedarf es neben der Programmierkenntnisse und insbesondere dem streng geheimen Sourcecode der vorhandenen Firmware für den zweiten Chip (im Falle der angegriffenen Ausführungsform eines Chips des Zulieferers N.) auch der Kenntnis eines 120 Seiten starken „Programming Guide“ für den Chip O. 81003M. Dieser ist ebenfalls streng geheim und beispielsweise den Abnehmern der Beklagten nicht zugänglich. Eine wie auch immer geartete Änderung der Programmierung kann im Übrigen ausschließlich durch den Zulieferer N. vorgenommen werden, da die Firmware selbst der Beklagten nur in binärer, nicht lesbarer Form zur Verfügung gestellt wird. Eine nicht programmierte Benutzung durch die Beklagte oder ihre Abnehmer ist daher insgesamt ausgeschlossen.“</p>
<p><rd nr="401"/>(bb) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt eine Patentverletzung schon dann vor, wenn die Merkmale der angegriffenen Ausführungsform objektiv geeignet sind, die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen zu erreichen. Unerheblich ist, ob die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen regelmäßig, nur in Ausnahmefällen oder zufällig erreicht werden und ob es der Verletzer darauf absieht, diese Wirkung zu erzielen. Deshalb liegt eine Patentverletzung auch vor, wenn eine Vorrichtung regelmäßig so bedient wird, dass die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen nicht erzielt werden. Die Patentverletzung entfällt in diesem Fall selbst dann nicht, wenn der Hersteller oder Lieferant seinen Abnehmern ausdrücklich eine andere Verwendung seiner Vorrichtung empfiehlt, solange die Nutzung der patentgemäßen Lehre möglich bleibt (BGH GRUR 2006, 399, 401 Rn. 21 - Rangierkatze mwN).</p>
<p><rd nr="402"/>Eine Patentverletzung kann auch angenommen werden, wenn eine angegriffene Ausführungsform im Auslieferungszustand nicht von sämtlichen Merkmalen der im Patent unter Schutz gestellten technischen Lehre Gebrauch macht, der Abnehmer aber selbstverständlich und mit Sicherheit eine für den Erfindungsgedanken nebensächliche Veränderung an der Vorrichtung vornehmen wird, die zur Verwirklichung sämtlicher Merkmale des Patentanspruchs führt. Die hinreichende Sicherheit wurde abgelehnt für den Aufruf eines Algorithmusses, der in der Firmware zwar vorhanden war, für eine bestimmungsgemäße Nutzung der angegriffene Ausführungsform aber nicht erforderlich war, und zumindest rudimentäre Kenntnisse der Informatik voraussetzte und nicht dargelegt war, dass die Abnehmer von dem Hersteller Anleitungen oder Software erhalten würden, um durch den Funktionsaufruf eine patentgemäße Vorrichtung herzustellen (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2016, 97, 101/102 - Primäre Verschlüsselungslogik mwN).</p>
<p><rd nr="403"/>(cc) Hiernach war Herr O. nicht als Zeugen zu hören.</p>
<p><rd nr="404"/>(aaa) Er war nicht zu der Behauptung zu hören, „[e]ine wie auch immer geartete Änderung der Programmierung kann im Übrigen ausschließlich durch den Zulieferer N. vorgenommen werden, da die Firmware selbst der Beklagten nur in binärer, nicht lesbarer Form zur Verfügung gestellt wird. Eine nicht programmierte Benutzung durch die Beklagte oder ihre Abnehmer ist daher insgesamt ausgeschlossen.“ Hierbei handelte es sich nicht um Zeugensondern um Sachverständigenfragen. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob eine Änderung der Programmierung unter den genannten Voraussetzungen nur durch N. vorgenommen werden könne, ist keine menschliche Wahrnehmung, zu der ein Zeuge befragt werden kann. Vielmehr geht es um die Frage des technisch Möglichen, die als Sachverständigenfrage zu qualifizieren ist. Der Zeuge könnte nur angeben, ob nach seiner Kenntnis andere Unternehmen neben N. zu einer Änderung der Programmierung in der Lage sind. Verneinte er dies, bedeutete dies indes nicht, dass die technische Möglichkeit nicht bestünde.</p>
<p><rd nr="405"/>Das Gericht hat diese Frage daher folgerichtig mit dem Sachverständigen besprochen.</p>
<p><rd nr="406"/>(bbb) Auch zu den übrigen Behauptungen war Herr O. nicht zu hören. Das Gericht kann als wahr unterstellen, dass für die Erstellung von Firmware Programmierkenntnisse, der geheime Sourcecode der vorhandenen Firmware für den zweiten Chip und die Kenntnis eines geheimen, den Abnehmern der Beklagtenseite nicht zugänglichen Programming Guides für den O.-Chip erforderlich sind. Aus Rechtsgründen kommt es auf diese Fragen aber nach dem unter (1) und (2)(a) gesagten nicht an. Denn eine Patentverletzung ist schon dann gegeben, wenn eine angegriffene Ausführungsform so genutzt werden kann, dass sie die Merkmale des Klagepatents verwirklicht. Genau das ist aber hier der Fall, wie schon oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="407"/>(ccc) Auch Herrn A. durfte das Gericht nicht als Zeugen hören. Denn die Behauptungen, zu deren Beweis er angeboten war, führten schon nicht aus einer Verletzung heraus und waren daher nicht schlüssig und nicht entscheidungsrelevant. Des Weiteren waren sie verspätet und daher nach § 296 ZPO nicht beachtlich, damit ebenfalls nicht entscheidungsrelevant. Auf dieser Basis durfte das Gericht wegen des Verbots der Ausforschung den angebotenen Zeugenbeweis nicht erheben.</p>
<p><rd nr="408"/>Die Behauptungen der Beklagtenseite, zu denen die Zeugeneinvernahme des Herrn A. angeboten war, führten nicht aus einer Verletzung des Klagepatents heraus. Sie waren daher nicht schlüssig, wie schon oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="409"/>Nach alledem war das Beklagtenvorbringen auch in der Quadruplik nicht schlüssig und damit nicht entscheidungsrelevant. Daher durften die Herren A. und O. nicht gehört werden. Das Gericht hatte schon in der Verfügung vom 25.10.2018 unterstrichen, dass sie nur zu hören sein könnten, wenn es auf die Tatsachen, deren Richtigkeit sie bestätigen sollen, noch ankäme (S. 2 der Verfügung).</p>
<p><rd nr="410"/>Wollte man das Vorbringen der Beklagtenseite in der Quadruplik als schlüssig ansehen, wäre es erstmals substantiierter Vortrag, als solcher verspätet und daher nicht mehr zu berücksichtigen, § 296 Abs. 2 ZPO, wie oben dargelegt. Auch zu verspätetem Vorbringen ist ein angebotener Zeuge nicht zu hören. Dabei ist unbeachtlich, dass die Herren A. und O. als präsente Zeugen mitgebracht waren und sofort hätten gehört werden können. Die Klägerin hätte sich indes, wollte man den Vortrag - wie nicht - als schlüssig ansehen, (erstmals) veranlasst gesehen, die Schaltpläne vorzulegen, die im Rahmen des Termins nicht hätten gesichtet werden können, s.o. Vielmehr hätte es eines neuen Termins bedurft. Daher war das Vorbringen der Beklagtenseite in der Quadruplik - ungeachtet der Präsenz der Zeugen - als unsubstantiiert, hilfsweise als verspätet, zurückzuweisen.</p>
<p><rd nr="411"/>(2) Das Gericht musste auch nicht die Schaltpläne „einführen“. Die Einführung von Unterlagen obliegt den Parteien. Das Gericht hatte der Klägerseite anheimgestellt, die Schaltpläne vorzulegen. Die Klägerin hatte dies für den Fall eines Hinweises des Gerichts dahingehend, dass es den Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik nicht als verspätet ansehe, ins Auge gefasst (S. 8 des Protokolls vom 8.11.2018). Die Beklagtenseite hat mit Blick auf die Schaltpläne keinen Antrag nach § 142 ZPO gestellt, so dass das Gericht der Klägerin die Vorlage auch nicht aufgeben musste. Im Übrigen fehlte nach oben Gesagtem die Beweiserheblichkeit.</p>
<p><rd nr="412"/>Das Gericht musste die Vorlage der Schaltpläne auch nicht im Vorfeld des Termins anordnen, um der Annahme der Präklusionsregelung des § 296 Abs. 2 ZPO entgegenzuwirken und die Verspätung der Beklagtenseite „aufzufangen“. Wegen der von dem Sachverständigen ins Auge gefassten zeitlichen Dimension der Sichtung der Schaltpläne wäre eine solche vor dem Termin schlicht nicht mehr möglich gewesen.</p>
<p><rd nr="413"/>Nach alledem musste das Gericht weder die Herren O. und A. als Zeugen hören, noch Schaltpläne vorlegen lassen und in Augenschein nehmen oder durch den Sachverständigen begutachten lassen. Es hat keine angebotenen Beweismittel zu Unrecht übergangen.</p>
<p><rd nr="414"/>3. Kein Verstoß gegen die Hinweispflicht aus § 139 ZPO</p>
<p><rd nr="415"/>a. Vorbringen der Beklagtenseite</p>
<p><rd nr="416"/>Die Beklagtenseite unterstreicht, das Gericht habe (erst) mit Verfügung vom 24.10.2018 darauf hingewiesen, dass die Beklagtenseite noch keine validen technischen Informationen vorgebracht habe, die - bei einer Wahrunterstellung - aus der Patentverletzung herausführten. Das Gericht habe auch nicht auf eine mögliche sekundäre Darlegungslast trotz der Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers hingewiesen. Schließlich hätten die Parteien im Termin am 08.02.2018 über die Möglichkeit gesprochen, die Schaltpläne im Rahmen eines US-Discovery-Verfahrens zu erhalten, und die Beklagtenseite habe mitgeteilt, nach deren Vorlage detailliert vortragen zu können. Hätte das Gericht früher auf eine mögliche fehlende Substantiierung des Vortrags der Beklagtenseite hingewiesen, hätte die Beklagtenseite früher bei ihrem Zulieferer um Freigabe weiterer Informationen bitten können, wie für die Quadruplik geschehen. Auch der Zulieferer O. habe sich darauf verlassen, dass die Schaltpläne vorgelegt würden. Vor Erhalt der Triplik sei es der Beklagten nicht möglich gewesen, weitergehenden technischen Vortrag zu erhalten (S. 34/37 Schriftsatz vom 22.11.2018).</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="417"/><verweis.norm>§ 139 Abs. 2 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> gibt dem Gericht - in Konkretisierung des Grundsatzes auf rechtliches Gehör - unter bestimmten Voraussetzungen Hinweispflichten auf. Diese greifen grundsätzlich, wenn eine Partei einen Gesichtspunkt erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO, sowie wenn das Gericht einen Gesichtspunkt anders beurteilt als beide Parteien, § 139 Abs. 2 S. 2 ZPO. Die Hinweispflicht steht zwischen Gehörsgewährung einerseits und Parteiherrschaft über Prozessstoff sowie Neutralitätspflichten des Gerichts andererseits (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rn. 2).</p>
<p><rd nr="418"/>Geboten ist ein Hinweis, wenn das Gericht Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rn. 6 unter Verweis auf BGH NJW 2007, 1455, 1456 Rn. 10; BVerfG NJW 1994, 1274). Nach Hinweisen des Gegners, die die betroffene Partei in gebotener Form über Sach- und Rechtslage unterrichteten, und die der Gegner verstanden hat, muss das Gericht nicht erneut einen entsprechenden Hinweis geben (BGH NJW-RR 2008, 581 mwN; Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rn. 6a). Auf eine in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bekannte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast muss das Gericht nicht hinweisen (BVerfG Beschluss vom 27. September 2018 - 1 BvR 426/13, juris).</p>
<p><rd nr="419"/>Sofern ein Hinweis geboten ist, muss er frühzeitig und unmissverständlich gegeben werden (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rn. 11, 12a).</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="420"/>Hernach hat das Gericht keine Hinweispflicht verletzt. Dass substantiierter Parteivortrag vom Gegner substantiiert bestritten werden muss, ist eine prozessuale Selbstverständlichkeit, die das Gericht der (qualititativ und quantitativ weit überdurchschnittlich) anwaltlich vertretenen Beklagtenseite nicht erklären brauchte. Das Gericht musste auch nicht darauf hinweisen, dass ihr Vortrag noch nicht hinreichend substantiiert war. Denn hierauf hatte die Klägerin und das Gericht, letzteres mit den Worten, dass der Klägervortrag besser zu verstehen sei als der Beklagtenvortrag, bereits im Termin vom 8.2.2018 hingewiesen, weswegen die beklagte Partei sich genötigt sah wie folgt vorzutragen:</p>
<p>„Beklagtenvertreter trägt vor, dass die beklagte Partei Schwierigkeiten gehabt habe, Informationen zur Chiparchitektur zu erhalten. Diese Schwierigkeiten seien aber mittlerweile teilweise behoben. Allerdings sehe sich die Beklagte derzeit nicht in der Lage, die Schaltpläne dem Gericht vorzulegen, weil Geheimhaltungsinteressen des Chipherstellers entgegenstünden." (Prot. vom 8.2.2018, S. 3).</p>
<p><rd nr="421"/>Das Gericht hat die Unverständlichkeit des Beklagtenvortrags zum Anlass genommen, vorsorglich, mit Einverständnis beider Parteien, einen Sachverständigen zur Beratung der Kammer während des Haupttermins hinzuzuziehen (Prot. vom 8.2.2018, S. 4).</p>
<p><rd nr="422"/>Spätestens seit der Replik (S. 8 unter 8.-, 9.-, S.51 unten, S. 52, 54, 55 ff., S. 58) hatte die Klägerin darüber hinaus beständig und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass der Sachvortrag der beklagten Partei zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform aus ihrer Sicht unzureichend sei. So hatte sie schon auf S. 3 der Replik auf das eingeleitete US-Discovery-Verfahren verwiesen, aber unterstrichen, dass es auf die Schaltpläne nicht ankommen werde, weil „die primäre Verteidigung der Beklagten schon gar nicht schlüssig ist, also der Tatsachenvortrag („Deaktivierung“ bestimmter Elemente) rechtlich nicht erheblich ist, jedenfalls aber prozessual nicht hinreichend substantiiert erfolgt ist und somit unbeachtlich bleiben muss.“ In der Triplik fasste sie dies noch schärfer und teilte mit, dass die deutschen Prozessbevollmächtigten der Klägerin noch keine Einsicht in die erhaltenen Schaltpläne genommen hätten, und es ihrer Vorlage auch nicht bedürfe, weil prozessual das klägerseitige Vorbringen (wegen unschlüssigen und unsubstantiierten Bestreitens durch die beklagte Partei) unstreitig sei.</p>
<p><rd nr="423"/>Die Beklagtenseite hat das auch verstanden. Sie hat sich in der mündlichen Verhandlung am 08.02.2018 wie oben dargestellt dahingehend eingelassen, dass die Informationsbeschaffung schwierig gewesen sei, über die Schaltpläne mittlerweile aber zu verfügen, sie aber dennoch - wegen Geheimhaltungsinteressen - nicht vorlegen könne (S. 3 Protokoll vom 8.02.2018). Sie hat ihr Bestreiten des Weiteren in einer Erklärung zu Protokoll weiter gefasst als in der Klageerwiderung (S. 3/4 Protokoll vom 8.02.2018). Sie hat auch und insbesondere den Hinweis der Klägerin in deren Triplik verstanden und hierauf den Vortrag für die Quadruplik überarbeitet. Die Beklagtenseite trägt selbst vor, auf die Triplik hin weiteren Vortrag von dem Zulieferer abgefragt zu haben („so wie dies dann für die Quadruplik erfolgt ist“, S. 36 Schriftsatz vom 22.11.2018, Rn. 106). Mithin hat sie verstanden, dass sie ihren Vortrag nachbessern musste. Dieser Hinweis aus der Triplik stammt vom 13.08.2018; die Beklagtenseite hatte bis zum Termin am 8.11.2018 mithin noch fast 3 Monate Zeit zur Erwiderung. Bis zum Ablauf der Schriftsatzfrist für die Quadruplik hatte sie gut 2 Monate Zeit. Dass 2 Monate zu kurz gewesen wären, um substantiiert vorzutragen, bringt die Beklagtenseite nicht vor. Im Übrigen wäre nach ihrem eigenen Vorbringen ein Hinweis des Gerichts vor der Triplik sinnlos gewesen, weil sie von ihrem Zulieferer erst weitere Informationen habe einfordern können, nachdem feststand, dass die Klägerin die Schaltpläne nicht vorlegen werde (S. 37 Schriftsatz vom 22.11.2018 Rn. 106).</p>
<p><rd nr="424"/>Auf die fehlende Schlüssigkeit des Vortrags (auch noch) in der Quadruplik hat das Gericht so schnell wie möglich, nämlich mit Verfügung vom 25.10.2018 reagiert. Eine frühere Reaktion war wegen des Umfangs und der Komplexität der eingereichten Schriftsätze nicht möglich. Auf den letzten Hinweis des Gerichts hin hat die Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung weder durch Anpassung ihres Vortrags in Beisein des Sachverständigen, noch durch einen Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist zur Erwiderung auf die Hinweise des Gerichts vom 26.10.2018 (<verweis.norm>§ 139 Abs. 5 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>) reagiert.</p>
<p><rd nr="425"/>Ein anderes folgt auch nicht daraus, dass die Parteien im Termin am 08.02.2018 über die Einleitung eines US-Discovery-Verfahrens gesprochen hatten und die Klägerin ein solches im Anschluss tatsächlich durchführte. Die Klägerin hatte sich durch die Einleitung des Verfahrens nicht verpflichtet, die Schaltpläne vorzulegen. Insbesondere haben die Parteien keinen Prozessvergleich (Zwischenvergleich) darüber geschlossen, dass die Klägerin die Pläne erholen und vorlegen würde. Nur dann wäre sie hierzu verpflichtet gewesen. Die Klägerin hat auch kein Vertrauen in Anspruch genommen, dass sie die Schaltpläne zweifelsohne vorlegen würde. Schon in der Replik vom 13.04.2018 hatte sie deutlich gemacht, dass es zum damaligen Stand auf die Schaltpläne nicht ankommen würde (s.o.). Die Nichtvorlage ist mithin kein widersprüchliches Verhalten der Klägerin. Das Gericht hat sich schließlich die zunächst avisierte Vorlage der Schaltpläne durch die Klägerin nicht zu eigen gemacht. Die Vorlage oder Nichtvorlage von Unterlagen steht grundsätzlich in anwaltlichem Ermessen. Die Parteien sind die Herren des Verfahrens und bestimmen selbst darüber, welche Unterlagen sie in den Prozess einführen. Nur im Fall des § 142 ZPO ordnet das Gericht eine Vorlage von Unterlagen an - die Voraussetzungen hierfür lagen aber nicht vor, s.o.. Das Gericht nahm auch seinerseits kein Vertrauen in Anspruch, die Beklagtenseite müsse ihren Vortrag erst nach Vorlage der Pläne substantiieren. Insbesondere hat das Gericht die Beweisaufnahme nicht von der Vorlage der Pläne abhängig gemacht, und damit deutlich gemacht, dass es unabhängig von den Schaltpläne entscheidungsrelevant auch allein auf die Beurteilung des bisherigen Bestreitens ankommen könnte.</p>
<p><rd nr="426"/>Das Gericht sieht nicht die sekundäre Darlegungslast bei der Beklagten, sondern sieht ihr Bestreiten als prozessual unbeachtlich an (zu S. 35 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 101).</p>
<p><rd nr="427"/>Unbeachtlich ist dabei, dass das Gericht die mitgebrachten Herren nicht als präsente Zeugen hörte (zu S. 36 Schriftsatz vom 22.11.2018, Rn. 105). Das geschah maßgeblich deswegen, weil der Vortrag der Beklagtenseite technisch nicht schlüssig war, s.o. Die Einvernahme von Zeugen zu unschlüssigem Vortrag ist nicht angezeigt.</p>
<p><rd nr="428"/>Überraschend ist die Entscheidung schließlich auch nicht deswegen, weil das Gericht zu dem Termin am 8.11.2018 einen Sachverständigen lud, obwohl es davon ausging, dass der Vortrag der Beklagtenseite technisch noch nicht schlüssig war. Erstens musste das Gericht in Betracht ziehen, dass die (wie oben dargelegt qualitativ und quantitativ deutlich überdurchschnittlich) anwaltlich vertretene Beklagtenseite ihren Vortrag noch rechtzeitig vor dem zweiten Termin oder spätestens im zweiten Termin nachbessern würde. Zweitens war es gerade Aufgabe des Sachverständigen, das - technisch nicht vorgebildete - Gericht bei der Prüfung des technischen Parteivortrags auf Schlüssigkeit zu unterstützen. Die Ladung des Sachverständigen entsprach damit gerade der Intention der Kammer, der Beklagtenseite rechtliches Gehör zu gewähren in dem Bestreben, etwaiges aus Expertensicht erhebliches Vorbringen der Beklagten nicht aufgrund mangelnden technischen Verständnisses auf Seiten der Mitglieder der Kammer unzutreffend als unschlüssig zu werten.</p>
<p><rd nr="429"/>Nach alledem hat das Gericht nicht gegen seine Hinweispflicht verstoßen.</p>
<p>4. Kein Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG</p>
<p><rd nr="430"/>Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 169 GVG geboten: es liegt schon kein Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG vor; ein etwaiger erfolgter Verstoß ist jedenfalls durch vorsorgliche Wiederholung des betroffenen Teils der Sitzung geheilt worden.</p>
<p>a. Vorbringen der Beklagtenseite</p>
<p><rd nr="431"/>Die Beklagtenseite unterstreicht, dass durch die fehlende Zugangsmöglichkeit zum Sitzungssaal für mindestens 45 Minuten die Öffentlichkeit nicht gewährleistet gewesen sei, was jedenfalls an fahrlässiger Unkenntnis des Gerichts liege. Dieser Verfahrensfehler sei durch die bloße Doppelung und Verlesung der fraglichen Teile der Sitzungsniederschrift nicht geheilt worden (S. 38 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 111) zumal unklar sei, ob das Gericht tatsächlich alle Verfahrensteile erfasst habe, bei denen die Öffentlichkeit entgegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG bereits nicht mehr bestanden habe (S. 38/39 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 113/115). Eine Heilung wäre wegen der Komplexität des Falles und dem Erfordernis, die zeitintensive Sachverständigenanhörung ohne Protokoll zur Gedächtnisunterstützung nach bereits zehnstündiger Verhandlung nochmals würdigen zu müssen, allenfalls durch eine Vertagung möglich gewesen (S. 40 Schriftsatz vom 22.11.2018 Rn. 120).</p>
<p><rd nr="432"/>Hinzu komme, dass die Öffentlichkeit mangels lesbaren Hinweises schlicht nicht informiert gewesen sei, dass noch eine mündliche Verhandlung stattfinde (S. 39/40 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 116/119).</p>
<p><rd nr="433"/>Unter dem 13.12.2018 unterstrich sie, es sei gerichtsbekannt, dass das Gerichtsgebäude ab 18 Uhr verschlossen sei. Das Gericht hätte daher Schließkräfte von sich aus über den Fortgang der Verhandlung informieren müssen - das sei gerade unterblieben (S. 15).</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="434"/>Mündliche Verhandlungen haben grundsätzlich öffentlich stattzufinden, § 169 Abs. 1 S. 1 GVG. Dazu gehört einerseits die Möglichkeit, von einer Sitzung Kenntnis zu nehmen, andererseits die Möglichkeit, an ihr auch teilzunehmen (BVerfG NJW 2002, 814 mwN). Das Öffentlichkeitsprinzip dient der Kontrolle staatlicher Machtausübung und der Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit sowie des Vertrauens der Allgemeinheit in die dritte Gewalt (MüKoZPO/Zimmermann GVG § 169 Rn. 1 mwN).</p>
<p><rd nr="435"/>Die Öffentlichkeit ist verletzt, wenn sie mit Wissen und Wollen des Vorsitzenden/ des Gerichts (Zöller-Lückemann, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 13 unter Verweis auf BGH NJW 1970, 1846, 1847) oder in fahrlässiger Unkenntnis des Gerichts ausgeschlossen oder beschränkt wird (siehe nur MüKoZPO/Zimmermann GVG § 169 Rn. 60 mwN). Nur eine der entscheidenden Kammer vorwerfbare Sorgfaltspflichtverletzung ist zu berücksichtigen, nicht eine Verletzung durch andere Mitarbeiter der Gerichtsbehörde (BGH NJW 1970, 1846, 1847; Zöller-Lückemann, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 13 mwN; MüKoZPO/Zimmermann GVG § 169 Rn. 60 mwN).</p>
<p><rd nr="436"/>Eine versehentlich verschlossene Eingangstür des Gerichtsgebäudes verletzt § 169 Abs. 1 S. 1 GVG nur, wenn das Gericht die Zugangsbeschränkung bemerkt hat oder bei gebotener Sorgfalt hätte erkennen können (BVerwG BeckRS 1984, 31265222 unter I.). Gleiches gilt, wenn die Außentür - vom Gericht unbemerkt - ins Schloss fällt und nicht mehr geöffnet werden kann (BGH NJW 1966, 1570, 1571). Auch die bewusste Schließung der Tür durch einen Gerichtswachtmeister begründet keinen Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG, wenn das erkennende Gericht kein Verschulden (auch keine fehlende Überwachung des fraglichen Gerichtswachtmeister) trifft, insbesondere wenn eine (grundsätzlich eingehaltene) Dienstanweisung besteht, die Tür nicht vor Ende aller Sitzungen zu verschließen (zu § 338 Nr. 6 StPO OLG Karlsruhe, BeckRS 9998, 40367 unter 1.a.).</p>
<p><rd nr="437"/>Eine Heilung erfolgt durch Wiederholung der betroffenen Teile der Sitzung (Kissel/Mayer-Mayer, GVG, 9. Auflage 2018, § 169 GVG Rn. 61; MüKoZPO/Zimmermann GVG § 169 Rn. 70).</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="438"/>Nach Vorgesagtem liegt schon kein Verstoß gegen § 169 GVG vor. Ein etwaiger Verstoß wurde jedenfalls geheilt.</p>
<p><rd nr="439"/>(1) Ein Verstoß gegen § 169 GVG liegt nicht vor.</p>
<p><rd nr="440"/>Nach Kenntnis der Kammer am Terminstag bestand die grundsätzliche Handhabung - bis einschließlich dem 8.11.2018 (die Handhabung wurde in der Folgezeit geändert) - darin, dass Zugang zu den Sitzungssälen des Landgerichts München I, die sich im Gebäude L.platz 7 befinden, nach Schließung der Pforte im Justizgebäude L.platz 7 über die ständige besetzte Pforte das Amtsgericht München, Gebäude Pacellistrasse 5, gewährt wird. Beide Gebäude sind miteinander verbunden. Am Eingang des Landgerichts wurde hierzu entsprechend ein Hinweisschild/Wegweiser aufgestellt. Dies war auch am 8.11.2018 so, wovon sich die Mitglieder der Kammer sowie die Protokollführerin nach Ende der Sitzung persönlich überzeugt haben. Auf die diesbezüglichen Aktenvermerke wird verwiesen.</p>
<p><rd nr="441"/>Zwar bestand möglicherweise faktisch eine Beschränkung der Zugangsmöglichkeit zu dem Sitzungssaal 501, in dem der Termin in dieser Sache am 8.11.2018 stattfand, von ca. 18 Uhr bis ca. 19.15 Uhr. Denn die Tür des Amtsgerichts war ab 18.00 Uhr versperrt und die einzige Wachperson zeitweilig auf Streifgang. Diese Zugangsbeschränkung beruhte indes nicht auf einer fahrlässigen Unkenntnis der Kammer.</p>
<p><rd nr="442"/>Insoweit hat die Kammer am 8.11.2018 gegen 19.15 Uhr Nachfolgendes festgestellt (vgl. 7 O 10495/17 Prot. v. 8.11.2018, S.16):</p>
<p>„Der Vorsitzende gibt bekannt, dass Frau E. vom Eingang Amtsgericht München, über den auch das Landgericht erreicht werden kann, mitgeteilt hat, dass ein Mann bei ihr gewesen sei und sie habe die Auskunft gegeben, dass die Tür zu sei. Sie habe nicht gewusst, dass noch eine Verhandlung laufe. Hätte sie das gewusst, hätte sie den Zugang gewährt. Auch sei sie 5 Minuten für einen Rundgang weg gewesen. Der Vorsitzende hat sich selbst davon überzeugt, dass die Tür während dieses Rundgangs von außen nicht zu öffnen ist. Der Vorsitzende hat Frau E. angewiesen, ab jetzt (19:15 Uhr) keine Rundgänge mehr zu machen, sondern an der Pforte Wache zu halten und etwaigen Personen, die Zugang zur hiesigen Sitzung begehren, einzulassen. Zusätzlich wurde ein entsprechender handschriftlicher auf gelben Papier gehaltener Zettel an der Tür angebracht.“</p>
<p><rd nr="443"/>Bis zum Hinweis durch einen der Beklagtenvertreter bestand keine Veranlassung für die Mitglieder der Kammer davon auszugehen, dass der Zugang zu den noch andauernden Sitzungen des Amtsgericht/Landgerichts entgegen der dargestellten grundsätzlichen Handhabung nicht mehr gewährt ist. Die Kammer hat selbst penibel auf die Einhaltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit geachtet, wie die Dokumentation des (bewussten) Ausschlusses/ Wiederherstellung der Öffentlichkeit im Protokoll vom 8.11.2018 zeigt. Es waren auch nach 18 Uhr Zuhörer im Saal anwesend. Die Kammer war bei aller gebotenen Sorgfalt nicht gehalten, sich durch Kontrolle der Eingangstüren des Gerichts bzw. des Amtsgerichts Gewissheit zu verschaffen, dass keine Zugangsbeschränkung bestand. Sie durfte davon ausgehen, dass die Wachtmeister und/oder andere hiermit betraute Personen ihre Dienstaufgaben öffentlichkeitswahrend erfüllten. Eine Verletzung der Öffentlichkeit liegt auch nicht darin begründet, dass die Öffentlichkeit nicht gewusst hätte, dass eine Verhandlung stattfand. Der Sitzungssaal 501 ist groß und liegt im 5. Stock Richtung K.platz/Stachus. Er war zur fraglichen Zeit hell erleuchtet. Sonnenuntergang am Verhandlungstag war in München um 16.45 Uhr. Um 18.00 Uhr war es daher stockfinster. Durch seine Positionierung im 5. Stock mit Blickrichtung Karlsplatz/ Stachus war für jedes Mitglied der interessierten Öffentlichkeit durch die bodentiefe und sich über die gesamte Länge des Saals erstreckende Fensterfront weithin erkennbar, dass noch eine Verhandlung mit zahlreichen Personen stattfand.</p>
<p><rd nr="444"/>Schließlich folgt aus den Angaben der Frau E., dass Sie den Zugang gewährt hätte, wenn sie gewusst hätte, dass noch eine Sitzung laufe. Dem ist zu entnehmen, dass interessierten Mitgliedern der Öffentlichkeit Zugang gewährt worden wäre, wenn eventuell auch mit 5 Minuten Verzögerung aufgrund des Rundgangs, wenn sie bei Frau E. mit dem Wunsch vorstellig geworden wären, an der noch andauernden Sitzung teilnehmen zu wollen.</p>
<p><rd nr="445"/>Im Übrigen befand sich ein Sitzungsaushang vor der Eingangstüre zum Sitzungssaal 501, zu dem nach (eindeutiger) Wiederherstellung der Öffentlichkeit wieder Zugang bestand. Zusätzlich befestigte der Vorsitzende einen Hinweis an der Tür des Amtsgerichts (S. 16 Protokoll vom 8.11.2018).</p>
<p><rd nr="446"/>(2) Wollte man dies anders sehen, wäre ein etwaiger Verstoß jedenfalls geheilt.</p>
<p><rd nr="447"/>Die Kammer hat vorsorglich die fraglichen Teile der Sitzung wiederholt. Sie hat dabei mindestens den gesamten, von einem etwaigen Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG erfassten Teil wiederholt. Als zeitliche Marke hat sich die Kammer an dem im Protokoll festgehaltenen Ende der nicht öffentlichen Zeugeneinvernahme orientiert (17.20 Uhr). Zur Sicherheit wurden alle nachfolgenden öffentlichen Sitzungsteile, beginnend mit der Erörterung der Sachverständigenanhörung wiederholt. Zwar fanden im unmittelbaren Anschluss an die Entlassung des Zeugen noch - nicht öffentliche - Erörterungen statt. Diese haben aber nach der sicheren Erinnerung der Mitglieder der Kammer nur wenige Minuten in Anspruch genommen und keinesfalls über 18.00 Uhr hinaus angedauert.</p>
<p><rd nr="448"/>Die Wiederholung genügte hier für eine Heilung. Die Kammer hat nicht, wie die Beklagtenseite suggeriert, lediglich die Protokollniederschrift verlesen und dies als Wiederholung angesehen. Vielmehr hat das Gericht die Protokollniederschrift als Kurzinformation der Öffentlichkeit und als Gedächtnisstütze für die Prozessbevollmächtigten verlesen, und sodann Gelegenheit gegeben, etwaigen Vortrag - tatsächlich - zu wiederholen oder weiteren Vortrag - tatsächlich - zu erbringen (S. 18 Protokoll 8.11.2018 Mitte: „Das Gericht gibt bekannt, dass es jetzt den Ausführungen der Beklagtenvertreter lauschen wird.“). Der Klägervertreter hat auf seinen bisherigen Vortrag verwiesen. Und auch der Beklagtenvertreter hat schließlich auf seinen bisherigen Vortrag verwiesen und von der eingeräumten Möglichkeit, den zu wiederholenden Vortrag erneut zu halten, keinen Gebrauch gemacht.</p>
<p><rd nr="449"/>Das Gericht musste zur Heilung auch nicht vertagen, wie beklagtenseits beantragt. Die Beklagtenseite war durch 5 Anwälte der den technischen Teil der Verteidigung bearbeitenden Kanzlei vertreten, von denen bei Beginn der Wiederholung noch 4 Anwälte anwesend waren (S. 18 Protokoll 8.11.2018). Nur zwei der Prozessbevollmächtigten befürworteten eine Vertagung (S. 18 Protokoll 8.11.2018). Auch die weiter anwesenden 5 Patentanwälte der Beklagten haben keine körperliche und/oder geistige Erschöpfung geltend gemacht. Schon deswegen war eine Vertagung nicht geboten, wie mit Beschluss vom 8.11.2018 (S. 19 Protokoll Mitte) dargelegt. Wie die anschließend protokollierten Wortbeiträge der Beklagtenvertreter belegen, waren diese auch nach Durchführung der Wiederholung ohne Weiteres in der Lage, dem Verhandlungsverlauf zu folgen und sachgerechten Vortrag zu halten.</p>
<p><rd nr="450"/>5. Kein Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren Schließlich liegt kein Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren vor.</p>
<p>a. Vortrag der Beklagtenseite</p>
<p><rd nr="451"/>Die Beklagtenseite unterstreicht, Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers O. hätten unstreitig bestanden. Daher habe man im ersten Termin eine Vorgehensweise vereinbart, auf die sich die Beklagtenseite verlassen habe. Die Klägerin habe sich indes widersprüchlich verhalten, was zu ihren Lasten gehen müsse, nicht zu Lasten der Beklagtenseite (S. 41 Schriftsatz vom 22.11.2013 Rn. 122). Das Gericht sei im Haupttermin am 8.11.2018 bestrebt gewesen, das Verfahren trotz erkennbar fehlender tatsächlicher Grundlage hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der angegriffene Ausführungsform und in Abweichung zu dem zwischen den Parteien und dem Gericht abgesprochenen Prozedere in diesem Termin zu Ende zu bringen, zu Lasten der Beklagten (S. 41/42 Schriftsatz 22.11.2018). So habe es in den Fragen an den Sachverständigen die technischen Fragestellungen (insbesondere zum Offset) nicht herausgearbeitet, weder in der vorbereitenden Verfügung noch in der Hauptverhandlung. Auf die zeitlich begrenzte Verfügbarkeit des Sachverständigen seien die Parteien zuvor nicht hingewiesen worden. Der Sachverständige sei insbesondere aus Zeitgründen ohne Fragen zu den Schaltplänen und technischen Aussagen des Zeugen A. entlassen worden (S. 43 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 127). Wenn das Gericht der - unzureichenden - Einschätzung des Sachverständigen folgen wolle, dass er 160 Stunden für die Sichtung der Schaltpläne brauche, hätte das Gericht nicht bis zum Termin hinwarten dürfen, sondern Abhilfe schaffen müssen, etwa durch eine Vorlageanordnung an die Klägerin. Darauf könne jedenfalls kein Verspätungsvorwurf gegenüber der Beklagtenseite gestützt werden (S. 43/44 Schriftsatz 22.11.2018). Vorlageanträge der Beklagtenseite bezüglich der Lizenzverträge seien nach der ad-hoc-Einvernahme eines Zeugen zurückgewiesen worden, mit der Begründung, dass der Augenschein zu viel Zeit koste und nicht in Bezug auf den Inhalt zu erfolgen habe, wobei letzteres Verständnis befremde (S. 44 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 132). Auch bei der Prüfung von Heilungsmöglichkeiten des Verstoßes gegen die Öffentlichkeit sei das Gericht allein von dem Bestreben getragen gewesen, einen weiteren Termin zu verhindern; insbesondere sei die beantragte Vertagung abgelehnt worden (S. 44/45 Schriftsatz 22.11.2018). Ein Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist sei abgelehnt worden, obwohl die Beklagtenseite deutlich gemacht habe, auch zum Tatsächlichen gegebenenfalls noch vortragen zu wollen (S. 45 Schriftsatz 22.11.2018).</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="452"/>Der Grundsatz des fairen Verfahrens (<verweis.norm>Art. 6 <v.abk ersatz="EMRK">EMRK</v.abk></verweis.norm>, Art. 47 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta, Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet das Gericht, sein Verfahren berechenbar zu gestalten und verbietet dem Gericht widersprüchliches Verhalten. Das Verfahren muss überprüfbar gestaltet sein; des Weiteren treffen das Gericht Fürsorgepflichten gegenüber den Parteien (zum Ganzen siehe nur Zöller-G. Vollkommer, ZPO, 32. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 101 mwN).</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="453"/>Hiernach hat das Gericht den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht verletzt.</p>
<p><rd nr="454"/>(1) Wie bereits dargelegt, gab es keine Vereinbarung der Parteien darüber, dass die Klägerin verpflichtet sei, die Schaltpläne im US-Discovery-Verfahren zu erhalten und in das Verfahren einzuführen. Die Klägerin verhielt sich nicht widersprüchlich, sondern hatte bereits in der Replik deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht die Vorlage der Schaltpläne zum damaligen Vortragsstand nicht erforderlich sei. Das Gericht hat kein Vertrauen in Anspruch genommen, es werde auf die Vorlage der Schaltpläne zuwarten.</p>
<p><rd nr="455"/>(2) Das Gericht war im Termin bestrebt, dem Beschleunigungsgrundsatz nachzukommen. Nach dem Münchner Verfahren wird im zweiten Termin üblicherweise die mündliche Verhandlung geschlossen. Dabei hat das Gericht das Verfahren keineswegs überbeschleunigt und dadurch Rechte der Beklagtenseite abgeschnitten, sondern die Sache in der von 9.00 Uhr bis 21.00 Uhr andauernden Sitzung ausführlich erörtert, und durch die Verfahrensleitung für eine Konzentration und Beschleunigung genutzt - wie es die ZPO vorsieht.</p>
<p><rd nr="456"/>Eine „tatsächliche Grundlage hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der angegriffene Ausführungsform“ brauchte das Gericht dabei nicht. Denn die konkrete Ausgestaltung ist für das Gericht wegen des Beibringungsgrundsatzes so lange nicht relevant wie die behauptete Ausgestaltung nicht wirksam bestritten ist. Das war sie jedenfalls bis zu der Vorlage der Quadruplik nicht, wie oben dargelegt. Erst durch den Vortrag in der Quadruplik konnte, soweit der Vortrag schlüssig gewesen wäre, die Vorlage der Schaltpläne erforderlich werden. Erst hierdurch wäre auch eine Befassung des Sachverständigen mit den Schaltplänen erforderlich geworden, was dann möglicherweise zu einer Zurückweisung des Vortrags nach § 296 Abs. 2 ZPO geführt hätte, wie oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="457"/>(3) Das Gericht hat auch im Übrigen nicht unter Verkennung der Grundsätze des fairen Verfahrens im Wesentlichen zu Lasten der Beklagtenseite entschieden:</p>
<p><rd nr="458"/>(a) Zutreffend ist, dass Sachverständige grundsätzlich nur zu technischen Fragen zu hören sind. Indes hat das Gericht dem Sachverständigen im Ergebnis nicht die Beantwortung von Rechtsfragen aufgegeben, sondern beweiserhebliche Tatsachenfragen im Sinne einer leichteren Verständlichkeit und zur Arbeitserleichterung lediglich „juristisch eingekleidet“. Es hat dem Sachverständigen gleichzeitig verdeutlicht, dass die technische Hinleitung zu der Beantwortung einer Frage maßgeblich von Interesse ist (S. 3 Mitte Verfügung vom 25.10.2018: „Der Sachverständige wird darauf hingewiesen, dass es der Kammer vor allem darum geht, die technischen Informationen besser zu verstehen und einzuordnen. Es ist daher weniger die konkrete Antwort auf die Frage von Interesse, sondern vor allem die Herleitung der Begründung für die jeweilige Antwort.“). Mithin lag in der Fragestellung, die im Übrigen von der Beklagtenseite im Termin nicht beanstandet worden ist, kein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens.</p>
<p><rd nr="459"/>Unbeachtlich war dabei, dass der Sachverständige nicht den gesamten Sitzungstag lang Zeit hatte. Die Beklagtenseite hat nicht vorgebracht, weitere Fragen an den Sachverständigen richten zu wollen, die sie aufgrund der zeitlichen Beschränkung nicht hatte stellen können. Der Sachverständige wurde um 13.20 Uhr entlassen. Zuvor hatte keine der Parteien mehr Fragen an ihn gestellt (vgl. Prot. S. 8). Er hätte bei weiteren Fragen dem Gericht noch bis 14.00 Uhr zur Verfügung gestanden. Die zeitlichen Beschränkungen in Bezug auf den Sachverständigen hatte keinen Einfluss auf die Vorlage der Schaltpläne und der Anhörung des Herrn A.: die Klägerin entschied, die Schaltpläne nicht vorzulegen, die Kammer sah keinen Anlass, ihr dies aufzugeben, wie oben dargelegt. Zudem war die Vorlage der Schaltpläne allenfalls durch den Vortrag in der Quadruplik veranlasst, wie zuvor dargelegt. Würde man hernach eine Befassung des Sachverständigen mit den Schaltplänen für erforderlich halten, würde gerade die hieraus folgende notwendige Vertagung der Sitzung die Verspätung iSd § 296 ZPO begründen, siehe oben. Herr A. war nicht als präsenter Zeuge zu hören, weil der Tatsachenvortrag, der in sein Wissen gestellt war, technisch nicht schlüssig war, siehe oben.</p>
<p><rd nr="460"/>Eine Präzisierung der nach Auffassung der Beklagtenseite „frei schwebenden“ Diskussion war nicht erforderlich (zu S. 43 Schriftsatz 22.11.2013, Rn. 128). Das Gericht sah den Vortrag der Beklagtenseite bis zur Quadruplik als nicht schlüssig an, wie es durch die Fragen in der Verfügung vom 25.10.2018 deutlich gemacht hatte. Es musste daher nicht den Sachverständigen auf die Tatsachengrundlage hin befragen: Es ging darum, das Verständnis des Gerichts von dem technischen Gehalt des Beklagtenvortrags durch den Sachverständigen als technischen Experten überprüfen zu lassen. Die Beklagtenseite hatte umfassend Gelegenheit, den Sachverständigen zu befragen, wie die Beklagtenseite im Ergebnis auch nicht in Frage stellt. Dass das Gericht die Zulässigkeit von Fragen prüft, verstößt nicht gegen das Gebot des fairen Verfahrens, sondern ist als Ausfluss der Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime ein Gebot der ZPO, <verweis.norm>§§ 402, 397 Abs. 3 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>.</p>
<p><rd nr="461"/>(b) Der Sachverständige hat auf Bitten des Gerichts eine grobe Einschätzung gegeben, wie viel Zeit er für die Sichtung von Schaltplänen nebst Simulationsmodellen benötigen würde, und dabei 160 Arbeitsstunden genannt. Diese Zahl diente nur der Einschätzung der Kammer, ob eine Sichtung im Rahmen einer Unterbrechung der Sitzung mit anschließender Fortsetzung der Anhörung des Sachverständigen noch am 8.11.2018 möglich wäre. Das war sie offensichtlich nicht. Dabei ist irrelevant, ob die Einschätzung des Sachverständigen „unzureichend“ war, wie die Beklagtenseite meint (S. 43 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 129). Die Behauptung der Beklagtenseite ist insoweit schon unsubstantiiert, weil sie ihrerseits nicht angibt, in wie vielen Stunden diese Arbeit stattdessen geschafft sein müsste. Selbst wenn wäre ein anderer gerichtlicher Sachverständiger damit zu betrauen gewesen, weil der derzeit gerichtlich bestellte Sachverständige ja nicht in der Lage war, die Sichtung schneller vorzunehmen. Die Suche und Einarbeitung hätte aber das Verfahren wiederum verzögert. Im Übrigen hätte schon eine Dauer von einigen Stunden eine Vertagung erforderlich gemacht, so dass die Angabe „100 bis 160 Stunden“ die Kammer jedenfalls in die Lage versetzte zu erkennen, dass eine Sichtung im Rahmen einer Unterbrechung der Sitzung nicht zielführend sein würde. Das Gericht hatte keine eigenen Erkenntnisse, wie lange die Befassung mit Schaltplänen dauert, und konnte daher bei Abfassung des Hinweisbeschlusses noch nicht wissen, dass eine bloße Unterbrechung der Sitzung, etwa im Rahmen der Mittagspause, nicht genügen würde (zu S. 44 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 130). Schon deswegen musste es der Klägerin nicht aufgeben, die Schaltpläne im Vorfeld vorzulegen. Die Klägerin war durch die Beschränkungen des US-Discovery-Verfahrens auch nicht in der Lage, die Pläne ohne Geheimhaltungsanordnung vorzulegen. Diese kann nach dem GVG aber nur in der mündlichen Verhandlung ausgesprochen werden. Zu den übrigen Gründen s.o.</p>
<p><rd nr="462"/>Richtigerweise führt der Umstand, dass bei Befassung des Sachverständigen mit den Schaltplänen eine Vertagung bzw. ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung erforderlich würde zu einer der Beklagtenseite vorwerfbaren Verspätung, wie vor (zu S. 44 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 131).</p>
<p><rd nr="463"/>Die Anordnung der Vorlage der Lizenzverträge war beantragt „zum Nachweis des beweiserheblichen Umstandes, dass das Klagepatent in die sog. „capture periods“ fällt und damit Lizenzrechte der CMs bestehen, auf deren Grundlage auch die Beklagte Benutzungsrechte für einen Lizenz- und/oder Erschöpfungseinwand herleiten können“ (S. 17 Quadruplik Teil III). Wie oben (unter E.) dargelegt hat die Beklagtenseite nichts dazu vorgetragen, woraus sich ein materiellrechtlicher Anspruch auf Vorlage ergibt (<verweis.norm>§ 422 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>). Sie hat ihn nicht glaubhaft gemacht, § 424 Nr. 5 S. 2 ZPO. Insbesondere bestand hier kein Vorlageanspruch aus § 423 ZPO, weil die Klägerin nur auf den Inhalt der Verträge, nicht auf die Verträge als Urkunde Bezug genommen hatte (hierzu Thomas/Putzo-Reichold, § 423 ZPO Rn. 1).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… </p>
<p>Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil </p>
<p><rd nr="464"/>(c) Auch aus dem Umstand, dass nach Feststellung der möglichen Zugangsbeschränkung vom Gericht keine Vertagung angeordnet wurde, ergibt sich kein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens (zu Schriftsatz 22.11.2018 S. 44/45, Rn. 133). Wie oben dargelegt bestand schon kein Verstoß gegen § 169 Abs. 1 GVG. Auch eine Vertagung war nicht geboten, wie vor.</p>
<p><rd nr="465"/>(d) Die Gewährung einer Schriftsatzfrist war nach oben Gesagtem ebenfalls nicht geboten (zu S. 45 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 134).</p>
<p>6. Ergebnis</p>
<p><rd nr="466"/>Nach alledem besteht kein Grund aus § 156 Abs. 2 ZPO, das Verfahren wiederaufzunehmen.</p>
<p><rd nr="467"/>II. Kein Grund zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung nach § 156 Abs. 1 ZPO Es besteht auch kein Wiedereintrittsgrund nach § 156 Abs. 1 ZPO.</p>
<p><rd nr="468"/>Die Wiedereröffnung nach § 156 Abs. 1 ZPO steht im Ermessen des Gerichts. Sie kann angezeigt sein, wenn beispielsweise entgegen § 296a ZPO neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorgebracht werden oder ein Verfahrensfehler (nur) durch rügeloses Verhandeln geheilt wurde. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung den Beschleunigungs- und Konzentrationsgrundsatz einerseits sowie die Vermeidung eines Rechtsmittelverfahrens andererseits zu berücksichtigen. § 296 ZPO darf über die Wiederaufnahme nicht obsolet gemacht werden (zum ganzen Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, <verweis.norm>§ 156 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 4,5 mwN).</p>
<p><rd nr="469"/>1. Keine Wiederaufnahme wegen der unter I. geschilderten, beklagtenseits in Bezug genommenen Umstände Hiernach besteht aufgrund der vorgenannten Umstände (auch) kein Anlass zur Wiedereröffnung des Verfahrens nach § 156 Abs. 1 ZPO (zu S. 45/46 Schriftsatz 22.11.2018). Die angebotenen, nicht erhobenen Beweismittel sind wegen fehlender Schlüssigkeit des Vorbringens der Beklagtenseite und wegen § 296 Abs. 2 ZPO unbeachtlich, s.o. § 296 Abs. 2 ZPO ist entgegen der Darstellung der Beklagtenseite einschlägig, weil allenfalls aufgrund der Quadruplik eine Beweisaufnahme veranlasst wäre und die Beweisaufnahme (insbesondere durch die Sichtung der Schaltpläne durch den Sachverständigen) einen neuen Termin erforderlich machen würde. Unerheblich ist dabei, dass die Klägerin keine weitere Schriftsatzfrist zur Erwiderung auf neues Vorbringen in der Quadruplik beantragt hatte (zu S. 46 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 139).</p>
<p><rd nr="470"/>Das Gericht entscheidet nicht auf „unvollständiger“ Sachlage, sondern auf der nach dem Beibringungsgrundsatz maßgeblichen Sachlage. Das Gericht geht davon aus, dass auch ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung eine Berufung nicht verhindern kann. Die Ermittlung der Sachlage verlagert das Gericht keineswegs auf die Rechtsmittelinstanz, vielmehr gilt insoweit § 531 ZPO.</p>
<p><rd nr="471"/>2. Kein Wiedereintritt wegen (neuen) Vortrags der Beklagtenseite Auch der (neue) Vortrag der Beklagtenseite zur Nichtverletzung im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 22.11.2018 (dort S. 47 ff.) und im Schriftsatz vom 10.12.2018 mit Privatgutachten gebot keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung.</p>
<p>a. Offset</p>
<p><rd nr="472"/>Die Beklagte hatte das Vorhandensein eines Offsets in der angegriffenen Ausführungsform bis zur Quadruplik nicht substantiiert bestritten, s.o..</p>
<p><rd nr="473"/>Soweit die Beklagtenseite mit Schriftsatz vom 10.12.2018 die Privatgutachten P. und I. vorlegte, geboten auch diese keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung, wie oben dargelegt.</p>
<p>b. Kondensator</p>
<p><rd nr="474"/>Auch die Verwendung des Kondensators in der angegriffenen Ausführungsform belegt nicht deren anderweitige Architektur, die gerade ohne Offset auskommt, wie oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="475"/>Wollte man das Vorbringen der Beklagtenseite als schlüssig ansehen, wäre es jedenfalls verspätet, § 296 Abs. 2 ZPO, siehe oben.</p>
<p>c. M 1.4.1</p>
<p><rd nr="476"/>Der Vortrag der Beklagtenseite auf S. 61/62 des Schriftsatzes vom 22.11.2018 enthält nur beweiswürdigende Ausführungen und gebietet keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung.</p>
<p><rd nr="477"/>d. Damit ist ein abweichendes Design der Architektur der angegriffene Ausführungsform nicht (rechtzeitig) dargetan.</p>
<p><rd nr="478"/>e. Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung nach § 156 Abs. 1 ZPO ist nach alledem nicht angezeigt.</p>
<p>F. Kostenentscheidung</p>
<p><rd nr="479"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.</p>
<p>G. Vorläufige Vollstreckbarkeit</p>
<p><rd nr="480"/>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.</p>
<p><rd nr="481"/>I. Auszusprechen war eine einheitliche Sicherheitsleistung in Höhe von 668,4 Mio. €.</p>
<p><rd nr="482"/>Die Beklagtenseite hatte auf der Grundlage von Verkaufszahlen auf dem Konsumentenmarkt in Deutschland im Jahr 2016 (FBD 18, 19) geltend gemacht, ein Betrag von 1,671 Mrd. € sei für die Sicherheitsleistung mindestens anzusetzen. Diesen Betrag hatte die Klägerin nicht substantiiert bestritten (S. 95/96 Replik), nur angegeben, die Beklagtenseite habe die Umsatzänderungen wegen der neuen Modelle noch nicht berücksichtigt (S. 20 Protokoll vom 8.11.2018). Hierauf erklärte die Beklagtenseite, es sei deswegen ein Abschlag von 60% vorzunehmen (ibid.).</p>
<p><rd nr="483"/>Dieser Wert war durch die Kammer daher anzusetzen.</p>
<p><rd nr="484"/>Vor dem Hintergrund der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung aller Interessen war die von der Klägerin beantragte Aufteilung der Sicherheitsleistung auf die einzelnen Ziffern des Tenors nicht geboten.</p>
<p><rd nr="485"/>II. Der Antrag der Beklagtenseite auf Gewährung von Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO war abzulehnen.</p>
<p><rd nr="486"/><verweis.norm>§ 712 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> ist als Ausnahmevorschrift restriktiv zu behandeln. Die Norm setzt einen unersetzlichen Nachteil voraus (Zöller-Herget, ZPO, 32. Aufl. 2018, <verweis.norm>§ 712 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 1). Die üblichen Nachteile einer vorläufigen Vollstreckung sind hingegen hinzunehmen. Hiernach hat die Beklagtenseite nach o.G. gerade keine unersetzlichen Nachteile aufgezeigt. Die dargelegten Risiken werden durch die der Klägerin auferlegte hohe Sicherheitsleistung hinreichend abgefangen.</p>
</div>
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125,233 | lg-munchen-ii-2018-12-20-7-o-1049517 | {
"id": 268,
"name": "Landgericht München II",
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} | 7 O 10495/17 | 2018-12-20T00:00:00 | 2019-01-04T14:23:47 | 2019-02-12T11:30:57 | Endurteil | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>I. Die Beklagten werden verurteilt,</p>
<p>1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen:</p>
<p>Vorrichtungen</p>
<p>in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,</p>
<p>die Folgendes umfassen:</p>
<p>eine Induktivität, die betreibbar ist zum Empfangen eines Schaltsignals und zum Bereitstellen eines Versorgungsstroms;</p>
<p>ein Schaltelement, das betreibbar ist zum Abfühlen eines Eingangsstroms und zum Generieren des Schaltsignals zum Laden und Entladen der Induktivität zum Bereitstellen des Versorgungsstroms, wobei das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt, um einen größeren Versorgungsstrom über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset;</p>
<p>einen Hüllkurvenverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen eines Hüllkurvensignals und zum Bereitstellen eines zweiten Versorgungsstroms basierend auf dem Hüllkurvensignal, wobei ein Gesamtversorgungsstrom den Versorgungsstrom von dem Schaltelement und den zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker umfasst; und einen Boost- bzw. Aufwärtswandler, der betreibbar ist zum Empfangen einer ersten Versorgungsspannung und zum Bereitstellen einer geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung mit einer höheren Spannung als die erste Versorgungsspannung, wobei der Hüllkurvenverstärker selektiv basierend auf der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung arbeitet</p>
<p>1. (Anspruch 1, unmittelbare Verletzung)</p>
<p>2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 9. September 2017 begangen haben, und zwar unter Angabe</p>
<p>a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<p>b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<p>3. der Klägerin schriftlich in geordneter Form (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 9. September 2017 begangen haben und zwar unter Angabe:</p>
<p>a) der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse,</p>
<p>b) der einzelnen Lieferungen (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie aller Identifikationsmerkmale wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der einzelnen Angebote (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie aller Identifikationsmerkmale wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<p>d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,</p>
<p>e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben zu b) die entsprechenden Belege (nämlich Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,</p>
<p>wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu benennenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen, und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Liste enthalten ist;</p>
<p>4. die in der Bundesrepublik Deutschland jeweils in ihrem unmittelbaren und/oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden oder zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;</p>
<p>5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten und im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen,</p>
<p>indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Beklagten die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nehmen.</p>
<p>II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter I.l. bezeichneten, seit dem 9. September 2017 begangenen Handlungen der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.</p>
<p>III. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</p>
<p>IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 668,4 Mio. € vorläufig vollstreckbar.</p>
</div>
<h2>Tatbestand</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/>Die Klägerin nimmt die Beklagtenseite wegen Verletzung ihrer Rechte aus dem nationalen Teil des europäischen Patents EP …461 auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.</p>
<p>A. Zu den Parteien</p>
<p><rd nr="2"/>Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents …461 (im Folgenden: Klagepatent, Anlage K 5) mit dem Titel „Leistungseffizienter Niederspannungs-Hüllkurvenverfolger“. Sie ist eine USamerikanische Gesellschaft mit Sitz in San D., Kalifornien.</p>
<p><rd nr="3"/>Die Beklagte zu 1 ist eine irische Tochtergesellschaft der P. Inc. mit Sitz in H., C., Irland. Sie ist für den deutschen P. Online Store sowie für das P. Contact Center verantwortlich. Die Beklagte zu 2 betreibt die physischen P. Retail Stores in Deutschland. Ihre Komplementärin ist die P. Holding B.V. mit Sitz in A., Niederlande. Kommanditistin ist die P. Retail Europe Holding mit Sitz in H., C., Irland.</p>
<p>B. Zu dem Klagepatent</p>
<p><rd nr="4"/>I. Die Klägerin hat das Klagepatent am 24.06.2012 angemeldet. Der Hinweis auf die Patenterteilung erfolgte (nach Klageerhebung) am 09.08.2017.</p>
<p><rd nr="5"/>II. Patentanspruch 1 lautet im englischen Original wie folgt:</p>
<p>„1. An apparatus (150) comprising:</p>
<p>an inductor (162) operative to receive a switching signal and provide a supply current;</p>
<p>a switcher (160b) operative to sense an input current (Isen) and generate the switching signal to charge and discharge the inductor to provide the supply current, the switcher (160b) adding an offset to the input current to generate a larger supply current via the inductor than without the offset an envelope amplifier (170a) operative to receive an envelope signal and provide a second supply current (Ienv) based on the envelope signal, wherein a total supply current (Ipa) comprises the supply current from the switcher (160b) and the second supply current from the envelope amplifier (170a); and a boost converter (180) operative to receive a first supply voltage and provide a boosted supply voltage having a higher voltage than the first supply voltage, wherein the envelope amplifier selectively operates based on the first supply voltage or the boosted supply voltage.“</p>
<p><rd nr="6"/>Patentanspruch 1 lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:</p>
<p>„1. Eine Vorrichtung (150), die Folgendes umfasst:“</p>
<p><rd nr="7"/>Eine Induktivität (162), die betreibbar ist zum Empfangen eines Schaltsignals und zum Bereitstellen eines Versorgungsstroms;</p>
<p>ein Schaltelement (160b), das betreibbar ist zum Abfühlen eines Eingangsstroms (Isen) und zum Generieren des Schaltsignals zum Laden und Entladen der Induktivität zum Bereitstellen des Versorgungsstroms, wobei das Schaltelement (160b) dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt, um einen größeren Versorgungsstroms [sic] über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset;</p>
<p>einen Hüllkurvenverstärker (170a), der betreibbar ist zum Empfangen eines Hüllkurvensignals und zum Bereitstellen eines zweiten Versorgungsstroms (Ienv) basierend auf dem Hüllkurvensignal, wobei ein Gesamtversorgungsstrom (Ipa) den Versorgungsstrom von dem Schaltelement (160b) und den zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker (170a) umfasst; und einen Boost- bzw. Aufwärtswandler (180), der betreibbar ist zum Empfangen einer ersten Versorgungsspannung und zum Bereitstellen einer geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung mit einer höheren Spannung als die erste Versorgungsspannung, wobei der Hüllkurvenverstärker selektiv basierend auf der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung arbeitet.</p>
<p><rd nr="8"/>Die Merkmale des (zuletzt allein) geltend gemachten Patentanspruchs 1 gliedern die Parteien übereinstimmend nach der Merkmalsgliederung K 2, der sich die Kammer anschließt.</p>
<p><rd nr="9"/>III. Mit der nachfolgenden Abbildung (Figur 5 des Klagepatents - im Original in Schwarzweiß) wird der Erfindungsgegenstand anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels verdeutlicht:</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33489-1-de.JPG" alt=""/></p>
<p><rd nr="10"/>Das Klagepatent befasst sich mit der Bereitstellung einer Stromversorgung für elektrische Verstärker, insbesondere zum Zwecke der Übertragung elektrischer Signale.</p>
<p><rd nr="11"/>Um Informationen über die Luftschnittstelle zu übertragen, werden sie typischerweise in ein hochfrequentes Signal (RF-Signal, „radio frequency-signal“) umgewandelt und sodann über einen Kommunikationskanal an einen Empfänger übertragen. Das RF-Signal wird dabei durch einen Leistungsverstärker („power amplifier“) verstärkt (vgl. Abs. [0002] f. KPS). Diese Verstärkung ist energieintensiv. Insbesondere bei dem Einsatz mobiler Geräte, die mit Batterien betrieben werden, ist ein effizienter Einsatz von Energie gewünscht.</p>
<p><rd nr="12"/>Das Klagepatent benennt als Stand der Technik die so genannte Hüllkurvenverfolgung, die in der Lage ist, dem zu sendenden hochfrequenten Signal zeitlich zu folgen. Hintergrund ist, dass das zu übertragende Signal größere Amplituden (Spannbreiten eines Signals) aufweisen kann. Wieviel Energie in die Verstärkung und Übermittlung des Signals investiert werden muss, hängt insbesondere von dieser Amplitude ab. Ohne die Hüllkurvenverfolgung muss eine Spannung angelegt werden, die in der Lage ist, die gesamte Bandbreite der Amplitude abzudecken. Ist das Signal schwach und die Amplitude klein, wird so unnütz Energie aufgewandt, die als Wärme abgegeben wird. Durch die Hüllkurvenverfolgung kann ein bedarfsspeziI. Energieaufwand betrieben werden, was Energie spart. Bildlich lässt sich das wie folgt darstellen (Abbildung Klage S. 8 - im Original in Farbe):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33489-2-de.jpeg" alt=""/></p>
<p><rd nr="13"/>Die linke Abbildung zeigt die lineare Spannungsversorgung ohne Hüllkurvenverfolgung, die rechte Abbildung eine solche mit Hüllkurvenverfolgung. Der rot markierte Bereich stellt jeweils überschüssig aufgewendete Energie dar.</p>
<p><rd nr="14"/>IV. Das Klagepatent ist - unstreitig - nicht standardessentiell.</p>
<p>C. Zu der angegriffenen Ausführungsform</p>
<p><rd nr="15"/>Die klägerseits als angegriffene Ausführungsform identifizierten Geräte enthalten den Chip Typ U. 81003 M (im Folgenden „U.-Chip“). Mit der Klage griff die Klägerin explizit zunächst die Mobiltelefone P. 7plus und P. 7 der Beklagtenseite an. Mit der Replik (dort S. 13) benannte sie explizit auch die Geräte P. 8, P. 8 plus, P. X als verletzend. Sie beschränkte ihren Angriff indes nicht auf die vorgenannten Gerättypen, sondern griff alle Ausführungsformen an, die von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen (S. 17, 20 der Klageschrift).</p>
<p><rd nr="16"/>Der U.-Chip ist Teil des U.-Envelope Trackers. Dieser wiederum ist Teil des Radio Freqency Front End (RFFE) der angegriffenen P.s (S. 18/20 Klageschrift, S. 10/11 Replik, jeweils mit Bildern). Der U.-Envelope Tracker stellt ein sog. System Inside Package Modul dar, das einen Chip und weitere Elemente wie Kondensatoren (capacitors) und Induktivitäten (inductors) umfasst.</p>
<p><rd nr="17"/>Die genaue Ausgestaltung des U.-Chips ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin hat im Wege eines reverse engineering das gesamte Modul U.-Enevlope-Tracker untersucht. Die Untersuchungsergebnisse liegen vor in Form von Teardown-Reports (Nr. 1: K 3, korrigiert K 7 - siehe S. 2 Schriftsatz vom 30.11.2017 = Bl. 197 d. A., vergrößerte Schaltpläne K 15, elektronische Version K 16 = S. 13 Replik; Nr. 2: K 4, zu der Erstellungsweise der Teardown-Reports siehe Replik S. 11/12). Die ursprünglichen Schaltpläne lagen dabei nicht vor. Auf Basis dieses Reports hat die Klägerin ein privates Sachverständigengutachten zur Funktionsweise des Chips anfertigen lassen und vorgelegt (K 22).</p>
<p><rd nr="18"/>Folgende Bauteile enthält die angegriffene Ausführungsform unstreitig: Sie weist einen envelope tracker auf, der einen Versorgungsstrom für einen Leistungsverstärker bereitstellt. Der Versorgungsstrom wird verstärkt. Des Weiteren gibt es eine Induktivität mit Schaltelement. Das Schaltelement wird basierend auf dem Leistungsnachverfolgungssignal gesteuert. Die angegriffene Ausführungsform verfügt auch über einen Kondensator, dessen Auswirkungen für ihre Funktionsweise zwischen den Parteien streitig ist.</p>
<p><rd nr="19"/>D. Die Beklagte zu 1 ist eine irische Tochtergesellschaft der P. Inc. mit Sitz in H., C., Irland. Sie ist für den deutschen P. Online Store sowie für das P. Contact Center verantwortlich. Die Beklagte zu 2 betreibt die physischen P. Retail Stores in Deutschland. Ihre Komplementärin ist die P. Holding B.V. mit Sitz in Amsterdam, Niederlande. Kommanditistin ist die P. Retail Europe Holding mit Sitz in H., C., Irland.</p>
<p><rd nr="20"/>Die Beklagte zu 1 ist für den deutschen P. Online Store und mithin für den Internet-Vertrieb der angegriffenen drahtlosen Endgeräte in Deutschland verantwortlich. Die Beklagte zu 2 betreibt die physischen P. Retail Stores in Deutschland und ist damit ebenfalls für den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen verantwortlich.</p>
<p>E. </p>
<p><rd nr="21"/>Die Klägerin bringt (zusammengefasst) vor:</p>
<p><rd nr="22"/>I. Die Klage sei nicht wegen § 145 PatG unzulässig. Der Einwand der Beklagten zu 1) sei schon verfristet, außerdem sei die hiesige Klage ihr früher (am 31.8.2017) zugestellt worden als die Mannheimer Klage (5.10.2017) (S. 2/4 Schriftsatz vom 25.01.2018).</p>
<p><rd nr="23"/>Die Beklagtenseite trage des Weiteren nicht schlüssig vor, weil es nach unstreitigem Vortrag noch nicht einmal eine Übereinstimmung der Oberbegriffe der unabhängigen Ansprüche beider Klagepatente gebe, und sie nicht eine Überlappung der charakteristischen Teile der beiden Patente darlege (S. 4/5 Schriftsatz 25.01.2018), und verkenne außerdem den rechtlichen Maßstab des § 145 PatG nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Richtigerweise gebe es keine Überlappung zwischen den charakteristischen Merkmalen der beiden Klagepatente; Übereinstimmung bestehe zwischen ihnen nur insoweit, als in beiden Fällen ein Envelope Signal = Hüllkurvensignal einer Leistungsversorgungseinheit zugeführt werde. Es bestehe noch nicht einmal ein identischer Oberbegriff (S. 5/12 Schriftsatz 25.01.2018, Figuren K 8,K 9).</p>
<p><rd nr="24"/>Auch die zweite Erwägung der Beklagtenseite, wonach das Klagepatent ein Problem löse, das das Mannheimer Patent erschaffe, greife nicht durch - schon deswegen nicht, weil das Mannheimer Patent prioritätsjünger sei. Das Klagepatent löse unabhängig von dem Mannheimer Patent das technische Problem der Steigerung der Effizienz der Energieversorgung des Leistungsverstärkers. Die Charakteristika der Lehre des Mannheimer Patents (einheitliches Leistungsverfolgungssignal für mehrere Sendesignale, einheitliche Versorgungsspannung für einzigen Leistungsverstärker) seien für die Lehre des hiesigen Klagepatents ohne Bedeutung (S. 4/5 Replik). Richtig sei, dass die Ausgestaltung der im Klagepatent geschützten Vorrichtung „PA supply generator 150“ auch ein Element der Lehre des Mannheimer Patents sei. Die konkrete Ausgestaltung der hier geschützten Vorrichtung spiele für das Mannheimer Patent hingegen keine Rolle (S. 5 Replik).</p>
<p><rd nr="25"/>II. Das Klagepatent sei unmittelbar wortsinngemäß durch die angegriffene Ausführungsform verletzt.</p>
<p>1. „Offset“ oder Versatz im Sinne des Merkmals 1.2.1 sei eine Manipulation, die entweder dadurch erfolgen könne, dass dem abgefühlten Strom ein Versatzstrom hinzugefügt werde, oder indem in der Einheit (Komparator), die den abgefühlten Strom bewertet, die Referenzwerte geändert würden. Anspruchsgemäß sei der Offset nur (insoweit unstreitig, S. 3 Klageerwiderung II = Bl. 274 d. A.), wenn der Offset bewirke, dass der über die Induktivität generierte Versorgungsstrom mit Offset größer sei als ohne Offset. Soweit das Ausführungsbeispiel von Offset current spreche, beziehe sich dies auf Unteranspruch 3. M1.2.1 sei hingegen breiter zu verstehen, wie [0039] des Klagepatents zeige.</p>
<p><rd nr="26"/>2. Die angegriffenen Ausführungsformen machen nach Auffassung der Klägerin von dem Merkmal 1.2.1 wortsinngemäß Gebrauch:</p>
<p><rd nr="27"/>Unabhängig von der konkreten Implementierung müsse es schlicht einen Offset im Sinne des Merkmals 1.2.1 geben. Unbeachtlich sei der Einwand der Beklagten unter Verweis auf die Entgegenhaltung „Choi“, der U.-Chip in der angegriffenen Ausführungsform weise eine andere Architektur auf und müsse daher keinen Offset erzeugen: die Lehre in „Choi“ funktioniere für die hier erforderlichen Bandbreiten nicht, wie „Choi“ selbst klarstelle.</p>
<p><rd nr="28"/>Jedenfalls der Digital-Analog-Wandler (digital-to-analog-converter, DAC) passe den Strom an und erzeuge so einen klagepatentgemäßen Offset. Dass der DAC deaktiviert sei, wie die Beklagtenseite behauptete, bestritt die Klägerin und unterstrich, dass auch eine Deaktivierung aus Rechtsgründen nicht aus einer Verletzung herausführe.</p>
<p><rd nr="29"/>Mit der Replik brachte die Klägerin vor, auch der Komparator (Figur 3.4.6 aus dem Teardown-Bericht) stelle einen Offset dar (dort S. 62, Bl. 414 d. A.). Mit der Triplik (dort S. 15 ff., Bl. 638 ff. d. A.) erläuterte die Klägerin ihr Vorbringen unter Bezugnahme auf das Privatgutachten K 23.</p>
<p>II.1. „selektiv basierend“ im Sinne des Merkmals 1.4.1 meine: Vboost komme nur zum Einsatz, wenn die Batteriespannung unterhalb eines bestimmten Grenzwerts liegt. Entscheidend sei daher die selektive Verwendung einer geboosteten Spannung für die Versorgung des Hüllkurvenverstärkers. Nicht entscheidend sei, ob die erste Versorgungsspannung, wie sie am Boost Converter anliegt, genau identisch mit der Versorgungsspannung ist, wie sie vom Hüllkurvenverstärker zu jedem Zeitpunkt als Alternative zur geboosteten Spannung verwendet wird.</p>
<p><rd nr="30"/>2. Es sei letztlich unstreitig, dass die angegriffene Ausführungsform eine geboostete Spannung verwende, wenn die Batteriespannung unter einen gewissen Spannungswert absinke - dann arbeite der Hüllkurvenverstärker nicht mit der niedrigen Batteriespannung, sondern mit einer höheren Spannung, die durch einen mittels Kondensator erzeugten Boost hervorgerufen werde. Unbeachtlich sei, dass die Batteriespannung und die geboostete Spannung jeweils noch reguliert würden - derartige Maßnahmen der Spannungsanpassung lasse das Klagepatent zu. Demnach sei eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals 1.4.1 gegeben.</p>
<p><rd nr="31"/>Das umfassende Vorbringen der Klägerin zu der Auslegung der (streitigen) Merkmale und der Darstellung der wortsinngemäßen Verletzung stellt das Gericht im Rahmen der Entscheidungsgründe dar.</p>
<p><rd nr="32"/>III. Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagtenseite habe das klägerische Vorbringen nicht (substantiiert) bestritten (S. 3 Replik). Soweit sie in der Quadruplik erstmals ansatzweise substantiiert bestritten habe sollte, sei dieses Vorbringen verspätet und daher nach § 296 ZPO zurückzuweisen.</p>
<p><rd nr="33"/>Die Klägerin habe in einem technisch komplizierten, kosten- und arbeitsintensiven (S. 57 Replik) Verfahren des reverse engingeering einen tear down-Bericht erstellen lassen, um substantiiert vortragen zu können. Das Bestreiten der Beklagtenseite sei in Anbetracht dessen unsubstantiiert. Die Beklagtenseite habe nach eigenen Angaben Informationen über den konkreten Aufbau des Chips, wolle sie nur nicht preisgeben. Der nur pauschale Verweis auf Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers verfinge indes nicht (S. 57/58 Replik). Das Aufklärungsinteresse der Klägerin habe jedenfalls nach der neueren Rechtsprechung des BGH Vorrang (S. 58/60 Replik, unter Verweis auf BGH GRUR Int 2007, 157, 161 Rn. 42 - Restschadstoffentfernung und BGH GRUR 2010, 318 - Lichtbogenschnürung zu einer Vorlage nur gegenüber den klägerischen Prozessbevollmächtigten).</p>
<p><rd nr="34"/>Die Klägerin habe zwar in den USA vor dem US District Court for the Middle District of North Carolina ein sog. Discovery-Verfahren eingeleitet (28 USC § 1782), um Informationen über die Architektur des U.-Chips zu erhalten (S. 3 Replik). Sie habe indes nicht versprochen, die Schaltpläne des U.-Chips aus dem Discovery-Verfahren in das Verfahren einzuführen, hierauf habe sich die Beklagtenseite folglich nicht verlassen dürfen. Vielmehr habe sie schon mit der Replik (dort S. 3) deutlich gemacht, dass es auf die Schaltpläne rechtlich gar nicht ankomme, weil der Vortrag der Beklagten rechtlich unbeachtlich sei (S. 15 Protokoll vom 8.11.2018).</p>
<p><rd nr="35"/>IV. Die Klägerin lizenziere nur Contract Manufacturers (CMs), hierdurch sei indes grundsätzlich auch die Beklagtenseite geschützt. Die Verträge sähen capture periods vor, die die ihnen unterfallenden Schutzrechte von bestimmten Einsatzzeitpunkten abhängig machten. Hierüber sei die Beklagtenseite stets informiert gewesen (S. 82 Replik, S. 2/3 Schriftsatz 31.10.2018). Keiner der CMs sei mit Blick auf das hiesige Klagepatent lizenziert (S. 3 Schriftsatz 31.10.2018, FBD 203 S. 2, K 10 S. 4, konkludent Replik S. 83).</p>
<p><rd nr="36"/>Die Klägerin treffe mit Blick auf den Lizenzeinwand keine (sekundäre) Darlegungslast, jedenfalls nicht nach Autorisierung der US-Anwälte der Klägerin, der Beklagtenseite die Angaben der Klägerin zu bestätigen. Die Beklagtenseite hätte schlicht bei ihren CMs um die erforderlichen Informationen nachfragen können, die gewillt gewesen seien, Auskünfte zu geben, wie die Beklagtenseite selbst vorbringe (S. 2, 5 Schriftsatz 31.10.2018, FBD 204). Die Anfrage FB 202 vom 12.09.2018 sei die erste Anfrage zur Lizenzierung bei der Klägerin seit Anhängigkeit hiesiger Verfahren (S. 4 Schriftsatz 31.10.2018). Bezüglich des Erschöpfungseinwands trage die Beklagtenseite die Darlegungslast, auch wenn dies mit Schwierigkeiten verbunden sei (S. 4 Schriftsatz 31.10.2018, unter Bezug u.a. auf OLG Düsseldorf GRUR 2017, 1219, 1220, Rn. 119 ff.; OLG München GRUR-RR 2003, 303, 304; BGH GRUR 2012, 630, 633 Rn. 37 ff. - Converse II).</p>
<p><rd nr="37"/>Die Beklagtenseite habe die CMs angewiesen, die Lizenzgebühren nicht mehr zu zahlen, weswegen die Klägerin Zahlungsklage gegen die CMs, und Klage wegen Eingriffs in die Vertragsbeziehungen zu den CMs gegen die Beklagtenseite habe erheben müssen. Vertragsverhandlungen, um das hiesige Klagepatent in die Lizenzverträge einzubeziehen, hätten wegen der Nichtzahlung der Lizenzgebühren nicht stattgefunden (S. 84/85 Replik). Durch die Anstiftung der CMs, die Lizenzgebühren nicht zu zahlen, hätte die Beklagtenseite sich zu ihrer behaupteten Lizenzbereitschaft in Widerspruch gesetzt (S. 48 Triplik).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="38"/>Die Klägerin habe der Beklagtenseite auch nicht versichert, alle CMs seien mit Blick auf alle Schutzrechte lizenziert, vielmehr habe die Klägerin der Beklagtenseite das Gegenteil mitgeteilt (S. 83 Replik, S. 8 Schriftsatz 31.10.2018, Zusammenstellung K 11).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="39"/>V. Auch der Kartellrechtseinwand der Beklagtenseite greife nicht durch.</p>
<p><rd nr="40"/>Es gebe schon keinen sachlich begrenzten Markt für „Premium-LTE-Basisband-Chipsätze“, auf einem solchen habe die Klägerin auch keine marktbeherrschende Stellung. Die Beklagtenseite behaupte auch noch nicht einmal einen relevanten Missbrauch auf dem sachlich relevanten Markt (S. 85/86 Replik, S. 59/62 Triplik). Die Argumentation der Beklagtenseite, warum der Unterlassungsanspruch ein Mittel zum Ausschluss von N. vom LTE-Basisband-Chipsatz-Markt sei, sei nicht schlüssig. Insbesondere habe die Klägerin das Klagepatent auch an CMs lizenziert; die Beklagtenseite habe aber kein Interesse hieran gehabt (S. 86/89 Replik). Die Lizenzsätze seien nicht ausbeuterisch, das lege die darlegungs- und beweisbelastete Beklagtenseite nicht dar (S. 46/48 Triplik). Im Übrigen sei eine missbräuchliche Zielsetzung auf dem Markt für „Premium-LTE-Basisband-Chipsätze“ nicht geeignet, eine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs betreffend den (nicht beherrschten) Markt für Radio Frequency Front End Chips zu begründen, denn dafür brauche es eine objektive Verknüpfung zwischen der marktbeherrschenden Stellung, dem angeblichen Missbrauch und den angeblich wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen (S. 89/90 Replik). Auch vergangenes, mit Bußgeld belegtes (und damit sanktioniertes) Verhalten könne eine Unverhältnismäßigkeit nicht begründen (S. 90/94 Replik, S. 62/64 Triplik), abgesehen davon, dass die beklagtenseits in Bezug genommenen KOM-Entscheidungen noch nicht rechtskräftig abgeschlossen seien. Eine Konsultation der Kommission komme ebenso wenig wie ein Vorabentscheidungsverfahren in Betracht (S. 95 Replik, S. 64/65 Triplik). Denn die gerichtliche Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs wegen einer Patentverletzung könne keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Klägerin begründen (S. 50/54 Triplik, nur unter außergewöhnlichen Umständen), und es gebe auch keine neue Fallkategorie, weil die Beklagtenseite eine Lizenzierung jedenfalls bewusst verhindert habe (S. 54/56 Triplik). Es sei durch den Unterlassungsanspruch auch kein Ausschluss des Wettbewerbs zu befürchten; vielmehr trage die Beklagtenseite gerade vor, dass die Patentbenutzung für die Tätigkeit der Beklagtenseite nicht erforderlich sei (S. 56 Triplik).</p>
<p><rd nr="41"/>VI. Das Verfahren sei auch nicht mit Blick auf das Verfahren vor dem UK High Court (nach § 148 ZPO/ <verweis.norm>Art. 30 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm>) auszusetzen, weil es im dortigen Verfahren allein um standardessentielle Patente gehe (S. 95/98 Replik, K 19, FBD 9 S. 43 ff., S. 65/68 Triplik). Auch im Übrigen sei das Verfahren nicht auszusetzen.</p>
<p><rd nr="42"/>VII. Den Beklagten stehe keine Aufbrauchfrist zu. Die Beklagtenseite habe ausdrücklich erklärt, dass die patentierte Technologie nicht unverzichtbar sei, so dass ein Unterlassungstitel keine erheblichen Auswirkungen auf die Beklagtenseite hätte. Die Beklagtenseite habe auch keinen Anlass gehabt, davon auszugehen, dass ihre Produkte unbegrenzt von den Lizenzvereinbarungen erfasst sein würden (S. 98 Replik, S. 68 Triplik).</p>
<p><rd nr="43"/>VIII. Die geforderte Sicherheitsleistung sei weit überhöht; die Beklagtenseite habe hierzu nicht substantiiert vorgetragen (S. 98 Replik).</p>
<p>F. Anträge</p>
<p><rd nr="44"/>I. Die Beklagten werden verurteilt,</p>
<p>1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen:</p>
<p>Vorrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,</p>
<p>die Folgendes umfassen:</p>
<p>eine Induktivität, die betreibbar ist zum Empfangen eines Schaltsignals und zum Bereitstellen eines Versorgungsstroms;</p>
<p>ein Schaltelement, das betreibbar ist zum Abfühlen eines Eingangsstroms und zum Generieren des Schaltsignals zum Laden und Entladen der Induktivität zum Bereitstellen des Versorgungsstroms, wobei das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt, um einen größeren Versorgungsstrom über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset;</p>
<p>einen Hüllkurvenverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen eines Hüllkurvensignals und zum Bereitstellen eines zweiten Versorgungsstroms basierend auf dem Hüllkurvensignal, wobei ein Gesamtversorgungsstrom den Versorgungsstrom von dem Schaltelement und den zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker umfasst; und einen Boost- bzw. Aufwärtswandler, der betreibbar ist zum Empfangen einer ersten Versorgungsspannung und zum Bereitstellen einer geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung mit einer höheren Spannung als die erste Versorgungsspannung, wobei der Hüllkurvenverstärker selektiv basierend auf der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung arbeitet (Anspruch 1, unmittelbare Verletzung) insbesondere wenn das Schaltelement basierend auf der ersten Versorgungsspannung arbeitet, und wobei der Versatz bzw. Offset basierend auf der ersten Versorgungsspannung bestimmt wird;</p>
<p>(Anspruch 2, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn das Schaltelement Folgendes umfasst:</p>
<p>einen Summierer, der betreibbar ist zum Summieren des Eingangsstroms und eines Versatz- bzw. Offsetstroms und zum Bereitstellen eines summierten Stroms, einen Stromabfühlverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen des summierten Stroms und zum Bereitstellen eines abgefühlten Signals, und einen Treiber, der betreibbar ist zum Empfangen des abgefühlten Signals und zum Bereitstellen wenigstens eines Steuersignals, das verwendet wird zum Generieren des Schaltsignals für die Induktivität;</p>
<p>(Anspruch 3, unmittelbare Verletzung) dies insbesondere wenn das wenigstens eine Steuersignal ein erstes Steuersignal und ein zweites Steuersignal umfasst, und wobei das Schaltelement weiter Folgendes umfasst:</p>
<p>einen P-Kanal-Metalloxidhalbleiter- bzw. PMOS-Transistor (PMOS = P-channel metal oxide semiconductor) mit einem Gate, das das erste Steuersignal empfängt, einer Quelle bzw. Source, die eine erste Versorgungsspannung empfängt, und einer Senke bzw. Drain, die das Schaltsignal bereitstellt, und einen N-Kanal-Metalloxidhalbleiter- bzw. NMOS-Transistor (NMOS = N-channel metal oxide semiconductor) mit einem Gate, das das zweite Steuersignal empfängt, einer Senke bzw. Drain, die das Schaltsignal bereitstellt und einer Quelle bzw. Source, die an Schaltungsmasse gekoppelt ist;</p>
<p>(Anspruch 4, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die Vorrichtung weiter Folgendes umfasst:</p>
<p>einen Leistungsverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen des Versorgungsstroms von der Induktivität und zum Empfangen und Verstärken eines Eingangshochfrequenz- bzw. Eingangs-HF-Signals und zum Bereitstellen eines Ausgangs-HF-Signals.</p>
<p>(Anspruch 5, unmittelbare Verletzung)</p>
<p>2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 9. September 2017 begangen haben, und zwar unter Angabe</p>
<p>a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<p>b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<p>3. der Klägerin schriftlich in geordneter Form (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 9. September 2017 begangen haben und zwar unter Angabe:</p>
<p>a) der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse,</p>
<p>b) der einzelnen Lieferungen (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie aller Identifikationsmerkmale wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der einzelnen Angebote (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie aller Identifikationsmerkmale wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und - preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<p>d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,</p>
<p>e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben zu b) die entsprechenden Belege (nämlich Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,</p>
<p>wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu benennenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen, und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Liste enthalten ist;</p>
<p>4. die in der Bundesrepublik Deutschland jeweils in ihrem unmittelbaren und/oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden oder zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;</p>
<p>5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten und im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen,</p>
<p>indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Beklagten die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nehmen.</p>
<p>II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter I.l. bezeichneten, seit dem 9. September 2017 begangenen Handlungen der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.</p>
<p><rd nr="45"/>Die Klägerin stellte zuletzt den obigen Antrag, mit der Maßgabe, dass die Bezugnahme auf Unteransprüche 2 bis 5 entfällt (S. 3 des Protokolls 7 O 10495/17 vom 8.11.2018).</p>
<p><rd nr="46"/>II. Die Beklagtenseite beantragt,</p>
<p>Klageabweisung,</p>
<p>hilfsweise Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das anhängige Einspruchsverfahren.</p>
<p><rd nr="47"/>Sie beantragt weiter hilfsweise, das Urteil nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von mindestens 1,671 Mrd. € für vorläufig vollstreckbar zu erklären, und den Beklagten zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung (auch durch Gestellung einer Bürgschaft) abzuwenden.</p>
<p><rd nr="48"/>Im Hinblick auf die nichttechnischen Erwiderungen beantragt die Beklagtenseite weiter hilfsweise die Aussetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des UK High Court, § 148 ZPO, bzw. bis zur Entscheidung der EU-Kommission über die Wettbewerbsverfahren gegen die Klägerin wegen AT.40220, AT.39711, <verweis.norm>Art. 16 <v.abk ersatz="VO 2003/1/EG">VO 2003/1/EG</v.abk></verweis.norm>, außerdem weiter hilfsweise von der EU Kommission eine Stellungnahme zur Anwendung der Wettbewerbsregeln einzuholen und das Verfahren bis zum Erhalt der Stellungnahme auszusetzen, und zuletzt hilfsweise eine Vorlage an den EuGH, um die Kartellrechtswidrigkeit des behaupteten klägerischen Verhaltens überprüfen zu lassen.</p>
<p><rd nr="49"/>Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung.</p>
<p><rd nr="50"/>G. Die Beklagtenseite bringt (zusammengefasst) vor:</p>
<p><rd nr="51"/>I. Die Klage sei unzulässig, § 145 PatG. Eine Klage vor dem Landgericht Mannheim wegen Verletzung des EPs 2 954 737 (DE 60 2014 010 962.4) (Klageschrift LG Mannheim FBD 1, dortige Klagepatentschrift FBD 2) betreffe eine gleichartige Handlung wie die hiesige Klage. Auch in dem dortigen Verfahren gehe es um das envelope tracking durch den U.-Chip 81003M (S. 3/4, 6 Schriftsatz vom 20.11.2017 = Bl. 178/179 d. A.). Auch Parteiidentität bestehe (S. 6 Schriftsatz 20.11.2017).</p>
<p><rd nr="52"/>Zur Darlegung der Merkmalsgliederung des Anspruchs 1 des Patents EP 2 954 737 nimmt das Gericht Bezug auf S. 3 Schriftsatz vom 20.11.2017 = Bl. 178 d. A.</p>
<p><rd nr="53"/>Es bestehe zwischen beiden geltend gemachten Verletzungshandlungen ein so enger technischer Zusammenhang, dass die gemeinsame Durchsetzung beider Patente sich aufdränge. In beiden Verfahren greife die Klägerin den U.-Chip an, einmal als Leistungsversorgungsgenerator im Sinne des hiesigen Klagepatents, einmal im Sinne eines Envelope Tracking Moduls im Sinne des Mannheimer Klagepatents, so dass die technischen Lehren beider Patente nach Auffassung der Klägerin zusammenwirken müssten. Das zeige sich auch daran, dass Figur 5 des hiesigen Klagepatents der Figur 9 des Mannheimer Klagepatents entspreche. Nach Auffassung der Klägerin nutze das hiesige Klagepatent das im Mannheimer Klagepatent beanspruchte Leistungsverfolgungssignal als Hüllkurvensignal. Ferner verweise das Mannheimer Klagepatent auf die Anmeldung des US-Gegenstücks des hiesigen Klagepatents (S. 7/8 Schriftsatz vom 20.11.2017 = Bl. 182/183 d. A.).</p>
<p><rd nr="54"/>Die Lehre des hiesigen Klagepatents gestalte die charakteristischen Merkmale des in Mannheim geltend gemachten Patents durch zusätzliche Merkmale weiter aus. Der Zusammenhang ergebe sich des Weiteren daraus, dass die Zusammenfassung einer Vielzahl von I/Q-Paaren einer Vielzahl von Sendesignalen zu einem einzigen Leistungsverfolgungssignal die insbesondere für die sogenannte Carrier Aggregation spezifische Energieverteilung im Sendesignal bewirke (stärkere Spreizung von Durchschnittssendeleistung und Spitzensendeleistung) (S. 45 ff Duplik). Der Frequenzabstand der einzelnen Träger bedürfe einer hohen Sendeleistung und damit einer hohen Spannungsversorgung (S. 50/51 Duplik, unter Bezugnahme auf klägerische Replik im Mannheimer Verfahren HRM 7, dort S. 37).</p>
<p><rd nr="55"/>Schon wegen der hiesigen Sachverständigen-Anhörung sei es prozessökonomischer, beide Verfahren zusammen zu verhandeln (S. 53 Duplik).</p>
<p><rd nr="56"/>Der Antrag nach § 145 PatG sei auch nicht verfristet, im Übrigen sei die Verspätung jedenfalls entschuldigt, § 296 Abs. 3 ZPO (S. 2/5 Schriftsatz vom 18.01.2018).</p>
<p><rd nr="57"/>II. Die Beklagtenseite verletze das Klagepatent - jedenfalls bei zutreffender Auslegung - nicht.</p>
<p><rd nr="58"/>1. Offset im Sinne des Merkmals 1.2.1 könne sich (allein) auf die Hinzufügung von Strom beziehen, weil sich andere Dinge Strom nicht hinzufügen ließen. Das Ausführungsbeispiel in Beschreibungsstelle [0039] S. 2 des Klagepatents sei nicht beansprucht. Der Anspruch sei auf eine Ausgestaltung beschränkt, in der der zweite Versorgungsstrom auch den Spulenstrom zur Verfügung stellen könne (Gleichstrom). Wenn man die Auslegung der Klägerin heranziehe, ergebe sich kein Neuheitswert gegenüber dem zitierten Patent „Mathe“, das sei ersichtlich nicht gemeint.</p>
<p><rd nr="59"/>2. Das Merkmal 1.2.1 sei nicht verwirklicht. Die Klägerin trage noch nicht einmal schlüssig vor, da sie sich nur auf den Teardown-Bericht stütze, der keinen eindeutigen Aufschluss über die tatsächliche Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform biete (S. 4 Klageerwiderung II). Der von der Klägerin zunächst als DAC identifzierte Funktionsblock sei deaktiviert und im Übrigen technisch nicht in der Lage, den Versorgungsstrom zu erhöhen (S. 4 Klageerwiderung II).</p>
<p><rd nr="60"/>II.1. Das Merkmal 1.4.1 sei nicht verwirklicht, wenn der Hüllkurvenverstärker mit einer Spannung arbeitet, die ihrerseits auf der ersten oder auf der erhöhten Versorgungsspannung basiere. Richtigerweise erfordere das Merkmal ein Umschalten zwischen der ersten Versorgungsspannung und der von dieser abgeleiteten Spannung. Eine „wahlweise“-Konfiguration könne die Beklagtenseite nicht einmal wählen; sie sei vielmehr zulieferseitig ausgeschlossen (S. 4 Klageerwiderung II).</p>
<p><rd nr="61"/>III. Generell könne die Beklagtenseite nur so viel vortragen, wie es Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers U. erlaubten. Insbesondere Schaltpläne könne sie nicht vorlegen. Indes habe die Klägerin im ersten Termin in Aussicht gestellt, die Schaltpläne nach Durchführung des US-Discovery-Verfahrens vorzulegen. Die Beklagtenseite habe sich auf diese Ankündigung der Klägerin verlassen und auch verlassen dürfen. Daher dürfe, soweit man erst den Vortrag in der Quadruplik als substantiiertes Bestreiten ansehen wolle, dieser jedenfalls nicht als verspätet gewertet werden: erst nach Vorlage der Triplik habe die Beklagtenseite erkannt, dass die Klägerin trotz Durchführung des Discovery-Verfahrens die Schaltpläne nicht vorlegen würde, und habe unter Inanspruchnahme des Zulieferers weiter vorgetragen (S. 14 Protokoll).</p>
<p><rd nr="62"/>IV. Ihren Antrag auf Aussetzung mit Blick auf die Nichtigkeitsklage stützt die Beklagtenseite vor allem auf die Entgegenhaltung Hou (HRM 2, 2a) aus dem Einspruchsverfahren gegen das Klagepatent. Die Beklagtenseite ist der Auffassung, diese nehme alle Merkmale der streitgegenständlichen Ansprüche neuheitsschädlich vorweg. Des Weiteren sei das Klagepatent mit Blick auf die Entgegenhaltungen Kim (HRM 4a) und Kwak (HRM 3a) nicht erfinderisch.</p>
<p><rd nr="63"/>V. Erstmals mit der Quadruplik brachte die Beklagtenseite einen Lizenzeinwand vor.</p>
<p><rd nr="64"/>Die Klägerin habe der Beklagtenseite mehrfach zugesichert, über ihre CMs für das gesamte Portfolio lizenziert zu sein. Deswegen und wegen der systematischen Verschleierung der Klägerin mit Blick auf das Ausmaß der Lizenzierung in zeitlicher Hinsicht („capture periods“) sei davon auszugehen, dass die Beklagtenseite auch bezüglich des Klagepatents der Lizenz- und/oder Erschöpfungseinwand zustehe. Außerdem trage die Klägerin jedenfalls nach § 242 BGB die sekundäre Darlegungslast (S. 2, 6, 14/15 Quadruplik Teil III, unter Bezugnahme auf BGH GRUR 2012, 626 - Converse I und BGH GRUR 2004, 268 - Blasenfreie Gummibahn II). Gleichwohl behaupte die Klägerin nach wie vor, für das hiesige Klagepatent seien die CMs nicht lizenziert (S. 4 Quadruplik Teil III). Da die Beklagtenseite weiterhin ihre Produkte von CMs bezöge (genauer: von den CMs O., I. und E., die jeder für sich alle explizit angegriffenen Ausführungsformen herstellten, S. 12 Quadruplik Teil III), sollten Patentverletzungsklagen im Übrigen eigentlich ausgeschlossen sein (S. 16 Quadruplik Teil I, FBD 29, S. 6 Quadruplik Teil III). Gleiches gelte mit Blick auf die klägerseits öffentlich in Bezug genommene forbearance-Politik, wonach sie SEPverletzende Mitbewerber nicht verfolge (S. 17 Quadruplik).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="65"/>Die Beklagtenseite habe die CMs nicht zum Vertragsbruch angestiftet (S. 36 Quadruplik Teil I, Quadruplik Teil III S. 13). Rechtlich sei die Nichtzahlung von Lizenzgebühren an dieser Stelle unerheblich, weil die Klägerin jedenfalls keine Kündigung behaupte, daher die jeweilige Lizenz auch nicht erloschen sein könne (S. 13 Quadruplik Teil III).</p>
<p><rd nr="66"/>Die Beklagtenseite unterstrich schon in der Klageerwiderung (dort S. 12), die Lizenzverträge zwischen der Klägerin und deren Auftragsfertigern seien geheim. Die Beklagtenseite könne sie nicht einsehen und prüfen. Auch FBD 204, wonach die Informationen in FBD 203 korrekt sein sollen, sei nicht ausreichend, weil sie der Beklagtenseite keine eigene Prüfungsmöglichkeit einräume und nur die Prozessbevollmächtigten Kenntnis nehmen könnten, auf deren Kenntnis es aber prozessual nicht ankomme (S. 4, 14 Quadruplik Teil III). Dass sie mithin nicht schon vor der Quadruplik den Lizenzeinwand habe erheben können, liege allein an dem Verhalten der Klägerin, die der Beklagtenseite systematisch eine Offenlegung des Umfangs der Lizenzen verweigert habe (S. 6/10 Quadruplik Teil III). Auch in einem beklagtenseits angestrengten Discovery-Verfahren nach 28 USC § 1782 habe die Klägerin der Vorlage der Lizenzverträge widersprochen, mit der Begründung, dass mangels Berufung der Beklagtenseite auf den Lizenzeinwand eine Relevanz der Verträge nicht zu ersehen sei (S. 10 Quadruplik Teil III, FBD 208). Die Beklagtenseite habe mit Blick auf die langjährigen und wichtigen Geschäftsbeziehungen zu den CMs erst zu dem Mittel der Streitverkündung gegriffen, als sich abzeichnete, dass andere Wege nicht zum Erfolg führen würden (S. 11 Quadruplik Teil III). Sie habe im Übrigen alle außergerichtlichen und gerichtlichen Schritte ausgeschöpft, um an die relevanten Informationen zu gelangen (S. 16 Quadruplik Teil III).</p>
<p><rd nr="67"/>Die Klägerin habe eingeräumt, dass für einige Patente Lizenzen für die CMs E. und O. bestünden (FBD 203), habe indes gerade nicht dargelegt und begründet, wieso dies für das Klagepatent nicht der Fall sein solle. Wenn ein CM lizenziert sei, dann umfasse die Lizenz - so sehe das auch die Klägerin - jedenfalls auch die Beklagtenseite (S. 12 Quadruplik Teil III). An den durch lizenzierte CMs hergestellten Produkten sei auch Erschöpfung eingetreten (S. 16 Quadruplik Teil III).</p>
<p><rd nr="68"/>Für den Fall, dass die Kammer davon ausgehe, dass die Beklagtenseite die Darlegungslast für die klägerseits verheimlichten Umstände treffe, beantragte die Beklagtenseite, der Klägerin die Vorlage der Lizenzverträge nach §§ 421, 423 oder nach § 142 ZPO aufzugeben (S. 17/20 Quadruplik Teil III).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="69"/>VI. Im Übrigen sei jedenfalls ein etwaiger Ausspruch des Unterlassungsanspruchs unverhältnismäßig, weil er gegen Kartellrecht verstoßen würde: Die Klägerin halte auf dem Markt für Premium-LTE-Basisband-Chipsätze und auf dem SEP-Lizenzmarkt (zum relevanten Markt S. 28/30 Klageerwiderung = Bl. 228/230 d. A., FBD 10a, S. 19/21 Quadruplik) eine marktbeherrschende Stellung (S. 30/34 Klageerwiderung = Bl. 230/ d. A., S. 4 ff. Duplik, FBD 11, FBD 21, SVG, S. 21/22 Quadruplik). Die relevanten Märkte seien durch starke Markteintrittsbarrieren gekennzeichnet (S. 34/35 Klageerwiderung = Bl. 234/235 d. A., S. 15/19 Duplik, FBD 12, FBD 23, FBD 21, SVG, S. 25/30 Quadruplik). Eine Vielzahl von Wettbewerbsbehörden (im Einzelnen S. 26/28, 49/50 Klageerwiderung = Bl. 226/228, 249/250 d. A., FBD 8a, 9, 10) ermittelten wegen missbräuchlichen Verhaltens (u.a. die „no-licence-no-chips“-Politik = wettbewerbswidrige Kopplungsvereinbarung, s. S. 4/5, 12, 38/40 Klageerwiderung, S. 21 Duplik, S. 32/33 Quadruplik, Rabattverträge u.a. im Gegenzug zu Nichtangriffsklauseln, S. 5/6, 13/17, 36/38, 40/41 Klageerwiderung, S. 19/21 Duplik, S. 31/32 Quadruplik) gegen die Klägerin, teilweise sei sie schon zur Zahlung hoher Bußgelder verpflichtet worden. Unter anderem habe sie durch ein Rabattsystem die Beklagtenseite zu einem exklusiven Bezug von Premium-Basisband-Chipsätzen gezwungen, um so ihre Mitbewerber aus dem Markt zu drängen. Nur durch die Rabattierung habe die Beklagtenseite die diskriminierend hohen Lizenzgebühren (S. 41/43 Klageerwiderung = Bl. 241/243 d. A., S. 21/22 Duplik, FBD 24, S. 33/34 Quadruplik) der Klägerin, die die Auftragsfertiger ihr weiterbelastet hätten, wirtschaftlich auf ein angemessenes Maß reduzieren zu können (S. 17, 37 Klageerwiderung = Bl. 217, 237 d. A.). Auch die selektive Lizenzpraxis sei wegen der hieraus folgenden strukturell überhöhten Lizenzgebühren und entstehender Intransparenz missbräuchlich (S. 34/35 Quadruplik). Ihre marktbeherrschende Stellung wolle sie auch durch die hiesige Klage stärken. Dabei sei irrelevant, dass das hiesige Verfahren keine Premium-LTE-Basisband-Chipsätze beträfe. Denn die Klägerin wolle die Beklagtenseite durch die hiesige und andere Klagen (Übersicht FBD 8) dafür „bestrafen“, dass die Beklagtenseite nach einer fünfjährigen Periode des Bezugs nur von Chips der Klägerin nunmehr N.-Chipsätze verwende (S. 48/49 Klageerwiderung, FBD 13). So mache die Klägerin ihre angeblichen Unterlassungsansprüche überwiegend (Bl. 206 = S. 6 der Klageerwiderung Teil I) gegen P.s geltend, die Chipsätze von N. enthielten. Die Klägerin habe der Beklagtenseite mehrfach zugesichert, über ihre CMs für das gesamte Portfolio lizenziert zu sein. Da die Beklagtenseite weiterhin ihre Chips von CMs bezögen, sollten Patentverletzungsklagen eigentlich ausgeschlossen sein (S. 16 Quadruplik, FBD 29). Gleiches gelte mit Blick auf die klägerseits öffentlich in Bezug genommene forbearance-Politik, wonach sie SEPverletzende Mitbewerber nicht verfolge (S. 17 Quadruplik). Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs habe kein anderes Ziel als die Aufrechterhaltung und Ausweitung der marktbeherrschenden Stellung der Klägerin durch den Ausschluss von N., sei daher missbräuchlich, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>, und daher abzuweisen. Anderenfalls trüge das Gericht zu einer Schädigung oder einem Ausschluss des Wettbewerbs auf dem Markt für Premium-Basisband-Chipsätzen bei (S. 52 Klageerwiderung). Auch wenn hier ein nicht-beherrschter Markt betroffen sei, müsse nach der Rechtsprechung des EuGH das hiesige Verhalten mit Blick auf die Stellung der Klägerin im beherrschten Markt in einer Gesamtbetrachtung gewürdigt werden (S. 46/48 Klageerwiderung = Bl. 246/248 d. A., S. 38/40 Duplik, S. 3/4, 23/25, 38/39 Quadruplik). Wenn die Beklagtenseite zu einem Alleinbezug von Chipsätzen von der Klägerin gezwungen würde, könnte sich N. voraussichtlich nicht auf dem Markt halten, und die Klägerin könnte ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Premium-LTE-Basisband-Chipsätze zu einer Monopolstellung ausbauen. Dies hätte auch Auswirkungen auf den entstehenden Markt für 5G-Basisband-Chipsätze (S. 31/34 Duplik). Auch Patente seien nicht schrankenlos gewährt (S. 44/46 Klageerwiderung = Bl. 244/246 d. A., S. 37/38 Duplik). Hinzu komme, dass die hier fragliche Technologie zwar nicht unverzichtbar sei, aber nicht ohne Weiteres änderbar und technologisch mit Basisband-Chipsätzen verbunden (S. 51 Klageerwiderung, S. 23 ff. Duplik, S. 41 ff. Quadruplik). Die Klägerin selbst betone die Wichtigkeit der hier fraglichen Energiesparfunktionen (S. 50/52 Klageerwiderung, FBD 14).</p>
<p><rd nr="70"/>Die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs würde zu einer erheblichen Behinderung und Beseitigung des Wettbewerbs im relevanten Markt führen, auch weil RF-Schaltkreise mit dem Basisband-Chipsatz-Markt technisch eng verbunden seien (S. 23/ Duplik, SVG, Zeugen A., I.).</p>
<p><rd nr="71"/>Auch die US International Trade Commission (ITC) habe kürzlich aus kartellrechtlichen Erwägungen (verankert in der USamerikanischen Rechtsfigur des „public interest“) eine Unterlassungsanordnung trotz festgestellter Verletzung abgelehnt (Schriftsatz vom 8.11.2018, FBD 35(a)).</p>
<p><rd nr="72"/>Neben der möglichen Aussetzung nach <verweis.norm>Art. 16 Abs. 1 <v.abk ersatz="VO 2003/1/EG">VO 2003/1/EG</v.abk></verweis.norm>, oder zur Anfrage bei der Europäischen Kommission oder zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens oder mit Blick auf ein Verfahren im Vereinigten Königreich (S. 7, 53/57 unten der Klageerwiderung Teil I = Bl. 207, 253/257 d. A., S. 34/44 Duplik, Urteil UK FBD 27, S. 51/52 Quadruplik, Schriftsatz vom 8.11.2018, FBD 36) müsse das Gericht daher die Unverhältnismäßigkeit des Ausspruchs des Unterlassungsanspruchs nach <verweis.norm>Art. 3 Abs. 2 der <v.abk ersatz="Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG beachten (S">Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG beachten (S</v.abk></verweis.norm>. 8, 59/62 Klageerwiderung Teil I = Bl. 208, 259/262 d. A., FBD 17). Die Klägerin verstoße auch unmittelbar gegen <verweis.norm>Art. 3 der <v.abk ersatz="Entscheidung der Kommission vom 24">Entscheidung der Kommission vom 24</v.abk></verweis.norm>.01.2018 (S. 6, 9/16 Quadruplik). Der Unterlassungsantrag sei schließlich missbräuchlich nach § 242 BGB: die Klägerin habe den Beklagten seit Jahren versichert, sie stünde im Genuss einer umfassenden Durchlizenzierung implementierter Patente ihrer Auftragsfertiger (S. 8, 18/26, 62/64 Klageerwiderung Teil I = Bl. 208, 218/226, 262/264 d. A.). Die Klägerin habe sich geweigert, der Beklagtenseite Lizenzen zu erteilen (S. 64 Klageerwiderung), auch für SEPs (S. 43/44 Klageerwiderung = Bl. 243/244 d. A.). Jedenfalls müsse der Beklagtenseite wegen § 242 BGB eine Aufbrauchfrist gewährt werden (S. 64/65 Klageerwiderung, S. 44/46 Duplik, S. 53 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="73"/>VII. Hilfsweise seien Rückruf- und Vernichtungsansprüche wegen Unverhältnismäßigkeit abzuweisen, weiter hilfsweise seien vollstreckungsrechtliche Besonderheiten zu beachten (S. 65/71 Klageerwiderung, FBD 18, FBD 19, S. 46 Duplik), insbesondere eine erhöhte Vollstreckungssicherheit.</p>
<p><rd nr="74"/>H. Die Klage vom 17.07.2017 wurde der Beklagtenseite am 05.12.2017 zugestellt (EB hinter Bl. 56 d. A.). Bereits unter dem 18.10.2017 war der Beklagtenseite nebst Beschluss nach § 184 ZPO eine beglaubigte Abschrift der Terminsverfügung vom 21.07.2017 (Bl. 54 d. A.) und eine Ladung zum Termin zugegangen. Unter dem 12.10.2017 bestellten sich Prozessbevollmächtigte für die Beklagtenseite; die Klageerwiderungsfrist wurde für das materielle Vorbringen verlängert bis 15.12.2017 (Bl. 173 d. A., Verfügung vom 12.10.2017). Unter dem 20.11.2017 erhob die Beklagtenseite die Einrede der Unzulässigkeit nach § 145 PatG, mit Blick auf eine in Mannheim durch Zustellung an die Beklagtenseite am 10.11.2017 erhobene Klage wegen einer Verletzung des Patents EP 2 954 737 (DE 60 2014 010 962.4).</p>
<p><rd nr="75"/>Ein Antrag auf Gestellung einer Prozesskostensicherheit der Beklagtenseite (Schriftsatz vom 20.11.2017 S. 9 ff. = Bl. 184 ff. d. A.) wurde mit Beschluss vom 27.11.2017 behandelt (Bl. 186/188 d. A.).</p>
<p><rd nr="76"/>Wegen geheimhaltungsbedürftiger Informationen wurde die Öffentlichkeit während der Sitzung am 08.11.2018 per Beschluss zeitweise ausgeschlossen. Unter dem 20.12.2018 hat die Kammer einen Beschluss gem. <verweis.norm>§ 173 Abs. 2 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> erlassen. Soweit dieses Urteil im Tatbestand oder in den Entscheidungsgründen geheimhaltungsbedürftige Informationen erhält, sind diese grau hinterlegt. Vorab wird jeweils auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der folgenden Passage hingewiesen, auch das Ende der geheimhaltungsbedürftigen Passage wurde markiert.</p>
<p><rd nr="77"/>Möglicherweise war die Zutrittsmöglichkeit zu dem Landgericht München I während der Sitzung am 08.11.2018 von ca. 18 Uhr bis ca. 19.10 Uhr nicht gegeben. Das Gericht hat, nachdem es von Umständen erfahren hat, die hierauf hindeuten, den fraglichen Teil der Sitzung sicherheitshalber nachgeholt. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 8.11.2018, die Aktenvermerke hierzu, sowie auf die Entscheidungsgründe verwiesen.</p>
<p><rd nr="78"/>Das Gericht hat sich durch einen Sachverständigen technisch beraten lassen (Anordnung S. 1 der Verfügung vom 21.03.2018 = Bl. 345 d. A.). Es hat ferner unter Ausschluss der Öffentlichkeit Beweis erhoben durch Zeugenanhörung. Wegen des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 8.11.2018 sowie auf die Entscheidungsgründe verwiesen.</p>
<p><rd nr="79"/>Nach dem Schluss der mündlichen Verhaltung reichten die Parteien nachgelassene und nicht nachgelassene Schriftsätze wie folgt ein:</p>
<p>Klagepartei:</p>
<p>Schriftsatz vom 29.11.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 6.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 7.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 12.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 14.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Beklagtenseite:</p>
<p>Schriftsatz vom 22.11.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 29.11.2018 (nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 10.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 13.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 13.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p>Schriftsatz vom 17.12.2018 (nicht nachgelassen)</p>
<p><rd nr="80"/>Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 22.11.2018 beantragte die Beklagtenseite den Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagtenseite. Im Einzelnen stellt das Gericht das Begehr der Beklagtenseite in den Entscheidungsgründen dar.</p>
<p><rd nr="81"/>Im Übrigen nimmt das Gericht Bezug auf sämtliche zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie alle gerichtlichen Verfügungen, Vermerke, Beschlüsse und Protokolle.</p>
<p><rd nr="82"/>Soweit in diesem Tatbestand und in den nachfolgenden Entscheidungsgründen auf Seitenzahlen von Schriftsätzen und Anlagennummern Bezug genommen wird, beziehen sich diese auf Seitenzahlen und Anlagennummern in dem Parallelverfahren 7 O 10796/17.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="83"/>Die Klage ist zulässig (A.) und begründet (unter B.). Das Verfahren ist entscheidungsreif. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht angezeigt (E.).</p>
<p>A. Zulässigkeit</p>
<p><rd nr="84"/>Die Klage ist zulässig.</p>
<p>I. Zuständigkeit</p>
<p><rd nr="85"/>Das Landgericht München I ist international und örtlich nach <verweis.norm>Art. 7 Nr. 2 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm> zuständig. Die sachliche Zuständigkeit folgt aus § 143 PatG, weil es sich um eine Patentstreitsache handelt.</p>
<p>II. <verweis.norm>Art. 64 Abs. 3 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 145 PatG</p>
<p><rd nr="86"/><verweis.norm>Art. 64 Abs. 3 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 145 PatG steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Die Einrede aus § 145 PatG ist zwar beklagtenseits fristgerecht erhoben, greift aber mangels gleichartiger Handlungen iSd § 145 PatG nicht durch.</p>
<p>1. Frist</p>
<p><rd nr="87"/>Die Einrede aus § 145 PatG ist jeweils fristgerecht erhoben. Die Einrede des § 145 PatG betrifft die Zulässigkeit der weiteren Klage (Benkard PatG/Grabinski/Zülch PatG § 145 Rn. 2 mwN) und muss daher innerhalb der Klageerwiderungsfrist geltend gemacht werden, § 282 Abs. 3 S. 2 ZPO (BeckOK PatR/Kircher PatG § 145 Rn. 23). Das ist hier geschehen: die Beklagtenseite hat sich innerhalb der (verlängerten materiellen) Klageerwiderungsfrist auf § 145 PatG berufen.</p>
<p><rd nr="88"/>2. Mit Blick auf die Beklagte zu 1) liegt schon keine weitere Klage vor. Denn die hiesige Klage wurde der Beklagten zu 1) vor der Mannheimer Klage zugestellt, mithin rechtshängig iSd § 145 PatG. Unbeachtlich ist, dass der Beklagten zu 2) erst die Klage im Mannheimer Verfahren zugestellt wurde: die hiesigen Beklagten sind einfache Streitgenossen, die Rechtshängigkeit und die Wirkungen des § 145 PatG sind für jeden Streitgenossen gesondert festzusetzen.</p>
<p><rd nr="89"/>3. Jedenfalls keine gleichartige Handlung iSd § 145 PatG Es liegt im Übrigen jedenfalls keine gleichartige Handlung iSd <verweis.norm>§ 145 <v.abk ersatz="PatG">PatG</v.abk></verweis.norm> vor.</p>
<p>a. „Handlung“ ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der mit dem Klageantrag konkret beschriebene, durch die Ausgestaltung eines bestimmten Teils der Gesamtvorrichtung charakterisierte konkrete Verletzungstatbestand ( BGH GRUR 2011, 411, 414 Rn. 24 - Raffvorhang; BGH GRUR 1989, 187, 189 - Kreiselegge II). Nicht entscheidend ist, ob Verletzungstatbestände durch dieselbe (Gesamt-)Vorrichtung verwirklicht werden (BGH GRUR 2011, 411, 414 Rn. 25 - Raffvorhang). Ob eine Handlung gleichartig ist, ist bei einer wertenden Abwägung der Interessen des Beklagten auf Schutz vor einer Inanspruchnahme in mehreren Prozessen einerseits und der Interessen des Klägers an der Durchsetzung seiner Schutzrechte andererseits zu bestimmen. Maßgeblich ist, ob es sich aufdrängt, beide Patente in einer Klage anzugreifen, weil die Handlungen „im Vergleich zu der im ersten Rechtsstreit angegriffenen Handlung zusätzliche oder abgewandelte Merkmale aufweisen“, so dass sie einen engen technischen Zusammenhang aufzeigen (BGH GRUR 2011, 411, 414 Rn. 27 - Raffvorhang). Nicht ausreichend ist es, wenn einzelne Teile einer Gesamtvorrichtung, deren konkrete Ausgestaltung im ersten Rechtsstreit angegriffen worden ist, auch für die Verwirklichung des im zweiten Rechtsstreit geltend gemachten Verletzungstatbestands von Bedeutung sind. Vielmehr muss auch im zweiten Rechtsstreit die konkrete Ausgestaltung dieser Teile angegriffen werden, in derselben oder in abgewandelter Form (BGH GRUR 2011, 411, 414 Rn. 28 - Raffvorhang). § 145 PatG ist mit Blick auf <verweis.norm>Art. 14 <v.abk ersatz="GG eng zu verstehen (BGH GRUR 2011">GG eng zu verstehen (BGH GRUR 2011</v.abk></verweis.norm>, 411, 413 Rn. 18 ff. mwN - Raffvorhang).</p>
<p><rd nr="90"/>b. Hiernach liegen keine gleichartigen Handlungen vor.</p>
<p><rd nr="91"/>Die Klage in Mannheim richtet sich zwar unstreitig gegen dieselben Beklagten. Ebenso ist die angegriffene Ausführungsform in beiden Verfahren dieselbe, und die Klägerin greift in beiden Verfahren u.a. den U.-Chip an. Die Handlungen im Sinne des Klageantrags sind aber weder dieselben noch gleichartig, weil die Patente, deren Schutz durch die Klagen verfolgt wird, keinen hinreichenden technischen Zusammenhang aufweisen. Beide Patente befassen sich zwar grundsätzlich mit einem Hüllkurvensignal. Schon die Oberbegriffe (“Power Tracker for multiple transmit signals sent simultaneously“ in FBD 2 und „Lowvoltage power-efficient envelope tracker“ im hiesigen Klagepatent) sind indes nicht deckungsgleich. Das hiesige Klagepatent versucht, ein speziell bei Niedrigspannung auftretendes Problem zu lösen. Das Patent FBD 2 (im Folgenden vereinfachend „Mannheimer Patent“) unternimmt es, aus mehreren Komponenten ein einheitliches Power Tracking Signal zu erzeugen. Der Power Tracker des Mannheimer Patents ist nicht das Gleiche wie der Envelope Tracker im hiesigen Klagepatent (Vortrag Klägerin S. 9 Schriftsatz 25.01.2018, unbestritten).</p>
<p><rd nr="92"/>Unbeachtlich ist dabei auch, dass die Merkmalsanalysen beider Patente bei einer Gegenüberstellung teils Überschneidungen aufweisen (Duplik S. 49/50). Die Beklagtenseite stützt sich dabei auch auf Unteransprüche, die nicht Gegenstand der Klage in Mannheim sind, wie sich aus FBD 1 ergibt. Nur die klageweise in Bezug genommenen (Unter-) Ansprüche können für die maßgebliche, durch die Klageanträge umgrenzte Handlung im Sinne des § 145 PatG indes eine Rolle spielen. Nach oben dargestellter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist für die Anwendbarkeit des <verweis.norm>§ 145 <v.abk ersatz="PatG">PatG</v.abk></verweis.norm> nicht ausreichend, wenn es technische Überschneidungen gibt, vielmehr soll er nur Anwendung finden, wenn in beiden Verfahren die konkrete Ausgestaltung der fraglichen Teile einer Gesamtvorrichtung angegriffen ist. Das ist hier nicht der Fall. Aus den gleichen Gründen ist die Übereinstimmung in den Figuren 5 des hiesigen Klagepatents/ Figur 9 des Mannheimer Patents irrelevant.</p>
<p><rd nr="93"/>Die Beklagtenseite dringt auch nicht durch mit ihrer Argumentation, das hiesige Klagepatent gestalte die technische Lehre des Mannheimer Patents weiter aus. Hiergegen spricht schon, dass das hiesige Klagepatent jünger ist als das Mannheimer Patent, also denklogisch nicht an das Mannheimer Patent anknüpfen kann. Dann kann es dessen Lehre auch nicht (zielgerichtet) weiter ausgestalten. Das belegt auch nicht die Zusammenschau der beiden Patentansprüche, wie die Beklagtenseite sie betreibt (S. 47/48 Duplik). Das Mannheimer Patent setzt auf einem Leistungsversorgungsgenerator 586 auf, beispielsweise dargestellt in Figur 5. Wie der Leistungsversorgungsgenerator ausgestaltet sein soll, lässt das Mannheimer Patent offen. Dass es zwingend an das Klagepatent anknüpft, ist nicht ersichtlich, wie die Klägerin zu Recht unterstrichen hat (S. 5 Replik).</p>
<p><rd nr="94"/>Dabei ist auch unbeachtlich, dass das von dem Klagepatent adressierte Problem insbesondere bei der Kombination mehrerer Sendesignale (Carrier Aggregation) entsteht, und letzteres Gegenstand des Mannheimer Patents ist (zu S. 51/52 Duplik). Hieraus folgt gleichwohl nicht, dass das Mannheimer Patent sich die technische Lehre des hiesigen Klagepatents zu eigen macht. Dies folgt insbesondere nicht aus dem beklagtenseits in Bezug genommenen Unteranspruch 9 des Mannheimer Patents. Dieser ist schon nicht Gegenstand der Klage in Mannheim und daher nicht handlungsdefinierend, s.o. Wegen der verfassungsrechtlich gebotenen restriktiven Anwendung des § 145 PatG (s.o.) kann allein der Umstand, dass die Einbindung der Erfindung eines Patents in die Anwendung der Erfindung eines anderen Patents zielführend sein könnte, nicht einen technischen Zusammenhang im Sinne des § 145 PatG begründen.</p>
<p><rd nr="95"/>Schließlich ist für § 145 PatG nicht durchgreifend entscheidend, dass im hiesigen Verfahren ein Sachverständiger gehört wurde. Ziel des § 145 PatG ist es nicht, die Verfahrensökonomie zu erhöhen, sondern die Beklagtenseite vor einer übergebührlichen Inanspruchnahme zu schützen. Die ZPO sieht insbesondere mit § 411a ZPO eine andere niederschwellige Möglichkeit vor, eine nochmalige Sachverständigenanhörung in parallelen Verfahren zu vermeiden.</p>
<p><rd nr="96"/>III. Die zuletzt gestellten Klageanträge sind hinreichend bestimmt, weil in Gesamtschau mit der Klagebegründung klar wird, wogegen sich die Klägerin wendet. Die Kammer hat im Hinblick auf die ausführliche Schilderung der angegriffenen Ausführungsform in den Entscheidungsgründen davon abgesehen, den Tenor entsprechend der BGH-Rechtsprechung (GRUR 2005, 569 - Blasfolienherstellung und GRUR 2012, 485 - Rohrreinigungsdüse II) zu konkretisieren.</p>
<p><rd nr="97"/>IV. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Schadensfeststellungsklage sind gegeben. Ein Feststellungsinteresse iSd § 256 ZPO liegt vor. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist vor Erteilung der begehrten Auskünfte noch nicht bezifferbar.</p>
<p><rd nr="98"/>V. Es liegt eine objektive und subjektive Klagehäufung vor, § 260 ZPO (analog).</p>
<p><rd nr="99"/>VI. Der Klage fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, auch nicht wegen des beklagtenseits erhobenen Kartellrechtseinwands.</p>
<p><rd nr="100"/>1. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt einer Klage nur unter besonderen Umständen. Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf die Möglichkeit, ein ordentliches Gericht anzurufen. Das Rechtsschutzbedürfnis einer Klage ist von der Begründetheit zu trennen, d.h. der Berechtigung des materiellen Klagebegehrens (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor <verweis.norm>§ 253 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 18 mwN). Eine Klage kann u.a. unzulässig sein, wenn das Gericht bei einer Gesamtwürdigung Indizien dafür feststellt, dass der Kläger mit der Klage ausschließlich prozesszweckfremde Zwecke verfolgt (BGH NJW 2017, 674, 675 Rn. 25 mwN; als höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Prozessvoraussetzung auf das Patentrecht übertragbar).</p>
<p><rd nr="101"/>Immaterialgüterrechte sind im europäischen Primär- und Sekundärrecht ebenso wie national auf verfassungsrechtlicher Ebene geschützt. Sie gewähren ein Ausschließlichkeitsrecht, das insbesondere die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs gewährt. Dessen Ausübung kann grundsätzlich keinen Missbrauch begründen (Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> Rn. 39 mwN): Es ist eine Grundwertung des Patentrechts, dass der Patentinhaber sein Ausschließlichkeitsrecht auch ausüben darf. Anderes kann grundsätzlich nur gelten, wenn das fragliche Patent standardessenziell ist und dem Patentinhaber hierdurch eine marktbeherrschende Stellung vermittelt, oder wenn sich aus den Modalitäten der Ausübung der Rechte aus dem (nicht standardessentiellen aber nicht umgehbaren) Patent ergibt, dass ein kartellrechtlich relevantes Ziel verfolgt wird (und die Ausübung des Rechts mithin nicht mehr seinem „spezifischen Gegenstand“ entspricht, siehe Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> Rn. 39 mwN; grundlegend EuGH verb. Rs. C-241/91 P und 242/91 P GRUR-Int 1995, 490, 493, Rn. 50 ff. - Magill; EuGH 238/87 GRUR-Int 1990, 141, Rn. 9 - Volvo/Veng). An die Annahme einer solchen Ausnahmesituation sind strenge Anforderungen zu stellen (zB EuGH Rs. C-418/01 - IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 34, 35 mwN). Eine Lizenz soll dann erteilt werden müssen, wenn ihre Verweigerung das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert, nach dem eine potenzielle Nachfrage der Verbraucher besteht, die Verweigerung darf nicht gerechtfertigt sein, und sie muss geeignet sein, jeglichen Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt auszuschließen (EuGH Rs. C-418/01 - IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 38 mwN). Dieser Ansatz kann dahingehend generalisiert werden, dass bei Vorliegen der vorgenannten Umstände die Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung aus einem Ausschließlichkeit vermittelnden Immaterialgüterrecht ausgeschlossen sein soll.</p>
<p><rd nr="102"/>2. Nach diesem Maßstab liegt keine Rechtsmissbräuchlichkeit der Anträge auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung (nachfolgend alleine: Antrag auf Unterlassung) vor, die zu einer Unzulässigkeit der Klage insoweit führen würde.</p>
<p><rd nr="103"/>a. Das Gericht prüft die Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags auf Unterlassung als Teil der Zulässigkeit der Klage, obwohl die Beklagtenseite diesen Punkt (nur) als Begründetheitsproblem ansieht. Das Gericht hat aber die Zulässigkeit einer Klage von Amts wegen zu prüfen und vorgetragene Tatsachen rechtlich eigenständig zu werten, unabhängig von der juristischen Einkleidung durch die Parteien.</p>
<p><rd nr="104"/>b. Die Beklagtenseite hat nicht belegt, dass die Klägerin (lediglich) prozesszweckfremde Ziele mit der Klage verfolgt. Sie hat nicht belegt, dass die Klage nur dem Zweck dient, ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Premium-Basisband-Chipsätze auszubauen, und/ oder N. als Mitbewerber aus dem Markt zu drängen.</p>
<p><rd nr="105"/>Irrelevant ist, ob die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung innehat, und wenn ja, auf welchem Markt. Denn die Geltendmachung der klägerischen Ansprüche, insbesondere des Unterlassungsanspruchs, ist schon keine missbräuchliche Verhaltensweise. Entgegen den oben dargestellten Grundsätzen hat die Beklagtenseite schon nicht belegt, dass durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert wird. Vielmehr behauptet die Beklagtenseite, dass die patentgemäße Erfindung nicht benutzt werde, und die Nutzung auch nicht erforderlich sei. Die engen Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des EuGH die Geltendmachung eines Immaterialgüterrechts ausgeschlossen sein soll, sind mithin nicht erfüllt.</p>
<p><rd nr="106"/>Die Vorgehensweise der Klägerin erfordert des Weiteren keine Marktmacht, auch nicht bei der beklagtenseits herangezogenen Gesamtschau des Prozessverhaltens der Klägerin. Die Klägerin geht als Patentinhaberin gegen die Beklagtenseite vor, unabhängig von der Stellung beider Parteien auf bestimmten Märkten. Die Beklagtenseite behauptet zwar, dass die Klägerin mit den Klagen ein außerhalb des eigentlichen Klagebegehrens liegendes Ziel verfolge, nämlich N. aus dem Markt zu drängen. Dem steht indes schon entgegen, dass die Klägerin nach dem Vortrag der Beklagtenseite ihre Unterlassungsansprüche (nur) „überwiegend“ gegen P.s richte, die N.-Chips enthielten (S. 6 Klageerwiderung Teil I). Das bedeutet gleichzeitig, dass sie auch gegen P.s vorgeht, die Qualcomm-Chips enthalten. Belegt ist die Behauptung, die Klägerin verfolge mit den Klagen das Ziel, N. aus dem Markt zu drängen, im Übrigen nicht. Schließlich kommt hinzu, dass die Beklagtenseite eines der wichtigsten Unternehmen auf dem Markt der Mobilfunktelefonherstellung ist, und die hiesigen Verfahren Signalwirkung für andere Unternehmen haben können, die ein gesondertes gerichtliches Vorgehen gegen diese Unternehmen entbehrlich machen würde. Im Übrigen hat die Beklagtenseite nicht im Einzelnen vorgetragen, welche konkreten anderen Unternehmen durch welche konkreten Produkte Patentrechte der Klägerin verletzen und warum und seit wann die Klägerin hiervon in einer Weise Kenntnis erlangt hat, die eine Klageerhebung mit einiger Erfolgswahrscheinlichkeit ermöglichten.</p>
<p><rd nr="107"/>Wollte man der Argumentationslinie der Beklagtenseite folgen, wäre die Klägerin im Übrigen effektiv jeglicher Möglichkeit beraubt, die Verletzung ihrer Patente durch Mobilfunkhersteller zu ahnden, jedenfalls soweit diese andere als ihre Chips verwenden. Konsequent zu Ende gedacht dürfte die Klägerin auch nicht gegen die Hersteller patentverletzender Chips (wie hier U.) vorgehen, weil ein etwaiger Unterlassungs- und Rückrufanspruch Auswirkungen auf Mobilfunkhersteller und damit mittelbar auf die Marktquote N.s haben könnte. Die Klägerin wäre mithin wegen einer (bestrittenen) marktbeherrschenden Stellung auf einem abgeschlossenen Markt effektiv daran gehindert, jegliche ihrer Patente - gleich welcher Markt hierdurch betroffen sein könnte - durchzusetzen. Dieses Ergebnis ist mit der oben dargestellten gesetzgeberischen Wertung des Patentrechts nicht vereinbar.</p>
<p><rd nr="108"/>Hinzu kommt: Die Beklagtenseite wird nicht durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs im Klagewege gezwungen, wieder die Klägerin als Lieferantin zu wählen (S. 49 Klageerwiderung Teil I). Sie wäre allenfalls auf die Klägerin als Lieferantin verwiesen, wenn sie die (erwiesene, dazu sogleich) Patentverletzung nicht abstellen könnte. Das ist indes kein kartellrechtlich relevanter Punkt. Eine Berufung auf eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Vorgehens der Klägerin wäre jedenfalls der Beklagtenseite als Patentverletzerin verwehrt - denn eine solche Berufung wäre ihrerseits rechtsmissbräuchlich.</p>
<p><rd nr="109"/>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>c. …</p>
<p>„ Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="110"/>Ein Anspruch auf Lizenzerteilung kommt nur unter engen Voraussetzungen bei standardessentiellen Patenten in Betracht, ein solches liegt unstreitig nicht vor. Eine Ausweitung auf nicht standardessentielle Patente, kommt nach der Rechtsprechung des EuGH (wie vorzitiert) allenfalls dann in Betracht, wenn deren Benutzung unabdingbar ist. Die Beklagtenseite trägt insoweit aber gerade vor, das Klagepatent nicht zu benutzen und dass die Benutzung auch nicht notwendig, mithin nicht unabdingbar, sei.</p>
<p><rd nr="111"/>d. Die Klägerin verstößt durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs auch nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission, Case AT.40220. Zwar ist sie trotz der eingelegten Nichtigkeitsklage mangels Suspensivwirkung (<verweis.norm>Art. 278 S. 1 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>) verbindlich. Der Beschluss der EU-Kommission erfasst aber die hiesige Klage nicht. Wie oben festgestellt, stellt die Klage keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Klägerin dar. Insbesondere ist für die Klage keine marktbeherrschende Stellung erforderlich, sondern nur die Inhaberschaft des Klagepatents. Es liegt mithin kein Verhalten vor, das ein vergleichbares Ziel oder eine vergleichbare Wirkung aufweist wie das durch den Beschluss der EU-Kommission adressierte Verhalten.</p>
<p><rd nr="112"/>3. Ein anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung der ITC. Das erkennende Gericht ist an die Entscheidung der ITC nicht gebunden, wie die Beklagtenseite selbst unterstreicht. Ungeachtet dessen sieht die Kammer keine inhaltliche Übertragbarkeit der Entscheidung der ITC auf den hiesigen Fall. Maßgeblich ist, dass die ITC eine gerichtsähnliche Behörde ist, die bestimmte Maßnahmen aussprechen kann. Ihre Anrufung ist aber nach dem Verständnis der Kammer nicht die einzige Möglichkeit, sich in den USA gegen eine Patentverletzung zu wehren. Vielmehr bleibt hierneben die Möglichkeit, Verfahren vor den ordentlichen Gerichten anzustrengen, s. 281 Patent Act, wenngleich diese andere Rechtsfolgen zeitigen können. Die Klägerin ist in den USA durch die Entscheidung FBD 35 mithin nicht rechtlos gestellt, worauf FBD 35 auch abstellt (S. 194: „Another relevant matter that I note is that Qualcomm is an established and profitable concern that has an adequate remedy at law for any patent infringement by P..“) Die Anrufung der ordentlichen Gerichte ist in Deutschland aber die einzige dem Patentinhaber unmittelbar zur Verfügung stehende Ahndungsmöglichkeit einer Patentverletzung. Mithin ist schon die rechtliche Situation, von der FBD 35 ausgeht, nicht mit der Situation vergleichbar, wie sie sich der Kammer präsentiert.</p>
<p><rd nr="113"/>4. Nach alledem ist die Klage nicht als kartellrechtsverstoßend anzusehen. Sie ist nicht rechtsmissbräuchlich.</p>
<p>B. Begründetheit</p>
<p><rd nr="114"/>Die Klage ist begründet. Die angegriffene Ausführungsform benutzt das Klagepatent (unter I.), die Beklagten haben die Patentverletzung begangen (unter II.). Die Beklagten dringen mit ihrem Lizenz- und Erschöpfungseinwand nicht durch (unter III.).</p>
<p>I. Klagepatent</p>
<p><rd nr="115"/>Das Klagepatent betrifft ein Verfahren für eine effiziente Stromversorgung elektrischer Verstärker, speziell eines Hüllkurvenverfolgers (englisch envelope tracker).</p>
<p><rd nr="116"/>Das Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme der Priorität vom 23.06.2011 (US 201113167659) am 24.06.2012 angemeldet. Die Patenterteilung wurde am 09.08.2017 veröffentlicht.</p>
<p>1. Relevanter Fachmann</p>
<p><rd nr="117"/>Relevanter Fachmann ist nach der übereinstimmenden Definition der Parteien im Termin am 08.02.2018 (S. 3 des Protokolls 7 O 10495/17), der sich die Kammer anschließt, ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet des Chipdesigns für Mobilfunkanwendungen.</p>
<p>2. Stand der Technik</p>
<p><rd nr="118"/>Im Stand der Technik war zum Prioritätszeitpunkt bekannt, Informationen in RF-Signale (“radio frequency signal“, hochfrequentes Signal) umzuwandeln und sodann an einen Empfänger zu übertragen. Vor Übertragung wird das RF-Signal durch einen power amplifier (Leistungsverstärker) verstärkt [0002], [0003]. Alle Amplituden (Ausschläge) eines Signals müssen verhältnismäßig verstärkt werden, was energieintensiv ist.</p>
<p><rd nr="119"/>Das Klagepatent baut auf der (im Stand der Technik bekannten, [0005]) sog. Hüllkurvenverfolgung („envelope tracking“) als ein mögliches Mittel zur Optimierung des Leistungswirkungsgrads von Hochfrequenz-Leistungsverstärkern auf. Ansatz der Hüllkurvenverfolgung ist, einem Signal spezifisch zu folgen, mithin den Verlauf einer Amplitude abzubilden, und die Energieversorgung entsprechend der Amplitude zu- und abnehmen zu lassen. Alternativ müsste so viel Spannung angelegt werden, dass die gesamte Bandbreite einer Amplitude abgebildet werden könnte, was zu überschüssiger Energieabgabe führen würde - eine erhöhte Wärmeabgabe und eine ineffiziente Nutzung der Batterie wären die Folge (zum envelope tracking und zu der Alternative, dem sog. average power tracking S. 27/30 Replik):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33489-3-de.jpeg" alt=""/></p>
<p>(Abbildung Klage S. 8, im Original in Farbe)</p>
<p><rd nr="120"/>Der Hüllkurvenverstärker (= Linearverstärker) hat indes für sich gesehen einen schlechten Wirkungsgrad, d.h. bei der Verstärkung geht viel Energie verloren.</p>
<p>3. Kritik am Stand der Technik</p>
<p><rd nr="121"/>Dieser Stand der Technik wird in der Patentschrift nicht ausdrücklich kritisiert.</p>
<p><rd nr="122"/>Das Klagepatent beschreibt es indes als wünschenswert, dass der Leistungsverstärker in der Lage ist, eine hohe Ausgangsleistung bereitzustellen, und einen hohen Leistungswirkungsgrad („power-added efficiency“) aufweist, auch bei geringer Batteriespannung [0003] S. 2, 3.</p>
<p><rd nr="123"/>Angestrebt wird ein Ausgleich zwischen einer möglichst akkuraten Leistung, u.a. der Verstärkung zur Übertragung des RF-Signals, und der Batterieleistungsdauer.</p>
<p>4. Aufgabe</p>
<p><rd nr="124"/>Als Aufgabe gibt die Klagepatentschrift in [0005] an: „Techniques for efficiently generating a power supply for a power amplifier and/or other circuits are described herein.“ Das soll insbesondere dann gelten, wenn die Batteriespannung niedrig ist ([0033]). Dieser Wertung schließt sich die Kammer an.</p>
<p><rd nr="125"/>Die Klägerin beschreibt die technische Aufgabe - beklagtenseits unbestritten - wie folgt: Es solle ein Leistungsverstärker mit einem hohen Wirkungsgrad bei der Leistungsversorgung geschaffen werden, der für den Einsatz in einem batteriebetriebenen Gerät geeignet ist, insbesondere dann, wenn die Batteriespannung niedrig ist (S. 30/31 Replik, [0031]). Dem ist zuzustimmen.</p>
<p>5. Lösung</p>
<p><rd nr="126"/>Das Klagepatent schlägt zur Lösung dieser Aufgabe in Patentanspruch 1 eine Vorrichtung vor, um eine effiziente Leistungsversorgung auch bei sinkender oder niedriger Batteriespannung sicherzustellen. Die Vorrichtung umfasst ein Schaltelement, einen Hüllkurvenverstärker und einen Boost Converter [0006] S. 1. Der Einsatz eines Schaltelements mit einer Induktivität und die flexible Steuerung des Ladens der Induktivität mittels eines Offsets, sowie der selektive Einsatz einer geboosteten Versorgungsspannung für den Hüllkurvenverstärker ist zentral für die Erfindung (S. 31 Replik).</p>
<p><rd nr="127"/>Beide Parteien gliedern Patentanspruch 1 auf dieselbe folgende Weise (K 2), der sich die Kammer anschließt:</p>
<p>Anspruch 1</p>
<p><rd nr="128"/>1. Vorrichtung, die Folgendes umfasst:</p>
<p>1.1 eine Induktivität, die betreibbar ist zum Empfangen eines Schaltsignals und zum Bereitstellen eines Versorgungsstroms;</p>
<p>1.2 ein Schaltelement, das betreibbar ist zum Abfühlen eines Eingangsstroms und zum Generieren des Schaltsignals zum Laden und Entladen der Induktivität zum Bereitstellen des Versorgungsstroms,</p>
<p>1.2.1 wobei das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt, um einen größeren Versorgungsstrom über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset;</p>
<p>1.3 einen Boost- bzw. Aufwärtswandler, der betreibbar ist zum Empfangen einer ersten Versorgungsspannung und zum Bereitstellen einer geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung mit einer höheren Spannung als die erste Versorgungsspannung,</p>
<p>1.4 einen Hüllkurvenverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen eines Hüllkurvensignals und zum Bereitstellen eines zweiten Versorgungsstroms basierend auf dem Hüllkurvensignal,</p>
<p>1.4.1 wobei der Hüllkurvenverstärker selektiv basierend auf der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten bzw. erhöhten Versorgungsspannung arbeitet</p>
<p>1.5 wobei ein Gesamtversorgungsstrom den Versorgungsstrom von dem Schaltelement und den zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker umfasst;</p>
<p>Anspruch 2</p>
<p><rd nr="129"/>2. Die Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das Schaltelement basierend auf der ersten Versorgungsspannung arbeitet, und wobei der Versatz bzw. Offset basierend auf der ersten Versorgungsspannung bestimmt wird.</p>
<p>Anspruch 3</p>
<p><rd nr="130"/>3. Die Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das Schaltelement Folgendes umfasst:</p>
<p>3.1 einen Summierer, der betreibbar ist zum Summieren des Eingangsstroms und eines Versatz- bzw. Offsetstroms und zum Bereitstellen eines summierten Stroms,</p>
<p>3.2 einen Stromabfühlverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen des summierten Stroms und zum Bereitstellen eines abgefühlten Signals, und</p>
<p>3.3 einen Treiber, der betreibbar ist zum Empfangen des abgefühlten Signals und zum Bereitstellen wenigstens eines Steuersignals, das verwendet wird zum Generieren des Schaltsignals für die Induktivität.</p>
<p>Anspruch 4</p>
<p><rd nr="131"/>4. Die Vorrichtung nach Anspruch 3,</p>
<p>4.1 wobei das wenigstens eine Steuersignal ein erstes Steuersignal und ein zweites Steuersignal umfasst, und</p>
<p>4.2 wobei das Schaltelement weiter Folgendes umfasst:</p>
<p>4.2.1 einen P-Kanal-Metalloxidhalbleiter- bzw. PMOS-Transistor (PMOS = P-channel metal oxide semiconductor) mit einem Gate, das das erste Steuersignal empfängt, einer Quelle bzw. Source, die eine erste Versorgungsspannung empfängt, und einer Senke bzw. Drain, die das Schaltsignal bereitstellt, und</p>
<p>4.2.2 einen N-Kanal-Metalloxidhalbleiter- bzw. NMOS-Transistor (NMOS = N-channel metal oxide semiconductor) mit einem Gate, das das zweite Steuersignal empfängt, einer Senke bzw. Drain, die das Schaltsignal bereitstellt und einer Quelle bzw. Source, die an Schaltungsmasse gekoppelt ist.</p>
<p>Anspruch 5</p>
<p><rd nr="132"/>5. Die Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei die Vorrichtung weiter umfasst: einen Leistungsverstärker, der betreibbar ist zum Empfangen des Versorgungsstroms von der Induktivität und zum Empfangen und Verstärken eines Eingangshochfrequenz- bzw. Eingangs-HF-Signals und zum Bereitstellen eines Ausgangs-HF-Signals.</p>
<p><rd nr="133"/>Mit der nachfolgenden (systemischen) Abbildung (im Original in schwarz-weiß) wird der Erfindungsgegenstand anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels verdeutlicht:</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33489-4-de.JPG" alt=""/></p>
<p><rd nr="134"/>In obiger Abbildung ist dargestellt, wie der Leistungsverstärkers (PA) mit Strom versorgt wird: Ihm wird ein Gesamtversorgungsstrom Ipa zugefügt, der aus zwei „Stromteilen“ gebildet wird: Der eine Versorgungsstrom kommt von dem rechts angesiedelten Schaltelement (Switcher). Dabei handelt es sich um den patentgemäß ersten Versorgungsstrom (Merkmal 1.1). Der Hüllkurvenverstärker, links in obiger Figur, stellt einen zweiten Versorgungsstrom bereit, Merkmal 1.4, in der Figur Ienv. Der Hüllkurvenverstärker arbeitet mit - wahlweise geboosteten - Batteriestrom, das Schaltelement mit Batteriestrom, der von der Induktivität = Spule bereitgestellt wird. Letzterer wird in obiger Figur als Iind bezeichnet.</p>
<p><rd nr="135"/>Der Hüllkurvenverstärker empfängt ein Hüllkurvensignal und stellt basierend hierauf signalspezifisch den anspruchsgemäß zweiten Versorgungsstrom bereit. Der Hüllkurvenverstärker arbeitet mit Batteriestrom, der so schnell ist, dass er dem Hüllkurvensignal auch bei den höheren Amplituden folgen kann, was die Induktivität nicht leisten kann (S. 36 Replik, [0034]). Der Hüllkurvenverstärker arbeitet indes nicht effizient genug, so dass der Hauptanteil des Gesamtversorgungsstroms für den Leistungsverstärker Ipa aus dem ersten Versorgungsstrom, mithin von der Induktivität/ dem Schaltelement kommen soll. Die Induktivität arbeitet weit effizienter. Der Fachmann erkennt, dass die Induktivität einen höheren Wirkungsgrad als ein Linearverstärker hat. Deshalb soll nach dem Klagepatent ein möglichster großer Anteil des Versorgungsstroms von dem Switcher bereitgestellt werden (S. 32 Replik, [0032]). Hüllkurvenverstärker und Induktivität hängen an der Batteriespannung, Vbat.</p>
<p><rd nr="136"/>Ob die Induktivität lädt oder entlädt (= mit der Batterie verbunden ist oder nicht) ist abhängig von dem Schaltelement: Dem Schaltelement wird der von dem Hüllkurvenverstärker kommende abgefühlte Strom Isen zugeführt; das Schaltelement vergleicht den Isen als Spannung mit einer Referenzspannung. Das geschieht in der Figur 5 im Current Sense Amplifier, einem Komparator (Analog-Digital-Wandler). Er ordnet den Eingangsstrom (abgefühlten Strom) oder die gewandelten Spannungen anhand von vorgegebenen Referenzspannungen, für die üblicherweise ein Fenster definiert ist, ein, und gibt basierend hierauf ein Signal mit den logischen Größen high oder low aus, das über den Driver das Schaltsignal (an oder aus) steuert (S. 34/35 Replik). Je nach Maß des Stroms Isen wird die Induktivität geladen oder nicht, und liefert sie mehr oder weniger ersten Versorgungsstrom zum Gesamtversorgungsstrom Ipa.</p>
<p><rd nr="137"/>Durch einen patentgemäßen Offset (Merkmal 1.2.1) kann auf die Menge des von der Induktivität gelieferten Anteils am Versorgungsstrom Einfluss genommen werden. Die Auslegung dieses Merkmals ist zwischen den Parteien streitig. Der Hüllkurvenverstärker kann selektiv mit der Batteriespannung (erste Versorgungsspannung, Vbat) und mit der geboosteten Spannung (Vboost) betrieben werden, Merkmale 1.3 und 1.4.1. Zwischen den Parteien ist auch die Auslegung des Merkmals 1.4.1 streitig. Die Kammer geht auf die Auslegung dieser Merkmale nachfolgend gesondert ein.</p>
<p>II. Wortsinngemäßer Gebrauch</p>
<p><rd nr="138"/>Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der Lehre des Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß Gebrauch. Die Beklagten verletzen das Patent unmittelbar gemäß § 9 Nr. 1 PatG.</p>
<p>1. angegriffene Ausführungsform</p>
<p><rd nr="139"/>Die klägerseits als angegriffene Ausführungsform identifizierten Geräte enthalten den Chip Typ U. 81003 M (im Folgenden „U.-Chip“). Mit der Klage griff die Klägerin explizit zunächst die Geräte P. 7plus und P. 7 der Beklagtenseite an. Mit der Replik (dort S. 13) benannte sie explizit auch die Geräte P. 8, P. 8 plus, P. X als verletzend. Sie beschränkte ihren Angriff indes nicht auf die vorgenannten Gerättypen, sondern griff alle Ausführungsformen an, die von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen (S. 17, 20 der Klageschrift).</p>
<p><rd nr="140"/>Der U.-Chip ist Teil des U.-Envelope Trackers. Dieser wiederum ist Teil des Radio Freqency Front End (RFFE) der angegriffenen P.s (S. 18/20 Klageschrift, S. 10/11 Replik, jeweils mit Bildern). Der U.-Envelope Tracker stellt ein sog. System Inside Package Modul dar, das einen Chip und weitere Elemente wie Kondensatoren (capacitors) und Induktivitäten (inductors) umfasst.</p>
<p><rd nr="141"/>Die genaue Ausgestaltung des U.-Chips ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin hat im Wege eines reverse engineering das gesamte Modul U.-Enevlope-Tracker untersucht. Die Untersuchungsergebnisse liegen vor in Form von Teardown-Reports (Nr. 1: K 3, korrigiert K 7 - siehe S. 2 Schriftsatz vom 30.11.2017 = Bl. 197 d. A., vergrößerte Schaltpläne K 15, elektronische Version K 16 = S. 13 Replik; Nr. 2: K 4, zu der Erstellungsweise der Teardown-Reports siehe Replik S. 11/12). Die ursprünglichen Schaltpläne lagen dabei nicht vor. Auf Basis dieses Reports hat die Klägerin ein privates Sachverständigengutachten zur Funktionsweise des Chips anfertigen lassen und vorgelegt (K 22).</p>
<p><rd nr="142"/>Folgende Bauteile enthält die angegriffene Ausführungsform unstreitig: Sie weist einen envelope tracker auf, der einen Versorgungsstrom für einen Leistungsverstärker bereitstellt. Der Versorgungsstrom wird verstärkt. Des Weiteren gibt es eine Induktivität mit Schaltelement. Das Schaltelement wird basierend auf dem Leistungsnachverfolgungssignal gesteuert. Die angegriffene Ausführungsform verfügt auch über einen Kondensator, dessen Auswirkungen für ihre Funktionsweise zwischen den Parteien streitig ist.</p>
<p><rd nr="143"/>Mangels wirksamen Bestreitens der Beklagtenseite (dazu sogleich) geht das Gericht davon aus, dass sich der Hüllkurvenmodulator in der angegriffenen Ausführungsform darstellen lässt wie in Abbildung 1 des Privatgutachtens K 23 (Abbildung im Original schwarz-weiss):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33489-5-de.png" alt=""/></p>
<p><rd nr="144"/>Der Hüllkurvenverstärker liefert in der angegriffenen Ausführungsform hiernach den zweiten Versorgungsstrom Ienv. Durch einen Kondensator werden die Gleichstromanteile des Ienv entnommen. Der Hüllkurvenverstärker liefert Ipa daher nur Wechselstrom zu. Der Gleichstrom kommt vollständig von dem Schaltelement.</p>
<p><rd nr="145"/>Der Gesamtversorgungsstrom Ipa ist in Abhängigkeit von dem Hüllkurvensignal variabel. Um eine ausreichende Menge Gleichstrom für den Gesamtversorgungsstrom bereitzustellen, wird dem abgefühlten Strom Isen (eine Nachbildung von Ienv) ein Offset/ Versatz hinzugefügt, indem der Schaltpunkt des Komparators verringert und dadurch der Tastgrad der Schaltstufe erhöht wird. Im Einzelnen verweist die Kammer auf das Gutachten K 23.</p>
<p><rd nr="146"/>Ungeachtet der konkreten Ausgestaltung des Offsets geht die Kammer im Übrigen mit der Klägerin (mangels wirksamen Bestreitens der Beklagtenseite) davon aus, dass die angegriffene Ausführungsform über einen Offset verfügen muss.</p>
<p><rd nr="147"/>Die angegriffene Ausführungsform weist einen Boost Converter auf, der technisch eine Buck-Boost-Kombination darstellt. Der Buck-Konverter liefert eine Ausgangsspannung, die kleiner/ gleich der Batteriespannung sein kann, der Bost-Konverter generiert eine Ausgangsspannung, die größer als die Batteriespannung ist. In dem Boost Converter Control wird entschieden, ob Boost- oder Buck-Funktion geschaltet werden müssen, oder ob die Batteriespannung direkt auf den Ausgang geschaltet wird. Für die Einzelheiten wird auf das Privatgutachten K 23 verwiesen.</p>
<p>2. Unmittelbare wortsinngemäße Nutzung</p>
<p><rd nr="148"/>Patentanspruch 1 des Klagepatents wird durch die angegriffene Ausführungsform unmittelbar wortsinngemäß benutzt, weil alle Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 1 des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht werden.</p>
<p>a. Schutzbereichsbestimmung</p>
<p><rd nr="149"/>Gemäß <verweis.norm>Art. 69 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> wird der Schutzbereich eines europäischen Patents durch die Patentansprüche bestimmt. Beschreibung und Zeichnungen sind zur Auslegung indes heranzuziehen. Erforderlich ist eine funktionsorientierte Auslegung, wobei die Patentschrift grundsätzlich ihr eigenes Lexikon stellen kann (BGH GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube). Begriffe in den Patentansprüchen und in der Patentbeschreibung sind so zu deuten, wie sie der angesprochene Durchschnittsfachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht (BGH GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube, mwN). Eine Auslegung muss auch dann (wohlwollend) erfolgen, wenn der Wortlaut scheinbar eindeutig ist (BGH GRUR 2015, 875, 876 - Rotorelemente, mwN). Auch innerhalb eines Patentanspruchs mehrfach verwendete Begriffe müssen jeweils in Bezug auf die im konkreten Zusammenhang gegebene technische Funktion ausgelegt werden und können sogar unterschiedlich zu verstehen sein (Kühnen, 10. Auflage A. Rn. 52 mwN).</p>
<p>b. Unstreitig verwirklichte Merkmale</p>
<p><rd nr="150"/>Zu Recht ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Merkmale 1, 1.1, 1.2, 1.3 und 1.4 unmittelbar wortsinngemäß verwirklicht sind.</p>
<p><rd nr="151"/>c. M 1.2.1 verwirklicht Auch das Merkmal 1.2.1 (“the switcher adding an offset to the input current to generate a larger supply current via the inductor than without the offset“) ist verwirklicht.</p>
<p>(1) Auslegung „Offset“</p>
<p>„Offset“ im Sinne des Merkmals 1.2.1 ist mit der Klägerin dahingehend auszulegen, dass er jegliche Veränderung der Bewertung des Eingangsstroms umfasst.</p>
<p><rd nr="152"/>(a) Die Klägerin hat hierzu vorgebracht:</p>
<p><rd nr="153"/>(aa) Der Offset im Sinne des Merkmals 1.2.1 bewirke anspruchsgemäß, dass der über die Induktivität generierte Versorgungsstrom größer sei als ein Versorgungsstrom ohne Offset. Diese Maßnahme sei insbesondere wichtig wenn die Batteriespannung sinke, weil dann die Induktivität langsamer lade und der Induktivitätsstrom sinke (S. 34 Replik, Figur 4b und [0035] des Klagepatents). Durch den Offset könne bewusst herbeigeführt werden, dass sich das Schaltelement länger im „An“-Zustand befinde als ohne Offset, was zu einer Erhöhung des durch die Induktivität bereitgestellten ersten Versorgungsstroms (Gleichstromanteil des Gesamtversorgungsstroms, S. 4 Schriftsatz 31.10.2018) gegenüber einer Vorrichtung ohne Offset führe (S. 16 Klageschrift, Abs. [0041] von K 1/ [0037] von K 5, S. 7, 38/40, 43/44 Replik). Der Offset sei damit eine Veränderung (“Manipulation”) der Bewertung des “Eingangsstroms” (abgefühlter Strom), die zu einer anderen Steuerung der Induktivität durch das Schaltelement führe (S. 7, 38 Replik, [0040], Figur 4c). Der Offset könne patentgemäß durch jede beliebige Maßnahme/ Mechanismus implementiert werden, durch welche die Pulslänge der Schaltsignale verlängert werde, die Induktivität somit länger lade, was zu einem höheren ersten Versorgungsstrom als ohne Offset führe (S. 8, 21, 41 Replik, Klagepatent [0039] aE, S. 9 Triplik, S. 3 Schriftsatz 6.12.2018). Beweiswürdigend stellte die Klägerin heraus, das habe auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt (S. 3 Schriftsatz 6.12.2018).</p>
<p><rd nr="154"/>Das könne dadurch geschehen, dass der abgefühlte Strom manipuliert werde (also ein Versatzstrom hinzugefügt werde), oder dadurch, dass in der Einheit (Komparator), welche den abgefühlten Strom mit Blick auf das das Schaltelement steuernde Signal (mit einer bestimmten Pulslänge) bewerte, die Referenzwerte geändert würden (Änderung einer Referenzspannung im Komparator). Dass letzteres als Realisierung eines Offset ohne Hinzufügung eines Offsetstroms möglich sei, erkenne der Fachmann (S. 14 Triplik mit Erläuterung, Gutachten K 23 S. 12). In beiden Fällen werde in dem System eines grundsätzlich vom abgefühlten Hüllkurvenstrom gesteuerten Induktivitätsstroms durch eine weitere Maßnahme der Versorgungsstromanteil der Induktivität (Schaltelement) vergrößert und somit der Anteil des Hüllkurvenstroms an der Leistungsversorgung des Leistungsverstärkers verringert (S. 9 Triplik).</p>
<p><rd nr="155"/>Der Offset müsse nicht in Reaktion auf eine Veränderung der Batteriespannung festgelegt werden (das betreffe nur Anspruch 2), vielmehr sei durch das Klagepatent allgemein die Lehre geschützt, dass durch einen Offset - abhängig von verschiedenen Inputvariablen - ein höherer Induktorstrom erzeugt werden könne als ohne Offset (S. 41/42 Replik, [0038]).</p>
<p><rd nr="156"/>(bb) In dem Ausführungsbeispiel werde der Offset in Gestalt eines offset current hinzugefügt (Versatzstrom). Diese besondere Ausgestaltung sei indes Gegenstand des Anspruchs 3, der deshalb ausdrücklich von einem Offsetstrom spreche. Schon systematisch könne daher Gegenstand des Offsets im Sinne des Anspruchs 1 nicht (nur) ein Offsetstrom sein, zumal der Offset iSd Anspruchs 1 dann auf das Ausführungsbeispiel in Figur 5 beschränkt wäre - das aber liefe den anerkannten Auslegungsgrundsätzen entgegen. Auch für die Figur 5 werde Offsetstrom in der Beschreibung [0036] im Übrigen nur als Beispiel genannt (S. 13 Triplik). Das vorgenannte Verständnis entspreche auch dem Sprachgebrauch der Beschreibung [0037] zu diesem Ausführungsbeispiel. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1, M 1.2.1 sei indes breiter. Es genüge jeder Offset (Versatz), nicht nur ein offset current. Entscheidend sei allein die bereits im Wortlaut des Anspruchs genannte Funktion, nämlich dass der von der Induktivität gelieferte erste Versorgungsstrom (M1.1) durch den „Mechanismus“ [0039] größer werde als ohne den Offset (Wortlaut M 1.2.1) (S. 42/45 Replik, S. 11 Triplik).</p>
<p><rd nr="157"/>Die Klägerin erläuterte, das Hinzufügen eines Versatzes zum „Eingangsstrom“ (input current) sei deshalb im Wortlaut des M1.2.1 genannt, weil der Eingangsstrom, also bevorzugt der abgefühlte Strom Isen, ohne den Versatz nach M1.2 gerade die Größe sei, an welche die Generierung des Schaltsignals zum Laden der Induktivität anknüpfe. Allerdings gelte auch für den Eingangsstrom (Isen), dass dieser typischerweise in eine Spannung umgewandelt werde, bevor ein Komparator (wie der Current Sense Amplifier) ein Ausgangssignal erzeuge (high/ low), welches das Eingangssignal bewerte. Der Anspruch fordere mithin nicht, dass gerade der Strom die Eingangsgröße eines vergleichenden Elements sein müsse (S. 43 Replik).</p>
<p><rd nr="158"/>Für den Fachmann sei eine Vielzahl von Implementierungen für den Offset auch ohne Hinzufügen von Strom denkbar (S. 14/15 Triplik, Privatgutachten K 23 S. 12). Entscheidend sei, dass neben dem abgefühlten Strom Isen ein zweiter Eingabeparameter Eingang in die Steuerung des Switchers finde und somit die Bewertung der Eingangsgröße des abgefühlten Stroms „manipuliert“ werde. Zum Vergleich verwies die Klägerin auf die Patentschrift U. K 18, Fig 14, 5a uns 5b. Hier werde in der Beschreibung Sp. 25 Z. 37 ff der Begriff „offset voltage“ verwendet, der gerade nicht deckungsgleich sei mit offset, so wie im Klagepatent offset current ungleich offset sei (S. 45 Replik, K 18). Auch im Übrigen belege die Patentschrift K 18, dass das fachmännische Verständnis von Offset dem der Klägerin entspreche. Insbesondere sei ein Offset erreichbar durch eine Änderung des Fensters der Referenzgrößen M 1 und M 2, weil so die Bewertung des abgefühlten Signals geändert werde (S. 45/49 Replik). Der in K 18 enthaltene Kondensator bewirke eine Entkoppelung der jeweiligen Ausgangsspannung von Hüllkurvenverstärker und Induktivität, anders als im Ausführungsbeispiel des Klagepatents. Diese müsse grundsätzlich durch einen Offset kompensiert werden, anderenfalls würde der Leistungsverstärker nicht genug Strom erhalten (S. 48/49 Replik).</p>
<p><rd nr="159"/>(cc) Die Klägerin unterstreicht: Soweit die Beklagtenseite meine, [0039] S. 2 sei nicht beansprucht, begründe sie das nicht. Dabei stelle das Patent grundsätzlich sein eigenes Lexikon, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung schon mehrfach festgestellt habe (S. 7, 12 Triplik unter Bezugnahme auf BGH GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube). Der hiesige Fall sei mit den Konstellationen in BGH Okklusionsvorrichtung (GRUR 2011, 701) und Diglycidverbindung (GRUR 2012, 45) gerade nicht vergleichbar. Insbesondere habe es im Erteilungsverfahren keine Anspruchsänderung gegeben, siehe HRM01-K 4: Anspruch 1 = dort Anspruch 20, UA3 = dort abhängiger Anspruch 22 (S. 13 Triplik).</p>
<p><rd nr="160"/>(dd) Soweit die Beklagtenseite sich auf den Standpunkt stellen wolle, Merkmal 1.2.1 beanspruche nur eine Ausgestaltung, in der der zweite Versorgungsstrom auch den Strom, den die Spule zur Verfügung stellt, zur Verfügung stellen könne, sei das mit den nach <verweis.norm>Art. 69 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> anerkannten Auslegungsgrundsätzen nicht vereinbar, weil der Anspruch sich dazu nicht verhalte (S. 6 Schriftsatz 31.10.2018). Der Leistungsverstärker sei auch nicht auf einen fixen Gleichstromanteil angewiesen (mit der Folge, dass das Schaltelement immer den gleichen Strom liefern würde, unabhängig von der Einstellung des Offsets). Vielmehr richte sich die Menge des benötigten Gesamtversorgungsstroms (Ipa) allein nach dem Hüllkurvensignal. Es könne in einem dynamischen System wie dem hiesigen keine exakten Abgrenzungen zwischen Gleich- und Wechselstromanteilen geben, daher spreche auch das Klagepatent in [0015] im Zusammenhang mit dem Schaltelement von einem Anteil mit Gleichstrom und niedrigen Frequenzen. Der Übergang von Gleichzu Wechselstrom sei fließend (S. 9 Schriftsatz 12.12.2018).</p>
<p><rd nr="161"/>(b) Die Beklagtenseite bringt hingegen vor:</p>
<p><rd nr="162"/>Zutreffend sei, dass das „Offset“ stromerhöhende Funktion habe (S. 3 Klageerwiderung).</p>
<p><rd nr="163"/>Mit der Duplik betonte die Beklagtenseite, für ein breites Verständnis entsprechend dem der Klägerin gebe es keine Grundlage im Klagepatent. M1.2.1 benenne Zweck („um einen größeren Versorgungsstrom über die Induktivität zu generieren als ohne den Versatz bzw. Offset“) und Mittel („wobei das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz bzw. Offset hinzufügt“). Verändert werde entgegen der klägerischen Darstellung nicht eine Bewertung des Eingangsstroms, sondern dieser selbst, und zwar durch Hinzufügen eines Offsets, mithin durch Addition von Strom. Bei einer Änderung der Referenzspannung im Komparator werde dem Eingangsstrom nichts hinzugefügt (S. 18 Duplik, S. 7 Quadruplik, SVG). Die Beklagtenseite stützte sich auf [0027], wonach ein Ensemble aus Schaltelement und Induktivität eingeschaltet sei, wenn ein hoher Eingangsstrom abgefühlt werde, sonst nicht. Daher müsse sich der Offset stromerhöhend auf diesen Eingangsstrom auswirken, wenn er die Einschaltdauer verlängern solle. Die Beklagtenseite meint, die Klägerin führe in der Sache eine Äquivalenzdiskussion, ohne deren Voraussetzungen im Einzelnen aufzuzeigen (S. 6 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="164"/>Zu Zweck/ Ursache erläuterte die Beklagtenseite in der Quadruplik, Merkmal 1.2.1 des Klagepatents beanspruche eine Erhöhung des Gleichstromanteils von Iind (S. 3/5 Quadruplik, S. 6 oben von K 22, SVG, rechtsausführend S. 7 Schriftsatz 10.12.2018).</p>
<p><rd nr="165"/>Zu [0036] unterstrich die Beklagtenseite, es fehle an anderen Dingen, die man Strom hinzufügen könne (S. 20 Duplik, S. 8/9 Quadruplik, SVG). [0039] S. 2 (Offset durch andersgeartete Veränderung der Pulsbreite eines Ausgangssignals) sei nicht beansprucht. Und/Oder [0039] befasse sich nur mit dem Begriff des Hinzufügens (S. 8 Quadruplik). Anspruch 3 befasse sich entgegen der klägerischen Darstellung nicht mit dem Offset an sich, sondern mit dem Switcher (S. 9 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="166"/>Die Patentschrift U. (K 18) habe nichts mit dem Klagepatent zu tun, sondern befasse sich mit der Ladung eines Kondensators, der dazu diene, Signale unverändert in einen anderen Spannungsbereich zu verschieben, um die Effizienz der Schaltung zu optimieren. Die klägerischen Ausführungen zu einem angeblichen Zusammenhang von Entkoppelung und Offset seien gänzlich unverständlich und entzögen sich einer Erwiderung. Der Kondensator diene in der Patentschrift U. nicht der Erzeugung einer geboosteten Spannung, sondern nur der Glättung der Ausgangsspannung (S. 21/22 Duplik, SVG).</p>
<p><rd nr="167"/>Die Beklagtenseite betont: Folgte man der Auslegung der Klägerin, würde schon der im Klagepatent erwähnte Stand der Technik „Mathe“ (HRM1/K 16, dort Fig. 6) einen Offset aufweisen. Das sei aber ersichtlich nicht gemeint: vielmehr erfordere Anspruch 1 des Klagepatents einen „Offset“ in der Form eines steuernden Stromsignals, das überdies die merkmalsgemäße Wirkung habe (S. 10/12 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="168"/>(c) Wertung Bei einer gebotenen funktionsorientierten Auslegung wie unter a. dargelegt, ist Offset im Sinne des Merkmals 1.2.1 im klägerischen Sinne auszulegen.</p>
<p><rd nr="169"/>(aa) Eine rein funktionale Betrachtung führt den Fachmann zu dem klägerischen Verständnis. Denn entscheidend für die Funktionsweise des Switchers ist die Erhöhung des Induktivitätsstroms, die patentgemäß durch den Offset erfolgen soll. Ob das Schaltelement dem abgefühlten Strom einen Offset (=Strom) hinzufügt oder die Erhöhung des Induktivitätsstroms auf andere Weise herbeiführt, ist dabei funktionell aus Sicht des Fachmanns nicht entscheidend.</p>
<p><rd nr="170"/>Erhöht werden muss der Induktivitätsstrom = Gleichstrom, nicht der Gleichstromanteil. Für ein solches beschränkendes Verständnis macht das Klagepatent keine Vorgaben.</p>
<p><rd nr="171"/>(bb) Eine einschränkende Auslegung in dem Sinne, dass offset nur einen Versatzstrom meine, lässt sich dem Wortlaut des Klagepatents nicht entnehmen. Der Hauptanspruch 1 spricht nur von „offset“, ohne sich auf einen Strom zu beschränken. Nur Unteranspruch 3 bezieht sich explizit auf einen offset current. Das zeigt im Umkehrschluss, dass „offset“ im Sinne des Merkmals 1.2.1 weiter zu verstehen ist als in Unteranspruch 3.</p>
<p><rd nr="172"/>(aaa) Unteransprüche können bei der Auslegung des Hauptanspruchs Berücksichtigung finden, wobei die Auslegung eines Unteranspruchs den Gegenstand des Hauptanspruchs grundsätzlich nicht einengen darf. Dabei ist insbesondere zu beachten, worin die mit dem Unteranspruch vorgeschlagene Ergänzung der technischen Lehre des Hauptanspruchs besteht und auf welche Weise sie den Gegenstand des Hauptanspruchs fortbildet. Rückschlüsse sind eher zulässig, wenn ein Merkmal im Interesse funktionaler Optimierung um einen dieses Merkmal weiter ausformenden Aspekt ergänzt wird, als wenn den Merkmalen des Hauptanspruchs additiv ein weiteres Element hinzugefügt wird (BGH GRUR 2016, 1031, 1033 Rn. 15 - Wärmetauscher, mwN).</p>
<p><rd nr="173"/>(bbb) Im Streitfall definiert Unteranspruch 3 den Hauptanspruch 1 weiter, ohne nur additiv Elemente hinzuzufügen. Summer, Stromabfühlverstärker und Treiber werden dort erstmals in den Ansprüchen aufgeführt.</p>
<p><rd nr="174"/>(ccc) Nicht zum Erfolg verhilft der Beklagtenseite ihre Argumentation, Unteranspruch 3 befasse sich nur mit dem Switcher, ohne den Offset näher definieren zu wollen. Dem vermag sich die Kammer nicht zwingend anzuschließen, gleichwohl kann diese Frage dahinstehen: Anspruch 3 macht nämlich zugleich deutlich, dass der „offset current“ in den vorhergehenden Ansprüchen noch nicht definiert ist. Anderenfalls ließe sich die Verwendung des Wortes „an“ als undefinierter Artikel nicht erklären. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es sich um ein redaktionelles Versehen handelt, weil in Bezug auf den input current, vordefiniert in Anspruch 1, der bestimmte Artikel „the“, in Bezug auf den - ebenfalls noch nicht vordefinierten summed current - ebenfalls der unbestimmte Artikel verwendet wird. Das Klagepatent differenziert hier mithin bewusst.</p>
<p><rd nr="175"/>(cc) Gegen das klägerische Verständnis spricht auch nicht die Formulierung des Hauptanspruchs, wonach das Schaltelement dem Eingangsstrom einen Versatz/ Offset hinzufügt (“the switcher adding an offset to the input current to generate (…)“). Unstreitig kann Strom nichts anderes als Strom hinzugefügt werden (zu der Argumentation der Beklagten, S. 20 Duplik, S. 8/9 Quadruplik). Funktionell versteht der Fachmann das Merkmal indes dahingehend, dass durch eine Maßnahme ein Versatz herbeigeführt wird.</p>
<p><rd nr="176"/>Das ergibt sich aus den Ausführungsbeispielen in der Klagepatentschrift.</p>
<p><rd nr="177"/>(aaa) Beschreibungen und Zeichnungen sind nicht nur Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs, sondern auch für die Auslegung des Patentanspruchs. Der Patentanspruch ist so zu lesen, dass sich im Zweifel keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben. Ein anderes gilt grundsätzlich nur, wenn und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in Einklang bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt (BGH GRUR 2015, 972, 974 Rn. 22 - Kreuzgestänge, mwN).</p>
<p><rd nr="178"/>(bbb) Hiernach ist zu berücksichtigen, dass [0036] generell von offset spricht, und den Versatzstrom (offset current) nur als Beispiel (“e.g.“) benennt. In [0038] ist generell die Rede von offset. Auch in [0039] S. 1 wird nur der offset benannt. In [0039] S. 2 wird explizit unterstrichen, dass ein offset mit irgendeinem geeigneten Mechanismus („via any suitable mechanism“) hervorgerufen werden kann.</p>
<p><rd nr="179"/>Insbesondere die letztgenannte Beschreibungsstelle spricht für die Klägerin. Die Beklagtenseite dringt nicht durch mit ihrer Argumentation, [0039] S. 2 sei nicht beansprucht. Grundsätzlich gilt, dass der Patentanspruch nach Möglichkeit so zu lesen ist, dass er mit der Beschreibung in Einklang zu bringen ist, s.o. Genau das ist aber der Fall, wenn man offset so versteht wie die Klägerin.</p>
<p><rd nr="180"/>Der Sachverständige hat dem Gericht dieses Verständnis aus Sicht des Fachmanns bestätigt. Er hat unterstrichen, dass Figur 5 des Klagepatents systemisch ist und für den Fachmann nicht dargestellt ist, dass es sich um einen Offset im Strom handeln müsse. Vielmehr könne auch eine Erhöhung der Spannung einen patentgemäßen Offset darstellen (S. 4/5 Protokoll vom 8.11.2018).</p>
<p><rd nr="181"/>Das Gericht folgt den Angaben des Sachverständigen vollumfänglich. Er hat als Lehrstuhlinhaber einer angesehenen technischen Universität im technisch einschlägigen Bereich seine hohe fachliche Kompetenz dargelegt. Seine Angaben waren dem Gericht technisch plausibel und in sich schlüssig. Er erläuterte sie auf wiederholte Nachfragen in einer mehrstündigen Anhörung in sich konsistent. Eine Meinungsänderung des Sachverständigen beruhte darauf, dass er gezeigte Figuren nur nach Erläuterung und bei Unterstellung bestimmter Tatsachen als wahr technisch nachvollziehen konnte, nicht auf fehlender technischer Expertise. (dd) Dem Klagepatent ist nicht zu entnehmen, dass der Offset einen Strom erhöhen müsste, der auch von dem Hüllkurvenverstärker geliefert werden könnte - mithin einen Wechselstrom. Ebenso wenig enthält das Klagepatent einen Hinweis darauf, dass der Anteil des Spulenstroms an dem Gesamtversorgungsstrom sich durch den Offset verändern müsste.</p>
<p><rd nr="182"/>(ee) Gegen die klägerische Auslegung spricht schließlich nicht die Entgegenhaltung Mathe.</p>
<p><rd nr="183"/>(aaa) Zitierte Schriften dürfen zur Ermittlung des Stands der Technik, der Anhaltspunkte für das Verständnis eines Merkmals liefern kann, herangezogen werden (Kühnen, 10. Auflage, A. Rn. 55). Nach einer Meinung sind Patentansprüche dabei grundsätzlich so auszulegen, dass ihr Inhalt nicht durch zitierte Schriften neuheitsschädlich offenbart wäre (zu auf dem Deckblatt zitierten Druckschriften Kühnen, 10. Auflage, A. Rn. 55). Offenbart ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, „was aus fachmännischer Sicht einer Schrift „unmittelbar und eindeutig“ zu entnehmen ist“ (BGH GRUR 2009, 382, 384 - Olanzapin mwN).</p>
<p><rd nr="184"/>(bbb) Nach diesen Grundsätzen gebietet die Entgegenhaltung Mathe keine andere Auslegung als oben dargestellt.</p>
<p><rd nr="185"/>Die Entgegenhaltung Mathe ist in [0031] zitiert, indes nur zur Darlegung der möglichen Ausführung des envelope amplifiers - bildlich gesprochen mit dem linken Teil des Bilds K 17. Der „offset“ im Sinne des Merkmals 1.2.1 befasst sich - wiederum bildlich gesprochen - mit dem rechten Teil, dem Schaltelement. Weil sich das Zitat in [0031] nur auf den envelope amplifier bezieht, darf die Entgegenhaltung Mathe schon nicht zur Ermittlung des fachmännischen Verständnisses mit Blick auf das Schaltelement/ den Offset herangezogen werden.</p>
<p><rd nr="186"/>Im Übrigen ist in der Entgegenhaltung Mathe zwar die Rede von einem Offset, allerdings nur in [0097]. Der Offset ist der Entgegenhaltung auch nicht im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.</p>
<p><rd nr="187"/>Das dargestellte Verständnis der Kammer hat der Sachverständige dem Gericht im Termin aus Sicht des Fachmanns bestätigt (S. 4 des Protokolls). Der Sachverständige hat dem Gericht darüber hinaus verdeutlicht, dass aus Sicht des Fachmanns der Offset in der Entgegenhaltung Mathe der Stabilisierung der Arbeitspunkte im Hüllkurvenverstärker dient, nicht der Erhöhung des Induktivitätsstroms wie im Klagepatent (S. 4 des Protokolls).</p>
<p><rd nr="188"/>(ff) Ein anderes folgt nicht aus der vorläufigen Stellungnahme der Einspruchsabteilung K 23, dort 4.1.2 (zu S. 11 Schriftsatz vom 10.12.2018). Nach dem Verständnis der Kammer wird hier mitgeteilt, dass schon die Offenbarung eines Offsets fraglich ist, dass aber jedenfalls die weiteren Voraussetzungen des Merkmals 1.2.1 fraglich seien. Die Einspruchsabteilung teilt aber nicht explizit mit, dass ein merkmalsgemäßer Offset nur ein solcher sei, der einen Versatzstrom hinzufügt.</p>
<p><rd nr="189"/>(gg) Nach alledem ist Merkmal 1.2.1 dahingehend auszulegen, dass jegliche Veränderung an dem abgefühlten Strom, die eine Erhöhung des Induktivitätsstroms bewirkt, einen klagepatentgemäßen Offset darstellt.</p>
<p><rd nr="190"/>(2) Nutzung M 1.2.1 durch angegriffene Ausführungsform Die angegriffene Ausführungsform macht von Merkmal 1.2.1 Gebrauch. Denn sie fügt dem abgefühlten Strom einen klagepatentgemäßen Offset hinzu.</p>
<p><rd nr="191"/>(a) Die Klägerin hat hierzu vorgebracht:</p>
<p><rd nr="192"/>(aa) Mit der Klage stützte sich die Klägerin mit Blick auf die Verwirklichung des Merkmals 1.2.1 zunächst (nur) auf den Digital-Analog-Wandler (digital-to-analog converter, DAC). Sie erläuterte, der Digital-Analog-Wandler passe den Strom mittels der (in nachfolgenden Darstellungen grün umrandeten) programmierbaren Stromsenke oder der (in nachfolgenden Darstellungen rot umrandeten) programmierbaren Stromquelle in der Stromsenke an und gebe ihn an der VG-VOUT1-Verbindung an die Stromabfühleinheit (Merkmal 1.2) ab. Dieser Strom werde sodann in den Komparator eingespeist, der das Schaltsignal für das Schaltelement generiere. Indem der Strom angepasst werde, werde ein klagepatentgemäßer Offset hinzugefügt. Bildlich lasse sich das wie folgt zeigen (S. 28/29 Klageschrift, K 3 Figuren 3.4.6, 3.4.6.6, Hervorhebungen klägerseits hinzugefügt):</p>
<p>Figur 3.4.6 (im Original farbig):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33489-6-de.png" alt=""/></p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2018_33489-7-de.png" alt=""/></p>
<p>Detail, Figur 3.4.6.6 (im Original farbig)</p>
<p><rd nr="193"/>An der Verwirklichung des Merkmals 1.2.1 durch den DAC hielt die Klägerin auch nach weiterem Vortrag fest (Triplik S. 24/25, Privatgutachten K 23 S. 11, 13).</p>
<p><rd nr="194"/>Eine beklagtenseits behauptete Deaktivierung der DAC-Funktionseinheit bestritt die Klägerin und unterstrich, eine Deaktivierung sei aus Rechtsgründen ohnehin unerheblich (S. 8, 54/56, Replik, unter Berufung auf BGH - Rangierkatze, OLG Düsseldorf - Primäre Verschlüsselungslogik). Das Vorbringen der Beklagtenseite, die Funktionseinheit stelle auch bei Aktivierung keinen Offset bereit, sei unsubstantiiert und daher unbeachtlich (S. 8, 56/57 Replik).</p>
<p><rd nr="195"/>(bb) Im Übrigen müsse es - unabhängig von der konkreten Implementierung - einen Offset in der angegriffenen Ausführungsform geben, weil der Spulenstrom auch bei sinkender Batteriespannung konstant bleibe oder steige - anderenfalls würden die angegriffenen Geräte bei sinkender Batteriespannung deutlich ineffizienter arbeiten und sich stark erwärmen. Auch die Messungen der Klägerin zeigten, dass es einen Versatz geben müsse, weil die Ausgangsspannung des Hüllkurvenverstärkers unterhalb der Ausgansspannung der Induktivität liege (S. 12 von K 27). Auch die beklagtenseits in Bezug genommene Erhöhung des Gleichstromanteils belege gerade, dass es einen Offset geben müsse - anders sei nicht zu erklären, dass sich der Spulenstrom ändere, denn der Hüllkurvenstrom steuere unstreitig den Spulenstrom. Er müsse mithin verändert oder anders bewertet werden, um eine Erhöhung des Spulenstroms zu erreichen (S. 4/5 Schriftsatz 23.10.2018). Es komme für eine Verletzung nicht darauf an, dass gerade durch eine bestimmte Komponente eine Signalisierung vorgenommen werde, wie die Klägerin schon in der mündlichen Verhandlung betont habe (S. 57 Replik).</p>
<p><rd nr="196"/>Die von der Beklagtenseite ins Feld geführte Entgegenhaltung Choi sei unbeachtlich, weil die dortige Lehre schon für 5 MHz-Bandbreite des Eingangssignals nicht mehr funktioniere, das hier wesentliche LTE-Signal aber eine Bandbreite von bis zu 20 MHz habe (S. 5/7, 26 ff. Triplik). Für größere Bandbreiten als 5 MHz sehe Choi es im Ergebnis als effizienter an, eine parallele Stromquelle bereitzustellen, als ein Schaltelement mit hoher Schaltfrequenz zu benutzen (S. 28/29 Triplik). Die Klägerin habe die Schaltfrequenz in der angegriffene Ausführungsform überprüft und habe hierdurch ebenfalls belegt, dass die angegriffene Ausführungsform nicht die Architektur von Choi haben könne (S. 6, 30/31 Triplik). Unbeachtlich sei auch das Argument der Beklagtenseite mit Blick auf die Versorgungsspannung für das Schaltelement. Auch das Schaltelement könne nach dem Teardown-Report mit einer höheren als der Batteriespannung versorgt werden. Das habe indes nichts mit Choi zu tun, und sei von dem Anspruch 1 des Klagepatents auch nicht ausgeschlossen. Das Problem der absinkenden Batteriespannung werde mit einem Boost-Converter für das Schaltelement auch nicht behoben (S. 31/32 Triplik).</p>
<p><rd nr="197"/>(cc) Im Übrigen bestünden weitere Signalisierungen, die einen Offset bereitstellen könnten. Die Klägerin habe noch weitere Signalisierungswege identifiziert, die die Induktivität durch das Schalelement patentgemäß steuere - das lasse sich gut an der US-Patentschrift der Lieferantin U. (K 18) und dem Teardown-Bericht erläutern (S. 8, 22, 60 ff der Replik). Die Ausgaben der Induktivität und des Hüllkurvenverstärkers seien durch einen Kondensator getrennt. Daher müsse es in der angegriffenen Ausführungsform einen Offset geben, weil die Spannung des Hüllkurvensignals nicht mehr unverändert „durchgeschaltet“ werden könne. Es gebe einen Komparator (genauer gebe es drei Komparatoren, die alle drei genutzt werden könnten), der die Bewertung des abgefühlten Stroms manipuliere.</p>
<p><rd nr="198"/>Die Klägerin ergänzte in der Triplik, maßgeblich sei der Einsatz von zwei Komparatoren, die jeweils über zwei Eingangssignale verfügten: die Signale CMP_VR1 bzw. CMP_VR2 von dem Reference Voltage Generator (Referenzspannung), sowie den abgefühlten Strom Isens, nach dessen Umwandlung in eine Spannung Vcmp. Diese Spannungen würden in den Komparatoren verglichen. Die Ausgangssignale der beiden Komparatoren würden das Schaltsignal steuern. Durch die Programmierung der Referenzspannung in den Komparatoren würde der Eingangsstrom Isens mit einem anderen Schaltpunkt bewertet, damit würde durch die Programmierung der Referenzspannung in den Komparatoren ein Offset hinzugefügt (S. 15/19 Triplik, Privatgutachten K 23). Es bestehe ein Spannungsfenster, wie es die Klägerin schon mit Blick auf die Patentschrift U. K 17 in der Replik dargelegt habe (S. 21 Triplik).</p>
<p><rd nr="199"/>(dd) Soweit die Klägerin mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 6.12.2018 (dort S. 5/7) die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform auf Basis der Sachverständigenanhörung auf neue Weise erläuterte, war der hierin enthaltene Sachvortrag wegen § 296a ZPO nicht mehr zuzulassen und gebot keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung. Wie unter (c) zu sehen sein wird, kam es hierauf nicht an.</p>
<p><rd nr="200"/>(b) Die Beklagten rügten den Vortrag der Klägerin unter Bezugnahme auf den Teardown-Bericht zunächst als unschlüssig (S. 4 Klageerwiderung II) und bestritten die Richtigkeit des Teardown-Berichts generell mit Nichtwissen (S. 30 Duplik). Sie unterstrichen, sie könnten wegen Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers U. nur eingeschränkt vortragen (S. 3 Protokoll vom 08.02.2018, S. 23/24 Duplik).</p>
<p><rd nr="201"/>Sie bringt des Weiteren vor:</p>
<p><rd nr="202"/>(aa) Der fragliche DAC-Funktionsblock in dem U.-Chip sei deaktiviert (S. 4, 6/7 Klageerwiderung II). Der U.-Chip werde mittels des N.-Chips PMB 5750 konfiguriert (S. 6 Klageerwiderung II, SVG). Die entsprechende Deaktivierung nehme der Zulieferer N. vor und könne seitens der Beklagten nicht verändert werden. Für die Kunden sei sie irreversibel (S. 7 Klageerwiderung II, SVG). Der Chip könne auch nicht allein betrieben werden, sondern brauche „Zuarbeit“, u.a. ein analoges Hüllkurvensignal, von einem anderen Chip (S. 28 Quadruplik, SVG, Zeuge A.). Für die Erstellung der entsprechenden Firmware brauche es Programmierkenntnisse, den streng geheimen Sourcecode für den zweiten Chip und die Kenntnis eines 120 Seiten starken Programming Guide für den U.-Chip (S. 29 Quadruplik, SVG, Zeugen A., O.). De facto gebe es daher keine deaktivierten Schaltkreise; die Situation sei auch mit dem vom BGH in dem Urteil „Rangierkatze“ entschiedenen Fall nicht vergleichbar (S. 29/30 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="203"/>Im Übrigen sei der Funktionsblock nicht in der Lage, den Versorgungsstrom zu erhöhen (S. 4, 8 Klageerwiderung II). Bei einer Aktivierung könne der Funktionsblock zwar Signale zur Gesamtschaltung beisteuern, es sei indes ausgeschlossen, dass hierdurch ein größerer Versorgungsstrom über die Induktivität generiert werde als ohne Versatz/ Offset. Daher könne es sich nicht um einen klagepatentgemäßen Offset handeln (S. 8 Klageerwiderung II, SVG). Im Termin am 8.02.2018 trug die Beklagtenseite vor, dass es in dem von der Klägerin angegriffenen U.-Chip kein Bauteil gebe, dass dazu führe, dass ein Schalter länger geöffnet werde, was dazu führe, dass gemäß dem Merkmal 1.2.1 über die Induktivität ein größerer Versorgungsstrom generiert werde, als ohne diese Maßnahme. Dies sei dadurch begründet, dass bei der angegriffenen Ausführungsform aufgrund eines abweichenden Designs des Hüllkurvenverfolgers das erfindungsgemäße Problem nicht auftrete und dadurch auch nicht durch diese Maßnahmen gelöst werden müsse (S. 3/4 Protokoll vom 8.02.2018).</p>
<p><rd nr="204"/>Die Beklagtenseite präzisierte in Duplik und Quadruplik, der DAC gehöre wohl zu einer zulieferseitig als „ICOR“ bezeichneten Komponente, die im „Teardown Report“ der Klägerin insbesondere hinsichtlich ihrer Einbindung in die Gesamtschaltung nicht vollständig erfasst sei. Ihre Beträge sollten lediglich der Signal-Glättung dienen und würden an zwei Stellen in die Schaltung eingespeist, so dass sie sich dem Betrage nach wieder aufhöben. Es sei damit schaltungstechnisch ausgeschlossen, dass hierdurch ein klagepatentgemäßer Offset bereitgestellt werde. Die Ladedauer sei vom „ICOR“ gänzlich unabhängig (S. 33/34 Duplik, SVG). In der Quadruplik ergänzte sie, die Komponente könne außerdem nur Wechselstrom liefern, keinen Gleichstrom, so dass sie schon deswegen keinen klagepatentgemäßen Offset bereitstellen könne. Das Glättungssignal würde ferner auch dem Hüllkurvenstrom selbst hinzugefügt, nicht nur dem abgefühlten Hüllkurvenstrom, und würde schließlich nicht in Abhängigkeit von der Batteriespannung erzeugt. Die gelb markierte Linie führe daher weder zu einem DAC, noch transportiere sie Informationen über eine Batteriespannung (S. 18/20 Quadruplik, SVG, Zeuge A.).</p>
<p><rd nr="205"/>Daher komme es auf die Deaktivierung der Komponente gar nicht mehr an, im Übrigen verstehe die Klägerin indes die Entscheidung „Primäre Verschlüsselungslogik“ falsch (S. 34 Duplik).</p>
<p><rd nr="206"/>(bb) Die Grundannahme der Klägerin, es müsse unabhängig von der konkreten Implementierung einen Offset geben, sei unzutreffend (S. 2 Duplik, SVG). Es gebe in der angegriffenen Ausführungsform schlicht keinen Offset, weder aktiviert noch deaktiviert (S. 31 Duplik, SVG). Die Klägerin verkenne, dass die klagepatentgemäße Lehre keine Lösung für ein allgemeines Problem sei, sondern für ein nur bei der im Klagepatent konkret zugrunde gelegten Architektur auftretendes Problem (S. 3/14, 32 Duplik). So würden in anderen Architekturen Schaltelemente und Induktivitäten verwendet, die erheblich schneller als das Leistungsnachverfolgungssignal arbeiteten. Zudem würde nicht nur dem Leistungsnachverfolgungssignal, sondern auch der Kombination aus Schaltelement und Induktivität eine gleiche, gegebenenfalls verstärkte Spannung zur Verfügung gestellt. So sei es in der Entgegenhaltung Choi (HRM 5a/b), die ebenfalls ohne Offset auskomme (S. 14/17 Duplik). Soweit die Klägerin in der Triplik hierzu Messungen vorgetragen habe, habe sie einen atypischen Fall angenommen; die Schlussfolgerung der Klägerin sei falsch (S. 27 Quadruplik, Zeuge A., SVG).</p>
<p><rd nr="207"/>Die Beklagtenseite könne wegen der Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers U. derzeit nicht anhand von Schaltplänen die relevanten Eigenschaften der angegriffenen Ausführungsform erläutern. Sobald die Schaltpläne aus dem US-Discovery-Verfahren aber klägerseits vorgelegt würden, würde sich zeigen, dass die angegriffene Ausführungsform eine Kombination aus Schaltelement und Induktivität aufweise, die wie in Choi deutlich schneller schalte als die Perioden des Leistungsnachverfolgungssignals lang seien und im Bedarfsfall (bei sinkender Batteriespannung, S. 28 Quadruplik, SVG, Zeuge A.) mit einer im Vergleich zur Batteriespannung höheren Spannung versorgt würden (S. 25 Duplik). Daher sei ein Offset hier weder erforderlich noch vorhanden (S. 25 Duplik, SVG).</p>
<p><rd nr="208"/>Die Beklagtenseite unterstrich, die Klägerin habe zu dem Offset in der Klage (dort S. 27/28) anders vorgetragen als in der Replik (dort S. 15) (S. 28 Duplik).</p>
<p><rd nr="209"/>(cc) Soweit die Klägerin sich auf die Patentschrift U. K 18 beziehe, sei der Verweis rätselhaft. Dort gehe es nicht darum, dass der Offset einem Eingangsstrom hinzugefügt werde. Weitere Ausführungen der Klägerin zu einem Zusammenhang von Entkoppelung und Offset seien gänzlich unverständlich und entzögen sich der Erwiderung (S. 21 Duplik). K 17 bezöge sich auch nur auf die Ladung eines Kondensators, der dazu diene, ein Signal als solches unverändert in einen anderen Spannungsbereich zu verschieben, um die Effizienz der Schaltung zu optimieren. Die Änderungen der Spannung, auf die sich die Klägerin bezieht, änderten keinen durch Schaltelement und Induktivität erzeugten Teilstrom, der in einen Gesamtstrom eingehe. Der Kondensator diene in Fig. 6 von K 17 nur der Glättung der Ausgangsspannung und sei nicht entscheidend für die Erzeugung einer geboosteten Spannung (S. 22 Duplik, SVG).</p>
<p><rd nr="210"/>Soweit die Klägerin auf weitere Signalisierungen Bezug nehme, sei der Vortrag unschlüssig und unsubstantiiert (S. 33 Duplik). Die Klägerin lege nicht dar, wieso sich hier ein klagepatentgemäßer Offset ergeben solle - tatsächlich gebe es ihn nicht (S. 34/35 Duplik, SVG). Der Kondensator, auf den die Klägerin auf S. 59 oben Replik Bezug nimmt, habe mit dem Offset nichts zu tun (S. 35 Duplik, SVG). Das vermeintliche Zusammenwirken S. 60 oben Replik basiere auf einem grundlegenden Fehlverständnis der angegriffenen Ausführungsform, das sich mit den Schaltplänen aufklären lassen werde. Die gelb eingezeichnete „Feedbackleitung“ existiere jedenfalls nicht, auch sonst funktioniere die Schaltung anders als dargestellt (S. 35 Duplik).</p>
<p><rd nr="211"/>Zu dem ergänzten Vortrag der Klägerin zu den Komparatoren in der Triplik führte die Beklagtenseite in der Quadruplik aus, die Komparatoren seien so zusammengeschaltet, dass sie nur gemeinsam programmiert werden könnten: ihre Schwellwerte seien von einer festen Referenzspannung von 1,2 V jeweils zwingend gleich weit beabstandet. Der eine diene dem Einschalten, der anderen dem Ausschalten des Ladevorgangs, daher sei ausgeschlossen, dass durch ihre Programmierung das Tastverhältnis eines Signals zur Steuerung des Schaltelements vergrößert und damit der Induktivitätsstrom durch Verlängerung der Ladedauer der Induktivität erhöht werde (S. 21 Quadruplik, SVG, Zeuge A.). Dies ergebe sich aus der Illustration S. 22 Quadruplik. Das habe die Klägerin unberücksichtigt gelassen, wohl weil die angegriffene Ausführungsform für zwei Modi vorgesehen sei (Average Power Tracking Mode und Envelope Tracking Mode), zwischen denen hin- und hergeschaltet werden könne. Diese Modi schlössen sich indes wechselseitig aus, auch hardwaretechnisch seien bestimmte Bauteile nur dem einen Modus zugeordnet. Die Klägerin betrachte aber fälschlicherweise Elemente aus beiden Modi zusammen (S. 23/24 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="212"/>Ferner seien die Referenzwerte in der angegriffene Ausführungsform fest auf 1,1 bzw. 1,3 V programmiert. Eine Änderung könnte weder die Beklagtenseite noch ihre Abnehmer bewerkstelligen, vielmehr müsste N. seine Firmware ändern (S. 25, 30, 32 Quadruplik, SVG, Zeuge A.). Eine geänderte Referenzspannung könne auch nicht Gegenstand eines Vorrichtungsanspruchs sein (S. 32, SVG, Zeuge A.).</p>
<p><rd nr="213"/>Auch die Ströme ICorr und ICS seien stromlos gestellt und damit deaktiviert. Im Übrigen könnten sie wegen des Kondensators keinen Offset bereitstellen (S. 33 Quadruplik, SVG, Zeuge A.).</p>
<p><rd nr="214"/>(dd) Schließlich werde der Kondensator in dem Privatgutachten nicht hinreichend gewürdigt: aus seiner Existenz folge, dass der gesamte Gleichstromanteil des Verstärkerstroms zwingend von Schaltelement und Induktivität bereitgestellt werde, wie auch der Privatgutachter auf S. 6 oben von K 22 zu konzedieren scheine (S. 26 Quadruplik). So wie der Strom Iind nicht abfallen könne, könne ein Offset ihn auch nicht erhöhen (S. 26 Quadruplik, SVG, Zeuge A.).</p>
<p><rd nr="215"/>(ee) Auf weiteres Vorbringen in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen nimmt das Gericht unter (c) Bezug.</p>
<p>(c) Wertung</p>
<p>Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht hiernach Merkmal 1.2.1.</p>
<p><rd nr="216"/>(aa) Vorab: Der Vortrag der Klägerin genügte - auch ohne Vorlage der Schaltpläne - den Anforderungen an substantiierten Klagevortrag.</p>
<p><rd nr="217"/>Gemäß § 138 Abs. 1 ZPO hatte die Klägerin vollständig und der Wahrheit gemäß vorzutragen. Die Klägerin hatte dabei grundsätzliche alle für sie günstigen Tatsachen zu beweisen. Die Gestaltung der angegriffenen Ausführungsform ist Tatfrage (und damit einer Geständnisfiktion zugänglich, § 138 Abs. 3 ZPO: BGH GRUR 2009, 1142, 1143, Rn. 14 - MP3-Player-Import). Ist die Pflicht zum vollständigen Vortrag aus § 138 Abs. 1 ZPO erfüllt, trifft den Gegner eine Erklärungslast aus § 138 Abs. 2 ZPO. Ein bloß pauschales Bestreiten genügt hierfür grundsätzlich nicht. Abhängig von der Tiefe des Vorbringens der Klägerseite muss die Beklagtenseite entsprechend tiefen Gegenvortrag erbringen. Anderenfalls greift nach § 138 Abs. 3 ZPO eine Geständnisfiktion. Den Gegner trifft hierbei eine Erkundigungspflicht zu Vorgängen im Bereich von Personen auch in fremden Unternehmen, die unter Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung der erklärungspflichtigen Partei tätig geworden sind (Cepl/Voß-Nielen, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, § 138 ZPO Rn. 36 mwN). Ebenso kann die Pflicht bestehen, weitere Hilfsmittel einzusetzen, u.a. auch die Zuhilfenahme externer Sachverständiger (ibid. mwN), wenngleich der Gegner zur Entkräftung eines Privatgutachtens der Gegenseite grundsätzlich kein eigenes Gutachten erstellen lassen muss (ibid Rn. 42 mwN). Auf § 138 Abs. 4 ZPO kann sich die Beklagtenseite nicht berufen, wenn sie beispielsweise bei einem Zulieferer Informationen über den Aufbau einer angegriffenen Ausführungsform hätte erfragen können, ihrer Erkundigungspflicht aber nicht nachkam (ibid Rn. 25 mwN).</p>
<p><rd nr="218"/>Einer Partei kann grundsätzlich nicht die Durchführung eines US-Discovery-Verfahrens abverlangt werden, um ihrer Vortragslast zu genügen. Das Discovery-Verfahren geht über die von der ZPO vorgesehene Darlegungs- und Beweislast hinaus, weil es letztlich Ausforschungsmöglichkeiten bietet, die die ZPO gerade verhindern will (siehe etwa Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/11637 S. 4). Der deutsche Gesetzgeber hat eine Erklärung nach <verweis.norm>Art. 23 <v.abk ersatz="HBÜ">HBÜ</v.abk></verweis.norm> abgegeben (BGBl. II 1979, 781), wonach Rechtshilfeersuchen, die auf pretrial-discovery-Verfahren gerichtet sind, nicht erledigt werden, siehe <verweis.norm>§ 14 <v.abk ersatz="AusfG-HBÜ">AusfG-HBÜ</v.abk></verweis.norm>. Wenn schon keine Rechtshilfeersuchen bearbeitet werden, kann einer vor einem deutschen Gericht klagenden Partei nach dieser Wertentscheidung des deutschen Gesetzgebers erst recht nicht abverlangt werden, ein Discovery-Verfahren durchzuführen, um vortragen zu können.</p>
<p><rd nr="219"/>Hiernach hat die Klägerin ihrer Vortragslast genügt. Die Komplexität des fraglichen Bauteils bringt es mit sich, dass Feststellungen über die Funktionsweise ohne Kenntnis der Schaltpläne nur schwer getroffen werden können. Gewissheit über die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform können nur Schaltpläne bringen, die nicht öffentlich verfügbar sind. Die Klägerin hat unter Zuhilfenahme eines Tear Down-Reports zu der angegriffenen Ausführungsform vorgetragen, und damit alles getan, was sie zu einer Aufklärung beitragen konnte. Weitere auch prozessuale Möglichkeiten standen ihr nicht zur Verfügung: Sie konnte gegen die Beklagtenseite insbesondere nicht nach § 140c PatG die Besichtigung der Schaltpläne verlangen, weil diese sich vorprozessual nicht im Besitz der Beklagtenseite befanden, sondern im Besitz des Zulieferers U.. Die Klägerin hätte im Prozess nicht mit Erfolg einen Antrag nach § 142 ZPO stellen können, weil der Zulieferer als Dritter im Sinne des § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO gegebenenfalls ein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 384 Nr. 3 ZPO hatte. Auch die Beklagtenseite hätte die Vorlage mit Blick auf Geschäftsgeheimnisse verweigern können, so wie sie sich darauf berief, nicht weiter vortragen zu können. Die Verweigerung der Vorlage hätte das Gericht nicht ohne Weiteres als Zugeständnis eines bestimmten Inhalts werten dürfen.</p>
<p><rd nr="220"/>Die Schaltpläne mittels eines US-Discovery-Verfahrens zu erlangen, konnte der Klägerin nach oben Gesagtem nach § 138 Abs. 1 ZPO gerade nicht auferlegt werden.</p>
<p><rd nr="221"/>(bb) Das Gericht hat davon auszugehen, dass ein klagepatentgemäßer Offset vorliegt, weil die Beklagtenseite den klägerischen Vortrag nicht wirksam bestritten hat, dass die Architektur der angegriffenen Ausführungsform die Existenz eines Offsets verlange.</p>
<p><rd nr="222"/>(aaa) Ein wirksames Bestreiten ist abhängig von dem Grad der Tiefe des Vortrags des Gegners: während allgemeine Erklärungen „einfach“ bestritten werden dürfen, müssen substantiierte Ausführungen des Gegners auch substantiiert bestritten werden (Cepl/Voß-Nielen, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage 2018, § 138 ZPO Rn. 21, 22 mwN). Bestreiten mit Nichtwissen ist nur unter den Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO zulässig, im Übrigen prozessual unbeachtlich. Bestreiten, das nicht so tiefgehend ist wie die Erklärung des Gegners, ist prozessual ebenfalls unbeachtlich. Das führt zu einer Geständnisfiktion, § 138 Abs. 3 ZPO.</p>
<p><rd nr="223"/>(bbb) Wie oben dargelegt, hat die Klägerin substantiiert vorgetragen. Sie hat insbesondere dargelegt, dass die Ausgangsspannung des Hüllkurvenverstärkers unterhalb der Ausgansspannung der Induktivität liege. Weil der Strom des Hüllkurvenverstärkers Einfluss auf die Ladung der Induktivität nimmt, liegt es auf der Hand, dass die Spannung (nach Wandlung eines Stroms in Spannung, siehe im Privatgutachten K 23 Abbildung 1: „I to V“) verändert wird. Die Beklagtenseite musste daher substantiiert bestreiten, mithin darlegen, wie die angegriffene Ausführungsform ohne Offset funktioniere.</p>
<p><rd nr="224"/>Dem hat sie nicht genügt. Sie hat zwar vorgebracht, es gebe in der angegriffenen Ausführungsform schlicht keinen Offset, ein solcher sei wegen der Architektur der angegriffene Ausführungsform - entsprechend Choi - auch nicht erforderlich. Wegen der Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers könne die Beklagtenseite nicht näher zu der Ausgestaltung vortragen, nach Vorlage der Schaltpläne aus dem US-Discovery-Verfahren würde sich aber zeigen, dass die angegriffene Ausführungsform eine Kombination aus Schaltelement und Induktivität aufweise, die wie in Choi deutlich schneller schalte als die Perioden des Leistungsnachverfolgungssignals lang seien und im Bedarfsfall (bei sinkender Batteriespannung, S. 28 Quadruplik, SVG, Zeuge A.) mit einer im Vergleich zur Batteriespannung höheren Spannung versorgt würden (S. 25 Duplik).</p>
<p><rd nr="225"/>Ihr Bestreiten war dabei indes nicht erheblich. Unerheblich war das Bestreiten der klägerischen Behauptung, die Architektur der angegriffenen Ausführungsform bewirke, dass sie keinen Offset brauche. Denn die Beklagtenseite hat nicht dargelegt, aufgrund welcher technischer Ausgestaltung die angegriffene Ausführungsform gerade keinen Offset brauche, obwohl die Klägerin ihrerseits technische Gründe für das zwingend erforderliche Vorhandensein eines Offsets dargelegt hat. Unbeachtlich war der beklagtenseitige Verweis auf die Entgegenhaltung Choi: Diese funktioniert in den hier erforderlichen Signalbreiten gerade nicht. Das ergibt sich schon aus der Patentschrift selbst; zusätzlich hat der Sachverständige, dem das Gericht vollumfänglich folgt (s.o.), dies festgestellt.</p>
<p><rd nr="226"/>Wie die angegriffene Ausführungsform stattdessen funktionieren soll, hat die Beklagtenseite nicht dargetan. Insbesondere ist hier auch nicht ihre Behauptung heranzuziehen, die angegriffene Ausführungsform funktioniere mittels eines Boosts der Spannung an den Switcher. Entgegen der beweiswürdigenden Darlegung der Beklagtenseite, der Sachverständige habe ihre Behauptung bestätigt, wonach ein Offset in der angegriffene Ausführungsform weder erforderlich noch vorhanden sei, sieht das Gericht diesen Vortrag nicht bestätigt (zu Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 147). Der Sachverständige hat in der Anhörung zwar wie beklagtenseits in Bezug genommen angegeben „Mit Blick auf den Unterschied der Figuren 4 a und 4 b kann ich sagen, dass für den Fall, dass bei der Figur 4 b statt der Spannung VSW = 2,3 V wie bei der Figur 4 a 3,7 V angesetzt werden, sich der Graph so verhalten würde wie bei Figur 4 a, weil es für das Messergebnis (der an der Induktivität messbare Strom) egal ist, woher die erhöhte Spannung kommt.“ Das ist indes eine technische Selbstverständlichkeit. Der Unterschied zwischen den Figuren 4a und 4b besteht gerade darin, dass Vsw differiert, siehe [0034] und [0035] des Klagepatents. Wenn der Unterschied in der Spannung aufgehoben wird, verhalten sich die Figuren denklogisch gleich. Das ist kein Beweis für die Behauptung der Beklagtenseite, es brauche in der angegriffenen Ausführungsform keinen Offset. Sie hat nämlich nicht dargetan, warum in der angegriffenen Ausführungsform Vsw 3,7 V ist und sie gleichzeitig grundsätzlich energieschonend (S. 51 Klageerwiderung Teil I) funktioniert. Soweit die Beklagtenseite sich darauf beruft, die Spannung an den Switcher werde geboostet (S. 50 Schriftsatz 22.11.2018) erklärt das zwar, warum Vsw 3,7 V ist, aber nicht, wie dann energieschonend gearbeitet werden kann. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen wäre der Boost zwar technisch machbar, aber gerade nicht energieeffizient.</p>
<p><rd nr="227"/>Im Übrigen ist die Angabe des Sachverständigen, es sei technisch machbar, die Spannung dauerhaft heraufzusetzen, für die Argumentation der Beklagtenseite unerheblich. Denn diese Behauptung hat die Beklagtenseite vor dem Termin am 8.11.2018 gerade nicht aufgestellt. Sie unterstrich in der Duplik zwar, dass dies bei der Entgegenhaltung Choi so sei (S. 17 Duplik), behauptete indes in Bezug auf die angegriffene Ausführungsform in der Duplik, die Spannung werde „im Bedarfsfall“ mit einer im Vergleich zur Batteriespannung höheren Spannung versorgt. „Im Bedarfsfall“ bedeutet gerade nicht dauerhaft. Die Beklagtenseite machte sich die Angabe des Sachverständigen im Termin als für sie positives Ergebnis der Beweisaufnahme zwar im Zweifel zu Eigen (dazu beispielsweise BGH, Beschluss vom 03.12.2015, VII ZR 77/15, Beck RS 2015, 21041, Randnummer 14, im Grundsatz auf das Patentrecht übertragbar; explizit S. 50 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 148). Dann aber war sie jedenfalls verspätet, weil erst aufgrund dieser Behauptung eine Sichtung der Schaltpläne durch den Sachverständigen erforderlich würde, was einen weiteren Termin erforderlich machen würde (dazu sogleich).</p>
<p><rd nr="228"/>Soweit die Beklagtenseite mit nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 10.12.2018 unter Bezugnahme auf die Privatgutachten P. und I. ergänzend zu der Architektur der angegriffenen Ausführungsform vortrug und unterstrich, das Schaltelement könne hier mit einer effizienten, geboosteten Spannung versorgt werden, war der Vortrag nach § 296a zurückzuweisen und gebot keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung. Die Beklagtenseite hat nicht vorgebracht, warum sie die Privatgutachten erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorlegte. Die Privatsachverständige P. hat bereits im Juni 2018 vor der ITC eine Stellungnahme abgegeben, s. S. 1 von HRM 13, Fußnote 1. Die Beklagtenseite hat das Verfahren vor der ITC eng verfolgt, wie sie insbesondere im kartellrechtlichen Teil dargelegt hat. Warum die Beklagtenseite daher das Gutachten HRM 13 nicht jedenfalls mit der Quadruplik vorlegen, und so eine Stellungnahme des Sachverständigen hierauf ermöglichen konnte, hat sie nicht dargetan.</p>
<p><rd nr="229"/>Ebenso wenig belegt die Verwendung des Kondensators in der angegriffenen Ausführungsform deren anderweitige Architektur, die gerade ohne Offset auskommen würde.</p>
<p><rd nr="230"/>Die Beklagtenseite meint, der Kondensator führe dazu, dass der gesamte Gleichstromanteil des Verstärkerstroms zwingend von Schaltelement und Induktivität bereitgestellt werde - das übersehe auch der Sachverständige. Das Klagepatent befasse sich unstreitig nur mit der Erhöhung des durchschnittlichen Stroms = Gleichstromanteils. Der Wechselstromanteil trage kodierte Information, und solle gerade nicht verändert werden.</p>
<p><rd nr="231"/>Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz stellte die Beklagtenseite klar, der Gesamtversorgungsstrom Ipa entspreche daher dem Induktivitätsstrom Iind (Ipa = Iind), S. 8 Schriftsatz vom 10.12.2018, unter Berufung auf Privatgutachten SV P..</p>
<p><rd nr="232"/>Dieser Angriff ist nicht schlüssig. Der gerichtliche Sachverständige hat bestätigt, dass über den Kondensator die Gleichstromlieferung von dem Linear Amplifier, der den patentgemäßen Hüllkurvenverstärker entspricht, an den Power Amplifier unterdrückt wird. So ist das System gezwungen, (Gleich-)Strom überwiegend über den Driver zur Verfügung zu stellen, während der gelieferte Wechselstrom die kodierte Information (die Einhüllende) weitergebe. Das ist auch in dem Gutachten K 23 dargestellt, wonach der Kondensator die Reduktion des Stroms Ienv bewirkt (S. 5 unten). Der Betrag, um den der Strom reduziert wird, muss denklogisch von der Induktivität kommen, um die benötigte Gesamtstrommenge Ipa zu erhalten. Ein Bauteil in der angegriffenen Ausführungsform muss daher denklogisch das Signal geben, den Induktivitätsstrom zu erhöhen. Weil die Gesamtstrommenge Ipa nicht konstant ist, ist auch die von der Induktivität gelieferte Strommenge nicht konstant. Dass der Gleichstromanteil, der von der Induktivität geliefert wird, dabei immer 100% ist, verbietet das Klagepatent nicht, wie oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="233"/>Entgegen der Darstellung der Beklagtenseite kann Ipa nicht Iind entsprechen, weil dann die Information aus dem Wechselstromanteil des Ienv nicht weitergegeben würde. Dass der Wechselstromanteil, der geliefert würde, durch den Kondensator nicht beeinflusst würde, hat der gerichtliche Sachverständige dargelegt (S. 5 unten Protokoll 8.11.2018).Ihr hilft auch nicht der Verweis auf Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers. Die Beklagtenvertreter hatten nach eigenem Vortrag Kenntnis von den Schaltplänen, durften hierzu nur keine konkreteren Angaben machen. Ein Fall des § 138 Abs. 4 ZPO, in dem die Beklagtenseite wirksam mit Nichtwissen bestreiten durfte, liegt daher schon nicht vor. Es kann dahinstehen, ob § 138 Abs. 4 ZPO auch eingreift, wenn eine Partei durch ein Geschäftsgeheimnis an substantiiertem Vortrag gehindert ist. Ein solches hat die Beklagtenseite jedenfalls nicht substantiiert vorgebracht, sich vielmehr nur pauschal auf Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers bezogen.</p>
<p><rd nr="234"/>Unbeachtlich war auch das Bestreiten im Termin am 08.02.2018: Hier hat die Beklagtenseite nur das Vorbringen der Klägerin negiert. Auch ein einfaches Bestreiten war nicht ausreichend, weil die Klägerin substantiiert dargelegt hat, welche Gründe für das Vorhandensein eines Offsets sprechen.</p>
<p><rd nr="235"/>(ccc) Somit hat das Gericht davon auszugehen, dass die angegriffene Ausführungsform einen klagepatentgemäßen Offset aufweisen muss.</p>
<p><rd nr="236"/>Das Gericht muss diesen (nicht wirksam bestrittenen) Vortrag der Klägerin nach dem Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz für dieses Urteil unterstellen, ohne die beklagtenseits angebotenen Beweise auf Basis ihres Vortrags zu erheben, insbesondere die angebotenen präsenten Zeugen zu hören. Die Beweiserhebung auf Basis des noch nicht hinreichend detaillierten Vortrags der Beklagtenseite wäre Ausforschung gewesen: Es gilt, dass die Parteien die Tatsachen vorzutragen haben, und die Zeugen nur zu der Richtigkeit der wirksam bestrittenen Tatsachen gehört werden.</p>
<p><rd nr="237"/>Gleiches gilt für den im Termin am 08.11.2018 angebotenen Sachverständigenbeweis „zum Beweis, dass die angegriffenen Ausführungsformen keinen patentgemäßen Offset aufweisen, weil selbst bei Unterstellung, dass die dortigen Maßnahmen noch als Offset zu verstehen sein könnten, jedenfalls im Endeffekt dadurch keine höheren Ströme bereitgestellt würden. Ferner werde eine einheitliche Ausgangsspannung dem Hüllkurvenverstärker bereitgestellt. Darüber hinaus wird auch dem Switcher eine Versorgungsspannung über einen Buck-Boost-Converter bereitgestellt. Die Fensterverschiebung gemäß Schriftsatz vom 15.10.2018, Seite 22 ergebe sich wie gezeigt.“ (S. 6 Protokoll). Auch dieser Vortrag ist unsubstantiiert, weil er die klägerischen Behauptungen lediglich negiert. Auch der Sachverständige hat hierin aus technischer Sicht keine neuen Tatsachen erkannt (S. 7 Protokoll). Eine Beweiserhebung auf Basis eines unsubstantiierten Tatsachenvortrags hätte die Klägerin in ihren Rechten verletzt.</p>
<p><rd nr="238"/>(cc) Auch der klägerseits in Bezug genommene DAC ist als Offset im klagepatentgemäßen Sinne anzusehen.</p>
<p><rd nr="239"/>(aaa) Soweit die Beklagtenseite zunächst behauptete, der fragliche Funktionsblock sei deaktiviert, ist dies aus Rechtsgründen unbeachtlich.</p>
<p><rd nr="240"/>Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt eine Patentverletzung schon dann vor, wenn die Merkmale der angegriffenen Ausführungsform objektiv geeignet sind, die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen zu erreichen. Unerheblich ist, ob die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen regelmäßig, nur in Ausnahmefällen oder zufällig erreicht werden und ob es der Verletzer darauf absieht, diese Wirkung zu erzielen. Deshalb liegt eine Patentverletzung auch vor, wenn eine Vorrichtung regelmäßig so bedient wird, dass die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen nicht erzielt werden. Die Patentverletzung entfällt in diesem Fall selbst dann nicht, wenn der Hersteller oder Lieferant seinen Abnehmern ausdrücklich eine andere Verwendung seiner Vorrichtung empfiehlt, solange die Nutzung der patentgemäßen Lehre möglich bleibt (BGH GRUR 2006, 399, 401 Rn. 21 - Rangierkatze mwN).</p>
<p><rd nr="241"/>Die behauptete Deaktivierung ist hiernach unbeachtlich. Die Deaktivierung ist unstreitig nicht irreversibel. Mit dem erforderlichen Knowhow und technischen Equipment ist es demnach möglich, die Deaktivierung aufzuheben. Das hat auch der Sachverständige festgestellt. Dass ein Durchschnittsverwender den Funktionsblock nicht deaktivieren kann, ist dabei nicht relevant. Die Deaktivierung führt mithin jedenfalls nicht aus der Patentverletzung heraus.</p>
<p><rd nr="242"/>(bbb) Der Vortrag in der Klageerwiderung II, wonach der Funktionsblock jedenfalls keinen patentgemäßen Offset zur Verfügung stellen könne, war nach oben dargestelltem Maßstab als einfaches Bestreiten prozessual unbeachtlich.</p>
<p><rd nr="243"/>(ccc) Auch der Vortrag in der Duplik/ Quadruplik ist unbeachtlich, weil er unschlüssig ist.</p>
<p><rd nr="244"/>Die Beklagtenseite behauptete hier zwar, die Beträge des fraglichen Funktionsteils dienten nur der Signalglättung und würden an zwei Stellen in die Schaltung eingespeist, so dass sie sich dem Betrage nach wieder aufhöben. Sie trug aber nicht vor, wo die Beträge in die Schaltung eingespeist werden, so dass nicht schlüssig vorgebracht ist, dass ein Offset ausgeschlossen ist.</p>
<p><rd nr="245"/>Auch die mit der Quadruplik erhobene Behauptung, die Komponente könne nur Wechselstrom liefern, ist technisch nicht schlüssig. Zwar kann die Spule/ Induktivität nur Gleichstrom liefern, und (nur) die Erhöhung des Gleichstroms ist nach obiger Auslegung patentgemäß. Unerheblich ist dabei indes, ob der DAC-/ICOR-Funktionsblock nur Wechselstrom liefern kann. Denn der aus dem DAC/ ICOR kommende Strom wird nach dem Vortrag der Klägerin über die Stromabfühleinheit in den Komparator eingespeist, der das Schaltsignal für das Schaltelement signalisiert. Beansprucht ist nur, dass sich der Spulenstrom durch den Offset erhöht, gleich ob durch Einspeisung von Wechselstrom oder Gleichstrom. Auch wenn der DAC/ ICOR nur Wechselstrom liefern kann, ist daher gerade nicht ausgeschlossen, dass er den Induktivitätsstrom (Gleichstrom) erhöht. Insbesondere kann der Komparator (nach Wandlung von Strom in Spannung) nach dem Verständnis der Kammer auch Wechselspannung mit Gleichspannung vergleichen, nachdem die Wechselspannung gleichgeschaltet worden ist.</p>
<p><rd nr="246"/>Der Sachverständige hat in seiner Anhörung bestätigt, dass der Vortrag der Beklagtenseite nicht schlüssig ist.</p>
<p><rd nr="247"/>Die Behauptung der Beklagtenseite, das Glättungssignal würde nicht nur dem abgefühlten Hüllkurvenstrom, sondern auch dem Hüllkurvenstrom selbst hinzugefügt, ist unbeachtlich (BGH Rangierkatze, wie vor). Solange durch die Hinzufügung des Signals zu dem abgefühlten Strom der Induktivitätsstrom erhöht wird, handelt es sich um einen klagepatentgemäßen Offset.</p>
<p><rd nr="248"/>Soweit die Beklagtenseite schließlich vortrug, die gelbe Linie existiere nicht (S. 35 Duplik), führe nicht zu einem DAC und transportiere auch keine Informationen über eine Batteriespannung, ist dies unsubstantiiert. Die bloße Negation ist ein einfaches, unbeachtliches Bestreiten. Die Beklagtenseite bringt auch nicht vor, was stattdessen die etwaige Funktion sein soll.</p>
<p><rd nr="249"/>(ddd) Auch der Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik zu den klägerseits in Bezug genommenen Komparatoren ist nicht schlüssig.</p>
<p><rd nr="250"/>Davon ist die Kammer nach Anhörung des Sachverständigen Professor A. überzeugt. Der Sachverständige erklärte zunächst, er könne bei Wahrunterstellung der Angaben der Beklagtenseite nicht erkennen, dass keine Patentverletzung vorliege. Denn sie präsentiere keine Alternative, wie der U.-Chip anders als patentgemäß funktionieren könne (S. 7 des Protokolls vom 08.11.2018 oben).</p>
<p><rd nr="251"/>Der Sachverständige räumte auf weitere Nachfrage der Beklagtenseite ein, er erkenne aus technischer Sicht keinen klagepatentgemäßen Offset, wenn er von der Richtigkeit der Figuren S. 22 der Quadruplik ausgehe. Die Figuren könne er mathematisch nachvollziehen, wenn er die Behauptungen der Beklagtenseite S. 21 der Quadruplik als wahr unterstelle, die Schwellwerte seien zwingend gleich weit beabstandet und unter einer festen Differenzspannung von 1,2 Volt eingestellt, außerdem verschiebe sich das Signal nicht (S. 7 des Protokolls vom 08.11.2018). Er unterstrich gleichzeitig, er könne den Ausführungen und Figuren der Beklagtenseite in der Quadruplik gleichwohl nicht entnehmen, ob oder ob nicht das Signal verschoben werde.</p>
<p><rd nr="252"/>Hernach hat die Beklagtenseite gerade nicht dargelegt, wie der U.-Chip funktionieren soll, ohne das Klagepatent zu verletzen. Nichts anderes folgt aus den Angaben des Sachverständigen S. 7 des Protokolls Mitte, wonach kein klagepatentgemäßer Offset bestehe, wenn der Sachverständige die vorzitierten beklagtenseits herangezogenen Bedingungen unterstelle. Denn maßgeblich für die Frage eines Offsets ist gerade die Signaländerung. Wenn technisch unterstellt wird, dass das Signal nicht verschoben wird, gibt es denklogisch keinen Offset. Der Vorhalt der Beklagtenseite, auf den der Sachverständige S. 7 Mitte des Protokolls vom 8.11.2018 reagierte, ließ mithin letztlich keinen Schluss auf die Schlüssigkeit des (schriftsätzlichen) Beklagtenvorbringens zu. Im Übrigen hat die Beklagtenseite auch dann nicht dargestellt, wie die angegriffene Ausführungsform insgesamt funktioniert, das heißt welche abweichende Architektur bewirkt, dass eine Hysterese entsteht, und wie gleichzeitig die beklagtenseits in Bezug genommenen Energiesparfunktionen (Klageerwiderung Teil I S. 51) verwirklicht werden können.</p>
<p><rd nr="253"/>Nach alledem war auch dieses Beklagtenvorbringen nicht schlüssig.</p>
<p><rd nr="254"/>Gleiches gilt für das Vorbringen der Beklagtenseite, die Klägerin betrachte Schaltkreise zusammen, die wegen zweier Modi der angegriffenen Ausführungsform nicht zusammen betrachtet werden dürften: hardwaremäßig würden hier mittels einer Art Wechselschalter verschiedene Funktionen zu- und abgeschaltet (S. 23/24 Duplik). Die Beklagtenseite hat auch hier nicht vorgebracht, wie die angegriffene Ausführungsform denn statt dessen funktionieren soll.</p>
<p><rd nr="255"/>Soweit die Beklagtenseite zu diesem Punkt ergänzend unter Bezugnahme auf die Privatgutachten I. und P. vortrug, war ihr Vortrag nach § 296a ZPO zurückzuweisen, wie oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="256"/>(fff) Wollte man das Vorbringen der Beklagtenseite in der Quadruplik - wie nicht - als schlüssig ansehen, wäre es erstmals substantiierter Vortrag, als solcher verspätet und daher nicht mehr zu berücksichtigen, § 296 Abs. 2 ZPO.</p>
<p><rd nr="257"/>Nach <verweis.norm>§ 296 Abs. 2 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> können Angriffs- und Verteidigungsmittel zurückgewiesen werden, wenn sie entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht.</p>
<p><rd nr="258"/>Angriffs- und Verteidigungsmittel sind u.a. tatsächliches Vorbringen sowie Bestreiten (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 282 ZPO Rn. 2).</p>
<p><rd nr="259"/>Sie sind nicht rechtzeitig vorgebracht, wenn sie später vorgebracht werden, als es - abgestellt auf die jeweilige Prozesslage - einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht (Cepl/Voß-Schilling, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage 2018, <verweis.norm>§ 296 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 35).</p>
<p><rd nr="260"/>Eine Verzögerung tritt ein, wenn der Prozessablauf durch die Zulassung des verspäteten Vorbringens kausal und erheblich verlängert würde (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 296 ZPO Rn. 11, 12).</p>
<p><rd nr="261"/>Grobe Nachlässigkeit liegt vor bei Verletzung der prozessualen Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße, wenn Partei oder Prozessbevollmächtigte das außer Acht lassen, was jedem, der einen Prozess führt, hätte einleuchten müssen (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 296 ZPO Rn. 27 mwN).</p>
<p><rd nr="262"/>Hiernach wäre das Vorbringen der Beklagtenseite in der Quadruplik wegen Verspätung zurückzuweisen und daher nicht mehr entscheidungserheblich.</p>
<p><rd nr="263"/>Das Vorbringen in der Quadruplik stellt ein Verteidigungsmittel iSd § 296 Abs. 2 ZPO dar.</p>
<p><rd nr="264"/>Den Tatsachenvortrag erbrachte die Beklagtenseite entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig. Er hätte schon in der Duplik als Erwiderung auf die Replik erfolgen müssen. Denn in der Replik hatte die Klägerin die hier fraglichen Punkte erstmals angebracht.</p>
<p><rd nr="265"/>Die Klägerin hat schon in der Klage vorgebracht, der DAC könne einen klagepatentgemäßen Offset bereitstellen. In der Replik hat sie insbesondere unterstrichen, diesen Vortrag habe die Beklagtenseite nicht wirksam bestritten, und des Weiteren die Abbildungen S. 16, 62 Replik dargetan, in denen u.a. eine gelbe Feedbacklinie dargestellt ist, die Informationen über die Batteriespannung an den DAC zurückgebe. Deren Existenz bestritt die Beklagtenseite zwar in der Duplik und erwiderte, der DAC gehöre, soweit ersichtlich, zu einer Komponente „ICOR“, die nur der Signal-Glättung dienen solle. Dieses Vorbringen war nach oben Gesagtem indes unschlüssig. Erstmals in der Quadruplik brachte die Beklagtenseite vor, die Komponente könne nur Wechselstrom liefern und schon deswegen keinen klagepatentgemäßen Offset bereitstellen (S. 18/19 Quadruplik). Das Glättungssignal würde außerdem nicht nur dem „abgefühlten Hüllkurvenstrom“ sondern auch dem Hüllkurvenstrom selbst hinzugefügt. Schließlich werde es - entgegen der Annahme der Klägerin - nicht in Abhängigkeit von der Batteriespannung erzeugt (S. 19 Quadruplik mit Abbildung). Die gelbe Feedbacklinie führe auch weder zu einem DAC, noch transportiere sie Informationen über eine Batteriespannung (S. 20 Quadruplik, Zeuge A., SVG).</p>
<p><rd nr="266"/>Dieses Vorbringen in der Quadruplik führt - ohne dass es durch weiteren Vortrag der Klägerin veranlasst gewesen wäre - über den Vortrag in der Duplik hinaus. Ein rechtzeitiges Vorbringen hätte insbesondere vorausgesetzt, dass die Klägerin hierauf gegebenenfalls noch schriftsätzlich im Rahmen der für sie geltenden nächsten Schriftsatzfrist (Triplik) hätte erwidern können. Insbesondere mit Blick auf die avisierte Sachverständigenbegutachtung hätte es einer prozessfördernden Verfahrensführung entsprochen, den fraglichen Vortrag in der Duplik zu erbringen.</p>
<p><rd nr="267"/>Durch die Berücksichtigung des Vortrags würde eine kausale Verzögerung eintreten. Unbeachtlich war dabei, dass Herr A. als Zeuge angeboten war: er war als präsenter Zeuge im Termin am 8.11.2018 anwesend und hätte ohne Verzögerung gehört werden können. Indes wäre die Klägerin erstmals durch den (als solchen unterstellten) substantiierten Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik veranlasst gewesen, die im Discovery-Verfahren erlangten Schaltpläne vorzulegen. Deren Sichtung hätte nicht im Termin erfolgen können, sondern hätte nach Angabe des Sachverständigen mindestens 100 Arbeitsstunden erfordert. Das Gericht hätte mithin vertagen und nach entsprechender Sichtung die mündliche Verhandlung fortsetzen müssen. Der nächste freie Termin der Kammer für eine Verhandlung hiesiger zeitlicher Dimensionen liegt Mitte 2019. Der Verkündungstermin konnte hingegen schon auf Dezember 2018 anberaumt werden. Durch die Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagtenseite wäre mithin eine Verzögerung eingetreten.</p>
<p><rd nr="268"/>Die Beklagtenseite handelte dabei auch grob nachlässig. Denn es leuchtet jedem Prozessbeteiligten sofort ein, dass substantiierte Behauptungen des Gegners über die Funktionsweise einer angegriffenen Ausführungsform substantiiert bestritten werden müssen, und dass Geheimhaltungsinteressen zwischen einer Partei und einem Dritten nicht zu Lasten des Prozessgegners führen können. Unbeachtlich ist dabei das Vorbringen der Beklagtenseite, eine etwaige Verzögerung sei der Klägerin zuzurechnen, weil sie sich verpflichtet hätte, die Schaltpläne vorzulegen. Eine derartige Verpflichtung hat die Klägerin im Termin am 08.02.2018 nicht erklärt. Insbesondere haben die Parteien keinen Zwischenvergleich geschlossen mit dem Inhalt, dass die Klägerin die Schaltpläne vorlegen werde. Die Klägerin hat schon in der Replik unterstrichen, dass es auf die Schaltpläne nach dem derzeitigen Vortragsstand nicht ankomme, und dies in der Triplik nur noch verschärft. Mithin hatte die Beklagtenseite schon nach der Replik Anlass, vertieft vorzutragen und sich nicht auf die Vorlage der Schaltpläne zu verlassen, somit im Rahmen der Duplik. Das Gericht hatte im Übrigen ohne Vorlage der Schaltpläne einen Sachverständigen beauftragt, und die Beweisaufnahme gerade nicht von der Vorlage der Schaltpläne abhängig gemacht. Auch dies gab der Beklagtenseite Anlass, unabhängig von der Vorlage der Schaltpläne substantiiert vorzutragen.</p>
<p><rd nr="269"/>Gleiches gilt mit Blick auf den erweiterten Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik zu den Komparatoren. Zwar hat die Klägerin ihren Vortrag zu den Komparatoren in der Triplik ergänzt und durch Vorlage eines Privatgutachtens unterfüttert. Sie hatte indes die wesentlichen Aspekte bereits in der Replik im Rahmen der Erläuterung der Wirkweise des Offset vorgetragen („Dasselbe wäre natürlich auch einfach dadurch möglich, dass die Referenzgrößen M1 und M2 verändert würden (also die Referenzspannungen, mit denen die „sense voltage 124“ verglichen wird). Man ändert so die Bewertung dieses abgefühlten Signals, indem man die Skala (das Fenster mit Ml und M2) verschiebt; somit erreicht dasselbe Signal die Punkte bereits bei geringeren oder höheren Werten der tatsächlich abgefühlten Spannung.“ (S. 45 Replik)).</p>
<p><rd nr="270"/>Der neue Vortrag in der Quadruplik ist mithin wegen § 296 Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen, wollte man ihn als substantiiert ansehen.</p>
<p><rd nr="271"/>(dd) Ein anderes ergibt sich nicht aus den nachterminlich beweiswürdigend unterstrichenen Aspekten.</p>
<p><rd nr="272"/>Entgegen der beweiswürdigenden Darlegung der Beklagtenseite, der Sachverständige habe ihre Behauptung bestätigt, wonach ein Offset in der angegriffene Ausführungsform weder erforderlich noch vorhanden sei, sieht das Gericht diesen Vortrag nicht bestätigt (zu Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 147), siehe schon oben unter (c)(bb)(bbb).</p>
<p><rd nr="273"/>(ee) Auch die Verwendung des Kondensators in der angegriffenen Ausführungsform belegt nicht deren anderweitige Architektur, die gerade ohne Offset auskommen würde, wie oben dargelegt (zu S. 8 Schriftsatz vom 10.12.2018, S. 10 Schriftsatz 12.12.2018).</p>
<p><rd nr="274"/>Wollte man das Vorbringen der Beklagtenseite - wie nicht - als schlüssig ansehen, wäre es jedenfalls verspätet, § 296 Abs. 2 ZPO, § 296 a ZPO, siehe oben.</p>
<p><rd nr="275"/>Nach alledem ist Merkmal 1.2.1 verwirklicht.</p>
<p>d. M 1.4.1 verwirklicht Die angegriffene Ausführungsform macht auch von Merkmal 1.4.1 (“wherein the envelope amplifier selectively operates based on the first supply voltage or the boosted supply voltage“) des Klagepatents Gebrauch.</p>
<p>(1) Auslegung</p>
<p>„selectively operates based on“ in diesem Sinne ist dahingehend zu verstehen, dass auch die Verwendung des ersten Versorgungsstroms oder des geboosteten Versorgungsstroms nach einer Nachjustierung klagepatentgemäß ist. „selectively“ ist als wahlweise zu verstehen, ohne dass es eines Umschaltens bedürfte.</p>
<p><rd nr="276"/>(a) Die Klägerin bringt zu der Auslegung dieses Merkmals vor:</p>
<p><rd nr="277"/>Besondere Bedeutung erlange der Boost Converter, wenn die Spannung der Batterie abnehme (zB von 3,2 auf 2,5 Volt). In diesem Fall reiche diese Spannung für den Hüllkurvenverstärker unter Umständen nicht mehr aus, um hohe Amplituden des Hüllkurvensignals akkurat zu verarbeiten. Der Einsatz des Boost Converters führe dazu, dass bei Bedarf eine erhöhte Spannung (zB 3,2 Volt) für den Hüllkurvenverstärker zur Verfügung steht, wie [0033] erläutere. Der Einsatz des Boost Converter trage dazu bei, dass der Envelope Tracker auch bei einer abnehmenden Batteriespannung zum Einsatz kommen könne (S. 49/50 Replik mit Figur). Die Spannung für den Hüllkurvenverstärker werde bei sinkender Batteriespannung (zB 2,5 V) vom Boost Converter bereitgestellt, wodurch sich eine erhöhte Spannung ergebe, zB 3,2 V. Während die Batteriespannung allein nicht in der Lage wäre, den Hüllkurvenverstärker bei bestimmten Spitzen des Hüllkurvensignals mit einer ausreichenden Spannung zu versorgen, sei dies mittels der erhöhten Spannung wieder möglich. Dadurch würden Verzerrungen im verstärkten Signal vermieden. Wie eine geboostete Spannung erzeugt werde (nämlich mit dem Kondensator 618), sei dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen; das Klagepatent zeige das beispielhaft anhand Fig 6.</p>
<p><rd nr="278"/>Die Funktion des Merkmals liege darin, dass der Hüllkurvenverstärker zur Effizienzsteigerung nur dann auf der Basis einer erhöhten, geboosteten Spannung (Vboost) arbeite, wenn dies infolge eines großen Ausschlags der Hüllkurve des RF-Signals erforderlich sei. Im Übrigen arbeite er basierend auf der Spannung der Batterie (Vbat), siehe [0028]. Der selektive Boost trage damit zur Effizienzsteigerung bei, vgl [0044] (nicht beansprucht) und [0045] (beansprucht). Nur wenn die Batteriespannung hernach unterhalb eines bestimmten Grenzwerts liege komme Vboost zum Einsatz. Wenn Vbat über dem Grenzwert liege, bleibe es bei der Batteriespannung Vbat. Entscheidend sei mithin die selektive Verwendung einer geboosteten Spannung für die Versorgung des Hüllkurvenverstärkers. Nicht entscheidend sei, ob die erste Versorgungsspannung, wie sie am Boost Converter anliegt, genau identisch mit der Versorgungsspannung sei, wie sie vom Hüllkurvenverstärker zu jedem Zeitpunkt als Alternative zur geboosteten Spannung verwendet werde. Dem Fachmann sei nämlich zum Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen, dass die Versorgungsspannung zu hoch sein könnte, und sie durch einen Abwärtswandler auf einen niedrigeren Wert eingestellt werden müsste. Eine solche Maßnahme lasse das Klagepatent offen. Ein solcher Abwärtswandler (step down converter oder buck converter) werde zB auch für das Herabsetzen der Spannung des in Fig 2b des Klagepatents dargestellten Average Power Tracker verwendet (S. 52 Replik, S. 10 Triplik). Der Anspruchswortlaut lasse auch offen, ob die geboostete Spannung wiederum auf einen Zielwert reguliert werde (S. 8/9 Replik).</p>
<p><rd nr="279"/>Diese Auslegung werde auch durch den Anspruchswortlaut gestützt: „Basierend auf“ belege, dass nicht die identische erste Eingangsspannung oder die geboostete Spannung mit demselben Wert auch am Hüllkurvenverstärker anliegen müsse, sondern auch etwa eine weiter auf einen Zielwert angepasste („regulierte“) Spannung anliegen könne (S. 53 Replik).</p>
<p><rd nr="280"/>(b) Die Beklagtenseite macht geltend:</p>
<p><rd nr="281"/>Das Merkmal erfordere die Möglichkeit eines bedarfsweisen Umschaltens zwischen der ersten Versorgungsspannung und der von dieser abgeleiteten Spannung, wie sich schon im Umkehrschluss aus der nicht beanspruchten Beschreibungsstelle [0044] ergebe (S. 23 Duplik, S. 14 Quadruplik, SVG). In der Quadruplik (S. 13) unterstrich sie, der Hüllkurvenverstärker erhalte patentgemäß selektiv die erste Versorgungsspannung als solche, oder die erhöhte Versorgungsspannung als solche, und könne auf dieser Grundlage arbeiten. Es heiße in Merkmal 1.4.1 gerade nicht, dass der Hüllkurvenverstärker mit einer Spannung arbeite, die ihrerseits auf der ersten oder auf der erhöhten Versorgungsspannung basiere. Die erhöhte Versorgungsspannung werde aus der ersten Versorgungsspannung gewonnen (M1.3); die erste Versorgungsspannung bleibe als solche aber erhalten. Dabei sei irrelevant, dass der buck converter zum Prioritätszeitpunkt schon bekannt gewesen sei: dann hätte die Klägerin ihn schließlich in den Anspruch aufnehmen können; mangels Aufnahme sei davon auszugehen, dass die Klägerin dies nicht gemeint habe. Die Beklagtenseite unterstrich, die Überlegungen des Privatgutachters der Klägerin bewegten sich eher im Bereich äquivalenzrechtlicher Überlegungen (S. 14 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="282"/>(c) Wertung Bei gebotener funktionaler Auslegung des Merkmals ergibt sich ein Verständnis im Sinne der klägerischen Lesart.</p>
<p><rd nr="283"/>Funktionell ist entscheidend, dass der envelope tracker je nach Energiebedarf und Batteriespannung mit der ersten Versorgungsspannung oder der geboosteten Spannung arbeitet. Eine Einschränkung dahingehend, dass genau die erste Versorgungsspannung oder genau die geboostete Spannung - ohne Zwischenschaltung einer Nachregulierung - verwendet werden muss, lässt sich dem Klagepatent weder im Anspruchswortlaut noch in der Beschreibung entnehmen. Zwar spricht Merkmal 1.4.1 von “the first supply voltage” und “the boosted supply voltage”. Die Verwendung des bestimmten Artikels ist indes nur Folge der allgemein üblichen Technik, nur bei erster Verwendung eines Begriffs den unbestimmten Artikel „a“ zu verwenden, ansonsten „the“.</p>
<p><rd nr="284"/>Zur Erläuterung des fachmännischen Verständnisses hat der Sachverständige dem Gericht dargelegt, dass es zwar möglich, aber technisch unvernünftig sei, eine Spannung erst durch einen boost zu erhöhen, und sie sodann wieder herunter zu regulieren. Eine Nachjustierung einer geboosteten Spannung indes sei operativ sinnvoll, da das Schaltmoment technisch sehr kritisch sei und die Gefahr bestehe, das System gegebenenfalls nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen.</p>
<p>„selectively“ ist nicht so zu verstehen, dass es eines Umschaltens bedürfte, vielmehr ist es als wahlweise zu verstehen: Der Hüllkurvenverstärker arbeitet je nach Bedarf entweder mit der ersten Versorgungsspannung oder mit der geboosteten Spannung. Ein anderes folgt im Umkehrschluss weder aus der (unstreitig) nicht beanspruchten Beschreibungsstelle [0044]. Auch aus [0045] ergibt es sich nicht. Zwar ist in [0045] die Rede von einem Switch, indes wird in [0045] nur ein Ausführungsbeispiel gegeben, das die Auslegung des Patentanspruchs grundsätzlich nicht einschränkt.</p>
<p><rd nr="285"/>(2) Nutzung M 1.4.1 Merkmal 1.4.1 wird nach obiger Auslegung von der angegriffenen Ausführungsform auch benutzt.</p>
<p><rd nr="286"/>(a) Die Klägerin meint: Soweit die Beklagtenseite bestreite, dass der Hüllkurvenverstärker selektiv auf der Basis einer geboosteten Spannung oder einer Versorgungsspannung arbeiten würde, unter Verweis darauf, dass stets nur eine „regulierte“ Spannung vorliege, liege das nur an der divergierenden Auslegung (S. 8/9 Replik).</p>
<p><rd nr="287"/>In der Klage unterstrich die Klägerin, der Hüllkurvenverstärker arbeite mit der als „VDD3I2“ bezeichneten Ausgabe des Boostwandlers (Figur 3.6). Bei dieser könne es sich wahlweise um die geboostete Spannung oder die erste Spannung im Sinne des Anspruchs handeln. Dies ergebe sich aus den Figuren 3.2, 3.2.9 und 3.4.6 der Anlage K 3.</p>
<p><rd nr="288"/>Der Boostwandler umfasse einen Schaltblock mit Schaltern, deren Eingänge an VDD_EX gebunden seien. Diese Schalter könnten so konfiguriert werden, dass der Wandler wahlweise entweder die nicht-geboostete erste Versorgungsspannung (VDD2_EX) oder die geboostete Spannung als seine Ausgabespannung (VDD3) ausgeben könne (S. 33/34 Klageschrift).</p>
<p><rd nr="289"/>In der Replik betonte die Klägerin, die Beklagtenseite „verschleiere“ mit dem Begriff der regulierten Spannung die Tatsachen. Sie habe nicht bestritten, dass der Hüllkurvenverstärker mit einer Spannung betrieben werden könne und müsse, die über der Batteriespannung liege, sofern die Batteriespannung unter einen bestimmten Wert gesunken sei. Liege die Spannung über einem bestimmten Wert, werde in der angegriffenen Ausführungsform keine geboostete Versorgungsspannung verwendet - der Hüllkurvenverstärker operiere „basierend auf der ersten Batteriespannung“. Unerheblich sei, ob noch weitere Maßnahmen zu Regelung der Batteriespannung oder der geboosteten Spannung vorgesehen seien (S. 9, 63 Replik, S. 33 ff. Triplik, Privatgutachten K 23 S. 18 ff.). Dass die Batteriespannung und die geboostete Spannung noch reguliert würden, ändere daran nichts, weil nach zutreffender Auslegung der Hüllkurvenverstärker gleichwohl selektiv auf Basis der geboosteten Spannung oder der ersten Versorgungsspannung arbeite (S. 63 Replik). Die Klägerin unterstrich, selbst wenn man ein Umschalten zwischen zwei verschiedenen spezifischen Spannungswerten fordern wollte, wäre ein solches in der angegriffenen Ausführungsform gegeben (S. 37/38 Triplik, Privatgutachten K 23 S. 21/24).</p>
<p><rd nr="290"/>(b) Die Beklagtenseite macht geltend:</p>
<p><rd nr="291"/>Der Hüllkurvenverstärker der angegriffene Ausführungsform arbeite immer nur mit der Ausgangsspannung des „Boostwandlers“, nicht selektiv aufgrund zweier verschiedener Spannungen (S. 9 Klageerwiderung Teil I, S. 25 Duplik). Die Ausgangsspannung am Buck Boost Converter werde den jeweiligen Anforderungen entsprechend aus der Batteriespannung erzeugt (S. 36/37 Duplik, SVG). Die von der Klägerin ins Auge gefasste Konfiguration gebe es nicht, diese sei vielmehr zulieferseitig ausgeschlossen. Die klägerseitig erwähnten Schalter könnten das Eingangssignal auch nicht zum Ausgang „durchschalten“, so dass die unveränderte erste Versorgungsspannung ausgegeben würde (S. 9 Klageerwiderung II, SVG). Es werde insbesondere nicht zwischen zwei Spannungen hin- und hergeschaltet (S. 37 Duplik). In der Quadruplik präzisierte die Beklagtenseite, die von der Klägerin in Bezug genommene blaue Box schalte nicht zwischen Buck und Boost, sondern enthalte Schaltkreise, die beides nutzten, um eine konstante, programmierte Ausgansspannung unabhängig von der Batteriespannung zur Verfügung zu stellen. Die grünen Boxen seien nicht Buck Converter, sondern Steuerungsschaltkreise (S. 30 Quadruplik). Daher sei ausgeschlossen, dass zwischen erster und erhöhter Versorgungsspannung selektiv geschaltet werde (S. 33 Quadruplik, SVG, Zeuge I. A.).</p>
<p><rd nr="292"/>(c) Wertung Hiernach ist Merkmal 1.4.1 verwirklicht.</p>
<p><rd nr="293"/>(aa) Unbeachtlich ist zunächst die Einlassung der Beklagtenseite, in der angegriffenen Ausführungsform sei die klägerseits ins Auge gefasste Konfiguration zulieferseitig ausgeschlossen. Wegen der zuvor dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH Rangierkatze) kommt es hierauf nicht an. Vielmehr belegt die Behauptung der Beklagtenseite eine Verletzung.</p>
<p><rd nr="294"/>(bb) Ebenso ist irrelevant die Behauptung der Beklagtenseite, die erste oder geboostete Spannung würden ihrerseits vor Verwendung reguliert, so dass der Hüllkurvenverstärker nicht basierend auf diesen Spannungen arbeiten würde. Das Merkmal fordert nur, dass der Hüllkurvenverstärker die erste oder die geboostete Spannung nutzt, unabhängig davon, ob eine Regulierungsmaßnahme zwischengeschaltet ist.</p>
<p><rd nr="295"/>(cc) Das Vorbringen der Beklagtenseite in der Duplik, die Ausgangsspannung am Buck Boost Converter werde den jeweiligen Anforderungen entsprechend aus der Batteriespannung erzeugt (S. 36/37 Duplik, SVG), hilft nicht aus der Verletzung heraus. Soweit hierin ein Bestreiten der klägerischen Behauptung liegen soll, wonach die angegriffene Ausführungsform bei einem Absinken unter eine bestimmte Batteriespannung mit einer geboosteten Spannung arbeiten müsse, ist dieses Bestreiten nach obigen Maßstäben nicht substantiiert. Die Klägerin hat substantiiert vorgebracht, warum die angegriffene Ausführungsform auf eine geboostete Spannung zurückgreifen müsse. Der bloße Vortrag, die Ausgangsspannung werde (allein) aus der Batteriespannung erzeugt, genügt nicht für ein substantiiertes Bestreiten, weil er über ein bloßes Negieren der klägerseitigen Behauptung nicht hinausgeht.</p>
<p><rd nr="296"/>(dd) Auch der Vortrag in der Quadruplik führt nicht schlüssig aus einer Verletzung heraus. Die Beklagtenseite behauptet zwar auch hier, die Ausgangsspannung sei unabhängig von der Batteriespannung, legt indes nicht dar, wie die angegriffene Ausführungsform dann bei sinkender Batteriespannung stattdessen funktioniert. Daher ist davon auszugehen, dass die angegriffene Ausführungsform schon das enge Verständnis der Beklagtenseite von „selectively operates“ verwirklicht.</p>
<p><rd nr="297"/>Hinzu kommt: Bei dem oben dargelegten weiten Verständnis des Begriffs „selectively operates based on (…)“ vermittelt auch eine (konstante) Ausgangsspannung, die indes auf buck und boost beruht, und die sodann dem Hüllkurvenverstärker zur Verfügung gestellt wird, eine merkmalsgemäße erste oder geboostete Spannung.</p>
<p><rd nr="298"/>(ee) Auch der Sachverständige, dem das Gericht aus o.g. Gründen folgt, hat dem Gericht vermittelt, dass der Vortrag der Beklagtenseite nicht schlüssig ist.</p>
<p><rd nr="299"/>e. M 1.5 verwirklicht Auch Merkmal 1.5, dessen Verwirklichung die Beklagtenseite erst mit - nicht nachgelassenem - Schriftsatz vom 10.12.2018 angriff (S. 10), ist erfüllt.</p>
<p><rd nr="300"/>(1) Die Auslegung dieses Merkmals ergibt, dass sich der Gesamtversorgungsstrom Ipa aus dem ersten Versorgungsstrom von dem Schaltelement und dem zweiten Versorgungsstrom von dem Hüllkurvenverstärker zusammensetzt. Gesamtversorgungsstrom bezieht sich dabei nicht nur auf den Gleichstrom. Sprachlich lässt sich eine solche Beschränkung nicht begründen. Sie macht auch technisch keinen Sinn. Denn unstreitig liefert der Hüllkurvenverstärker Wechselstrom. Ein Gesamtversorgungsstrom, der auch den Strom des Hüllkurvenverstärkers umfasst, kann daher nicht nur Gleichstrom bedeuten.</p>
<p>(2) Nutzung Merkmal 1.5</p>
<p><rd nr="301"/>Das Merkmal ist in der angegriffenen Ausführungsform erfüllt. Das behandelte die Beklagtenseite in der Duplik (dort S. 30) explizit als unstreitig.</p>
<p><rd nr="302"/>Auch die im Schriftsatz vom 10.12.2018 dargelegten Umstände sind nicht geeignet, aus der Verletzung herauszuführen: Die Beklagtenseite behauptet zwar, die angegriffenen Ausführungsformen würden keinen Gesamtversorgungsstrom, bestehend aus den zwei Versorgungsströmen von dem Hüllkurvenverstärker und dem Schaltelement, bilden. Zum Beleg dieser Tatsache trägt sie indes vor, dass der Gleichstromanteil des Schaltelements stets 100% betragen würde. Das bedeutet indes keine Nichtverletzung. Denn gleichwohl liefert der Hüllkurvenverstärker - für sich gesehen unstreitig - den Wechselstromanteil zu dem Gesamtversorgungsstrom zu. Die Behauptung der Beklagtenseite, die angegriffene Ausführungsform verletze das Merkmal 1.5 nicht, ist mithin letztlich auf die (geänderte) Auslegung des Merkmals zurückzuführen, der die Kammer nicht folgt.</p>
<p><rd nr="303"/>Wollte man den Vortrag der Beklagtenseite anders verstehen, würde er neue Tatsachen enthalten, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurden und daher nach § 296a ZPO unbeachtlich sind und keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung geboten, § 156 ZPO.</p>
<p><rd nr="304"/>f. Auf die Unteransprüche kam es nach der Umformulierung der Anträge durch die Klägerin im Termin am 8.11.2018 (S. 3 Protokoll vom 8.11.2018) nicht mehr an.</p>
<p><rd nr="305"/>4. Die Beklagtenseite ist passivlegitimiert. Die Beklagte zu 1 ist unstreitig für den deutschen P. Online Store und für den Internet-Vertrieb der angegriffenen drahtlosen Endgeräte in Deutschland verantwortlich. Die Beklagte zu 2) ist ebenfalls unstreitig für den Vertrieb verantwortlich.</p>
<p><rd nr="306"/>III. Lizenzeinwand greift nicht durch Die Beklagtenseite hat nicht dargelegt und bewiesen, für die fraglichen Nutzungshandlungen lizenziert zu sein.</p>
<p><rd nr="307"/>1. Jede Partei muss grundsätzlich die für sie positiven Umstände darlegen und beweisen. Darlegungs- und beweisbelastet für den Lizenzeinwand ist daher die Partei, die sich auf eine bestehende Lizenz beruft (Kühnen, 10. Auflage, E. 187 zum Lizenzeinwand, Rn. 562 zum Erschöpfungseinwand; BGH GRUR 2004, 268, 269 - Blasenfrei Gummibahn II mwN). Eine sekundäre Darlegungslast der gegnerischen Partei, d.h. eine Darbietung von Informationen zur Erleichterung der Beweisführung, kann nur in Betracht kommen, wenn ihre Darlegung für die darlegungsbelastete Partei mit erhöhten Schwierigkeiten verbunden ist, während sie für den Gegner ohne Weiteres möglich und zumutbar ist (BGH GRUR 2004, 268, 269 - Blasenfrei Gummibahn II). Das setzt voraus, dass bereits Anhaltspunkte für die darzulegende Tatsache vorgetragen werden (zB Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 284 ZPO Rn. 34 mwN). Aus der sekundären Darlegungslast ergibt sich keine Verpflichtung, Urkunden vorzulegen - hierfür gelten <verweis.norm>§§ 421 ff. <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>, § 142 ZPO (BGH NJW 2007, 2989 Rn. 16).</p>
<p><rd nr="308"/>Geschäftsgeheimnisse müssen nicht offenbart werden (BGH GRUR 2012, 626, 628, Rn. 27, 28 - Converse I; auf patentrechtliche Fragestellungen übertragbar).</p>
<p><rd nr="309"/>2. Hiernach greift keine sekundäre Darlegungslast der Klägerin für das Vorbringen der Beklagtenseite, sie sei durch eine Lizenz ihrer CMs geschützt.</p>
<p><rd nr="310"/>Wegen der grundsätzlich ihr obliegenden Darlegungslast traf zunächst die Beklagtenseite die Verpflichtung, die Frage einer Lizenzierung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln aufzuklären. Es war ihr ohne Weiteres zuzumuten, bei ihren CMs nachzufragen, ob eine Lizenzierung auch mit Blick auf das hiesige Klagepatent bestehe. Zwar trägt sie vor, sie habe dies getan, allerdings hätten ihr die CMs Auskünfte wegen Geheimhaltungsverpflichtungen verschwiegen (S. 7/10 Quadruplik Teil III). Indes fanden die Anfragen bei den CMs nach dem Vortrag der Beklagtenseite 2016 in Vorbereitung auf Lizenzvereinbarungen statt, nicht mit Blick auf das hiesige Verfahren. Dass die Beklagtenseite nach Klageerhebung bei den CMs um Informationen nachgesucht hat, um eine Verteidigungslinie aufzubauen, hat sie nicht vorgebracht.</p>
<p><rd nr="311"/>Die Kammer ist sich des Umstands bewusst, dass insbesondere Streitverkündungen gegenüber Geschäftspartnern nicht leichtfertig ausgesprochen werden. Prozessuale Zurückhaltung aus geschäftlichen Gründen zu üben steht jeder Partei frei. Indes kann eine - auch geschäftlich notwendige - prozessuale Entscheidung gegen eine Streitverkündung nicht zu der Annahme einer sekundären Darlegungslast zu Lasten der Klägerin führen. Vielmehr bewirkt die Nichtausschöpfung möglicher Aufklärungsquellen, dass es bei der Darlegungslast der Beklagtenseite bleibt.</p>
<p><rd nr="312"/>Ebenso erkennt das Gericht nicht, dass die Weigerung der Klägerin, Informationen im US-Discovery-Verfahren preiszugeben, eine sekundäre Darlegungslast entstehen lässt. Wie oben dargelegt, wirken deutsche Gerichte nicht im Rahmen der Rechtshilfe an US-Discovery-Verfahren mit. Das Gericht kann daher nicht - über die „Hintertür“ der sekundären Darlegungslast - einer Partei faktisch auferlegen, an dem US-Discovery-Verfahren mitzuwirken.</p>
<p><rd nr="313"/>3. Ihrer Darlegungs- und Beweislast ist die Beklagtenseite nicht nachgekommen. Die Klägerin hat eine Lizenzierung mit Blick auf das Klagepatent substantiiert bestritten. Die Beklagtenseite hat nicht belegt, dass (seit wann?) das Klagepatent an die fraglichen CMs lizenziert ist.</p>
<p><rd nr="314"/>Das Gericht musste auch nicht der Klägerin auferlegen, die (Original-) Lizenzverträge vorzulegen. Eine solche Pflicht ergibt sich weder aus <verweis.norm>§§ 421 ff. <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>, noch aus § 142 ZPO.</p>
<p><rd nr="315"/>Eine Anordnung nach § 421 ZPO setzt nach § 422 ZPO eine bürgerlich-rechtliche Vorlagepflicht voraus. Dazu hat die Beklagtenseite nichts vorgetragen, eine solche Verpflichtung ist auch sonst nicht ersichtlich. Sie hat einen Vorlagegrund nicht glaubhaft gemacht, § 424 Nr. 5 S. 2 ZPO. Insbesondere bestand hier kein Vorlageanspruch aus § 423 ZPO, weil die Klägerin nur auf den Inhalt der Verträge, nicht auf die Verträge als Urkunde Bezug genommen hatte (hierzu Thomas/Putzo-Reichold, § 423 ZPO Rn. 1; MüKoZPO/Schreiber ZPO § 423 Rn. 1).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="316"/>4. Aus den gleichen Gründen war keine Anordnung nach § 142 ZPO geboten: Die Beklagtenseite hat die Beweiseignung der Urkunde, die für eine Anordnung nach § 142 ZPO indes Voraussetzung ist, selbst in Abrede gestellt.</p>
<p><rd nr="317"/>Wollte man entgegen 2. eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin annehmen, wäre sie dieser jedenfalls nachgekommen. Denn sie hat vorgetragen, dass das Klagepatent nicht den capture periods der einschlägigen Lizenzverträge unterfällt, und Verhandlungen über die Einbeziehung des Klagepatents wegen des Streits über die (Nicht-) Zahlung von Lizenzgebühren nicht stattgefunden hätten. Näher, nämlich unter Angabe der capture period, musste sie nicht vortragen, weil ihr die Auskunft über Geschäftsgeheimnisse (um solche handelt es sich bei dem Umfang von Lizenzverträgen zwischen der Klägerin und den CMs) nicht zumutbar war.</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>5. … Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="318"/>6. Auf die Nichtzahlung der Lizenzgebühren kam es nicht an, wie die Beklagtenseite zu Recht unterstreicht. Nach dem Verständnis der Kammer argumentiert die Klägerin insoweit indes nicht mit einer Beendigung der Lizenzverträge ex nunc, sondern legt mit ihrem Vortrag dar, warum es nicht zu einer vertraglichen Einbeziehung der Klagepatente in die Lizenzverträge mit den CMs kam.</p>
<p><rd nr="319"/>7. Irrelevant ist der Vortrag, die Beklagtenseite sei stets lizenzwillig gewesen. Da das Klagepatent unstreitig kein standaressentielles Patent ist, war die Klägerin nicht verpflichtet, die Beklagtenseite direkt zu lizenzieren. So sieht es auch die beklagtenseits zitierte ITC (S. 194 von FBD 35, vorletzter Absatz).</p>
<p><rd nr="320"/>8. Ein anderes folgt schließlich nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin der Beklagtenseite suggeriert habe, sie sei über die CMs für das gesamte Portfolio lizenziert.</p>
<p><rd nr="321"/>Zwar kann eine solche Mitteilung grundsätzlich einen Vertrauenstatbestand schaffen, der eine spätere Rechtsverfolgung wegen § 242 BGB unzulässig machen würde (venire contra factum proprium). Dass die Klägerin einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, was sie bestreitet, hat die Beklagtenseite indes nicht belegt. Der Inhalt der beklagtenseits in Bezug genommenen Mitteilungen der Klägerin ist nicht streitig, indes folgt hieraus nicht, dass die Beklagtenseite auf eine Durchlizenzierung vertrauen durfte:</p>
<p><rd nr="322"/>Das folgt nicht aus FBD 29. Insbesondere durfte sich die Beklagtenseite nicht wegen einer E-Mail aus 2005 darauf verlassen, dass zwingend auch ein 2017 erteiltes Patent dem Lizenzportfolio aller CMs unterfalle.</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="323"/>Dem vorgetragenen mündlichen Vorbringen vom 18.08.2017 kann das Gericht nicht entnehmen, dass die Klägerin sich hier auf alle erdenklichen Patente bezog. Hinzu kommt, dass die Klägerin am 18.08.2017 jedenfalls keinen Vertrauenstatbestand für das hier streitgegenständliche Verhalten schaffen konnte, weil die hiesige Klage schon am 17.07.2017 erhoben worden ist.</p>
<p><rd nr="324"/>Der Vortrag der Klägerin vor dem Southern District Court of California kann ebenfalls keinen Vertrauenstatbestand geschaffen haben, weil die Klägerin hier nicht davon spricht, dass alle nicht-standardessentiellen Patente Teil der Lizenzvereinbarungen seien („certain patents“, „many other patents“). Dass Lizenznehmer bestimmte Rechte an dem globalen Patentportfolio der Klägerin erlangten, durfte die Beklagtenseite gleichwohl nicht dahingehend verstehen, dass die CMs automatisch Lizenzen an allen Rechten, auch neu erteilten Patenten, erhielten.</p>
<p><rd nr="325"/>9. Gleiches gilt mit Blick auf die beklagtenseits (in anderem Kontext) vorgetragene forbearance-Politik der Klägerin. Diese bezieht sich auf standardessentielle Patente, worum es sich bei hiesigem Klagepatent gerade nicht handelt. Mithin schuf die Klägerin hier keinen Vertrauenstatbestand, sie werde die Beklagtenseite wegen der Verletzung des Klagepatents nicht verfolgen.</p>
<p><rd nr="326"/>10. Nach alledem hatte die Beklagtenseite die Darlegungs- und Beweislast für eine Lizenzierung, sie hat eine solche aber nicht belegt. Daher greifen weder Lizenz- noch Erschöpfungseinwand durch.</p>
<p>IV. Ansprüche der Klägerin</p>
<p><rd nr="327"/>Wegen der vorgenannten Verletzungshandlung stehen der Klägerin folgende Ansprüche zu:</p>
<p>1. Unterlassung</p>
<p><rd nr="328"/>Die Klägerin hat Anspruch auf Unterlassung, <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> iVm § 139 Abs. 1 PatG.</p>
<p><rd nr="329"/>a. Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform besteht Wiederholungsgefahr. Sie wird durch die festgestellten rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert. Es besteht die Besorgnis künftiger Rechtsverletzungen.</p>
<p><rd nr="330"/>b. Der Anspruch ist nicht unverhältnismäßig wegen Verstoßes gegen das Kartellrecht. Wie oben im Rahmen der Zulässigkeit der Klage dargelegt, greift der Kartellrechtseinwand der Beklagten nicht durch.</p>
<p><rd nr="331"/>c. Ebenso wenig steht <verweis.norm>Art. 3 Abs. 2 der <v.abk ersatz="Richtlinie 2004/48/EG">Richtlinie 2004/48/EG</v.abk></verweis.norm> zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums („Durchsetzungsrichtlinie“) dem Ausspruch des Unterlassungsgebots entgegen. Das Unterlassungsgebot ist nach oben Gesagtem nicht unverhältnismäßig.</p>
<p>d. Es besteht auch kein Anlass, der Beklagtenseite eine Aufbrauchfrist einzuräumen.</p>
<p><rd nr="332"/>(1) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Aufbrauchfrist in Patentverletzungsverfahren nur als Ausnahmefall zu gewähren. Denn der Unterlassungsanspruch ist der zentrale Anspruch um das Patent als Ausschließlichkeitsrecht durchzusetzen. Eine Aufbrauchfrist kann daher nur in Betracht kommen, wenn die wirtschaftlichen Folgen eines mit sofortiger Wirkung bestehenden Unterlassungsgebots den Verletzer im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände über das gewöhnliche Maß hinaus derart treffen und benachteiligen würden, dass die unbedingte Untersagung unzumutbar erscheinen lässt (BGH GRUR 2016, 1031, 1036 - Wärmetauscher).</p>
<p><rd nr="333"/>(2) Die Beklagtenseite stützt sich auf den Umstand, dass die Klägerin ihr suggeriert habe, sie nehme an dem Schutz der ihren Zulieferern erteilten Lizenzen teil (S. 64/65 Klageerwiderung II). Des Weiteren macht sie geltend, es handele sich bei dem Chip um ein funktionswesentliches komplexes Bauteil, das nicht leicht ersetzt werden könne, und wobei erhebliche Marktbarrieren auf dem Zulieferermarkt bestünden. Der Chip sei wertmäßig untergeordnet. Die Klägerin sei schließlich durch Schadensersatzansprüche hinreichend gesichert (S. 45/46 Duplik, S. 53 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="334"/>Sie benannte einen Zeitraum von bis zu 36 Monaten als erforderlich für eine Umstellung (S. 29/30 Duplik).</p>
<p><rd nr="335"/>(3) Wie unter III.8. dargelegt, kann sich die Beklagtenseite nicht mit Erfolg deswegen auf eine Einrede aus § 242 BGB stützen (venire contra factum proprium), weil die Klägerin ihr suggeriert habe, sie sei durch Lizenzen ihrer Zulieferer geschützt.</p>
<p><rd nr="336"/>Auch die mit der Duplik vorgebrachten Einwände verfangen nicht. Die Beklagtenseite bringt Umstände vor, die bei Patentverletzungsverfahren üblich sind. Gleichwohl ist es nicht ausreichend, die Klägerin auf einen Schadensersatzanspruch zu verweisen, weil der Unterlassungsanspruch das zentrale Verteidigungsmittel eines Ausschließlichkeitsrechts ist. Der Verweis auf einen Schadensersatzanspruch käme einer Zwangslizenzierung im Ergebnis gleich, was mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit gerade nicht vereinbar ist. Das gilt insbesondere mit Blick auf den beklagtenseits in Anspruch genommenen Zeitraum von bis zu 36 Monaten für eine Umstellung.</p>
<p>2. Auskunft- und Rechnungslegung</p>
<p><rd nr="337"/>Die geltend gemachten Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung bestehen ebenfalls. Der Anspruch auf Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> iVm § 140 b Abs. 1 PatG. Der Umfang der Auskunftspflicht folgt aus <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 140 b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, <verweis.norm>§§ 242, 259 <v.abk ersatz="BGB">BGB</v.abk></verweis.norm>. Hierdurch soll die Klägerin in die Lage versetzt werden, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihr abverlangten Ansprüche auch nicht unzumutbar belastet. Der Anspruch bezieht sich auf Gegenstände, die seit dem 09.09.2017 in Verkehr gelangt sind. Dabei hat die Klägerin bereits eine einmonatige Karenzzeit ab Erteilung des Patents (am 09.08.2017, K 5) eingerechnet.</p>
<p>3. Rückruf- und Vernichtungsanspruch</p>
<p><rd nr="338"/>Der Rückrufanspruch der Klägerin gegen die Beklagten ist gemäß <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 140 a Abs. 3 PatG im tenorierten Umfang gegeben. Insbesondere liegt keine Unverhältnismäßigkeit iSd § 140 a Abs. 4 PatG vor.</p>
<p><rd nr="339"/>a. Darlegungs- und beweisbelastet für die Unverhältnismäßigkeit ist die Beklagtenseite. § 140a Abs. 4 PatG erfordert eine Einzelfallprüfung und ist als Ausnahmetatbestand restriktiv zu handhaben (Benkard PatG/Grabinski/Zülch, PatG § 140a Rn. 8, 8a mwN; BGH GRUR 1997, 899, 901 - Vernichtungsanspruch). In die Abwägung einzustellen sind etwa Grad und Schwere des Verschuldens, Abänderungsmöglichkeiten, sowie generalpräventive Gesichtspunkte.</p>
<p><rd nr="340"/>b. Die Beklagtenseite bringt vor, die Klägerin sei keine Wettbewerberin der Beklagten, so dass das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an dem Rückruf und der Vernichtung der angegriffenen Produkte „marginal“ sei. Eine Schadensersatzzahlung würde ihrem Interesse vollumfänglich gerecht. Zudem sei das Interesse der Klägerin lediglich auf eine untergeordnete Funktionalität eines untergeordneten Teilbereichs der P.s beschränkt. Die Beklagtenseite hingegen habe ein sehr hohes wirtschaftliches Interesse (allein für 2017/2018 gehe es um Geräte im Gesamtwert von mindestens 1,671 Mrd. €), des Weiteren sei bei ihr ein erheblicher Imageschaden zu befürchten (S. 65/66 Klageerwiderung Teil II).</p>
<p><rd nr="341"/>c. Hernach ist der Beklagtenseite zwar darin zuzustimmen, dass die Klägerin keine Wettbewerberin der Beklagtenseite ist. Gleichwohl kann das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Vernichtung der Produkte nicht, wie von der Beklagtenseite erfolgt, marginalisiert werden. Denn sie ist Wettbewerberin anderer Zulieferer der Beklagtenseite, wie diese an anderer Stelle unterstreicht, und daher auch an einem Rückruf der ihre Patente verletzenden Ausführungsformen interessiert.</p>
<p><rd nr="342"/>Dem hohen wirtschaftlichen Interesse der Beklagtenseite steht ein ebenfalls hohes wirtschaftliches Interesse der Klägerin an der Durchsetzung ihrer Patente entgegen. Des Weiteren wird dem hohen wirtschaftlichen Interesse durch die sehr hohe Sicherheitsleistung begegnet. Der Umstand, dass die Beklagtenseite einen Imageschaden befürchtet, kann eine Unverhältnismäßigkeit nicht begründen. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, einen Rückruf durch Vermeidung der Patentverletzung zu verhindern.</p>
<p><rd nr="343"/>4. Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach Der Klägerin steht auch ein Anspruch auf Schadensersatz zu, weil die Beklagten schuldhaft gehandelt haben, <verweis.norm>Art. 64 Abs. 1 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm>, § 139 Abs. 2 PatG. Die Beklagten haben die im Verkehr erforderlichen Informations- und Nachforschungspflichten jedenfalls fahrlässig verletzt. Die Beklagten hätten prüfen müssen, ob die angegriffene Ausführungsform im Einzelfall gegen die Klagepatente verstößt.</p>
<p><rd nr="344"/>V. Einwendungen oder Einreden bestehen nicht.</p>
<p><rd nr="345"/>Insbesondere ist der Anspruch auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung nach dem unter A.VI. Gesagten nicht wegen eines Verstoßes gegen das Kartellrecht unverhältnismäßig.</p>
<p><rd nr="346"/>Ebenso wenig besteht nach dem unter III.8. und IV.1. Gesagten eine Einrede aus § 242 BGB (venire contra factum proprium), weil die Klägerin der Beklagtenseite suggeriert hätte, sie nehme an dem Schutz der ihren Zulieferern erteilten Lizenzen teil.</p>
<p>C. Keine Aussetzung wegen Einspruchsverfahrens</p>
<p><rd nr="347"/>Das Verfahren war nicht mit Blick auf das beklagtenseits eingeleitete Einspruchsverfahren auszusetzen, § 148 ZPO.</p>
<p>I. Aussetzungsmaßstab</p>
<p><rd nr="348"/>Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens stellt als solches keinen Grund, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang (siehe Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 106 mwN). Denn das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, noch zusätzlich praktisch aufgehoben. Daher kommt eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 107 mwN).</p>
<p><rd nr="349"/>Eine Aussetzung kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn neuheitsschädlicher Stand der Technik vorgelegt wird, der im Erteilungsverfahren nicht berücksichtigt wurde, und der der technischen Lehre des Klagepatents näher kommt als der berücksichtigte Stand der Technik (Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 111 mwN).</p>
<p><rd nr="350"/>Bei der Aussetzungsentscheidung sind durch das Verletzungsgericht lediglich diejenigen Umstände zu prüfen, welche von der Beklagtenseite in einer in sich geschlossenen, verständlichen und zusammenhängenden Darstellung schriftsätzlich vorbereitet vorgetragen worden sind. Allgemein reicht eine Bezugnahme auf Anlagen allenfalls dann aus, wenn diese Anlagen selbst den Anforderungen an schriftsätzliches Vorbringen im Zivilprozess genügen. Dies ist jedoch bei einem an das DPMA, das EPA oder das BPatG gerichteten Schriftsatz oftmals gerade nicht der Fall, weil sich die Parteien in einer Vielzahl von Fällen darauf verlassen, dass die dort statuierten Spruchkörper mit technisch sachverständigen Personen besetzt sind, die den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln und denen eventuell im Einzelfall sogar Stand der Technik bereits geläufig ist, ohne dass es hierzu näherer Erläuterungen bedarf. Hingegen sind im Patentverletzungsprozess wie in jedem Zivilprozess aufgrund des Vortragsgrundsatzes die tatsächlichen Umstände schriftsätzlich vorzutragen, aus welchen sich die begehrte Rechtsfolge ergibt. Eine Amtsermittlung findet nicht statt. Mündliche Ausführungen können den schriftsätzlichen Vortrag allenfalls in einzelnen Punkten ergänzen, vertiefen oder verdeutlichen. Bei dem Einwand fehlender Rechtsbeständigkeit eines Patents gehören hierzu auch Erläuterungen zu Gegenstand und Hintergrund der in den Entgegenhaltungen beschriebenen und offenbarten Erfindungen, sowie zu den Kenntnissen und der Herangehensweise des angesprochenen Fachmanns. Denn erst durch einen dahingehenden Sachvortrag wird eine mit ausschließlich juristisch qualifizierten Richtern besetzte Patentstreitkammer in die Lage versetzt, eine Aussage dazu zu treffen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich das Streitpatent vor dem Hintergrund der derart schriftsätzlich diskutierten Entgegenhaltungen als rechtsbeständig erweisen wird (ständige Rechtsprechung der Kammer, z.B. LG München I, Schlussurteil vom 24.07.2014 - Aktenzeichen 7 0 24814/13, BeckRS 2014, 16686).</p>
<p><rd nr="351"/>Eine Aussetzung wegen fehlender Erfindungshöhe ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, indes kommt sie nur in Betracht, wenn sich für die Zuerkennung keine vernünftigen Argumente finden lassen (Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 114 mwN). Der Vortrag der die Nichtigkeit einwendenden Partei muss die Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH GRUR 2018, 1128, 1130, Rn. 27 ff. - Gurtstraffer) zu der Darlegung fehlender Erfindungshöhe erfüllen.</p>
<p>II. Hiernach keine Aussetzung</p>
<p><rd nr="352"/>Hiernach besteht kein Anlass, das Verfahren auszusetzen. Denn aus dem Vorbringen der Beklagtenseite und den Entgegenhaltung Hou (HRM2a-c), Kwak (HRAM3a/b) und Kim (HRM 4a/b) ergibt sich keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich das Klagepatent nicht als rechtsbeständig erweisen wird.</p>
<p><rd nr="353"/>1. Hou nicht neuheitsschädlich Die Entgegenhaltung Hou nimmt den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neuheitsschädlich vorweg.</p>
<p><rd nr="354"/>a. Unstreitig offenbart Hou nicht explizit einen Boostwandler. Die Beklagtenseite meint, Hou impliziere auch batteriebetriebene Geräte, bei denen es auf der Hand liege, erhöhte Spannungen mittels eines Boost- oder Aufwärtswandlers zu erzeugen (S. 17 Klageerwiderung II). Im Übrigen sei das Klagepatent nicht auf batteriebetriebene Geräte beschränkt, und die Entgegenhaltung Hou nicht auf Verwendung in einer Basisstation. Der Fachmann erkenne vielmehr, dass „Hou“ das Ziel verfolge, die vom Linearverstärker verbrauchte Leistung zu minimieren und den Gesamtwirkungsgrad der Tracking-Stromquelle zu erhöhen (S. 37 ff Duplik). Figur 5 der Entgegenhaltung zeige Batterien (was der Fachmann als Hinweis auf einen Boost-Converter verstehe, S. 41 ff. Duplik, S. 35 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="355"/>b. Die Klägerin unterstreicht, Hou adressiere nicht das Problem des Klagepatents, ein Envelope Tracking auch für mobile, batteriebetriebene Endgeräte bei sinkender Batteriespannung effizient nutzbar machen zu können. Daher fehle es - neben dem Offset - an einem klagepatentgemäßen Boostwandler (S. 65/66 Replik, S. 39 Triplik). Figur 5 der Entgegenhaltung Hou belege nur die grundsätzlich dem Klagepatent vergleichbare hybride Struktur. Die hybride Struktur sei aber nicht der Kern der klägerischen Erfindung (S. 66 Replik). Genauer: Die Hüllkurvenverfolgung mit hybrider Architektur sei im Stand der Technik in Basisstationen bekannt gewesen, die Übertragung auf mobile Endgeräte hingegen eine Neuheit. Nur hier trete das Problem der begrenzten Kapazität der Batterie als Spannungsquelle auf. Daher würde der Fachmann erwarten, dass Hou auf Besonderheiten mobiler Endgeräte eingehe, wenn diese adressiert wären. Das sei aber - anders als im Klagepatent ([0011], [0018], [0033]) - bei der Entgegenhaltung gerade nicht der Fall. Die von der Beklagtenseite zitierten Passagen stünden in keinem Zusammenhang mit der Spannungsversorgung des Linearverstärkers (S. 38/39 Triplik).</p>
<p><rd nr="356"/>Der Boostwandler lasse sich auch nicht mitlesen. Damit seien Merkmale 1.3 und 1.4.1 nicht erfüllt (S. 68 Replik, S. 40 Triplik). Die Batterien seien in Fig 5 nur exemplarisch dargestellt. Der Fachmann würde einen Boost Converter als solchen bezeichnen, wenn er einen darstellen wollte, wie die beklagtenseits vorgelegten Fachveröffentlichungen zeigten. Die Entgegenhaltung Hou befasse sich nicht mit dem Problem von Einschränkungen bei der Versorgungsquelle, ebenso wenig mit der Generierung der Versorgungsspannung (S. 40 Triplik).</p>
<p><rd nr="357"/>Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 29.11.2018 legte die Klägerin eine Mitteilung der Einspruchsabteilung vom 23.11.2018 (K 32) vor, die vorläufig der Meinung ist, dass das Klagepatent nicht zu widerrufen ist.</p>
<p><rd nr="358"/>c. Es könnte an der Verwirklichung von Merkmal 1.3 und 1.4.1 fehlen. Der Boost-Wandler wird durch die Entgegenhaltung Hou (unstreitig) nicht offenbart. Für die Kammer ergibt sich aus der Entgegenhaltung auch nicht unmittelbar und eindeutig, dass der Fachmann den Boost-Converter „mitliest“. Die Kammer vermag schon nicht zu beurteilen, ob der Fachmann mitliest, dass bei batteriebetriebenen Geräten automatisch ein Boostwandler zum Einsatz kommt. Jedenfalls ist der Kammer nicht ersichtlich, dass sich die Entgegenhaltung Hou auf batteriebetriebene Geräte bezieht. Der einzige Anhaltspunkt hierfür ist die Figur 5, in der Batterien dargestellt sind. Das bewirkt indes keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung eines Boostwandlers.</p>
<p><rd nr="359"/>Auf die Stellungnahme der Einspruchsabteilung des EPA (K 32) kam es nicht mehr an.</p>
<p><rd nr="360"/>Ebenso wenig war die Verwirklichung der anderen Merkmale noch relevant</p>
<p><rd nr="361"/>2. Erfindungshöhe fehlt nicht Die Beklagtenseite hat nicht dargelegt, dass es Anspruch 1 gegenüber einer Kombination von Kim und Kwak an erfinderischer Tätigkeit fehlt.</p>
<p><rd nr="362"/>a. Kwak offenbart unstreitig keine Umschaltbarkeit der Versorgungsspannung für den Hüllkurvenverstärker (S. 18/21 Klageerwiderung II). Die Beklagtenseite unterstreicht indes, Kim offenbare einen solchen (S. 21/23 Klageerwiderung II). Zur Veranlassung trägt die Beklagtenseite vor, Umschalten der Versorgungsspannung und Vorsehen eines Offsets seien aggregative Maßnahmen, deren gemeinsame Wirkung nicht über die Summe der Einzelwirkungen hinausgingen, sie hätten keinen kombinatorischen Effekt. Daher sei der Gegenstand von Anspruch 1 für den Fachmann durch Kwak und Kim nahegelegt und beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit (S. 23 Klageerwiderung II).</p>
<p><rd nr="363"/>b. Die Klägerin unterstreicht, dass die Entgegenhaltung Kwak auch Merkmal 1.2.1 nicht offenbare (S. 69/73 Replik). Kim offenbare entgegen der Ansicht der Beklagtenseite keinen klagepatentgemäßen Boostwandler und habe auch keine mobilen Endgeräte im Blick (S. 73/79 Replik). Die Angaben der Beklagtenseite zu einer Kombination beider Entgegenhaltungen seien unsubstantiiert (S. 79 Replik).</p>
<p><rd nr="364"/>c. Nach den eingangs dargelegten Aussetzungsmaßstäben genügt der Vortrag der Beklagtenseite nicht, um eine Aussetzung wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit zu begründen. Insbesondere legt die Beklagtenseite nicht dar, wieso der Fachmann eine der beiden Lehren zum Ausgangspunkt genommen hätte, und wieso er Veranlassung gehabt hätte, beiden Lehren zu kombinieren. Das sieht die Beklagtenseite auch und hat zu der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ab der Duplik nicht mehr vorgetragen. Weitere Ausführungen hierzu sind nicht veranlasst.</p>
<p>D. Keine Aussetzung wegen anderer Verfahren</p>
<p><rd nr="365"/>Das Verfahren war auch nicht mit Blick auf andere Verfahren (im Einzelnen sogleich) auszusetzen.</p>
<p><rd nr="366"/>I. Eine Aussetzung war nicht mit Blick auf das Verfahren vor dem UK High Court angezeigt.</p>
<p><rd nr="367"/>1. <verweis.norm>Art. 30 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm> gebot keine Aussetzung. Hiernach kann ein Gericht ein Verfahren aussetzen, wenn in einem anderen Mitgliedstaat ein im Zusammenhang stehendes Verfahren anhängig ist. Verfahren stehen nach <verweis.norm>Art. 30 Abs. 3 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm> in Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Bestehen wegen der mutmaßlichen Verletzung desselben Immaterialgüterrechts Verfahren vor verschiedenen Gerichten, kann eine Aussetzung in Betracht kommen (zB MüKoZPO/Gottwald Brüssel Ia-VO Art. 30 Rn. 2 mwN).</p>
<p><rd nr="368"/>Die Verfahren stehen hiernach in keinem Zusammenhang iSd <verweis.norm>Art. 30 Abs. 3 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm>. Denn das Verfahren vor dem UK High Court betrifft nicht das hiesige Klagepatent, sondern standardessentielle Patente. Auch wegen der kartellrechtlichen Vorfragen war eine Aussetzung nicht angezeigt, weil nichtessentielle und standardessentielle Patente kartellrechtlich anders zu beurteilen sind.</p>
<p><rd nr="369"/>2. Aus denselben Gründen war auch keine Aussetzung nach § 148 ZPO geboten.</p>
<p><rd nr="370"/>II. Auch mit Blick auf zwei anhängige Wettbewerbsverfahren gegen die Klägerin war eine Aussetzung nicht nach <verweis.norm>Art. 16 Abs. 1 S. 3 Abs. 1 <v.abk ersatz="VO 1/2003/EG (Wettbewerbsregeln-DVO">VO 1/2003/EG (Wettbewerbsregeln-DVO</v.abk></verweis.norm>) angezeigt. Denn wie oben dargelegt kann die hiesige Klage keinen Verstoß gegen <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> (vormals <verweis.norm>Art. 82 <v.abk ersatz="EGV">EGV</v.abk></verweis.norm>-Nizza) begründen.</p>
<p><rd nr="371"/>III. Ebenso wenig war die Einholung einer Stellungnahme oder Informationen der EU-Kommission nach <verweis.norm>Art.15 Abs. 1 <v.abk ersatz="VO 1/2003/EG (Wettbewerbsregeln-DVO">VO 1/2003/EG (Wettbewerbsregeln-DVO</v.abk></verweis.norm>) erforderlich. Denn das Gericht konnte, wie oben gezeigt, anhand der schon ergangenen Entscheidungen des EuGH über die kartellrechtlichen Fragen entscheiden.</p>
<p><rd nr="372"/>IV. Auch ein Vorabentscheidungsersuchen kommt aus vorgenannten Gründen nicht in Betracht. Hinzu kommt, dass das erkennende Gericht zu der Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens nicht verpflichtet ist, weil es nicht letztinstanzlich entscheidet, <verweis.norm>Art. 267 Abs. 3 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>.</p>
<p><rd nr="373"/>E. Kein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung, § 156 ZPO Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung war nicht nach § 156 ZPO geboten.</p>
<p><rd nr="374"/>I. Kein Wiederaufnahmegrund nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Es liegt kein Wiederaufnahmegrund nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vor. Die Beklagtenseite ist nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.</p>
<p>1. Kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör durch Nichtgewährung einer Schriftsatzfrist</p>
<p>a. Vorbringen der Klägerin</p>
<p><rd nr="375"/>Die Beklagtenseite bringt vor, ihr rechtliches Gehör sei verletzt, weil ihr - entgegen höchstrichterlicher Rechtsprechung (unter Bezugnahme auf BGH NJW 2009, 2604; NJW 2018, 2723) - keine Schriftsatzfrist zur Stellungnahme auf die Anhörung des Sachverständigen eingeräumt worden ist. Es habe sich hier offensichtlich um schwierige technische Sachfragen gehandelt - genau darum habe das Gericht schließlich einen Sachverständigen geladen und auch in der Verfügung vom 25.10.2018 deutlich gemacht, dass die Fragen komplex seien. Auch der Sachverständige habe das Vorbringen der Beklagtenseite nicht „leicht“ verstanden. Die Beklagtenseite selbst sei schließlich nicht sachkundig, sondern sei auf Unterstützung ihres Zulieferers U. angewiesen. Der als präsenter Zeuge anwesende Herr I. A. habe aber wegen einer möglichen Vernehmung nicht an der Sitzung teilgenommen, weil das Gericht auch auf Frage hin nicht mitgeteilt habe, dass der Zeuge nicht mehr gehört werde, und er daher zu der Sachverständigenanhörung nicht hinzugezogen worden sei. Die Beklagtenseite sei gerade nicht privatgutachterlich beraten gewesen, daher sei der Fall anders gelagert als BGH Xa ZR 130/07. Vor diesem Hintergrund hätte das Gericht der Beklagtenseite zwingend eine Schriftsatzfrist einräumen müssen; die Möglichkeit einer mündlichen Stellungnahme im Termin sei nicht ausreichend gewesen. Vorsichtshalber habe die Beklagtenseite die Stellungnahme des Sachverständigen gleichwohl mit nicht nachgelassenem Schriftsatz gewürdigt. Eine privatgutachterliche Stellungnahme sei der Beklagtenseite auch nur im Rahmen einer Schriftsatzfrist möglich, etwaige weitere Äußerungen werde sie gegebenenfalls nachreichen. Auf Basis eines Gegenprivatgutachtens der Beklagtenseite könnte der Sachverständige seine Angaben gegebenenfalls revidieren oder präzisieren. Auch dies sei ein Grund, warum ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung geboten sei.</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="376"/>Die mündliche Gutachtenserstattung ist durch die ZPO ausdrücklich vorgesehen, § 402, § 395 ZPO. Die Anordnung einer schriftlichen Begutachtung steht im Ermessen des Gerichts, § 411 ZPO. Die ZPO sieht grundsätzlich eine Erörterung einer Beweisaufnahme noch im Termin vor, um einerseits zu gewährleisten, dass die Parteien sich zu allen entscheidungserheblichen Punkten äußern konnten, andererseits eine Diskussion noch unter dem Eindruck der Beweisaufnahme zu ermöglichen. Daher ist grundsätzlich keine Gewährung einer Schriftsatzfrist erforderlich (BGH NJW 2018, 2723, 2724 Rn. 25 mwN).</p>
<p><rd nr="377"/>Eine vorläufige Beweiswürdigung des Gerichts nach Beweisaufnahme ist grundsätzlich nicht Voraussetzung für eine Erörterung (BGH NJW 2016, 3100, 3103 a.A. Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, <verweis.norm>§ 279 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 5), da Beweiswürdigung Rechtsausführung ist.</p>
<p><rd nr="378"/>Die Würdigung einer Anhörung eines Sachverständigen ist nach Auffassung der 7. Zivilkammer grundsätzlich Beweiswürdigung und damit stets zulässige Rechtsausführung. Im Anschluss an eine Sachverständigenanhörung muss eine Stellungnahmemöglichkeit nur gewährt werden, wenn der Partei eine sofortige Stellungnahme nicht abverlangt werden kann, weil sie Zeit braucht, um in Kenntnis der Sitzungsniederschrift angemessen vorzutragen (BGH NW 2018, 2723, 2724 Rn. 26). Das kann bei nur mündlich erstatteten Gutachten der Fall sein, wenn die technischen Fragen komplex waren, um der Partei gegebenenfalls die Möglichkeit zu geben, sich sachverständig beraten zu lassen und auf dieser Grundlage zu dem Beweisergebnis Stellung zu nehmen (BGH NJW 2009, 2604, 2605, Rn. 8 mwN). Ebenso ist eine Stellungnahmefrist erforderlich, wenn ein Sachverständiger zu komplexen Fragen mündlich ausführlich angehört wird, ohne dass er vorher ein schriftliches Gutachten erstattet hat (BGH NJW 2018, 2723, 2724 Rn. 26 mwN).</p>
<p><rd nr="379"/>Eine Partei muss bei nicht gewährter Schriftsatzfrist alle Möglichkeiten der Gehörsverschaffung ausnutzen, insbesondere wenn das Gericht zu erkennen gegeben hat, es werde sich mit jeglichem Vorbringen, sei es nachgelassen oder nicht, auseinandersetzen (BGH NJW 2018, 2723, 2725/6 Rn. 36 ff.).</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="380"/>Nach Vorgesagtem liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.</p>
<p><rd nr="381"/>Die Fragestellungen, zu denen der Sachverständige Stellung nahm, waren nicht komplex. Der Sachverständige war aufgefordert, das Gericht bei der Bewertung des Parteivortrags zu unterstützen. Insbesondere sollte er dazu Stellung nehmen, ob der Vortrag der Beklagtenseite aus technischer Sicht plausibel belege, dass die Beklagtenseite das Klagepatent nicht verletze. Er bewertete damit nur Parteivortrag. Wenngleich der Sachverständige aus technischer Sicht Stellung nahm, war dies eine Plausibilitätsprüfung. Er konfrontierte Parteien und Gericht nicht mit einer von ihm technisch durchgeführten Überprüfung, die neuen Sachvortrag der Parteien erforderlich machen konnte. Die technischen Fragen, mit denen er sich befasste, sind dabei aus Sicht des Gerichts zwar komplex. Aus Sicht der Beklagtenseite sind sie es indes nicht, denn es handelt sich um ihren eigenen technischen Vortrag. Es ging in dem Termin nicht etwa um die sachverständigenseits ermittelte konkrete Ausgestaltung des U.-Chips, sondern nur um den Vortrag der Parteien, insbesondere der Beklagtenseite, zu dessen Ausgestaltung.</p>
<p><rd nr="382"/>Unbeachtlich ist dabei, dass der Sachverständige an einer Stelle seine Meinung änderte. Das ist kein Beleg für die technische Komplexität. Vielmehr hatte er den kompliziert vorgetragenen Beklagtenvortrag erst durch die Erläuterung in der mündlichen Verhandlung verstehen können und dann auch die entsprechende Frage beantwortet.</p>
<p><rd nr="383"/>Ebenso wenig ist relevant, dass die Beklagtenseite, auch wenn sein nach außen als Herstellerin der angegriffenen Mobiltelefone auftritt, nach eigenem Vortrag nicht über hinreichende technische Sachkunde verfügt. Es war ihr unbenommen, einen Privatgutachter hinzuzuziehen und zum Termin mitzubringen, wie die Klägerin dies unternommen hat. Unabhängig hiervon war die Beklagtenseite im Termin durch 5 Patentanwälte und 8 technisch versierte Rechtsanwälte von zwei renommierten Kanzleien vertreten. Die Beklagtenseite kannte nach eigenem Vortrag (S. 3 des Protokolls vom 08.02.2011) die Schaltpläne des U.-Chips seit geraumer Zeit.</p>
<p><rd nr="384"/>Die Beklagtenseite hätte auch den als präsenten Zeugen angebotenen Herrn A. zu der Sachverständigenanhörung hinzuziehen dürfen. Die Kammer hat ihn selbst nicht als Zeugen geladen oder einen dahingehenden Beweisbeschluss erlassen. Der präsente Herr A. war demnach als Teil der im Sitzungssaal anwesenden Öffentlich zu werten. Herr A. hatte den Sitzungssaal auf freiwilliger Basis verlassen (S. 3 Protokoll vom 8.11.2018). Unabhängig hiervon schließt die ZPO die Anwesenheit eines Zeugen bei einer Anhörung eines Sachverständigen nicht aus, arg e contr e <verweis.norm>§ 394 Abs. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>, wobei § 394 Abs. 1 ZPO für Sachverständige gerade nicht gilt (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 394 ZPO Rn. 1). Die Entscheidung über die Anwesenheit des Herrn A. während der Sachverständigenanhörung lag daher im alleinigen Ermessen des Herrn A..</p>
<p><rd nr="385"/>Das Gericht hatte insbesondere bereits mit Verfügung vom 26.10.2018 darauf aufmerksam gemacht, dass eine etwaige Vernehmung des Herrn A. als präsenten Zeugen von den Angaben des Sachverständigen abhängen könnte, so dass es vor Abschluss der Sachverständigenanhörung nicht darauf hinweisen konnte, dass eine derartige Einvernahme nicht in Betracht kommt. Nach Ende der Sachverständigenanhörung hatte der Vorsitzende in einer Verhandlungspause auf Frage eines der Beklagtenvertreter mitgeteilt, dass eine Einvernahme des Herrn A. als Zeuge nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus hätte die Beklagtenseite jederzeit Unterbrechung beantragen können, um gegebenenfalls technische Aspekte mit dem präsenten Herrn A. zu klären und um dann dem Sachverständigen Vorhalte machen können. Das Gericht hat Anträgen der Beklagten auf Unterbrechungen, wie im Protokoll vom 08.11.2018 dokumentiert, bei entsprechender Begründung entsprochen.</p>
<p><rd nr="386"/>Ebenso wenig ist relevant, dass das Gericht seine vorläufige Beweiswürdigung nicht mitteilte. Das war nach vorzitierter höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht erforderlich (zu S. 3 Schriftsatz vom 13.12.2018). Im Übrigen hat die Kammer deutlich gemacht, dem Sachverständigen voraussichtlich folgen zu wollen, und nach seinen Angaben im Ergebnis eher von einer Verletzung auszugehen. Anderenfalls wäre insbesondere keine Diskussion des Rechtsbestands und des Lizenzeinwands erforderlich gewesen.</p>
<p><rd nr="387"/>Hinzu kommt, dass die Nichtgewährung einer Schriftsatzfrist hier jedenfalls nicht das rechtliche Gehör verletzte, weil das Gericht deutlich machte, jeden weiteren Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und die Erforderlichkeit des Wiedereintritts in die mündliche Verhandlung zu prüfen (S. 21 des Protokolls vom 8.11.2018: „Die Kammer verspricht, etwaige Anträge auf Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung zu prüfen.“). Dass die Kammer diese Selbstverpflichtung wahrnimmt, hat sie durch dieses Urteil belegt. Daher hatte die Beklagtenseite Gelegenheit und Anlass, unabhängig von der Gewährung einer Schriftsatzfrist den Vortrag zu erbringen, den sie im Rahmen einer Schriftsatzfrist erbracht hätte.</p>
<p><rd nr="388"/>Die Beklagtenseite ist dem auch mit den nachterminlichen Schriftsätzen, insbesondere dem Schriftsatz vom 22.11.2018 und dem Schriftsatz vom 10.12.2018, mit dem sie zwei Privatgutachten vorlegte, nachgekommen. Auch auf dieser Basis war indes kein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung angezeigt, wie im Folgenden darzustellen sein wird. 2. Zu Unrecht übergangene Beweismittel (Zeugen A., O., Schaltpläne)</p>
<p>a. Vorbringen der Beklagtenseite</p>
<p><rd nr="389"/>Die Beklagtenseite sieht ihr rechtliches Gehör des Weiteren dadurch verletzt, dass die Kammer die Herren A. und O. nicht als präsente Zeugen gehört und die Schaltpläne aus dem Discovery-Verfahren nicht eingeführt hat.</p>
<p><rd nr="390"/>Die Beklagtenseite meint, das Gericht habe die Bereithaltung der Herren A. und O. als präsente Zeugen in der Verfügung vom 25.10.2018 gefordert, um in der Verhandlung sodann ohne Begründung hiervon abzuweichen. Von der Vorlage der Schaltpläne habe das Gericht nur mit Blick auf die Zeit (100 bis 160 Sachverständigenstunden zur Sichtung) Abstand genommen.</p>
<p><rd nr="391"/>Die Beklagtenseite unterstreicht, rechtlich sei das Übergehen eines entscheidungserheblichen Beweisangebotes eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das gelte auch, wenn die Anforderungen an die Darlegungslast überspannt würden (S. 13 Schriftsatz vom 22.11.2018 unter Bezugnahme auf BGH VI ZR 565/15 Rn. 6). Die Kammer habe den Vortrag der Beklagtenseite aus der Quadruplik nicht übergehen dürfen, weil er nicht verspätet gewesen sei (S. 14/25 Schriftsatz vom 22.11.2018).</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="392"/>Entscheidungserhebliche, rechtzeitig (isd <verweis.norm>§§ 282, 296 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>) angebotene Beweise müssen erhoben werden. Die Anforderungen an die Darlegungslast stellt die Beklagtenseite unter Bezug auf BGH VI ZR 565/15 richtig dar.</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="393"/>Gleichwohl liegt hier keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Die nicht erhobenen Beweise sind nicht entscheidungserheblich.</p>
<p><rd nr="394"/>(1) Nicht entscheidungserheblich waren die Zeugenangebote O. und A.</p>
<p><rd nr="395"/>(a) Die Herren A. und O. wurden erstmals in der Quadruplik als Zeugen benannt. Herr A. ist - neben einem Sachverständigengutachten - als Beweis für den gesamten technischen Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik als Zeuge angeboten worden. Herr O. ist nur zum Beweis der Tatsache als Zeuge angeboten, dass eine Umprogrammierung des Chips durch die Beklagtenseite oder ihre Abnehmer ausgeschlossen sei (S. 29 Quadruplik).</p>
<p><rd nr="396"/>(b) Dem Zeugenangebot O. durfte das Gericht nach oben genanntem Maßstab nicht nachgehen, weil seine Angaben aus Rechtsgründen nicht entscheidungserheblich waren. Soweit er zum Beweis von Tatsachen als Zeuge angeboten war, kann das Gericht diese behaupteten Tatsachen aus Rechtsgründen als wahr unterstellen, ohne dass sich am Ergebnis etwas ändern würde. Im Übrigen handelte sich bei den „Tatsachen“, zu deren Beweis er angeboten war, um Sachverständigenfragen.</p>
<p><rd nr="397"/>(aa) Die Beklagtenseite hat hier vorgebracht: „Um eine solche Firmware zu erstellen, bedarf es neben der Programmierkenntnisse und insbesondere dem streng geheimen Sourcecode der vorhandenen Firmware für den zweiten Chip (im Falle der angegriffenen Ausführungsform eines Chips des Zulieferers N.) auch der Kenntnis eines 120 Seiten starken „Programming Guide“ für den Chip U. 81003M. Dieser ist ebenfalls streng geheim und beispielsweise den Abnehmern der Beklagten nicht zugänglich. Eine wie auch immer geartete Änderung der Programmierung kann im Übrigen ausschließlich durch den Zulieferer N. vorgenommen werden, da die Firmware selbst der Beklagten nur in binärer, nicht lesbarer Form zur Verfügung gestellt wird. Eine nicht programmierte Benutzung durch die Beklagte oder ihre Abnehmer ist daher insgesamt ausgeschlossen.“</p>
<p><rd nr="398"/>(bb) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt eine Patentverletzung schon dann vor, wenn die Merkmale der angegriffenen Ausführungsform objektiv geeignet sind, die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen zu erreichen. Unerheblich ist, ob die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen regelmäßig, nur in Ausnahmefällen oder zufällig erreicht werden und ob es der Verletzer darauf absieht, diese Wirkung zu erzielen. Deshalb liegt eine Patentverletzung auch vor, wenn eine Vorrichtung regelmäßig so bedient wird, dass die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen nicht erzielt werden. Die Patentverletzung entfällt in diesem Fall selbst dann nicht, wenn der Hersteller oder Lieferant seinen Abnehmern ausdrücklich eine andere Verwendung seiner Vorrichtung empfiehlt, solange die Nutzung der patentgemäßen Lehre möglich bleibt (BGH GRUR 2006, 399, 401 Rn. 21 - Rangierkatze mwN).</p>
<p><rd nr="399"/>Eine Patentverletzung kann auch angenommen werden, wenn eine angegriffene Ausführungsform im Auslieferungszustand nicht von sämtlichen Merkmalen der im Patent unter Schutz gestellten technischen Lehre Gebrauch macht, der Abnehmer aber selbstverständlich und mit Sicherheit eine für den Erfindungsgedanken nebensächliche Veränderung an der Vorrichtung vornehmen wird, die zur Verwirklichung sämtlicher Merkmale des Patentanspruchs führt. Die hinreichende Sicherheit wurde abgelehnt für den Aufruf eines Algorithmusses, der in der Firmware zwar vorhanden war, für eine bestimmungsgemäße Nutzung der angegriffene Ausführungsform aber nicht erforderlich war, und zumindest rudimentäre Kenntnisse der Informatik voraussetzte und nicht dargelegt war, dass die Abnehmer von dem Hersteller Anleitungen oder Software erhalten würden, um durch den Funktionsaufruf eine patentgemäße Vorrichtung herzustellen (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2016, 97, 101/102 - Primäre Verschlüsselungslogik mwN).</p>
<p><rd nr="400"/>(cc) Hiernach war Herr O. nicht als Zeugen zu hören.</p>
<p><rd nr="401"/>(aaa) Er war nicht zu der Behauptung zu hören, „[e]ine wie auch immer geartete Änderung der Programmierung kann im Übrigen ausschließlich durch den Zulieferer N. vorgenommen werden, da die Firmware selbst der Beklagten nur in binärer, nicht lesbarer Form zur Verfügung gestellt wird. Eine nicht programmierte Benutzung durch die Beklagte oder ihre Abnehmer ist daher insgesamt ausgeschlossen.“ Hierbei handelte es sich nicht um Zeugensondern um Sachverständigenfragen. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob eine Änderung der Programmierung unter den genannten Voraussetzungen nur durch N. vorgenommen werden könne, ist keine menschliche Wahrnehmung, zu der ein Zeuge befragt werden kann. Vielmehr geht es um die Frage des technisch Möglichen, die als Sachverständigenfrage zu qualifizieren ist. Der Zeuge könnte nur angeben, ob nach seiner Kenntnis andere Unternehmen neben N. zu einer Änderung der Programmierung in der Lage sind. Verneinte er dies, bedeutete dies indes nicht, dass die technische Möglichkeit nicht bestünde.</p>
<p><rd nr="402"/>Das Gericht hat diese Frage daher folgerichtig mit dem Sachverständigen besprochen.</p>
<p><rd nr="403"/>(bbb) Auch zu den übrigen Behauptungen war Herr O. nicht zu hören. Das Gericht kann als wahr unterstellen, dass für die Erstellung von Firmware Programmierkenntnisse, der geheime Sourcecode der vorhandenen Firmware für den zweiten Chip und die Kenntnis eines geheimen, den Abnehmern der Beklagtenseite nicht zugänglichen Programming Guides für den U.-Chip erforderlich sind. Aus Rechtsgründen kommt es auf diese Fragen aber nach dem unter (1) und (2)(a) gesagten nicht an. Denn eine Patentverletzung ist schon dann gegeben, wenn eine angegriffene Ausführungsform so genutzt werden kann, dass sie die Merkmale des Klagepatents verwirklicht. Genau das ist aber hier der Fall, wie schon oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="404"/>(ccc) Auch Herrn A. durfte das Gericht nicht als Zeugen hören. Denn die Behauptungen, zu deren Beweis er angeboten war, führten schon nicht aus einer Verletzung heraus und waren daher nicht schlüssig und nicht entscheidungsrelevant. Des Weiteren waren sie verspätet und daher nach § 296 ZPO nicht beachtlich, damit ebenfalls nicht entscheidungsrelevant. Auf dieser Basis durfte das Gericht wegen des Verbots der Ausforschung den angebotenen Zeugenbeweis nicht erheben.</p>
<p><rd nr="405"/>Die Behauptungen der Beklagtenseite, zu denen die Zeugeneinvernahme des Herrn A. angeboten war, führten nicht aus einer Verletzung des Klagepatents heraus. Sie waren daher nicht schlüssig, wie schon oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="406"/>Nach alledem war das Beklagtenvorbringen auch in der Quadruplik nicht schlüssig und damit nicht entscheidungsrelevant. Daher durften die Herren A. und O. nicht gehört werden. Das Gericht hatte schon in der Verfügung vom 25.10.2018 unterstrichen, dass sie nur zu hören sein könnten, wenn es auf die Tatsachen, deren Richtigkeit sie bestätigen sollen, noch ankäme (S. 2 der Verfügung).</p>
<p><rd nr="407"/>Wollte man das Vorbringen der Beklagtenseite in der Quadruplik als schlüssig ansehen, wäre es erstmals substantiierter Vortrag, als solcher verspätet und daher nicht mehr zu berücksichtigen, § 296 Abs. 2 ZPO, wie oben dargelegt. Auch zu verspätetem Vorbringen ist ein angebotener Zeuge nicht zu hören. Dabei ist unbeachtlich, dass die Herren A. und O. als präsente Zeugen mitgebracht waren und sofort hätten gehört werden können. Die Klägerin hätte sich indes, wollte man den Vortrag - wie nicht - als schlüssig ansehen, (erstmals) veranlasst gesehen, die Schaltpläne vorzulegen, die im Rahmen des Termins nicht hätten gesichtet werden können, s.o. Vielmehr hätte es eines neuen Termins bedurft. Daher war das Vorbringen der Beklagtenseite in der Quadruplik - ungeachtet der Präsenz der Zeugen - als unsubstantiiert, hilfsweise als verspätet, zurückzuweisen.</p>
<p><rd nr="408"/>(2) Das Gericht musste auch nicht die Schaltpläne „einführen“. Die Einführung von Unterlagen obliegt den Parteien. Das Gericht hatte der Klägerseite anheimgestellt, die Schaltpläne vorzulegen. Die Klägerin hatte dies für den Fall eines Hinweises des Gerichts dahingehend, dass es den Vortrag der Beklagtenseite in der Quadruplik nicht als verspätet ansehe, ins Auge gefasst (S. 8 des Protokolls vom 8.11.2018). Die Beklagtenseite hat mit Blick auf die Schaltpläne keinen Antrag nach § 142 ZPO gestellt, so dass das Gericht der Klägerin die Vorlage auch nicht aufgeben musste. Im Übrigen fehlte nach oben Gesagtem die Beweiserheblichkeit.</p>
<p><rd nr="409"/>Das Gericht musste die Vorlage der Schaltpläne auch nicht im Vorfeld des Termins anordnen, um der Annahme der Präklusionsregelung des § 296 Abs. 2 ZPO entgegenzuwirken und die Verspätung der Beklagtenseite „aufzufangen“. Wegen der von dem Sachverständigen ins Auge gefassten zeitlichen Dimension der Sichtung der Schaltpläne wäre eine solche vor dem Termin schlicht nicht mehr möglich gewesen.</p>
<p><rd nr="410"/>Nach alledem musste das Gericht weder die Herren O. und A. als Zeugen hören, noch Schaltpläne vorlegen lassen und in Augenschein nehmen oder durch den Sachverständigen begutachten lassen. Es hat keine angebotenen Beweismittel zu Unrecht übergangen.</p>
<p>3. Kein Verstoß gegen die Hinweispflicht aus § 139 ZPO</p>
<p>a. Vorbringen der Beklagtenseite</p>
<p><rd nr="411"/>Die Beklagtenseite unterstreicht, das Gericht habe (erst) mit Verfügung vom 24.10.2018 darauf hingewiesen, dass die Beklagtenseite noch keine validen technischen Informationen vorgebracht habe, die - bei einer Wahrunterstellung - aus der Patentverletzung herausführten. Das Gericht habe auch nicht auf eine mögliche sekundäre Darlegungslast trotz der Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers hingewiesen. Schließlich hätten die Parteien im Termin am 08.02.2018 über die Möglichkeit gesprochen, die Schaltpläne im Rahmen eines US-Discovery-Verfahrens zu erhalten, und die Beklagtenseite habe mitgeteilt, nach deren Vorlage detailliert vortragen zu können. Hätte das Gericht früher auf eine mögliche fehlende Substantiierung des Vortrags der Beklagtenseite hingewiesen, hätte die Beklagtenseite früher bei ihrem Zulieferer um Freigabe weiterer Informationen bitten können, wie für die Quadruplik geschehen. Auch der Zulieferer U. habe sich darauf verlassen, dass die Schaltpläne vorgelegt würden. Vor Erhalt der Triplik sei es den Beklagten nicht möglich gewesen, weitergehenden technischen Vortrag zu erhalten (S. 34/37 Schriftsatz vom 22.11.2018).</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="412"/><verweis.norm>§ 139 Abs. 2 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> gibt dem Gericht - in Konkretisierung des Grundsatzes auf rechtliches Gehör - unter bestimmten Voraussetzungen Hinweispflichten auf. Diese greifen grundsätzlich, wenn eine Partei einen Gesichtspunkt erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO, sowie wenn das Gericht einen Gesichtspunkt anders beurteilt als beide Parteien, § 139 Abs. 2 S. 2 ZPO. Die Hinweispflicht steht zwischen Gehörsgewährung einerseits und Parteiherrschaft über Prozessstoff sowie Neutralitätspflichten des Gerichts andererseits (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rn. 2).</p>
<p><rd nr="413"/>Geboten ist ein Hinweis, wenn das Gericht Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rn. 6 unter Verweis auf BGH NJW 2007, 1455, 1456 Rn. 10; BVerfG NJW 1994, 1274). Nach Hinweisen des Gegners, die die betroffene Partei in gebotener Form über Sach- und Rechtslage unterrichteten, und die der Gegner verstanden hat, muss das Gericht nicht erneut einen entsprechenden Hinweis geben (BGH NJW-RR 2008, 581 mwN; Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rn. 6a). Auf eine in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bekannte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast muss das Gericht nicht hinweisen (BVerfG Beschluss vom 27. September 2018 - 1 BvR 426/13, juris).</p>
<p><rd nr="414"/>Sofern ein Hinweis geboten ist, muss er frühzeitig und unmissverständlich gegeben werden (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rn. 11, 12a).</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="415"/>Hernach hat das Gericht keine Hinweispflicht verletzt. Dass substantiierter Parteivortrag vom Gegner substantiiert bestritten werden muss, ist eine prozessuale Selbstverständlichkeit, die das Gericht der (qualititativ und quantitativ weit überdurchschnittlich) anwaltlich vertretenen Beklagtenseite nicht erklären brauchte. Das Gericht musste auch nicht darauf hinweisen, dass ihr Vortrag noch nicht hinreichend substantiiert war. Denn hierauf hatte die Klägerin und das Gericht, letzteres mit den Worten, dass der Klägervortrag besser zu verstehen sei als der Beklagtenvortrag, bereits im Termin vom 8.2.2018 hingewiesen, weswegen die beklagte Partei sich genötigt sah wie folgt vorzutragen:</p>
<p>„Beklagtenvertreter trägt vor, dass die beklagte Partei Schwierigkeiten gehabt habe, Informationen zur Chiparchitektur zu erhalten. Diese Schwierigkeiten seien aber mittlerweile teilweise behoben. Allerdings sehe sich die Beklagte derzeit nicht in der Lage, die Schaltpläne dem Gericht vorzulegen, weil Geheimhaltungsinteressen des Chipherstellers entgegenstünden. (Prot. vom 8.2.2018, S. 3).</p>
<p><rd nr="416"/>Das Gericht hat die Unverständlichkeit des Beklagtenvortrags zum Anlass genommen, vorsorglich, mit Einverständnis beider Parteien, einen Sachverständigen zur Beratung der Kammer während des Haupttermins hinzuzuziehen (Prot. vom 8.2.2018, S. 4).</p>
<p><rd nr="417"/>Spätestens seit der Replik (S. 8 unter 8.-, 9.-, S.51 unten, S. 52, 54, 55 ff., S. 58) hatte die Klägerin darüber hinaus beständig und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass der Sachvortrag der beklagten Partei zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform aus ihrer Sicht unzureichend sei. So hatte sie schon auf S. 3 der Replik auf das eingeleitete US-Discovery-Verfahren verwiesen, aber unterstrichen, dass es auf die Schaltpläne nicht ankommen werde, weil „die primäre Verteidigung der Beklagten schon gar nicht schlüssig ist, also der Tatsachenvortrag („Deaktivierung“ bestimmter Elemente) rechtlich nicht erheblich ist, jedenfalls aber prozessual nicht hinreichend substantiiert erfolgt ist und somit unbeachtlich bleiben muss.“ In der Triplik fasste sie dies noch schärfer und teilte mit, dass die deutschen Prozessbevollmächtigten der Klägerin noch keine Einsicht in die erhaltenen Schaltpläne genommen hätten, und es ihrer Vorlage auch nicht bedürfe, weil prozessual das klägerseitige Vorbringen (wegen unschlüssigen und unsubstantiierten Bestreitens durch die beklagte Partei) unstreitig sei.</p>
<p><rd nr="418"/>Die Beklagtenseite hat das auch verstanden. Sie hat sich in der mündlichen Verhandlung am 08.02.2018 wie oben dargestellt dahingehend eingelassen, dass die Informationsbeschaffung schwierig gewesen sei, über die Schaltpläne mittlerweile aber zu verfügen, sie aber dennoch - wegen Geheimhaltungsinteressen - nicht vorlegen könne (S. 3 Protokoll vom 8.02.2018). Sie hat ihr Bestreiten des Weiteren in einer Erklärung zu Protokoll weiter gefasst als in der Klageerwiderung (S. 3/4 Protokoll vom 8.02.2018). Sie hat auch und insbesondere den Hinweis der Klägerin in deren Triplik verstanden und hierauf den Vortrag für die Quadruplik überarbeitet. Die Beklagtenseite trägt selbst vor, auf die Triplik hin weiteren Vortrag von dem Zulieferer abgefragt zu haben („so wie dies dann für die Quadruplik erfolgt ist“, S. 36 Schriftsatz vom 22.11.2018, Rn. 106). Mithin hat sie verstanden, dass sie ihren Vortrag nachbessern musste. Dieser Hinweis aus der Triplik stammt vom 13.08.2018; die Beklagtenseite hatte bis zum Termin am 8.11.2018 mithin noch fast 3 Monate Zeit zur Erwiderung. Bis zum Ablauf der Schriftsatzfrist für die Quadruplik hatte sie gut 2 Monate Zeit. Dass 2 Monate zu kurz gewesen wären, um substantiiert vorzutragen, bringt die Beklagtenseite nicht vor. Im Übrigen wäre nach ihrem eigenen Vorbringen ein Hinweis des Gerichts vor der Triplik sinnlos gewesen, weil sie von ihrem Zulieferer erst weitere Informationen habe einfordern können, nachdem feststand, dass die Klägerin die Schaltpläne nicht vorlegen werde (S. 37 Schriftsatz vom 22.11.2018 Rn. 106).</p>
<p><rd nr="419"/>Auf die fehlende Schlüssigkeit des Vortrags (auch noch) in der Quadruplik hat das Gericht so schnell wie möglich, nämlich mit Verfügung vom 25.10.2018 reagiert. Eine frühere Reaktion war wegen des Umfangs und der Komplexität der eingereichten Schriftsätze nicht möglich. Auf den letzten Hinweis des Gerichts hin hat die Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung weder durch Anpassung ihres Vortrags in Beisein des Sachverständigen, noch durch einen Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist zur Erwiderung auf die Hinweise des Gerichts vom 26.10.2018 (<verweis.norm>§ 139 Abs. 5 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>) reagiert.</p>
<p><rd nr="420"/>Ein anderes folgt auch nicht daraus, dass die Parteien im Termin am 08.02.2018 über die Einleitung eines US-Discovery-Verfahrens gesprochen hatten und die Klägerin ein solches im Anschluss tatsächlich durchführte. Die Klägerin hatte sich durch die Einleitung des Verfahrens nicht verpflichtet, die Schaltpläne vorzulegen. Insbesondere haben die Parteien keinen Prozessvergleich (Zwischenvergleich) darüber geschlossen, dass die Klägerin die Pläne erholen und vorlegen würde. Nur dann wäre sie hierzu verpflichtet gewesen. Die Klägerin hat auch kein Vertrauen in Anspruch genommen, dass sie die Schaltpläne zweifelsohne vorlegen würde. Schon in der Replik vom 13.04.2018 hatte sie deutlich gemacht, dass es zum damaligen Stand auf die Schaltpläne nicht ankommen würde (s.o.). Die Nichtvorlage ist mithin kein widersprüchliches Verhalten der Klägerin. Das Gericht hat sich schließlich die zunächst avisierte Vorlage der Schaltpläne durch die Klägerin nicht zu eigen gemacht. Die Vorlage oder Nichtvorlage von Unterlagen steht grundsätzlich in anwaltlichem Ermessen. Die Parteien sind die Herren des Verfahrens und bestimmen selbst darüber, welche Unterlagen sie in den Prozess einführen. Nur im Fall des § 142 ZPO ordnet das Gericht eine Vorlage von Unterlagen an - die Voraussetzungen hierfür lagen aber nicht vor, s.o.. Das Gericht nahm auch seinerseits kein Vertrauen in Anspruch, die Beklagtenseite müsse ihren Vortrag erst nach Vorlage der Pläne substantiieren. Insbesondere hat das Gericht die Beweisaufnahme nicht von der Vorlage der Pläne abhängig gemacht, und damit deutlich gemacht, dass es unabhängig von den Schaltpläne entscheidungsrelevant auch allein auf die Beurteilung des bisherigen Bestreitens ankommen könnte.</p>
<p><rd nr="421"/>Das Gericht sieht nicht die sekundäre Darlegungslast bei den Beklagten, sondern sieht ihr Bestreiten als prozessual unbeachtlich an (zu S. 35 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 101).</p>
<p><rd nr="422"/>Unbeachtlich ist dabei, dass das Gericht die mitgebrachten Herren nicht als präsente Zeugen hörte (zu S. 36 Schriftsatz vom 22.11.2018, Rn. 105). Das geschah maßgeblich deswegen, weil der Vortrag der Beklagtenseite technisch nicht schlüssig war, s.o. Die Einvernahme von Zeugen zu unschlüssigem Vortrag ist nicht angezeigt.</p>
<p><rd nr="423"/>Überraschend ist die Entscheidung schließlich auch nicht deswegen, weil das Gericht zu dem Termin am 8.11.2018 einen Sachverständigen lud, obwohl es davon ausging, dass der Vortrag der Beklagtenseite technisch noch nicht schlüssig war. Erstens musste das Gericht in Betracht ziehen, dass die (wie oben dargelegt qualitativ und quantitativ deutlich überdurchschnittlich) anwaltlich vertretene Beklagtenseite ihren Vortrag noch rechtzeitig vor dem zweiten Termin oder spätestens im zweiten Termin nachbessern würde. Zweitens war es gerade Aufgabe des Sachverständigen, das - technisch nicht vorgebildete - Gericht bei der Prüfung des technischen Parteivortrags auf Schlüssigkeit zu unterstützen. Die Ladung des Sachverständigen entsprach damit gerade der Intention der Kammer, der Beklagtenseite rechtliches Gehör zu gewähren in dem Bestreben, etwaiges aus Expertensicht erhebliches Vorbringen der Beklagten nicht aufgrund mangelnden technischen Verständnisses auf Seiten der Mitglieder der Kammer unzutreffend als unschlüssig zu werten.</p>
<p><rd nr="424"/>Nach alledem hat das Gericht nicht gegen seine Hinweispflicht verstoßen.</p>
<p>4. Kein Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG</p>
<p><rd nr="425"/>Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 169 GVG geboten: es liegt schon kein Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG vor; ein etwaiger erfolgter Verstoß ist jedenfalls durch vorsorgliche Wiederholung des betroffenen Teils der Sitzung geheilt worden.</p>
<p>a. Vorbringen der Beklagtenseite</p>
<p><rd nr="426"/>Die Beklagtenseite unterstreicht, dass durch die fehlende Zugangsmöglichkeit zum Sitzungssaal für mindestens 45 Minuten die Öffentlichkeit nicht gewährleistet gewesen sei, was jedenfalls an fahrlässiger Unkenntnis des Gerichts liege. Dieser Verfahrensfehler sei durch die bloße Doppelung und Verlesung der fraglichen Teile der Sitzungsniederschrift nicht geheilt worden (S. 38 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 111) zumal unklar sei, ob das Gericht tatsächlich alle Verfahrensteile erfasst habe, bei denen die Öffentlichkeit entgegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG bereits nicht mehr bestanden habe (S. 38/39 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 113/115). Eine Heilung wäre wegen der Komplexität des Falles und dem Erfordernis, die zeitintensive Sachverständigenanhörung ohne Protokoll zur Gedächtnisunterstützung nach bereits zehnstündiger Verhandlung nochmals würdigen zu müssen, allenfalls durch eine Vertagung möglich gewesen (S. 40 Schriftsatz vom 22.11.2018 Rn. 120).</p>
<p><rd nr="427"/>Hinzu komme, dass die Öffentlichkeit mangels lesbaren Hinweises schlicht nicht informiert gewesen sei, dass noch eine mündliche Verhandlung stattfinde (S. 39/40 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 116/119).</p>
<p><rd nr="428"/>Unter dem 13.12.2018 unterstrich sie, es sei gerichtsbekannt, dass das Gerichtsgebäude ab 18 Uhr verschlossen sei. Das Gericht hätte daher Schließkräfte von sich aus über den Fortgang der Verhandlung informieren müssen - das sei gerade unterblieben (S. 15).</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="429"/>Mündliche Verhandlungen haben grundsätzlich öffentlich stattzufinden, § 169 Abs. 1 S. 1 GVG. Dazu gehört einerseits die Möglichkeit, von einer Sitzung Kenntnis zu nehmen, andererseits die Möglichkeit, an ihr auch teilzunehmen (BVerfG NJW 2002, 814 mwN). Das Öffentlichkeitsprinzip dient der Kontrolle staatlicher Machtausübung und der Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit sowie des Vertrauens der Allgemeinheit in die dritte Gewalt (MüKoZPO/Zimmermann GVG § 169 Rn. 1 mwN).</p>
<p><rd nr="430"/>Die Öffentlichkeit ist verletzt, wenn sie mit Wissen und Wollen des Vorsitzenden/ des Gerichts (Zöller-Lückemann, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 13 unter Verweis auf BGH NJW 1970, 1846, 1847) oder in fahrlässiger Unkenntnis des Gerichts ausgeschlossen oder beschränkt wird (siehe nur MüKoZPO/Zimmermann GVG § 169 Rn. 60 mwN). Nur eine der entscheidenden Kammer vorwerfbare Sorgfaltspflichtverletzung ist zu berücksichtigen, nicht eine Verletzung durch andere Mitarbeiter der Gerichtsbehörde (BGH NJW 1970, 1846, 1847; Zöller-Lückemann, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 13 mwN; MüKoZPO/Zimmermann GVG § 169 Rn. 60 mwN).</p>
<p><rd nr="431"/>Eine versehentlich verschlossene Eingangstür des Gerichtsgebäudes verletzt § 169 Abs. 1 S. 1 GVG nur, wenn das Gericht die Zugangsbeschränkung bemerkt hat oder bei gebotener Sorgfalt hätte erkennen können (BVerwG BeckRS 1984, 31265222 unter I.). Gleiches gilt, wenn die Außentür - vom Gericht unbemerkt - ins Schloss fällt und nicht mehr geöffnet werden kann (BGH NJW 1966, 1570, 1571). Auch die bewusste Schließung der Tür durch einen Gerichtswachtmeister begründet keinen Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG, wenn das erkennende Gericht kein Verschulden (auch keine fehlende Überwachung des fraglichen Gerichtswachtmeister) trifft, insbesondere wenn eine (grundsätzlich eingehaltene) Dienstanweisung besteht, die Tür nicht vor Ende aller Sitzungen zu verschließen (zu § 338 Nr. 6 StPO OLG Karlsruhe, BeckRS 9998, 40367 unter 1.a.).</p>
<p><rd nr="432"/>Eine Heilung erfolgt durch Wiederholung der betroffenen Teile der Sitzung (Kissel/Mayer-Mayer, GVG, 9. Auflage 2018, § 169 GVG Rn. 61; MüKoZPO/Zimmermann GVG § 169 Rn. 70).</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="433"/>Nach Vorgesagtem liegt schon kein Verstoß gegen § 169 GVG vor. Ein etwaiger Verstoß wurde jedenfalls geheilt.</p>
<p><rd nr="434"/>(1) Ein Verstoß gegen § 169 GVG liegt nicht vor.</p>
<p><rd nr="435"/>Nach Kenntnis der Kammer am Terminstag bestand die grundsätzliche Handhabung - bis einschließlich dem 8.11.2018 (die Handhabung wurde in der Folgezeit geändert) - darin, dass Zugang zu den Sitzungssälen des Landgerichts München I, die sich im Gebäude Lenbachplatz 7 befinden, nach Schließung der Pforte im Justizgebäude Lenbachplatz 7 über die ständige besetzte Pforte das Amtsgericht München, Gebäude Pacellistrasse 5, gewährt wird. Beide Gebäude sind miteinander verbunden. Am Eingang des Landgerichts wurde hierzu entsprechend ein Hinweisschild/Wegweiser aufgestellt. Dies war auch am 8.11.2018 so, wovon sich die Mitglieder der Kammer sowie die Protokollführerin nach Ende der Sitzung persönlich überzeugt haben. Auf die diesbezüglichen Aktenvermerke wird verwiesen.</p>
<p><rd nr="436"/>Zwar bestand möglicherweise faktisch eine Beschränkung der Zugangsmöglichkeit zu dem Sitzungssaal 501, in dem der Termin in dieser Sache am 8.11.2018 stattfand, von ca. 18 Uhr bis ca. 19.15 Uhr. Denn die Tür des Amtsgerichts war ab 18.00 Uhr versperrt und die einzige Wachperson zeitweilig auf Streifgang. Diese Zugangsbeschränkung beruhte indes nicht auf einer fahrlässigen Unkenntnis der Kammer.</p>
<p><rd nr="437"/>Insoweit hat die Kammer am 8.11.2018 gegen 19.15 Uhr Nachfolgendes festgestellt (vgl. 7 O 10495/17 Prot. v. 8.11.2018, S.16):</p>
<p>„Der Vorsitzende gibt bekannt, dass Frau E. vom Eingang Amtsgericht München, über den auch das Landgericht erreicht werden kann, mitgeteilt hat, dass ein Mann bei ihr gewesen sei und sie habe die Auskunft gegeben, dass die Tür zu sei. Sie habe nicht gewusst, dass noch eine Verhandlung laufe. Hätte sie das gewusst, hätte sie den Zugang gewährt. Auch sei sie 5 Minuten für einen Rundgang weg gewesen. Der Vorsitzende hat sich selbst davon überzeugt, dass die Tür während dieses Rundgangs von außen nicht zu öffnen ist. Der Vorsitzende hat Frau E. angewiesen, ab jetzt (19:15 Uhr) keine Rundgänge mehr zu machen, sondern an der Pforte Wache zu halten und etwaigen Personen, die Zugang zur hiesigen Sitzung begehren, einzulassen. Zusätzlich wurde ein entsprechender handschriftlicher auf gelben Papier gehaltener Zettel an der Tür angebracht.“</p>
<p><rd nr="438"/>Bis zum Hinweis durch einen der Beklagtenvertreter bestand keine Veranlassung für die Mitglieder der Kammer davon auszugehen, dass der Zugang zu den noch andauernden Sitzungen des Amtsgericht/Landgerichts entgegen der dargestellten grundsätzlichen Handhabung nicht mehr gewährt ist. Die Kammer hat selbst penibel auf die Einhaltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit geachtet, wie die Dokumentation des (bewussten) Ausschlusses/ Wiederherstellung der Öffentlichkeit im Protokoll vom 8.11.2018 zeigt. Es waren auch nach 18 Uhr Zuhörer im Saal anwesend. Die Kammer war bei aller gebotenen Sorgfalt nicht gehalten, sich durch Kontrolle der Eingangstüren des Gerichts bzw. des Amtsgerichts Gewissheit zu verschaffen, dass keine Zugangsbeschränkung bestand. Sie durfte davon ausgehen, dass die Wachtmeister und/oder andere hiermit betraute Personen ihre Dienstaufgaben öffentlichkeitswahrend erfüllten. Eine Verletzung der Öffentlichkeit liegt auch nicht darin begründet, dass die Öffentlichkeit nicht gewusst hätte, dass eine Verhandlung stattfand. Der Sitzungssaal 501 ist groß und liegt im 5. Stock Richtung Karlsplatz/Stachus. Er war zur fraglichen Zeit hell erleuchtet. Sonnenuntergang am Verhandlungstag war in München um 16.45 Uhr. Um 18.00 Uhr war es daher stockfinster. Durch seine Positionierung im 5. Stock mit Blickrichtung Karlsplatz/Stachus war für jedes Mitglied der interessierten Öffentlichkeit durch die bodentiefe und sich über die gesamte Länge des Saals erstreckende Fensterfront weithin erkennbar, dass noch eine Verhandlung mit zahlreichen Personen stattfand.</p>
<p><rd nr="439"/>Schließlich folgt aus den Angaben der Frau E., dass Sie den Zugang gewährt hätte, wenn sie gewusst hätte, dass noch eine Sitzung laufe. Dem ist zu entnehmen, dass interessierten Mitgliedern der Öffentlichkeit Zugang gewährt worden wäre, wenn eventuell auch mit 5 Minuten Verzögerung aufgrund des Rundgangs, wenn sie bei Frau E. mit dem Wunsch vorstellig geworden wären, an der noch andauernden Sitzung teilnehmen zu wollen.</p>
<p><rd nr="440"/>Im Übrigen befand sich ein Sitzungsaushang vor der Eingangstüre zum Sitzungssaal 501, zu dem nach (eindeutiger) Wiederherstellung der Öffentlichkeit wieder Zugang bestand. Zusätzlich befestigte der Vorsitzende einen Hinweis an der Tür des Amtsgerichts (S. 16 Protokoll vom 8.11.2018).</p>
<p><rd nr="441"/>(2) Wollte man dies anders sehen, wäre ein etwaiger Verstoß jedenfalls geheilt.</p>
<p><rd nr="442"/>Die Kammer hat vorsorglich die fraglichen Teile der Sitzung wiederholt. Sie hat dabei mindestens den gesamten, von einem etwaigen Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG erfassten Teil wiederholt. Als zeitliche Marke hat sich die Kammer an dem im Protokoll festgehaltenen Ende der nicht öffentlichen Zeugeneinvernahme orientiert (17.20 Uhr). Zur Sicherheit wurden alle nachfolgenden öffentlichen Sitzungsteile, beginnend mit der Erörterung der Sachverständigenanhörung wiederholt. Zwar fanden im unmittelbaren Anschluss an die Entlassung des Zeugen noch - nicht öffentliche - Erörterungen statt. Diese haben aber nach der sicheren Erinnerung der Mitglieder der Kammer nur wenige Minuten in Anspruch genommen und keinesfalls über 18.00 Uhr hinaus angedauert.</p>
<p><rd nr="443"/>Die Wiederholung genügte hier für eine Heilung. Die Kammer hat nicht, wie die Beklagtenseite suggeriert, lediglich die Protokollniederschrift verlesen und dies als Wiederholung angesehen. Vielmehr hat das Gericht die Protokollniederschrift als Kurzinformation der Öffentlichkeit und als Gedächtnisstütze für die Prozessbevollmächtigten verlesen, und sodann Gelegenheit gegeben, etwaigen Vortrag - tatsächlich - zu wiederholen oder weiteren Vortrag - tatsächlich - zu erbringen (S. 18 Protokoll 8.11.2018 Mitte: „Das Gericht gibt bekannt, dass es jetzt den Ausführungen der Beklagtenvertreter lauschen wird.“). Der Klägervertreter hat auf seinen bisherigen Vortrag verwiesen. Und auch der Beklagtenvertreter hat schließlich auf seinen bisherigen Vortrag verwiesen und von der eingeräumten Möglichkeit, den zu wiederholenden Vortrag erneut zu halten, keinen Gebrauch gemacht.</p>
<p><rd nr="444"/>Das Gericht musste zur Heilung auch nicht vertagen, wie beklagtenseits beantragt. Die Beklagtenseite war durch 5 Anwälte der den technischen Teil der Verteidigung bearbeitenden Kanzlei vertreten, von denen bei Beginn der Wiederholung noch 4 Anwälte anwesend waren (S. 18 Protokoll 8.11.2018). Nur zwei der Prozessbevollmächtigten befürworteten eine Vertagung (S. 18 Protokoll 8.11.2018). Auch die weiter anwesenden 5 Patentanwälte der Beklagten haben keine körperliche und/oder geistige Erschöpfung geltend gemacht. Schon deswegen war eine Vertagung nicht geboten, wie mit Beschluss vom 8.11.2018 (S. 19 Protokoll Mitte) dargelegt. Wie die anschließend protokollierten Wortbeiträge der Beklagtenvertreter belegen, waren diese auch nach Durchführung der Wiederholung ohne Weiteres in der Lage, dem Verhandlungsverlauf zu folgen und sachgerechten Vortrag zu halten.</p>
<p><rd nr="445"/>5. Kein Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren Schließlich liegt kein Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren vor.</p>
<p>a. Vortrag der Beklagtenseite</p>
<p><rd nr="446"/>Die Beklagtenseite unterstreicht, Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers U. hätten unstreitig bestanden. Daher habe man im ersten Termin eine Vorgehensweise vereinbart, auf die sich die Beklagtenseite verlassen habe. Die Klägerin habe sich indes widersprüchlich verhalten, was zu ihren Lasten gehen müsse, nicht zu Lasten der Beklagtenseite (S. 41 Schriftsatz vom 22.11.2013 Rn. 122). Das Gericht sei im Haupttermin am 8.11.2018 bestrebt gewesen, das Verfahren trotz erkennbar fehlender tatsächlicher Grundlage hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der angegriffene Ausführungsform und in Abweichung zu dem zwischen den Parteien und dem Gericht abgesprochenen Prozedere in diesem Termin zu Ende zu bringen, zu Lasten der Beklagten (S. 41/42 Schriftsatz 22.11.2018). So habe es in den Fragen an den Sachverständigen die technischen Fragestellungen (insbesondere zum Offset) nicht herausgearbeitet, weder in der vorbereitenden Verfügung noch in der Hauptverhandlung. Auf die zeitlich begrenzte Verfügbarkeit des Sachverständigen seien die Parteien zuvor nicht hingewiesen worden. Der Sachverständige sei insbesondere aus Zeitgründen ohne Fragen zu den Schaltplänen und technischen Aussagen des Zeugen A. entlassen worden (S. 43 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 127). Wenn das Gericht der - unzureichenden - Einschätzung des Sachverständigen folgen wolle, dass er 160 Stunden für die Sichtung der Schaltpläne brauche, hätte das Gericht nicht bis zum Termin hinwarten dürfen, sondern Abhilfe schaffen müssen, etwa durch eine Vorlageanordnung an die Klägerin. Darauf könne jedenfalls kein Verspätungsvorwurf gegenüber der Beklagtenseite gestützt werden (S. 43/44 Schriftsatz 22.11.2018). Vorlageanträge der Beklagtenseite bezüglich der Lizenzverträge seien nach der ad-hoc-Einvernahme eines Zeugen zurückgewiesen worden, mit der Begründung, dass der Augenschein zu viel Zeit koste und nicht in Bezug auf den Inhalt zu erfolgen habe, wobei letzteres Verständnis befremde (S. 44 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 132). Auch bei der Prüfung von Heilungsmöglichkeiten des Verstoßes gegen die Öffentlichkeit sei das Gericht allein von dem Bestreben getragen gewesen, einen weiteren Termin zu verhindern; insbesondere sei die beantragte Vertagung abgelehnt worden (S. 44/45 Schriftsatz 22.11.2018). Ein Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist sei abgelehnt worden, obwohl die Beklagtenseite deutlich gemacht habe, auch zum Tatsächlichen gegebenenfalls noch vortragen zu wollen (S. 45 Schriftsatz 22.11.2018).</p>
<p>b. Maßstab</p>
<p><rd nr="447"/>Der Grundsatz des fairen Verfahrens (<verweis.norm>Art. 6 <v.abk ersatz="EMRK">EMRK</v.abk></verweis.norm>, Art. 47 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta, Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet das Gericht, sein Verfahren berechenbar zu gestalten und verbietet dem Gericht widersprüchliches Verhalten. Das Verfahren muss überprüfbar gestaltet sein; des Weiteren treffen das Gericht Fürsorgepflichten gegenüber den Parteien (zum Ganzen siehe nur Zöller-G. Vollkommer, ZPO, 32. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 101 mwN).</p>
<p>c. Entscheidung des Gerichts</p>
<p><rd nr="448"/>Hiernach hat das Gericht den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht verletzt.</p>
<p><rd nr="449"/>(1) Wie bereits dargelegt, gab es keine Vereinbarung der Parteien darüber, dass die Klägerin verpflichtet sei, die Schaltpläne im US-Discovery-Verfahren zu erhalten und in das Verfahren einzuführen. Die Klägerin verhielt sich nicht widersprüchlich, sondern hatte bereits in der Replik deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht die Vorlage der Schaltpläne zum damaligen Vortragsstand nicht erforderlich sei. Das Gericht hat kein Vertrauen in Anspruch genommen, es werde auf die Vorlage der Schaltpläne zuwarten.</p>
<p><rd nr="450"/>(2) Das Gericht war im Termin bestrebt, dem Beschleunigungsgrundsatz nachzukommen. Nach dem Münchner Verfahren wird im zweiten Termin üblicherweise die mündliche Verhandlung geschlossen. Dabei hat das Gericht das Verfahren keineswegs überbeschleunigt und dadurch Rechte der Beklagtenseite abgeschnitten, sondern die Sache in der von 9.00 Uhr bis 21.00 Uhr andauernden Sitzung ausführlich erörtert, und durch die Verfahrensleitung für eine Konzentration und Beschleunigung genutzt - wie es die ZPO vorsieht.</p>
<p><rd nr="451"/>Eine „tatsächliche Grundlage hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der angegriffene Ausführungsform“ brauchte das Gericht dabei nicht. Denn die konkrete Ausgestaltung ist für das Gericht wegen des Beibringungsgrundsatzes so lange nicht relevant wie die behauptete Ausgestaltung nicht wirksam bestritten ist. Das war sie jedenfalls bis zu der Vorlage der Quadruplik nicht, wie oben dargelegt. Erst durch den Vortrag in der Quadruplik konnte, soweit der Vortrag schlüssig gewesen wäre, die Vorlage der Schaltpläne erforderlich werden. Erst hierdurch wäre auch eine Befassung des Sachverständigen mit den Schaltplänen erforderlich geworden, was dann möglicherweise zu einer Zurückweisung des Vortrags nach § 296 Abs. 2 ZPO geführt hätte, wie oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="452"/>(3) Das Gericht hat auch im Übrigen nicht unter Verkennung der Grundsätze des fairen Verfahrens im Wesentlichen zu Lasten der Beklagtenseite entschieden:</p>
<p><rd nr="453"/>(a) Zutreffend ist, dass Sachverständige grundsätzlich nur zu technischen Fragen zu hören sind. Indes hat das Gericht dem Sachverständigen im Ergebnis nicht die Beantwortung von Rechtsfragen aufgegeben, sondern beweiserhebliche Tatsachenfragen im Sinne einer leichteren Verständlichkeit und zur Arbeitserleichterung lediglich „juristisch eingekleidet“. Es hat dem Sachverständigen gleichzeitig verdeutlicht, dass die technische Hinleitung zu der Beantwortung einer Frage maßgeblich von Interesse ist (S. 3 Mitte Verfügung vom 25.10.2018: „Der Sachverständige wird darauf hingewiesen, dass es der Kammer vor allem darum geht, die technischen Informationen besser zu verstehen und einzuordnen. Es ist daher weniger die konkrete Antwort auf die Frage von Interesse, sondern vor allem die Herleitung der Begründung für die jeweilige Antwort.“). Mithin lag in der Fragestellung, die im Übrigen von der Beklagtenseite im Termin nicht beanstandet worden ist, kein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens.</p>
<p><rd nr="454"/>Unbeachtlich war dabei, dass der Sachverständige nicht den gesamten Sitzungstag lang Zeit hatte. Die Beklagtenseite hat nicht vorgebracht, weitere Fragen an den Sachverständigen richten zu wollen, die sie aufgrund der zeitlichen Beschränkung nicht hatte stellen können. Der Sachverständige wurde um 13.20 Uhr entlassen. Zuvor hatte keine der Parteien mehr Fragen an ihn gestellt (vgl. Prot. S. 8). Er hätte bei weiteren Fragen dem Gericht noch bis 14.00 Uhr zur Verfügung gestanden. Die zeitlichen Beschränkungen in Bezug auf den Sachverständigen hatte keinen Einfluss auf die Vorlage der Schaltpläne und der Anhörung des Herrn A.: die Klägerin entschied, die Schaltpläne nicht vorzulegen, die Kammer sah keinen Anlass, ihr dies aufzugeben, wie oben dargelegt. Zudem war die Vorlage der Schaltpläne allenfalls durch den Vortrag in der Quadruplik veranlasst, wie zuvor dargelegt. Würde man hernach eine Befassung des Sachverständigen mit den Schaltplänen für erforderlich halten, würde gerade die hieraus folgende notwendige Vertagung der Sitzung die Verspätung iSd § 296 ZPO begründen, siehe oben. Herr A. war nicht als präsenter Zeuge zu hören, weil der Tatsachenvortrag, der in sein Wissen gestellt war, technisch nicht schlüssig war, siehe oben.</p>
<p><rd nr="455"/>Eine Präzisierung der nach Auffassung der Beklagtenseite „frei schwebenden“ Diskussion war nicht erforderlich (zu S. 43 Schriftsatz 22.11.2013, Rn. 128). Das Gericht sah den Vortrag der Beklagtenseite bis zur Quadruplik als nicht schlüssig an, wie es durch die Fragen in der Verfügung vom 25.10.2018 deutlich gemacht hatte. Es musste daher nicht den Sachverständigen auf die Tatsachengrundlage hin befragen: Es ging darum, das Verständnis des Gerichts von dem technischen Gehalt des Beklagtenvortrags durch den Sachverständigen als technischen Experten überprüfen zu lassen. Die Beklagtenseite hatte umfassend Gelegenheit, den Sachverständigen zu befragen, wie die Beklagtenseite im Ergebnis auch nicht in Frage stellt. Dass das Gericht die Zulässigkeit von Fragen prüft, verstößt nicht gegen das Gebot des fairen Verfahrens, sondern ist als Ausfluss der Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime ein Gebot der ZPO, <verweis.norm>§§ 402, 397 Abs. 3 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>.</p>
<p><rd nr="456"/>(b) Der Sachverständige hat auf Bitten des Gerichts eine grobe Einschätzung gegeben, wie viel Zeit er für die Sichtung von Schaltplänen nebst Simulationsmodellen benötigen würde, und dabei 160 Arbeitsstunden genannt. Diese Zahl diente nur der Einschätzung der Kammer, ob eine Sichtung im Rahmen einer Unterbrechung der Sitzung mit anschließender Fortsetzung der Anhörung des Sachverständigen noch am 8.11.2018 möglich wäre. Das war sie offensichtlich nicht. Dabei ist irrelevant, ob die Einschätzung des Sachverständigen „unzureichend“ war, wie die Beklagtenseite meint (S. 43 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 129). Die Behauptung der Beklagtenseite ist insoweit schon unsubstantiiert, weil sie ihrerseits nicht angibt, in wie vielen Stunden diese Arbeit stattdessen geschafft sein müsste. Selbst wenn wäre ein anderer gerichtlicher Sachverständiger damit zu betrauen gewesen, weil der derzeit gerichtlich bestellte Sachverständige ja nicht in der Lage war, die Sichtung schneller vorzunehmen. Die Suche und Einarbeitung hätte aber das Verfahren wiederum verzögert. Im Übrigen hätte schon eine Dauer von einigen Stunden eine Vertagung erforderlich gemacht, so dass die Angabe „100 bis 160 Stunden“ die Kammer jedenfalls in die Lage versetzte zu erkennen, dass eine Sichtung im Rahmen einer Unterbrechung der Sitzung nicht zielführend sein würde. Das Gericht hatte keine eigenen Erkenntnisse, wie lange die Befassung mit Schaltplänen dauert, und konnte daher bei Abfassung des Hinweisbeschlusses noch nicht wissen, dass eine bloße Unterbrechung der Sitzung, etwa im Rahmen der Mittagspause, nicht genügen würde (zu S. 44 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 130). Schon deswegen musste es der Klägerin nicht aufgeben, die Schaltpläne im Vorfeld vorzulegen. Die Klägerin war durch die Beschränkungen des US-Discovery-Verfahrens auch nicht in der Lage, die Pläne ohne Geheimhaltungsanordnung vorzulegen. Diese kann nach dem GVG aber nur in der mündlichen Verhandlung ausgesprochen werden. Zu den übrigen Gründen s.o.</p>
<p><rd nr="457"/>Richtigerweise führt der Umstand, dass bei Befassung des Sachverständigen mit den Schaltplänen eine Vertagung bzw. ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung erforderlich würde zu einer der Beklagtenseite vorwerfbaren Verspätung, wie vor (zu S. 44 Schriftsatz 22.11.2018, Rn. 131).</p>
<p><rd nr="458"/>Die Anordnung der Vorlage der Lizenzverträge war beantragt „zum Nachweis des beweiserheblichen Umstandes, dass das Klagepatent in die sog. „capture periods“ fällt und damit Lizenzrechte der CMs bestehen, auf deren Grundlage auch die Beklagte Benutzungsrechte für einen Lizenz- und/oder Erschöpfungseinwand herleiten könnten“ (S. 17 Quadruplik Teil III). Wie oben (unter E.) dargelegt hat die Beklagtenseite nichts dazu vorgetragen, woraus sich ein materiellrechtlicher Anspruch auf Vorlage ergibt (<verweis.norm>§ 422 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>). Sie hat ihn nicht glaubhaft gemacht, § 424 Nr. 5 S. 2 ZPO. Insbesondere bestand hier kein Vorlageanspruch aus § 423 ZPO, weil die Klägerin nur auf den Inhalt der Verträge, nicht auf die Verträge als Urkunde Bezug genommen hatte (hierzu Thomas/Putzo-Reichold, § 423 ZPO Rn. 1).</p>
<p>Beginn geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p>… Ende geheimhaltungsbedürftiger Teil</p>
<p><rd nr="459"/>(c) Auch aus dem Umstand, dass nach Feststellung der möglichen Zugangsbeschränkung vom Gericht keine Vertagung angeordnet wurde, ergibt sich kein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens (zu Schriftsatz 22.11.2018 S. 44/45, Rn. 133). Wie oben dargelegt bestand schon kein Verstoß gegen § 169 Abs. 1 GVG. Auch eine Vertagung war nicht geboten, wie vor.</p>
<p><rd nr="460"/>(d) Die Gewährung einer Schriftsatzfrist war nach oben Gesagtem ebenfalls nicht geboten (zu S. 45 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 134).</p>
<p>6. Ergebnis</p>
<p><rd nr="461"/>Nach alledem besteht kein Grund aus § 156 Abs. 2 ZPO, das Verfahren wiederaufzunehmen.</p>
<p><rd nr="462"/>II. Kein Grund zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung nach § 156 Abs. 1 ZPO Es besteht auch kein Wiedereintrittsgrund nach § 156 Abs. 1 ZPO.</p>
<p><rd nr="463"/>Die Wiedereröffnung nach § 156 Abs. 1 ZPO steht im Ermessen des Gerichts. Sie kann angezeigt sein, wenn beispielsweise entgegen § 296a ZPO neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorgebracht werden oder ein Verfahrensfehler (nur) durch rügeloses Verhandeln geheilt wurde. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung den Beschleunigungs- und Konzentrationsgrundsatz einerseits sowie die Vermeidung eines Rechtsmittelverfahrens andererseits zu berücksichtigen. § 296 ZPO darf über die Wiederaufnahme nicht obsolet gemacht werden (zum ganzen Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, <verweis.norm>§ 156 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 4,5 mwN).</p>
<p><rd nr="464"/>1. Keine Wiederaufnahme wegen der unter I. geschilderten, beklagtenseits in Bezug genommenen Umstände Hiernach besteht aufgrund der vorgenannten Umstände (auch) kein Anlass zur Wiedereröffnung des Verfahrens nach § 156 Abs. 1 ZPO (zu S. 45/46 Schriftsatz 22.11.2018). Die angebotenen, nicht erhobenen Beweismittel sind wegen fehlender Schlüssigkeit des Vorbringens der Beklagtenseite und wegen § 296 Abs. 2 ZPO unbeachtlich, s.o. § 296 Abs. 2 ZPO ist entgegen der Darstellung der Beklagtenseite einschlägig, weil allenfalls aufgrund der Quadruplik eine Beweisaufnahme veranlasst wäre und die Beweisaufnahme (insbesondere durch die Sichtung der Schaltpläne durch den Sachverständigen) einen neuen Termin erforderlich machen würde. Unerheblich ist dabei, dass die Klägerin keine weitere Schriftsatzfrist zur Erwiderung auf neues Vorbringen in der Quadruplik beantragt hatte (zu S. 46 Schriftsatz 22.11.2018 Rn. 139).</p>
<p><rd nr="465"/>Das Gericht entscheidet nicht auf „unvollständiger“ Sachlage, sondern auf der nach dem Beibringungsgrundsatz maßgeblichen Sachlage. Das Gericht geht davon aus, dass auch ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung eine Berufung nicht verhindern kann. Die Ermittlung der Sachlage verlagert das Gericht keineswegs auf die Rechtsmittelinstanz, vielmehr gilt insoweit § 531 ZPO.</p>
<p><rd nr="466"/>2. Kein Wiedereintritt wegen (neuen) Vortrags der Beklagtenseite Auch der (neue) Vortrag der Beklagtenseite zur Nichtverletzung im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 22.11.2018 (dort S. 47 ff.) und im Schriftsatz vom 10.12.2018 mit Privatgutachten gebot keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung.</p>
<p>a. Offset</p>
<p><rd nr="467"/>Die Beklagte hatte das Vorhandensein eines Offsets in der angegriffenen Ausführungsform bis zur Quadruplik nicht substantiiert bestritten, s.o.</p>
<p><rd nr="468"/>Soweit die Beklagtenseite mit Schriftsatz vom 10.12.2018 die Privatgutachten P. und I. vorlegte, geboten auch diese keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung, wie oben dargelegt.</p>
<p>b. Kondensator</p>
<p><rd nr="469"/>Auch die Verwendung des Kondensators in der angegriffenen Ausführungsform belegt nicht deren anderweitige Architektur, die gerade ohne Offset auskommt, wie oben dargelegt.</p>
<p><rd nr="470"/>Wollte man das Vorbringen der Beklagtenseite als schlüssig ansehen, wäre es jedenfalls verspätet, § 296 Abs. 2 ZPO, siehe oben.</p>
<p><rd nr="471"/>c. M 1.4.1 Der Vortrag der Beklagtenseite auf S. 61/62 des Schriftsatzes vom 22.11.2018 enthält nur beweiswürdigende Ausführungen und gebietet keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung.</p>
<p><rd nr="472"/>d. Damit ist ein abweichendes Design der Architektur der angegriffene Ausführungsform nicht (rechtzeitig) dargetan.</p>
<p><rd nr="473"/>e. Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung nach § 156 Abs. 1 ZPO ist nach alledem nicht angezeigt.</p>
<p>F. Kostenentscheidung</p>
<p><rd nr="474"/>Die Kostenentscheidung beruht auf <verweis.norm>§§ 91, 100 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>.</p>
<p>G. Vorläufige Vollstreckbarkeit</p>
<p><rd nr="475"/>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.</p>
<p><rd nr="476"/>I. Auszusprechen war eine einheitliche Sicherheitsleistung in Höhe von 668,4 Mio. €.</p>
<p><rd nr="477"/>Die Beklagtenseite hatte auf der Grundlage von Verkaufszahlen auf dem Konsumentenmarkt in Deutschland im Jahr 2016 (FBD 18, 19) geltend gemacht, ein Betrag von 1,671 Mrd. € sei für die Sicherheitsleistung mindestens anzusetzen. Diesen Betrag hatte die Klägerin nicht substantiiert bestritten (S. 95/96 Replik), nur angegeben, die Beklagtenseite habe die Umsatzänderungen wegen der neuen Modelle noch nicht berücksichtigt (S. 20 Protokoll vom 8.11.2018). Hierauf erklärte die Beklagtenseite, es sei deswegen ein Abschlag von 60% vorzunehmen (ibid.).</p>
<p><rd nr="478"/>Dieser Wert war durch die Kammer daher anzusetzen.</p>
<p><rd nr="479"/>Vor dem Hintergrund der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung aller Interessen war die von der Klägerin beantragte Aufteilung der Sicherheitsleistung auf die einzelnen Ziffern des Tenors nicht geboten.</p>
<p><rd nr="480"/>II. Der Antrag der Beklagtenseite auf Gewährung von Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO war abzulehnen.</p>
<p><rd nr="481"/><verweis.norm>§ 712 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> ist als Ausnahmevorschrift restriktiv zu behandeln. Die Norm setzt einen unersetzlichen Nachteil voraus (Zöller-Herget, ZPO, 32. Aufl. 2018, <verweis.norm>§ 712 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 1). Die üblichen Nachteile einer vorläufigen Vollstreckung sind hingegen hinzunehmen. Hiernach hat die Beklagtenseite nach o.G. gerade keine unersetzlichen Nachteile aufgezeigt. Die dargelegten Risiken werden durch die der Klägerin auferlegte hohe Sicherheitsleistung hinreichend abgefangen.</p>
</div>
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125,213 | ovgnrw-2018-12-20-13-e-33718a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
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"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 13 E 337/18.A | 2018-12-20T00:00:00 | 2019-01-04T14:23:29 | 2019-02-12T11:31:53 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1220.13E337.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde der Kläger gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 13. April 2018 wird verworfen.</p>
<p>Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht erstattungsfähig.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist unzulässig.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Kläger gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. April 2018 ist nicht statthaft, weil gemäß § 80 AsylG Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz – mit Ausnahme der hier nicht einschlägigen Nichtzulassung der Revision (§ 133 Abs. 1 VwGO) – nicht mit der Beschwerde angefochten werden können. Dieser Ausschluss erstreckt sich auf sämtliche Nebenverfahren eines Verfahrens nach dem Asylgesetz, insbesondere auch auf die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung zuletzt etwa HessVGH, Beschluss vom 1. September 2017 – 7 D 1519/17.A –, juris; BayVGH, Beschluss vom 30. Mai 2017 – 21 CS 17.30500 –, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. September 2016 – OVG 3 S 73.16 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 9. Mai 2014 – 13 E 523/14.A –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die durch die Kläger als Beleg für eine vermeintlich abweichende Ansicht angeführten Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs betreffen allein die hier nicht gegebene Konstellation einer gegen die Ausländerbehörde gerichteten Klage auf Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG oder einer Aufenthaltserlaubnis, mit der nach erfolglosem Asylverfahren Vollstreckungsmaßnahmen auf der Grundlage einer nach § 34 AsylG angedrohten Abschiebung abgewehrt werden sollen. Sie beruhen auf der hier nicht näher zu beurteilenden Erwägung, dass es sich bei diesen Maßnahmen oder Entscheidungen um solche handelt, die ihre Grundlage nicht im Asylgesetz, sondern im Aufenthaltsgesetz finden, auch wenn sie der Abwendung von Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht nach einem abgeschlossenen Asylverfahren dienen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. NdsOVG, Beschluss vom 13. September 2016 ‑ 13 PA 151/16 ‑, juris Rn. 3 ff., und BayVGH, Beschluss vom 4. Januar 2016 – 10 C 15.2105 – juris, Rn. 17 f.; vgl. zum Ganzen auch BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 – 1 C 6.97 –, NVwZ 1998, 299 (300 f.) = juris, Rn. 15 ff., und Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, 83. Ergänzungslieferung, April 2009, § 80 Rn. 16 ff.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Hier betrifft die Beschwerde hingegen auch nach den durch die Kläger angeführten obergerichtlichen Entscheidungen ein erstinstanzliches Verfahren nach dem Asylgesetz im Sinne von § 80 AsylG. Streitgegenstand ist bzw. war der durch die Kläger angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, mit dem dieses den Asylantrag der Kläger gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG wegen einer internationalen Zuständigkeit Italiens als unzulässig abgelehnt und die weiteren ihm nach § 31 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG sowie §§ 34a Abs. 1 Satz 4, 34 AsylG obliegenden Entscheidungen getroffen hat.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Senat legt die Beschwerde trotz der Ausführungen zur Beschwerdebegründung in Anbetracht der ausdrücklichen Prozesserklärung im Schriftsatz vom 20. April 2018 zudem dahin aus, dass sie sich allein gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe richtet. Allerdings weist der Senat im Hinblick auf die teils weitergehenden Ausführungen in der Beschwerdebegründung darauf hin, dass auch die übrigen im Beschluss des Verwaltungsgerichts getroffenen Entscheidungen zur Einstellung des Verfahrens und zur Kostentragung nicht mit der Beschwerde anfechtbar sind und über eine Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts nach § 152a VwGO das Verwaltungsgericht selber zu befinden hätte.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. m. § 127 Abs. 4 ZPO und § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar.</p>
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125,212 | ovgnrw-2018-12-20-4-a-151716 | {
"id": 823,
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"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 4 A 1517/16 | 2018-12-20T00:00:00 | 2019-01-04T14:23:28 | 2019-02-12T11:31:53 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1220.4A1517.16.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.6.2016 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln wird abgelehnt.</p>
<p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 20.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne der § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Zweifel in diesem Sinn sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.2000 ‒ 1 BvR 830/00 ‒, NVwZ 2000, 1163 = juris, Rn. 15.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Zulassungsvorbringen stellt die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht schlüssig in Frage. Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 11.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 27.5.2015 betreffend die Förderperiode 2010 ist im noch aufrechterhaltenen Umfang rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der aufgehobene Zuwendungsbescheid vom 28.9.2010 ist entgegen der Ansicht der Klägerin von Anfang an rechtswidrig im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gewesen. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf die mit Antrag vom 28.1.2010 begehrte Zuwendung, weil sie nach der an der Förderrichtlinie ausgerichteten Zuwendungspraxis der Beklagten nicht zum Kreis der Zuwendungsberechtigten gehörte. Nach bereits erfolgter Bewilligung einer Zuwendung ist nach der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 BGB nicht maßgeblich, was die Behörde bei ihrer Erklärung gedacht hat (innerer Wille), sondern wie der Bürger die Erklärung unter Berücksichtigung der ihm bekannten oder erkennbaren Umstände bei objektiver Auslegung verstehen musste.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.2.1983 ‒ 7 C 70.80 ‒, DVBl. 1983, 810 = juris, Rn. 15; OVG NRW, Beschluss vom 11.5.2016 ‒ 4 A 1983/13 ‒, juris, Rn. 11 ff., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Für die Klägerin war aus dem Bewilligungsbescheid für das Jahr 2010, aus der einschlägigen Förderrichtlinie sowie aus der Aufforderung zur Übersendung eines Nachweises über gewerblichen Güterkraftverkehr (oder Werkverkehr) vom 19.8.2010 erkennbar, dass die Beklagte den Kreis der Zuwendungsberechtigten auf diejenigen Unternehmen festgelegt hat, die als antragstellendes Unternehmen Güterkraftverkehr im Sinne des § 1 GüKG durchführen. Die Beklagte hat mit dem Erlass des Zuwendungsbescheides vom 28.9.2010 gegenüber der Klägerin deutlich gemacht, dass sie ihre Zuwendungspraxis an den Vorgaben der einschlägigen Förderrichtlinie ausrichtet. Die Beklagte hat der Klägerin eine Zuwendung für die Zeit vom 28.1.2010 bis 31.12.2010 (Bewilligungszeitraum) gemäß der Richtlinie des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung über die Förderung der Sicherheit und der Umwelt in Unternehmen des Güterkraftverkehrs mit schweren Nutzfahrzeugen vom 19.10.2009 (BAnz. S. 3743 ff.) in der Fassung der Änderung vom 19.5.2010 (BAnz. S. 2062) – “De-minimis“-Förderrichtlinie – bewilligt. Dabei hat sie Bezug genommen auf den Antrag vom 28.1.2010, in dem angegeben war, dass das antragstellende Unternehmen gewerblichen Güterkraftverkehr betreibe (Ziffer 2a des Antrags), und der die Erklärung enthielt, dass das antragstellende Unternehmen Güterkraftverkehr im Sinne des § 1 GüKG durchführe (Ziffer 5.1 1. Spiegelstrich des Antrags). Gleichzeitig hat das antragstellende Unternehmen bestätigt, dass es die “De-miminis“-Förderrichtlinie zur Kenntnis genommen habe und als verbindlich anerkenne. Nach Nr. 3.1 der „De-minimis“-Förderrichtlinie gehören zum Kreis der Zuwendungsberechtigten Unternehmen, die Güterkraftverkehr im Sinne von § 1 GüKG betreiben. Nach § 3 Abs. 1 GüKG ist der gewerbliche Güterkraftverkehr erlaubnispflichtig und im Falle der fehlenden Erlaubnis mit einer Geldbuße bewehrt (§ 19 Abs. 1 Nr. 1b GüKG). Da ein illegaler Betrieb nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert werden kann, stand nach dem objektiven Empfängerhorizont fest, dass nur ein Unternehmen Zuwendungen erhalten kann, das selbst über die erforderliche güterkraftverkehrsrechtliche Erlaubnis verfügt. Zwar war in dem Antrag als antragstellendes Unternehmen zunächst nicht die Klägerin, sondern die G.     U.         GmbH & Co. KG benannt. Die Klägerin hat aber mit Schreiben vom 21.7.2010 klargestellt, dass sie die Antragstellerin sei und sich damit die in dem Antrag gemachten Erklärungen zu Eigen gemacht. Ferner machte die Beklagte der Klägerin durch die Aufforderung zur Übersendung eines Nachweises über gewerblichen Güterverkehr (oder Werkverkehr) vom 19.8.2010, sowie einem entsprechenden telefonischen Hinweis vom 7.9.2010 deutlich, dass die Bewilligung von Zuwendungen für den Güterkraftverkehr die erforderliche güterkraftverkehrsrechtliche Erlaubnis voraussetzt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin verfügte im Förderzeitraum jedoch nicht über eine auf sie ausgestellte erforderliche Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr im Sinne von §§ 1, 3 GüKG. Entgegen dem Zulassungsvorbringen erstreckt sich die der G.     GmbH & Co. KG unter dem 7.4.2000 erteilte Erlaubnis nicht auf die Klägerin. Die Erlaubnis nach § 3 GüKG wird personen- bzw. unternehmensbezogen erteilt. Dies ergibt sich bereits aus § 3 Abs. 2 GüKG in der seinerzeit geltenden Fassung, wonach die Erlaubnis einem Unternehmer, dessen Unternehmen seinen Sitz im Inland hat, für die Dauer von bis zu fünf Jahren erteilt wird. Ein Unternehmen in diesem Sinne wurde nach der seinerzeit geltenden Rechtslage europarechtlich definiert als jede natürliche Person, jede juristische Person mit oder ohne Erwerbszweck, jede Vereinigung oder jeder Zusammenschluss von Personen ohne Rechtspersönlichkeit und mit oder ohne Erwerbszweck sowie jedes staatliche Organ, unabhängig davon, ob dieses über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt oder von einer Behörde mit Rechtspersönlichkeit abhängt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. Art. 1 der Richtlinie 92/26/EG des Rates vom 29.4.1996 (ABl. Nr. L 124 vom 23.5.1996, S. 1); sowie ähnlich nunmehr in Art. 2 Nr. 1 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.10.2009 zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers und zur Aufhebung der Richtlinie 96/26/EG des Rates (ABl. Nr. L 300 vom 14.11.2009, S. 51).</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Daraus ist zu schließen, dass Gesellschaften mit und ohne eigene Rechtspersönlichkeit jeweils Unternehmer sein können, also auch teilrechtsfähige Personengesellschaften wie die Kommanditgesellschaft. Dass zwischen diesen unterschiedlichen Gesellschaftsformen bei der Erlaubniserteilung zu differenzieren ist, bestätigt Randnummer 8 der gemäß § 23 Abs. 1 GüKG erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Güterkraftverkehrsrecht vom 8.4.2009 (GüKVwV, BAnz. S. 1476 ff.). Diese Vorschrift sieht dabei u. a. vor, dass Kommanditgesellschaften (Buchstabe e) und Kapitalgesellschaften (Buchstabe f), die ein Güterkraftverkehrsgewerbe betreiben, Unternehmer im Sinne des Güterkraftverkehrsgesetzes sind. Auch Randnummern 16 und 17 GüKVwV verdeutlichen die Personen- bzw. Unternehmensgebundenheit der Erlaubnis. Danach ist sowohl bei einer Rechtsformänderung ein neues Erteilungsverfahren als auch bei einer reinen Namensänderung eine Berichtigung der Erlaubnis erforderlich.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Rechtsformänderung OVG NRW, Beschlüsse vom 12.9.2016 ‒ 4 A 1613/15 ‒, juris, Rn. 5 f., und vom 12.6.2014 ‒ 4 A 488/14 ‒, juris, Rn. 3; BR-Drs. 940/08 vom 3.12.2008, Seite 12.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Allein der von der Klägerin geltend gemachte Umstand, dass der der G.     GmbH und Co. KG erteilten Erlaubnis eine Anzahl von Abschriften beigefügt wurde, die der Summe der auf sie und der G.     GmbH und Co. KG zugelassenen Fahrzeuge entspricht, ändert ‒ auch wenn die Ausstellung einer Erlaubnisurkunde für die Klägerin nur versehentlich unterblieben ist ‒ nichts daran, dass die Erlaubnis nur der G.     GmbH und Co. KG erteilt wurde. Der Senat vermag auch die Einschätzung der Klägerin nicht zu teilen, die ihr erteilte Erlaubnis leide allenfalls unter einem heilbaren Schreibfehler. Denn die von ihr vorgelegte Erlaubnis wurde nicht ihr, sondern der G.     GmbH und Co. KG erteilt, die eine solche Erlaubnis auch beantragt hatte. Diese wies deswegen auch keinen Schreibfehler auf. Es fehlt vielmehr gänzlich an einer der Klägerin erteilten Erlaubnis. Auch wenn die Klägerin darauf vertraut haben sollte, die erteile Erlaubnis gelte auch für sie, wird sie dadurch nicht zur Inhaberin der Erlaubnis. Denn § 3 GüKG erfordert die tatsächliche Erteilung einer Erlaubnis. Deswegen ist ferner unerheblich, ob zugunsten der Klägerin die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis vorlagen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.3.2018 ‒ 4 A 185/16 ‒, juris, Rn. 14.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin gleichwohl davon ausgehen durfte, die Beklagte werde ihr die Zuwendung auch ohne die erforderliche Erlaubnis gewähren, liegen nicht vor. Insbesondere lässt sich dies nicht aus dem Umstand schließen, dass die Beklagte der Klägerin die Zuwendung bewilligt hat, obwohl diese auf die Aufforderung, einen Nachweis darüber einzureichen, dass sie gewerblichen Güterverkehr oder Werkverkehr betreibt, nur die nicht mehr gültige Erlaubnisurkunde vom 13.3.1986 der „G.     GmbH & Co.“ eingereicht hatte. Denn aufgrund des vorher gewechselten Schriftverkehrs zur Frage, ob die Klägerin oder die G.     GmbH & Co. KG Antragstellerin sei sowie der Aufforderung zur Erbringung eines Nachweises, dass sie Güterkraftverkehr betreibt, war für die Klägerin erkennbar, dass es der Beklagten darauf ankam, dass sie selbst (und nicht die G.     GmbH & Co. KG) über eine gültige Erlaubnis zur Durchführung von Güterkraftverkehr verfügt. Der Klägerin war ferner ‒ ungeachtet dessen, dass es sich bei der vorgelegten Erlaubnis der G.     GmbH & Co. schon nicht um die ihr erteilte Erlaubnis handelte ‒ bekannt, dass die von ihr vorgelegte Erlaubnis keine Gültigkeit mehr hatte. Dies ergibt sich schon daraus, dass die G.     GmbH & Co. KG diese im Jahr 2000 in eine neue Erlaubnis umgetauscht hat. Die Klägerin musste aus den vorgenannten Umständen damit rechnen, dass die Beklagte bei der Bearbeitung ihres Zuwendungsantrags und Überprüfung der Zuwendungsvoraussetzungen lediglich übersehen hat, dass sie keine ihr die Ausübung von Güterverkehr gestattende Erlaubnis vorgelegt hat.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend gibt das Zulassungsvorbringen auch nichts Durchgreifendes dafür her, dass der Klägerin entgegen der Wertung des Verwaltungsgerichts Vertrauensschutz im Sinne von § 48 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VwVfG zukommen könnte. Auch insoweit hat sie die Annahme des Verwaltungsgerichts, Vertrauensschutz sei gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG ausgeschlossen, nicht in Frage gestellt. Denn sie hat weder dargelegt noch belegt, dass ihre Angaben im Zuwendungsantrag entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts korrekt und vollständig gewesen sein könnten. Dass die Klägerin davon ausging, die der G.     GmbH und Co. KG erteilte Erlaubnis berechtige auch sie zum Betreiben von Güterverkehr, musste im Rahmen der Ermessenserwägungen nicht berücksichtigt werden. Für die Anwendung des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG ist ein Verschulden nicht erforderlich.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 23.5.1996 ‒ 3 C 13.94 ‒, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1 = juris, Rn. 48, m. w. N., und vom 20.10.1987 ‒ 9 C 255.86 ‒, BVerwGE 78, 139 = juris, Rn. 17, m. w. N; OVG NRW, Beschluss vom 30.10.2018‒ 4 A 151/17 ‒, juris, Rn. 13.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Ist ein Vertrauensschutz bereits gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG ausgeschlossen, so kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin grob fahrlässig im Sinne von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG gehandelt hat.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Ebenso wenig ist in diesem Zusammenhang von Belang, ob der Beklagten aufgrund der Bewilligung der Zuwendung trotz Vorlage einer nicht mehr gültigen Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr gegebenenfalls der Vorhalt eigener grober Fahrlässigkeit gemacht werden könnte. Eine Mitverantwortung der Behörde kann verlorenen Vertrauensschutz nicht wieder begründen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.5.1996 ‒ 3 C 13.94 ‒, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1 = juris, Rn. 50, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Auch im Übrigen sind Ermessensfehler der Beklagten nicht schlüssig dargelegt. Insbesondere handelt es sich bei einer fehlenden güterkraftverkehrsrechtlichen Erlaubnis nicht nur um eine marginale Unstimmigkeit, sondern um das Fehlen der Berechtigung zur Durchführung gewerblichen Gütertransportverkehrs im Sinne von §§ 1, 3 GüKG und damit der Berechtigung für die beantragte Zuwendung, die nach der Verwaltungspraxis der Beklagten der Bewilligung einer Zuwendung entgegensteht.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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125,211 | ovgnrw-2018-12-20-4-a-473318a | {
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} | 4 A 4733/18.A | 2018-12-20T00:00:00 | 2019-01-04T14:23:28 | 2019-02-12T11:31:53 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1220.4A4733.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 15.10.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die mit dem Zulassungsvorbringen geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.1.2016 – 4 A 2103/15.A –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.2.2017 – 4 A 685/14.A –, juris, Rn. 5 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">ob die Volksgruppe der Hazara in Pakistan verfolgt wird,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">führt nicht zur Berufungszulassung. Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht schlüssig dar.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mit dem Verweis auf andere zugunsten der jeweiligen Betroffenen entschiedene, angeblich gleichgelagerte Fälle, der Verneinung einer inländischen Fluchtalternative und dem Hinweis auf Tötungen, wofür der Kläger jeweils keine Belege liefert, erschüttert er nicht die auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand Mai 2016) gestützte Einschätzung des Verwaltungsgerichts, er könne insbesondere in der Anonymität pakistanischer Großstädte unbehelligt leben. Es besteht selbst unter Berücksichtigung des pauschalen Hinweises auf Tötungen kein ausreichender Anhalt dafür, dass einem nach Pakistan zurückkehrenden Volkszugehörigen der Hazara keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stünde. Insoweit benennt der Kläger bereits keine Erkenntnisquellen, aus denen sich eine generelle Gefährdung von Volkszugehörigen der Hazara in allen Landesteilen Pakistans ergeben könnte. Entsprechendes ist, entgegen dem Zulassungsvorbringen, nicht „gerichtsbekannt“. Es ist nicht Aufgabe des Senats, sondern obliegt aufgrund seiner Darlegungslast gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dem Kläger, diejenigen Informationen aufzufinden und konkret zu benennen, die aus seiner Sicht für die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Frage von Bedeutung sind. Dabei ist das beanstandete Alter der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnisquellen ohne Belang.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger einwendet, es müsse eine Auskunft des Auswärtigen Amtes zur Verfolgungssituation der Hazara eingeholt werden, bemängelt er eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht. Dies führt jedoch nicht auf einen Verfahrensmangel im Sinne der §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, 138 VwGO. Ein Aufklärungsmangel begründet grundsätzlich ‒ so auch hier ‒ weder einen Gehörsverstoß, noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinne von §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, 138 VwGO. Dies gilt auch insoweit, als der gerichtlichen Aufklärungspflicht verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.12.2016 ‒ 4 A 2203/15.A ‒, juris, Rn. 24 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Soweit er geltend macht, ein Verweis auf eine interne Schutzmöglichkeit in der Anonymität von Großstädten sei unzulässig, weil gerade auch dort Übergriffe Dritter drohten, wendet er sich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Diese ist dem sachlichen Recht zuzuordnen. Einwände hiergegen rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1.2.2010 ‒ 10 B 21.09 u. a. ‒, juris, Rn. 13, m. w. N., und vom 2.11.1995 ‒ 9 B 710.94 ‒, DVBl. 1996, 108 = juris, Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Schriftsatz vom 18.12.2018, der ohnehin nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingegangen ist und neues Vorbringen enthält, lässt keinen Zulassungsgrund erkennen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
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} | 6 A 2991/18 | 2018-12-20T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:36 | 2019-02-12T11:31:54 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1220.6A2991.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 35.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I. Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids der Bezirksregierung E.          vom 5. Januar 2017, mit dem seine Bewerbung unter Hinweis auf das Verbot der Sprungbeförderung als unzulässig zurückgewiesen wurde. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht auf seinen Beschluss vom 9. Mai 2017 - 2 L 249/17 - sowie den Beschluss des Senats vom 28. August 2017 - 6 B 638/17 - im parallelen Eilverfahren Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Es kann offen bleiben, ob der nicht näher begründeten Auffassung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil zu folgen ist, die Klage sei zulässig. Die Antragsbegründung zeigt jedenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme auf, der Kläger erfülle als Studienrat (A 13 BBesO) nicht die Anforderungen für die Besetzung der in der Zeit vom 11. November bis 22. Dezember 2016 auf der Internetseite <span style="text-decoration:underline">www.stella.nrw.de</span> des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW ausgeschriebenen (Beförderungs-)Stelle eines Studiendirektors (A 15 BBesO) als Fachleiter zur Koordinierung schulfachlicher Aufgaben am Berufskolleg West der Stadt F.     .</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die - vom Kläger erneut geforderte - Auslegung der Stellenausschreibung nach dem objektiven Empfängerhorizont potentieller Bewerber ergibt nach den vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Beschlüssen, dass nicht nur der Dienstposten, sondern das Beförderungsamt selbst Gegenstand der Ausschreibung und der Bewerberkreis auf Personen beschränkt war, die in das Statusamt eines Studiendirektors befördert werden konnten und sollten. Darauf wird Bezug genommen. Das Antragsvorbringen - die dort wiedergegebene, überwiegend bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren angeführte Rechtsprechung eingeschlossen - stellt diese Annahme und ihre Begründung nicht schlüssig in Frage.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Kläger legt im Zulassungsverfahren nicht dar, warum für die von ihm besonders betonte Auslegung nach dem Wortlaut ausgerechnet andere Stellenausschreibungen des beklagten Landes maßgeblich sein sollten. Diese geben keinen Aufschluss darüber, wie die streitgegenständliche Ausschreibung zu verstehen war. Dem objektiven potentiellen Bewerber, der sich dafür interessiert, sind abweichend formulierte Anforderungsprofile oder eine bestimmte Ausschreibungspraxis des beklagten Landes möglicherweise auch gar nicht bekannt. Aus dem mit der Antragsbegründung angeführten Umstand, dass bei anderen Stellen das Verbot der Sprungbeförderung Bewerbern der Besoldungsgruppe A 13 auf A 15-Stellen nicht entgegengehalten worden sei, sondern diese vielmehr ausdrücklich zur Bewerbung aufgefordert worden seien, kann der Kläger zu seinen Gunsten nichts ableiten. Selbst wenn es sich dabei - wie hier - um Beförderungsstellen gehandelt haben sollte, gebietet ein solches Vorgehen weder eine andere Auslegung der streitgegenständlichen Ausschreibung noch eine Gleichbehandlung (im Unrecht). Dies zugrunde gelegt, musste das Verwaltungsgericht auch die Besetzungspraxis nicht näher aufklären. Wie der Senat im oben angeführten Beschluss ausgeführt hat, ist schließlich unerheblich, dass in der streitgegenständlichen Ausschreibung das Verbot der Sprungbeförderung nicht ausdrücklich erwähnt wurde. Denn aus den übrigen Angaben war erkennbar, dass der Bewerberkreis auf Beamte beschränkt war, denen im Wege der Beförderung - gegebenenfalls nach einer Erprobungszeit - das Statusamt eines Studiendirektors (A 15 BBesO) übertragen werden konnte.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger pauschal auf den gesamten Sachvortrag im einstweiligen Rechtsschutz und im Klageverfahren erster Instanz Bezug nimmt, genügt dies nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">II. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe des Klägers begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern; der Ausgang des Rechtstreits muss als offen erscheinen. Dies ist ‑ wie oben ausgeführt ‑ nicht der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">III. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Was die Auslegung der streitgegenständlichen Ausschreibung angeht, formuliert der Kläger schon keine konkrete Rechtsfrage, hinsichtlich derer er im Übrigen weiter darlegen müsste, warum sie klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukommt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">An der erforderlichen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung fehlt es auch hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfrage, „ob und wann eine Sprungbeförderung vorliegt und ob die einschlägige Regelung des § 19 Abs. 4 LBG NRW mit dem Grundgesetz, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG, vereinbar ist.“ Dass die Beförderung eines Studienrats (Besoldungsgruppe A 13 BBesO) zum Studiendirektor (Besoldungsgruppe A 15 BBesO) gegen § 19 Abs. 4 LBG, § 7 Abs. 1 Satz 1 LVO NRW verstieße, ergibt sich im Übrigen unmittelbar aus dem Wortlaut dieser Vorschriften. Der Vortrag zur möglichen Besetzung eines Funktionsamts mit Beamten verschiedener Statusämter ist irrelevant, weil hier nach den obigen Ausführungen nicht nur ein Dienstposten, sondern auch das Beförderungsamt besetzt werden sollte. Ob das Verbot der Sprungbeförderung verfassungsgemäß ist, ist ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Der Dienstherr hat sich in Ausübung des ihm zukommenden Spielraums dafür entschieden, die streitbefangene Stelle als Beförderungsstelle auszuschreiben und nicht zu erkennen gegeben, auch A 13-Bewerber ansprechen zu wollen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 6 Satz 4 i. V. m. Satz 1 Nr. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
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} | 4 A 1031/17.A | 2018-12-20T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:36 | 2019-02-12T11:31:52 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1220.4A1031.17A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 23.3.2017 wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Teil eines Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2014 ‒ 4 C 35.13 ‒, NVwZ 2015, 656 = juris, Rn. 42; OVG NRW, Beschluss vom 21.1.2016 ‒ 4 A 787/15.A ‒, juris, Rn. 3 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit seiner Rüge, das Verwaltungsgericht habe seine Schilderungen in der mündlichen Verhandlung ignoriert, wonach sein Bruder von seinen religiösen Gegnern auch in Kaschmir, Lahore und Karachi aufgespürt worden sei, weswegen keine inländische Fluchtalternative bestehe, zeigt der Kläger eine Versagung rechtlichen Gehörs nicht auf.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den diesbezüglichen Vortrag im Tatbestand berücksichtigt, indem es auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen hat (Urteilsabdruck Seite 3, letzter Absatz). In den Entscheidungsgründen hat es diesen Vortrag der Sache nach gewürdigt und bezogen auf das Verfolgungsschicksal des Klägers als nicht entscheidungserheblich angesehen. Es hat hierzu ausgeführt, soweit seine Brüder in Pakistan sehr bekannt sein sollten, beträfe dies den Kläger nur mittelbar, weil er selbst durch seine Tätigkeit in der Gemeinde nicht in ganz Pakistan bekannt sei (Urteilsabdruck Seite 7, 2. Absatz).</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger mit der oben wiedergegebenen Rüge sinngemäß die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts beanstandet, zeigt er keinen Verfahrensfehler i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO auf. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist dem sachlichen Recht zuzuordnen und rechtfertigt von vornherein nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1.2.2010 ‒ 10 B 21.09 u. a. ‒, juris, Rn. 13, m. w. N., und vom 2.11.1995 ‒ 9 B 710.94 ‒, NVwZ-RR 1996, 359 = juris, Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
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} | 6 B 1716/18 | 2018-12-20T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:35 | 2019-02-12T11:31:52 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1220.6B1716.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der angefochtene Beschluss wird geändert.</p>
<p>Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache - 1 K 3850/18 (VG Aachen) - nicht verpflichtet ist, sich auf der Grundlage der Untersuchungsaufforderung des Antragsgegners vom 21. September 2018 einer polizei- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, soweit diese über die Erhebung einer Anamnese, eine allgemeine körperliche Untersuchung, ein Ruhe-EKG, ein Belastungs-EKG, eine Lungenfunktionsprüfung, einen Hörtest, eine Untersuchung der Sehschärfe, des Gesichtsfeldes, des Farbsinns, des räumlichen Sehens sowie eine allgemeine Blut- und Urinuntersuchung hinausgeht.</p>
<p>Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.</p>
<p>Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Antragstellerin zu ¾ und der Antragsgegner zu ¼.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat teilweise Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der von der Antragstellerin dargelegten Gründe befindet, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Antragstellerin vorläufig nicht verpflichtet ist, sich auf der Grundlage der Untersuchungsaufforderung des Antragsgegners vom 21. September 2018 einer polizeiärztlichen Untersuchung ihrer Polizeidienstfähigkeit und gegebenenfalls nachfolgend ihrer allgemeinen Dienstfähigkeit zu unterziehen. Die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die Untersuchungsanordnung sei in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin sei angehört worden; Schwerbehindertenvertretung, Gleichstellungsbeauftragte und Personalrat seien ordnungsgemäß beteiligt worden. Auch materiell-rechtlich begegne die auf § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW gestützte Untersuchungsanordnung keinen Bedenken. Aufgrund der seit dem 2. Oktober 2017 bestehenden und noch andauernden Dienstunfähigkeit der Antragstellerin lägen hinreichende Anhaltspunkte für ihre Polizeidienstunfähigkeit und allgemeine Dienstunfähigkeit vor. Auch Art und Umfang der polizeiärztlichen Untersuchung würden in der Untersuchungsanordnung hinreichend konkretisiert. Die Einholung einer fachärztlichen Zusatzbegutachtung auf dem Fachgebiet Psychiatrie werde von der Untersuchungsanordnung noch nicht umfasst, sondern solle erst nach gesonderter Aufforderung erfolgen; die Angabe des Fachgebiets sei eine bloße Information.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die mit der Beschwerde gegen diese näher begründeten Feststellungen des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwendungen greifen nur teilweise durch.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die streitgegenständliche Untersuchungsanordnung ist rechtsfehlerhaft, soweit - über die Erhebung einer Anamnese, eine allgemeine körperliche Untersuchung, ein Ruhe-EKG, ein Belastungs-EKG, eine Lungenfunktionsprüfung, einen Hörtest, eine Untersuchung der Sehschärfe, des Gesichtsfeldes, des Farbsinns, des räumlichen Sehens sowie eine allgemeine Blut- und Urinuntersuchung hinausgehend - eine fachärztliche Zusatzbegutachtung auf dem Fachgebiet „(möglicherweise) Psychiatrie“ angeordnet wird. In diesem Umfang sind entgegen den Annahmen des Verwaltungsgerichts die tatsächlichen Voraussetzungen sowohl eines Anordnungsgrundes als auch eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO; dazu a). Die mit der Beschwerde geltend gemachten Einwände gegen die auf die Untersuchungsanordnung im Übrigen bezogenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts greifen nicht durch (b). Der Senat konnte daher im Rahmen des ihm hinsichtlich des Inhalts der einstweiligen Anordnung zustehenden Ermessens die aus der Entscheidungsformel ersichtliche einstweilige Anordnung treffen (c).</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">a) Stützt der Dienstherr - wie hier - die Untersuchungsaufforderung (allein) auf die erhebliche Dauer der Fehlzeiten des Beamten und wählt damit den ihm vom Gesetzgeber eröffneten Weg über die vermutete Dienstunfähigkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, ist es grundsätzlich auch nicht zu beanstanden, wenn er eine amts- oder polizeiärztliche Untersuchung zur Erhebung des Krankheitsbildes und seiner möglichen Entwicklung anordnet, um eine Grundlage für die nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG erforderliche Prognose zu erhalten. Eine weitergehende Festlegung von Art und Umfang der Untersuchung ist regelmäßig weder rechtlich geboten noch möglich, da die Einzelheiten der Untersuchung von deren Verlauf und den dabei gewonnenen Erkenntnissen abhängig sind.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. ausführlich dazu OVG NRW, Beschluss vom 4. September 2018 - 6 B 1124/18 -, juris Rn. 7 ff., 19 ff., mit weiteren Nachweisen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen gilt, dass der Beamte sich allgemeinen körperlichen Untersuchungen, die etwa auch Inhalt einer gewöhnlichen hausärztlichen Vorsorgeuntersuchung sind, grundsätzlich unterziehen muss. In diesem Umfang bestehen insbesondere auch keine Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der angeordneten Untersuchungen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. November 2018 - 6 B 1662/18 -, juris Rn. 7, vom 27. März 2018 - 6 B 208/18 -, juris Rn. 21, und vom 22. Februar 2018 - 6 B 1464/17 -, juris Rn. 19 ff.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Art und Umfang der hier konkret angeordneten Untersuchungen bzw. Begutachtungen gehen indessen über eine solche, grundsätzlich zulässige allgemeine Untersuchung hinaus, nämlich soweit der Antragsgegner eine fachärztliche Zusatzbegutachtung auf dem Fachgebiet „(möglicherweise) Psychiatrie“ angeordnet hat.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erstreckt sich die streitgegenständliche Untersuchungsanordnung auch auf die Einholung der genannten fachärztlichen Zusatzbegutachtung. Das ergibt sich unter Berücksichtigung des sog. objektiven Empfängerhorizonts (Rechtsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB) aus den Formulierungen auf Seite 3 der Untersuchungsaufforderung, mit denen diese Untersuchung ausdrücklich mit aufgelistet wird. Nach dem dort verwendeten Satz „Art und Umfang der zur Begutachtung ihrer Polizeidienstfähigkeit vorzunehmenden Untersuchungen umfasst: ...“ werden verschiedene der formularmäßig vorgegebenen Untersuchungsmöglichkeiten durch Ankreuzen gekennzeichnet. Ebenso ist die Zeile „eine fachärztliche Zusatzbegutachtung auf dem Fachgebiet: ...“ angekreuzt. In der nachfolgenden, eigens für die „konkrete Benennung“ der Zusatzbegutachtung freigehaltenen Zeile findet sich der Eintrag „- (möglicherweise) Psychiatrie -“.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der in Klammern gesetzte Zusatz „möglicherweise“ hat nicht zur Folge, dass die Zusatzbegutachtung als von der streitgegenständlichen Untersuchungsaufforderung noch nicht umfasst anzusehen wäre. Vielmehr bringt der Antragsgegner damit zum Ausdruck, dass er - unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit - die Durchführung einer solchen Untersuchung bereits in seinen Willen aufgenommen bzw. angeordnet hat.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2018 - 6 B 1087/18 -, juris Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Ebenfalls nichts anderes folgt daraus, dass unmittelbar anschließend an die konkret aufgelisteten Untersuchungen weiter ausgeführt wird: „Im Falle von spezifischen Erkrankungen oder unklaren Befunden/Symptomen können Ergänzungen um spezielle Laboruntersuchungen, technische Untersuchungen oder Zusatzgutachten von Fachärztinnen/Fachärzten erforderlich werden. Hierzu werden Sie jedoch gesondert aufgefordert.“ Denn es ist aus Empfängersicht nicht anzunehmen, dass sich dieser Hinweis auf eine gesonderte Aufforderung - der zugleich aussagt, dass entsprechende Untersuchungen von der aktuellen Anordnung noch nicht erfasst sind - auf die streitgegenständliche fachärztliche Zusatzbegutachtung bezieht. Diese wurde nämlich zuvor durch Ankreuzen sowie durch die konkrete Angabe des Fachgebiets ausdrücklich - neben verschiedenen weiteren Untersuchungen - angeordnet, ohne dass unmittelbar dazu eine Einschränkung oder sonstiger Vorbehalt einer separaten Untersuchungsaufforderung angemerkt worden wäre. Der nachfolgende allgemeine Hinweis auf „gesonderte Aufforderungen“ im Falle von Zusatzbegutachtungen kann daher aus objektiver Empfängersicht nur so verstanden werden, dass er nur darüber hinausgehende, weitere Untersuchungen und Begutachtungen betrifft, deren Erforderlichkeit sich möglicherweise erst im Verlauf der angeordneten Untersuchung ergibt.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Soweit der Antragsgegner in seiner erstinstanzlichen Antragserwiderung vom 8. November 2018 ausgeführt hat, die Angabe der fachärztlichen Zusatzbegutachtung auf dem Fachgebiet „(möglicherweise) Psychiatrie“ habe lediglich der Information der Antragstellerin gedient, kommt das in der Untersuchungsanordnung unzureichend zum Ausdruck. Diese Sichtweise findet sich - wie eben dargestellt - nicht in den insoweit in erster Linie maßgeblichen Formulierungen der Anordnung wieder.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die danach auch die konkrete fachärztliche Zusatzbegutachtung umfassende Untersuchungsaufforderung wird indessen den oben aufgezeigten Anforderungen an die Rechtmäßigkeit nicht gerecht. Der Antragsgegner stützt seine Zweifel - wie bereits dargestellt in grundsätzlich zulässiger Weise - allein auf die umfangreichen Fehlzeiten der Antragstellerin, ohne nähere Erkenntnisse über die Art der Erkrankung oder sonstige Ursachen für seine Zweifel an der Dienstfähigkeit zu benennen. Er verweist lediglich ohne nähere Konkretisierung darauf, die Antragstellerin leide nach eigenen Angaben „aktuell an zwei Erkrankungen“. Macht der Dienstherr aber neben den Fehlzeiten keine konkreten Angaben zum Untersuchungsanlass, fehlt es für die Anordnung solcher spezifischer fachärztlicher Zusatzgutachten an einer hinreichenden Grundlage bzw. konkret begründeten Zweifeln an der Dienstfähigkeit, die gerade die Anordnung dieser Untersuchungen als erforderlich erscheinen lassen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 11. April 2018 - 6 B 1628/18 -, juris Rn. 27.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Angesichts der angeordneten psychiatrischen Zusatzuntersuchung, die mit einer besonderen Eingriffsintensität verbunden ist,</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2018 - 6 B 1113/18 -, juris Rn. 27 f., mit weiteren Nachweisen,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">gilt dies hier in gesteigertem Maße.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">b) Die gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Untersuchungsaufforderung im Übrigen dargelegten Gründe greifen hingegen nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">(1) Ohne Erfolg wendet die Beschwerde ein, die Untersuchungsanordnung sei formell rechtswidrig, weil die Beteiligung der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen und der Gleichstellungsbeauftragten aus den Verwaltungsvorgängen nicht ersichtlich sei. Das Verwaltungsgericht hat dazu zutreffend darauf hingewiesen, dass diese ausweislich des Schreibens vom 23. Juli 2018 (Blatt 12 f. der Verwaltungsvorgänge, Beiakte Heft 5) über die beabsichtigte Begutachtung der Polizeidienstfähigkeit und der allgemeinen Dienstfähigkeit der Antragstellerin informiert worden seien. Anhaltspunkte dafür, dass dieses Schreiben die Schwerbehindertenvertretung oder die Gleichstellungsbeauftragte nicht erreicht haben könnte, sind weder erkennbar noch werden sie mit der Beschwerde vorgetragen. Entsprechende Anhaltspunkte lassen sich entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht daraus herleiten, dass sich in den Verwaltungsvorgängen lediglich die Verfügung der Übersendung des betreffenden Schreibens befindet, das Beteiligungsschreiben selbst (jeweils per Mail an die Schwerbehindertenvertretung und die Gleichstellungsbeauftragte) aber weder nochmals eigens ausgedruckt noch in der Akte abgeheftet wurde. Dass dies den Anforderungen des § 18 Abs. 2 Satz 6 LGG NRW nicht genügen würde, macht die Beschwerde schon nicht geltend. Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, welche Maßnahmen diese Vorschrift erfasst.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Auch der Umstand, dass sich keine Antwortschreiben der Schwerbehindertenvertretung und der Gleichstellungsbeauftragten in den Verwaltungsvorgängen befinden, ist für sich gesehen unbedenklich. Denn § 18 Abs. 1 Satz 1 LGG NRW und § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sehen lediglich eine Unterrichtung und Anhörung durch den Dienstherrn, nicht aber eine Rückmeldung vor.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss 6. September 2018 - 6 B 962/18 -, juris Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">(2) In materiell-rechtlicher Hinsicht trifft es auf keine Bedenken, dass der Dienstherr hier - wie oben festgestellt - die Untersuchungsaufforderung allein auf die erhebliche Dauer der Fehlzeiten der Antragstellerin gestützt und damit den ihm vom Gesetzgeber eröffneten Weg über die vermutete Dienstfähigkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gewählt hat. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist die Vermutensregel auf Polizeivollzugsbeamte anwendbar. Der Dienstherr kann auch gegenüber Polizeivollzugsbeamten Zweifel an der Dienstfähigkeit auf die Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG stützen. Der Umstand, dass sich die Voraussetzungen für die Annahme der Polizeidienstunfähigkeit nach § 115 Abs. 1, 1. Halbsatz LBG NRW von denen der allgemeinen Dienstunfähigkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, § 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW unterscheiden, führt daran nicht vorbei. Denn diese Vorgaben betreffen lediglich die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit bzw. allgemeinen Dienstunfähigkeit. Zweifel an der Polizeidienstfähigkeit sind hingegen - ebenso wie an der allgemeinen Dienstfähigkeit - regelmäßig bereits dann begründet, wenn der Polizeivollzugsbeamte über einen längeren Zeitraum, insbesondere in dem in § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW festgelegten Umfang (d.h. drei Monate innerhalb von sechs Monaten) oder sogar noch darüber hinaus dienstunfähig erkrankt ist. Versieht ein Polizeivollzugsbeamter über einen solchen erheblichen Zeitraum krankheitsbedingt keinen Dienst, liegt es nahe, dass dies (auch) auf einer Erkrankung beruhen kann, die die Polizeidienstunfähigkeit und die allgemeine Dienstunfähigkeit begründet.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. September 2018 - 6 B 860/18 -, juris Rn. 12 f., vom 23. Juli 2018 - 6 B 563/18 -, juris Rn. 5, und vom 27. März 2018 - 6 B 208/18 -, a. a. O., Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Demnach sind im Streitfall Zweifel sowohl an der Polizeidienstfähigkeit als auch an der allgemeinen Dienstfähigkeit der Antragstellerin gegeben, weil diese seit dem 2. Oktober 2017 und damit im Zeitpunkt der Untersuchungsaufforderung seit nahezu einem Jahr ununterbrochen dienstunfähig erkrankt war. Dies gilt insbesondere, weil die Antragstellerin dienstunfähig erkrankt ist, obwohl ihr wegen gesundheitlicher Einschränkungen bereits seit dem Jahr 2011 die Dienstausübung teilweise in Heimarbeit ermöglicht worden war. Daher ist hier auch nicht anzunehmen, dass die Antragstellerin nur deswegen krankheitsbedingte Fehlzeiten aufweist, weil sie den erhöhten Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes nicht gewachsen ist. Vielmehr führen diese Fehlzeiten darüber hinaus auch auf Zweifel an der allgemeinen Dienstunfähigkeit.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. März 2018 ‑ 6 B 208/18 -, a. a. O., Rn. 15, und vom 22. Februar 2018 - 6 B 1464/17 -, a. a. O., Rn. 10.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Aus dem von der Antragstellerin angeführten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2014 - 2 B 80.13 - lässt sich nichts Abweichendes herleiten. Die Beschwerde meint, dass danach längere Krankheitszeiten nicht automatisch Zweifel an der Dienstfähigkeit bedingten; es müsse darüber hinaus noch dargelegt werden, weshalb die längeren Krankheitszeiten Zweifel an der Dienstfähigkeit begründeten. Der zitierte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts betrifft - anders als die Beschwerde offenbar meint - eine abweichende Fallkonstellation. Darin hatte der Dienstherr die Untersuchungsanordnung nicht auf Fehlzeiten in dem in § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW festgelegten Umfang gestützt.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Der vom Antragsgegner gewählte Weg über die Vermutensregel des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG ist ferner nicht deswegen zu beanstanden, weil er - wie die Beschwerde einwendet - aufgrund der Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht umfassende Informationen über das Krankheitsbild der Antragstellerin hätte einholen und die Untersuchungsanordnung sachgerecht hätte begrenzen können. Vielmehr ist dem Dienstherrn auch dann der Weg über die sog. Vermutensregel nicht verschlossen, wenn er über die reinen Fehlzeiten hinausgehende Erkenntnisse über die Erkrankung(en) hatte oder hätte gewinnen können. Denn der Dienstherr hat in Fällen erheblicher Ausfallzeiten ein berechtigtes Interesse daran - unabhängig von möglicherweise bekannten bzw. durch Privatärzte bereits diagnostizierten Erkrankungen - auch die näheren Umstände in Bezug auf den allgemeinen bzw. sonstigen Gesundheitszustand des Beamten oder das Vorliegen weiterer Erkrankungen aufzuklären<em>.</em> In solchen Fallkonstellationen griffe es vielmehr zu kurz, wenn die Untersuchung grundsätzlich nur auf bekannte oder bereits privatärztlich diagnostizierten Erkrankungen gestützt werden könnte bzw. nur unter ausdrücklicher Benennung dieser Erkrankungen erfolgen dürfte.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2018 - 6 B 1087/18 -, juris Rn. 10.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Ein solches Vorgehen ist auch nicht unverhältnismäßig. Auch die vorhandene oder ‑ durch Befragung der behandelnden Privatärzte - ohne Weiteres ermittelbare Kenntnis möglicher Ursachen der Fehlzeiten beseitigt das berechtigte Interesse des Dienstherrn an einer weiteren und umfassenden Klärung des Gesundheitszustandes des Beamten durch zudem mit den Anforderungen der Dienstausübung vertraute Amtsärzte nicht. Sind Untersuchungsanlass gerade langdauernde Fehlzeiten, ist es nicht fernliegend, dass neben den bekannten Erkrankungen auch noch weitere gesundheitliche Einschränkungen vorliegen. Welche der bekannten - oder aufgrund der Entbindung der behandelnden Privatärzte von der ärztlichen Schweigepflicht ermittelbaren - Erkrankungen den Fehlzeiten zugrunde liegen, wird dem Dienstherrn ohnehin ohne Heranziehung amts- oder polizeiärztlichen Sachverstandes allenfalls eingeschränkt möglich sein. Deren - polizei- bzw. amtsärztlicher - Ermittlung und Feststellung bedarf es im Übrigen nicht zuletzt auch mit Blick auf die Suche nach einer weiteren Verwendungsmöglichkeit für den Beamten, zu der der Dienstherr im Fall der Dienstunfähigkeit grundsätzlich verpflichtet ist.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2018 - 6 B 1113/18 -, a. a. O., Rn. 19.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Ein entsprechendes Aufklärungsinteresse folgt hier auch daraus, dass bei der Antragstellerin ausweislich der dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgänge schon ab dem Jahr 2011 krankheitsbedingte Einschränkungen vorlagen und der Antragsgegner diese bereits bei der weiteren Verwendung - teilweiser Einsatz in Heimarbeit - berücksichtigt hat. Gleichwohl ist die Antragstellerin seit dem 2. Oktober 2017 wieder dienstunfähig erkrankt.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">(c) Im Hinblick auf den Inhalt der einstweiligen Anordnung kommt dem Gericht ein Ermessensspielraum zu (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO). Es kann hinter dem Antrag zurück bleiben und u.U. auch eine geeignete andere Regelung treffen. Der Senat hat in Ausübung dieses Ermessens die von der Antragstellerin begehrte vorläufige Feststellung nur im Hinblick auf die Durchführung von Untersuchungen bzw. die Einholung von ärztlichen Fachgutachten getroffen, die über die im Tenor benannten Untersuchungen hinausgehen. Nur insoweit ist die Untersuchungsanordnung als rechtlich fehlerhaft anzusehen. Angesichts der in der Anordnung vorgenommenen Gliederung der einzelnen Untersuchungen Anordnung (genaue Auflistung der einzelnen Untersuchungen und Anordnung von fachärztlichen Zusatzbegutachtungen) ist die getroffene Differenzierung möglich und sachgerecht. Sie drängt sich angesichts der Abtrennbarkeit der letztgenannten fachärztlichen Begutachtungen sowie des auf der Hand liegenden Bedürfnisses einer polizeiamtsärztlichen Untersuchung nach etwa einjähriger Dienstunfähigkeit geradezu auf.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und  2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
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116,764 | ovgnrw-2018-12-20-6-b-168118 | {
"id": 823,
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"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 B 1681/18 | 2018-12-20T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:35 | 2019-02-12T11:31:52 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1220.6B1681.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.</p>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner antragsgemäß im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller vorläufig zur Einführungszeit für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes, beginnend ab dem 2. Januar 2019, zuzulassen, solange er, der Antragsgegner, über die diesbezügliche Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nicht erneut entschieden hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller habe sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dem Antragsteller, der die Prüfung für den gehobenen Justizdienst bestanden habe und damit die Voraussetzung des § 2 Nr. 1 der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes des Landes Nordrhein-Westfalen (APOAA) erfülle, dürfe die Zulassung zur Einführungszeit für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes nicht deshalb versagt werden, weil er auch die zweite juristische Staatsprüfung bestanden habe. Die in § 1 Abs. 2 und § 1 Abs. 1 i. V. m. § 2 f. APOAA vorgesehenen Zugangsmöglichkeiten zur Amtsanwaltslaufbahn bestünden nebeneinander. Der Wortlaut des § 1 Abs. 2 APOAA gebe nichts dafür her, dass die dort geregelte „ausnahmsweise Direktzulassung“ für Volljuristen die ausschließliche Zugangsmöglichkeit sei. Dies sei auch nicht mit teleologischen Erwägungen zu rechtfertigen. Allein aus dem Fehlen von Vorschriften über eine etwaige (Teil-) Anerkennung während des juristischen Vorbereitungsdienstes erworbener Kenntnisse im Rahmen der Einführungszeit für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienst lasse sich nicht schließen, dass der Verordnungsgeber Volljuristen, die auch die Prüfung für den gehobenen Justizdienst bestanden hätten, den Zugang zur Einführungszeit gänzlich habe verwehren wollen. Der Hinweis des Antragsgegners auf § 9 Abs. 1 AGGVG BW habe für die hier in Rede stehende nordrhein-westfälische Norm keine Relevanz. Der Verfassungsrang des durch Art. 33 Abs. 2 GG garantierten Anspruchs auf Zugang zu öffentlichen Ämtern verbiete es, den Zugang zur Amtsanwaltslaufbahn von Kostengesichtspunkten - wie etwa der Ersparnis von Aufwendungen für die Durchführung einer Einführungszeit gemäß §§ 6 ff. APOAA für Volljuristen - abhängig zu machen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die vom Antragsgegner hiergegen mit der Beschwerdebegründung erhobenen Einwände (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO) verlangen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Der auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtete Antrag ist unbegründet. Der Antragsteller hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Er kann keine erneute Bescheidung seines Antrags auf Zulassung zur Einführungszeit für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes zum 2. Januar 2019 beanspruchen. Die durch Bescheid des Antragsgegners vom 29. August 2018 erfolgte Ablehnung der beantragten Zulassung ist rechtmäßig. Zu Recht hält der Antragsgegner dem Antragsteller entgegen, dass ihm, weil er Volljurist ist, ein Anspruch auf Zulassung zur Einführungszeit nicht zusteht.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 2 APOAA kann ein Beamter zur Einführungszeit zugelassen werden, der die Prüfung für den gehobenen Justizdienst bestanden hat (1.), nach der Persönlichkeit und den bisherigen Leistungen für den Amtsanwaltsdienst besonders geeignet erscheint (2.), das 45. Lebensjahr, als schwerbehinderter Mensch oder als gleichgestellter behinderter Mensch (§ 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch IX) das 48. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (3.) und in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt (4.). Die Befähigung für den Amtsanwaltsdienst besitzt, wer eine Einführungszeit abgeleistet und die Prüfung für den Amtsanwaltsdienst bestanden hat (§ 1 Abs. 1 APOAA). Mit Erfolg geprüfte Beamte sind möglichst im Amtsanwaltsdienst zu verwenden. Sie führen während der Zeit, in denen sie als Amtsanwälte tätig, aber noch nicht zum Amtsanwalt ernannt worden sind, die Dienstbezeichnung „beauftragter Amtsanwalt“, sonst die bisherige Amts- und Dienstbezeichnung (§ 29 Abs. 1 APOAA). Die Ernennung zum Amtsanwalt soll regelmäßig erst erfolgen, wenn der Beamte nach Beendigung der Einführungszeit mindestens ein Jahr als beauftragter Amtsanwalt selbstständig tätig gewesen ist (§ 29 Abs. 2 APOAA). Neben dem auf diese Weise eröffneten Zugang zur Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes sieht § 1 Abs. 2 APOAA für Volljuristen die Möglichkeit des direkten Zugangs zu dieser Laufbahn vor. Nach dieser Vorschrift kann zum Amtsanwalt ausnahmsweise auch ernannt werden, wer die zweite juristische Staatsprüfung bestanden hat.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Bereits nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 APOAA liegt es nahe, dass die zum einen in § 29 i. V. m. § 1 Abs. 2 und § 2 APOAA und zum anderen in § 1 Abs. 2 APOAA vorgesehenen Möglichkeiten des Zugangs zur Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes einander ausschließen mit der Folge, dass ein Volljurist ausschließlich beanspruchen kann, im Wege des direkten Zugangs nach § 1 Abs. 2 APOAA zugelassen zu werden.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Mai 2017</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">- 13 K 7850/13 -, juris Rn. 39.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Dieser Zugangsmöglichkeit liegt ausweislich der Überschrift des § 1 APOAA („Erwerb der Befähigung“) offensichtlich die Erwägung zugrunde, dass Bewerber, die das zweite juristische Staatsexamen bestanden haben, bereits mit dem Studium der Rechtswissenschaft und der anschließenden Referendarausbildung auch die Befähigung für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes erworben haben. Sie sollen die Einführungszeit nicht mehr ableisten müssen, weil sie über die dort zu gewinnenden Fähigkeiten und Kenntnisse schon verfügen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Mai 2017</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">- 13 K 7850/13 -, a. a. O.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die dem Rechnung tragende zweckorientierte Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass ein Volljurist allein beanspruchen kann, im Wege des direkten Zugangs gemäß § 1 Abs. 2 APOAA zur Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes zugelassen zu werden. Ein Anspruch auf Zulassung zur Einführungszeit nach § 2 APOAA mit der Folge der Zugangsmöglichkeit nach § 29 APOAA besteht daneben nicht. Dies gilt entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch dann, wenn diese von einem Beamten angestrebt wird, der, wie der Antragsteller, sowohl die Prüfung für den gehobenen Justizdienst als auch das zweite juristische Staatsexamen bestanden hat. Ansonsten würde ein solcher Beamter auf Kosten des Landeshaushalts bei voller Besoldung die fünfzehn Monate dauernde Einführungszeit als Studierender an der Fachhochschule für Rechtspflege durchlaufen (vgl. §§ 4 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 1 APOAA), obwohl dies nach der (nachvollziehbaren) Einschätzung des Verordnungsgebers für einen Volljuristen in Anbetracht der mit dem rechtswissenschaftlichen Studium und der anschließenden Referendarausbildung bereits erworbenen Befähigung für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes unnötig ist.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Mai 2017 - 13 K 7850/13 -, juris Rn. 39.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dafür, dass es der Intention des Verordnungsgebers entspricht, einem Volljuristen ausschließlich den Weg des direkten Zugangs zur Laufbahn für den Amtsanwaltsdienst zu eröffnen, spricht im Übrigen auch der Umstand, dass die APOAA - anders als etwa § 7 Abs. 4 der Rechtspflegerausbildungsordnung - keine Bestimmung enthält, wonach ein mit Erfolg absolviertes Studium der Rechtswissenschaft bzw. eine Referendarausbildung in einem bestimmten zeitlichen Umfang auf die Einführungszeit angerechnet werden kann. Zwischen den im Rahmen des Studiums der Rechtswissenschaft und der Referendarzeit vermittelten Ausbildungsinhalten und den Ausbildungsinhalten, die Gegenstand der Einführungszeit für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes sind, bestehen Überschneidungen. Es drängt sich daher auf, dass der Verordnungsgeber, wenn er auch einem Volljuristen den Zugang zu dieser Einführungszeit hätte eröffnen wollen, eine Regelung zur Anrechnung der Studien- bzw. Referendarzeiten in die APOAA aufgenommen hätte.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten zwischen den Beteiligten weist der Senat auf Folgendes hin:</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Liegt dem oben gefundenen Ergebnis im Wesentlichen die teleologische Erwägung zugrunde, dass der Antragsteller die Zulassung zur Einführungszeit für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes nicht beanspruchen kann, weil anzunehmen ist, dass er die auf diesem Wege zu erwerbende Befähigung für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes aufgrund der bestandenen zweiten juristischen Staatsprüfung bereits besitzt, darf er nicht gleichzeitig allein deshalb vom Zugang zum Amtsanwaltsdienst ausgeschlossen werden. Diese Konsequenz wäre offensichtlich mit Art. 12 Abs. 1 sowie Art. 33 Abs. 2 GG unvereinbar, der ein allgemeines Recht für alle Deutschen auf chancengleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung enthält.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Wie das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 5. Mai 2017 - 13 K 7850/13 -, a. a. O., Rn. 41 ff., ebenfalls bereits zu Recht ausgeführt hat, ist der Antragsteller, der seit Jahren als Justizoberinspektor im Dienst des Antragsgegners steht und als Rechtspfleger verwendet wird, vielmehr als Ausnahmefall im Sinne des § 1 Abs. 2 APOAA zu behandeln, für den eine Abweichung von der für Volljuristen ansonsten geltenden Verwaltungspraxis gerechtfertigt und geboten ist. Die für den regelmäßig praktizierten Ausschluss von Volljuristen vom Amtsanwaltsdienst herangezogenen Sachgründe sind in der bei ihm vorliegenden besonderen Konstellation nicht in gleicher Weise tragfähig. Soweit die Bezirksvertrauensperson der nichtrichterlichen schwerbehinderten Menschen in ihrer Stellungnahme vom 27. August 2018 ausgeführt hat, durch die Zulassung eines Volljuristen würde den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern die Aufstiegsmöglichkeit genommen, ist das vor dem Hintergrund der Umstände des konkreten Falls weder verständlich noch haltbar. Denn damit wird der Antragsteller, der aktuell als Rechtspfleger tätig ist und für den die Tätigkeit im Amtsanwaltsdienst demnach ebenfalls einen beruflichen Aufstieg darstellte, allein aufgrund seiner (bereits vorhandenen) Qualifikation von diesem ausgeschlossen und somit gegenüber den übrigen Beamten ungerechtfertigt diskriminiert.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die mithin aufgrund eines entsprechenden Antrags des Antragstellers über seine direkte Zulassung zum Amtsanwaltsdienst zu treffende Ermessensentscheidung ist entgegen der im Vermerk vom 24. August 2018 niedergelegten Annahme auch nicht bzw. jedenfalls nicht im ablehnenden Sinne intendiert. Ebenso wenig kann einem auf § 1 Abs. 2 APOAA gestützten Zulassungsbegehren des Antragstellers entgegengehalten werden, dass, wie im Bescheid vom 29. August 2018 (vgl. Nr. 2) ausgeführt, die Stellen im Amtsanwaltsdienst für diejenigen frei gehalten werden müssen, die die Einführungszeit erfolgreich absolvieren; dies liefe wiederum auf die unvertretbare Konsequenz hinaus, dass dem Antragsteller (nur) deshalb der Zugang zum Amtsanwaltsdienst versperrt würde, weil davon auszugehen ist, dass er über die dafür erforderlichen, in der Einführungszeit zu gewinnenden Fähigkeiten und Kenntnisse bereits verfügt. Andererseits kann der Antragsteller jedoch - wie allerdings mit Schreiben vom 9. November 2017 noch geltend gemacht - auch nicht beanspruchen, dass für ihn eine weitere Stelle geschaffen wird. Vielmehr ist über die Vergabe der Stellen im Amtsanwaltsdienst, wenn und soweit sie zur Verfügung stehen, gemäß Art. 33 Abs. 2 GG zu entscheiden, im Falle einer Konkurrenz mehrerer Bewerber also nach den Grundsätzen der Bestenauslese. Dies dürfte bereits die der Ernennung vorausgehende Entscheidung über die Verwendung im Amtsanwaltsdienst (§ 29 Abs. 1 APOAA) betreffen, weil es sich dabei um eine Dienstpostenbesetzung handeln dürfte, mit der die Auswahl für die Ämtervergabe vorweggenommen bzw. vorbestimmt wird (§ 29 Abs. 2 APOAA).</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 ‑ 2 A 3.13 -, BVerwGE 151, 14 = juris Rn. 15 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Berücksichtigen kann der Antragsgegner bei der zu treffenden Ermessensentscheidungen hingegen, ob der Antragsteller - neben derjenigen nach § 2 Nr. 1 APOAA - die übrigen Zugangsvoraussetzungen für die Einführungszeit gemäß § 2 APOAA erfüllt, namentlich, ob er im Sinne von § 2 Nr. 2 APOAA nach der Persönlichkeit und den bisherigen Leistungen für den Amtsanwaltsdienst besonders geeignet erscheint. Denn der Umstand, dass der Antragsteller über das zweite juristische Staatsexamen verfügt, lässt lediglich den Erwerb der für den Amtsanwaltsdienst erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in der Einführungszeit entbehrlich werden, ersetzt aber nicht die sonstigen Zugangsvoraussetzungen. Bei der wertenden Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzung nach § 2 Nr. 2 APOAA werden, wie das VG Köln im Beschluss 19. Dezember 2016 - 19 L 2569/16 -, juris Rn. 20, ausgeführt hat, die Feststellungen in seinen dienstlichen Beurteilungen nicht vollständig außer Betracht bleiben können.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
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116,763 | ovgnrw-2018-12-20-4-e-78718 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
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"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 4 E 787/18 | 2018-12-20T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:34 | 2019-02-12T11:31:52 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1220.4E787.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde gegen den den Antrag auf Beiladung zum erstinstanzlichen Verfahren ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 25.7.2018 wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses die Beiladung der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin ist nicht notwendig beizuladen (dazu unten 1.) Zwar liegen die Voraussetzungen einer einfachen Beiladung vor (dazu unten 2.). Der Senat übt das ihm bei der Entscheidung über die Beiladung eingeräumte Ermessen aber dahingehend aus, dass er diese ablehnt (dazu unten 3).</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">1. Wenn an einem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, sind sie notwendig beizuladen (§ 65 Abs. 2 VwGO). Ein solcher Fall liegt nicht vor. Die Klägerin begehrt im vorliegenden Klageverfahren die Aufhebung des Bescheides, mit dem die Beklagte die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis versagt hat, sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung ihres Erlaubnisantrags. An diesem Rechtsverhältnis ist die Beschwerdeführerin als Eigentümerin und Vermieterin der Räumlichkeiten, in denen die Klägerin die Spielhalle betreibt, nicht beteiligt. Durch die behördliche Versagungsverfügung selbst wird das Mietverhältnis nicht berührt. Die Versagungsverfügung greift nicht unmittelbar und zwangsläufig in die Rechte der Beschwerdeführerin ein. Dass Eigentümer und Vermieter gegebenenfalls geltend machen können, durch den angefochtenen Verwaltungsakt ebenfalls in ihren Rechten verletzt zu sein, begründet noch nicht die Notwendigkeit einer einheitlichen gerichtlichen Entscheidung.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4.3.1988 – 4 B 36.88 –, NVwZ 1988, 730 = juris, Rn. 11, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">2. Die Voraussetzungen für die Möglichkeit einer einfachen Beiladung liegen vor. Nach § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht einen Dritten beiladen, wenn dessen rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden. Ein rechtliches Interesse besteht, wenn der Dritte in einer solchen Beziehung zu einem Hauptbeteiligten des Verfahrens oder zu dem Streitgegenstand steht, dass das Unterliegen eines der Hauptbeteiligten seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern könnte. Unerheblich ist, ob die Rechtsposition, auf die die Entscheidung einwirken kann, durch öffentliches oder bürgerliches Recht begründet wird.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.9.1981 – 8 C 1.81 u. a. –, BVerwGE 64, 67 = juris, Rn. 10.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Ein Unterliegen der Klägerin in diesem Rechtsstreit hätte – sofern sich der Rechtsstreit nicht faktisch erledigt hätte, vgl. dazu unter 3. – die Rechtsposition der Beschwerdeführerin als Vermieterin der Spielhalle verschlechtern können. Zwar berührt – wie oben ausgeführt – die Versagungsverfügung nicht unmittelbar den Bestand des Mietverhältnisses. Es erscheint aber jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Umstand, dass die Klägerin das vermietete Objekt nicht mehr in der vertraglich vereinbarten Weise nutzen kann, die Klägerin zur Abgabe von Erklärungen berechtigt, die Ausfluss auf den Bestand oder die Ausgestaltung des Mietverhältnisses haben (z. B. Kündigung, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Minderung des Mietzinses).</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">3. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 VwGO vor, trifft das Beschwerdegericht die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiladung nach eigenem Ermessen, ohne auf die Nachprüfung des Ermessens der Vorinstanz beschränkt zu sein.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.8.2016 – 4 E 409/16 –, juris, Rn. 6 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Senat sieht von einer Beiladung der Beschwerdeführerin ab, weil diese nicht prozessökonomisch ist. Der streitgegenständliche Bescheid ist inzwischen faktisch überholt, weil die Beklagte nach Durchführung eines Auswahlverfahrens zwischen der Spielhalle der Klägerin und einer anderen Spielhalle die Erteilung einer Erlaubnis an die Klägerin erneut mit Bescheid vom 22.12.2017 versagt hat. Die von der Klägerin im vorliegenden Verfahren allein begehrte Neubescheidung ihres Antrags ist damit bereits erfolgt. Der auf die Neubescheidung hin ergangene Bescheid ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 152 VwGO unanfechtbar.</p>
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188,438 | bverwg-2018-12-19-3-b-3918 | {
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"level_of_appeal": "Bundesgericht"
} | 3 B 39/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:04 | 2019-02-11T11:03:04 | Beschluss | ECLI:DE:BVerwG:2018:191218B3B39.18.0 | <h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob auch in Portionspackungen abgefüllter Honig eine Herkunftskennzeichnung enthalten muss.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Klägerin, ein in Deutschland ansässiges Unternehmen im Bereich der Herstellung und Abfüllung von Honig, vertreibt unter dem Namen "Breitsamer Imkergold" ein Produkt, das 120 Portionspackungen mit jeweils 20 g abgefülltem Honig in Form von mit einem verschweißten Aluminiumdeckel verschlossenen Portionsbechern in einem Sammelkarton enthält. Der Karton weist neben anderen Angaben zur Lebensmittelkennzeichnung auch die Bezeichnung des Ursprungslands des Honigs auf; diese Angabe findet sich auf den einzelnen Portionspackungen nicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Beklagte sah hierin einen Verstoß gegen die einem Lebensmittelunternehmer obliegenden Etikettierungspflichten und erließ im Oktober 2012 einen Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften der Honigverordnung. Die Klägerin wandte sich gegen das Bußgeld und erhob eine verwaltungsgerichtliche Klage, mit dem Antrag, festzustellen, dass es nicht gegen ihre Kennzeichnungspflichten verstoße, wenn sie mehrere, nicht zum Einzelverkauf bestimmte Portionspackungen ohne Angabe des Ursprungslands in einer ordnungsgemäß gekennzeichneten Fertigpackung in den Verkehr bringe. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Auf die von der Klägerin eingelegte Berufung setzte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union verschiedene Fragen zur Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts vor, die dieser durch Urteil vom 22. September 2016 - C-113/15 - beantwortete. Danach ist Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2000/13/EG dahin auszulegen, dass jede der Honig-Portionspackungen, die die Form eines mit einem versiegelten Aluminiumdeckel verschlossenen Portionsbechers aufweisen und in Sammelkartons abgepackt sind, die an Gemeinschaftseinrichtungen abgegeben werden, ein "vorverpacktes" Lebensmittel ist, wenn diese Gemeinschaftseinrichtungen diese Portionen einzeln verkaufen oder sie in fertig zusammengestellten Gerichten, die pauschal bezahlt werden, an den Endverbraucher abgeben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>Im fortgeführten Berufungsverfahren stellte die Klägerin klar, nachdem das Bußgeldverfahren eingestellt worden sei, gehe es ihr nur noch um die Feststellung der künftigen Rechtslage. Mit Urteil vom 3. Mai 2018 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Für die Beurteilung der Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt könne zwar auf die zwischenzeitlich außer Kraft getretene Richtlinie 2000/13/EG nicht mehr abgestellt werden. Zur Auslegung der nunmehr maßgeblichen Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (ABl. L 304, S. 18) in der Fassung der Verordnung (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über neuartige Lebensmittel (ABl. L 327, S. 1) lasse sich die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Richtlinie 2000/13/EG aber gleichwohl übertragen. Die entscheidungserheblichen Vorschriften entsprächen sich nach ihrem Wortlaut, systematischen Zusammenhang sowie Sinn und Zweck.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Sie hat weder einen Verfahrensmangel noch eine grundsätzliche Bedeutung aufgezeigt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Die Beschwerde hat keinen Verfahrensmangel dargelegt, auf dem die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Das Berufungsgericht hat nicht dadurch gegen die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht verstoßen, dass es keine weiteren Ermittlungen zu der Frage angestellt hat, ob die Portionspackungen auch einzeln verkauft werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der auch im Berufungsverfahren Anwendung findet (§ 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Tatsachenfragen, die für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sind, müssen daher aufgeklärt werden. Die Aufklärungspflicht verlangt hingegen nicht, dass ein Tatsachengericht Ermittlungen anstellt, die aus seiner Sicht unnötig sind, weil es nach seinem Rechtsstandpunkt auf das Ermittlungsergebnis für den Ausgang des Rechtsstreits nicht ankommt. Ein Verfahrensfehler liegt nur vor, wenn das Gericht auf Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung weitere Ermittlungen hätte anstellen müssen (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 1 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>). Wird dagegen die der Tatsachenaufklärung zugrunde liegende Rechtssatzbildung gerügt, betrifft dies nicht die Handhabung des Verfahrens.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>Das Berufungsgericht ist - in Anlehnung an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2000/13/EG (EuGH, Urteil vom 22. September 2016 - C-113/15 [ECLI:EU:C:2016:718], Breitsamer und Ulrich - Rn. 54 f.) - davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Honig-Portionspackungen als solche, d.h. ohne den mehrere Portionspackungen umschließenden Sammelkarton, ein vorverpacktes Lebensmittel darstellen. Unabhängig davon, ob die Abgabe in einer fertig zusammengestellten Mahlzeit oder in einem Einzelverkauf erfolge, sei die Portionspackung dazu bestimmt, "verzehrfertig" ohne weitere Zubereitung abgegeben zu werden (UA Rn. 37 f.). Weitere Ermittlungen dazu, ob die Portionspackungen auch einzeln verkauft werden, sind danach nicht erforderlich. Die Unterscheidung, ob es sich bei dem Verkauf von Portionspackungen um Einzelverkauf handelt oder nicht, ist im Berufungsurteil vielmehr ausdrücklich als nicht erforderlich bewertet worden (UA Rn. 38). Dem entspricht, dass auch der Gerichtshof der Europäischen Union (für den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/13/EG) entschieden hat, dass keine Unterscheidung danach getroffen werden müsse, ob es sich bei dem Verkauf von Honig-Portionspackungen wie den im Ausgangsverfahren fraglichen um einen Einzelverkauf handelt oder nicht (EuGH, Urteil vom 22. September 2016 a.a.O. Rn. 81).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>Unabhängig hiervon legt die Beschwerde auch nicht dar, dass das Berufungsgericht zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen verpflichtet gewesen wäre. Die Klägerin räumt ein, dass im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ein Beweisantrag nicht gestellt worden ist. Da die Aufklärungsrüge kein zulässiges Mittel dafür darstellt, eigene Versäumnisse in der Tatsacheninstanz nachzuholen (BVerwG, Beschlüsse vom 31. Juli 2014 - 2 B 20.14 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 381 Rn. 14 und vom 30. Januar 2018 - 3 B 4.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:300118B3B4.17.0] - juris Rn. 12), liegt ein Mangel des gerichtlichen Verfahrens hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich nur vor, wenn sich die weitere Beweiserhebung dem Berufungsgericht auch ohne förmlichen Antrag der Beteiligten hätte aufdrängen müssen. Anhaltspunkte hierfür zeigt die Beschwerde nicht auf. Der in Bezug genommenen Passage aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 22. September 2016 - C-113/15, Breitsamer und Ulrich - Rn. 35) lässt sich nur entnehmen, dass die Frage, ob die in Rede stehenden Honig-Portionspackungen auch einzeln verkauft werden, zum Tatsachenstoff gehört. Eine Entscheidungserheblichkeit der Frage folgt aus diesen Ausführungen nicht. Der Hinweis dürfte vielmehr dem Umstand geschuldet sein, dass der Vorlagebeschluss mit seinen abgestuften Vorlagefragen insoweit keine Festlegung enthält (vgl. hierzu auch die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 5. April 2016 - C-113/15 [ECLI:EU:C:2016:200], Breitsamer und Ulrich - Rn. 36).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Das Berufungsgericht war auch nicht zu einer weiteren Amtsermittlung hinsichtlich der Frage verpflichtet, ob der Klägerin der Vertrieb durch den Anbieter der Gemeinschaftsverpflegung oder die Abgabe an den Endverbraucher zugerechnet werden können.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Beschwerde legt bereits nicht dar, welche weitere Tatsachenaufklärung insoweit vermisst wird und warum sich deren Aufklärung dem Gericht auch ohne entsprechenden Beweisantrag der Klägerin hätte aufdrängen müssen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>Unabhängig hiervon ist die Erforderlichkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung auf Grundlage der dem Berufungsurteil zugrunde gelegten Rechtsauffassung auch nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Klägerin als Herstellerin und damit verantwortliche Lebensmittelunternehmerin gemäß Art. 8 Abs. 1 Alt. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 die primäre Verantwortung für die ordnungsgemäße Kennzeichnung der Honig-Portionspackungen trifft. Entgegen der Vorstellung der Klägerin ende ihre Verantwortlichkeit auch bei der Abgabe an den Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung nicht mit der ordnungsgemäßen Kennzeichnung des Sammelkartons (UA Rn. 39) Danach bedarf es keiner Zurechnung der Abgabe durch den Anbieter der Gemeinschaftsverpflegung.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>Rechtserheblich könnte auf Grundlage dieser Auffassung nur eine Einschränkung der der Klägerin selbst obliegenden Informationspflicht sein. In Betracht kommt insoweit eine Kennzeichnungserleichterung nach Art. 8 Abs. 7 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011. Das Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen hat das Berufungsgericht verneint, weil die Variante des Buchst. a nicht für den hier vorliegenden Verkauf an Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung gelte und die Variante des Buchst. b ausscheide, weil die vorverpackten Honig-Portionsbecher unverändert weitergegeben würden (UA Rn. 39). Verfahrensrügen hiergegen enthält die Beschwerde nicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Das Berufungsgericht hat der Klägerin schließlich nicht den gesetzlichen Richter entzogen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist auch der Gerichtshof der Europäischen Union gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Kommt ein deutsches Gericht einer Verpflichtung zur Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht nach, kann hierin deshalb auch ein Entzug des gesetzlichen Richters liegen (BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2017 - 2 BvR 424/17 - BVerfGE 147, 364 Rn. 37).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>Eine Vorlagepflicht folgt aus Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aber nur für Gerichte, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Rechtsmittel in diesem Sinne ist auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 16. Dezember 2008 - C-210/06 [ECLI:EU:C:2008:723], Cartesio - Rn. 75 ff.; BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 1990 - 2 BvL 12/88 u.a. - BVerfGE 82, 159 <196>; BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 1997 - 6 B 32.97 - NVwZ-RR 1998, 752 <754>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise ein nicht letztinstanzlich tätiges Gericht zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union verpflichtet gewesen sein sollte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Verletzung der Vorlagepflicht durch das Berufungsgericht sind damit bereits in formaler Hinsicht nicht erfüllt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>bb) Unabhängig hiervon ist das Berufungsgericht in nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung gelangt, dass die im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 anhand der maßgeblichen Bestimmungen und der bislang ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hinreichend sicher beantwortet werden können. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedurfte es daher nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81 [ECLI:EU:C:335], C.I.L.F.I.T. - Rn. 21).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>Entgegen der mit der Beschwerde vorgetragenen Auffassung ergibt sich die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung nicht bereits aus den Erwägungen, die das Berufungsgericht im Rahmen seines Vorlagebeschlusses vom 11. Februar 2015 angestellt hat. Zwar ist dort auch die Frage nach der Auslegung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 gestellt worden, was dafür spricht, dass das Berufungsgericht selbst die Frage nicht als hinreichend klar bewertet hat. Eine Antwort hierauf hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 22. September 2016 - C-113/15, Breitsamer und Ulrich - auch nicht gegeben. Aus den Begründungserwägungen des benannten Urteils zur Auslegung der Vorgängervorschrift in Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2000/13/EG ergeben sich indes Rückschlüsse und Anhaltspunkte auch für die Auslegung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011. Die Beurteilungssituation des Berufungsgerichts im Zeitpunkt seines Urteils vom 3. Mai 2018 stellt sich daher anders dar als bei Abfassung des Vorlagebeschlusses.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Annahme, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu vorverpackten Lebensmitteln im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2000/13/EG auch auf die Rechtslage nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 übertragen werden kann, hat das Berufungsgericht auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischen Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Vorschriften gestützt. Ernstliche Zweifel an dieser Auffassung hat die Beschwerde nicht aufgezeigt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>Ob die Formulierung in Nr. 2 Buchst. d des Anhangs X der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011, wonach das Verbrauchsdatum auf jeder vorverpackten Einzelportion angegeben werden muss, bei dieser Auslegung tatsächlich vollumfänglich überflüssig wird, kann dabei offenbleiben. Offenkundig erscheint dies angesichts der von Art. 2 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 abweichenden Formulierungen jedenfalls nicht. Selbst wenn die Regelung für das Verbrauchsdatum insoweit nur deklaratorischen Charakter haben sollte, ließe dies aber keinen Rückschluss auf die Auslegung des Begriffs des "vorverpackten Lebensmittels" insgesamt zu. Dies gilt erst recht, wenn die Frage der Kennzeichnung des Verbrauchsdatums auf vorverpackten Einzelportionen im Normgebungsverfahren streitig gewesen sein sollte, wie die Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragen hat. Dies hätte vielmehr hinreichend Anlass für eine nur klarstellende Aufnahme der Regelung in den alle Einzelfälle in den Blick nehmenden Anhang der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 gegeben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_23">23</a>
</dt>
<dd>
<p>Auch der Vortrag, dass sich das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz der Republik Österreich der Auffassung angeschlossen habe, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 bis auf Weiteres nicht auf Kleinstpackungen von Lebensmitteln, die nur im Rahmen von angebotenen Mahlzeiten wie z.B. einem Hotelfrühstück abgegeben werden, angewendet werden soll, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits für das dieser Auffassung zugrunde liegende Dokument einer von der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe aus Sachverständigen der Mitgliedstaaten festgestellt, dass derartigen Einschätzungen keinerlei Bindungswirkung zukommt (EuGH, Urteil vom 22. September 2016 - C-113/15, Breitsamer und Ulrich - Rn. 78). Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung, dass der Europäischen Kommission nicht die Befugnis zukommt, gegen das Unionsrecht verstoßende Verhaltensweisen zu genehmigen (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Dezember 1995 - C-415/93 [ECLI:EU:C:1995:463], Bosman - Rn. 136). Für die Praxis österreichischer Exekutivstellen kann nichts anderes gelten (vgl. Streinz, JuS 2017, 372 <373>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_24">24</a>
</dt>
<dd>
<p>Die mit der Beschwerde behaupteten grundlegenden Unterschiede durch das Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 sind damit nicht ersichtlich. Soweit die Beschwerde bereits die Auslegung im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. September 2016 - C-113/15, Breitsamer und Ulrich - kritisiert, folgt hieraus nichts anderes. Man mag der Auffassung sein, dass die Differenzierung zwischen dem in einem Hotel angebotenen losen Honig und einer vorverpackten Honig-Portionspackung nicht sachgerecht erscheint (vgl. Darbo/Meier, ZLR 2016, 853 <858>; Riemer, EuZW 2016, 879 <880>) und eine kennzeichnungspflichtige Verkaufseinheit daher nur die Sammelpackung, nicht aber die darin enthaltenen Portionspackung sein sollte (vgl. Beschwerdebegründung, S. 7). Diese Kritik bezieht sich indes auf die vom Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschiedene Frage. Ihr lassen sich keine Hinweise darauf entnehmen, dass die Auslegung unter Geltung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 anderen Gesichtspunkten folgen müsste.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_25">25</a>
</dt>
<dd>
<p>Hinreichend klar erscheint die Rechtslage im Übrigen auch deshalb, weil sie in den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston vom 5. April 2016 - C-113/15, Breitsamer und Ulrich - (Rn. 68 ff.) ausdrücklich beschrieben und beurteilt worden ist. Ungeachtet ihres fehlenden Entscheidungscharakters lassen die Ausführungen erkennen, dass es keine vernünftigen Gründe dafür gibt, warum die Beurteilung der Frage, ob die vorliegenden Honig-Portionspackungen als "vorverpackte Lebensmittel" einzustufen sind, unter der Geltung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 anders zu sehen sein sollte, als auf Grundlage der Richtlinie 2000/13/EG. Argumente gegen den Gleichlauf der Auslegung sind dort nicht benannt. Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union die Rechtslage für die Anwendung des Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2000/13/EG geklärt hat, ist deshalb nicht ersichtlich, woraus sich fortbestehende Zweifel an der zutreffenden Einordnung der Rechtslage unter Art. 2 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 ergeben sollten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_26">26</a>
</dt>
<dd>
<p>Sie folgen insbesondere nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs selbst. Zwar lässt sich der Urteilsbegründung nicht mit Sicherheit entnehmen, welche Information der Gerichtshof für eine sachgerechte Antwort hinsichtlich der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 noch für erforderlich gehalten hatte (vgl. EuGH, Urteil vom 22. September 2016 - C-113/15, Breitsamer und Ulrich - Rn. 36). In der Literatur ist insoweit auf den für das Vorlagegericht maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage verwiesen worden (vgl. Darbo/Meier, ZLR 2016, 853 f.). Unabhängig hiervon sind der Entscheidung jedenfalls keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Auslegungsfrage unter Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 inhaltlich von anderen Kriterien bestimmt sein könnte.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_27">27</a>
</dt>
<dd>
<p>Derartiges ist auch sonst nicht erkennbar. Die Definition des "vorverpackten Lebensmittels" in Art. 2 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 weist nach ihrem Wortlaut zwar geringfügige Unterschiede zu ihrer Vorgängervorschrift auf. Dass damit inhaltliche Änderungen verbunden sein könnten, ist indes nicht ersichtlich. Auch die Entstehungsmaterialien geben hierauf keinen Hinweis. Worin der Unterschied zwischen einer Verkaufseinheit, die "ohne weitere Verarbeitung" abgegeben werden soll, und derjenigen, die "als solche" abgegeben wird, liegen sollte, ist nicht erkennbar. Auch das vom Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 22. September 2016 - C-113/15, Breitsamer und Ulrich - betonte Verkaufselement durch "Feilbieten" ist unverändert geblieben. Die sprachliche Neufassung lässt Anhaltspunkte für eine inhaltliche Differenzierung damit nicht erkennen; sie werden auch von der Beschwerde nicht benannt. Die Neufassung wirkt im Übrigen eher enger (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 5. April 2016 - C-113/15, Breitsamer und Ulrich - Rn. 71). Schließlich ist das im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. September 2016 maßgeblich herangezogene Verbraucherinteresse an der Unterrichtung über das Ursprungsland in Erwägungsgrund 29 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 ausdrücklich normiert.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_28">28</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Die Beschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_29">29</a>
</dt>
<dd>
<p>Die für klärungsbedürftig gehaltene Frage kann, soweit sie für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, anhand der bestehenden Rechtsprechung aus den bereits dargelegten Gründen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens hinreichend sicher bejaht werden: Auch wenn sie in einem verschlossenen Sammelkarton vertrieben werden, stellt jede Portionspackung, die in Form eines mit einem versiegelten Aluminiumdeckel verschlossenen Portionsbechers 20 g Honig enthält und dazu bestimmt ist, "verzehrfertig" ohne weitere Zubereitung abgegeben zu werden, ein vorverpacktes Lebensmittel im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 dar, das mit der Angabe des Ursprungslands versehen werden muss.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_30">30</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.</p>
</dd>
</dl>
</div>
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180,196 | bgh-2018-12-19-xii-zb-5318 | {
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"level_of_appeal": "Bundesgericht"
} | XII ZB 53/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-02-07T14:17:45 | 2019-02-07T14:17:45 | Beschluss | ECLI:DE:BGH:2018:191218BXIIZB53.18.0 | <h2>Tenor</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 30. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München vom 12. Januar 2018 wird auf Kosten der Antragstellerin verworfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p/>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Wert: 11.069 €</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>I.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p/>
</dd>
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<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
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<p>Die Antragstellerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist.</p>
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<p>Die Antragstellerin macht Schadensersatzansprüche gegen ihren früheren Ehemann, den Antragsgegner, geltend. Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 11. Juli 2017 abgewiesen. Auf dem von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin an das Amtsgericht zurückgesandten Empfangsbekenntnis ist als Zustelldatum des Beschlusses der 25. Juni 2017 vermerkt. Die Antragstellerin hat am 27. Juli 2017 Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegt. Das Beschwerdegericht hat mit Verfügung vom 4. August 2017 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde verspätet eingegangen sei, und zu diesem Hinweis eine Frist zur Stellungnahme gewährt. In einem von einem Kanzleiangestellten der urlaubsabwesenden Verfahrensbevollmächtigten auf deren Anweisung verfassten und mit dem Zusatz "i.A." unterzeichneten Schreiben vom 29. August 2017 ist mitgeteilt, dass der Beschluss des Amtsgerichts erst am 25. Juli 2017 bei der Verfahrensbevollmächtigten eingegangen sei. In dem Schreiben ist des Weiteren beantragt worden, "die Stellungnahmefrist (…) um 3 Wochen, also spätestens bis 20.09.2017, zu verlängern". Das Beschwerdegericht hat mit Schreiben des Vorsitzenden vom 29. August 2017 bestätigt, dass der Beschluss des Amtsgerichts denknotwendig erst im Juli 2017 an die Verfahrensbevollmächtigte zugestellt worden sein konnte, so dass die Beschwerde fristgerecht eingelegt worden sei. Ferner hat es "auf Antrag der Rechtsanwältin (…) vom 29.08.2017 die Beschwerdebegründungsfrist antragsgemäß verlängert".</p>
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<p>Die Beschwerdebegründung ist am 13. Oktober 2017 beim Beschwerdegericht eingegangen. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde der Antragstellerin verworfen und deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.</p>
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<p>Die gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.</p>
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<p>Insbesondere erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Verfahrensbeteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2014 - XII ZB 257/14 - FamRZ 2015, 135 Rn. 9 mwN).</p>
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<p>1. Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Beschwerdebegründung der Antragstellerin verspätet eingegangen ist. Denn durch die Verfügung vom 29. August 2017 ist die Beschwerdebegründungsfrist nicht verlängert worden.</p>
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<p>Für den Umfang einer gerichtlichen Fristverlängerung ist der objektive Inhalt der Mitteilung maßgeblich, die an die die Fristverlängerung beantragende Partei gerichtet ist (vgl. BGH Beschluss vom 8. April 2015 - VII ZB 62/14 - NJW 2015, 1966 Rn. 12 mwN). Mit einer "antragsgemäßen" Verlängerung macht das Beschwerdegericht den Verlängerungsantrag zum Inhalt der Fristverlängerung selbst (vgl. BGH Beschluss vom 2. Juni 2016 - III ZB 13/16 - juris Rn. 7 mwN).</p>
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<p>Nach diesen Maßgaben ist die Verfügung des Vorsitzenden vom 29. August 2017 dahin zu verstehen, dass die Frist zur Stellungnahme auf den gerichtlichen Hinweis vom 4. August 2017 bis zum 20. September 2017 verlängert worden ist. Der Schriftsatz vom 29. August 2017 enthielt den ausdrücklichen Antrag, "die Stellungnahmefrist um 3 Wochen, also spätestens bis 20.09.2017" zu verlängern. Allein darauf bezog sich mithin die "antragsgemäße Verlängerung" in der gerichtlichen Verfügung. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Vorsitzende auf Grund eines Schreibversehens die "Beschwerdebegründungsfrist" verlängert hat. Denn es ist lediglich ein Antrag auf Verlängerung der Stellungnahmefrist zu dem gerichtlichen Hinweis gestellt worden, nicht dagegen ein Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist.</p>
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<p>Selbst wenn aber - über den Antrag hinausgehend - eine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist ausgesprochen worden wäre, hätte diese sich nur auf die beantragte Dauer bis zum 20. September 2017 bezogen und wäre wegen der ohnehin bis zum 25. September 2017 laufenden gesetzlichen Frist gegenstandslos gewesen.</p>
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<p>2. Das Beschwerdegericht hat der Antragstellerin auch zu Recht gemäß § 117 Abs. 5 FamFG iVm § 233 ZPO eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist versagt, weil eine unverschuldete Fristversäumung nicht dargetan ist.</p>
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<p>a) Der Antrag auf Fristverlängerung unterliegt gemäß § 114 Abs. 1 FamFG dem Anwaltszwang (vgl. BGHZ 93, 300 = NJW 1985, 1558, 1559). Der Antrag konnte daher vom Kanzleiangestellten der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin bereits nicht wirksam gestellt werden, was der Verfahrensbevollmächtigten bekannt sein musste. Der Antragstellerin ist nach § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten zuzurechnen. Da diese den Antrag ihrem Kanzleiangestellten überließ, ist es nicht ausschlaggebend, ob dieser - wie von ihr dargelegt - einen weitergehenden Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist hätte verfassen und an das Beschwerdegericht absenden sollen. Denn ein solcher Antrag hätte nur von der Rechtsanwältin selbst gestellt werden können und wäre mithin nicht wirksam gewesen.</p>
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<p>b) Auf einen vom Gericht gesetzten Vertrauenstatbestand kann sich die Antragstellerin ebenfalls nicht berufen. Die vom zuständigen Senatsvorsitzenden bewilligte Fristverlängerung hätte die Verfahrensbevollmächtigte selbst bei wörtlichem Verständnis nur auf ihren Antrag vom 29. August 2017 beziehen können. Nur dieser war gestellt worden. Da der Antrag aber bereits in zeitlicher Hinsicht beschränkt war und in dieser Form keine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist ergeben konnte, bestand insoweit für ein schützenswertes Vertrauen schon keine Grundlage.</p>
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<p>Daraus ergibt sich zugleich, dass auch eine Auskunft der Geschäftsstelle des Beschwerdegerichts zu einem Fristablauf am 16. Oktober 2017 abgesehen von der insoweit nicht ersichtlichen richterlichen Fristverlängerung (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 1993 - XII ZB 157/93 - FamRZ 1994, 302, 303 mwN; BGH Beschluss vom 15. Oktober 2003 - VIII ZB 39/03 - BGHReport 2004, 270, 271 mwN; BGH Beschluss vom 22. Oktober 1997 - VIII ZB 32/97 - NJW 1998, 1155, 1156 mwN) kein schützenswertes Vertrauen hätte begründen können. Denn der Verfahrensbevollmächtigten hätte zumindest bekannt sein müssen, dass ein entsprechender Antrag schon nicht gestellt worden war.</p>
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<p>Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 577 Abs. 6 ZPO iVm § 564 ZPO abgesehen.</p>
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<p style="text-align:left">Dose     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Klinkhammer     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Günter</p>
</td>
</tr>
<tr>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Nedden-Boeger     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Guhling     </p>
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180,194 | bgh-2018-12-19-xii-zb-50518 | {
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} | XII ZB 505/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-02-07T14:17:45 | 2019-02-07T14:17:45 | Beschluss | ECLI:DE:BGH:2018:191218BXIIZB505.18.0 | <h2>Tenor</h2>
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<p>Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2018 wird zurückgewiesen.</p>
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<p>Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p>
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<p>Der Antrag des Betroffenen auf Beiordnung eines Notanwalts wird gemäß § 10 Abs. 4 Satz 3 FamFG in Verbindung mit § 78 b ZPO zurückgewiesen, weil ein ausreichendes eigenes Bemühen um die Vertretung durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt nicht dargelegt und glaubhaft gemacht ist (vgl. BGH Beschlüsse vom 11. Mai 2017 - V ZA 10/17 - juris Rn. 3 und vom 19. Oktober 2011 - I ZR 98/11 - juris Rn. 2).</p>
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<h2>Gründe</h2>
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<p>Der im Jahre 1990 geborene Betroffene leidet an einer Chromosomenanomalie (Trisomie 8, auch bekannt als Warkany-Syndrom 2) mit Störungen der Impulskontrolle und der sozialen Interaktionen. Er wurde im Oktober 2009 wegen eines im August 2008 in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern und Vergewaltigung begangenen Mordes an einem achtjährigen Mädchen zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Am 16. August 2018 wurde er nach vollständiger Vollstreckung der Strafe aus der Haft entlassen.</p>
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<p>Seit Mitte 2017 hatte der Betroffene die Jugendstrafe in der Sozialtherapeutischen Anstalt Baden-Württemberg verbüßt. Mit Beschluss vom 17. Juli 2018 wurde Führungsaufsicht für den Betroffenen angeordnet und er wurde unter anderem angewiesen, festen Wohnsitz bei der Carl-Theodor-Welcker-Stiftung in Freiburg oder einer vergleichbaren staatlich anerkannten Einrichtung des Betreuten Wohnens zu nehmen und sich mindestens einmal monatlich bei der für seinen Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthaltsort zuständigen forensischen Ambulanz vorzustellen. Nachdem bei Haftentlassung die Kostenübernahme für eine Aufnahme in der in dem Führungsaufsichtsbeschluss bezeichneten Einrichtung noch nicht geklärt war, wurde der Betroffene übergangsweise in die Freigängereinrichtung der Sozialtherapeutischen Anstalt Baden-Württemberg aufgenommen.</p>
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<p>Am 23. August 2018 hat das Landratsamt (Beteiligter zu 1) als Kreispolizeibehörde beim Amtsgericht die Unterbringung des Betroffenen nach den Vorschriften des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz - PsychKHG BW) beantragt. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11. September 2018 die Unterbringung des Betroffenen für die Dauer von einem Jahr angeordnet. Auf die hiergegen vom Betroffenen und vom Verfahrenspfleger (Beteiligter zu 2) eingelegten Beschwerden hat das Landgericht den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und den Unterbringungsantrag zurückgewiesen.</p>
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<p>Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 1 mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er weiterhin die öffentlich-rechtliche Unterbringung des Betroffenen begehrt.</p>
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<p>Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.</p>
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<p>1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, eine gegenwärtige Gefahr für Dritte aufgrund einer psychischen Störung des Betroffenen lasse sich nicht feststellen. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten liege zwar ein durch die Chromosomenanomalie ausgelöstes Krankheitsbild vor. Die aufgrund der durchgeführten therapeutischen Maßnahmen erzielte Verbesserung der Impulskontrolle und des Umgangs mit Frustrationen und Konflikten, die Bereitschaft des Betroffenen zu weiterer Behandlung sowie der Umstand, dass es sich bei dem begangenen Delikt um ein singuläres Lebensereignis gehandelt habe, ließen laut Sachverständigem das Risiko eines erneuten Sexualdelikts aber allenfalls moderat erscheinen und ein erneutes Tötungsdelikt nicht wahrscheinlich sein. Diese Einschätzung entspreche auch dem während der Haft im November 2017 erstellten kriminalprognostischen Gutachten, demzufolge bei einer weiteren Betreuung des Betroffenen in Freiheit die Rückfallgefahr hinsichtlich schwerer Straftaten als relativ niedrig einzuschätzen sei. Die aufgrund des Rückfallrisikos bestehende latente Gefahr weiterer Straftaten rechtfertige keine Unterbringungsmaßnahme. Ihr zu begegnen sei Aufgabe der Führungsaufsicht. Angesichts der Behandlungseinsicht des Betroffenen und seiner Bereitschaft, sich weiter behandeln zu lassen und betreut zu wohnen, könne der Schluss auf eine gegenwärtige Fremdgefährdung auch nicht aus der gegenüber der Polizei vorgenommenen Selbsteinschätzung des Betroffenen zu seinem Rückfallrisiko gezogen werden. Die entsprechenden Ausführungen der Sachverständigen deckten sich mit dem bei der persönlichen Anhörung gewonnenen Eindruck.</p>
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<p>2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.</p>
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<p>Nach § 13 Abs. 1 PsychKHG BW können Personen gegen ihren Willen untergebracht werden, wenn sie unterbringungsbedürftig sind. Unterbringungsbedürftig ist gemäß § 13 Abs. 3 PsychKHG BW, wer infolge einer psychischen Störung nach § 1 Nr. 1 PsychKHG BW sein Leben oder seine Gesundheit erheblich gefährdet oder eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für Rechtsgüter anderer darstellt, wenn die Gefährdung oder Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Die öffentlich-rechtliche Unterbringung zur Verhinderung einer Fremdgefährdung setzt mithin neben einer Krankheit oder Behinderung aufgrund einer psychischen Störung (§ 1 Nr. 1 PsychKHG BW) auch eine dadurch bedingte, nur durch eine Unterbringung des Betroffenen vermeidbare erhebliche gegenwärtige Gefahrenlage voraus. Das Landgericht hat in rechtlich beanstandungsfreier Weise das Vorliegen einer solchen Gefahrenlage verneint.</p>
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<p>a) Durch die landesrechtlichen Vorschriften zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung wird unter anderem das Grundrecht der Freiheit der Person eingeschränkt (vgl. hier § 56 PsychKHG BW). Inhalt und Reichweite eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes sind von den Fachgerichten so auszulegen, dass dieses eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfaltet. Die Freiheit der Person nimmt - als Grundlage und Voraussetzung der Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen - einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sie als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien statuiert. Präventive Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht sind daher nur zulässig, wenn der Schutz hochrangiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert. Dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit entgegenzuhalten; beide sind im Einzelfall abzuwägen (Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2011 - XII ZB 488/11 - FamRZ 2012, 442 Rn. 17 f. mwN).</p>
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<p>b) Mit Blick auf diese verfassungsrechtlichen Vorgaben ist eine Gefahrenlage als gegenwärtig im Sinne des § 13 Abs. 3 PsychKHG BW einzustufen, wenn ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist (Zimmermann PsychKHG BW § 13 Rn. 21 mwN). Dies kann auch bei Gefahr für höchstrangige Rechtsgüter Dritter nur dann bejaht werden, wenn zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Gefahr sich verwirklicht (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 1329, 1330; NJW 2000, 881, 882).</p>
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<p>aa) Unter welchen Voraussetzungen eine Gefahr gegenwärtig ist, wird im baden-württembergischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten vom 25. November 2014 (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz - PsychKHG; GBl. 2014, 534) nicht näher bestimmt. Demgegenüber legt die überwiegende Anzahl der entsprechenden Gesetzeswerke der anderen Bundesländer fest, dass von einer gegenwärtigen Gefahr dann auszugehen ist, wenn ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist (so oder ähnlich § 15 Abs. 3 PsychKG BE, § 8 Abs. 3 BbgPsychKG, § 9 Abs. 3 PsychKG BRE, § 9 Abs. 2 HmbPsychKG, § 11 Abs. 2 PsychKG NRW, § 11 Abs. 1 Satz 2 PsychKG RP, § 7 Abs. 2 PsychKG SH, § 7 Abs. 3 ThürPsychKG; weitergehend § 16 NPsychKG iVm § 2 Nr. 1 lit. b Nds. SOG: Gegenwärtig ist danach eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht.). Diese Definition steht im Einklang mit dem Verständnis dieses Tatbestandsmerkmals in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur (vgl. etwa BayObLG FamRZ 1998, 1329, 1330; NJW 2000, 881, 882 und FamRZ 2004, 1064; OLGR Schleswig 2006, 294, 296; Brinkmann/Gräbsch Geschlossene Unterbringung psychisch Kranker § 7 Rn. 7; Marschner in Marschner/Volckart/Lesting Freiheitsentziehung und Unterbringung 5. Aufl. Teil B Rn. 114 f.) und wird den verfassungsrechtlichen Maßgaben gerecht. Denn sie stellt sicher, dass der mit einer Unterbringung verbundene gravierende Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen zur präventiven Gefahrenabwehr nur dann erfolgt, wenn ohne den Eingriff ein Schaden für ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen Dritter in ausreichender Weise vorherzusehen ist. Für § 13 Abs. 3 PsychKHG BW gilt insoweit nichts Abweichendes.</p>
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<p>bb) Den für die Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung notwendigen Grad gibt diese Definition zwar nur mittelbar vor. Auch bei einer Gefahr für höchstrangige Rechtsgüter Dritter ist aber zumindest eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit erforderlich.</p>
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<p>(1) Der Bundesgerichtshof hat die betreuungsrechtliche Unterbringung nach § 1906 BGB bereits wiederholt zur Unterbringung nach den Landespsychiatriegesetzen abgegrenzt. Er hat dabei jeweils klargestellt, dass die zivilrechtliche im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betroffenen verlangt, sondern insoweit "nur" eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betroffenen notwendig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. August 2012 - XII ZB 295/12 - FamRZ 2012, 1705 Rn. 3 und vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN; BGH Beschlüsse vom 16. März 2017 - V ZB 150/16 - NZM 2017, 454 Rn. 12 und vom 21. September 2017 - I ZB 125/16 - FamRZ 2018, 372 Rn. 23). Hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung wegen Fremdgefährdung hat der Senat die Fortdauer einer langjährigen Unterbringung als verhältnismäßig erachtet, weil von diesem nach wie vor die akute und mithin hochgradige Gefahr für Leben, Leib sowie sexuelle Selbstbestimmung und damit für höchstrangige Rechtsgüter anderer ausging (Senatsbeschluss vom 23. September 2015 - XII ZB 291/15 - FamRZ 2016, 39 zu § 11 PsychKG NRW).</p>
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<p>In diesem gegenüber der zivilrechtlichen Unterbringung engeren Gefahrenbegriff spiegelt sich wider, dass die öffentlich-rechtliche Unterbringung nicht dem Erwachsenenschutz, sondern dem Polizeirecht zuzuordnen ist. Eine "gegenwärtige Gefahr" im Sinne des Polizeirechts setzt dem Grundsatz nach voraus, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist (BVerwG NVwZ 2005, 220, 222). Dem genügt entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung (so wohl auch Coeppicus BtPrax 1999, 130, 131 f.) eine latente und damit nicht in diesem Sinne akute Fremdgefahr bereits im Ansatz nicht (vgl. Lamberz Die Unterbringung psychisch Kranker S. 67). Vielmehr überwiegt in Fällen einer vom Betroffenen lediglich latent ausgehenden Gefahr sein Freiheitsgrundrecht gegenüber den Schutzinteressen der Allgemeinheit. Denn mithilfe des Polizeirechts kann und soll keine absolute Sicherheit vor jeder denkbaren und möglichen Gefahr gewährleistet, sondern in angemessener Weise auf konkrete Gefahrenlagen reagiert werden.</p>
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<p>Soweit der Gesetzgeber das Spannungsfeld zwischen der grundrechtlich geschützten Rechtsposition des Einzelnen und dem Schutz der Allgemeinheit - etwa bei der Abschiebungsandrohung nach § 58 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vgl. dazu BVerwGE 159, 296 = ZAR 2018, 117 Rn. 26) - auch ohne akute Gefahr zu Gunsten des Schutzes der Allgemeinheit auflöst, führt dies im Unterbringungsrecht schon wegen des dort im Hinblick auf den Eingriff in das Freiheitsgrundrecht enger als im allgemeinen Polizeirecht auszulegenden Gefahrbegriff zu keinem anderen Ergebnis (vgl. Dodegge/Zimmermann PsychKG NRW § 11 Rn. 8; Marschner in Marschner/Volckart/Lesting Freiheitsentziehung und Unterbringung 5. Aufl. Teil B Rn. 125). Im Übrigen bedürfte eine solche Regelung - unbeschadet ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit im Einzelfall - jedenfalls einer ausdrücklichen gesetzgeberischen Entscheidung. Daran fehlt es aber bei § 13 Abs. 3 PsychKHG BW, der gerade eine "gegenwärtige Gefahr" fordert.</p>
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<p>(2) Für das Erfordernis einer (zumindest) hohen Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung sprechen auch die Bestimmungen des Strafrechts zur Unterbringung und zur Sicherungsverwahrung. So verlangt § 66 b Satz 1 Nr. 2 StGB (ebenso § 7 Abs. 4 Nr. 2 JGG) für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung die hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Straftaten. Bei im Strafurteil vorbehaltener Sicherungsverwahrung setzt deren Anordnung gemäß § 66 a Abs. 3 Satz 2 StGB (ebenso § 7 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 JGG) voraus, dass vom Täter erhebliche Taten zu erwarten sind. Die für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist nur dann gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (BGH Beschlüsse vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16 - NStZ-RR 2017, 203, 205 und vom 17. Februar 2016 - 2 StR 545/15 - StV 2016, 720 Rn. 12; Urteil vom 10. Dezember 2014 - 2 StR 170/14 - NStZ 2015, 387). Eine lediglich latente Gefahr und die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reichen jedenfalls nicht aus (MünchKommStGB/van Gemmeren 3. Aufl. § 63 Rn. 62; vgl. auch BGH Urteil vom 18. August 2011 - 3 StR 209/11 - juris Rn. 5). Schließlich ist die für die (anfängliche) Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB erforderliche Gefährlichkeit nur bei Vorliegen einer bestimmten Wahrscheinlichkeit für die zukünftige Begehung von Straftaten, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen, gegeben (BGH Beschluss vom 3. Dezember 2002 - 4 StR 416/02 - NStZ-RR 2003, 108 f. mwN). Anders liegt es bei der ebenfalls der Vermeidung künftiger Straftaten dienenden, aber nicht unmittelbar in das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten eingreifenden Führungsaufsicht nach § 68 StGB: Für deren Anordnung reicht jedenfalls schon die bloße Wahrscheinlichkeit aus, dass der Verurteilte weitere Straftaten begehen wird (vgl. Schönke/Schröder/Stree/Kinzig StGB 29. Aufl. § 68 Rn. 6 mwN; dafür, dass insoweit sogar weniger als die Wahrscheinlichkeit ausreicht: MünchKommStGB/Groß 3. Aufl. § 68 Rn. 8 mwN).</p>
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<p>Wie die öffentlich-rechtliche Unterbringung greifen die strafrechtlichen Instrumente der Unterbringung und der Sicherungsverwahrung zum Schutz der Allgemeinheit in die Freiheitsrechte des Einzelnen ein. Während jedoch im Bereich des Strafrechts bereits eine Rechtsgutverletzung durch den Täter erfolgt sein muss, setzt die öffentlich-rechtliche Unterbringung von ihrer Konzeption her früher an und lässt allein die vom Betroffenen ausgehende Gefahr für die Rechtsgüter Dritter genügen, ohne dass sich diese zwingend schon verwirklicht haben muss. Daraus folgt zum einen, dass es sich um zwei Arten der Gefahrprävention mit rechtssystematisch unterschiedlichen Ausgangspunkten handelt, so dass dem Strafrecht auch bei einem bereits Straffälligen insoweit kein "Vorrang" zukommt. Zum anderen bedingt dies aber auch, dass die Anforderungen an die Gefahrprognose bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung jedenfalls nicht niedriger sein können als im Strafrecht.</p>
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<p>Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 255 StGB, wonach eine Gefahr für Leib oder Leben im Sinne dieser Norm auch dann als "gegenwärtig" anzusehen sein kann, wenn sie als "Dauergefahr" jederzeit - zu einem ungewissen Zeitpunkt, alsbald oder auch später - in einen Schaden umschlagen kann. Denn diese Auslegung ist ausdrücklich in Anbetracht des Sinns von § 255 StGB erfolgt, bestimmte Fälle der Erpressung wegen der vom Täter gezielt eingesetzten wirklichen oder vermeintlichen Gefährlichkeit der Drohung unter erhöhte Strafe zu stellen (vgl. BGH Urteil vom 27. August 1998 - 4 StR 332/98 - NStZ-RR 1999, 266, 267).</p>
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<p>(3) Aus alledem lässt sich allerdings kein fester, für jeden Einzelfall gültiger Wahrscheinlichkeitsgrad der Gefahrverwirklichung - gar im Sinne eines festen Prozentsatzes - ableiten, ab dem eine Gefahr im für eine öffentlich-rechtliche Unterbringung erforderlichen Maße "gegenwärtig" ist. Vielmehr ist der Grad der Gefahr in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Mai 2017 - XII ZB 342/16 - FamRZ 2017, 1422 Rn. 12; vgl. auch Marschner in Marschner/Volckart/Lesting Freiheitsentziehung und Unterbringung 5. Aufl. Teil B Rn. 124, 129). Denn jeder sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose liegt nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine wechselseitige Beziehung von Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß zu Grunde. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind daher umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der mögliche Schaden ist (BVerwG NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 15 f.).</p>
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<p>Selbst bei - wie hier - drohenden schwerwiegenden Schäden für höchstrangige Rechtsgüter wie etwa Leben, Gesundheit und sexuelle Selbstbestimmung ist eine präventive Freiheitsentziehung zum Nachteil des Betroffenen aber nur dann durch das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt, wenn die Prognose jedenfalls einer hohen Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung besteht (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 1329, 1330; NJW 2000, 881, 882 und FamRZ 2004, 1064). Dies kommt nicht nur in der in verschiedenen Ländergesetzen verwendeten Definition der "Gegenwärtigkeit" mit den Begriffen "unmittelbar bevorsteht" und "zu erwarten" zum Ausdruck. Es ergibt sich auch aus dem Vergleich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung mit der zivilrechtlichen Unterbringung auf der einen und mit den strafrechtlichen Präventionsinstrumenten auf der anderen Seite. Zudem folgt es aus dem verfassungsrechtlichen Gewicht des mit der Unterbringung verbundenen präventiven Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen, für den auch überwiegende Wahrscheinlichkeiten noch keine ausreichende Grundlage darstellen können (vgl. BVerfG FamRZ 2018, 1442 Rn. 109 und BVerfGE 115, 320 = NJW 2006, 1939 Rn. 142 unter Verweis auf § 2 Nr. 1 lit. b Nds. SOG).</p>
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<p>Mit Blick einerseits auf die Bedeutung des Freiheitsgrundrechts des Betroffenen und andererseits auf das berechtigte Interesse der Allgemeinheit an einem effektiven Schutz vor gegenwärtigen Gefahren stellt das Erfordernis einer (zumindest) hohen Wahrscheinlichkeit den für das praktische Leben brauchbaren Grad der Gewissheit vom jederzeitigen Gefahreintritt dar (vgl. OLG Köln OLGR 2004, 74, 75; Brinkmann/Gräbsch Geschlossene Unterbringung psychisch Kranker § 7 Rn. 7; Dodegge/Zimmermann PsychKG NRW § 11 Rn. 12; Zimmermann PsychKHG BW § 13 Rn. 21).</p>
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<p>(4) Für die vom Tatrichter in eigener Verantwortung zu treffende Gefahrprognose sind insbesondere die Persönlichkeit des Betroffenen, sein früheres Verhalten, sein aktuelles Befinden und seine zu erwartenden Lebensumstände maßgeblich (BayObLG FamRZ 1998, 1329, 1330; NJW 2000, 881, 882; FamRZ 2004, 1064; Marschner in Marschner/Volckart/Lesting Freiheitsentziehung und Unterbringung 5. Aufl. Teil B Rn. 127; Zimmermann PsychKHG BW § 13 Rn. 21). Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Prognoseentscheidung nur daraufhin überprüfen, ob der Tatrichter seiner Entscheidung unzutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt, Verfahrensregeln verletzt, insbesondere entscheidungserhebliche Umstände unberücksichtigt gelassen, oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Mai 2018 - XII ZB 553/17 - FamRZ 2018, 1192 Rn. 14 und vom 26. Februar 2014 - XII ZB 577/13 - FamRZ 2014, 830 Rn. 17; BGH Beschluss vom 19. Juni 2012 - KVR 15/11 - WM 2013, 1806 Rn. 15 mwN).</p>
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<p>c) Das ist hier - anders als die Rechtsbeschwerde meint - nicht der Fall.</p>
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<p>Das Landgericht hat bei seiner Prüfung, ob von dem Betroffenen eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 13 Abs. 3 PsychKHG BW ausgeht, keine zu hohen Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit einer Gefahrverwirklichung gestellt. Vielmehr ist es sogar davon ausgegangen, es müsse - lediglich - eine Situation vorliegen, die in überschaubarer Zukunft einen Schadenseintritt wahrscheinlich mache. Im Rahmen seiner Gefahrprognose hat es die vom Betroffenen nach der Haftentlassung gegenüber der Polizei abgegebene Einschätzung seines Rückfallrisikos mit 20 Prozent berücksichtigt und hat sie sachverständig beraten als Beleg dafür gewertet, dass der Betroffene die erforderliche, ihm in langjährigen Therapien vermittelte gedankliche Beschäftigung mit potenziellen Rückfallsituationen vornimmt, um diese frühzeitig zu erkennen und angemessen reagieren zu können. Dies lässt rechtsbeschwerderechtlich relevante Fehler ebenso wenig erkennen wie der aus dem im Unterbringungsverfahren eingeholten sowie aus den bereits während der Haftzeit erstellten kriminalprognostischen Sachverständigengutachten gezogene Schluss des Landgerichts, dass der Betroffene über Behandlungseinsicht und -bereitschaft verfügt.</p>
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<p>Soweit die Rechtsbeschwerde auf die persönliche Situation des Betroffenen unmittelbar nach der Haftentlassung abhebt, wo es in der Freigängereinrichtung an der notwendigen engmaschigen sozialen und psychologischen Betreuung und an einer Tagesstruktur für den Betroffenen gefehlt haben soll, war dieser Zustand zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung jedenfalls nicht mehr aktuell. Vielmehr hatte der Betroffene die Zusage für eine Aufnahme in der im Führungsaufsichtsbeschluss bezeichneten Einrichtung des Betreuten Wohnens, wo er seinen Wohnsitz nehmen wollte und nach Beendigung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung durch den angefochtenen Beschluss des Landgerichts auch genommen hat. Damit waren die in dem kriminalprognostischen Sachverständigengutachten genannten Rahmenbedingungen gegeben, unter denen von einer relativ niedrigen Rückfallgefahr auszugehen ist.</p>
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<p>Ebenfalls ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das Landgericht habe rechtlich unzutreffend darauf abgestellt, dass es allein Aufgabe der strafrechtlichen Führungsaufsicht sei, den Betroffenen von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Zwar ist richtig, dass die Führungsaufsicht nicht den gleichen Schutz der Allgemeinheit vor vom Betroffenen ausgehenden Gefahren für die Rechtsgüter Dritter gewährleisten kann wie eine öffentlich-rechtliche Unterbringung. Daher kann bei gegenwärtiger Gefahr im Sinne des § 13 Abs. 3 PsychKHG BW trotz bestehender Führungsaufsicht eine öffentlich-rechtliche Unterbringung geboten sein. Das hat das Landgericht aber nicht verkannt. Vielmehr ist es bei seiner Prognose zu einer lediglich latenten Gefahr und darauf aufbauend in rechtlich beanstandungsfreier Weise zu dem Schluss gelangt, dass dieser durch die ebenfalls der Prävention dienende Führungsaufsicht ausreichend begegnet werden kann.</p>
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<p>Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).</p>
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<p style="text-align:left">      </p>
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<p style="text-align:left">Klinkhammer     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
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<p style="text-align:left">Günter</p>
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<tr>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Nedden-Boeger     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Guhling     </p>
</td>
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180,193 | bgh-2018-12-19-iv-zr-25517 | {
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<p>Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam - 6. Zivilkammer - vom 27. September 2017 aufgehoben.</p>
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<p>Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.</p>
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<p>Der Streitwert für das Revisionsverfahren beträgt bis 3.000 €.</p>
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<p>Von Rechts wegen</p>
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<h2>Tatbestand</h2>
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<p>Der Kläger, der bei der Beklagten eine Krankheitskostenversicherung nach dem Tarif "Vision 1-4500" und eine Krankentagegeldversicherung nach dem Tarif "TV 42" unterhält, wendet sich mit seiner Klage gegen Beitragserhöhungen durch die Beklagte zum 1. Januar 2012 und zum 1. Januar 2013.</p>
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<p>Mit Schreiben vom November 2011 erhöhte die Beklagte die monatliche Prämie im Tarif "TV 42" mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 um 3,91 €. Mit weiterem Schreiben vom November 2012 passte sie die monatlichen Beiträge zum 1. Januar 2013 im Tarif "Vision 1-4500" um 23,03 € und im Tarif "TV 42" um 1,51 € an. Den Prämienanpassungen hatte jeweils ein von der Beklagten bestellter Treuhänder zugestimmt, der von 1996 bis 2014 für sie und ihre Rechtsvorgängerin tätig war. Der Kläger zahlte fortan die erhöhten Beiträge.</p>
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<p>Mit seiner im Jahr 2016 erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen die vorgenannten Beitragserhöhungen. Er begehrt die Rückzahlung der bis einschließlich Dezember 2015 auf die Erhöhungen entfallenden Prämienanteile, insgesamt 1.071,12 € nebst Zinsen, ferner die Feststellung, dass die Prämienerhöhungen unwirksam seien und er nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet sei. Weiter möchte er festgestellt wissen, dass die Beklagte zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet sei, die sie bis zum 29. Februar 2016 aus seinen Zahlungen auf die Beitragserhöhungen gezogen habe, und sie diese Nutzungen ab dem 1. März 2016 mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen habe. Schließlich nimmt er die Beklagte auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Anspruch.</p>
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<p>Der Kläger hält die Erhöhungen aus formellen und materiellen Gründen für unwirksam. Sie seien bereits nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG begründet. Insbesondere fehle es aber an der nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG erforderlichen Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders. Der von der Beklagten bestellte Treuhänder sei von ihr nicht wirtschaftlich unabhängig gewesen.</p>
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<p>Die Beklagte meint, die Prämienanpassungen entsprächen den vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben. Sie erhebt die Einrede der Verjährung und beruft sich auf Verwirkung.</p>
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<p>Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.</p>
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<h2>Entscheidungsgründe</h2>
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<p>Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.</p>
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<p>I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung in r+s 2018, 24 und VersR 2018, 471 veröffentlicht ist, sind die streitgegenständlichen Prämienerhöhungen unwirksam, weil der ihnen zustimmende Treuhänder nicht unabhängig gewesen sei.</p>
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<p>Wirksamkeitsvoraussetzung der Prämienanpassung sei nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG, dass "ein unabhängiger Treuhänder" zugestimmt habe. Die den Zivilgerichten auf Veranlassung eines Versicherten obliegende Prüfung, ob die Prämienerhöhung wirksam ist, beziehe sich nicht nur auf die inhaltliche versicherungsmathematische Berechnung der Prämienerhöhung, sondern umfasse aufgrund verfassungsgerichtlicher Vorgaben auch die Fragen zur Person des Treuhänders einschließlich seiner Unabhängigkeit.</p>
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<p>Die durch § 12b VAG a.F. vorgesehene Prüfung des auch in § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG genannten Tatbestandsmerkmals durch die Aufsichtsbehörde könne die zivilrechtliche Prüfungskompetenz nicht ausschließen. Eine Überprüfung der treuhänderischen "Unabhängigkeit" ausschließlich im Verfahren nach § 12b Abs. 3 bis 5 VAG a.F. vorzunehmen, ohne dass der Versicherte dies angreifen könne, sei mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang zu bringen.</p>
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<p>Hinsichtlich der Anforderungen an die Unabhängigkeit des Treuhänders sei nach dem Sinn und Zweck des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG eine Gesamtwürdigung erforderlich, ob bei objektiv-generalisierender, verständiger Würdigung das Vertrauen gerechtfertigt sei, der Treuhänder werde die Interessen der Gesamtheit der Versicherungsnehmer angemessen wahrnehmen. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung seien die in § 319 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 HGB geregelten Anforderungen als ein Gesichtspunkt zu berücksichtigen.</p>
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<p>Bei einer solchen Würdigung ergebe sich die fehlende Unabhängigkeit des bei der Beklagten tätig gewordenen Treuhänders aus dem Umfang seiner von ihr bezogenen Vergütung, dem Umstand, dass er für sie über einen Zeitraum von über 15 Jahren tätig gewesen sei und hierbei alle Prämienanpassungen der Beklagten geprüft habe, aber auch von einem mit ihr verbundenen Unternehmen ein Ruhegehalt bezogen habe.</p>
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<p>Die geltend gemachten Ansprüche des Klägers seien nicht verjährt. Für den Verjährungsbeginn sei erforderlich, dass er Kenntnis von den Umständen der Unwirksamkeit der Zustimmung des Treuhänders gehabt oder grob fahrlässig nicht gehabt habe. Dies sei frühestens 2015 der Fall gewesen. Die Ansprüche seien auch nicht verwirkt.</p>
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<p>II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.</p>
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<p>1. Soweit sich die Revision gegen die Zulässigkeit der Feststellungsanträge richtet, bleiben ihre Angriffe allerdings ohne Erfolg.</p>
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<a name="rd_16">16</a>
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<p>a) Ein feststellungsfähiges gegenwärtiges Rechtsverhältnis liegt auch insoweit vor, als der Kläger die Unwirksamkeit der Beitragsanpassung zum 1. Januar 2012 festgestellt wissen möchte.</p>
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<p>Die Revision nimmt zu Unrecht an, dass diese Beitragsanpassung wegen der zeitlich nachfolgenden Erhöhung zum 1. Januar 2013 überholt sei und sich gegenwärtige Rechtsfolgen aus ihr nur noch mit Blick auf die Rückforderung eines etwaig überzahlten Betrages ergeben könnten, die bereits Gegenstand des bezifferten Leistungsantrags sei. Allein mit dem vom Kläger erstrebten Leistungsurteil wäre nicht rechtskräftig festgestellt, dass er zukünftig nicht zur Zahlung des sich aus der Beitragsanpassung zum 1. Januar 2012 ergebenden Erhöhungsbetrages verpflichtet ist. Ein gegenwärtiges Feststellungsinteresse kann daher hinsichtlich früherer Prämienanpassungen allenfalls dann zu verneinen sein, wenn sich der Versicherungsnehmer - anders als im Streitfall - nicht zugleich gegen die Wirksamkeit einer nachfolgenden Prämienanpassung wendet (vgl. Reinhard, VersR 2000, 216, 217 f.). Zudem ist die begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung eine Vorfrage für den Leistungsantrag und geht zugleich über das dort erfasste Rechtsschutzziel des Klägers hinaus. Sie ist deshalb auch als Zwischenfeststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2013 - II ZR 74/12, BGHZ 197, 162 Rn. 29 m.w.N.).</p>
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<a name="rd_18">18</a>
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<p>b) Ebenfalls ohne Erfolg beanstandet die Revision, die Klage scheitere am Vorrang der Leistungsklage, soweit sie auf Feststellung der Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzungen gerichtet sei.</p>
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<p>Zwar ist eine auf Feststellung des Anspruchsgrundes gerichtete Klage unzulässig, wenn dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar ist und diese das Rechtsschutzziel erschöpft, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, NJW 2017, 1823 Rn. 14; Urteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 456/16, NJW 2018, 227 Rn. 12; jeweils m.w.N.).</p>
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<a name="rd_20">20</a>
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<p>Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, weil die von der Beklagten gezogenen Nutzungen aus den nach Auffassung des Klägers rechtsgrundlos gezahlten Prämienanteilen für ihn im Zeitpunkt der Klageerhebung nur teilweise bezifferbar waren und es daher an der Zumutbarkeit der Erhebung einer Leistungsklage fehlte. Ein Versicherungsnehmer, der vom beklagten Versicherer die Herausgabe von Nutzungen aus rechtsgrundlos geleisteten Beitragszahlungen verlangt, ist für Anfall und Höhe tatsächlich gezogener Nutzungen darlegungs- und beweisbelastet. Dies verlangt ihm, wie der Senat wiederholt entschieden hat, einen Tatsachenvortrag ab, der nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe - etwa in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz - gestützt werden kann (vgl. Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, r+s 2015, 435 Rn. 46; IV ZR 448/14, r+s 2015, 438 Rn. 51; vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, r+s 2016, 20 Rn. 48). Wie die Revisionserwiderung zu Recht hervorhebt, hat der Kläger bereits in der Klageschrift darauf hingewiesen, dass ihm ein derartiger Tatsachenvortrag für die Jahre 2015 und 2016 nicht möglich sei, weil es zum damaligen Zeitpunkt an veröffentlichten Geschäftsberichten der Beklagten für diesen Zeitraum fehlte. Befindet sich aber ein anspruchsbegründender Sachverhalt im Zeitpunkt der Klageerhebung noch in der Entwicklung, so steht der Umstand, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung eine Bezifferung teilweise möglich wäre, der Bejahung des Feststellungsinteresses jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Anspruch seiner Natur nach sinnvollerweise erst nach Abschluss seiner Entwicklung beziffert werden kann (BGH, Urteil vom 30. März 1983 - VIII ZR 3/82, NJW 1984, 1552 unter A I 2 c [juris Rn. 27] m.w.N.). Die Feststellungsklage ist dann insgesamt zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2016 - VI ZR 506/14, r+s 2016, 533 Rn. 6, 8 m.w.N.).</p>
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<a name="rd_21">21</a>
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<p>Ist eine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO - wie hier - in zulässiger Weise erhoben worden, braucht ein Kläger auch nicht nachträglich zur Leistungsklage überzugehen, wenn diese im Laufe des Rechtsstreits möglich wird (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2005 - IV ZR 82/04, BGHZ 164, 181, 183 m.w.N. [juris Rn. 8]; st. Rspr.).</p>
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<a name="rd_22">22</a>
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<p>2. Ebenso erfolglos bleibt der Angriff der Revision, dass die Klage jedenfalls wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben oder unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung abweisungsreif sei. Beides hat das Berufungsgericht - auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens - rechtsfehlerfrei verneint.</p>
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<p>Insbesondere hat es eine Heranziehung der vom Bundesgerichtshof nach gefestigter Rechtsprechung bei Unwirksamkeit von Preisanpassungsklauseln in Energieversorgungsverträgen angewandten so genannten "Dreijahreslösung" mangels Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen zu Recht abgelehnt (entgegen Kalis in Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts 3. Aufl. § 44 Rn. 219). Diese Dreijahreslösung besagt, dass der Kunde die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (vgl. zuletzt Urteile vom 6. April 2016 - VIII ZR 79/15, BGHZ 209, 337 Rn. 21; vom 5. Oktober 2016 - VIII ZR 241/15, NJW-RR 2017, 557 Rn. 12; jeweils m.w.N.). Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, mittels einer ergänzenden Vertragsauslegung eine durch die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel entstandene Lücke im Vertrag zu vermeiden, um ein dem ursprünglichen Regelungsplan der Parteien widersprechendes untragbares Ergebnis, die Gesamtnichtigkeit des Versorgungsvertrages, im Interesse beider Vertragsteile zu vermeiden (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 2016 aaO Rn. 23, 32 ff.). Um eine derartige Gesamtnichtigkeit geht es hier nicht.</p>
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<a name="rd_24">24</a>
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<p>Anders als die Revision meint, trifft den Versicherungsnehmer auch keine "Obliegenheit", binnen eines Jahres zumindest einen Vorbehalt zu erklären, wenn er sich eine Überprüfung der Berechtigung der Beitragsanpassung offenhalten möchte. Das Gesetz sieht im Gegenteil für Klagen gegen Prämienanpassungen gerade keine Fristen vor (siehe MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 925). Der Gesetzgeber hat bei der Reform des Versicherungsvertragsrechts durch Streichung des § 12 Abs. 3 VVG a.F. vielmehr zum Ausdruck gebracht, auf Sonderregelungen, die dem Versicherer die Möglichkeit geben, die Verjährungsfrist zu Lasten des Vertragspartners einseitig zu verkürzen, verzichten zu wollen (BT-Drucks. 16/3945 S. 64 li. Sp.). Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich eine solche Beschränkung auch nicht mit gesteigerten Loyalitätspflichten des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer und der Gemeinschaft der Versicherten rechtfertigen.</p>
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<p>Schließlich liegt in der Geltendmachung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs keine widersprüchliche und damit unzulässige Rechtsausübung. Der Einwand der Revision, mit Blick auf die aufsichtsrechtliche Verpflichtung des Versicherers zur Beitragsanpassung sei dieser bei ihrer Unwirksamkeit zu deren Nachholung verpflichtet, weshalb eine Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr ein schutzwürdiges Interesse an der Geltendmachung eines formalen Mangels ausschließe, berücksichtigt nicht, dass der Kläger die streitgegenständlichen Prämienanpassungen auch in materieller Hinsicht angreift.</p>
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<p>3. Zu Recht wendet sich die Revision demgegenüber gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Klage sei begründet, weil der den Prämienerhöhungen zustimmende Treuhänder nicht unabhängig gewesen sei und die Erhöhungen damit unwirksam seien.</p>
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<p>a) Richtig ist allerdings, dass der Versicherer bei einer Krankenversicherung, in der sein ordentliches Kündigungsrecht gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist, zu einer Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG nur berechtigt ist, sofern unter anderem ein "unabhängiger Treuhänder" die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat. Ob die Unabhängigkeit des Treuhänders damit eine konstitutive Voraussetzung für die materiell-rechtliche Wirksamkeit seiner Zustimmung ist, die in vollem Umfang der zivilgerichtlichen Kontrolle unterliegt, ist hingegen umstritten.</p>
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<p>Von einem Teil der Rechtsprechung und der Literatur wird dies angenommen (vgl. etwa LG Berlin VersR 2018, 465, 466 f. [juris Rn. 34 ff.]; Urteil vom 24. Mai 2018 - 23 O 144/17; LG Frankfurt (Oder) VersR 2018, 669 f. [juris Rn. 69 f.]; LG Aschaffenburg, Urteil vom 4. April 2018 - 33 O 125/17; LG Hamburg, Urteil vom 18. April 2018 - 314 O 90/17; LG Landshut, Urteil vom 9. Mai 2018 - 73 O 1526/17; LG Koblenz, Urteil vom 17. Mai 2018 - 16 O 219/17; LG Kleve, Urteil vom 21. Juni 2018 - 6 O 34/17, BeckRS 2018, 13526 Rn. 17 f.; LG Offenburg, Urteil vom 27. Juli 2018 - 2 O 379/17, BeckRS 2018, 16523 Rn. 20 ff.; LG Köln, Urteil vom 26. September 2018 - 23 O 95/18, BeckRS 2018, 25497 Rn. 25 f.; MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 553 f.; ders., Private Krankenversicherung § 12b VAG Rn. 44 f.; HK-VVG/Marko, 3. Aufl. § 203 Rn. 17; PK-VersR/Ortmann/Rubin, 3. Aufl. § 163 VVG Rn. 13; Schüffner/Franck in Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts 3. Aufl. § 47 Rn. 123a ff.; BK-VVG/Schwintowski, § 172 Rn. 18; Ossyra, VuR 2018, 373, 379 f.; Renger, VersR 1994, 1257, 1259).</p>
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<p>Nach der Gegenauffassung unterliegt die ordnungsgemäße und wirksame Bestellung des Treuhänders wegen ihrer aufsichtsrechtlichen Natur allein der Kontrolle durch die zuständige Aufsichtsbehörde. Als formelle Voraussetzung der Wirksamkeit der Zustimmung sei von den Zivilgerichten nur zu prüfen, ob letztere von einem unter Mitwirkung der Aufsichtsbehörde verfahrensrechtlich ordnungsgemäß bestellten Treuhänder erklärt worden sei (OLG Celle r+s 2018, 547 Rn. 62 ff.; Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002] S. 505 f., 603 f.; ders., ZVersWiss 91 [2002], 621, 627; Peters, Der Prämien- und der Bedingungsanpassungstreuhänder in der substitutiven privaten Krankenversicherung [2007] S. 288 ff., 315; Kalis in Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts 3. Aufl. § 44 Rn. 217; ders., r+s 2018, 464, 467; Voit, VersR 2017, 727, 730 ff.; Werber, VersR 2017, 1115, 1116; D. Wendt, VersR 2018, 449, 450 f.; Thüsing/Jänsch, VersR 2018, 837, 847 ff.; Schnepp/Icha-Spratte, VersR 2018, 1221, 1228; vgl. auch AG Freiburg, Urteil vom 27. April 2018 - 4 C 2543/13). Teilweise wird hierbei nach einzelnen Anforderungen an die Person des Treuhänders differenziert und jedenfalls dessen wirtschaftliche Unabhängigkeit als allein aufsichtsbehördlicher Kontrolle unterliegende Voraussetzung angesehen (HK-VAG/Brand, § 157 Rn. 27 f.; ders. in Festschrift Schwintowski [2017] S. 19, 42; Voit in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 203 Rn. 25). Andere Autoren betrachten es als entscheidend, ob der Treuhänder bei unterstellter Unabhängigkeit die Zustimmung hätte erteilen müssen, verlagern die Reichweite der zivilgerichtlichen Prüfung mithin auf die materielle Ebene (so Wiemer/Richter, r+s 2017, 404, 405; ähnlich dies., VersR 2018, 641, 644 ff.; vgl. auch Schnepp/Icha-Spratte aaO S. 1229).</p>
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<p>b) Zutreffend ist die Auffassung, nach der die Unabhängigkeit des Treuhänders von den Zivilgerichten im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung nicht gesondert zu prüfen ist. Soweit § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG die Berechtigung des Versicherers zur Neufestsetzung der Prämie von der Zustimmung eines "unabhängigen Treuhänders" abhängig macht, handelt es sich dabei nur um eine Bezeichnung für diejenige Person, die nach den Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) - im Streitfall § 12b VAG in der bis zum 31. Dezember 2015 gültigen Fassung (im Folgenden § 12b VAG a.F.), heute §§ 155, 157 VAG - für diese Aufgabe bestellt worden ist. Dagegen stellt die Unabhängigkeit des Treuhänders kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal dar, das von den Zivilgerichten im Rechtsstreit um die Berechtigung einer Prämienanpassung gesondert zu prüfen ist. Dies folgt aus einer Auslegung des § 203 VVG, die ausgehend von dem Wortlaut (dazu unter aa)) und der Systematik der gesetzlichen Regelung (dazu unter bb)) ihre Entstehungsgeschichte (dazu unter cc)), ihren Sinn und Zweck (dazu unter dd)) sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes (dazu unter ee)) berücksichtigt.</p>
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<p>aa) Allerdings knüpft § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG die Berechtigung des Versicherers zur Prämienanpassung an die Zustimmung eines "unabhängigen Treuhänders" und erwähnt damit ausdrücklich eine der aufsichtsrechtlichen Voraussetzungen des § 12b Abs. 3 Satz 1 VAG a.F. für die Treuhänderbestellung. Dies lässt, berücksichtigt man nur den Wortlaut, ein Verständnis als materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal immerhin möglich erscheinen. Anders als die Revisionserwiderung meint, führt dies aber bereits keineswegs eindeutig zu dem Ergebnis, dass die Unabhängigkeit des Treuhänders als auch materielle Wirksamkeitsbedingung seiner Zustimmung zur Prämienanpassung einer umfassenden zivilgerichtlichen Kontrolle unterliegt.</p>
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<p>Doch selbst wenn man den Wortlaut im Sinne einer materiellen Wirksamkeitsvoraussetzung verstehen wollte, so darf die Auslegung der Norm bei einer solchen reinen Wortlautinterpretation nicht Halt machen. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist vielmehr der zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, dessen Erfassung die nebeneinander zulässigen, sich ergänzenden Methoden der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, aus ihrem Zusammenhang, aus ihrem Zweck sowie aus den Gesetzgebungsmaterialien und der Entstehungsgeschichte dienen (Senatsurteil vom 8. November 2017 - IV ZR 551/15, r+s 2018, 54 Rn. 18 m.w.N.; zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).</p>
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<p>bb) Für ein Verständnis dahingehend, dass die Unabhängigkeit nur Voraussetzung für die Bestellung des Treuhänders, nicht aber für die Wirksamkeit der von ihm nach Bestellung abgegebenen Erklärung ist, spricht zunächst die Systematik der gesetzlichen Regelungen.</p>
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<p>Die Bestimmung des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG wiederholt den in der aufsichtsrechtlichen Vorschrift des § 12b Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. (jetzt § 155 Abs. 1 Satz 1 VAG) verwendeten Begriff, ohne zugleich - insoweit anders als das Aufsichtsrecht in § 12b Abs. 3 und 4 VAG a.F. (jetzt § 157 VAG) - eine Aussage darüber zu treffen, von welchen Voraussetzungen die Unabhängigkeit des Treuhänders abhängt (vgl. OLG Celle r+s 2018, 547 Rn. 66) und welche Rechtsfolgen sich aus ihrem Fehlen ergeben (vgl. auch Voit, VersR 2017, 727, 731; Thüsing/Jänsch, VersR 2018, 837, 849). Auch greift die Vorschrift die weiteren Voraussetzungen, an die § 12b Abs. 3 VAG a.F. (jetzt § 157 Abs. 1 VAG) die Bestellung des Treuhänders knüpft, nicht auf. Schon das deutet darauf hin, dass es sich beim Vorliegen der im Versicherungsaufsichtsgesetz geregelten Bestellungsvoraussetzungen nicht um ein tatbestandliches Merkmal einer vertragsrechtlich wirksamen Prämienanpassung handeln soll.</p>
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<p>cc) Insbesondere lässt sich aber den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass der Gesetzgeber weder mit der Einführung des Zustimmungserfordernisses durch einen unabhängigen Treuhänder im Jahre 1994 noch bei der Reform des Versicherungsvertragsrechts durch das Gesetz vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) eine dahingehende Überprüfungsmöglichkeit für den einzelnen Versicherungsnehmer beabsichtigt hat. Ausweislich der Gesetzesmaterialien spricht vielmehr alles dafür, dass der Gesetzgeber mit dem in § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG bzw. dessen Vorläuferbestimmung in § 178g Abs. 2 VVG a.F. und § 12b Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. übereinstimmend verwendeten Begriff des "unabhängigen Treuhänders" jene Person bezeichnen wollte, die nach den im Aufsichtsrecht bestimmten Voraussetzungen unter Einhaltung des dort geregelten Verfahrens wirksam vom Versicherer zum Treuhänder bestellt worden ist, ohne damit eine eigenständige materiell-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung der Prämienanpassung zu verbinden (so auch Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002] S. 505 f.; Peters, Der Prämien- und der Bedingungsanpassungstreuhänder in der substitutiven privaten Krankenversicherung [2007] S. 288 ff.).</p>
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<p>(1) Das Erfordernis der Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders zur Prämienanpassung bei einer Krankenversicherung, bei der das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist, geht zurück auf die mit Wirkung vom 29. Juli 1994 durch das Dritte Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) vom 21. Juli 1994 (BGBl. I S. 1630) in das Versicherungsvertragsgesetz eingefügte Bestimmung des § 178g Abs. 2 VVG a.F. Der Gesetzgeber sah mit Rücksicht darauf, dass Krankenversicherungen langfristig angelegt sind und das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers entweder gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist, aus Gründen der Gewährleistung der dauernden Erfüllbarkeit der Versicherungsleistung und auch wegen der nicht auszuschließenden Notwendigkeit, Änderungen der Verhältnisse des Gesundheitswesens Rechnung zu tragen, einen fortbestehenden Anpassungsbedarf. Da das bisherige Instrumentarium - Prämien-, Bedingungs- und Tarifgenehmigung durch die Aufsichtsbehörde - mit Rücksicht auf die unionsrechtlichen Vorgaben der Dritten Richtlinie Schadenversicherung (Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG) nicht mehr zur Verfügung stand, musste ein neues Instrumentarium entwickelt werden (BT-Drucks. 12/6959 S. 105 re. Sp.).</p>
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<p>Dabei sollte aber das bewährte Verfahren, den Versicherer zu verpflichten, zumindest jährlich die erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen und bei einer Veränderung von mehr als 10 vom Hundert alle Tarifbeiträge zu überprüfen und, soweit erforderlich, nach aufsichtsbehördlicher Genehmigung anzupassen, für die nach Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung im Kern beibehalten werden; an die Stelle der Aufsichtsbehörde sollte ein unabhängiger Treuhänder treten (BT-Drucks. 12/6959 S. 62 re. Sp.).</p>
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<p>Die genannte Verpflichtung der Versicherer wurde - auf der Grundlage des durch Art. 54 der Dritten Richtlinie Schadenversicherung eröffneten Gestaltungsspielraums (vgl. BT-Drucks. 12/6959 S. 105 re. Sp.; BVerwG VersR 1999, 1001, 1002 f. [juris Rn. 28]; Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002] S. 437 f.; Küntzel, VersR 1996, 148, 150) - durch die entsprechende Regelung in § 12b Abs. 2 VAG a.F. (jetzt § 155 Abs. 3 VAG) sichergestellt. Dem Treuhänder wurden hierbei mittels eines an die Stelle des früheren Genehmigungserfordernisses getretenen Prüfungssystems (BVerwG aaO [juris Rn. 26]) Funktionen übertragen, die im bisherigen System von der Aufsicht wahrgenommen wurden (Grote aaO S. 419 m.w.N.; Peters, Der Prämien- und der Bedingungsanpassungstreuhänder in der substitutiven privaten Krankenversicherung [2007] S. 106, 158; BK-VVG/Schwintowski, § 172 Rn. 14; Winter in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 163 Rn. 21; Präve, VW 1994, 800, 804; ders., VersR 1995, 733, 739; Kirscht, VersR 2003, 1072, 1073; D. Wendt, VersR 2018, 449, 450; anders Renger, Die Verantwortung des Treuhänders in der privaten Krankenversicherung [1997] S. 22). Der Maßstab der Treuhänderentscheidung sollte dabei grundsätzlich kein anderer sein, als es bis 1994 der der Aufsichtsbehörde war (Winter in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 163 Rn. 21). Der Gesetzgeber hat damit an einer - wenn auch gegenüber dem bisherigen Recht modifizierten - Vorabkontrolle festgehalten (vgl. BVerwG aaO [juris Rn. 28]).</p>
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<p>Welche Anforderungen an den Treuhänder zu stellen sind, sollte sich allein nach dem Aufsichtsrecht bestimmen, wie in der Gesetzesbegründung zum Treuhänder in der Lebensversicherung ausdrücklich betont wird (BT-Drucks. 12/6959 S. 102 li. Sp.). Aus dem Umstand, dass in der Gesetzesbegründung zu § 178g VVG a.F. wenige Seiten später nur noch die fachlichen Qualifikationen ausdrücklich erwähnt sind (aaO S. 105 re. Sp.), kann angesichts der im Übrigen gleichgelagerten Systemumstellung nicht auf einen Willen des Gesetzgebers zu einer insoweit differenzierenden Regelung geschlossen werden, für die kein Grund erkennbar wäre.</p>
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<p>Insgesamt gibt das Aufsichtsrecht damit die Anforderungen an den Treuhänder vor und sichert zugleich die zu beachtenden Interessen der Versicherten. Um die Aufsichtsbehörde in die Lage zu versetzen, auch weiterhin Maßnahmen ergreifen zu können, wenn das Versicherungsunternehmen nach Auffassung des Treuhänders eine notwendige Erhöhung oder Senkung der Prämien nicht durchführt, hat der Gesetzgeber in § 12b Abs. 2 Satz 5 VAG a.F. (jetzt § 155 Abs. 3 Satz 5 VAG n.F.) dem Treuhänder eine Unterrichtungspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde auferlegt (BT-Drucks. 12/6959 S. 63 li. Sp.). Dadurch hat er die Bedeutung des Treuhänders als "vorgeschaltete Informationsquelle" der Aufsichtsbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Aufgaben betont (Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002] S. 420; vgl. auch Präve, VersR 1995, 733, 739). Die Mitwirkung der Aufsichtsbehörde im Bestellungsverfahren gemäß § 12b Abs. 4 VAG a.F. wiederum soll sicherstellen, dass das Versicherungsunternehmen mit der Prüfung der Prämienkalkulation einen unabhängigen und sachkundigen Treuhänder betraut (so BT-Drucks. 12/6959 S. 63 li. Sp.), und so die Belange der an der Bestellung des Treuhänders nicht beteiligten Versicherten hinreichend gewahrt bleiben, insbesondere die Unabhängigkeit des Treuhänders gewährleistet ist (Grote aaO S. 478). Ferner berechtigte § 12b Abs. 4 Satz 3 VAG a.F. (jetzt § 157 Abs. 2 Satz 3 VAG) die Aufsichtsbehörde, die Bestellung eines anderen Treuhänders zu verlangen, wenn nachträglich Umstände bekannt werden, die seiner Bestellung entgegenstehen würden oder der Treuhänder die ihm obliegenden Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllt, insbesondere bei Zustimmung zu einer den Rechtsvorschriften nicht entsprechenden Prämienänderung.</p>
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<p>(2) Auch durch die Reform des Versicherungsvertragsrechts durch das Gesetz vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) hat sich daran nichts geändert.</p>
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<p>Der Gesetzgeber hat bei dieser Gelegenheit in § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG auf die Vorschriften des § 12b Abs. 1 bis 2a VAG a.F. (nunmehr § 155 VAG) und auf die aufgrund der Ermächtigungsgrundlage in § 12c VAG a.F. (jetzt § 160 VAG) erlassene Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung - KalV) vom 18. November 1996 (BGBl. I S. 1783) - vgl. nunmehr Verordnung betreffend die Aufsicht über die Geschäftstätigkeit in der privaten Krankenversicherung (Krankenversicherungsaufsichtsverordnung - KVAV) vom 18. April 2016 (BGBl. I S. 780) - verwiesen und so den materiellen Kern dieser Bestimmungen im Vertragsrecht abgebildet (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 113 re. Sp.). Hinsichtlich der aufsichtsrechtlichen Anforderungen an den Treuhänder hat der Gesetzgeber dagegen von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Damit bietet die Vorschrift des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG weiterhin keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber über die aufsichtsrechtlichen Vorgaben für die Treuhänderbestellung und das dabei einzuhaltende Verfahren hinaus entsprechende Anforderungen auch für das Vertragsrecht aufstellen wollte.</p>
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<p>dd) Gegen eine solche Annahme spricht nicht zuletzt der Zweck der Regelung, wie er im Wortlaut des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG selbst ebenfalls zum Ausdruck kommt. Dieser Zweck, Gründe der Rechtssicherheit und die in § 12 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 VAG a.F. (vgl. nunmehr § 146 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 138 Abs. 2 VAG n.F.) für die substitutive Krankenversicherung angeordnete Gleichbehandlung aller Versicherungsnehmer gebieten es, die Entscheidung über die Bestellungsvoraussetzungen einheitlich zu treffen.</p>
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<p>(1) Die Bestimmung des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG berechtigt den Versicherer unter den dort aufgestellten Voraussetzungen zur Prämienanpassung "auch für bestehende Versicherungsverhältnisse". Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Versicherer sein unter den gesetzlichen Voraussetzungen bestehendes Gestaltungsrecht nicht für einzelne, sondern nur für eine Mehrzahl gleichartig betroffener Verträge ausüben soll (siehe auch § 12b Abs. 2 Satz 2 VAG a.F.: "alle Prämien dieses Tarifs"; vgl. Wriede, VersR 1994, 251, 253). Das gesetzliche Anpassungsrecht des Versicherers zielt nämlich vorrangig darauf ab, die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge zu gewährleisten (so ausdrücklich BT-Drucks. 12/6959 S. 105 re. Sp.; vgl. Präve, VersR 1995, 733, 737; Renger, VersR 1993, 678, 681). Es dient damit der Wahrung der Belange aller Versicherten. Auch die Regelungen der §§ 5, 11a, 12, 12b und 13d VAG a.F. sollen sicherstellen, dass die Versicherungsprämie in einer Weise kalkuliert wird, die zum einen die dauernde Erfüllbarkeit der vom Versicherungsunternehmen versprochenen Leistungen gewährleistet und zum anderen spätere Prämiensteigerungen ausschließt, soweit sie nicht auf vom Versicherungsunternehmen nicht beeinflussbaren Gründen beruhen. Die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge ist das Hauptziel der Versicherungsaufsicht und im Bereich der substitutiven Krankenversicherung ein Schutzgut von erhöhter Bedeutung (BVerwG VersR 1999, 1001, 1003 [juris Rn. 28]).</p>
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<p>(2) Damit erfüllt § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG als vertragsrechtliches Korrelat zur entsprechenden aufsichtsrechtlichen Verpflichtung des Versicherers eine Aufgabe, die im Allgemeinen der Aufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Rechts- und Finanzaufsicht über die Versicherungsunternehmen zugewiesen ist (siehe § 81 Abs. 1 Satz 2 VAG a.F.; nunmehr § 294 Abs. 2 Satz 2 VAG n.F.). Der die Zustimmung erklärende Treuhänder ist Vertreter der Interessen der Gesamtheit der Versicherungsnehmer. Seine Einschaltung soll einen Ausgleich dafür schaffen, dass das Gesetz dem Versicherer ein einseitiges Vertragsänderungsrecht einräumt und dadurch die Vertragsfreiheit der Versicherungsnehmer einschränkt (Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 312 [juris Rn. 35] m.w.N.). Seine Entscheidung dient dabei der Wahrung der Belange aller Versicherten, die mit den individuellen Interessen einzelner Versicherungsnehmer nicht durchweg übereinzustimmen brauchen (vgl. BVerfG VersR 2000, 214, 216 [juris Rn. 14] und auch BVerwG VersR 1996, 1133 [juris Rn. 4]; Kalis, r+s 2018, 464, 467).</p>
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<p>(3) Diese Anbindung der Aufgabenwahrnehmung des Treuhänders an das Versichertenkollektiv (vgl. Peters, Der Prämien- und der Bedingungsanpassungstreuhänder in der substitutiven privaten Krankenversicherung [2007] S. 145 f. m.w.N.) steht einem subjektiven Recht des einzelnen Versicherungsnehmers auf zivilgerichtliche Überprüfung der aufsichtsrechtlich definierten Bestellungsvoraussetzungen des Treuhänders entgegen. Die Entscheidung über diese Voraussetzungen ist vielmehr allein im Aufsichtsrecht zu suchen, das in § 12b Abs. 4 VAG a.F. der Aufsichtsbehörde die Aufgabe übertragen hat, über die Unabhängigkeit des Treuhänders zu wachen (vgl. Buchholz, VersR 2005, 866, 867 und auch Winter in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 163 Rn. 21 zum Prämientreuhänder in der Lebensversicherung). Ein solches aufsichtsrechtlich geregeltes und einheitliches Verfahren dient dazu, rasche und einheitliche Klarheit zu schaffen, um Gefährdungs- und Zergliederungserscheinungen zu begegnen (vgl. auch OLG Stuttgart NVersZ 2002, 164, 168 [juris Rn. 120]; Kirscht, VersR 2003, 1072, 1080; Kalis, r+s 2018, 464, 469). Diese gesetzliche Kompetenzzuweisung würde durch eine sachliche Überprüfung einzelner Bestellungsvoraussetzungen im Rechtsstreit des einzelnen Versicherungsnehmers um die Wirksamkeit der Prämienanpassung mangels Rechtskraftwirkung für andere Versicherungsnehmer unterlaufen (in diese Richtung auch Wiemer/Richter, VersR 2018, 641, 647; Thüsing/Jänsch, VersR 2018, 837, 852 f.).</p>
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<p>(4) Dagegen bestünde bei der Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders im Zivilrechtsstreit in erhöhtem Maße die Gefahr divergierender Entscheidungen mit der Folge einer Störung der Beitrags- und Leistungsstabilität. Die Unabhängigkeit des Treuhänders könnte von verschiedenen Gerichten unterschiedlich beurteilt werden mit der Folge, dass auch eine materiell gerechtfertigte Prämienerhöhung bei einzelnen Versicherungsnehmern desselben Tarifs Bestand hat, bei anderen jedoch nicht (so zutreffend OLG Celle r+s 2018, 547 Rn. 78 f.).</p>
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<p>Mit der von den Zivilgerichten durchzuführenden materiellen Prüfung von Voraussetzungen und Umfang der vorgenommenen Prämienerhöhung (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 325 [juris Rn. 7]) erfolgt zugleich eine umfassende Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der vorgenommenen Beitragsanpassung, was für die Stabilität der Prämien unabdingbar ist. Müsste das Zivilgericht dagegen die Unabhängigkeit des Treuhänders überprüfen und führte bereits diese Prüfung zur Unwirksamkeit der Beitragsanpassung, würde das die Gefahr bergen, dass eine Überprüfung ihrer Richtigkeit im Übrigen unterbliebe und eine diesbezüglich nicht zu beanstandende Anpassung für unwirksam erklärt würde, obwohl auch ein anderer Treuhänder ebenso die Zustimmung hätte erteilen müssen (ebenso OLG Celle aaO Rn. 82) und sich eine etwa fehlende Neutralität oder Unabhängigkeit des tatsächlich tätig gewordenen Treuhänders damit gar nicht ausgewirkt hätte, weil dieser aufgrund des Vorliegens der materiellen Anpassungsvoraussetzungen verpflichtet war, der Beitragserhöhung zuzustimmen (vgl. Voit, VersR 2017, 727, 732 f.; Wiemer/Richter, VersR 2018, 641, 646).</p>
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<p>Es liefe jedoch dem Zweck der Regelungen in § 12b Abs. 2, 2a VAG a.F. (jetzt § 155 VAG) und § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG zuwider, wenn eine Prämienanpassung trotz Vorliegens der inhaltlichen Voraussetzungen allein an einer fehlenden Unabhängigkeit des zuständigen Treuhänders scheiterte (so zutreffend BeckOK-VAG/Franz/Frey, § 157 Rn. 30a [Stand: 1. September 2018]). Denn die Vorschriften zur Prämienanpassung bezwecken es, die Einhaltung des Äquivalenzprinzips und die dauerhafte Erfüllbarkeit der Versicherungsleistungen zu gewährleisten (BT-Drucks. 12/6959 S. 105 re. Sp.). Demgemäß berechtigt die Regelung in § 12b Abs. 2, 2a VAG a.F. (jetzt § 155 VAG) den Versicherer nicht nur zur Vornahme einer Prämienanpassung unter den dort genannten Voraussetzungen, sondern begründet zugleich eine entsprechende Verpflichtung. Daraus ergibt sich, dass - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - auch eine vorübergehende Äquivalenzstörung im Interesse der Beitragsstabilität vermieden werden muss. Eine solche träte ein, wenn eine Prämienanpassung, zu der der Versicherer zwecks Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit aus materiellen Gründen verpflichtet ist, nur wegen fehlender Unabhängigkeit des Treuhänders für unwirksam erklärt würde, diese aber im Zuge der nächsten jährlichen Überprüfung vom Versicherer nachgeholt werden müsste, wobei die dann vorzunehmende Anpassung wegen der zwischenzeitlich entstandenen Lücke bei den Prämienzahlungen gegebenenfalls sogar höher ausfallen könnte.</p>
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<p>(5) Anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - auch nicht unter Berücksichtigung der dem Prämientreuhänder durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000) vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2626) mit Wirkung vom 1. Januar 2000 in § 12b Abs. 1a VAG a.F. (nunmehr § 155 Abs. 2 VAG) übertragenen Mitwirkung bei der Verwendung der Mittel aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung (a.A. Ossyra, VuR 2018, 373, 379). Der Zweck der Einschaltung des Prämientreuhänders bei dieser Aufgabe erfordert ebenfalls keine Überprüfungsmöglichkeit seiner Unabhängigkeit durch den einzelnen Versicherungsnehmer im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung.</p>
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<p>Die Verwendung der Mittel aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattung ist in systematischer Hinsicht Teil der Prämienberechnung (MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 408; vgl. auch Senatsurteile vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 332 f. [juris Rn. 22 ff.]; vom 1. Juli 1992 - IV ZR 191/91, BGHZ 119, 55, 58 [juris Rn. 13 ff.]). Die Feststellung, ob die im Rahmen einer Nachkalkulation nach § 12b Abs. 2 Satz 2 VAG a.F. errechneten Anpassungen limitiert werden müssen und inwieweit dem Versicherer dafür Mittel aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung zur Verfügung stehen, ist Bestandteil der Neukalkulation der Prämie (so auch Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002], S. 576 ff.).</p>
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<p>Bei der Frage, ob und in welcher Höhe die Mittel aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung zu verwenden sind, handelt es sich aber im Kern um eine unternehmerische Entscheidung, die - mit Ausnahme der nach § 12a Abs. 3 VAG a.F. vorgeschriebenen Verwendung, die alleine älteren Versicherten zugutekommt - gerade nicht durch inhaltliche gesetzliche Vorgaben determiniert werden sollte (vgl. Gutachten der Unabhängigen Expertenkommission zur Untersuchung der Problematik steigender Beiträge der privat Krankenversicherten im Alter, BT-Drucks. 13/4945 S. 40). Aus diesem Grunde verbleibt auch das originäre Entscheidungsrecht über die Mittelverwendung zunächst beim Versicherer. Der Treuhänder hat lediglich eine Kontrollfunktion und darf sein Veto nur einlegen, wenn sich die Entscheidung des Versicherers nicht im Rahmen dessen hält, was bei Beachtung der gesetzlichen Beurteilungsspielräume, deren Einhaltung der Treuhänder unter Anwendung eines objektiv generalisierenden Maßstabs (siehe BT-Drucks. 14/1245 S. 122 li. Sp.) überwachen soll, zulässig ist; einen darüber hinausgehenden Spielraum, dem sich der Versicherer unterordnen müsste, hat er nicht (vgl. Präve in Prölss/Dreher, VAG 13. Aufl. § 155 Rn. 13 a.E.; Reinhard, VersR 2003, 952, 955; MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 435, 594 f.).</p>
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<p>Die Grenzen der dem Versicherer zustehenden Beurteilungsspielräume sind dabei im Rahmen der materiellen Überprüfung der Berechtigung des Versicherers zur Prämienanpassung voll gerichtlich überprüfbar (vgl. MünchKomm-VVG/Boetius aaO Rn. 435, 595; für eine unter Umständen zur Unwirksamkeit der Beitragsanpassung führende Überprüfung der nach § 12b Abs. 1a Satz 3 VAG a.F. zu beachtenden "Zumutbarkeit" einer Prämiensteigerung ausdrücklich Gerwins, NVersZ 2000, 353, 360).</p>
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<p>(6) Entgegen einzelner Stimmen in der Literatur (siehe insoweit nur Kaulbach in Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG 5. Aufl. § 11b Rn. 5, § 12b Rn. 25; vgl. auch Göertz in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG 6. Aufl. § 142 Rn. 5) macht das vorstehend dargelegte Verständnis des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG die Einbindung des Treuhänders in das Prämienerhöhungsverfahren auch nicht etwa entbehrlich. Sie beschränkt vielmehr die Möglichkeiten des Versicherers, die Berechtigung der Prämienerhöhung durch das Nachschieben von Unterlagen im Prozess darlegen zu können, weil nur die Unterlagen, die der Versicherer dem Treuhänder zur Prüfung gemäß § 12b VAG a.F., § 15 KalV a.F. (nunmehr § 17 KVAV) vorgelegt hat, Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sind (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 329 f. [juris Rn. 15 f., 25]; vgl. auch Senatsurteil vom 9. Dezember 2015 - IV ZR 272/15, r+s 2016, 85 Rn. 26 sowie Gerwins, NVersZ 1999, 53, 54). Zugleich verhindert die Verweigerung der Zustimmung eine Prämienanpassung durch den Versicherer und erspart dem einzelnen Versicherungsnehmer so eine gerichtliche Überprüfung. Dem Treuhänder kommt damit auch weiterhin seine vom Gesetzgeber intendierte "Filterfunktion" (vgl. Voit, VersR 2017, 727, 732) zu.</p>
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<p>(7) Anders als die Revisionserwiderung meint, ist die Einhaltung des Unabhängigkeitserfordernisses durch die aufsichtsrechtlichen Kontrollinstrumente zudem hinreichend gesichert. Das Gesetz räumt den Aufsichtsbehörden verschiedene Möglichkeiten ein, die Anforderungen des § 12b Abs. 3 VAG a.F. an die fachliche Qualifikation und Unabhängigkeit des Treuhänders durchzusetzen und notfalls selbst den Treuhänder zu bestellen, § 12b Abs. 4 Satz 4 VAG a.F. (jetzt § 157 Abs. 2 Satz 4 VAG). Damit ist ein Höchstmaß an Aufsichtsbefugnissen gewährleistet (so auch Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 185; vgl. ferner Bürkle, VersR 2004, 826, 831; Brand, Festschrift Schwintowski [2017] S. 19, 37). Alle übrigen Fragen im Zusammenhang mit einer Beitragsanpassung können bei deren materieller Überprüfung geklärt werden.</p>
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<p>ee) Der aufgrund des Rechtsstaatsprinzips notwendige wirkungsvolle Rechtsschutz gegen vom Versicherer vorgenommene Beitragsanpassungen ist ebenfalls gewährleistet, ohne dass dem einzelnen Versicherungsnehmer hierfür eine gesonderte Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders und damit der aufsichtsrechtlichen Voraussetzungen für die Bestellung zum Treuhänder ermöglicht werden müsste.</p>
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<p>Die Rechtsordnung muss dafür sorgen, dass die verfassungsrechtlich geschützten Interessen derjenigen, die von der gesetzlichen Einschränkung der Vertragsfreiheit betroffen sind, hinreichend gewahrt werden (Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 306 [juris Rn. 21]; vgl. auch BVerfG VersR 2005, 1109, 1117 f. [juris Rn. 131 ff.] und VersR 2005, 1127, 1130 f. [juris Rn. 59 ff.]). Eine solche wirkungsvolle richterliche Kontrolle auf Veranlassung und unter Mitwirkung des einzelnen Versicherungsnehmers ist aber bereits dadurch garantiert, dass die Prämienanpassung im Individualprozess in sachlicher Hinsicht einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch die Zivilgerichte anhand der maßgeblichen privatrechtlichen Normen unterliegt (vgl. Senatsurteile vom 9. Dezember 2015 - IV ZR 272/15, r+s 2016, 85 Rn. 9, 21; vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 325 [juris Rn. 7]; BVerfG VersR 2000, 214, 215 f. [juris Rn. 11 ff.]). Diese Überprüfung erfolgt anhand der ins Einzelne gehenden engen und verbindlichen materiellen Vorgaben. Der Treuhänder hat die ihm obliegende Zustimmung zu erteilen, wenn die Beitragsberechnung mit diesen Vorgaben in Einklang steht (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 aaO S. 328 f. [juris Rn. 13]). Bestandteil der insoweit stattfindenden Überprüfung sind wie dargelegt alle vom Treuhänder zu beachtenden materiell-rechtlichen Vorgaben für die Beitragskalkulation einschließlich der Verwendung der Mittel aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung und deren Auswirkung auf die Anpassungen der einzelnen Tarife. Dazu gehört nicht nur das Vorliegen der Anpassungsvoraussetzungen, sondern auch, ob die vom Versicherer vorgenommene Neuberechnung der Prämie nach aktuariellen Grundsätzen mit den bestehenden Rechtsvorschriften und eventuell zugunsten des Versicherten davon abweichenden vertraglichen Bestimmungen in Einklang steht. Diese Überprüfung hat sich sowohl auf die Ermittlung des Anpassungsfaktors als auch auf die Limitierungsmaßnahmen zu erstrecken (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 aaO S. 332 f. [juris Rn. 22-24]). Der Maßstab für die letztgenannte Prüfung ergibt sich dabei aus § 12b Abs. 1a Satz 2 und 3 VAG a.F. (vgl. zu den Einzelheiten insoweit Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002] S. 584 ff.; Gerwins, NVersZ 2000, 353, 359). Somit kann im Rahmen dieser materiellen Überprüfung abschließend geklärt werden, ob eine Prämienerhöhung nach Grund und Höhe zu Recht erfolgt ist (zutreffend OLG Celle r+s 2018, 547 Rn. 70); die sachliche Richtigkeit der Zustimmung des Treuhänders zur Prämienanpassung wird insofern inzident mitgeprüft (Rixecker, ZfS 2018, 645).</p>
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<p>Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich auch der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Dezember 1999 (1 BvR 2203/98, VersR 2000, 214) nicht entnehmen, dass die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes daneben eine gesonderte Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders durch die Zivilgerichte verlangt. Gegenstand des dieser Entscheidung zugrunde liegenden Ausgangsverfahrens waren Prämienerhöhungen vor und nach der Rechtsänderung im Jahr 1994. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt, dass dem Versicherungsnehmer hinsichtlich der für die Wirksamkeit der Prämienerhöhung bis 1994 notwendigen Genehmigung der Aufsichtsbehörde keine verwaltungsgerichtliche Überprüfung eröffnet war, da sie dem einzelnen Versicherungsnehmer gegenüber keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfaltete (vgl. BVerfG aaO S. 216 [juris Rn. 13] mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: BVerwGE 30, 135; 75, 147; BVerwG VersR 1996, 1133); für entscheidend hat das Bundesverfassungsgericht gehalten, dass den Versicherungsnehmern eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Berechnung der Prämienerhöhungen durch die (Zivil-)Gerichte ermöglicht werden muss. Eine solche aber ist ihnen auch heute - wie dargelegt - eröffnet.</p>
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<p>c) Das vorstehend aufgezeigte, durch Auslegung ermittelte Normverständnis steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung des erkennenden Senats vom 12. Oktober 2005 (IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297). Zwar hat der Senat dort nähere Ausführungen dazu, welche Anforderungen an die Unabhängigkeit des Treuhänders zu stellen sind, deshalb als nicht erforderlich angesehen, weil der damalige Kläger insoweit keine konkreten, auf die Person des Treuhänders bezogenen Bedenken erhoben hatte (aaO S. 312 [juris Rn. 34 f.]). Jener Entscheidung lag aber ein vom jetzt zur Entscheidung stehenden Fall abweichender Sachverhalt zugrunde.</p>
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<p>In dem damaligen Verfahren war über die Wirksamkeit einer im Treuhänderverfahren gemäß § 172 Abs. 2 VVG in seiner bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung durchgeführten Ersetzung von Klauseln in Allgemeinen Bedingungen der Lebensversicherung zu entscheiden, die der Senat durch Urteile vom 9. Mai 2001 (IV ZR 121/00, BGHZ 147, 354 und IV ZR 138/99, BGHZ 147, 373) wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam erklärt hatte. Insoweit oblag dem Treuhänder bei der Bedingungsanpassung im Wesentlichen eine rechtliche Beurteilung, so dass er in einem im Streitfall den Zivilgerichten zugewiesenen Aufgabenbereich tätig wurde. Auf den auch hierin liegenden Unterschied der Treuhändertätigkeit im Vergleich zur Prämienanpassung hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 16. Juni 2004 (IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323) hingewiesen (aaO S. 328 f. [juris Rn. 13 f.]; ebenso OLG Celle r+s 2018, 547 Rn. 73; Thüsing/Jänsch, VersR 2018, 837, 848; Wiemer/Richter, VersR 2018, 641, 646).</p>
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<p>Bei der Reform des Versicherungsvertragsrechts im Jahre 2008 hat der Gesetzgeber dann sowohl in der Lebens- als auch in der Krankenversicherung bewusst davon abgesehen, die bis dahin in den §§ 172 Abs. 2, 178g Abs. 3 Satz 2 VVG a.F. vorgesehene Mitwirkung eines Treuhänders bei der Anpassung unwirksamer Versicherungsbedingungen in das neue Recht zu übernehmen, eben weil dem Bedingungstreuhänder im Wesentlichen eine rechtliche Beurteilung oblag und seine Zustimmung deshalb beim Versicherungsnehmer den Eindruck erwecken konnte, dass eine gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der neuen Klausel von vornherein erfolglos wäre (siehe BT-Drucks. 16/3945 S. 100 re. Sp.; S. 113 re. Sp.). Schon wegen dieser Unterschiede lässt sich aus dem genannten Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 (IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297) jedenfalls für die Rechtslage nach der VVG-Reform nicht entnehmen, dass eine gesonderte Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung erforderlich wäre.</p>
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<p>4. Soweit im vorliegenden Rechtsstreit die Prämienanpassung nicht nur in der Krankheitskostenversicherung, sondern auch in der Krankentagegeldversicherung des Klägers betroffen ist, lassen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts darüber hinaus nicht erkennen, dass es sich bei letzterer um eine Versicherung handelt, bei der das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Vorschrift des § 203 Abs. 2 VVG jedoch anwendbar.</p>
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<p>III. Die Sache ist nach alledem an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da es zur Entscheidung des Rechtsstreits noch weiterer Feststellungen bedarf.</p>
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<p>1. Insoweit wird das Berufungsgericht nicht nur die Frage der Unkündbarkeit der Krankentagegeldversicherung zu klären, sondern auch der - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - bisher nicht behandelten Frage nachzugehen haben, ob die Prämienanpassungen ausreichend im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG begründet worden sind (vgl. zum Streitstand hinsichtlich der Anforderungen an die Mitteilung OLG Celle r+s 2018, 547 Rn. 91; MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 1157; ders., Private Krankenversicherung § 203 VVG Rn. 206; Brand, VersR 2018, 453, 457 einerseits und LG Neuruppin VersR 2018, 469; LG Berlin VersR 2018, 465; Klimke, VersR 2016, 22, 24; D. Wendt, VersR 2018, 449, 453; PK-VersR/Brömmelmeyer, 3. Aufl. § 203 VVG Rn. 47 andererseits; differenzierend Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 203 Rn. 19).</p>
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<p>Der Senat weist dabei für das weitere Verfahren darauf hin, dass eine etwaige zunächst unzureichende Mitteilung der Gründe möglicherweise nur den Zahlungsanträgen auf Rückzahlung der bis einschließlich 2015 geleisteten Prämienzahlungen, nicht aber auch den darüber hinaus reichenden Feststellungsanträgen zum Erfolg verhelfen würde, sofern eine ausreichende Mitteilung der Gründe in den detaillierten Angaben in der Klageerwiderung erblickt werden könnte.</p>
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<p>Wenn eine Mitteilung der Prämienanpassung zunächst ohne eine den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügende Begründung erfolgt, diese aber später nachgeholt wird, wird dadurch die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt (so auch MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 1160). Dies folgt aus einer Auslegung der Norm.</p>
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<p>a) Schon der Wortlaut der Regelung macht deutlich, dass sie lediglich den Zeitpunkt des Eintritts der Wirkung der Anpassungserklärung an die Mitteilung der Neufestsetzung als solcher einerseits und der für sie maßgeblichen Gründe andererseits knüpft. Dagegen gibt der Wortlaut der Vorschrift keinen Anhalt dafür, dass die Wirksamkeit der Gestaltungserklärung des Versicherers selbst von der Mitteilung der für sie maßgeblichen Gründe abhängen soll. Diese bestimmt sich vielmehr nach allgemeinen Regeln (vgl. insoweit auch MünchKomm-VVG/Wandt, 2. Aufl. § 163 Rn. 72, 75).</p>
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<p>b) Gegen ein abweichendes Normverständnis spricht weiter, dass das Versicherungsvertragsgesetz, soweit es an die Verletzung einer dem Versicherer gesetzlich auferlegten Hinweis- oder Begründungspflicht eine endgültige Sanktion knüpft, dies ausdrücklich anordnet (vgl. etwa § 5 Abs. 3 VVG). Ansonsten lässt es eine Nachholung gesetzlich gebotener Informationen und Hinweise und einen daran anknüpfenden Lauf von Fristen zu (vgl. § 8 Abs. 2 VVG). Demgemäß wird auch für die vom Versicherer aufgrund einer Anpassungsklausel vorgenommene Prämienerhöhung überwiegend vertreten, dass der gebotene Hinweis auf das Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VVG nachgeholt werden kann (vgl. HK-VVG/Karczewski, 3. Aufl. § 40 Rn. 15; Stagl/Brand in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 40 Rn. 10; Reiff in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 40 Rn. 21 f.).</p>
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<p>c) Vor allem aber sprechen die Gesetzgebungsgeschichte sowie der Sinn und Zweck des § 203 Abs. 5 VVG für die Heilungsmöglichkeit eines Begründungsmangels. Zu der Vorgängerregelung in § 178g Abs. 4 VVG a.F., die das Wirksamwerden der Prämienanpassung allerdings nur an eine "Benachrichtigung" des Versicherungsnehmers knüpfte, ohne weitergehende inhaltliche Anforderungen aufzustellen, wurde es nicht in Zweifel gezogen, dass bei Fehlen einer ordnungsgemäßen Benachrichtigung oder einer Nichtbeweisbarkeit ihres Zugangs dem Versicherer das Recht zur Nachholung nicht abgeschnitten sein sollte (vgl. LG Köln, Urteil vom 4. Juli 2007 - 23 O 367/04, juris Rn. 43 sowie zur entsprechenden Bestimmung für die Lebensversicherung Kollhosser in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 172 Rn. 39; zum neuen Recht siehe Schneider in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 163 Rn. 16).</p>
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<p>Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien waren mit der Neufassung des Gesetzes wesentliche inhaltliche Änderungen gegenüber dem früheren Gesetzeszustand lediglich insoweit beabsichtigt, als der Regelungsinhalt der dispositiven Bestimmung des § 178g Abs. 4 VVG a.F. nunmehr halbzwingend ausgestaltet werden sollte (siehe BT-Drucks. 16/3945 S. 114 li. Sp. sowie S. 99 re. Sp. zur Parallelbestimmung in § 163 Abs. 3 VVG). Danach spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber mit der neugefassten Bestimmung des § 203 Abs. 5 VVG die endgültige Unwirksamkeit einer Beitragsanpassung im Falle nicht ausreichender Mitteilung der Gründe herbeiführen wollte; im Wortlaut der Vorschrift kommt dies nicht zum Ausdruck. Die Norm zielt vielmehr - wie ihre Vorläuferbestimmung - in erster Linie darauf ab, dem Versicherungsnehmer einen gewissen Zeitraum zu belassen, um sich auf eine ihm mitgeteilte Vertragsänderung einstellen zu können und sich darüber klar zu werden, ob er innerhalb der zeitgleich ausgestalteten Frist des § 205 Abs. 4 VVG sein Kündigungsrecht ausübt oder die Prämienänderung zum Anlass nimmt, von seinem Tarifwechselrecht nach § 204 VVG Gebrauch zu machen, auf das ihn der Versicherer bei der substitutiven Krankenversicherung nach § 6 Abs. 2 VVG-InfoV bei der Prämienerhöhung ebenfalls hinzuweisen hat (vgl. auch MünchKomm-VVG/Wandt, 2. Aufl. § 163 Rn. 75).</p>
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<p>2. Soweit das Berufungsgericht eine ausreichende Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie bejaht, wird es sodann die materiellen Voraussetzungen der Prämienanpassung zu prüfen haben.</p>
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<p>3. Sollte es danach die geltend gemachten Zahlungsansprüche ganz oder teilweise für berechtigt halten, wird es auch die Frage der Verjährung neu zu beurteilen haben, die angesichts der dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB sowie der Klageerhebung im Jahre 2016 allerdings nur für die im Jahre 2012 geleisteten Prämienanteile in Betracht kommt.</p>
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<p style="text-align:left">Mayen     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
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<p style="text-align:left">Harsdorf-Gebhardt     </p>
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</td>
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<p style="text-align:left">Lehmann</p>
</td>
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<tr>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Dr. Brockmöller     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Dr. Bußmann     </p>
</td>
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178,100 | bgh-2018-12-19-xii-zr-518 | {
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<p>Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 5. Januar 2018 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.</p>
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<p>Von Rechts wegen</p>
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<h2>Tatbestand</h2>
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<p>Der Kläger macht gegen die Beklagte einen mietrechtlichen Unterlassungsanspruch wegen vertragswidriger Nutzung von Gewerberäumen zu Wohnzwecken geltend.</p>
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<p>Mit Vertrag vom 28. Mai 2010 mietete die Beklagte von der damaligen Eigentümerin des Gebäudes das Erdgeschoss (275 qm), das erste Obergeschoss (205 qm), drei Kellerräume (75 qm) sowie eine anteilige Fläche des Eingangsbereichs im Erdgeschoss (ca. 20 qm). Mietbeginn war der 1. Juni 2010. In § 2 des Mietvertrags heißt es: "Die Vermietung erfolgt zum Betrieb eines Rechtsanwaltsbüros".</p>
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<p>Der Kläger erwarb die Immobilie von der damaligen Vermieterin. Die Beklagte nutzt seit Bezug der Immobilie das gesamte erste Obergeschoss zu Wohnzwecken. Einen auf den 2. Mai 2011 datierten Nachtrag zum Mietvertrag, der ihr rückwirkend die Nutzung des ersten Obergeschosses zu Wohnzwecken erlaubt hätte, unterzeichnete die Beklagte nicht. Mit Schreiben vom 14. Juli 2016 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 29. Juli 2016 auf, die Nutzung des ersten Obergeschosses zu Wohnzwecken zu unterlassen.</p>
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<p>Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, das erste Obergeschoss der Immobilie zu Wohnzwecken zu nutzen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.</p>
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<h2>Entscheidungsgründe</h2>
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<p>Die Revision hat keinen Erfolg.</p>
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<p>Das Oberlandesgericht hat seine in ZMR 2018, 499 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:</p>
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<p>Dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch nach § 541 BGB zu. Die teilweise Nutzung des Mietobjekts als Wohnung stelle keinen vertragsgemäßen Gebrauch dar, weil der Beklagten auf der Grundlage des geschlossenen Mietvertrags eine Nutzung des Objekts zu Wohnzwecken nicht erlaubt sei. Die Regelung in § 2 des Mietvertrags sei eindeutig und keiner anderslautenden Interpretation zugänglich. Die Vermietung erfolge zum Betrieb eines Rechtsanwaltsbüros (Nr. 1) und die Nutzung der Mieträume zu jedwedem anderen Zweck bedürfe der ausdrücklichen schriftlichen Genehmigung (Nr. 3). Eine solche schriftliche Genehmigung hinsichtlich einer Nutzung zu Wohnzwecken liege aber nicht vor. Die Beklagte habe auch nicht bewiesen, dass sich der Vermieter mündlich mit einer Nutzung zu Wohnzwecken einverstanden erklärt habe. Die gemäß § 541 BGB erforderliche Abmahnung sei erfolgt.</p>
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<p>Der Unterlassungsanspruch sei auch nicht verwirkt. Wenn der Beklagten nur die Nutzung zu Bürozwecken erlaubt gewesen sei und sie sich sodann geweigert habe, den ersten Nachtrag zum Mietvertrag zu unterschreiben, welcher ihr die Nutzung zu Wohnzwecken erlaubt hätte, handele vielmehr die Beklagte rechtsmissbräuchlich, wenn sie nunmehr im Prozess geltend mache, der Unterlassungsanspruch sei verwirkt.</p>
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<p>Der Unterlassungsanspruch sei auch nicht verjährt. Zwar verjähre auch ein Unterlassungsanspruch in drei Jahren, wobei die Verjährungsfrist grundsätzlich mit der Zuwiderhandlung zu laufen beginne. Im vorliegenden Fall sei jedoch von einem Dauerverstoß mit der Folge auszugehen, dass der Anspruch des Vermieters auf Unterlassung während der Mietzeit ständig neu entstehe und mithin während der Mietzeit nicht verjähre. Die (vertragliche) Pflicht, bei Gewerberaummietverhältnissen eine Wohnnutzung ohne Erlaubnis des Vermieters zu unterlassen, stelle eine in die Zukunft gerichtete Dauerverpflichtung dar. Diese Pflicht des Mieters erschöpfe sich nicht in einer einmaligen Unterlassung, sondern gehe dahin, die Mietsache während der Mietzeit zu keinem Zeitpunkt als Wohnung zu nutzen, und entstehe daher während des Mietverhältnisses ständig neu. Bei dem Verstoß gegen (Dauer-)Unterlassungspflichten sprächen auch Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften nicht für eine Verjährung des Unterlassungsanspruchs, weil keine Verdunkelungsgefahr durch Zeitablauf bestehe.</p>
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<p>Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.</p>
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<p>1. Zu Recht ist das Oberlandesgericht zu der Auffassung gelangt, dass dem Kläger gemäß § 541 BGB gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der vertragswidrigen Nutzung der Räumlichkeiten im ersten Obergeschoss des Mietobjekts zu Wohnzwecken zusteht.</p>
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<p>a) Zutreffend ist das Oberlandesgericht hierbei davon ausgegangen, dass im Rahmen eines Mietverhältnisses ein Unterlassungsanspruch wegen einer vertragswidrigen Nutzung der Mietsache nicht auf § 1004 BGB gestützt werden kann, sondern allein § 541 BGB anwendbar ist. Für den Bereich der Wohnraummiete hat dies der Bundesgerichtshof bereits entschieden (BGH Beschluss vom 17. April 2007 - VIII ZB 93/06 - NJW 2007, 2180). Bei Mietverhältnissen über Gewerberäume gilt nichts anderes. Aus der systematischen Stellung des § 541 BGB im "Untertitel 1. Allgemeine Vorschriften für Mietverhältnisse" folgt, dass die Vorschrift für alle Mietverhältnisse gilt und daher stets § 1004 BGB verdrängt (vgl. Schmidt-Futterer/Blank Mietrecht 13. Aufl. § 541 BGB Rn. 2).</p>
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<p>b) Nach § 541 BGB kann der Vermieter auf Unterlassung klagen, wenn der Mieter einen vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache trotz Abmahnung fortsetzt.</p>
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<p>aa) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts haben die Mietvertragsparteien ausschließlich eine gewerbliche Nutzung der Mieträume, nämlich zum Betrieb eines Rechtsanwaltsbüros (§ 2 Nr. 1 des Mietvertrags), vereinbart. Eine andere Nutzung der Mieträume ist dem Mieter nach § 2 Nr. 3 des Mietvertrags nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung gestattet. Das Vorliegen einer solchen Genehmigung hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt. Schließlich ist auch die Würdigung des Oberlandesgerichts, die Beklagte habe eine mündliche Vereinbarung, mit der ihr die Nutzung der Räume im ersten Obergeschoss zu Wohnzwecken gestattet wurde, nicht beweisen können, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Auch die Revision erinnert hiergegen nichts.</p>
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<p>bb) Die tatsächliche Nutzung der angemieteten Räume im ersten Obergeschoss zu Wohnzwecken durch die Beklagte hält sich nicht innerhalb des vereinbarten Nutzungszwecks.</p>
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<p>cc) Schließlich hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass die nach § 541 BGB erforderliche Abmahnung der Beklagten erfolgt ist. Danach hat der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 14. Juli 2016 unter Fristsetzung bis zum 29. Juli 2016 aufgefordert, die Nutzung des ersten Obergeschosses zu Wohnzwecken zu unterlassen.</p>
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<p>2. Rechtsfehlerfrei ist das Oberlandesgericht auch davon ausgegangen, dass die Beklagte dem Unterlassungsanspruch des Klägers nicht die Einrede der Verjährung entgegenhalten kann.</p>
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<p>a) Grundsätzlich unterliegt der Anspruch des Vermieters aus § 541 BGB der regelmäßigen Verjährung des § 195 BGB mit einer Frist von drei Jahren (Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer/Mersson Gewerberaummiete § 541 BGB Rn. 25; Schmidt-Futterer/Streyl Mietrecht 13. Aufl. § 548 BGB Rn. 64). Für den Beginn der Verjährung kommt es dabei nach § 199 Abs. 5 BGB - neben dem Vorliegen der in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB genannten subjektiven Voraussetzungen - statt auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs grundsätzlich auf den der Zuwiderhandlung an. Ob diese Regelung zum Verjährungsbeginn auch dann eingreift, wenn der Mieter - wie im vorliegenden Fall - die Mietsache dauerhaft vertragswidrig nutzt, ist im mietrechtlichen Schrifttum und in der Instanzrechtsprechung umstritten.</p>
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<p>aa) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass auch bei einer vertragswidrigen Handlung, die eine dauernde Beeinträchtigung nach sich zieht, der Anspruch auf Beseitigung bzw. Unterlassung bereits mit Beginn der Beeinträchtigung entstehe (OLG Brandenburg NJ 2008, 176, 178; LG Halle ZMR 2014, 644, 645; LG Saarbrücken Urteil vom 24. Oktober 2008 - 5 T 48/08 - juris Rn. 57 ff. zu dem Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB iVm § 15 Abs. 3 WEG; Staudinger/Peters/Jacoby BGB [2014] § 199 Rn. 109).</p>
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<a name="rd_20">20</a>
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<p>bb) Die Gegenansicht nimmt an, dass bei einem andauernden vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache - wie der unerlaubten Nutzung von Gewerberäumen zu Wohnzwecken - der Anspruch des Vermieters aus § 541 BGB während des bestehenden Mietverhältnisses nicht verjähren kann (LG Hamburg ZMR 2013, 632, 634; Schmidt-Futterer/Streyl Mietrecht 13. Aufl. § 548 BGB Rn. 64; MünchKommBGB/Bieber 7. Aufl. § 541 Rn. 17; BeckOK BGB/Fritzsche [Stand: 1. November 2018] § 1004 Rn. 121).</p>
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<a name="rd_21">21</a>
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<p>b) Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Der aus § 541 BGB folgende Anspruch des Vermieters gegen den Mieter auf Unterlassung eines vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache verjährt während des laufenden Mietverhältnisses nicht, solange die zweckwidrige Nutzung andauert.</p>
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<a name="rd_22">22</a>
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<p>aa) Der Bundesgerichtshof hat für den Bereich des Wohnungseigentumsrechts bereits entschieden, dass bei einer zweckwidrigen Nutzung einer Teileigentumseinheit als Wohnraum der Unterlassungsanspruch der übrigen Wohnungseigentümer aus § 1004 Abs. 1 BGB bzw. § 15 Abs. 3 WEG nicht verjährt, solange die Nutzung andauert (BGH Urteil vom 8. Mai 2015 - V ZR 178/14 - NJW-RR 2015, 781 Rn. 9; vgl. auch BGH Beschluss vom 16. Juni 2011 - V ZA 1/11 - ZMR 2011, 967 Rn. 7). Zur Begründung wurde dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass in diesem Fall der Schwerpunkt der Störung nicht vornehmlich in der Aufnahme der zweckwidrigen Nutzung liegt, sondern die übrigen Wohnungseigentümer in gleicher Weise dadurch beeinträchtigt werden, dass die zweckwidrige Nutzung dauerhaft aufrechterhalten wird (BGH Urteil vom 8. Mai 2015 - V ZR 178/14 - NJW-RR 2015, 781 Rn. 9).</p>
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<a name="rd_23">23</a>
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<p>bb) Diese Erwägung trägt auch im vorliegenden Fall. Nutzt ein Mieter die von ihm zu gewerblichen Zwecken angemieteten Räumlichkeiten als Wohnung, liegt der Schwerpunkt seines vertragswidrigen Verhaltens ebenfalls nicht in der Aufnahme, sondern in der dauerhaften Aufrechterhaltung der unerlaubten Nutzung der Mietsache. Dadurch verletzt der Mieter fortwährend die ihm während der gesamten Dauer des Mietverhältnisses obliegende mietvertragliche Verpflichtung, die Mietsache nur im Rahmen des vertraglich vereinbarten Verwendungszwecks zu nutzen. Dieser Dauerverpflichtung des Mieters entspricht die aus § 535 Abs. 1 BGB folgende Verpflichtung des Vermieters, die Mietsache in einem vertragsgemäßen Zustand zu erhalten (vgl. Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer/Mersson Gewerberaummiete § 541 BGB Rn. 2; Schmidt-Futterer/Streyl Mietrecht 13. Aufl. § 548 BGB Rn. 64). Zu dieser hat der Bundesgerichtshof ebenfalls bereits entschieden, dass sie eine vertragliche Dauerverpflichtung darstellt, die während des Bestehens des Vertragsverhältnisses schon begrifflich nicht verjähren kann, weil sie während dieses Zeitraums gleichsam ständig neu entsteht (vgl. BGHZ 184, 253 = NJW 2010, 1292 Rn. 17). Für eine davon abweichende verjährungsrechtliche Behandlung der Verpflichtung des Mieters, die Mietsache während der gesamten Dauer des Mietverhältnisses nur zu dem vertraglich vereinbarten Zweck zu nutzen, besteht kein Grund. In beiden Fällen handelt es sich jeweils um eine in die Zukunft gerichtete Dauerverpflichtung. Für solche Dauerverpflichtungen hat der Bundesgerichtshof indes auch in anderem rechtlichen Zusammenhang mehrfach entschieden, dass die Verjährung nicht beginnen kann, solange der Eingriff noch andauert (vgl. BGH Urteile vom 18. September 2018 - II ZR 152/17 - NZG 2018, 1301 Rn. 18; vom 22. April 2016 - V ZR 189/15 - NJW-RR 2017, 210 Rn. 35 f.; vom 12. Juni 2015 - V ZR 168/14 - NJW-RR 2016, 24 Rn. 31 und vom 27. April 2012 - V ZR 177/11 - NJW-RR 2012, 910 Rn. 10).</p>
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<a name="rd_24">24</a>
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<p>cc) Entgegen der Auffassung der Revision stehen auch Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften der Annahme nicht entgegen, dass der Unterlassungsanspruch des Vermieters nach § 541 BGB während des laufenden Mietverhältnisses nicht verjähren kann. Die Verjährung beruht auf den Gedanken des Schuldnerschutzes, des Rechtsfriedens (BGH Urteil vom 25. Juli 2017 - VI ZR 222/16 - NJW 2017, 2755 Rn. 9) und der Rechtssicherheit (Senatsurteil BGHZ 128, 74 = NJW 1995, 252, 253). Sie soll den Schuldner davor schützen, wegen länger zurückliegender Vorgänge in Anspruch genommen zu werden, die er nicht mehr aufklären kann, weil ihm Beweismittel für etwa begründete Einwendungen abhanden gekommen oder Zeugen nicht mehr auffindbar sind (BGHZ 184, 253 = NJW 2010, 1292 Rn. 18 und BGHZ 122, 241 = NJW 1993, 2054, 2055). Dabei stellt das Verjährungsrecht die Vermutung auf, dass ein Anspruch, der aus weit zurückliegendem Entstehungsgrund erhoben wird, möglicherweise nie entstanden oder bereits erloschen ist. Dies soll dem Schuldner die Möglichkeit geben, einen Anspruch abzuwehren, ohne ihn inhaltlich bekämpfen zu müssen. Sollte der Anspruch doch bestehen, hat der Berechtigte den Nachteil der Verjährung durch seine Nachlässigkeit in der Regel selbst verschuldet (BGH Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 253/16 - NJW 2018, 2056 Rn. 25).</p>
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<a name="rd_25">25</a>
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<p>Diese Schuldnerschutzgedanken der Verjährungsregelungen kommen hier nicht zum Tragen. Mit seinem Unterlassungsbegehren macht der Vermieter keinen Anspruch geltend, für dessen Entstehung es auf einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang ankommt. Voraussetzung für den Anspruch des Vermieters aus § 541 BGB ist, dass der Mieter im Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme die Mietsache entgegen dem vertraglich vereinbarten Zweck nutzt. Der Vermieter reagiert daher mit der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs auf ein gegenwärtiges und aus seiner Sicht vertragswidriges Verhalten des Mieters, um eine vertragsgemäße Nutzung der Mieträume für die Zukunft sicherzustellen. Da somit der Anknüpfungspunkt des Unterlassungsanspruchs aus § 541 BGB die gegenwärtige Nutzung der Mietsache durch den Mieter ist, treffen diesen die Nachteile, vor denen das Verjährungsrecht den Schuldner schützen will, nicht. Ob hierbei im Einzelfall der Mieter aufgrund des Zeitablaufs Schwierigkeiten hat, eine vom ihm behauptete nachträgliche Änderung des Mietzwecks zu beweisen, ist ein allgemeines beweisrechtliches Problem und für die Frage, ob die Schuldnerschutzgedanken der Verjährungsregelungen im vorliegenden Fall berührt sind, ohne Bedeutung.</p>
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<a name="rd_26">26</a>
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<p>dd) Könnte bei einer andauernden vertragswidrigen Nutzung der Mietsache durch den Mieter der Anspruch aus § 541 BGB bereits während des laufenden Vertragsverhältnisses verjähren, würde dies schließlich zu einem Ergebnis führen, das mit den Rechtsfolgen der Verjährung nicht in Einklang stünde. Grundsätzlich führt der Eintritt der Verjährung nicht zum Erlöschen des Anspruchs (Staudinger/Peters/Jacoby BGB [2014] § 214 Rn. 36). Mit Ablauf der Verjährungsfrist darf der Schuldner lediglich die geschuldete Leistung verweigern und erhält die Möglichkeit, durch Erhebung der Verjährungseinrede (§ 214 Abs. 1 BGB) die Durchsetzbarkeit des gegen ihn gerichteten Anspruchs zu verhindern. In der hier zu entscheidenden Fallkonstellation hätte die Erhebung der Verjährungseinrede jedoch zur Folge, dass der Vermieter anschließend keine Möglichkeit mehr hätte, die Fortsetzung des vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache zu verhindern. Ihm bliebe lediglich die Möglichkeit, den Mietvertrag nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB außerordentlich zu kündigen, wobei hierfür eine erhebliche Gefährdung der Mietsache sowie der Rechte des Vermieters hinzutreten müssten. Will der Vermieter aber am Vertrag festhalten, müsste er die vertragswidrige Nutzung durch den Mieter bis zur Beendigung des Mietverhältnisses dulden. Der Mieter wäre somit durch die Erhebung der Verjährungseinrede nicht nur vor seiner Inanspruchnahme geschützt, sondern er hätte es in der Hand, nur durch Zeitablauf und Erhebung der Verjährungseinrede das Mietverhältnis inhaltlich umzugestalten, etwa - wie im vorliegenden Fall - von der gewerblichen Nutzung zur Wohnnutzung. Dies ist nicht Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl Mietrecht 13. Aufl. § 548 BGB Rn. 64 mwN).</p>
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<a name="rd_27">27</a>
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<p>3. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Anspruch des Klägers auf Unterlassung der vertragswidrigen Nutzung der Mieträume zu Wohnzwecken auch nicht verwirkt.</p>
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<a name="rd_28">28</a>
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<p>a) Zwar kann der Anspruch nach § 541 BGB grundsätzlich verwirkt werden (BeckOK BGB/Wiederhold [Stand: 1. November 2018] § 541 Rn. 15). Eine Verwirkung kommt jedoch nach allgemeinen Grundsätzen nur in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 - XII ZB 133/17 - FamRZ 2018, 589 Rn. 12). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen zum reinen Zeitablauf also besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (Senatsurteile vom 9. Oktober 2013 - XII ZR 59/12 - NJW-RR 2014, 195 Rn. 11 mwN und BGHZ 152, 217 = FamRZ 2002, 1698, 1699). Dementsprechend kann ein bloßes Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs für sich genommen kein berechtigtes Vertrauen des Schuldners auslösen (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 - XII ZB 133/17 - FamRZ 2018, 589 Rn. 15), da der Vertrauenstatbestand nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden kann (Senatsurteil vom 9. Oktober 2013 - XII ZR 59/12 - NJW-RR 2014, 195 Rn. 11 mwN). Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls (Senatsurteil vom 9. Oktober 2013 - XII ZR 59/12 - NJW-RR 2014, 195 Rn. 7 mwN).</p>
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<a name="rd_29">29</a>
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<p>b) Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist das Oberlandesgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall eine Verwirkung nach § 242 BGB ausscheidet. Denn es fehlt jedenfalls an der Verwirklichung des Umstandsmoments.</p>
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<a name="rd_30">30</a>
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<p>Das Oberlandesgericht hat keine ausreichenden Umstände festgestellt, die ein Vertrauen der Beklagten rechtfertigen würden, dass der Kläger mit einer dauerhaften Nutzung der Räumlichkeiten im ersten Obergeschoss zu Wohnzwecken einverstanden war. Die Revision rügt zwar in diesem Zusammenhang, das Oberlandesgericht habe den Vortrag der Beklagten nicht angemessen gewürdigt, wonach diese im Vertrauen darauf, dass ihr die Wohnnutzung gestattet gewesen sei, hohe Investitionen getätigt habe. Dabei verkennt sie allerdings, dass auch der als übergangen gerügte Vortrag der Beklagten nicht ausreichend gewesen wäre, das für die Annahme einer Verwirkung erforderliche Umstandsmoment zu begründen. Die Beklagte hat weder substantiiert vorgetragen, welche Investitionen von ihr getätigt worden sind, noch hat sie dargelegt, wann die Investitionen erfolgt sind. Der Beklagten wurde jedoch im Mai 2011 durch die Übersendung des Nachtrags zum Mietvertrag, der ihr die Wohnnutzung erlaubt hätte, deutlich gemacht, dass der damalige Vermieter mit einer Nutzung der Mieträume im ersten Obergeschoss des Anwesens ohne eine entsprechende Änderung des Mietvertrags nicht einverstanden war. Zur Begründung des Umstandsmoments wäre daher ein nachfolgendes Verhalten des Klägers erforderlich gewesen, aus dem die Beklagte redlicher Weise den Schluss hätte ziehen können, der Kläger sei dauerhaft mit der vertragswidrigen Nutzung der Mieträume einverstanden. Ein solches vertrauensbegründendes Verhalten des Klägers hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt. Es ergibt sich auch nicht aus dem von der Revision als übergangen gerügten Vortrag der Beklagten.</p>
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<table class="Rsp">
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<p style="text-align:left">Dose     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Klinkhammer     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Günter</p>
</td>
</tr>
<tr>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Nedden-Boeger     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Guhling     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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178,089 | bverwg-2018-12-19-4-bn-4218 | {
"id": 5,
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<a name="rd_1">1</a>
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<dd>
<p>Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.</p>
</dd>
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<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>I. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.</p>
</dd>
</dl>
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<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).</p>
</dd>
</dl>
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<dt>
<a name="rd_4">4</a>
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<dd>
<p>1. Die Antragsgegnerin sieht in der Sache grundsätzlichen Klärungsbedarf,</p>
</dd>
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<dd>
<p>wie konkret die in Betracht gezogenen städtebaulichen Maßnahmen für den Erlass einer Vorkaufssatzung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB sein müssen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zusteht. Zu den städtebaulichen Maßnahmen im Sinne dieser Vorschrift zählen alle Maßnahmen, die einen städtebaulichen Bezug aufweisen und der Gemeinde dazu dienen, ihre Planungsvorstellungen zu verwirklichen. Die Gemeinde erhält durch diese Regelung die Möglichkeit, bereits im Frühstadium der Vorbereitung städtebaulicher Maßnahmen Grundstücke zu erwerben. Förmlich konkretisierter Planungsabsichten bedarf es daher nicht. Das Instrument des Vorkaufsrechts stellt der Gesetzgeber der Gemeinde aber nicht als Mittel einer allgemeinen Bodenbevorratung oder zum Erwerb von Grundstücken zur Verfügung, die zur Umsetzung der von ihr betriebenen Planung ersichtlich nicht benötigt werden. (BVerwG, Beschlüsse vom 14. April 1994 - 4 B 70.94 Buchholz 406.11 § 25 BauGB Nr. 2 S. 3, vom 15. Februar 2000 - 4 B 10.00 - Buchholz 406.11 § 25 BauGB Nr. 4 S. 2 f. und vom 8. September 2009 - 4 BN 38.09 - BRS 74 Nr. 129 Rn. 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>Wie konkret die in Betracht zu ziehenden städtebaulichen Maßnahmen bezeichnet werden müssen, hängt maßgebend von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab und entzieht sich rechtsgrundsätzlicher Klärung. Die von der Antragsgegnerin formulierten Fragen könnten nur für eine Vielzahl von Fällen im Stil eines juristischen Kommentars oder Lehrbuchs beantwortet werden. Das ist nicht Aufgabe eines Revisionsverfahrens (BVerwG, Beschlüsse vom 11. Februar 2016 - 4 B 1.16 - ZfBR 2016, 372 Rn. 2 und vom 21. März 2018 - 4 BN 2.18 - ZfBR 2018, 469 Rn. 2).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
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<dd>
<p>2. Die Antragsgegnerin möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>ob der notwendige Grad der Konkretisierung für die städtebaulichen Maßnahmen im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB von der Größe der von der Vorkaufsatzung umfassten Fläche abhängig ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Soweit der Fall sie aufwirft, bedarf ihre Beantwortung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Geltungsbereich des angegriffenen Vorkaufsrechts geprüft (UA Rn. 20 f.) und dabei insbesondere auch die Flächen quantifiziert, die der Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin nicht als Flächen für den Gemeinbedarf darstellt. Dies war rechtlich geboten: Weil das Vorkaufsrecht kein Mittel allgemeiner Bodenbevorratung ist (BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2000 - 4 B 10.00 - Buchholz 406.11 § 25 BauGB Nr. 4 S. 3), muss sich der räumliche Umgriff der Satzung an § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB messen lassen. Damit tritt notwendig die Größe des Gebiets in den Blick. Weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf ist weder dargelegt noch ersichtlich.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
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<dd>
<p>II. Die Revision ist nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Beschwerde entnimmt dem Senatsbeschluss vom 14. April 1994 - 4 B 70.94 - (Buchholz 406.11 § 25 BauGB Nr. 2 S. 3) den Rechtssatz, dass es für den Erlass einer Vorkaufssatzung nach § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB keiner förmlich konkretisierten Planungsabsichten bedürfe. Von diesem Rechtssatz ist die Vorinstanz indes nicht abgewichen, sondern hat - damit übereinstimmend - angenommen, dass die Planvorstellungen nicht in einem förmlichen Verfahren entwickelt sein müssen und auch informelle Planungen für § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB ausreichen können (UA Rn. 19). Aus den Ausführungen in Rn. 24 des Urteils folgt nichts Anderes; auch hier geht der Verwaltungsgerichtshof der Frage nach, ob eine "hinreichend konkrete informelle Planung" vorliege.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.</p>
</dd>
</dl>
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175,078 | eugh-2018-12-19-c-4017 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
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"state": 19,
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} | C-40/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:18 | 2019-01-31T19:21:18 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2018:1039 | <p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">MICHAL BOBEK</p>
<p class="C36Centre">vom 19. Dezember 2018(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">Rechtssache C‑40/17</p>
<p class="C37Centregras">Fashion ID GmbH & Co. KG</p>
<p class="C37Centregras">gegen</p>
<p class="C37Centregras">Verbraucherzentrale NRW e. V.,</p>
<p class="C37Centregras">Beteiligte:</p>
<p class="C37Centregras">Facebook Ireland Limited,</p>
<p class="C37Centregras">Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf [Deutschland])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 95/46/EG – Schutz der personenbezogenen Daten der Nutzer von Webseiten – Klagebefugnis eines Verbraucherschutzverbandes – Haftung des Betreibers einer Webseite – Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte – Eingebundenes Plugin – Facebook-,Gefällt mir‘-Button – Berechtigte Interessen – Einwilligung der betroffenen Person – Informationspflicht“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einführung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Die Fashion ID GmbH & Co. KG ist ein Onlinehändler für Modeartikel. In ihre Webseite ist ein Plugin, der Facebook-„Gefällt mir“-Button, eingebunden. Besucht ein Nutzer die Webseite von Fashion ID, werden Facebook daher Informationen über die IP‑Adresse dieses Nutzers und der Browser-String übermittelt. Unabhängig davon, ob der Nutzer den „Gefällt mir“-Button angeklickt hat oder über ein Facebook-Nutzerkonto verfügt, erfolgt die Übermittlung automatisch beim Laden der Webseite von Fashion ID.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Die Verbraucherzentrale NRW e. V., ein deutscher Verbraucherschutzverband, hat mit der Begründung, die Verwendung des Plugins verstoße gegen Datenschutzrecht, gegen Fashion ID eine Unterlassungsklage erhoben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Das mit der Sache befasste Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) ersucht nun um die Auslegung einer Reihe von Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG (im Folgenden: Richtlinie 95/46)(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>). Zunächst möchte es wissen, ob die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, die einem Verbraucherschutzverband in einem Fall wie dem vorliegenden eine Klagebefugnis einräumt. Materiell-rechtlich lautet die wichtigste Frage, ob Fashion ID in Bezug auf die erfolgende Datenverarbeitung als „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ anzusehen ist und, wenn ja, wie die einzelnen sich aus der Richtlinie 95/46 ergebenden Verpflichtungen in einer solchen Konstellation zu erfüllen sind. Auf wessen „berechtigte Interessen“ ist bei der nach Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 vorzunehmenden Abwägung abzustellen? Ist Fashion ID verpflichtet, betroffene Personen über die Datenverarbeitung zu informieren? Und muss Fashion ID diesbezüglich die in Kenntnis der Sachlage zu erteilenden Einwilligungen der betroffenen Personen einholen?</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Rechtsrahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<i>Richtlinie 95/46</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Das Ziel der Richtlinie 95/46 ist in ihrem Art. 1 bestimmt, dessen Abs. 1 lautet: „Die Mitgliedstaaten gewährleisten … den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten“. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung „beschränken oder untersagen [die Mitgliedstaaten] nicht den freien Verkehr personenbezogener Daten zwischen Mitgliedstaaten aus Gründen des gemäß Absatz 1 gewährleisteten Schutzes“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Art. 2 enthält Begriffsbestimmungen, und zwar bezeichnet</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„a)      ,personenbezogene Daten‘ alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person (,betroffene Person‘); als bestimmbar wird eine Person angesehen, die direkt oder indirekt identifiziert werden kann, insbesondere durch Zuordnung zu einer Kennnummer oder zu einem oder mehreren spezifischen Elementen, die Ausdruck ihrer physischen, physiologischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität sind;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      ,Verarbeitung personenbezogener Daten‘ (,Verarbeitung‘) jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede Vorgangsreihe im Zusammen-hang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Speichern, die Organisation, die Aufbewahrung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Benutzung, die Weitergabe durch Übermittlung, Verbreitung oder jede andere Form der Bereitstellung, die Kombination oder die Verknüpfung sowie das Sperren, Löschen oder Vernichten;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      ,für die Verarbeitung Verantwortlicher‘ die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder jede andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Sind die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten in einzelstaatlichen oder gemeinschaftlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften festgelegt, so können der für die Verarbeitung Verantwortliche bzw. die spezifischen Kriterien für seine Benennung durch einzelstaatliche oder gemeinschaftliche Rechtsvorschriften bestimmt werden;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">h)      ,Einwilligung der betroffenen Person‘ jede Willensbekundung, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt und mit der die betroffene Person akzeptiert, dass personenbezogene Daten, die sie betreffen, verarbeitet werden“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Art. 7 sieht Voraussetzungen vor, die für die Zulässigkeit der Verarbeitung von Daten erfüllt sein müssen: „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten lediglich erfolgen darf, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      Die betroffene Person hat ohne jeden Zweifel ihre Einwilligung gegeben;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">f)      die Verarbeitung ist erforderlich zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die gemäß Artikel 1 Absatz 1 geschützt sind, überwiegen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 10 legt die Informationen fest, die die betroffene Person zumindest erhalten muss: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Person, bei der die sie betreffenden Daten erhoben werden, vom für die Verarbeitung Verantwortlichen oder seinem Vertreter zumindest die nachstehenden Informationen erhält, sofern diese ihr noch nicht vorliegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      die Identität des für die Verarbeitung Verantwortlichen und gegebenenfalls seines Vertreters,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Zweckbestimmungen der Verarbeitung, für die die Daten bestimmt sind,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      weitere Informationen, beispielsweise betreffend</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        die Empfänger oder Kategorien der Empfänger der Daten,</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        die Frage, ob die Beantwortung der Fragen obligatorisch oder freiwillig ist, sowie mögliche Folgen einer unterlassenen Beantwortung,</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        das Bestehen von Auskunfts- und Berichtigungsrechten bezüglich sie betreffender Daten,</p>
<p class="C10Marge1">sofern sie unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände, unter denen die Daten erhoben werden, notwendig sind, um gegenüber der betroffenen Person eine Verarbeitung nach Treu und Glauben zu gewährleisten.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Kapitel III der Richtlinie 95/46 betrifft Rechtsbehelfe, die Haftung und Sanktionen. Die darin enthaltenen Art. 22 bis 24 sehen Folgendes vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Artikel 22</p>
<p class="C02AlineaAltA">Rechtsbehelfe</p>
<p class="C02AlineaAltA">Unbeschadet des verwaltungsrechtlichen Beschwerdeverfahrens, das vor Beschreiten des Rechtsweges insbesondere bei der in Artikel 28 genannten Kontrollstelle eingeleitet werden kann, sehen die Mitgliedstaaten vor, dass jede Person bei der Verletzung der Rechte, die ihr durch die für die betreffende Verarbeitung geltenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften garantiert sind, bei Gericht einen Rechtsbehelf einlegen kann.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Artikel 23</p>
<p class="C02AlineaAltA">Haftung</p>
<p class="C02AlineaAltA">(1)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass jede Person, der wegen einer rechtswidrigen Verarbeitung oder jeder anderen mit den einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie nicht zu vereinbarenden Handlung ein Schaden entsteht, das Recht hat, von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen Schadenersatz zu verlangen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Der für die Verarbeitung Verantwortliche kann teilweise oder vollständig von seiner Haftung befreit werden, wenn er nachweist, dass der Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, ihm nicht zur Last gelegt werden kann.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Artikel 24</p>
<p class="C02AlineaAltA">Sanktionen</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen, um die volle Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie sicherzustellen, und legen insbesondere die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften anzuwenden sind.“</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Deutsches Recht</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<i>Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Gemäß § 3 Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (im Folgenden: UWG) sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Wer eine unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann nach § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 3 UWG auf Antrag einer in der Liste nach dem Unterlassungsklagengesetz oder im Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) eingetragenen „qualifizierten Einrichtung“ unter Umständen auf Beseitigung und – auch vorbeugend – auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<i>Unterlassungsklagengesetz</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 11 des Unterlassungsklagengesetzes sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze), kann im Interesse des Verbraucherschutzes auf Unterlassung und Beseitigung in Anspruch genommen werden. …</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Verbraucherschutzgesetze im Sinne dieser Vorschrift sind insbesondere</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">11.      die Vorschriften, welche die Zulässigkeit regeln</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">a)      der Erhebung personenbezogener Daten eines Verbrauchers durch einen Unternehmer oder</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">b)      der Verarbeitung oder der Nutzung personenbezogener Daten, die über einen Verbraucher erhoben wurden, durch einen Unternehmer,</p>
<p class="C13Marge2">wenn die Daten zu Zwecken der Werbung, der Markt- und Meinungsforschung, des Betreibens einer Auskunftei, des Erstellens von Persönlichkeits- und Nutzungsprofilen, des Adresshandels, des sonstigen Datenhandels oder zu vergleichbaren kommerziellen Zwecken erhoben, verarbeitet oder genutzt werden“.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<i>Telemediengesetz</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      § 2 Abs. 1 des Telemediengesetzes (im Folgenden: TMG) bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Im Sinne dieses Gesetzes</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      ist Diensteanbieter jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt …“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      § 12 Abs. 1 TMG lautet: „Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten zur Bereitstellung von Telemedien nur erheben und verwenden, soweit dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht, es erlaubt oder der Nutzer eingewilligt hat.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      § 13 Abs. 1 TMG sieht vor: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Diensteanbieter hat den Nutzer zu Beginn des Nutzungsvorgangs über Art, Umfang und Zwecke der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten sowie über die Verarbeitung seiner Daten in Staaten außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 95/46 … in allgemein verständlicher Form zu unterrichten, sofern eine solche Unterrichtung nicht bereits erfolgt ist. Bei einem automatisierten Verfahren, das eine spätere Identifizierung des Nutzers ermöglicht und eine Erhebung oder Verwendung personenbezogener Daten vorbereitet, ist der Nutzer zu Beginn dieses Verfahrens zu unterrichten. Der Inhalt der Unterrichtung muss für den Nutzer jederzeit abrufbar sein.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      § 15 Abs. 1 TMG lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten eines Nutzers nur erheben und verwenden, soweit dies erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen (Nutzungsdaten). Nutzungsdaten sind insbesondere</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Merkmale zur Identifikation des Nutzers,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Angaben über Beginn und Ende sowie des Umfangs der jeweiligen Nutzung und</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien.“</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Fashion ID (im Folgenden: Beklagte) ist ein Onlinehändler. Sie vertreibt über ihre Webseite Modeartikel. Die Beklagte hat das von Facebook Ireland Limited (im Folgenden: Facebook Ireland)(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) bereitgestellte „Gefällt mir“-Plugin in ihre Webseite eingebunden. Folglich erscheint auf der Webseite der Beklagten der sogenannte Facebook-„Gefällt mir“-Button.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Im Vorabentscheidungsersuchen wird ferner erläutert, wie der (nicht sichtbare) Teil des Plugins funktioniert: Sucht ein Besucher der Webseite der Beklagten die Seite auf, auf der der Facebook-„Gefällt mir“-Button platziert ist, sendet sein Browser automatisch Informationen betreffend seine IP‑Adresse und den Browser-String an Facebook Ireland. Die Übermittlung dieser Informationen erfolgt, ohne dass der Facebook-„Gefällt mir“-Button angeklickt zu werden braucht. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich auch, dass Facebook Ireland offenbar verschiedene Arten von Cookies (session-, datr- und fr-Cookies) auf dem Gerät des Nutzers platziert, wenn die Webseite der Beklagten besucht wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Die Verbraucherzentrale NRW (im Folgenden: Klägerin), ein Verbraucherschutzverband, hat vor einem Landgericht in Deutschland Klage gegen die Beklagte erhoben. Die Klägerin beantragte, die Beklagte zu verurteilen, dass diese es unterlässt, das Social Plugin „Gefällt mir“ von Facebook auf der Internetseite zu integrieren,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„–      ohne die Nutzer der Internetseite bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Anbieter des Plugins beginnt, Zugriff auf die IP‑Adresse und den Browser-String des Nutzers zu nehmen, ausdrücklich und unübersehbar über den Zweck der Erhebung und der Verwendung der so übermittelten Daten aufzuklären und/oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      ohne die Einwilligung der Nutzer der Internetseite zu dem Zugriff auf die IP‑Adresse und den Browser-String durch den Plugin-Anbieter und zu der Datenverwendung einzuholen, jeweils bevor der Zugriff erfolgt, und/oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      ohne die Nutzer, die ihre Einwilligung im Sinne des Klageantrags zu 2 erteilt haben, über deren jederzeitige Widerruflichkeit mit Wirkung für die Zukunft zu informieren, und/oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      zu behaupten ,Wenn Sie Nutzer eines sozialen Netzwerks sind und nicht möchten, dass das soziale Netzwerk über unseren Internetauftritt Daten über Sie sammelt und mit ihren bei dem sozialen Netzwerk gespeicherten Nutzerdaten verknüpft, müssen Sie sich vor dem Besuch unseres Internetauftritts bei dem sozialen Netzwerk ausloggen‘“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Die Klägerin behauptete, Facebook Inc. oder Facebook Ireland würden die IP‑Adresse und den Browser-String speichern und mit einem bestimmten Benutzer (Mitglied oder Nichtmitglied) verknüpfen. Die Beklagte erklärt sich hierzu mit Nichtwissen. Facebook Ireland macht geltend, Die IP‑Adresse werde in eine generische IP‑Adresse umgewandelt und nur noch als solche gespeichert. Eine Zuordnung der IP‑Adresse und des Browser-String zu Nutzerkonten finde nicht statt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Das Landgericht verurteilte die Beklagte gemäß den ersten drei Klageanträgen. Die Beklagte legte Berufung ein. Die Klägerin legte hinsichtlich des vierten Klageantrags Anschlussberufung ein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund hat das Oberlandesgericht Düsseldorf beschlossen, dem Gerichtshof die folgenden Fragen vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Steht die Regelung in den Art. 22, 23 und 24 der Richtlinie 95/46 einer nationalen Regelung entgegen, die neben den Eingriffsbefugnissen der Datenschutzbehörden und den Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Betroffenen gemeinnützigen Verbänden zur Wahrung der Interessen der Verbraucher die Befugnis einräumt, im Falle von Verletzungen gegen den Verletzer vorzugehen?</p>
<p class="C02AlineaAltA">Falls die erste Frage verneint wird:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Ist in einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem jemand einen Programmcode in seine Webseite einbindet, der den Browser des Benutzers veranlasst, Inhalte von einem Dritten anzufordern und hierzu personenbezogene Daten an den Dritten zu übermitteln, der Einbindende „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46, wenn er selber diesen Datenverarbeitungsvorgang nicht beeinflussen kann?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Falls die zweite Frage zu verneinen ist: Ist Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 dahin auszulegen, dass er die Haftung und Verantwortlichkeit in dem Sinne abschließend regelt, dass er einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme eines Dritten entgegensteht, der zwar nicht „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ ist, aber die Ursache für den Verarbeitungsvorgang setzt, ohne diesen zu beeinflussen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Auf wessen „berechtigte Interessen“ ist in einer Konstellation wie der vorliegenden bei der nach Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 vorzunehmenden Abwägung abzustellen? Auf das Interesse an der Einbindung von Drittinhalten oder auf das Interesse des Dritten?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">5.      Wem gegenüber muss die nach Art. 7 Buchst. a und Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 95/46 zu erklärende Einwilligung in einer Konstellation wie der vorliegenden erfolgen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">6.      Trifft die Informationspflicht des Art. 10 der Richtlinie 95/46 in einer Situation wie der vorliegenden auch den Betreiber der Webseite, der den Inhalt eines Dritten eingebunden hat und so die Ursache für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Dritten setzt?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Die Klägerin, die Beklagte, Facebook Ireland, die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: LDI NRW) sowie die belgische, die deutsche, die italienische, die österreichische und die polnische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 6. September 2018 haben die Klägerin, die Beklagte, Facebook Ireland, die LDI NRW, die belgische, die deutsche und die österreichische Regierung sowie die Kommission mündliche Erklärungen abgegeben.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      In den vorliegenden Schlussanträgen schlage ich vor, dass die Richtlinie 95/46 einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die einem Verbraucherschutzverband wie der Klägerin die Befugnis einräumt, gegen eine behauptete Verletzung von Datenschutzrecht gerichtlich vorzugehen (Abschnitt A). Ferner bin ich der Auffassung, dass die Beklagte gemeinsam mit Facebook Ireland ein „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ ist, wobei ihre Haftung jedoch auf eine bestimmte Phase der Verarbeitung von Daten begrenzt ist (Abschnitt B). Drittens bin ich der Ansicht, dass bei der nach Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 vorzunehmenden Abwägung auf die berechtigten Interessen nicht nur der Beklagten, sondern auch auf die von Facebook Ireland abzustellen ist (daneben sind selbstverständlich die Rechte der betroffenen Personen zu berücksichtigen) (Abschnitt C). Viertens muss für die betreffende Phase der Datenverarbeitung die in Kenntnis der Sachlage zu erteilende Einwilligung der betroffenen Person gegenüber der Beklagten erklärt werden. Die Beklagte hat außerdem die Pflicht, der betroffenen Person Informationen bereitzustellen (Abschnitt D).</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      Nationale Regelung, die Verbraucherschutzverbänden eine Klagebefugnis einräumt </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Mit der ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht in Erfahrung bringen, ob die Richtlinie 95/46 einer nationalen Regelung entgegensteht, die Verbraucherschutzverbänden die Befugnis einräumt, gerichtlich gegen eine Person vorzugehen, die mutmaßlich Datenschutzrecht verletzt. Das vorlegende Gericht nimmt insoweit konkret auf die Art. 22 bis 24 der Richtlinie 95/46 Bezug. Es weist darauf hin, dass die betreffende nationale Regelung als eine „geeignete Maßnahme“ nach Art. 24 angesehen werden könnte. Ferner betont es, dass die Verordnung (EU) 2016/679 (im Folgenden: DSGVO)(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>), welche an die Stelle der Richtlinie 95/46 getreten ist, in ihrem Art. 80 Abs. 2 Vereinigungen nunmehr dieses Recht ausdrücklich verleiht(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Die Beklagte und Facebook Ireland machen geltend, die Richtlinie 95/46 räume solchen Verbänden keine Klagebefugnis ein, da eine solche Klagebefugnis in der Richtlinie 95/46, die auf eine vollständige Harmonisierung abziele, nicht erwähnt sei. Nach Ansicht der Beklagten würde das Einräumen einer solchen Klagebefugnis aufgrund des öffentlichen Drucks, dem die Aufsichtsbehörden hierdurch ausgesetzt würden, deren Unabhängigkeit gefährden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Die Klägerin, die LDI NRW und alle Regierungen, die in der vorliegenden Rechtssache Stellung genommen haben, sind übereinstimmend der Ansicht, dass die Richtlinie 95/46 der betreffenden Regelung nicht entgegensteht. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Mit letzterer Ansicht stimme ich überein(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Ich halte es für wichtig, zunächst auf die in Art. 288 Art. 3 AEUV niedergelegte verfassungsrechtliche (Grund‑)Regel hinzuweisen, wonach eine „Richtlinie … für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich [ist], … jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel [überlässt]“(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Hieraus folgt, dass die Maßnahmen zur Umsetzung der sich aus einer Richtlinie ergebenden Verpflichtungen im freien Ermessen der Mitgliedstaaten liegen, solange diese Maßnahmen nicht durch die Richtlinie selbst ausdrücklich ausgeschlossen werden bzw. nicht zu den Zielen der Richtlinie im Widerspruch stehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Der Wortlaut der Richtlinie 95/46 schließt die Möglichkeit, nach nationalem Recht Verbraucherschutzverbänden eine Klagebefugnis einzuräumen, nicht ausdrücklich aus.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Betrachtet man die von der Richtlinie 95/46 verfolgten <i>Ziele</i>, zählt hierzu, „bei der Verarbeitung personenbezogener Daten einen wirksamen und umfassenden Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen, insbesondere des Rechts auf Privatleben zu gewährleisten“(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>). Ferner darf nach dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 95/46 „[d]ie Angleichung [der einzelstaatlichen] Rechtsvorschriften [in diesem Bereich] nicht zu einer Verringerung des durch diese Rechtsvorschriften garantierten Schutzes führen, sondern muss im Gegenteil darauf abzielen, in der Gemeinschaft ein hohes Schutzniveau sicherzustellen“(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Dem Vorabentscheidungsersuchen kann entnommen werden, dass Deutschland Verbänden wie der Klägerin eine Klagebefugnis eingeräumt hat, damit diese gegen von ihnen als unlauter erachtete geschäftliche Handlungen oder gegen Verbraucherschutzrecht, darunter Datenschutzrecht, verletzende Praktiken vorgehen können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Vor diesem Hintergrund vermag ich nicht zu erkennen, inwiefern die Einräumung einer solchen Klagebefugnis in irgendeiner Weise zu den Zielen der Richtlinie 95/46 im Widerspruch stehen oder die Bemühungen um die Erreichung dieser Ziele beeinträchtigen sollte. Wenn überhaupt, dürfte die Einräumung einer Klagebefugnis an diese Art von Verband die Erreichung dieser Ziele und die Umsetzung der Richtlinie eher fördern, indem sie tatsächlich zur Stärkung der Rechte der betroffenen Personen durch ein Verbandsklagerecht beiträgt(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Ich bin daher der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten – wenn sie dies wünschen – nicht daran gehindert sind, eine Regelung zu treffen, die Verbänden eine Klagebefugnis wie die einräumt, die es der Klägerin ermöglicht, eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erheben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Angesichts dieser Antwort halte ich die Erörterungen, die sich im Laufe des vorliegenden Verfahrens ergeben und sich darauf konzentriert haben, ob die betreffende nationale Regelung im Sinne einer Art von „geeigneten Maßnahme“ unter Art. 24 der Richtlinie 95/46 oder aber unter Art. 22 fällt, für recht überflüssig. Wenn die Mitgliedstaaten eine Richtlinie mit den ihnen angemessen erscheinenden Mitteln umsetzen können und die besondere Art der Umsetzung weder durch den Wortlaut noch durch Ziel und Zweck der Richtlinie ausgeschlossen wird, ist der spezifische Artikel der Richtlinie, unter den eine bestimmte nationale Maßnahme subsumiert werden kann, von sekundärer Bedeutung(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>). Dennoch, dies sei hier der guten Ordnung halber klargestellt, könnten „geeignete Maßnahmen, um die volle Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie sicherzustellen“, nach Art. 24 selbstverständlich so ausgelegt werden, dass sie nationale Bestimmungen wie die in der vorliegenden Rechtssache angesprochenen umfassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Ich glaube nicht, dass diese allgemeine Schlussfolgerung durch die nachfolgenden, im Laufe dieses Verfahrens erörterten Erwägungen in irgendeiner Weise in Frage gestellt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Als Erstes trifft es zu, dass die Richtlinie 95/46 nicht in der in Anhang I zur Richtlinie 2009/22 enthaltenen Liste aufgeführt ist. Die Richtlinie enthält Vorschriften betreffend Unterlassungsklagen, die von sogenannten „qualifizierten Einrichtungen“ zur Wahrung der Gruppeninteressen von Verbrauchern erhoben werden können(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>). Die Liste in Anhang I umfasst mehrere Richtlinien, nicht jedoch die Richtlinie 95/46.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Jedoch kann die in Anhang I der Richtlinie 2009/22 enthaltene Liste, wie von der deutschen Regierung geltend gemacht wird, nicht in dem Sinne als abschließend angesehen werden, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstünde, die Unterlassungsklagen im Interesse der Einhaltung von Vorschriften vorsehen, die in anderen als den in Anhang I der Richtlinie 2009/22 aufgeführten Richtlinien enthalten sind. Erst recht würde es überraschen, wenn eine solche im Sekundärrecht enthaltene beispielhafte Liste plötzlich dahin ausgelegt würde, als nehme sie den Mitgliedstaaten ihr durch den Vertrag vorgesehenes Wahlrecht, wie sie eine Richtlinie umsetzen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Als Zweites wende ich mich dem von der Beklagten und von Facebook Ireland geltend gemachten Argument einer von der Richtlinie 95/46 herbeigeführten vollständigen Harmonisierung zu, das nach deren Ansicht jedes nicht ausdrücklich vorgesehene Klagerecht ausschließt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Es trifft zu, dass die der Richtlinie 95/46 entspringende Harmonisierung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht auf eine Mindestharmonisierung beschränkt ist, sondern zu einer „grundsätzlich umfassenden“ Harmonisierung führt(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>). Zugleich ist jedoch anerkannt worden, dass diese Richtlinie „den Mitgliedstaaten einen weiten Handlungsspielraum in bestimmten Bereichen einräumt“, sofern dies im Einklang mit der Richtlinie 95/46 geschieht(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Wie ich bereits an anderer Stelle ausgeführt habe(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>), kann die Frage, ob auf unionsrechtlicher Ebene eine „vollständige Harmonisierung“ (im Sinne eines jedes gesetzgeberische Tätigwerden der Mitgliedstaaten ausschließenden Vorrangs) vorliegt, nicht allgemein, d. h. in Bezug auf ein ganzes Rechtsgebiet oder den Gegenstand einer Richtlinie, beantwortet werden. Vielmehr ist diese Prüfung in Bezug auf jede spezifische Bestimmung (eine bestimmte Regelung oder einen spezifischen Aspekt) der fraglichen Richtlinie vorzunehmen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Betrachtet man die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden, „verfahrensrechtlichen“ Bestimmungen der Richtlinie 95/46, nämlich die Art. 22 bis 24, so fällt ihr allgemein gehaltener Wortlaut auf(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>). Angesichts dieser allgemein und abstrakt gehaltenen Bestimmungen wäre es schon bemerkenswert, anzunehmen, dass sie gesetzgeberische Ausschlusswirkung entfalten, die jegliche Maßnahmen ausschließt, die von den Mitgliedstaaten ergriffen werden können, die aber nicht konkret in diesen Artikeln erwähnt werden(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Als Drittes betraf ein weiteres von der Beklagten vorgetragenes Argument die Bedrohung der Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>). Im Wesentlichen machte sie geltend, dass Verbraucherschutzverbände, wenn ihnen eine Klagebefugnis eingeräumt würde, neben und/oder anstelle der Aufsichtsbehörde rechtlich vorgehen würden, was zu einem öffentlichen Druck auf die Aufsichtsbehörde und ihre Voreingenommenheit führen würde und damit letztlich dem in Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie niedergelegten Erfordernis der völligen Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden zuwiderliefe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Dieses Argument hat kein Gewicht. Unter der Prämisse, dass eine solche Aufsichtsbehörde überhaupt tatsächlich vollständig unabhängig ist(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>), kann ich ebenso wenig wie die deutsche Regierung erkennen, inwiefern eine Klage wie die im Ausgangsverfahren die behördliche Unabhängigkeit bedrohen können soll. Ein Verband kann dem Recht nicht in dem Sinne Geltung verschaffen, dass seine Beurteilung die Aufsichtsbehörden bindet. Diese Macht liegt ausschließlich bei den Gerichten. Ein Verbraucherschutzverband kann wie jede sonstige Person auch lediglich eine Klage erheben. Somit ist das Vorbringen, jede von einer Privatperson oder einem Verbraucherschutzverband erhobene (Privat‑)Klage setze die mit der (öffentlichen) Durchsetzung betrauten Behörden einem Druck aus und dürfe daher nicht neben einem System der öffentlichen Durchsetzung bestehen, derart abwegig, dass es einer weiter gehenden Auseinandersetzung mit dieser Argumentation nicht bedarf(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Als Viertes und Letztes wende ich mich dem Argument zu, Art. 80 Abs. 2 DSGVO sei so zu verstehen, dass eine frühere Situation geändert (und in ihr Gegenteil verkehrt) wird, indem etwas (eine Klagebefugnis von Verbänden) eingeräumt wird, was zuvor nicht zulässig war.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Dieses Vorbringen vermag nicht zu überzeugen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Es ist darauf hinzuweisen, dass sich mit der DSGVO, die die Richtlinie 95/46 ersetzt, die Natur des Rechtsakts, in dem die Regelungen zu finden sind, von einer Richtlinie zu einer Verordnung gewandelt hat. Dieser Wandel bedeutet auch, dass im Gegensatz zu einer Richtlinie, bei der die Mitgliedstaaten die freie Wahl der Mittel haben, wie sie die Inhalte dieses Rechtsakts umsetzen, nationale Vorschriften zur Durchführung einer Verordnung grundsätzlich nur dann erlassen werden dürfen, wenn hierfür eine ausdrückliche Ermächtigung vorliegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Unter diesem Blickwinkel betrachtet ist das Argument fragwürdig, der nunmehr in der DSGVO enthaltenen ausdrücklichen Bestimmung über die Klagebefugnis von Verbänden sei zu entnehmen, dass die Richtlinie 95/46 einer Klagebefugnis entgegengestanden habe. Wenn aus einer solchen Gegenüberstellung überhaupt ein Argument abgeleitet werden kann(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>), wäre es eher das Gegenteilige: Wenn die Richtlinie (auf der Grundlage meiner obigen Argumente) dem Erlass von Vorschriften zur Einräumung einer solchen Klagebefugnis nicht entgegenstand, würde der Wandel der Rechtsform von einer Richtlinie zur Verordnung es rechtfertigen, eine solche Bestimmung in die Verordnung aufzunehmen, um zu verdeutlichen, dass ein solches Klagerecht tatsächlich weiterhin besteht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Im Licht der vorstehenden Ausführungen gelange ich daher zu meinem ersten Zwischenergebnis, dass die Richtlinie 95/46 einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die gemeinnützigen Verbänden die Befugnis einräumt, zur Wahrung der Interessen der Verbraucher rechtlich gegen den mutmaßlichen Verletzer von Datenschutzrecht vorzugehen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      Ist Fashion ID ein für die Verarbeitung Verantwortlicher?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht klären lassen, ob die Beklagte dadurch, dass sie auf ihrer Webseite ein Plugin eingebunden hat, das den Browser des Benutzers veranlasst, Inhalte von einem Dritten anzufordern und personenbezogene Daten an den Dritten übermittelt, selbst dann als ein „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 anzusehen ist, wenn sie selbst diesen Datenverarbeitungsvorgang nicht beeinflussen kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Was die vom vorlegenden Gericht in seiner Frage angesprochene fehlende <i>Möglichkeit der Beeinflussung des Datenverarbeitungsvorgangs</i> angeht, verstehe ich diese im Kontext des vorliegenden Falles so, dass sie sich nicht auf das <i>Auslösen</i> des Vorgangs der Übermittlung dieser Daten bezieht (denn rein tatsächlich hat die Beklagte ja insoweit eindeutig einen Einfluss, als sie das betreffende Plugin eingebunden hat). Die fehlende Möglichkeit scheint sich eher auf die etwaige <i>nachfolgende Verarbeitung</i> der Daten durch Facebook Ireland zu beziehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Wie das vorlegende Gericht angemerkt hat, birgt die Antwort auf seine zweite Frage Implikationen, die weit über den vorliegenden Fall und das von Facebook Ireland betriebene soziale Netzwerk hinausgehen. Denn in eine ganze Reihe von Webseiten sind Drittinhalte unterschiedlicher Arten eingebunden. Wäre eine Person wie die Beklagte als ein „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ einzustufen, der deshalb eine (Mit‑)Verantwortung für eine (nachfolgende) Verarbeitung der zuvor erhobenen Daten trägt, weil der betreffende Webseiten-Betreiber Drittinhalte eingebunden hat, die die Übermittlung solcher Daten ermöglichen, so hätte eine solche Aussage tatsächlich weitreichendere Auswirkungen auf die Art und Weise des Umgangs mit Drittinhalten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Innerhalb der Struktur der vorliegenden Rechtssache ist die zweite Frage zudem die Schlüsselfrage, die das Kernproblem erfasst: <i>Wer</i> trägt die Verantwortung in Fällen, in denen Drittinhalte in eine Webseite eingebunden werden, und <i>wofür</i> genau? Auch hat die (Un‑)Genauigkeit bei der Beantwortung dieser Frage Auswirkungen auf die Antworten auf die sich anschließenden Fragen nach den berechtigten Interessen, der Einwilligung und der Informationspflicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      In diesem Abschnitt werde ich zunächst einige einleitende Bemerkungen zu dem für den vorliegenden Fall bedeutsamen Begriff der personenbezogenen Daten machen (1). Anschließend stelle ich neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs vor, der gegebenenfalls zu entnehmen ist, wie die zweite Frage beantwortet werden könnte, falls die früheren Entscheidungen des Gerichtshofs ohne Erörterung weiter gehender Fragen betrachtet werden können (2). Sodann erläutere ich, warum vielleicht weitere Fragen gestellt werden und die etwas genauere Analyse im Kontext des vorliegenden Falles vertieft werden sollten (3). Abschließend werde ich zwecks Bestimmung des Begriffs der (gemeinsamen) Verantwortlichkeit für die Verarbeitung von Daten die Einheit aus „Zwecken und Mitteln“ hervorheben, die im Verhältnis der (gemeinsam) für die Verarbeitung Verantwortlichen in Bezug auf die jeweilige Phase der Verarbeitung personenbezogener Daten (Datenverarbeitungsvorgang) vorliegen sollte (4).</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      Begriff „personenbezogene Daten“ in der vorliegenden Rechtssache</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Es ist daran zu erinnern, dass der Begriff „personenbezogene Daten“ in Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46 „alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person (,betroffene Person‘)“ bezeichnet. Im 26. Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird dazu erläutert, dass „[b]ei der Entscheidung, ob eine Person bestimmbar ist, … alle Mittel berücksichtigt werden [sollten], die vernünftigerweise entweder von dem Verantwortlichen für die Verarbeitung oder von einem Dritten eingesetzt werden könnten, um die betreffende Person zu bestimmen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Der Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass IP‑Adressen unter bestimmten Umständen personenbezogene Daten darstellen können(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>). Er hat ferner festgestellt, dass es für diese Zwecke, damit „eine bestimmbare Person“ im Sinne des Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46 angenommen werden kann „nicht erforderlich ist, dass die Information für sich genommen die Identifizierung der betreffenden Person ermöglicht“, und dass gegebenenfalls auf zusätzliche Informationen zurückgegriffen werden muss. Des Weiteren ist „[es] nicht erforderlich …, dass sich alle zur Identifizierung der betreffenden Person erforderlichen Informationen in den Händen einer einzigen Person befinden“, sofern die Möglichkeit der Verknüpfung der jeweiligen Informationen „ein Mittel darstellt, das vernünftigerweise zur Bestimmung der betreffenden Person eingesetzt werden kann“(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Das vorlegende Gericht hat nicht erörtert, ob die IP‑Adresse für sich genommen oder zusammen mit dem ebenfalls übermittelten Browser-String personenbezogene Daten im Sinne dieser Kriterien darstellen. Facebook Ireland tritt dieser Einstufung offenbar entgegen(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Dies zu prüfen, ist eindeutig Sache des nationalen Gerichts. Im Allgemeinen gilt für eingebundene Plugins oder sonstige Drittinhalte, dass die Information für ihre Einstufung als personenbezogen zwingend die (direkte oder indirekte) Identifizierung der betroffenen Person ermöglichen muss. Für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache gehe ich davon aus, dass, wie es sich aus den Fragen des vorlegenden Gerichts zu ergeben scheint, in einer Konstellation wie der des Ausgangsverfahrens die IP‑Adresse und der Browser-String tatsächlich personenbezogene Daten darstellen und die vom Gerichtshof klargestellten Kriterien des Art. 2 Buchst. a der Richtlinie erfüllen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein locuta, causa finita?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Was die Antwort auf die zweite Frage angeht, machen die Beklagte und Facebook Ireland geltend, dass die Beklagte nicht als ein für die Verarbeitung Verantwortlicher angesehen werden könne, da sie keinen Einfluss auf die später personenbezogenen Daten habe, die verarbeitet würden. Daher könne nur Facebook Ireland als ein solcher eingestuft werden. Hilfsweise trägt Facebook Ireland vor, dass die Beklagte mit ihr zusammen, d. h. als ein gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlicher, handele, wobei die Verantwortlichkeit einer Person wie der Beklagten allerdings auf ihren tatsächlichen Einflussbereich beschränkt sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Die Klägerin, LDI NRW und sämtliche Regierungen, die in der vorliegenden Rechtssache Erklärungen abgegeben haben, sowie die Kommission vertreten im Wesentlichen übereinstimmend den Standpunkt, dass der Begriff „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ weit gefasst sei und die Beklagte umfasse. Hinsichtlich des genauen Umfangs der Verantwortlichkeit der Beklagten weichen die in diesen Erklärungen vertretenen Auffassungen jedoch erheblich voneinander ab. Die Unterschiede betreffen die Frage, ob die Beklagte und Facebook Ireland als gemeinsam verantwortlich angesehen werden sollten oder nicht, ob ihre gemeinsame Verantwortlichkeit auf die Phase der Verarbeitung personenbezogener Daten beschränkt sein sollte, in der die Beklagte tatsächlich beteiligt ist, und ob in diesem Zusammenhang zwischen den Besuchern der Webseite der Beklagten, die über ein Facebook-Nutzerkonto verfügen, und solchen, die kein solches Konto haben, unterschieden werden sollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Im Ausgangspunkt ist klar, dass der Begriff „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ nach Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 eine Person erfasst, die „<i>allein oder gemeinsam</i> mit anderen über die <i>Zwecke und Mittel</i> der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet“(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>). Der Begriff „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ kann sich daher auf mehrere an der Verarbeitung personenbezogener Daten beteiligte Akteure beziehen(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>) und sollte weit ausgelegt werden(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Mit der Frage einer gemeinsamen Verantwortlichkeit für die Verarbeitung von Daten hat sich der Gerichtshof kürzlich im Urteil Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein befasst(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>).<i/>In Bezug auf die Rolle des Betreibers einer Facebook-Fanpage ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass der Betreiber gemeinsam mit Facebook Ireland als für die Verarbeitung Verantwortlicher im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 gehandelt habe. Der Betreiber sei nämlich gemeinsam mit Facebook Ireland an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten der Besucher der Fanpage beteiligt gewesen(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Konkret hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der Betreiber es durch die Einrichtung der betreffenden Fanpage Facebook Ireland ermöglicht habe, „auf dem Computer oder jedem anderen Gerät der Person, die seine Fanpage besucht hat, Cookies zu platzieren“, und so personenbezogene Daten zu verarbeiten(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>). Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass „die Einrichtung einer Fanpage auf Facebook von Seiten ihres Betreibers eine Parametrierung u. a. entsprechend seinem Zielpublikum sowie den Zielen der Steuerung oder Förderung seiner Tätigkeiten impliziert, die sich auf die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zweck der Erstellung der aufgrund der Besuche der Fanpage erstellten Statistiken auswirkt“(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>). Die betreffende Datenverarbeitung ermöglicht es Facebook Ireland, „sein System der Werbung … zu verbessern“, und zum anderen habe der Betreiber zum Zweck der besseren Steuerung der Vermarktung seiner Tätigkeit anonymisierte Statistiken erhalten(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Der Gerichtshof gelangte zu dem Ergebnis, dass der betreffende Betreiber durch „die von ihm vorgenommene Parametrierung“ an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten der Besucher seiner Fanpage beteiligt gewesen sei. Daher sei er als gemeinsam mit Facebook Ireland für diese Verarbeitung Verantwortlicher (mit „noch höherer“ Verantwortlichkeit hinsichtlich der personenbezogenen Daten von Personen, die keine Facebook-Nutzer seien) anzusehen(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Im Urteil Jehovan todistajat<i/>hob der Gerichtshof eine weitere wichtige Klarstellung zum Begriff des gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen hervor: Eine gemeinsame Verantwortlichkeit mehrerer Akteure setzt nicht voraus, dass jeder von ihnen Zugang zu (den bzw. sämtlichen) personenbezogenen Daten hat. Somit konnte eine Religionsgemeinschaft auch in den Fällen ein gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlicher sein, in denen die Gemeinschaft selbst offenbar keinen Zugang zu den betreffenden erhobenen Daten hatte. In diesem Fall waren die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas im Besitz der personenbezogenen Daten. Es genügte, dass diese Gemeinschaft die Verkündigungstätigkeit, in deren Rahmen offenbar personenbezogene Daten erhoben wurden, organisierte, koordinierte und zu ihr ermunterte(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Von einem höheren Abstraktionsniveau ausgehend und bei Konzentration auf den Begriff der gemeinsamen Verantwortlichkeit für die Verarbeitung bin ich angesichts dieser kürzlich ergangenen Entscheidungen geneigt, der Schlussfolgerung zuzustimmen, dass die Beklagte als ein für die Verarbeitung Verantwortlicher tätig wird und gemeinsam mit Facebook Ireland für die Verarbeitung von Daten verantwortlich ist(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>       Erstens hat die Beklagte es Facebook Ireland durch die Verwendung des betreffenden Plugins offenbar ermöglicht, personenbezogene Daten von den Nutzern der Webseite der Beklagten zu erlangen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Zweitens ist die Beklagte anders als der Webseiten-Betreiber in der Rechtssache Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein zwar offenbar nicht an der Parametrisierung von Informationen über die Nutzer ihrer Webseite, welche ihr in anonymisierter oder sonstiger Form zurückübermittelt werden, beteiligt. Der angestrebte „Nutzen“ scheint in der kostenlosen Werbung für ihre Produkte zu liegen, die offenbar stattfindet, wenn der Besucher ihrer Webseite auf den Facebook-„Gefällt mir“-Button klickt, um seine Gedanken – sagen wir zu einem schwarzen Cocktailkleid – mit anderen über sein Facebook-Nutzerkonto zu teilen. Vorbehaltlich einer Sachverhaltsprüfung durch das vorlegende Gericht ermöglicht die Verwendung des Plugins es der Beklagten also offenbar, die Werbung für ihre Produkte zu optimieren, indem sie diese auf Facebook sichtbar machen kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Unter einem anderen Blickwinkel betrachtet könnte man von der Beklagten aber sagen, dass sie an der Parametrisierung der erhobenen Daten schon dadurch beteiligt ist, dass sie das betreffende Plugin in ihre Webseite einbindet. Denn bereits das Plugin selbst gibt Parameter für die zu erhebenden personenbezogenen Daten vor. Indem die Beklagte das betreffende Tool also freiwillig in ihre Webseite einbindet, hat sie die besagten Parameter in Bezug auf die Besucher ihrer Webseite festgelegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Drittens kann eine Person im Licht des Urteils Jehovan todistajat in jedem Fall als gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlicher eingestuft werden, selbst wenn sie nicht einmal Zugang zu den „Früchten der gemeinsamen Arbeit“ hat. Demnach scheint der Umstand, dass die Beklagte keinen Zugang zu den an Facebook weitergegebenen Daten hat oder dass sie keine maßgeschneiderten oder aggregierten statistischen Daten zurückerhält, nicht von entscheidender Bedeutung zu sein.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">3.      Zu den Problemen: Wann also ist eine Person kein gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlicher?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Wird ein wirksamer Schutz besser erreicht, wenn alle für die Sicherstellung dieses Schutzes verantwortlich gemacht werden?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Dies ist zusammengefasst das tiefer gehende moralische und praktische Dilemma, das durch den vorliegenden Fall zutage tritt und in rechtlicher Hinsicht seinen Ausdruck in der Reichweite der Definition des (gemeinsam) für die Verarbeitung Verantwortlichen findet. In dem verständlichen Bestreben, den wirksamen Schutz personenbezogener Daten sicherzustellen, hat die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Frage nach einer enger oder weiter ausfallenden Definition des Begriffs des (gemeinsam) für die Verarbeitung Verantwortlichen einen sehr inklusiven Ansatz verfolgt. Bisher war der Gerichtshof jedoch im Zusammenhang mit den sich anschließenden Fragen nach den konkreten Pflichten und der spezifischen Haftung der Beteiligten, die als gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortliche eingestuft werden, noch nicht mit den praktischen Implikationen eines derart umfassenden definitorischen Ansatzes befasst. Da die vorliegende Rechtssache genau diese Gelegenheit einer Klärung eröffnet, schlage ich vor, sie zu ergreifen, um die definitorische Genauigkeit zu erhöhen, die in Bezug auf den Begriff der (gemeinsam) für die Verarbeitung Verantwortlichen gegeben sein sollte.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Zur Verpflichtung und Verantwortlichkeit</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Nimmt man den einschlägigen Test zur Erkennung eines „gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen“ genauer unter die Lupe, scheint nach den Urteilen Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein und Jehovan todistajat das entscheidende Kriterium zu sein, dass die fragliche Person die Erhebung und Übermittlung personenbezogener Daten „ermöglichte“, und zwar gegebenenfalls verknüpft mit einem gewissen Input, den ein solcher gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlicher in Bezug auf die Parametrisierung hat (und bestehe er auch nur in einer stillschweigenden Billigung der vorgenommenen Parametrisierung)(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>). Sollte dies tatsächlich der Fall sein, ist entgegen einer entsprechenden, im Urteil Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>)<i/>deutlich formulierten Absicht, genau dies auszuschließen, schwerlich erkennbar, warum normale Nutzer einer Online-Anwendung, ob nun eines sozialen Netzwerks, einer sonstigen interaktiven Plattform oder anderer Programme(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>), nicht ebenfalls gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortliche sein sollten. Ein Benutzer wird sein Nutzerkonto typischerweise einrichten, indem er dem Administrator Parameter bereitstellt, wie sein Nutzerkonto aufgebaut sein soll und welche Informationen er über was und von wem zu erhalten wünscht. Er wird außerdem seine Freunde, Kollegen und sonstige Personen einladen, Informationen in Gestalt von (häufig recht sensiblen) personenbezogenen Daten über die Anwendung zu teilen, wobei er nicht nur Daten betreffend diese Personen bereitstellt, sondern sie auch einlädt, sich ihrerseits einzubringen, wodurch er eindeutig zur Erlangung und Verarbeitung personenbezogener Daten dieser Personen beiträgt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Was ist außerdem mit den sonstigen Beteiligten in einer „Kette personenbezogener Daten“? Wären, wenn man es auf die Spitze treibt und das einzige maßgebliche Kriterium für eine gemeinsame Verantwortlichkeit für die Verarbeitung darin besteht, die Verarbeitung von Daten ermöglicht zu haben, also in einer beliebigen Phase der Verarbeitung im Ergebnis einen tatsächlichen Beitrag zu leisten, nicht auch der Internetdienstanbieter, der die Datenverarbeitung ermöglicht, weil er den Zugang zum Internet gewährt, oder gar der Stromversorger gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortliche, die eine gemeinsame Haftung für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten treffen könnte?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Die intuitive Antwort hierauf lautet selbstverständlich „nein“. Das Problem liegt darin, dass die Abgrenzung der Verantwortlichkeit sich bisher nicht aus dem weiten Begriff des gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen ergibt. Die Gefahr einer zu weit gefassten Definition besteht darin, dass sie eine ganze Reihe von Personen gemeinsam für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten verantwortlich sein lässt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Im Gegensatz zu den im vorstehenden Abschnitt dargestellten Fällen enden die vom vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache gestellten Fragen nicht an dem Punkt, wie der Begriff „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ zu definieren ist. Sie greifen hiermit im Zusammenhang stehende Fragen der Zuweisung von konkret aus der Richtlinie 95/46 resultierenden Verpflichtungen auf und gehen diesen weiter nach. Die betreffenden Fragestellungen selbst verdeutlichen die Probleme einer zu umfassenden Definition des „gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen“, und zwar insbesondere im Zusammenhang mit dem Fehlen einer präzisen Vorschrift darüber, welche konkreten Pflichten und Verantwortlichkeiten genau sich für die Verarbeitung Verantwortlichen aus der Richtlinie 95/46 ergeben. Die Erklärungen der Parteien zu den Fragen 5 und 6, die sich mit der genauen Zuweisung der sich aus der Richtlinie ergebenden Verantwortlichkeiten befassen, veranschaulichen dies gut.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Mit der fünften Frage soll in Erfahrung gebracht werden, <i>wer</i> die Einwilligung der betroffenen Person für <i>welchen Zweck</i> einzuholen hat. Die auf diese Frage vorgeschlagenen Antworten unterscheiden sich erheblich.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Die Klägerin und die LDI NRW vertreten die Ansicht, die Verpflichtung zur Einholung der in Kenntnis der Sachlage zu erteilenden Einwilligung der betroffenen Person liege bei der Beklagten, die die Entscheidung getroffen habe, das betreffende Plugin einzubinden. Dies ist nach Ansicht der Klägerin vor allem für Nutzer von Bedeutung, die über kein Facebook-Nutzerkonto verfügen und der Geltung der Nutzungsbedingungen von Facebook nicht zugestimmt haben. Die Beklagte vertritt den Standpunkt, die Einwilligung müsse gegenüber dem Dritten erklärt werden, der die eingebundenen Inhalte bereitstelle, also Facebook Ireland. Facebook Ireland ist der Auffassung, die Einwilligung sei nicht an einen bestimmten Adressaten zu richten, da die Richtlinie 95/46 lediglich angebe, dass die Einwilligung ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erteilt werden müsse.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Österreich, Deutschland und Polen machen geltend, die Einwilligung müsse erteilt werden, bevor eine Verarbeitung von Daten erfolge, und nach dem Vorbringen Österreichs muss sie sich sowohl auf die Erhebung als auch auf die mögliche Übermittlung von Daten erstrecken. Polen hebt hervor, dass die Einwilligung der Beklagten erteilt werden müsse. Deutschland vertritt die Auffassung, dass sie gegenüber der Beklagten oder dem Dritten, der die eingebundenen Inhalte bereitstelle (Facebook Ireland), erklärt werden müsse, weil beide gemeinsam für die Verarbeitung verantwortlich seien. Die Beklagte müsse sich lediglich die Einwilligung für die Datenübermittlung an den Dritten erteilen lassen, da sie in Bezug auf alle sonstigen Datenverarbeitungsvorgänge und die Verwendung der erhobenen Daten nicht mehr als für die Verarbeitung Verantwortliche tätig werde. Dies schließe jedoch nicht die Möglichkeit aus, dass dem Betreiber der Webseite die Einwilligung in die durch den Dritten erfolgende Verarbeitung erteilt werde, für die gegebenenfalls eine die beiden verbindende Vereinbarung gelte. Italien macht geltend, die Einwilligung müsse gegenüber all denen erklärt werden, die an der Verarbeitung personenbezogener Daten beteiligt seien, d. h. gegenüber der Beklagten und Facebook Ireland. Belgien und die Kommission heben hervor, dass die Richtlinie 95/46 keine Angabe dazu mache, wem gegenüber die Einwilligung erklärt werden müsse.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Ähnlich vielfältige Auffassungen gibt es dazu, <i>wen</i> die Informationspflicht aus Art. 10 der Richtlinie 95/46 mit genau <i>welchem Inhalt</i> trifft, was mit der sechsten Frage des vorlegenden Gerichts thematisiert wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Nach Ansicht der Klägerin ist der Betreiber der Webseite verpflichtet, der betroffenen Person die notwendigen Informationen mitzuteilen. Die Beklagte argumentiert umgekehrt, indem sie betont, die Informationspflicht treffe Facebook Ireland, weil die Beklagte über keine genauen Erkenntnisse verfüge. In ähnlicher Weise hebt auch Facebook Ireland hervor, die Informationspflicht treffe sie, da sich diese Verpflichtung nur an den für die Verarbeitung Verantwortlichen oder dessen Vertreter richte. Die Antwort auf die sechste Vorlagefrage sei eng damit verknüpft, ob der Betreiber der Webseite ein für die Verarbeitung Verantwortlicher sei. Art. 10 verdeutliche, dass es unangemessen sei, den Betreiber einer Webseite als einen für die Verarbeitung Verantwortlichen einzustufen, da er zur Bereitstellung von Informationen nicht in der Lage sei. Die LDI NRW ist der Auffassung, dass die Informationen vom Betreiber der Webseite erteilt werden müssen, erkennt jedoch an, wie schwierig es zu bestimmen ist, welche Informationen mitgeteilt werden sollten, da die Beklagte keinen Einfluss auf die durch Facebook Ireland erfolgende Verarbeitung von Daten hat. Das Ineinandergreifen der Datenverarbeitungsziele lege nahe, dass der Betreiber der Webseite für die von ihm ermöglichte Verarbeitung Mitverantwortung tragen sollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Belgien, Italien und Polen führen aus, die Informationspflicht gelte auch für einen Webseiten-Betreiber wie den hier in Rede stehenden, da er als für die Verarbeitung Verantwortlicher einzustufen sei. Belgien ergänzt, dass den Webseiten-Betreiber auch eine Verpflichtung treffen könnte, den Zweck der sich anschließenden Verarbeitung von Daten zu überprüfen und angemessene Vorkehrungen zu treffen, um den Schutz natürlicher Personen sicherzustellen. Die deutsche Regierung macht geltend, die Informationspflicht treffe den Betreiber einer Webseite insoweit, als er für die Verarbeitung verantwortlich sei, nämlich für die Übermittlung von Daten an den externen Bereitsteller der eingebundenen Inhalte, nicht jedoch für alle nachfolgenden Datenverarbeitungsvorgänge, die in der Verantwortung des externen Inhalte-Bereitstellers erfolgen. Nach Ansicht Österreichs und der Kommission unterliegen sowohl der Betreiber der Webseite als auch der externe Bereitsteller von Inhalten der Informationspflicht aus Art. 10 der Richtlinie 95/46.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Über die durch die Fragen 5 und 6 aufgeworfenen Probleme hinaus mag hier ergänzt werden, dass wahrscheinlich ähnliche begriffliche Schwierigkeiten auftreten, wenn man andere durch die Richtlinie 95/46 festgelegte Verpflichtungen wie das Auskunftsrecht nach deren Art. 12 betrachtet. Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein ausgeführt, dass „[d]ie Richtlinie 95/46 … nicht [verlangt], dass bei einer gemeinsamen Verantwortlichkeit mehrerer Betreiber für dieselbe Verarbeitung jeder Zugang zu den betreffenden personenbezogenen Daten hat“(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>). Doch kann ein für die Verarbeitung Verantwortlicher, der selbst keinen Zugang zu Daten hat, für die er gleichwohl aber als (gemeinsam) für die Verarbeitung Verantwortlicher eingestuft wird, einer betroffenen Person diesen Zugang verständlicherweise nicht gewähren (geschweige denn weitere Vorgänge wie die Berichtigung oder Löschung von Daten vornehmen).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Somit fällt der Mangel an begrifflicher Klarheit in die eine Richtung (wer ist gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlicher und in Bezug auf was genau), die in manchen Fällen zu einer Unklarheit in die andere Richtung (wen treffen welche Verpflichtungen) führen kann, in einen Bereich, in dem einem potenziellen gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen die Erfüllung geltenden Rechts tatsächlich unmöglich ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Selbstverständlich könnte man vorschlagen, dass zur genauen Zuordnung der Verantwortlichkeit unter den (möglicherweise recht zahlreichen) gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen Verträge geschlossen werden sollten. Diese würden nicht nur für eine Verteilung der Verantwortlichkeit sorgen, sondern auch die Partei festlegen, die die jeweiligen Verpflichtungen nach der Richtlinie, einschließlich derer zu erfüllen hätte, die physisch nur von einer Partei erfüllt werden können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Ich halte diesen Vorschlag für äußerst problematisch. Erstens ist er unter Berücksichtigung des dichten Netzes von Formularverträgen, die von jedem beliebigen Beteiligten, darunter sehr wahrscheinlich auch von einer Reihe von regulären Nutzern, abgeschlossen werden müssten, gänzlich unrealistisch(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>). Zweitens würden die Anwendung geltenden Rechts und die danach vorgesehene Verteilung von Verantwortlichkeit von privatrechtlichen Verträgen abhängig gemacht, auf die Dritte, die die ihnen zustehenden Rechte durchsetzen wollen, womöglich keinen Zugriff hätten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Drittens wird mit Art. 26 DSGVO, dies sei hier vielleicht unter teilweiser Vorwegnahme einiger dieser Fragen angemerkt, offenbar ein neues System der gemeinsamen Haftung eingeführt. Zweifellos ist die DSGVO <i>ratione temporis</i> auf die in diesem Abschnitt erörterten Fälle und auch auf die vorliegende Rechtssache nicht anwendbar. Doch wäre es recht überraschend, wenn die Auslegung von Schlüsselbegriffen, darunter die des für die Verarbeitung Verantwortlichen, der Verarbeitung und der personenbezogenen Daten, (ohne guten Grund) erheblich von der bestehenden Rechtsprechung abwiche, es sei denn, die Neuregelung sähe eine konkrete oder systematische Änderung der maßgeblichen Begriffsbestimmungen vor, was nicht der Fall zu sein scheint, weil Art. 4 der DSGVO (allerdings unter Hinzufügung einer Reihe von neuen Begriffsbestimmungen) weitgehend dieselben Schlüsselbegriffe wie Art. 2 der Richtlinie 95/46 enthält.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Wenn dem tatsächlich so wäre, würde das mit Art. 26 Abs. 3 der DSGVO offenbar eingeführte System der gemeinsamen Haftung von gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen zu einer erheblichen Herausforderung. Einerseits können gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortliche nach Art. 26 Abs. 1 der DSGVO „[festlegen], wer von ihnen welche Verpflichtung … erfüllt“. Andererseits stellt Art. 26 Abs. 3 der DSGVO klar, dass „die betroffene Person ihre Rechte“ ungeachtet einer solchen Vereinbarung „bei und gegenüber jedem einzelnen der Verantwortlichen geltend machen [kann]“. Somit kann jeder der gemeinsam Verantwortlichen für die fragliche Verarbeitung von Daten haftbar gemacht werden.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Betrachtung des großen Ganzen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point89">89.</a>      Vor langer Zeit (bestimmte Science-Fiction-Fans würden hier wohl ergänzen: „in einer weit, weit entfernten Galaxie“) war es einmal cool, in einem sozialen Netzwerk aktiv zu sein. Dann wurde es allmählich cool, kein Nutzer eines sozialen Netzwerks zu sein. Heutzutage wird es als eine Untat angesehen, in einem solchen Netzwerk aktiv zu sein (für das neuartige Formen einer Haftung für fremdes Verschulden eingeführt werden müssen).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point90">90.</a>      Es ist nicht zu leugnen, dass Recht vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen gesprochen wird. Rechtsprechung sollte daher selbstverständlich auf solche Entwicklungen reagieren, nicht jedoch von ihnen bestimmt werden. Wie jede sonstige Anwendung und jedes andere Programm auch ist ein soziales Netzwerk ein Werkzeug. Ähnlich wie ein Messer oder ein Auto kann es unterschiedlich verwendet werden. Im Fall einer Nutzung für die falschen Zwecke muss der betreffende Missbrauch zweifellos rechtlich verfolgt werden. Aber es ist wohl keine gute Idee, alle zu bestrafen, die jemals ein Messer benutzt haben. Normalerweise verfolgt man die Person(en), die die Gewalt über das Messer hatte(n), als mit ihm Schaden angerichtet wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point91">91.</a>      Daher sollte, wenn auch vielleicht nicht immer in genauer Entsprechung, so doch wenigstens ein angemessenes Verhältnis zwischen Macht, Einfluss und Verantwortlichkeit bestehen. Das moderne Recht umfasst natürlich verschiedene Formen der objektiven Haftung, die nur bei Eintritt bestimmter Erfolge greift. Hierbei handelt es sich jedoch eher um gerechtfertigte Ausnahmen. Weist man jemandem, der keinen Einfluss auf den Ausgang des Geschehens hatte, ohne vernünftigen Grund eine Verantwortung zu, wird eine solche Zurechnung von Haftung typischerweise als unangemessen oder ungerecht angesehen(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point92">92.</a>      In Beantwortung der am Anfang dieses Abschnitts (Nr. 71) gestellten Frage würde ein Skeptiker mit Herkunft aus den östlicheren Teilen der Europäischen Union angesichts seiner geschichtlichen Erfahrung wohl anmerken, dass ein Schutzmechanismus in der Regel massiv an Wirksamkeit verliert, wenn die Verantwortlichkeit hierfür jedermann zugewiesen ist. Macht man jedermann verantwortlich, bedeutet dies, dass tatsächlich niemand verantwortlich ist. Vielmehr wird sich der eine Beteiligte, der für einen bestimmten Vorgang verantwortlich gemacht werden sollte, der eine, der tatsächlich Kontrolle ausübt, wahrscheinlich hinter all den anderen nominell „Mitverantwortlichen“ verstecken, wodurch die Wirksamkeit des Schutzes erheblich leiden dürfte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point93">93.</a>      Schließlich gilt, dass keine gute (Auslegung einer) Regelung dazu führen sollte, dass die darin vorgesehenen Verpflichtungen von den jeweiligen Adressaten tatsächlich nicht erfüllt werden können. Soll also die in zupackender Weise getroffene Bestimmung des Begriffs der (gemeinsamen) Verantwortlichkeit nicht in eine an alle Akteure gerichtete und gerichtlich gestützte Anordnung mutieren, offline zu gehen und soziale Netzwerke, Plugins sowie gegebenenfalls sonstige Drittinhalte nicht mehr zu nutzen, muss bei der Bestimmung der Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten die Lebenswirklichkeit eine Rolle spielen, wobei wiederum die Fragen von Kenntnis, originärer Verhandlungsmacht und der Fähigkeit, auf beliebige der hier in Rede stehenden Aktivitäten Einfluss zu nehmen, einzubeziehen sind(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>).</p>
<p class="C23Titrenumerote3">4.      Zurück zu den (gesetzgeberischen) Wurzeln: Einheit von Zwecken und Mitteln in Bezug auf einen bestimmten Verarbeitungsvorgang</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point94">94.</a>      Obwohl der Gerichtshof im Urteil Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein bei der Bestimmung des Begriffs der gemeinsamen Verantwortlichkeit eine recht zupackende Haltung eingenommen hat, hat er doch auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Haftung eines (gemeinsam) Verantwortlichen zu begrenzen. Konkret hat er ausgeführt, „dass das Bestehen einer gemeinsamen Verantwortlichkeit … nicht zwangsläufig eine gleichwertige Verantwortlichkeit der verschiedenen Akteure zur Folge hat, die von einer Verarbeitung personenbezogener Daten betroffen sind. … [D]iese Akteure [können] in die Verarbeitung personenbezogener Daten in verschiedenen Phasen und in unterschiedlichem Ausmaß in der Weise einbezogen sein, dass der Grad der Verantwortlichkeit eines jeden von ihnen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist“(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point95">95.</a>      Während es in der Rechtssache Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein nicht erforderlich war, sich mit dieser konkreten Fragestellung zu befassen, besteht diese Notwendigkeit in der vorliegenden Rechtssache, in der das vorlegende Gericht den Gerichtshof unmittelbar darum ersucht, die möglichen Verpflichtungen der Beklagten festzustellen, die sich aus ihrem Status als Verantwortlicher ergeben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point96">96.</a>      In Anbetracht des in Art. 26 der DSGVO neu eingeführten Systems einer gemeinsamen Haftung ist es schwierig vorherzusehen, inwiefern eine <i>gemeinsame Verantwortlichkeit</i> mit Blick auf dasselbe Ergebnis einer potenziell rechtswidrigen/rechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten eine <i>ungleiche Verantwortlichkeit</i> implizieren könnte. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Art. 26 Abs. 1 der DSGVO, der auf eine gemeinsame (d. h. gesamtschuldnerische) Haftung hinzudeuten scheint(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point97">97.</a>      Ich halte jedoch die zweite Aussage des Gerichtshofs für die Kernaussage, nämlich dass „diese Akteure in die Verarbeitung personenbezogener Daten in verschiedenen Phasen und in unterschiedlichem Ausmaß … einbezogen sein [können]“. Diese Beurteilung findet in den in der Richtlinie 95/46 enthaltenen Begriffsbestimmungen eine Stütze, und zwar insbesondere in Anbetracht der Definition in der Richtlinie 95/40 i) des Begriffs „Verarbeitung“ (Art. 2 Buchst. b) und ii) des Begriffs „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ (Art. 2 Buchst. d).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point98">98.</a>      Erstens umfasst der Begriff „Verarbeitung personenbezogener Daten“ „jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Speichern, die Organisation, die Aufbewahrung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Benutzung, die Weitergabe durch Übermittlung, Verbreitung oder jede andere Form der Bereitstellung, die Kombination oder die Verknüpfung sowie das Sperren, Löschen oder Vernichten“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point99">99.</a>      Auch wenn der Begriff „Verarbeitung“ ähnlich wie der Begriff „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ ziemlich weit gefasst ist(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>), zielt er doch deutlich auf eine <i>Phase</i> der Verarbeitung ab: Er verweist auf einen <i>Vorgang</i> oder eine <i>Vorgangsreihe</i>, wobei eine anschauliche Aufzählung angibt, um welche einzelnen dieser Vorgänge es sich handeln könnte. Die Logik legt es daher nahe, die Frage der Verantwortlichkeit mit Blick auf den betreffenden konkreten Vorgang zu prüfen, und eben nicht mit Blick auf ein unbestimmtes Bündel von allem Möglichen, was als Verarbeitung bezeichnet werden kann(<a href="#Footnote47" name="Footref47">47</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point100">100.</a> Zweitens ist der Begriff der gemeinsamen Verantwortlichkeit in der Richtlinie 95/46 nicht ausdrücklich bestimmt. Logisch baut dieser Begriff auf dem in Art. 2 Buchst. d bestimmten Begriff „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ auf: Die Situation einer gemeinsamen Verantwortlichkeit ist gegeben, wenn zwei oder mehr Personen gemeinsam über <i>Mittel und Zwecke der Verarbeitung</i> personenbezogener Daten entscheiden(<a href="#Footnote48" name="Footref48">48</a>). Mit anderen Worten ist Voraussetzung dafür, dass zwei (oder mehr) Personen als gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortliche einzustufen sind, dass in ihrem Verhältnis zueinander <i>die Zwecke und Mittel</i> der Verarbeitung personenbezogener Daten <i>identisch</i> sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point101">101.</a> Die jeweiligen Verpflichtungen und die mögliche Haftung von gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen sind meines Erachtens aus der Verknüpfung dieser beiden Begriffsbestimmungen herzuleiten. Ein (gemeinsam) für die Verarbeitung Verantwortlicher ist für den Vorgang oder die Vorgangsreihe verantwortlich, für den bzw. für die er, soweit es den betreffenden Verarbeitungs<i>vorgang </i>angeht, einen Beitrag zu der Entscheidung über dessen <i>Zwecke und Mittel</i> leistet. Im Gegensatz dazu kann die betreffende Person weder für die vorhergehenden noch die nachfolgenden Phasen der Gesamtkette der Datenverarbeitungsvorgänge verantwortlich gemacht werden, für die sie weder die Zwecke noch die Mittel der betreffenden Phase der Verarbeitung festlegen konnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point102">102.</a> In der vorliegenden Rechtssache besteht die maßgebliche Phase der Verarbeitung (bzw. bestehen die betreffenden Vorgänge) in der <i>Erhebung</i> und <i>Übermittlung</i> personenbezogener Daten, die mittels des Facebook-„Gefällt mir“-Buttons erfolgt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point103">103.</a> Was erstens die Mittel dieser Datenverarbeitungsvorgänge angeht, scheint, wie von der Klägerin, LDI NRW und der deutschen Regierung vorgetragen worden ist, festzustehen, dass die Beklagte über die Verwendung des betreffenden Plugins entscheidet, das als Hilfsmittel für die Erhebung und Übermittlung der personenbezogenen Daten dient. Diese Erhebung und Übermittlung werden durch den Besuch der Webseite der Beklagten ausgelöst. Das betreffende Plugin wurde der Beklagten von Facebook Ireland zur Verfügung gestellt. Sowohl Facebook Ireland als auch die Beklagte haben somit offenbar willentlich die Erhebungs- und Übermittlungsphase der Datenverarbeitung eingeleitet. Dies in tatsächlicher Hinsicht zu prüfen und festzustellen, bleibt selbstverständlich Sache des nationalen Gerichts.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point104">104.</a> Was zweitens den <i>Zweck</i> der Datenverarbeitung angeht, gibt das Vorabentscheidungsersuchen nicht an, aus welchen Gründen die Beklagte die Entscheidung getroffen hat, den Facebook-„Gefällt mir“-Button auf ihrer Webseite einzubinden. Jedoch scheint diese Entscheidung vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht von dem Wunsch getragen gewesen zu sein, die Sichtbarkeit der Produkte der Beklagten über das soziale Netzwerk zu erhöhen. Gleichzeitig dürften die an Facebook Ireland übermittelten Daten auch für deren eigene kommerzielle Zwecke verwendet werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point105">105.</a> Ungeachtet dessen, dass gegebenenfalls keine identische kommerzielle Nutzung der Daten stattfindet, verfolgen die Beklagte und Facebook Ireland allgemein offenbar kommerzielle Zwecke, die sich wechselseitig ergänzen. Daher besteht trotz fehlender Zweckidentität eine Einheit der Zwecke: Es werden nämlich kommerzielle und werbliche Zwecke verfolgt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point106">106.</a> Nach dem Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache scheint es daher so zu sein, dass die Beklagte und Facebook Ireland gemeinsam die Mittel und Zwecke der Datenverarbeitung in der Phase der Erhebung und Übermittlung der betreffenden personenbezogenen Daten festlegen. Insoweit handelt die Beklagte als ein für die Verarbeitung Verantwortlicher und besteht ihre Haftung – ebenfalls insoweit – gemeinsam mit der von Facebook Ireland.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point107">107.</a> Zugleich bin ich der Auffassung, dass die Haftung der Beklagten auf die Phase der Datenverarbeitung beschränkt sein muss, an der sie tatsächlich beteiligt ist, und dass sie nicht auf etwaige nachfolgende Phasen der Datenverarbeitung erstreckt werden darf, wenn eine derartige Verarbeitung außerhalb der Einflusssphäre und, so würde man meinen, auch ohne Kenntnis der Beklagten erfolgt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point108">108.</a> Im Licht der vorstehenden Ausführungen lautet mein zweites Zwischenergebnis daher, dass eine Person wie die Beklagte, die ein Plugin eines Dritten in ihre Webseite eingebunden hat, welches die Erhebung und Übermittlung personenbezogener Daten des Nutzers veranlasst (wobei der betreffende Dritte das Plugin bereitgestellt hat), als ein für die Verarbeitung Verantwortlicher im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 anzusehen ist. Die (gemeinsame) Verantwortlichkeit des betreffenden für die Verarbeitung Verantwortlichen ist jedoch auf die Verarbeitungsvorgänge beschränkt, für die er tatsächlich einen Beitrag zur Entscheidung über die Mittel und Zwecke der Verarbeitung der personenbezogenen Daten leistet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point109">109.</a> Mit diesem Ergebnis wird dann auch eine Antwort auf die dritte Vorlagefrage gegeben. Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 95/46 in Bezug auf die Beklagte der Anwendung des im nationalen Recht verankerten Rechtsinstituts der Störerhaftung entgegensteht, wenn festgestellt werden sollte, dass die Beklagte <i>nicht</i> als für die Verarbeitung Verantwortlicher <i>angesehen werden kann</i>. Dem Vorabentscheidungsersuchen zufolge verpflichtet das Rechtsinstitut der Störerhaftung die Person, die keine Rechtsverletzung begeht, jedoch die Gefahr einer solchen Rechtsverletzung durch einen Dritten geschaffen oder erhöht hat, alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare zu tun, um den Eintritt dieser Rechtsverletzung zu verhindern. Für den Fall, dass die Beklagte nicht als ein für die Verarbeitung Verantwortlicher angesehen werden kann, vertritt das vorlegende Gericht den Standpunkt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Rechtsinstituts der Störerhaftung erfüllt sind, weil die Beklagte durch die Einbindung des Plugins in Gestalt des Facebook-„Gefällt mir“-Buttons zumindest die Gefahr einer Rechtsverletzung durch Facebook geschaffen hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point110">110.</a> In Anbetracht der Antwort auf die zweite Vorlagefrage ist die dritte Frage nicht zu beantworten. Sobald festgestellt worden ist, dass eine bestimmte Person als für die Verarbeitung Verantwortlicher im Sinne der Richtlinie 95/46 einzustufen ist, müssen ihre Verpflichtungen als für die Verarbeitung Verantwortlicher im Licht der durch diese Richtlinie festgelegten Verpflichtungen beurteilt werden. Zöge man den gegenteiligen Schluss, würde dies in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu einer unterschiedlichen Haftung der für die Verarbeitung Verantwortlichen für eine bestimmte Rechtsverletzung führen. In diesem Sinne und im Hinblick auf die Definition des Begriffs „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ bewirkt die Richtlinie 95/46 hinsichtlich der Adressaten der Verpflichtungen tatsächlich eine vollständige Harmonisierung(<a href="#Footnote49" name="Footref49">49</a>).</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      Berechtigte Interessen, auf die nach Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 abzustellen ist </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point111">111.</a> Die vierte in der vorliegenden Rechtssache gestellte Frage betrifft die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten bei fehlender Einwilligung der betroffenen Person im Sinne von Art. 7 Buchst. a der Richtlinie 95/46. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point112">112.</a> Das vorlegende Gericht verweist hierzu auf Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46, wonach die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist, wenn sie „erforderlich [ist] zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person … überwiegen“. Konkret möchte das vorlegende Gericht wissen, auf <i>wessen</i> berechtigte Interessen im Kontext des vorliegenden Falles abzustellen ist: Auf die Interessen der Beklagten, die Drittinhalte eingebunden hat, oder auf die Interessen dieses Dritten (namentlich Facebook Ireland)(<a href="#Footnote50" name="Footref50">50</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point113">113.</a> Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission den Standpunkt vertritt, die vierte Frage sei irrelevant, weil die Einwilligung des Nutzers <i>in der vorliegenden Sache</i> in Anwendung der zur Umsetzung der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) erlassenen Rechtsvorschriften ohnehin eingeholt werden müsse(<a href="#Footnote51" name="Footref51">51</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point114">114.</a> Ich stimme der Kommission darin zu, dass die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (die nach ihrem Art. 1 Abs. 2 eine Detaillierung und Ergänzung der Richtlinie 95/46 in der elektronischen Kommunikation darstellt)(<a href="#Footnote52" name="Footref52">52</a>) insoweit auf den vorliegenden Fall anwendbar sein dürfte, als auf den Geräten der Nutzer eine Platzierung von Cookies erfolgt(<a href="#Footnote53" name="Footref53">53</a>). Ferner definieren Art. 2 Buchst. f und der 17. Erwägungsgrund der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation den Begriff der Einwilligung durch Verweis auf den Begriff „Einwilligung“ in der Richtlinie 95/46.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point115">115.</a> Ob in der vorliegenden Rechtssache eine Platzierung von Cookies stattgefunden hat, wurde in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert. Die entsprechende Sachverhaltsaufklärung ist Sache des nationalen Gerichts. Wie im Vorabentscheidungsersuchen ausgeführt, geht das vorlegende Gericht aber jedenfalls davon aus, dass die übermittelten Daten personenbezogene Daten darstellen(<a href="#Footnote54" name="Footref54">54</a>). Die Platzierung von Cookies beantwortet daher offenbar nicht alle Fragen, die in der vorliegenden Rechtssache im Zusammenhang mit der Verarbeitung von Daten aufgeworfen werden(<a href="#Footnote55" name="Footref55">55</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point116">116.</a> Ich bin daher der Ansicht, dass die vierte Frage einer weiter gehenden Erörterung bedarf.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point117">117.</a> Die Klägerin macht geltend, dass auf die berechtigten Interessen der Beklagten abzustellen sei. Zudem könnten sich im vorliegenden Fall weder die Beklagte noch Facebook Ireland auf ein berechtigtes Interesse berufen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point118">118.</a> Die Beklagte und Facebook Ireland bringen im Wesentlichen vor, dass auf die berechtigten Interessen sowohl der Person, die die Drittinhalte einbinde, als auch auf die Dritten abzustellen sei, während auch die Interessen der Webseiten-Besucher berücksichtigt werden müssten, deren Grundrechte betroffen sein könnten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point119">119.</a> Die LDI NRW, Polen, Deutschland und Italien sind der Auffassung, dass auf die berechtigten Interessen sowohl der Beklagten als auch von Facebook Ireland abzustellen sei, da beide die in Rede stehende Verarbeitung ermöglicht hätten. Österreich vertritt einen ähnlichen Standpunkt. Unter Verweis auf das Urteil des Gerichtshofs Google Spain und Google hebt auch Belgien hervor, dass auf die berechtigten Interessen sowohl des für die Verarbeitung Verantwortlichen als auch der Dritten abzustellen sei, denen die betreffenden personenbezogenen Daten übermittelt worden seien.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point120">120.</a> Es ist zunächst daran zu erinnern, dass jegliche Verarbeitung personenbezogener Daten über die sonstigen Voraussetzungen hinaus grundsätzlich eines der in Art. 7 der Richtlinie 95/46 aufgeführten Kriterien erfüllen muss, die der Datenverarbeitung Rechtmäßigkeit verleihen(<a href="#Footnote56" name="Footref56">56</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point121">121.</a> Konkret zu Art. 7 Buchst. f hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass nach dieser Bestimmung „die Verarbeitung personenbezogener Daten unter drei kumulativen Voraussetzungen zulässig [ist]: berechtigtes Interesse, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden (1), Erforderlichkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses (2) und kein Überwiegen der Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person (3)“(<a href="#Footnote57" name="Footref57">57</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point122">122.</a> Die Richtlinie 95/46 enthält weder eine Definition noch eine Aufzählung der „berechtigten Interessen“. Dieser Begriff ist offenbar recht dehnbar und offen(<a href="#Footnote58" name="Footref58">58</a>). Kein Interesse ist <i>per se</i> ausgeschlossen, vorausgesetzt natürlich, dass es für sich genommen nicht rechtswidrig ist. Wie als wesentlicher Punkt in der mündlichen Verhandlung erörtert und bereits oben ausgeführt worden ist(<a href="#Footnote59" name="Footref59">59</a>), dürfte in der vorliegenden Rechtssache die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten zu Zwecken einer verbesserten Werbung maßgeblich sein, auch wenn die von der Beklagten und von Facebook Ireland konkret verfolgten kommerziellen Ziele letztlich nicht absolut identisch sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point123">123.</a> Aufgrund dieser Überlegungen stimme ich zu, dass Marketing oder Werbung als solche ein berechtigtes Interesse darstellen kann(<a href="#Footnote60" name="Footref60">60</a>). Im Kontext der vorliegenden Rechtssache fällt es schwer, über diese Feststellung hinauszugehen, da keine konkreten Angaben dazu vorliegen, in welcher Weise die erhobenen und übermittelten Daten genau verwendet werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point124">124.</a> Dies vorausgeschickt macht das vorlegende Gericht keine Ausführungen betreffend die Würdigung der berechtigten Interessen, die im Ausgangsverfahren geltend gemacht werden, und ersucht insoweit auch nicht um eine Klärung. Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht in Erfahrung bringen, <i>auf wessen</i> berechtigte Interessen abzustellen ist, damit die Abwägung nach Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 vorgenommen werden kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point125">125.</a> Vor dem Hintergrund der von mir oben auf die zweite Frage vorgeschlagenen Antwort vertrete ich den Standpunkt, dass auf die berechtigten <i>Interessen sowohl</i> der Beklagten <i>als auch</i> von Facebook Ireland abzustellen ist, da <i>beide</i> in Bezug auf den jeweiligen<i/>Datenverarbeitungsvorgang <i>als gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortliche tätig werden.</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point126">126.</a> Da ihr Status als gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortliche impliziert, dass sie auch gemeinsam über die Zwecke der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheiden, muss für jeden von ihnen zumindest – wie oben dargelegt – ganz allgemein das Bestehen eines berechtigten Interesses nachgewiesen werden. Dieses Interesse muss sodann wie im letzten Halbsatz des Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 vorgesehen(<a href="#Footnote61" name="Footref61">61</a>) gegen die Rechte der betroffenen Personen abgewogen werden, wobei diese Abwägung „grundsätzlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls“ abhängt(<a href="#Footnote62" name="Footref62">62</a>). Ich weise darauf hin, dass die Verarbeitung von Daten unter solchen Umständen an die Voraussetzung ihrer Erforderlichkeit geknüpft ist(<a href="#Footnote63" name="Footref63">63</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point127">127.</a> Im Licht der vorstehenden Ausführungen gelange ich zu dem dritten Zwischenergebnis, dass bei der Prüfung, ob personenbezogene Daten nach den in Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 niedergelegten Kriterien verarbeitet werden dürfen, auf die berechtigten Interessen beider im Einzelfall für die Verarbeitung Verantwortlichen abzustellen ist und dass diese Interessen gegen die Rechte der betroffenen Personen abgewogen werden müssen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">D.      Die Verpflichtungen der Beklagten im Zusammenhang mit der bei der betroffenen Person einzuholenden Einwilligung und der ihr bereitzustellenden Informationen</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point128">128.</a> Mit der fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, wem gegenüber die nach Art. 7 Buchst. a und Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 95/46 einzuholende Einwilligung in einer Konstellation wie der der vorliegenden Rechtssache zu erklären ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point129">129.</a> Mit der sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht in Erfahrung bringen, ob die Informationspflicht aus Art. 10 der Richtlinie 95/46 in der vorliegenden Konstellation für einen Webseiten-Betreiber (wie die Beklagte) gilt, der in seine Webseite Drittinhalte eingebunden und hierdurch die Verarbeitung personenbezogener Daten durch den betreffenden Dritten veranlasst hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point130">130.</a> Wie wir bereits gesehen haben(<a href="#Footnote64" name="Footref64">64</a>), gibt es für die Beantwortung dieser Fragen eine Vielzahl von Vorschlägen. Sobald jedoch die Art der in der zweiten Frage angesprochenen Verpflichtung hinsichtlich sowohl des Verpflichteten <i>(wer)</i> als auch ihres Inhalts <i>(wozu)</i> und somit diese Frage im Vorfeld genau geklärt worden ist, wird die Beantwortung der Fragen 5 und 6, die bestimmte sich ergebende Verpflichtungen betreffen, einfacher.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point131">131.</a> Zunächst einmal bin ich der Auffassung, dass sowohl die Einwilligung als auch die bereitgestellten Informationen alle Aspekte der Datenverarbeitungsvorgänge, für die die gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen gemeinsam haftbar sind, abdecken müssen, nämlich die Erhebung und die Übermittlung der Daten. Umgekehrt erstrecken sich die Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Einwilligung und der Information nicht auf die nachfolgenden Phasen der Datenverarbeitung, an denen die Beklagte nicht beteiligt ist und über deren Mittel oder Zwecke sie logischerweise nicht entscheidet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point132">132.</a> Zweitens könnte man unter diesen Voraussetzungen vorschlagen, dass die Einwilligung gegenüber jedem der beiden gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen erklärt werden kann. Angesichts der besonderen Konstellation des vorliegenden Falles muss diese Einwilligung jedoch gegenüber der Beklagten erklärt werden, weil die Datenverarbeitungsvorgänge mit dem tatsächlichen Besuch der Webseite der Beklagten in Gang gesetzt werden. Einer wirksamen und rechtzeitigen Wahrung der Rechte der betroffenen Personen entspräche es offensichtlich nicht, wenn die Einwilligung lediglich gegenüber dem gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen erklärt würde, der (wenn überhaupt) erst zu einem späteren Zeitpunkt an der Verarbeitung beteiligt ist, nämlich erst nachdem die Erhebung und die Übermittlung der Daten bereits erfolgt ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point133">133.</a> Eine ähnliche Antwort ist in Bezug auf die für die Beklagte aus Art. 10 der Richtlinie 95/46 resultierende Informationspflicht zu geben. In dieser Bestimmung ist ein Mindestbestand an Informationen festgelegt, die der betroffenen Person von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen (oder von dessen Vertreter) mitgeteilt werden müssen. Er umfasst die folgenden Elemente: die Identität des für die Verarbeitung Verantwortlichen (oder seines Vertreters), die Zweckbestimmungen der Verarbeitung, für die die Daten bestimmt sind, und weitere Informationen, „sofern sie unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände, unter denen die Daten erhoben werden, notwendig sind, um gegenüber der betroffenen Person eine Verarbeitung nach Treu und Glauben zu gewährleisten“. Art. 10 nennt Beispiele für solche weiteren Informationen, darunter solche, die für die vorliegende Rechtssache bedeutsam sein könnten, nämlich Informationen betreffend die Empfänger der Daten und das Bestehen von Auskunfts- und Berichtigungsrechten betreffend Daten über die betroffene Person.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point134">134.</a> In Anbetracht dieser Liste scheint die Beklagte eindeutig in der Lage zu sein, Informationen über die Identität der gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen, über den Zweck der jeweiligen Phase der Verarbeitung (die Vorgänge, für die sie eine gemeinsame Verantwortlichkeit trifft) und darüber, dass diese Daten übermittelt werden, bereitzustellen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point135">135.</a> Was die Auskunfts- und Berichtigungsrechte angeht, gehe ich demgegenüber davon aus, dass die Beklagte selbst keinen Zugang zu den an Facebook Ireland übermittelten Daten hat, da sie in keiner Weise an der Speicherung von Daten beteiligt ist. Daher könnte man z. B. vorschlagen, dass dieser Punkt zum Gegenstand einer Vereinbarung mit Facebook Ireland gemacht werden müsste.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point136">136.</a> Über die oben dargelegten Argumente hinaus(<a href="#Footnote65" name="Footref65">65</a>) würden solche Vorschläge die Verpflichtungen und die Haftung von (gemeinsam) für die Verarbeitung Verantwortlichen jedoch wiederum auf Vorgänge erstrecken, für die sie nicht verantwortlich sind. Wenn gemeinsame Verantwortlichkeit bedeutet, für die Vorgänge verantwortlich zu sein, für die im Verhältnis der gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortlichen untereinander eine Einheit von Zwecken und Mitteln gegeben ist, dann müssen die sich weiter aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen wie etwa im Zusammenhang mit der Einwilligung, der Information sowie der Auskunft oder Berichtigung in ihrem Umfang der betreffenden Ausgangsverpflichtung entsprechen(<a href="#Footnote66" name="Footref66">66</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point137">137.</a> Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Webseiten-Besucher, die über ein Facebook-Nutzerkonto verfügen, gegebenenfalls bereits zu einem früheren Zeitpunkt in eine solche Datenübermittlung eingewilligt haben könnten. Dies könnte zu einer differenzierten Haftung der Beklagten führen, wobei die Kommission offenbar zum Ausdruck bringen möchte, dass die Informationspflicht der Beklagten und die Verpflichtung zur Einholung der Einwilligung durch sie dann lediglich in Bezug auf Besucher der Webseite der Beklagten gelten würde, die nicht über ein Facebook-Nutzerkonto verfügen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point138">138.</a> Diese Auffassung teile ich nicht. Ich halte den Gedanken für problematisch, dass die „Facebook-Nutzer“ unter den in der vorliegenden Rechtssache gegebenen Umständen eine andere (weniger Schutz bietende) Behandlung erfahren, weil sie bereits in die Möglichkeit einer Verarbeitung (aller) ihrer personenbezogenen Daten durch Facebook eingewilligt haben sollen. Diese Argumentation impliziert ja, dass man mit Erstellung eines Facebook-Nutzerkontos im Voraus in jegliche Datenverarbeitung einwilligt, die im Zusammenhang mit Online-Aktivitäten solcher „Facebook-Nutzer“ durch Dritte erfolgt, die in einer beliebigen Verbindung mit Facebook stehen. Dies würde selbst in einer Konstellation gelten, in der es keinerlei äußere Anzeichen dafür gäbe, dass eine solche Datenverarbeitung erfolgt (wie es der Fall zu sein scheint, wenn man die Webseite der Beklagten lediglich besucht). Mit anderen Worten: Schlösse man sich der Sichtweise der Kommission an, würde ein Nutzer durch Erstellung eines Facebook-Nutzerkontos gegenüber Facebook praktisch auf jeglichen Schutz von online hinterlegten personenbezogenen Daten verzichten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point139">139.</a> Ich bin daher der Auffassung, dass die Haftung und die Verpflichtungen der Beklagten im Zusammenhang mit der Einwilligung und Information gegenüber allen betroffenen Personen die gleichen sein sollten, unabhängig davon, ob diese über ein Facebook-Nutzerkonto verfügen oder nicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point140">140.</a> Außerdem besteht wiederum kein Zweifel daran, dass die betreffende Einwilligung erteilt und die besagten Informationen bereitgestellt werden müssen, <i>bevor</i> eine Erhebung und Übermittlung der Daten erfolgt(<a href="#Footnote67" name="Footref67">67</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point141">141.</a> Im Licht der vorstehenden Ausführungen gelange ich in Beantwortung der Fragen 5 und 6 zu meinem letzten Zwischenergebnis, dass die nach Art. 7 Buchst. a der Richtlinie 95/46 einzuholende Einwilligung der betroffenen Person in einer Konstellation wie der der vorliegenden Rechtssache gegenüber einem Webseiten-Betreiber wie der Beklagten, der Drittinhalte in seine Webseite eingebunden hat, zu erklären ist. Art. 10 der Richtlinie 95/46 ist dahin auszulegen, dass die sich aus dieser Bestimmung ergebende Informationspflicht auch für diesen Webseiten-Betreiber gilt. Die Einwilligung der betroffenen Person nach Art. 7 Buchst. a der Richtlinie 95/46 muss eingeholt und die Informationen im Sinne von Art. 10 dieser Richtlinie müssen bereitgestellt werden, bevor die Erhebung und die Übermittlung der Daten erfolgt. Jedoch muss der Umfang dieser Verpflichtungen der gemeinsamen Verantwortlichkeit des betreffenden Webseiten-Betreibers für die Erhebung und Übermittlung der personenbezogenen Daten entsprechen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point142">142.</a> Im Licht der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) gestellten Fragen wie folgt zu beantworten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die gemeinnützigen Verbänden die Befugnis einräumt, zur Wahrung der Interessen der Verbraucher rechtlich gegen den mutmaßlichen Verletzer von Datenschutzrecht vorzugehen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Eine Person, die ein von einem Dritten bereitgestelltes Plugin in ihre Webseite eingebunden hat, welches die Erhebung und Übermittlung der personenbezogenen Daten des Nutzers veranlasst, ist als ein für die Verarbeitung Verantwortlicher im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 anzusehen. Die (gemeinsame) Verantwortlichkeit des betreffenden für die Verarbeitung Verantwortlichen ist jedoch auf die Verarbeitungsvorgänge beschränkt, für die er tatsächlich einen Beitrag zur Entscheidung über die Mittel und Zwecke der Verarbeitung der personenbezogenen Daten leistet.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Bei der Prüfung, ob personenbezogene Daten nach den in Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 niedergelegten Kriterien verarbeitet werden dürfen, ist auf die berechtigten Interessen beider im Einzelfall für die Verarbeitung Verantwortlichen abzustellen, und diese Interessen sind gegen die Rechte der betroffenen Personen abzuwägen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die nach Art. 7 Buchst. a der Richtlinie 95/46 einzuholende Einwilligung der betroffenen Person ist gegenüber dem Webseiten-Betreiber zu erklären, der Drittinhalte in seine Webseite eingebunden hat. Art. 10 der Richtlinie 95/46 ist dahin auszulegen, dass die sich aus dieser Bestimmung ergebende Informationspflicht auch für diesen Webseiten-Betreiber gilt. Die Einwilligung der betroffenen Person nach Art. 7 Buchst. a der Richtlinie 95/46 muss eingeholt und die Informationen im Sinne von Art. 10 dieser Richtlinie müssen bereitgestellt werden, bevor die Erhebung und die Übermittlung der Daten erfolgt. Jedoch muss der Umfang dieser Verpflichtungen der gemeinsamen Verantwortlichkeit des betreffenden Webseiten-Betreibers für die Erhebung und Übermittlung der personenbezogenen Daten entsprechen.</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Englisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a><sup/>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a><sup/>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 (ABl. 2009, L 110, S. 30).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a><sup/>      Ich weise darauf hin, dass das Plugin der Beklagten laut dem Vorabentscheidungsersuchen entweder von Facebook Ireland <i>oder</i> von deren in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässigen Muttergesellschaft Facebook Inc. bereitgestellt wurde. Es ist jedoch wohl davon auszugehen, dass Facebook Ireland im Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren sowohl im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht als auch im Verfahren vor dem Gerichtshof eine mögliche Haftung gemäß der Richtlinie 95/46 übernimmt. Ich sehe daher keinen Grund, die mögliche Anwendbarkeit der Richtlinie 95/46 in Bezug auf die Muttergesellschaft von Facebook Ireland zu erörtern.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a><sup/>      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46 (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a><sup/>      „Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass jede der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Einrichtungen, Organisationen oder Vereinigungen unabhängig von einem Auftrag der betroffenen Person in diesem Mitgliedstaat das Recht hat, bei der gemäß Artikel 77 zuständigen Aufsichtsbehörde eine Beschwerde einzulegen und die in den Artikeln 78 und 79 aufgeführten Rechte in Anspruch zu nehmen, wenn ihres Erachtens die Rechte einer betroffenen Person gemäß dieser Verordnung infolge einer Verarbeitung verletzt worden sind.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a><sup/>      Der Vollständigkeit halber ist zu ergänzen, dass der Gerichtshof, obwohl das Urteil vom 28. Juli 2016, Verein für Konsumenteninformation (C‑191/15, EU:C:2016:612), eine Frage der Auslegung der Richtlinie 95/46 im Zusammenhang mit einem von einem Verband angestrengten nationalen Verfahren betraf, sich in dem betreffenden Fall deshalb nicht mit dem Problem der Klagebefugnis des Verbandes befasst hat, weil diese konkrete Frage schlicht nicht aufgeworfen wurde. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a><sup/>      So auch festgehalten z. B. in den Urteilen vom 23. Mai 1985, Kommission/Deutschland (C‑29/84, EU:C:1985:229, Rn. 22), vom 14. Februar 2012, Flachglas Torgau (C‑204/09, EU:C:2012:71, Rn. 60), und vom 19. April 2018, CMR (C‑645/16, EU:C:2018:262, Rn. 19).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a><sup/>      Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Rn. 53).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a><sup/>      Vgl. auch Urteil vom 16. Dezember 2008, Huber (C‑524/06, EU:C:2008:724, Rn. 50).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a><sup/>      Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich insofern vom Urteil vom 25. Januar 2018, Schrems (C‑498/16, EU:C:2018:37), als eine Abtretung von Ansprüchen an eine bestimmte Person keine Rolle spielt und es im nationalen Recht offenbar eine klare Rechtsgrundlage dafür gibt, was als eine Art Vertretung der Gruppeninteressen der Verbraucher erscheint.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a><sup/>      Oder aber, um es anders auszudrücken, die Mitgliedstaaten werden insbesondere betreffend institutionelle Strukturen oder Verfahren auch eine Reihe von sonstigen Punkten regeln müssen, die ebenfalls nicht ausdrücklich in einer Richtlinie erwähnt sind (wie etwa hinsichtlich der gerichtlichen Durchsetzung eines Rechts nicht nur die Frage der Klagebefugnis, sondern z. B. auch Klagefristen, (etwaige) Gerichtsgebühren, die Zuständigkeit von Gerichten usw.). Könnte man dann also argumentieren, dass deshalb, weil weder Art. 22 noch Art. 24 der Richtlinie 95/46 auch nur einen dieser Punkte anspricht, der Mitgliedstaat daran gehindert sei, diese Punkte im nationalen Recht zu regeln? </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a><sup/>      Gemäß der Definition in Art. 3 der Richtlinie 2009/22.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a><sup/>      Vgl. z. B. Urteile vom 6. November 2003, Lindqvist (C‑101/01, EU:C:2003:596, Rn. 96), vom 16. Dezember 2008, Huber (C‑524/06, EU:C:2008:724, Rn. 51), vom 24. November 2011, Asociación Nacional de Establecimientos Financieros de Crédito<i/>(C‑468/10 und C‑469/10, EU:C:2011:777, Rn. 29), und vom 7. November 2013,<i/>IPI<i/>(C‑473/12, EU:C:2013:715, Rn. 31).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a><sup/>      Urteil vom 6. November 2003, Lindqvist (C‑101/01, EU:C:2003:596, Rn. 97).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a><sup/>      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Dzivev (C‑310/16, EU:C:2018:623, Nrn. 72 und 74).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a><sup/>      Wiedergegeben oben in Nr. 8.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a><sup/>      Vgl. wiederum die obigen Beispiele, Fn. 12. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a><sup/>      Die gemäß Art. 28 der Richtlinie 95/46 dafür verantwortlich sind, die Einhaltung der aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften zu überwachen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a><sup/>      Zu dem nach Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 erforderlichen Standard vgl. Urteile vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland (C‑518/07, EU:C:2010:125, Rn. 18 bis 30), und vom 16. Oktober 2012, Kommission/Österreich (C‑614/10, EU:C:2012:631, Rn. 41 bis 66).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a><sup/>      Würde z. B. entsprechend in einem anderen Rechtsgebiet die Durchsetzung von Wettbewerbsrecht durch eine Privatperson die Unabhängigkeit von (nationalen) Kartellbehörden bedrohen? Vgl. Urteile vom 20. September 2001, Courage und Crehan (C‑453/99, EU:C:2001:465, Rn. 26, 27 und 29), sowie vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a. (C‑295/04 bis C‑298/04, EU:C:2006:461, Rn. 59 bis 60). Vgl. auch den fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a><sup/>      Was bedeutet (unabhängig von der konkreten Frage der geänderten Rechtsform) ganz allgemein der Umstand, dass der Gesetzgeber etwas in einen später erlassenen Rechtsakt aufgenommen hat, das in der früheren Rechtsform derselben Regelung nicht enthalten war, für deren Auslegung? Es könnte durchaus sein, dass der fragliche Grundsatz bereits in der früheren Rechtsform derselben Regelung „inhärent vorhanden“ war und nunmehr lediglich klargestellt worden ist. Es könnte aber auch bedeuten, dass gerade deshalb, weil die betreffende Bestimmung in der früheren Regelung nicht enthalten war, die neue Regelung eine Änderung darstellt. Angesichts der häufigen und fragwürdigen (missbräuchlichen) Verwendung des Arguments „es war schon immer enthalten und wird nun lediglich ausdrücklich erwähnt“, was im Ergebnis zu einer Ausweitung der Anwendung der neuen Bestimmung über ihren zeitlichen Geltungsbereich hinaus führt, sollte diese Art von Argumentation wenn überhaupt nur mit Vorsicht herangezogen werden.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a><sup/>      Betreffend das Problem dynamischer IP‑Adressen, siehe Urteil vom 19. Oktober 2016, Breyer (C‑582/14, EU:C:2016:779, Rn. 33 ff.). Siehe auch Urteil vom 24. November 2011, Scarlet Extended<i/>(C‑70/10, EU:C:2011:771, Rn. 51).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a><sup/>      Urteil vom 19. Oktober 2016, Breyer (C‑582/14, EU:C:2016:779, Rn. 41 bis 45).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a><sup/>      Siehe oben, Nr. 19.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a><sup/>      Hervorhebung nur hier.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a><sup/>      Urteile vom 5. Juni 2018, Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (C‑210/16, EU:C:2018:388, Rn. 29), und vom 10. Juli 2018, Jehovan todistajat (C‑25/17, EU:C:2018:551, Rn. 65).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a><sup/>      Siehe Urteile vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Rn. 34), sowie vom 10. Juli 2018, Jehovan todistajat (C‑25/17, EU:C:2018:551, Rn. 66).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a><sup/>      Urteil vom 5. Juni 2018 (C‑210/16, EU:C:2018:388).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a><sup/>      Urteil vom 5. Juni 2018, Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (C‑210/16, EU:C:2018:388, Rn. 31 und 39).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a><sup/>      Urteil vom 5. Juni 2018, Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (C‑210/16, EU:C:2018:388, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a><sup/>      Urteil vom 5. Juni 2018, Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (C‑210/16, EU:C:2018:388, Rn. 36).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a><sup/>      Urteil vom 5. Juni 2018, Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (C‑210/16, EU:C:2018:388, Rn. 34 und 38).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a><sup/>      Urteil vom 5. Juni 2018, Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (C‑210/16, EU:C:2018:388, Rn. 39 und 41).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a><sup/>      Urteil vom 10. Juli 2018 (C‑25/17, EU:C:2018:551, Rn. 68 bis 72). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a><sup/>      Wie Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (C‑210/16, EU:C:2017:796, Nrn. 66 bis 72) vorgeschlagen hat.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a><sup/>      Die vermeintlich naheliegende Analogie aus dem Verbraucherschutz, wonach die „nicht unternehmerische“ Partei in Verhandlungen dasselbe Mitspracherecht bei der Aushandlung von Vertragsbedingungen haben sollte, dürfte in diesem Zusammenhang nicht zum Tragen kommen. Somit kann diskutiert werden, wie viel „Parametrisierung“ bei dem Betreiber einer Fanpage tatsächlich stattfindet (und wie viel Tätigkeit wie bei jedem sonstigen „Verbraucher“ auch lediglich im mechanischen Anklicken und Auswählen vorhandener Optionen besteht).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a><sup/>      Urteil vom 5. Juni 2018 (C‑210/16, EU:C:2018:388, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a><sup/>      Heutzutage übermitteln eine Reihe von Programmen und Anwendungen teils mit ausdrücklicher und manchmal wohl auch mit weniger ausdrücklicher Zustimmung der Benutzer analytische Daten, die auch personenbezogene Daten umfassen können, an den Entwickler oder Vertreiber der Software.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a><sup/>      Urteil vom 5. Juni 2018 (C‑210/16, EU:C:2018:388, Rn. 38).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a><sup/>      Darüber, unter welchen genauen Bedingungen und mit welcher Verhandlungsmacht dies stattfinden würde, kann selbstverständlich diskutiert werden (siehe auch oben, Fn. 37).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a><sup/>      Oder wie es Sir Humphrey Appleby (der sich dabei offenbar selbst auf ein älteres Zitat aus unbekannter Quelle gestützt hat) freimütiger formuliert hat: „Verantwortung ohne Macht – in allen Zeiten das Vorrecht des Eunuchen“ (Zitat aus <i>Yes, Prime Minister</i>, 2. Staffel, Folge 7, „The National Education Service“, erstmals am 21. Januar 1988 ausgestrahlt).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a><sup/>      Auch in dem oben in Nr. 73 sowie in den Fn. 38 und 42 skizzierten Sinne.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a><sup/>      Urteil vom 5. Juni 2018 (C‑210/16, EU:C:2018:388, Rn. 43).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a><sup/>      Siehe oben, Nrn. 87 und 88. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a><sup/>      Siehe auch Stellungnahme 4/2007 der Artikel-29-Datenschutzgruppe (ein durch Art. 29 der Richtlinie 95/46 eingesetztes Beratungsgremium, nunmehr ersetzt durch den nach Art. 69 der DSGVO eingerichteten Europäischen Datenschutzausschuss) zum Begriff der personenbezogenen Daten, 01248/07/EN WP 136, 20. Juni 2007, S. 4.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref47" name="Footnote47">47</a><sup/>      Dies auch einfach deshalb, weil die Verarbeitung kaum je linear erfolgen wird und alle in Art. 2 Buchst. b aufgeführten Vorgänge nacheinander durchläuft, und zwar durch eine Person. Vielmehr dürfte die Existenz personenbezogener Daten eher zyklischen Charakter haben, d. h. mit Nebenlinien hier und dort in Kreisläufen ablaufen, wobei Datensätze an verschiedenen Enden erhoben, danach von einer anderen Person eingesehen, anschließend zusammengefasst und eingesehen und schließlich eventuell neu kombiniert und an andere Personen zurückübermittelt würden usw.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref48" name="Footnote48">48</a><sup/>      Die Artikel-29-Datenschutzgruppe führte hierzu aus: „Eine gemeinsame Kontrolle ist somit gegeben, wenn verschiedene Parteien im Zusammenhang mit spezifischen Verarbeitungen entweder über den Zweck oder über wesentliche Elemente der Mittel entscheiden …“ Siehe Stellungnahme 1/2010 der Artikel‑29-Datenschutzgruppe zu den Begriffen „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ und „Auftragsverarbeiter“, angenommen am 16. Februar 2010, 00264/10/EN WP 169, S. 19.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref49" name="Footnote49">49</a><sup/>      Im Gegensatz zu der in Bezug auf die erste Frage oben in den Nrn. 39 bis 42 erörterten Situation.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref50" name="Footnote50">50</a><sup/>      Nach Lektüre der deutschen Fassung der vierten Frage ist die Reichweite der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage nach meinem Verständnis auf die Feststellung der Interessen, auf die abzustellen ist, begrenzt und nicht, wie die englische Übersetzung der in deutscher Sprache abgefassten Frage nahelegen könnte, dahin, welchen Interessen bei der Abwägung die <i>entscheidende</i> Bedeutung (z. B. im Sinne größeren Gewichts) <i>beizumessen</i> ist. Die Frage geht also offenbar dahin, was in den Abwägungsvorgang einzubeziehen ist, und nicht, wie das Ergebnis der Abwägung aussehen müsste.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref51" name="Footnote51">51</a><sup/>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref52" name="Footnote52">52</a><sup/>      Vgl. auch Urteil vom 5. Mai 2011, Deutsche Telekom (C‑543/09, EU:C:2011:279, Rn. 50). Laut dem zehnten Erwägungsgrund der Datenschutzrichtlinie gilt „[i]m Bereich der elektronischen Kommunikation … die Richtlinie 95/46… vor allem für alle Fragen des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten, die von der vorliegenden Richtlinie nicht spezifisch erfasst werden, einschließlich der Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen und der Rechte des Einzelnen. Die Richtlinie 95/46… gilt für nicht öffentliche Kommunikationsdienste“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref53" name="Footnote53">53</a><sup/>      Vgl. in diesem Zusammenhang Art. 5 Abs. 3 der Datenschutzrichtlinie, wonach „[d]ie Mitgliedstaaten [sicherstellen], dass die Speicherung von Informationen oder der Zugriff auf Informationen, die bereits im Endgerät eines Teilnehmers oder Nutzers gespeichert sind, nur gestattet ist, wenn der betreffende Teilnehmer oder Nutzer auf der Grundlage von klaren und umfassenden Informationen, die er gemäß der Richtlinie 95/46… u. a. über die Zwecke der Verarbeitung erhält, seine Einwilligung gegeben hat“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref54" name="Footnote54">54</a><sup/>      In diesem Kontext wird hier wiederum auf den einleitenden Abschnitt B.1 (vgl. oben, Nrn. 55 bis 58) und auf die Notwendigkeit der Überprüfung verwiesen, was tatsächlich genau übermittelt wird und ob diese Informationen tatsächlich personenbezogene Daten darstellen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref55" name="Footnote55">55</a><sup/>      Siehe auch Arbeitsunterlage 02/2013 der Artikel-29-Datenschutzgruppe mit Leitlinien für die Einholung der Einwilligung zur Verwendung von Cookies, 1676/13/EN WP 208, 2. Oktober 2013, S. 5 und 6, mit dem Hinweis: „Da die Speicherung von Informationen oder der Zugriff auf bereits im Gerät eines Nutzers gespeicherte Informationen mittels Cookies die Verarbeitung personenbezogener Daten umfassen kann, gelten in solchen Fällen eindeutig die Vorschriften über den Datenschutz.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref56" name="Footnote56">56</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Mai 2014<i>, </i>Google Spain und Google<i/>(C‑131/12, EU:C:2014:317<i>,</i> Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 4. Mai 2017, Rīgas satiksme (C‑13/16, EU:C:2017:336, Rn. 25).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref57" name="Footnote57">57</a><sup/>      Urteil vom 4. Mai 2017, Rīgas satiksme (C‑13/16, EU:C:2017:336, Rn. 28). Vgl. auch Urteil vom 24. November 2011, Asociación Nacional de Establecimientos Financieros de Crédito (C‑468/10 und C‑469/10, EU:C:2011:777, Rn. 38).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref58" name="Footnote58">58</a><sup/>      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Rīgas satiksme (C‑13/16, EU:C:2017:43, Nrn. 64 und 65). Wie von mir dort angemerkt, sind die Transparenz (Urteil vom 9. November 2010, Volker und Markus Schecke und Eifert, C‑92/09 und C‑93/09, EU:C:2010:662, Rn. 77), der Schutz des Eigentums, der Gesundheit und der Familie (Urteil vom 11. Dezember 2014, Ryneš, C‑212/13, EU:C:2014:2428, Rn. 34) als solche vom Gerichtshof anerkannt worden. Vgl. auch Urteile vom 29. Januar 2008, Promusicae (C‑275/06, EU:C:2008:54, Rn. 53), und vom 4. Mai 2017, Rīgas satiksme (C‑13/16, EU:C:2017:336, Rn. 29).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref59" name="Footnote59">59</a><sup/>      Siehe oben, Nrn. 104 und 105 dieser Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref60" name="Footnote60">60</a><sup/>      Siehe auch Stellungnahme 06/2014 der Artikel-29-Datenschutzgruppe zum „Begriff des berechtigten Interesses des für die Verarbeitung Verantwortlichen gemäß Artikel 7 der Richtlinie 95/46/EG“ (844/14/EN WP 217), S. 25.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref61" name="Footnote61">61</a><sup/>      Wie ich bereits andernorts ausgeführt habe, müssen die jeweiligen „konkurrierenden berechtigten Interessen nicht nur nachgewiesen werden, sondern auch schwerer wiegen … als die Interessen oder Rechte und Freiheiten der betroffenen Person“, die sich aus den Art. 7 und 8 der Charta ergeben. Siehe auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Rīgas satiksme (C‑13/16, EU:C:2017:43, Nrn. 56 und 66 bis 69 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref62" name="Footnote62">62</a><sup/>      Urteil vom 4. Mai 2017, Rīgas satiksme (C‑13/16, EU:C:2017:336, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref63" name="Footnote63">63</a><sup/>      Die Zwecke (die geltend gemachten berechtigten Interessen) und die gewählten Mittel (die verarbeiteten personenbezogenen Daten) müssen also in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2017, Rīgas satiksme (C‑13/16, EU:C:2017:336, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref64" name="Footnote64">64</a><sup/>      Oben, Nrn. 76 bis 82 der vorliegenden Schlussanträge. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref65" name="Footnote65">65</a><sup/>      Oben, Nrn. 84 bis 88.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref66" name="Footnote66">66</a><sup/>      Was selbstverständlich nicht ausschließt, dass diese Verpflichtung auch andere potenzielle (und anschließend tätig werdende) gemeinsam für die Verarbeitung Verantwortliche in Bezug auf die Datenverarbeitungsvorgänge trifft, an denen sie beteiligt sind. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref67" name="Footnote67">67</a><sup/>      Siehe oben, Nr. 132. Vgl. Arbeitsunterlage 02/2013 der Artikel-29-Datenschutzgruppe mit Leitlinien für die Einholung der Einwilligung zur Verwendung von Cookies, 1676/13/EN WP 208, 2. Oktober 2013, S. 4. Vgl. auch Stellungnahme 15/2011 der Artikel‑29-Datenschutzgruppe zur Definition des Begriffs „Einwilligung“, 1197/11/EN WP 208, 13. Juli 2011, S. 9.</p>
|
175,077 | eugh-2018-12-19-c-68117 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-681/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:18 | 2019-01-31T19:21:18 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2018:1041 | <p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE</p>
<p class="C36Centre">vom 19. Dezember 2018(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>681/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>slewo // schlafen leben wohnen GmbH</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Sascha Ledowski</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 2011/83/EU – Art. 6 Abs. 1 Buchst. k und Art. 16 Buchst. e – Im Fernabsatz geschlossener Vertrag – Widerrufsrecht – Ausnahmen – Versiegelte Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind – Etwaige Einbeziehung einer Matratze, deren Schutzfolie nach der Lieferung entfernt wurde – Voraussetzungen für die Einstufung einer Ware als mit einer Versiegelung versehen – Umfang der Verpflichtung, den Verbraucher über den Verlust seines Widerrufsrechts zu informieren“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs (Deutschland) betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. k und von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83/EU(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>), die die Beschränkung des Rechts auf Widerruf zum Gegenstand haben, das grundsätzlich dem Verbraucher zusteht, wenn er einen Vertrag im Fernabsatz schließt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits über die Ausübung des Widerrufsrechts durch einen Verbraucher, der auf einer Internetseite eine Matratze erworben hatte und diese zurückgeben wollte, nachdem er die Schutzfolie, mit der diese zum Zeitpunkt ihrer Lieferung versehen war, entfernt hatte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Der Gerichtshof wird um Feststellung ersucht, ob Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Widerrufsrecht betreffend „versiegelte Waren …, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind“, Waren erfasst, die – wie Matratzen – beim Gebrauch in direkten Kontakt mit dem menschlichen Körper kommen können, jedoch gleichwohl durch eine geeignete Reinigung wieder verkehrsfähig gemacht werden können. Meines Erachtens ist diese Frage zu verneinen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Angenommen, der Gerichtshof würde die erste Frage bejahen, müsste er sodann festlegen, unter welchen Bedingungen eine derartige Verpackung von Waren als Versiegelung angesehen werden kann, deren Öffnung zum Verlust des Widerrufsrechts im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 führt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Er müsste ferner zu den Modalitäten der Information Stellung nehmen, die der Unternehmer dem Verbraucher hinsichtlich der Umstände erteilen muss, unter denen dieser sein Widerrufsrecht nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. k dieser Richtlinie verliert.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Die Erwägungsgründe 34, 37, 47 und 49 der Richtlinie 2011/83 lauten wie folgt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(34) Bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag … gebunden ist, sollte der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise informieren. …</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(37)      Da der Verbraucher im Versandhandel die Waren nicht sehen kann, bevor er den Vertrag abschließt, sollte ihm ein Widerrufsrecht zustehen. Aus demselben Grunde sollte dem Verbraucher gestattet werden, die Waren, die er gekauft hat, zu prüfen und zu untersuchen, um die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funktionsweise der Waren festzustellen. …</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(47)      Manche Verbraucher üben ihr Widerrufsrecht aus, nachdem sie die Waren in einem größeren Maß genutzt haben, als zur Feststellung ihrer Beschaffenheit, ihrer Eigenschaften und ihrer Funktionsweise nötig gewesen wäre. In diesem Fall sollte der Verbraucher das Widerrufsrecht nicht verlieren, sollte aber für einen etwaigen Wertverlust der Waren haften. Wenn er Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren feststellen will, sollte der Verbraucher mit ihnen nur so umgehen und sie nur so in Augenschein nehmen, wie er das in einem Geschäft tun dürfte. So sollte der Verbraucher beispielsweise ein Kleidungsstück nur anprobieren, nicht jedoch tragen dürfen. Der Verbraucher sollte die Waren daher während der Widerrufsfrist mit der gebührenden Sorgfalt behandeln und in Augenschein nehmen. Die Verpflichtungen des Verbrauchers im Falle des Widerrufs sollten den Verbraucher nicht davon abhalten, sein Widerrufsrecht auszuüben. </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(49)      Es sollten sowohl für Fernabsatzverträge als auch für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge bestimmte Ausnahmen vom Widerrufsrecht gelten. Ein Widerrufsrecht könnte beispielsweise in Anbetracht der Beschaffenheit bestimmter Waren oder Dienstleistungen unzweckmäßig sein. …“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 6 („Information der Verbraucher und Widerrufsrecht bei Fernabsatz‑ und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“) Abs. 1 Buchst. k dieser Richtlinie bestimmt: „Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz … gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise“, unter anderem „in Fällen, in denen gemäß Artikel 16 kein Widerrufsrecht besteht, [darüber], dass der Verbraucher nicht über ein Widerrufsrecht verfügt, oder gegebenenfalls [über] die Umstände, unter denen der Verbraucher sein Widerrufsrecht verliert“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Art. 9 („Widerrufsrecht“) Abs. 1 dieser Richtlinie lautet: „Sofern nicht eine der Ausnahmen gemäß Artikel 16 Anwendung findet, steht dem Verbraucher eine Frist von 14 Tagen zu, in der er einen [Fernabsatzvertrag] ohne Angabe von Gründen und ohne andere Kosten als in Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 14 vorgesehen widerrufen kann.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        In Art. 16 („Ausnahmen vom Widerrufsrecht“) Buchst. e dieser Richtlinie heißt es: „Die Mitgliedstaaten sehen bei Fernabsatzverträgen … kein Widerrufsrecht nach den Artikeln 9 bis 15 vor, wenn … versiegelte Waren geliefert werden, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde“.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Die Revisionsklägerin des Ausgangsverfahrens, die slewo // schlafen leben wohnen GmbH (im Folgenden: slewo), ist eine Online-Händlerin, die u. a. Matratzen vertreibt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Am 25. November 2014 bestellte der Revisionsbeklagte des Ausgangsverfahrens, Herr Sascha Ledowski, zu privaten Zwecken über die Website von slewo eine Matratze. Die auf der Rechnung abgedruckten Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthielten eine „Widerrufsbelehrung für Verbraucher“ in der heißt: „Wir tragen die Kosten der Rücksendung der Waren. … Ihr Widerrufsrecht erlischt in folgenden Fällen vorzeitig: Bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.“ Bei der Lieferung war die Matratze mit einer Schutzfolie versehen, die Herr Ledowski danach entfernte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Mit E‑Mail vom 9. Dezember 2014 teilte Herr Ledowski slewo mit, dass er die Matratze zurücksenden wolle, und bat sie, deren Rücktransport zu veranlassen. Da seiner Bitte nicht nachgekommen wurde, trug er die Kosten für diesen Transport.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Herr Ledowski erhob Klage gegen slewo auf Erstattung des Kaufpreises und der Transportkosten in Höhe von insgesamt 1 190,11 Euro zuzüglich Zinsen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Mit Urteil des Amtsgerichts Mainz (Deutschland) vom 26. November 2015 wurde der Klage stattgegeben. Dieses Urteil wurde in der Berufungsinstanz am 10. August 2016 vom Landgericht Mainz (Deutschland) mit der Begründung bestätigt(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>), eine Matratze sei kein Hygieneartikel(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>), und dem Verbraucher stehe somit auch nach dem Entfernen der Schutzfolie ein Widerrufsrecht zu.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, bei dem slewo Revision eingelegt hat, hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. k und von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 ab. Mit Entscheidung vom 15. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Dezember 2017, hat er das Verfahren daher ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen, dass zu den dort genannten Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind, auch Waren (wie etwa Matratzen) gehören, die zwar bei bestimmungsgemäßem Gebrauch direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können, aber durch geeignete (Reinigungs‑)Maßnahmen des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Falls die Frage 1 zu bejahen ist:</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">a)      Welche Voraussetzungen muss die Verpackung einer Ware erfüllen, damit von einer Versiegelung im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 gesprochen werden kann?</p>
<p class="C13Marge2">und</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">b)      Hat der vom Unternehmer vor Eintritt der Vertragsbindung zu erteilende Hinweis nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2011/83 in der Weise zu erfolgen, dass der Verbraucher unter konkreter Bezugnahme auf den Kaufgegenstand (hier: Matratze) und die angebrachte Versiegelung darauf hingewiesen wird, dass er das Widerrufsrecht bei Entfernung des Siegels verliert?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Schriftliche Erklärungen sind von slewo, Herrn Ledowski, der belgischen und der italienischen Regierung sowie von der Europäischen Kommission eingereicht worden. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die zweite Vorlagefrage, die aus zwei Teilen besteht, nur für den Fall gestellt ist, dass der Gerichtshof die erste Vorlagefrage bejaht. Da dies meines Erachtens zu verneinen ist, muss sich der Gerichtshof meiner Ansicht nach zur zweiten Frage nicht äußern. Der Vollständigkeit halber und angesichts der Neuartigkeit der darin aufgeworfenen Probleme werde ich jedoch auch zu dieser Frage Stellung nehmen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Zum Begriff von Waren, „die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind“ im Sinne von </b>Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83<b> (erste Frage)</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Bevor ich mit der Würdigung der ersten Vorabentscheidungsfrage selbst beginne, erscheint es mir angebracht, auf einige wesentliche Aspekte betreffend dieses Vorabentscheidungsersuchens insgesamt hinzuweisen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      <i>Erstens</i> ist festzustellen, dass dieses Ersuchen einen sowohl auf juristischer als auch auf praktischer Ebene <i>sehr spezifischen Bereich </i>des Verbraucherschutzes betrifft, nämlich denjenigen der Fernabsatzverträge, die Gegenstand spezieller Vorschriften der Richtlinie 2011/83 sind(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>), auch wenn diese Verträge zugleich deren allgemeinen Regeln unterliegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Insbesondere ist in Art. 9 der Richtlinie vorgesehen, dass den Verbrauchern bei dieser Art von Verträgen grundsätzlich ein Widerrufsrecht zusteht(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>), einschließlich des Rechts auf vollständige Rückzahlung, außer im Fall der missbräuchlichen Nutzung der Ware; dieses Recht erklärt sich aus den besonderen Schwierigkeiten, mit denen jeder Käufer konfrontiert ist, wenn er einen Fernabsatzvertrag schließt. Wie es nämlich in den Erwägungsgründen 37 und 47 dieser Richtlinie heißt, ist es den Verbrauchern in diesem Rahmen nicht möglich, die Ware, die sie interessiert, zu prüfen und zu untersuchen, bevor sie diese bestellt und empfangen haben, weswegen ihnen eine Frist zum Nachdenken und zum etwaigen Widerruf nach einer Untersuchung der gelieferten Ware eingeräumt wird, wobei die Unternehmer allerdings ihrerseits gegen eine mögliche missbräuchliche Nutzung dieses Rechts geschützt sind(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>). Im Einklang mit diesen Erwägungsgründen ist es den Verbrauchern somit möglich, die gekaufte Ware zu prüfen und zu untersuchen, dies jedoch nur, soweit es erforderlich ist, um die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funktionsweise dieser Ware festzustellen(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Allerdings sieht Art. 16 dieser Richtlinie sehr genau definierte Ausnahmen vom Widerrufsrecht vor, darunter in Buchst. e den Ausschluss der Lieferung „versiegelte[r] Waren …, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rücknahme geeignet sind“(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>), wenn „deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde“. Ich weise bereits hier darauf hin, dass diese Begriffe meines Erachtens unbestreitbar unterschiedlich sind, aber gleichwohl eng zusammenhängen, und dass sie kumulative Bedingungen für die Anwendung dieser Vorschrift darstellen. Art. 6 Abs. 1 Buchst. k dieser Richtlinie verpflichtet den Unternehmer, den Verbraucher vor Vertragsschluss speziell über die in ihrem Art. 16 Buchst. e vorgesehene Ausnahme vom Widerrufsrecht zu informieren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      <i>Zweitens</i> möchte ich auf bestimmte <i>Grundsätze für die Auslegung</i> des Unionsrechts hinweisen, die für alle vom vorlegenden Gericht hier aufgeworfenen Fragen gelten. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Zum einen ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass für die Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts, die nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, wie es bei den Vorschriften, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, der Fall ist, nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele der Regelung, zu der sie gehören, zu berücksichtigen sind(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Zum anderen ist, was die Vorschriften des Unionsrechts anbelangt, die nach Art. 169 AEUV zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beitragen und ein hohes Verbraucherschutzniveau erreichen sollen – wie die Vorschriften, um die es hier geht(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>) – einer Auslegung der Vorzug zu geben, die es so weit wie möglich erlaubt(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>), die Erreichung dieses Ziels nicht zu gefährden(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>) und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Verbraucher im Verhältnis zum Unternehmer als unterlegen angesehen werden muss(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Schließlich ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass diejenigen unionsrechtlichen Vorschriften, die einen Ausnahmecharakter haben, insbesondere jene, die zu Schutzzwecken gewährte Rechte einschränken, einer Auslegung, die über die in dem betreffenden Rechtsakt ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinausgeht, nicht zugänglich sind(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>), wobei allerdings diese enge Auslegung die praktische Wirksamkeit dieser Einschränkung wahren muss und deren Ziel zu beachten ist(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>). Mit dem vorlegenden Gericht bin ich der Auffassung, dass die Vorschriften der Richtlinie 2011/83, um die es im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen geht, eng auszulegen sind, da sie eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstellen, wonach den Verbrauchern grundsätzlich ein Widerrufsrecht zusteht, wenn sie Fernabsatzverträge schließen. Diese Auffassung wird im Übrigen auch in dem von der Generaldirektion Justiz der Kommission veröffentlichten Leitfaden zu dieser Richtlinie vertreten(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist im Licht all dieser Erwägungen zu betrachten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Mit seiner <i>ersten Frage</i> möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Begriff „<i>Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind</i>“ in Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass unter diese Bestimmung Waren wie etwa Matratzen fallen, die zwar bei bestimmungsgemäßem Gebrauch direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können, aber durch geeignete Reinigungsmaßnahmen des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Zu dieser Frage gibt es zwei Auffassungen. Nach der ersten, der sich slewo und die belgische Regierung anschließen, sollte dem Verbraucher unter den in dieser Frage angesprochenen Umständen kein Widerrufsrecht zustehen. Demgegenüber sollte der Verbraucher nach der zweiten Auffassung, für die sich das vorlegende Gericht, Herr Ledowski, die italienische Regierung und die Kommission aussprechen, nicht die Möglichkeit verlieren, in einem derartigen Fall sein Widerrufsrecht auszuüben. Ich schließe mich aus den folgenden Gründen der letztgenannten Auffassung an.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Zunächst einmal ist meines Erachtens – auch wenn diesbezüglich in den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen Zweifel geäußert wurden – die Kontroverse betreffend die Frage, ob Matratzen tatsächlich Waren sind, „die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind“, wie dies in der Vorlagefrage angenommen wird, von vornherein auszuklammern. Eine solche Einstufung gibt keinen Anlass zur Diskussion, wenn es um die Anprobe eines Kleidungsstücks geht, einer Art von Waren, die beispielhaft im 47. Erwägungsgrund dieser Richtlinie angeführt wird. Zwar wird eine Matratze unter gewöhnlichen Nutzungsbedingungen im Allgemeinen mindestens mit einem Bettlaken bezogen, doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Verbraucher die Matratze, nachdem er sie aus der Verpackung genommen hat, in der sie ihm geliefert wurde, einer kurzen Prüfung unterzieht, indem er sich darauf legt, ohne sie zu beziehen. Da im Übrigen das vorlegende Gericht von dieser Annahme ausgeht, ist es meines Erachtens nicht Sache des Gerichtshofs, dies in Frage zu stellen, da es sich hierbei um eine Tatsachenwürdigung handelt(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Zudem ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorlagefrage, dass der Gerichtshof – über den speziellen Fall der Matratzen hinaus, wie er Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist – gefragt wird, ob der Verbraucher in dem Fall, in dem bei einer Ware, die direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen kann(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>), nach der Lieferung die Versiegelung entfernt wurde und sie als dementsprechend benutzt angesehen wird, sein Widerrufsrecht verliert, auch wenn der Verkäufer dieser Ware durchaus geeignete Reinigungsmaßnahmen ergreifen kann, um sie ohne Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Hygiene wieder zu verkaufen(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Das vorlegende Gericht verweist auf den von einem Teil der deutschen Lehre vertretenen, auf eine Bejahung hinauslaufenden Standpunkt(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>) und führt aus, die Wendung „die nicht zur Rückgabe geeignet sind“ könne gegebenenfalls bedeuten, dass das entscheidende Kriterium der Zustand der Ware als solcher sei, nachdem ihre Versiegelung vom Verbraucher entfernt worden sei, und nicht die Frage, ob der Unternehmer sie anschließend dank Reinigungsmaßnahmen wieder in einen verkehrsfähigen Zustand versetzen könne. In demselben Sinne macht die belgische Regierung geltend, die Frage, ob es möglich sei, die von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 erfassten Waren zu reinigen, stelle ein Kriterium dar, das in dieser Vorschrift nicht enthalten sei; diese müsse daher eng ausgelegt werden, da sie eine Ausnahmeregelung darstelle.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Mangels genauer Angaben in der Richtlinie 2011/83 oder den dazugehörigen Materialien(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>) muss diese Vorschrift jedoch meiner Ansicht nach zwar eng, aber im Einklang mit dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziel ausgelegt werden(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>), ein hohes Schutzniveau für den Verbraucher, der einen Fernabsatzvertrag geschlossen hat, zu erreichen, indem es diesem grundsätzlich ermöglicht wird, die Ware, die er gekauft hat, ohne sie zu sehen, zu prüfen und zurückzusenden, wenn er nach dieser Prüfung nicht mit ihr zufrieden ist. Meines Erachtens ist daher die Auslegung vorzuziehen, die für eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Ausnahmen vom Widerrufsrecht spricht, d. h. diejenige, nach der es einem Verbraucher möglich sein muss, eine Ware zurückzusenden, die wieder zum Verkauf angeboten werden kann, nachdem sie gereinigt wurde, ohne dass dies eine übermäßige Belastung für den Unternehmer darstellen würde(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>), und nicht die gegenteilige Auslegung, die die Möglichkeiten des Verbrauchers zum Widerruf einschränkt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Ich teile daher die Auffassung des vorlegenden Gerichts, wonach das Widerrufsrecht nach diesem Art. 16 Buchst. e nur ausgeschlossen sein darf, wenn die Ware nach Entfernung der Versiegelung aus echten Gründen des Gesundheitsschutzes oder Hygienegründen definitiv nicht mehr verkehrsfähig ist, weil es dem Unternehmer aufgrund ihrer Beschaffenheit unmöglich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um sie wieder zum Verkauf anzubieten, ohne hierdurch dem einen oder dem anderen dieser Ziele zuwiderzuhandeln(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Im Hinblick auf den vorliegenden Fall ist das vorlegende Gericht – meines Erachtens aus guten Gründen – der Auffassung, dass von einer Matratze, deren Versiegelung der Verbraucher entfernt hat und die er möglicherweise benutzt hat, offensichtlich keinesfalls angenommen werden kann, dass sie endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist, wie dies die Benutzung von Hotelbetten durch aufeinanderfolgende Gäste, das Bestehen eines Marktes für gebrauchte Matratzen und die Möglichkeit, eine Reinigung gebrauchter Matratzen vorzunehmen, zeigen. Meines Erachtens ist eine Matratze insoweit mit einem Kleidungsstück zu vergleichen, dessen Rückgabe an den Unternehmer der Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen hat(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>), auch nach einer etwaigen Anprobe, die einen direkten Kontakt mit dem Körper bedingt, da davon ausgegangen werden kann, dass ein solcher Artikel gewaschen werden kann, um wieder in den Verkauf gebracht zu werden, ohne dass hierdurch die Gesundheit oder die Hygiene gefährdet würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Ich weise darauf hin, dass in dem Fall, in dem die Ware bei ihrer Prüfung durch den Verbraucher übermäßig benutzt worden wäre, die im 47. Erwägungsgrund angesprochene und in Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2011/83 vorgesehene Möglichkeit einer Haftung des Verbrauchers es erlauben würde, einem „Wertverlust“ der betreffenden Ware zu begegnen(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>). Indem die letztgenannte Bestimmung es dem Verbraucher erlaubt, den Widerruf auszuüben und eine Ware zurückzusenden, selbst wenn er einen Wertverlust verursacht haben sollte – für den er gegebenenfalls gegenüber dem Unternehmer haften muss –, bestätigt sie in meinen Augen die Auffassung, dass Art. 16 Buchst. e sich nur auf die Fälle bezieht, in denen es absolut unmöglich ist, eine Ware wieder zum Verkauf anzubieten, ohne tatsächlich Gefahr zu laufen, dass die Gesundheit oder die Hygiene beeinträchtigt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Ich füge hinzu, dass die von mir hier bevorzugte teleologische und systematische Auslegung nicht die praktische Wirksamkeit der in Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 vorgesehenen Ausnahme beeinträchtigen kann(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>), da Waren, deren normale Prüfung durch den Verbraucher nach Entfernung ihrer Versiegelung zu einer unwiderruflichen Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Hygiene führen könnte, im Einklang mit der Zielsetzung dieser Vorschrift von einem erneuten Verkauf ausgeschlossen bleiben werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Die vorstehende Analyse lässt sich meines Erachtens nicht dadurch widerlegen, dass – wie das vorlegende Gericht feststellt – in dem vorgenannten Leitfaden(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>) Matratzen unter den Beispielen für Waren angeführt sind, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>) nicht im Sinne von Art. 16 Buchst. e zurückgesendet werden und damit vom Widerrufsrecht ausgeschlossen sein können, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde. Diese Feststellung enthält nämlich keinerlei Begründung, die einen solchen Ansatz stützen könnte. Auch wenn dieser Leitfaden einen Beitrag zur Erläuterung des Inhalts dieser Richtlinie darstellen kann, entbehrt er gleichwohl jeder verbindlichen Wirkung, was deren Auslegung angeht, wie sich im Übrigen ausdrücklich aus seiner Präambel ergibt(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission sich in der vorliegenden Rechtssache selbst für die gegenteilige Auffassung entschieden hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Dementsprechend ist Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 meines Erachtens dahin auszulegen, dass Waren wie etwa Matratzen, die zwar bei bestimmungsgemäßem Gebrauch direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können, aber durch geeignete Maßnahmen, insbesondere Reinigungsmaßnahmen, des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können, nicht unter den Begriff „versiegelte Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind“, im Sinne dieser Vorschrift fallen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      Zum Begriff „versiegelte“ Waren im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83<b> (Frage 2 Buchst. a)</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Da die zweite Vorlagefrage, insbesondere ihr erster Teil, nur für den Fall gestellt wird, dass der Gerichtshof die erste Vorlagefrage bejaht, was meiner Ansicht nach nicht angebracht ist, äußere ich mich zu diesem Teil nur hilfsweise.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Mit seiner zweiten Frage, Buchst. a, geht es dem vorlegenden Gericht im Wesentlichen darum, welche Eigenschaften eine Verpackung aufweisen muss, um eine „Versiegelung“ im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 darzustellen, falls die betreffende Ware zur Kategorie der Waren gehören sollte, „die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind“ und für die diese Vorschrift eine Ausnahme vom Widerrufsrecht vorsieht(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>). Wie sich aus den Gründen seiner Entscheidung ergibt, fragt sich das vorlegende Gericht insbesondere, ob derartige Waren so verpackt werden müssen, dass „nicht nur … die Entsiegelung nicht rückgängig [zu] machen [sein darf], sondern sich darüber hinaus aus den Umständen (etwa durch einen Aufdruck ,Siegel‘) eindeutig ergeben muss, dass es sich nicht um eine bloße Transportverpackung, sondern um eine Versiegelung aus Gesundheits- oder Hygienegründen handelt“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Meines Erachtens werfen die vorgelegte Frage und die entsprechende Begründung zwei verschiedene Probleme auf, wie dies aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen hervorgeht(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>). Das vorlegende Gericht fragt zum einen nach den physikalischen Eigenschaften, die eine Verpackung aufweisen muss, um als „Versiegelung“ im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 eingestuft werden zu können, und zum anderen nach der etwaigen Notwendigkeit, auf dieser Verpackung ein Erkennungszeichen anzubringen, das die Aufmerksamkeit des Verbrauchers auf den Umstand lenkt, dass eine solche Versiegelung vorliegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Was <i>erstens </i>die <i>physikalischen Eigenschaften</i> der Verpackungen angeht, die so eingestuft werden können, ist festzustellen, dass der Begriff „versiegelt“ in Art. 16 Buchst. e der Richtlinie in dieser nicht definiert ist(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>). Die Materialien bringen meines Erachtens keine weiteren Aufschlüsse dazu, wie dieser Begriff zu verstehen ist(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Der genannte Leitfaden erwähnt ein Produkt, bei dem „triftige Gesundheitsschutz‑ oder Hygienegründe für die Versiegelung vorliegen, die aus einer Schutzverpackung oder einer Schutzfolie bestehen kann“(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>). Der Beginn dieser Wendung schließt meines Erachtens zu Recht aus, dass Unternehmer frei über die Ausnahmen vom Widerrufsrecht verfügen können, indem sie Versiegelungen vornehmen die nicht durch die Beschaffenheit der Ware im Hinblick auf diese Gründe gerechtfertigt sind(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>), wobei darauf hinzuweisen ist, dass Ausnahmen von diesem dem Verbraucher grundsätzlich zustehenden Recht absolute Ausnahmen bleiben müssen(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>). Der Leitfaden enthält indessen keine Antwort auf die Frage, welche materiellen Eigenschaften die Verpackung oder die Folie aufweisen muss, um die in Art. 16 Buchst. e aufgestellten Anforderungen zu erfüllen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      In dieser Hinsicht ist meines Erachtens, wie dies im Wesentlichen auch von slewo(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>), der belgischen Regierung(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>) und der Kommission vorgeschlagen wird, strikt der Zielsetzung zu folgen, die mit „Versiegelungen“ im Sinne von Art. 16 Buchst. e erfüllt werden soll. Ziel dieser Vorschrift ist es meines Erachtens, alle Waren vom Widerrufsrecht auszuschließen, die zu tatsächlichen Zwecken des Gesundheits‑ oder Hygieneschutzes versiegelt werden müssen, also zu verhindern, dass der Verbraucher sie an den Unternehmer zurücksendet, weil sie, nachdem ihre Schutzverpackung entfernt wurde, unwiderruflich ihren Wert verlieren, was die Hygiene‑ bzw. Gesundheitsgarantie angeht, so dass sie nicht mehr erneut in den Verkehr gebracht werden können(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Damit eine Schutzfolie als „Versiegelung“ im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 angesehen werden kann, ist es daher meines Erachtens erforderlich, dass sie es erlaubt, die Sauberkeit der von ihr umschlossenen Ware zu garantieren. Dieses Kriterium setzt voraus, dass diese Verpackung ausreichend widerstandsfähig ist, um sie zu schützen, und dass sie nicht geöffnet werden kann, ohne dass dies zu einer sichtbaren Beschädigung führt, so dass mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass die betreffende Ware vom Käufer geprüft werden konnte. Beispielsweise könnte eine verschweißte Plastikfolie oder eine verschweißte metallische Umhüllung, die eine Versetzung in den ursprünglichen Zustand nach einer absichtlichen Öffnung unmöglich machen würde, diese Anforderungen erfüllen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Dagegen erscheint es mir übertrieben, zu verlangen – wie dies offensichtlich die italienische Regierung vertritt – dass eine Verpackung, um diese Qualifizierung zu erfüllen, „die Keimfreiheit der Ware sicherstellen [muss] – wie dies bei Produkten, die in sterilem Zustand verkauft werden … der Fall ist“(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>). Zwar bezieht sich nämlich Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 auf „Gründe des Gesundheitsschutzes“, erwähnt aber auch bloße „Hygiene“gründe, die meines Erachtens von den Unternehmern keinen derart hohen wirtschaftlichen Aufwand verlangen, wie er durch die Verpflichtung entstünde, alle Waren, die unter diese Vorschrift fallen könnten, derart keimfrei bzw. steril zu verpacken.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      <i>Zweitens </i>teile ich, was eine etwaige <i>spezifische Kennzeichnung, </i>wie vom vorlegenden Gericht ins Auge gefasst, angeht, die auf den Verpackungen anzubringen wäre, die eine „Versiegelung“ im Sinne von Art. 16 Buchst. e darstellen könnten(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>), den Standpunkt von slewo und der Kommission, wonach nichts dafür spricht, dass ein solches visuelles Kriterium für die Anwendung dieser Vorschrift erfüllt sein muss, zusätzlich zu den bereits beschriebenen physikalischen Eigenschaften, die diese Verpackungen meines Erachtens aufweisen müssen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Weder aus dem Wortlaut dieses Buchst. e noch aus den ihn begleitenden Bestimmungen noch aus den Materialien(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>) ergibt sich nämlich, dass die Autoren der Richtlinie 2011/83 den Unternehmern eine derartige nachvertragliche Informationspflicht betreffend das Widerrufsrecht hätten auferlegen wollen(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>). Wenn der Unionsgesetzgeber es für erforderlich gehalten hätte, dass der Verbraucher bei der Lieferung durch Angaben auf der Verpackung des verkauften Produkts informiert wird, hätte er dies ohne Zweifel getan, wie es in anderen Rechtsakten zum Verbraucherschutz vorgesehen ist(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Für den Fall, dass der Gerichtshof sich zur zweiten Vorlagefrage, Buchst. a, äußern sollte, müsste daher meines Erachtens geantwortet werden, dass „versiegelte“ Waren im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 diejenigen Waren sind, die derart verpackt sind, dass die Öffnung der Verpackung nicht wieder rückgängig zu machen ist, so dass mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass die betreffende Ware vom Käufer geprüft werden konnte, ohne dass diese Verpackung jedoch notwendigerweise einen spezifischen Hinweis aufweisen müsste, in dem ausdrücklich angegeben wird, dass es sich dabei um eine Versiegelung handelt, deren Entfernung das Widerrufsrecht des Verbrauchers beeinträchtigen wird. Meiner Ansicht nach müsste diese ausdrückliche Information vielmehr im Rahmen der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 vorgesehenen vorvertraglichen Information gegeben werden, mit der ich mich jetzt befassen werde.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Zur Pflicht, den Verbraucher gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2011/83 über die Umstände zu informieren, unter denen dieser sein Widerrufsrecht verliert (zweite Vorlagefrage, Buchst. b)</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Da die zweite Vorlagefrage, einschließlich ihres zweiten Teils, wie bereits ausgeführt nur für den Fall gestellt ist, dass der Gerichtshof die erste Vorlagefrage bejaht, was ich nicht vorschlage, äußere ich mich zu diesem Teil nur hilfsweise.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Diese Frage geht davon aus, dass die im Fernabsatz verkaufte Ware tatsächlich versiegelt ist und ihre Rücksendung an den Verkäufer aus Gründen des Gesundheitsschutzes und aus Hygienegründen im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 ausgeschlossen ist und dass sie somit nicht dem Widerrufsrecht unterliegt, das dem Verbraucher grundsätzlich zusteht. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Das vorlegende Gericht fragt im Kern, ob der Unternehmer in einem solchen Fall den Verbraucher nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. k dieser Richtlinie<i> vor </i>Vertragsschluss unter spezifischer Bezugnahme auf den Kaufgegenstand und die angebrachte Versiegelung <i>konkret</i> darauf hinweisen muss, dass er sein Widerrufsrecht bei Entfernung des Siegels verliert, oder ob er diesen lediglich abstrakt informieren muss, indem er sich darauf beschränkt, den Wortlaut der Richtlinie in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu zitieren(<a href="#Footnote47" name="Footref47">47</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Für die letztgenannte Auslegung macht slewo geltend, Art. 6 verpflichte in seiner gegenwärtigen Fassung lediglich dazu, den Verbraucher zu informieren, „bevor“ dieser seine Bestellung tätige, so dass ein Unternehmer den Vorgaben der Richtlinie 2011/83 entspreche, wenn er eine globale vorvertragliche Belehrung über das Widerrufsrecht vornehme, der die möglichen Ausnahmegründe angefügt seien, wie sie vom Gesetzgeber genannt seien. Die Vornahme konkreter Informationen zu diesem Recht für jeden Artikel im Online-Shop stehe nicht im Einklang mit dem Ziel des Verbraucherschutzes(<a href="#Footnote48" name="Footref48">48</a>), und es genüge, wenn Einzelhinweise nachvertraglich zur Verfügung gestellt würden. Herr Ledowski nimmt zu dieser Frage nicht Stellung und beruft sich hierzu auf seine Verneinung der ersten Vorlagefrage. Die belgische und die italienische Regierung sowie – hilfsweise – die Kommission schlagen vor, Art. 6 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie dahin auszulegen, dass der Unternehmer verpflichtet ist, den Verbraucher ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er sein Widerrufsrecht verliert, wenn die Versiegelung der fraglichen Ware entfernt wird. Ich teile ihre Auffassung aus folgenden Gründen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Zunächst weise ich darauf hin, dass der <i>Wortlaut </i>von Art. 6 der Richtlinie 2011/83 eine Reihe ausdrücklicher Angaben betreffend die Informationspflicht enthält, die er dem Unternehmer, der einen Fernabsatzvertrag mit einem Verbraucher schließen will, auferlegt(<a href="#Footnote49" name="Footref49">49</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Was den Zeitpunkt angeht, zu dem die in Art. 6 der Richtlinie 2011/83 vorgesehenen Informationen(<a href="#Footnote50" name="Footref50">50</a>) gegeben werden müssen, ergibt sich aus seinem Abs. 1 Satz 1, dass dies umfassend geschehen muss, „[b]evor der Verbraucher durch einen Vertrag … gebunden ist“(<a href="#Footnote51" name="Footref51">51</a>), so dass etwaige ergänzende Informationen, die zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere bei Lieferung der Ware(<a href="#Footnote52" name="Footref52">52</a>), gegeben werden, keinen direkten Einfluss auf die Frage haben, ob der Unternehmer seiner Verpflichtung nachgekommen ist. Was im Übrigen die „[Art und] Weise“(<a href="#Footnote53" name="Footref53">53</a>) angeht, in der diese Information erfolgen muss, heißt es in demselben Absatz, dass sie „klar und verständlich“, d. h. zweifelsfrei, sein muss, d. h. meiner Ansicht nach so, dass ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger europäischer Durchschnittsverbraucher(<a href="#Footnote54" name="Footref54">54</a>) in der Lage ist, über die Eingehung der Verpflichtung in voller Kenntnis der Sachlage zu entscheiden(<a href="#Footnote55" name="Footref55">55</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Was im Übrigen den Gegenstand der vorherigen Information angeht, um die es speziell im vorliegenden Fall geht, verlangt Art. 6 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2011/83, der Fälle betrifft, in denen „gemäß Artikel 16[(<a href="#Footnote56" name="Footref56">56</a>)] kein Widerrufsrecht besteht[(<a href="#Footnote57" name="Footref57">57</a>)]“, ausdrücklich, dass der Verbraucher darüber informiert wird, „dass [er] nicht über ein Widerrufsrecht verfügt, oder gegebenenfalls [über] die Umstände, unter denen [er] sein Widerrufsrecht verliert“(<a href="#Footnote58" name="Footref58">58</a>). Dagegen besagt diese Vorschrift nichts über den Inhalt der Information, die der Unternehmer dem Verbraucher in einem solchen Fall geben muss, damit diese als hinreichend klar angesehen werden kann(<a href="#Footnote59" name="Footref59">59</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      In Anbetracht der <i>Ziele </i>der Regelung, zu der Art. 6 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2011/83 gehört, ist dieser jedoch meines Erachtens dahin auszulegen, dass ein Unternehmer, der in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen lediglich den Wortlaut von Art. 16 Buchst. e dieser Richtlinie wiedergibt, wie dies vorliegend der Fall war(<a href="#Footnote60" name="Footref60">60</a>), die Anforderungen dieser Vorschrift nicht erfüllt. Ein Unternehmer, der den Fernabsatz von Waren beabsichtigt, die zu der speziell in diesem Art. 16 Buchst. e vorgesehenen Kategorie gehören, sollte meines Erachtens, wie vom vorlegenden Gericht in Betracht gezogen, verpflichtet sein, den Verbraucher sofort ausdrücklich und konkret darüber zu informieren, dass er das ihm zustehende Widerrufsrecht verlieren wird, wenn er eine bestimmte Handlung begeht, durch die er dieses Recht verliert, d. h., wenn er die Versiegelung der betreffenden Ware entfernt, wobei dieser Hinweis diese bestimmte Ware konkret nennen und deutlich angeben muss, dass sie versiegelt ist(<a href="#Footnote61" name="Footref61">61</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Diese Auslegung ist meiner Meinung nach die einzige, die zum einen das mit der Richtlinie 2011/83 angestrebte Ziel, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, verwirklichen kann, für das Art. 6 Abs. 1 Buchst. k eine der Triebfedern ist, und die zum anderen die volle praktische Wirksamkeit der nach dieser Vorschrift geforderten Information sicherstellen(<a href="#Footnote62" name="Footref62">62</a>) und überdies verhindern kann, dass die Unternehmer zu leicht von ihren mit dem Widerrufsrecht – das ein Prinzip dieser Richtlinie ist und bleiben muss – verbundenen Verpflichtungen freikommen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in einem vergleichbaren Zusammenhang bereits festgestellt hat, dass die im Unionsrecht vorgesehene Schutzregelung, zu der die Verpflichtung des Unternehmers gehört, dem Verbraucher alle zur Ausübung seiner Rechte – insbesondere seines Widerrufsrechts – erforderlichen Informationen zu geben, voraussetzt, dass der Verbraucher als schwächere Partei aufgrund einer ausdrücklichen schriftlichen Belehrung Kenntnis von seinen Rechten erlangt(<a href="#Footnote63" name="Footref63">63</a>). Der Gerichtshof hat ferner hervorgehoben, dass die Pflicht, den Verbraucher zu belehren, im allgemeinen System der für dieses Gebiet getroffenen Regelung(<a href="#Footnote64" name="Footref64">64</a>) eine zentrale Stellung als wesentliche Garantie für die tatsächliche Ausübung des den Verbrauchern eingeräumten Widerrufsrechts und daher für die praktische Wirksamkeit des vom Gesetzgeber angestrebten Verbraucherschutzes einnimmt(<a href="#Footnote65" name="Footref65">65</a>). Die insoweit zu den Richtlinien 85/577 und 97/7 angestellten Erwägungen gelten meines Erachtens auch in der vorliegenden Rechtssache, wenn man bedenkt, dass diese Richtlinien durch die Richtlinie 2011/83 aufgehoben und ersetzt wurden(<a href="#Footnote66" name="Footref66">66</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Folglich ist Art. 6 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2011/83 für den Fall, dass der Gerichtshof zur zweiten Vorlagefrage, Buchst. b, Stellung nehmen sollte, meines Erachtens dahin auszulegen, dass der Unternehmer – wenn eine Ware entsprechend den in Art. 16 Buchst. e dieser Richtlinie vorgesehenen Umständen versiegelt ist – den Verbraucher vor Abschluss des Fernabsatzvertrags unter konkreter Bezugnahme auf die betreffende Ware und unter deutlichem Hinweis darauf, dass diese versiegelt ist, ausdrücklich darüber zu informieren hat, dass er sein Widerrufsrecht bei Entfernung des Siegels verliert.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs (Deutschland) wie folgt zu antworten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass Waren wie etwa Matratzen, die zwar bei bestimmungsgemäßem Gebrauch direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können, aber durch geeignete Maßnahmen, insbesondere Reinigungsmaßnahmen, des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können, nicht unter den Begriff „versiegelte Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind“, im Sinne dieser Vorschrift fallen.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Französisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011, L 304, S. 64). Ich weise darauf hin, dass die Richtlinie 85/577 vom 20. Dezember 1985 (ABl. 1985, L 372, S. 31) den Verbraucherschutz im Fall von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen betraf, die Richtlinie 97/7 vom 20. Mai 1997 (ABl. 1997, L 144, S. 19) dagegen den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Urteil abrufbar unter: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fents%2Fbeckrs%2F2016%2Fcont%2Fbeckrs.2016.127864.htm (vgl. insbesondere Rn. 21 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Im Sinne von § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB, dessen Wortlaut dem von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 entspricht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Spezifische Vorschriften, die sich teilweise mit denen überschneiden, die für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge gelten (vgl. namentlich die Art. 6 ff. dieser Richtlinie).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Die Ausübung dieses Widerrufsrechts unterliegt den in den Art. 9 bis 15 dieser Richtlinie aufgestellten Bedingungen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Im Urteil vom 3. September 2009, Messner (C‑489/07, EU:C:2009:502, Rn. 20 und 25), in dem es um die durch die Richtlinie 2011/83 ersetzte Richtlinie 97/7 ging, heißt es, dass die Vorschriften über das Widerrufsrecht „den Nachteil ausgleichen [sollen], der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren“, ohne ihm jedoch „Rechte einzuräumen, die über das hinausgehen, was zur zweckdienlichen Ausübung [dieses Rechts] erforderlich ist“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Vgl. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2011/83 sowie ihren 47. Erwägungsgrund, in dem die vom Verbraucher bei dieser Prüfung zu beachtenden Vorsichtsmaßnahmen genannt und das Beispiel eines Kleidungsstücks angeführt wird, das nur anprobiert, aber nicht getragen werden sollte.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Vgl. auch den 49. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, in dem es heißt: „Ein Widerrufsrecht könnte beispielsweise in Anbetracht der Beschaffenheit bestimmter Waren … unzweckmäßig sein“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Vgl. u. a. Urteile vom 7. August 2018, Verbraucherzentrale Berlin (C‑485/17, EU:C:2018:642, Rn. 27), sowie vom 17. Oktober 2018, Günter Hartmann Tabakvertrieb (C‑425/17, EU:C:2018:830, Rn. 18).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Dieses Ziel ergibt sich aus den Erwägungsgründen 3, 4 und 65 sowie aus Art. 1<sup/>der Richtlinie 2011/83.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Es ist darauf hinzuweisen, dass die verschiedenen Unionsrechtsakte, die dieses Ziel verfolgen, je nach den unterschiedlichen für dessen Erreichung in ihnen jeweils vorgesehenen Modalitäten unterschiedlich ausgelegt werden können (vgl. u. a. Urteil vom 19. September 2018, Bankia, C‑109/17, EU:C:2018:735, Rn. 36 f.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Vgl. u. a. Urteile vom 13. September 2018, Starman (C‑332/17, EU:C:2018:721, Rn. 26 bis 30), sowie vom 25. Oktober 2018, Tänzer & Trasper (C‑462/17, EU:C:2018:866, Rn. 28 und 29).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Vgl. u. a. Urteile vom 13. September 2018, Wind Tre und Vodafone ItaliaWind Tre und Vodafone ItaliaWind Tre und Vodafone Italia (C‑54/17 und C‑55/17, EU:C:2018:710, Rn. 54), sowie vom 4. Oktober 2018, Kamenova (C‑105/17, EU:C:2018:808, Rn. 34), das darauf verweist, dass „ein Verbraucher … als wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren als sein Vertragspartner angesehen werden muss“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Vgl. u. a. Urteile vom 25. Januar 2018, Schrems (C‑498/16, EU:C:2018:37, Rn. 27), sowie vom 20. September 2018, OTP Bank und OTP Faktoring (C‑51/17, EU:C:2018:750, Rn. 54).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Vgl. u. a. Urteile vom 1. März 2012, González Alonso (C‑166/11, EU:C:2012:119, Rn. 26 und 27), sowie vom 27. September 2017, Nintendo (C‑24/16 und C‑25/16, EU:C:2017:724, Rn. 73 und 74).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Vgl. Abschnitt 6.8, S. 65 und 67, dieses Dokuments von Juni 2014, abrufbar unter der folgenden Internetadresse: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/crd_guidance_de.pdf.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Zur Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem vorlegenden Gericht und dem Gerichtshof im Hinblick auf den Sachverhalt eines Vorabentscheidungsersuchens sowie dessen Begründung vgl. u. a. Urteile vom 20. März 1997, Phytheron International (C‑352/95, EU:C:1997:170, Rn. 12 und 14), sowie vom 13. Februar 2014, Maks Pen (C‑18/13, EU:C:2014:69, Rn. 30).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Aus Gründen der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit, wie sie auch slewo gegen einen Einzelfallansatz geltend gemacht hat, halte ich es tatsächlich für wünschenswert, dass der Gerichtshof eine Auslegung vornimmt, die sich nicht auf die Besonderheiten des Einzelfalls beschränkt, sondern die vom vorlegenden Gericht ins Auge gefassten vergleichbaren Situationen einbezieht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Auch wenn die Bedeutung der Begriffe „Gesundheitsschutz“ und „Hygiene“ im Sinne von Art. 16 Buchst. e in der Richtlinie 2011/83 nicht im Zentrum der vorliegenden Vorlagefrage steht, möchte ich doch klarstellen, dass sie sich auf verschiedene tatsächliche Situationen beziehen und dass eine auf den ersten dieser Gründe für den Ausschluss des Widerrufsrechts bezogene Auslegung dieser Vorschrift umso mehr für den zweiten dieser Gründe gelten würde, da die Gefährdung der Gesundheit offenkundig schwerwiegender ist als eine Beeinträchtigung der Hygiene.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      In diesem Sinne verweist das vorlegende Gericht namentlich auf Wendehorst, C., „§ 312g“, <i>Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch</i>, herausgegeben von F. J. Säcker u. a., Bd. 2, 7. Aufl., Beck, München, 2016, Rn. 24 ff. Im gegenteiligen Sinne vgl. u. a. Schirmbacher, M., und Schmidt, S., „Verbraucherrecht 2014 – Handlungsbedarf für den E‑Commerce“, <i>Computer und Recht</i>, 2014, S. 112, sowie Lorenz, S., „BGB – § 312g“, <i>Beck-online.Grosskommentar</i>, Beck, München, 2018, Rn. 26 ff.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Vgl. insbesondere den Vorschlag der Kommission vom 8. Oktober 2008, der zur Annahme der Richtlinie 2011/83 geführt hat (KOM[2008] 614 endgültig, speziell S. 31, zu Art. 19 Abs. 1 betreffend die Ausnahmen vom Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen, der die fragliche Ausnahme nicht vorsah; die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses (ABl. 2009, C 317, S. 54, 59, insbesondere Nr. 5.5.4, in der die Möglichkeit einer solchen Ausnahme angesprochen wird), sowie den Bericht des Europäischen Parlaments vom 22. Februar 2011 über diesen Vorschlag (A7-0038-2011, speziell S. 78, mit dem Änderungsantrag 130, der zur Einfügung der Vorschrift geführt hat, die nunmehr Buchst. e des geltenden Art. 16 ist, ohne Erläuterung). Diese Ausnahme geht nach Darstellung von Rott, P., „More coherence? A higher level of consumer protection? A review of the new Consumer Rights Directive 2011/83/EU“, <i>Revue européenne de droit de la consommation</i>, 2012, Nr. 3, S. 381, auf Wünsche der Kosmetikindustrie zurück.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Gemäß den in den Nrn. 23 ff. der vorliegenden Schlussanträge angeführten Auslegungsregeln.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Wie es nämlich im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 heißt, soll mit ihr „ein echter Binnenmarkt für Verbraucher gefördert werden … in dem ein <i>möglichst ausgewogenes Verhältnis</i> zwischen einem hohen <i>Verbraucherschutz</i>niveau und der <i>Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen</i> … gewährleistet ist“ (Hervorhebung nur hier). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Das vorlegende Gericht führt meines Erachtens zutreffend aus: „Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine erneute Verwendung der Ware durch Dritte aus gesundheitlichen Gründen (angebrochene Arzneimittel) oder aus hygienischen Aspekten (Zahnbürste, Lippenstift, Erotikartikel) nach der Verkehrsauffassung von vornherein nicht in Betracht kommt und auch durch Maßnahmen des Unternehmers wie Reinigung oder Desinfektion nicht einmal eine Wiederverkäuflichkeit als gebrauchte Ware, ,Rückläufer‘ oder Ähnliches hergestellt werden kann.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Zur Entschädigung des Unternehmers in einem solchen Zusammenhang vgl. u. a. Urteile vom 3. September 2009, Messner (C‑489/07, EU:C:2009:502, Rn. 29), betreffend die Richtlinie 97/7, an deren Stelle die Richtlinie 2011/83 getreten ist, sowie vom 2. März 2017, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main (C‑568/15, EU:C:2017:154, Rn. 24 und 26).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Art. 14 Abs. 2 bestimmt: „Der Verbraucher haftet für einen etwaigen Wertverlust der Waren nur, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Im Einklang mit der in Fn. 16 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Angeführt in Fn. 17 der vorliegenden Schlussanträge (Abschnitt 6.8.2, S. 66).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Der Leitfaden nennt ferner „Kosmetikartikel wie Lippenstifte“ und führt dazu Folgendes aus: „Bei anderen Kosmetikerzeugnissen, bei denen nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie aus Gesundheitsschutz‑ oder Hygienegründen versiegelt wurden, kann der Unternehmer dem Verbraucher eine andere Methode anbieten, sie wie in einem Geschäft auszuprobieren, indem er beispielsweise dem Produkt eine kostenlose Probe beifügt. Auf diese Weise bräuchten die Verbraucher die Verpackung des Erzeugnisses nicht zu öffnen, um ihr Recht auf Feststellung von Art und Eigenschaften des Produkts wahrzunehmen.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Dort heißt es: „Das vorliegende Dokument ist nicht rechtsverbindlich und lediglich als Orientierungshilfe gedacht. Die maßgebliche Auslegung des EU-Rechts liegt weiterhin in der alleinigen Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). … Die Verantwortung für die Veröffentlichung des vorliegenden Leitfadens liegt allein bei der Generaldirektion Justiz [der Kommission].“ </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Unter Hinweis darauf, dass „der Zweck des Vorabentscheidungsersuchens … nicht darin [liegt], Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen einzuholen, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist“, und unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16. Dezember 1981, Foglia (244/80, EU:C:1981:302, Rn. 18), schlägt die Kommission vor, diese Frage umzuformulieren. Die vorgeschlagene Umformulierung ist jedoch meines Erachtens nicht erforderlich, da ich nicht der Ansicht bin, dass die Antwort auf die vom nationalen Gericht vorgelegte Frage diesem nicht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort geben würde (vgl. u. a. Urteil vom 1. Februar 2017, Município de Palmela, C‑144/16, EU:C:2017:76, Rn. 20).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Zwar steht das Vorbringen von slewo im Zusammenhang mit beiden Problemen, doch befassen sich die belgische und die italienische Regierung sowie die Kommission vor allem mit dem ersten von diesen. Herr Ledowski wiederum gibt keine Erklärungen zur zweiten Vorlagefrage ab, da die erste Frage seines Erachtens zu verneinen ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Ebenso wie slewo bin ich der Meinung, dass der Sinn, der diesem Begriff zuzusprechen ist, nicht zwangsläufig derselbe ist, wie er für identische Begriffe gilt, die – in einem anderen Zusammenhang – in Art. 16 Buchst. i verwendet werden, der sich auf den Fall bezieht, dass „Ton‑ oder Videoaufnahmen oder Computersoftware in einer versiegelten Packung geliefert wurden und die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde“. In diesem Fall ist der Verbraucher dem in Fn. 17 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Leitfaden zufolge nicht berechtigt, den digitalen Inhalt des in einer versiegelten Packung gelieferten Datenträgers (CD, DVD usw.) während der Widerrufsfrist zu „testen“ (Abschnitt 12.2, S. 79). Das Verbot, die Ware nach Entfernung der Versiegelung zurückzusenden, hängt meines Erachtens mit anderen Gründen (wie der Möglichkeit einer einmaligen Nutzung oder der Anfertigung von Kopien des Inhalts) zusammen als der Beeinträchtigung der Unversehrtheit der Ware selbst (Gesundheits- oder Hygienegründe), die die Ausnahme in Buchst. e dieses Artikels rechtfertigt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Insbesondere findet sich keine Erläuterung zur Bedeutung des Begriffs „versiegelt“ in den Passagen des Vorschlags der Kommission und des Berichts des Parlaments, wie sie in Fn. 22 der vorliegenden Schlussanträge angeführt sind.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Vgl. Abschnitt 6.8.2, S. 66, des in Fn. 17 erwähnten Dokuments.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      So ist es nach Ansicht von Karstoft, S., <i>Forbrugeraftaleloven med kommentarer</i>, Jurist- og Økonomforbundets Forlag, Kopenhagen, 2018, S. 461, eher gerechtfertigt, Waren mit intimem Charakter, wie etwa Unterwäsche oder Badewäsche, aus Gesundheits‑ oder Hygienegründen zu versiegeln als Matratzen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Vgl. auch Nr. 25 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Nach Auffassung von slewo muss unterschieden werden zwischen der „Umverpackung“, die verhindern soll, dass eine Ware während ihrer Lagerung oder ihres Transports beschädigt wird, wie etwa die Schachtel einer Gesichtscreme, und der „Verpackung zu Hygienezwecken“, wie die üblicherweise unter dem Deckel einer Cremedose befindliche abnehmbare Metall‑ oder Plastikfolie. Im spezifischen Fall der durch einen Karton und durch eine verschweißte Plastikfolie geschützten Matratzen würden nur das letztgenannte Element, das dem hygienischen Schutz des Erzeugnisses dient, eine „Versiegelung“ im Sinne von Art. 16 Buchst. e darstellen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Nach Ansicht der belgischen Regierung ist „[u]nter ,Versiegelung‘ … eine spezielle Verpackungsmaßnahme zu verstehen, die der Unternehmer getroffen hat, um die Ware so zu verpacken, dass niemand diese unbemerkt öffnen kann, und dass die Öffnung der Versiegelung bedeutet, dass der Unternehmer, an den eine solche versiegelte Ware zurückgesandt wird, dieselbe spezielle Verpackungsmaßnahme wiederholen muss, damit die Ware erneut versiegelt ist“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Vgl. in diesem Sinne Hoeren, T., und Föhlisch, C., „Ausgewählte Praxisprobleme des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie“, <i>Computer und Recht</i>, 2014, S. 245.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Nach Ansicht der italienischen Regierung ist eine solche Einstufung für Matratzen nicht möglich, da diese für den Verkauf lediglich zu dem Zweck verpackt seien, sie vor Staub oder vor Beschädigungen während des Transports zu schützen, und nicht, um ihre Keimfreiheit sicherzustellen, die nicht einmal zu ihrem Herstellungszeitpunkt garantiert sei, im Unterschied zu Waren, die steril verkauft werden müssten, wie Medizinprodukte.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a>      Diese Kennzeichnung könnte aus einem auf der Verpackung angebrachten speziellen Aufdruck oder Etikett zur Information des Verbrauchers bestehen, dass die Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen versiegelt wurde und dass er sein Widerrufsrecht verliert, wenn er diese Versiegelung entfernt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a>      Vgl. im Einzelnen die in Fn. 22 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Dokumente.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a>      Ich weise darauf hin, dass Art. 8 Abs. 7 dieser Richtlinie demgegenüber eine allgemeine Pflicht zur Information des Verbrauchers nach Abschluss eines Fernabsatzvertrags zwecks Bestätigung des Vertrags im Hinblick auf alle in Art. 6 Abs. 1 genannten Informationen einzig für den Fall vorsieht, dass der Unternehmer sie dem Verbraucher nicht bereits vor dem Abschluss des Fernabsatzvertrags auf einem dauerhaften Datenträger hat zukommen lassen. Die letztgenannte Vorschrift ist Gegenstand der zweiten Vorlagefrage, Buchst. b (vgl. Nrn. 50 ff. der vorliegenden Schlussanträge).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a>      So in der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. 2000, L 109, S. 29).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref47" name="Footnote47">47</a>      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte ein bloßes Zitat für einen juristischen Laien schwer verständlich sein, was für die Annahme sprechen könnte, die Informationspflicht nur in den Fällen als erfüllt anzusehen, in denen der Unternehmer den Verbraucher vor Eintritt der Vertragsbindung unter konkretem Bezug auf den Vertragsgegenstand (hier eine Matratze) und den Umstand sowie die Art der Versiegelung ausdrücklich darauf hinweise, dass durch das Öffnen der Versiegelung das Widerrufsrecht erlösche.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref48" name="Footnote48">48</a>      Nach Ansicht von slewo würde der Verbraucher dann mit einer Flut unnötiger Informationen überfrachtet, und er müsste beim Kauf verschiedener Waren bei jeder einzelnen prüfen, ob ihm sein Widerrufsrecht genommen werden könne, namentlich durch Entfernung einer Versiegelung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref49" name="Footnote49">49</a>      Angesichts des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits weise ich darauf hin, dass nach dem zwölften Erwägungsgrund und Art. 6 Abs. 8 der Richtlinie 2011/83 die in dieser Richtlinie vorgesehenen Informationspflichten zusätzlich zu den Informationspflichten nach der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (ABl. 2000, L 178, S. 1) – die meines Erachtens keine sachdienlichen Hinweise für die Beantwortung der vorliegenden Vorlagefrage enthält –, gelten und ihnen gegebenenfalls vorgehen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref50" name="Footnote50">50</a>      D. h. die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bis t aufgeführten Informationen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref51" name="Footnote51">51</a>      Der umfassende Charakter der zu gebenden Information ergibt sich ausdrücklich aus dem 34. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, wie er u. a. in der französischen Sprachfassung der Richtlinie lautet („.informations claires et <i>exhaustives</i>“). Ich weise klarstellend darauf hin, dass in anderen Sprachfassungen, u. a. in der englischen („clear and <i>comprehensible</i> information“) und der deutschen („in klarer und <i>verständlicher</i> Weise informieren“) ein anderes Wort verwendet wird. Diese (nur hier hervorgehobenen) unterschiedlichen Begriffe stellen in meinen Augen alle klar heraus, dass der Verbraucher vor Abschluss des Vertrags vollkommen informiert sein muss.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref52" name="Footnote52">52</a>      Wie die sich aus der Verpackung der Ware ergebenden Informationen, auf die sich die zweite Vorlagefrage, Buchst. a, bezieht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref53" name="Footnote53">53</a>      Ein Erfordernis, dass sich hier mehr auf den Inhalt der Information als auf ihre Form bezieht, im Unterschied zu den Formerfordernissen im engeren Sinne, die der Fernabsatzvertrag aufgrund der Richtlinie 2011/83 einhalten muss und die in deren Art. 8 angeführt sind. Zu Letzterem vgl. u. a. Urteil vom 5. Juli 2012, Content Services (C‑49/11, EU:C:2012:419, Rn. 42 bis 51), betreffend die Richtlinie 97/7, an deren Stelle die Richtlinie 2011/83 getreten ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref54" name="Footnote54">54</a>      Gemäß dem vom Gerichtshof üblicherweise in seiner Rechtsprechung zum Verbraucherschutz verwendeten Beurteilungskriterium (vgl. u. a. Urteile vom 7. Juni 2018, Scotch Whisky Association, C‑44/17, EU:C:2018:415, Rn. 47 und 52, sowie vom 13. September 2018, Wind Tre und Vodafone Italia, C‑54/17 und C‑55/17, EU:C:2018:710, Rn. 51).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref55" name="Footnote55">55</a>      Wie die italienische Regierung ausführt, muss „der Verbraucher … bereits ab dem ersten Kontakt mit dem Verkäufer in der Lage sein, die Tragweite des Geschäftsangebots und die Einschränkung seiner Rechte mühelos zu verstehen, wobei das Angebot bestimmten Standards hinsichtlich der Klarheit und der Verständlichkeit genügen und folglich alle wesentlichen Elemente enthalten muss, damit der Durchschnittsverbraucher die Tragweite und die Bedingungen des Angebots richtig erfassen kann“. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref56" name="Footnote56">56</a>      Mit dieser allgemeinen Formulierung erfasst Art. 6 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2011/83 alle in Art. 16 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Widerrufsrecht und nicht nur den in Buchst. e dieses Artikels vorgesehenen Fall, der allein Gegenstand der in der vorliegenden Rechtssache gestellten Fragen ist. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref57" name="Footnote57">57</a>      Im Gegensatz zu Abs. 1 Buchst. h, der Fälle „des Bestehens eines Widerrufsrechts“ betrifft und hierfür vorsieht, dass dem Verbraucher „die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts“ zur Kenntnis gebracht werden. Vgl. insoweit das in der anhängigen Rechtssache Walbusch Walter Busch (C‑430/17) vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref58" name="Footnote58">58</a>      Meiner Ansicht nach bezieht sich die vorliegende Vorabentscheidungsfrage lediglich auf diesen letztgenannten Fall.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref59" name="Footnote59">59</a>      Die Materialien zu dieser Vorschrift erbringen meines Erachtens keine insoweit sachdienlichen Erkenntnisse (vgl. insbesondere den in Fn. 22 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Bericht des Parlaments, speziell den Änderungsantrag zu Art. 9 Abs. 1 Buchst. ea, S. 62 und 63, sowie die Begründung, S. 125 und 126).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref60" name="Footnote60">60</a>      Vgl. das in Nr. 11 der vorliegenden Schlussanträge enthaltene Zitat der Allgemeinen Geschäftsbedingungen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref61" name="Footnote61">61</a>      In dem in Fn. 17 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Leitfaden heißt es: „Beispielsweise sollte bei Lebensmittelkonserven, die im Sinne von Artikel 16 Buchstabe e [der Richtlinie 2011/83] versiegelt sind, der Unternehmer [den] Verbraucher, wie in Artikel 6 Absatz 1 [Buchstabe k vorgesehen], … darauf hinweisen, dass der Verbraucher des Widerrufsrechts aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen verlustig geht, wenn die Konserven geöffnet werden“ (vgl. Abschnitt 6.2, S. 50).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref62" name="Footnote62">62</a>      In der Praxis ist es möglich, dass ein Verbraucher davon Abstand nimmt, eine Ware zu bestellen, nachdem ihm klar geworden ist, dass deren Prüfung, wenn sie geliefert worden ist, und ihre etwaige Rücksendung aufgrund ihrer Versiegelung eventuell eingeschränkt sein werden.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref63" name="Footnote63">63</a>      Vgl. Urteile vom 13. Dezember 2001, Heininger (C‑481/99, EU:C:2001:684, Rn. 45), vom 10. April 2008, Hamilton (C‑412/06, EU:C:2008:215, Rn. 33), und vom 17. Dezember 2009, Martín Martín (C‑227/08, EU:C:2009:792, Rn. 26), in denen es um die Richtlinie 85/577 ging, sowie Urteil vom 5. Juli 2012, Content Services (C‑49/11, EU:C:2012:419, Rn. 34 ff.), in der es um die Richtlinie 97/7 ging.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref64" name="Footnote64">64</a>      Zum wesentlichen Charakter dieses – von den Unionsorganen sehr früh anerkannten – Informationsrechts des Verbrauchers vgl. Aubert de Vincelles, C., „Protection des intérêts économiques des consommateurs – Droit des contrats“, <i>JurisClasseur Europe</i>, Bd. 2010, Nr. 19.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref65" name="Footnote65">65</a>      Vgl. Urteil vom 17. Dezember 2009, Martín Martín (C‑227/08, EU:C:2009:792, Rn. 27), betreffend die Pflicht zur Belehrung des Verbrauchers aufgrund von Art. 4 der Richtlinie 85/577.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref66" name="Footnote66">66</a>      Im Sinne einer Übertragung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Richtlinien 85/577 und 97/7 auf die Richtlinie 2011/83 vgl. Urteile vom 7. August 2018, Verbraucherzentrale Berlin (C‑485/17, EU:C:2018:642, Rn. 3 ff.), bzw. vom 2. März 2017, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main (C‑568/15, EU:C:2017:154, Rn. 26).</p>
|
175,076 | eugh-2018-12-19-c-3317 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
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<a/>BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">19. Dezember 2018 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62017CO0033_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62017CO0033_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Urteilsberichtigung“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑33/17 REC</p>
<p class="normal">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bezirksgericht Bleiburg/Okrajno Sodišče Pliberk (Österreich) mit Entscheidung vom 17. Januar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Januar 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Čepelnik d.o.o.</span>
</p>
<p class="pnormal">gegen</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Michael Vavti</span>
</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Große Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, M. Vilaras und E. Regan, der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, L. Bay Larsen (Berichterstatter), M. Safjan, D. Šváby, C. G. Fernlund und C. Vajda,</p>
<p class="normal">Generalanwalt: N. Wahl,</p>
<p class="normal">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="normal">nach Anhörung des Generalanwalts</p>
<p class="normal">folgenden</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Beschluss</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Am 13. November 2018 hat der Gerichtshof (Große Kammer) das Urteil Čepelnik (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A896&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑33/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A896&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:896</a>) erlassen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dieses Urteil enthält in seiner Fassung in der Verfahrenssprache Deutsch einen Fehler, der auf Antrag der österreichischen Regierung nach Art. 103 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu berichtigen ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) beschlossen:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">1.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Rn. 46 des Urteils vom 13. November 2018, Čepelnik (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A896&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑33/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A896&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:896</a>), ist in seiner Fassung in der Verfahrenssprache Deutsch wie folgt zu berichtigen:</span>
</p>
<p class="normal">
<span class="bold">„Zur Frage, ob eine solche Regelung im Hinblick auf die genannten Ziele verhältnismäßig ist, ist erstens festzustellen, dass die zuständigen Behörden dem Auftraggeber nach dieser Regelung auferlegen können, seine Zahlungen an den Dienstleistungserbringer zu stoppen und eine Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Werklohns zu zahlen, wenn der ‚begründete Verdacht einer Verwaltungsübertretung‘ in Bezug auf nationales Arbeitsrecht vorliegt. Nach dieser Regelung dürfen derartige Maßnahmen somit erlassen werden, noch bevor die zuständige Behörde eine Verwaltungsübertretung festgestellt hat, die auf einen Betrug, insbesondere einen Sozialbetrug, einen Missbrauch oder eine den Schutz der Arbeitnehmer beeinträchtigende Praktik hinweisen würde.“</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">2.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Die Urschrift des vorliegenden Beschlusses wird mit der Urschrift des berichtigten Urteils verbunden. Ein Hinweis auf den Beschluss ist am Rand der Urschrift des berichtigten Urteils anzubringen.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<p class="normal">Luxemburg, den 19. Dezember 2018</p>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Der Kanzler</p>
<p class="normal">A. Calot Escobar</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Der Präsident</p>
<p class="normal">K. Lenaerts</p>
</div>
</div>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62017CO0033_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62017CO0033_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprachen: Deutsch und Slowenisch.</p>
|
175,075 | eugh-2018-12-19-c-43117 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-431/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:17 | 2019-01-31T19:21:17 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2018:1028 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN</p>
<p class="C36Centre">ELEANOR SHARPSTON</p>
<p class="C36Centre">vom 19. Dezember 2018(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>431/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Monachos Eirinaios, kata kosmon Antonios Giakoumakis tou Emmanouil</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Dikigorikos Syllogos Athinon</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Symvoulio tis Epikrateias [Staatsrat, Griechenland])</p>
<p class="C71Indicateur">„Richtlinie 98/5/EG – Art. 3 – Art. 6 – Eintragung eines Mönchs als Rechtsanwalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem er seine Berufsqualifikation erworben hat – Nationale Vorschriften, die die Eintragung ausschließen“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Kann man zwei Herren dienen? Wenn einer dieser Herren Gott ist, kann ein Christ eine erste Orientierungshilfe in den Evangelien finden: „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den anderen lieben oder er wird zu dem einen halten und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) Der einwandfreie rechtliche Austausch zwischen Jesus von Nazareth und einem Gesetzeslehrer im Gleichnis des barmherzigen Samariters zeigt jedoch ganz klar, dass es sehr gut möglich ist, Gott zu dienen und gleichzeitig dem Berufstand der Juristen anzugehören(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>). Wenn ein Mönch sich bei der Rechtsanwaltskammer eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, in dem er seine Berufsbezeichnung erworben hat, eintragen lassen will und damit sowohl dem Recht als auch Gott dienen möchte, bedarf es auch eines Blickes in die Richtlinie 98/5/EG(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Mit seinem Ersuchen um Vorabentscheidung fragt der Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland, im Folgenden: vorlegendes Gericht), ob es mit der Richtlinie 98/5 vereinbar ist, dass die zuständige Stelle die Eintragung von Monachos Eirinaios(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>), eines Mönchs in einem Kloster in Griechenland, als Rechtsanwalt, der seine Tätigkeit unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung ausübt, verweigert, weil es nach nationalem Recht einfach nicht möglich sei, dass Mönche bei den Rechtsanwaltskammern eingetragen werden. Dies wirft die Frage auf, wie die Bestimmungen der Richtlinie 98/5, die die <i>Eintragung</i> von ihre Tätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung ausübenden Rechtsanwälte betreffen und zwingende Verpflichtungen einführen, mit denjenigen zu vereinbaren sind, die die für diese Rechtsanwälte geltenden <i>Berufs- und Standes</i>regeln betreffen und den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen belassen. Die Auslegung des Gerichtshofs wird ein schlüssiges und kohärentes Verständnis der Richtlinie sicherstellen müssen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Richtlinie 98/5</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 98/5 unterstreicht die Bedeutung der Möglichkeit der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, ihren Beruf, sei es als Selbständige oder als abhängig Beschäftigte, in einem anderen als dem Mitgliedstaat auszuüben, in dem sie ihre beruflichen Qualifikationen erworben haben. Die Erwägungsgründe 2 und 3 erklären, dass die Richtlinie als Alternative zur Richtlinie 89/48 Möglichkeiten anbietet, die Zulassung zum Beruf des Rechtsanwalts in einem Aufnahmestaat zu erlangen(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Nach dem fünften Erwägungsgrund ist „ein Tätigwerden auf Gemeinschaftsebene … nicht nur gerechtfertigt, weil damit den Rechtsanwälten neben der allgemeinen Anerkennungsregelung eine leichtere Möglichkeit der Eingliederung in den Berufsstand des Aufnahmestaats geboten wird, sondern auch, weil dadurch, dass ihnen ermöglicht wird, ihren Beruf ständig unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung in einem Aufnahmestaat auszuüben, gleichzeitig den Erfordernissen der Rechtsuchenden entsprochen wird, die aufgrund des zunehmenden Geschäftsverkehrs insbesondere im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktes einer Beratung bei grenzübergreifenden Transaktionen bedürfen, bei denen das internationale Recht, das Gemeinschaftsrecht und nationale Rechtsordnungen häufig miteinander verschränkt sind“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Der sechste Erwägungsgrund erläutert, dass ein Tätigwerden auch deswegen gerechtfertigt ist, „weil bisher erst einige Mitgliedstaaten gestatten, dass Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung eine Anwaltstätigkeit in anderer Form denn als Dienstleistung in ihrem Gebiet ausüben. In den Mitgliedstaaten, in denen diese Möglichkeit gegeben ist, gelten sehr unterschiedliche Modalitäten, beispielsweise was das Tätigkeitsfeld und die Pflicht zur Eintragung bei den zuständigen Stellen betrifft. Solche unterschiedlichen Situationen führen zu Ungleichheiten und Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zwischen den Rechtsanwälten der Mitgliedstaaten und bilden ein Hindernis für die Freizügigkeit. Nur durch eine Richtlinie zur Regelung der Bedingungen, unter denen Rechtsanwälte, die unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig sind, ihren Beruf in anderer Form denn als Dienstleistung ausüben dürfen, können diese Probleme gelöst und in allen Mitgliedstaaten den Rechtsanwälten und Rechtsuchenden die gleichen Möglichkeiten geboten werden“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Der siebte Erwägungsgrund weist darauf hin, dass die Richtlinie davon absieht, rein innerstaatliche Situationen zu regeln, und dass sie die nationalen Berufsregelungen nur insoweit berührt, als dies notwendig ist, damit sie ihren Zweck tatsächlich erreichen kann. Insbesondere berührt die Richtlinie nicht die nationalen Regelungen für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf und für die Ausübung dieses Berufs unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Der achte Erwägungsgrund erklärt, dass „für die unter diese Richtlinie fallenden Rechtsanwälte … eine Pflicht zur Eintragung bei der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats vorzusehen [ist], damit sich diese Stelle vergewissern kann, dass die Rechtsanwälte die Berufs- und Standesregeln des Aufnahmestaats beachten. Die Wirkung dieser Eintragung bezüglich der Gerichtsbezirke und der Stufen und Arten der Gerichtsbarkeit, für die die Rechtsanwälte zugelassen sind, richtet sich nach dem für die Rechtsanwälte des Aufnahmestaats geltenden Recht“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Der neunte Erwägungsgrund weist darauf hin, dass „Rechtsanwälte, die nicht in den Berufsstand des Aufnahmestaats integriert sind, … gehalten [sind], ihre Anwalt[s]tätigkeit in diesem Mitgliedstaat unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben, damit die Information der Verbraucher gesichert ist und eine Unterscheidung von den Rechtsanwälten des Aufnahmestaats, die unter der Berufsbezeichnung dieses Mitgliedstaats tätig sind, ermöglicht wird“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie definiert den Zweck der Richtlinie als Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem die Berufsqualifikation erworben wurde. Art. 1 Abs. 2 definiert einen „Rechtsanwalt“ als „jede Person, die Angehörige eines Mitgliedstaats ist und ihre beruflichen Tätigkeiten unter einer der folgenden Berufsbezeichnungen auszuüben berechtigt ist: … Griechenland: Δικηγόρος [Dikigoros] … Zypern: Δικηγόρος [Dikigoros]“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Art. 2 legt das Recht jedes Rechtsanwalts fest, die in Art. 5 im Einzelnen aufgelisteten Berufstätigkeiten auf Dauer in einem anderen Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Art. 3 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1) Jeder Rechtsanwalt, der seinen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben möchte als dem, in dem er seine Berufsqualifikation erworben hat, hat sich bei der zuständigen Stelle dieses Mitgliedstaats eintragen zu lassen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2) Die zuständige Stelle des Aufnahmestaats nimmt die Eintragung des Rechtsanwalts anhand einer Bescheinigung über dessen Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats vor. Sie kann verlangen, dass diese von der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats erteilte Bescheinigung im Zeitpunkt ihrer Vorlage nicht älter als drei Monate ist. Sie setzt die zuständige Stelle des Herkunftsstaats von der Eintragung in Kenntnis.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Art. 4 sieht vor, dass ein Rechtsanwalt, der im Aufnahmestaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig ist, „diese Berufsbezeichnung in der Amtssprache oder in einer der Amtssprachen des Herkunftsstaats zu führen [hat]; diese Bezeichnung muss verständlich und so formuliert sein, dass keine Verwechslung mit der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats möglich ist“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Art. 5 Abs. 1 definiert das Tätigkeitsfeld eines Anwalts, der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig ist, als „die gleichen beruflichen Tätigkeiten wie [sie] der unter der jeweiligen Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats niedergelassene Rechtsanwalt [ausübt]“. Er kann insbesondere „Rechtsberatung im Recht seines Herkunftsstaats, im Gemeinschaftsrecht, im internationalen Recht und im Recht des Aufnahmestaats erteilen. Er hat in jedem Fall die vor den nationalen Gerichten geltenden Verfahrensvorschriften einzuhalten“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Art. 6 Abs. 1 sieht vor, dass der „unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige Rechtsanwalt … neben den im Herkunftsstaat geltenden Berufs- und Standesregeln hinsichtlich aller Tätigkeiten, die er im Aufnahmestaat ausübt, den gleichen Berufs- und Standesregeln wie die Rechtsanwälte [unterliegt], die unter der jeweiligen Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats praktizieren“. Nach Art. 6 Abs. 3 kann der „Aufnahmestaat … dem unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwalt zur Auflage machen, nach den Regeln, die er für die in seinem Gebiet ausgeübten Berufstätigkeiten festlegt, entweder eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen oder einer Berufsgarantiekasse beizutreten“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Art. 7 der Richtlinie betrifft Disziplinarverfahren, falls der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige Rechtsanwalt die im Aufnahmestaat geltenden Verpflichtungen verletzt. Nach Art. 7 Abs. 1 „sind die in diesem Mitgliedstaat geltenden Bestimmungen über Verfahren, Ahndung und Rechtsmittel anwendbar“. Art. 7 Abs. 2 bis 5 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(2)       Vor Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwalt setzt die zuständige Stelle des Aufnahmestaats unverzüglich die zuständige Stelle des Herkunftsstaats unter Angabe aller zweckdienlichen Einzelheiten davon in Kenntnis. </p>
<p class="C02AlineaAltA">[Dies] gilt entsprechend, wenn die zuständige Stelle des Herkunftsstaats ein Disziplinarverfahren einleitet; …</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)       Unbeschadet ihrer Entscheidungsbefugnis arbeitet die zuständige Stelle des Aufnahmestaats während der gesamten Dauer des Disziplinarverfahrens mit der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats zusammen. … </p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)       Die zuständige Stelle des Herkunftsstaats entscheidet nach den eigenen Rechts- und Verfahrensregeln über die Folgen der von der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats gegen den unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwalt getroffenen Entscheidung.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(5)       Die zeitweilige oder endgültige Rücknahme der Genehmigung zur Berufsausübung seitens der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats zieht für den betroffenen Rechtsanwalt automatisch das einstweilige oder endgültige Verbot nach sich, seine Anwaltstätigkeit im Aufnahmestaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben; sie ist jedoch keine Vorbedingung für die Entscheidung der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Art. 9 sieht vor, dass „Entscheidungen über die Verweigerung der Eintragung nach Artikel 3 oder über die Rücknahme dieser Eintragung sowie Entscheidungen zur Verhängung von Disziplinarstrafen … begründet werden [müssen]“. Gegen diese Entscheidungen kann ein gerichtliches Rechtsmittel eingelegt werden.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Nationales</b><b>Recht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> Das <i>Präsidialdekret</i> 152/2000</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Die Richtlinie 98/5 ist durch das Proedriko Diatagma 152/2000, Diefkolynsi tis monimis askisis tou dikigorikou epaggelmatos stin Ellada apo dikigorous pou apektisan ton epaggelmatiko tous titlo se allo kratos-melos tis EE (Präsidialdekret 152/2000 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs durch Rechtsanwälte in Griechenland, die ihre Berufsqualifikation in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworben haben, im Folgenden: Präsidialdekret), in griechisches Recht umgesetzt worden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Art. 5 Abs. 1 sieht vor, dass die betreffende Person für die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit in Griechenland bei der Rechtsanwaltskammer, in deren Bezirk sie ihre Berufstätigkeit ausüben wird, eingetragen sein und ein Büro in diesem geografischen Bezirk unterhalten muss. Nach Art. 5 Abs. 2 entscheidet der Verwaltungsrat der vorgenannten Rechtsanwaltskammer nach Vorlage der folgenden Bescheinigungen über den Eintragungsantrag: i) ein amtliches Dokument, das die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats nachweist, ii) ein polizeiliches Führungszeugnis und iii) eine Bescheinigung über die Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats, die die Berufsbezeichnung erteilt hat, oder einer anderen zuständigen Stelle des Herkunftsstaats.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Außerdem sieht Art. 8 Abs. 1 vor, dass „ein unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätiger Rechtsanwalt neben den im Herkunftsstaat geltenden Berufs- und Standesregeln hinsichtlich aller Tätigkeiten, die er in Griechenland ausübt, den gleichen Berufs- und Standesregeln unterliegt wie andere Rechtsanwälte, die Mitglieder der betreffenden Rechtsanwaltskammer sind. Insbesondere unterliegt er … den Regeln für die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit in Griechenland, namentlich den Vorschriften über Inkompatibilitäten und die Ausübung nicht-anwaltlicher Tätigkeiten, über das Berufsgeheimnis, das berufliche Standesrecht, die Werbung, die Berufswürde und die ordnungsgemäße Ausübung der anwaltlichen Aufgaben“.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Der Rechtsanwaltskodex</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Nach Art. 1 des Gesetzes 4194/2013 (Kodikas dikogoron, im Folgenden: Rechtsanwaltskodex) ist ein Rechtsanwalt ein öffentlicher Bediensteter, dessen Aufgaben einen Eckpfeiler des Rechtsstaats darstellen. Bei der Wahrnehmung seiner Pflichten hat ein Rechtsanwalt seine Fälle nach seinem beruflichen Judiz zu bearbeiten und unterliegt weder Empfehlungen noch Weisungen, die rechtswidrig oder mit den Interessen seines Mandanten nicht zu vereinbaren sind(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Art. 6 trägt die Überschrift „Voraussetzungen für die Rechtsanwaltschaft – Hindernisse“. Er sieht zwei positive Voraussetzungen für die Rechtsanwaltschaft vor, nämlich i) den Besitz der griechischen Staatsangehörigkeit oder der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats oder eines EWR-Staats und ii) den Besitz eines rechtswissenschaftlichen Abschlusses; daneben enthält er vier Hinderungsgründe, u. a. den, nicht die Stellung eines Geistlichen oder Mönchs zu bekleiden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Art. 7 Abs. 1 trägt die Überschrift „Verlust der Stellung des Rechtsanwalts <i>ipso iure</i>“. Er sieht u. a. vor, dass eine Person, die Geistlicher oder Mönch ist oder die auf einen vergüteten Posten ernannt wird oder diesen Posten kraft eines Vertrags innehat, der ein Arbeitsverhältnis oder ein beamtenrechtliches Beschäftigungsverhältnis im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Recht begründet, <i>ipso iure</i> die Stellung des Rechtsanwalts verliert und dass ihre Eintragung bei der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied sie ist, zu löschen ist(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>). Ein Rechtsanwalt, der in den Geltungsbereich des Art. 7 Abs. 1 fällt, ist verpflichtet, der Rechtsanwaltskammer, bei der er eingetragen ist, dies anzuzeigen und zurückzutreten(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Art. 23 sieht vor, dass ein Rechtsanwalt verpflichtet ist, einen Sitz und ein Büro im geografischen Bezirk des erstinstanzlichen Gerichts zu unterhalten, dem er als Rechtsanwalt zugeordnet ist. Art. 82 sieht vor, dass es einem Rechtsanwalt abgesehen von wenigen, einzeln aufgeführten Ausnahmen nicht erlaubt ist, seine Dienstleistungen unentgeltlich zu erbringen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Das Statut der Kirche von Griechenland</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Das Gesetz 590/1977 über das Statut der Kirche von Griechenland (Katastatikos Chartis tis Ekklisias tis Ellados) sieht in Art. 39 vor, dass Klöster religiöse Einrichtungen sind, in denen die in ihnen lebenden Männer und Frauen nach klösterlichen Gelübden und nach den heiligen Regeln und Traditionen der Orthodoxen Kirche über das klösterliche Leben ein enthaltsames Leben führen. Die Klöster stehen unter der geistlichen Aufsicht des örtlichen Bischofs.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Art. 56 Abs. 3 verbietet einer klösterlichen Regeln unterliegenden Person, sich ohne die Erlaubnis ihres Kirchenoberen außerhalb der Grenzen ihres Kirchenbezirks zu begeben. Um sich im gleichen Kalenderjahr für mehr als zwei Monate, ob ununterbrochen oder nicht, in einem anderen Bezirk aufzuhalten, muss sie auch eine Erlaubnis des Diözesanbischofs einholen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Das Gesetz über den Kirchenfonds und die Klosterverwaltung</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Das Gesetz 3414/1909 (Peri Genikou Ekklisastikou Tameiou kai dioikiseos Monastirion) über den allgemeinen Kirchenfonds und die Verwaltung der Klöster sieht in Art. 18 vor, dass das gesamte Eigentum einer Person, die sich den klösterlichen Regeln unterwirft, mit Ausnahme des Anteils, der nach dem Erbrecht den Erben vorbehalten ist, auf das Kloster übergeht.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Monachos Eirinaios ist ein Mönch in einem Kloster in Griechenland(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>). Er ist auch ein ausgebildeter Rechtsanwalt und seit dem 11. Dezember 2014 Mitglied des Pagkyprios Dikigorikos Syllogos (Rechtsanwaltskammer von Zypern, im Folgenden: PDS).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Am 12. Juni 2015 beantragte er beim Dikigorikos Syllogos Athinon (Rechtsanwaltskammer von Athen, im Folgenden: DSA), als Rechtsanwalt eingetragen zu werden, der seine Berufsbezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat. Am 18. Juni 2015 lehnte der Verwaltungsrat des DSA seinen Antrag ab. Diese Entscheidung war auf Art. 8 Abs. 1 des Präsidialdekrets gestützt, wonach die nationalen Vorschriften über Inkompatibilitäten (insbesondere der Umstand, Geistlicher oder Mönch zu sein) auch auf Rechtsanwälte Anwendung finden, die ihre Tätigkeit in Griechenland unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben wollen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Am 29. September 2015 legte Monachos Eirinaios vor dem vorlegenden Gericht ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Dieses Gericht weist darauf hin, dass die für griechische Rechtsanwälte geltenden Berufs- und Standesregeln es Mönchen nicht erlauben, als Rechtsanwalt tätig zu sein, und zwar aus Gründen, wie denen, die vom DSA angeführt wurden, nämlich das Fehlen von Garantien hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit, Zweifeln, ob sie sich vollständig ihren Aufgaben widmen und streitige Fälle bearbeiten können, das Erfordernis einer tatsächlichen, nicht fiktiven Niederlassung im geografischen Bezirk des maßgeblichen erstinstanzlichen Gerichts und die Verpflichtung, Dienstleistungen nicht unentgeltlich zu erbringen. Wäre die fragliche Rechtsanwaltskammer verpflichtet, einen Mönch aufgrund seiner Tätigkeit unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung gemäß Art. 3 der Richtlinie 98/5 einzutragen, wäre sie, wie deren Art. 6 erlaubt, sogleich verpflichtet, zu entscheiden, dass er gegen die im nationalen Recht vorgesehenen Berufs- und Standesregeln verstoßen habe, da diese Vorschriften Mönchen nicht erlauben, als Anwalt tätig zu sein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Das vorlegende Gericht verweist auch auf seine eigene Rechtsprechung, in der es entschieden habe, dass die frühere Vorschrift des Rechtsanwaltskodex, wonach Geistliche keine Rechtsanwälte werden durften, nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz oder die Freiheit der Berufs- und Beschäftigungsausübung verstoße. Erstens setze das öffentliche Interesse voraus, dass ein Rechtsanwalt sich ausschließlich seinen Aufgaben widme, und zweitens bringe die Tätigkeit als Rechtsanwalt die Bearbeitung von Streitigkeiten mit sich, was mit der Stellung eines Geistlichen unvereinbar sei(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>). Das vorlegende Gericht hatte zuvor auch entschieden, dass diese Vorschrift weder gegen Art. 13 der griechischen Verfassung noch (da die tatsächlichen Umstände des früheren Verfahrens einen rein innerstaatlichen Sachverhalt betrafen) gegen Art. 52 des EG-Vertrags (jetzt Art. 49 AEUV) oder gegen Art. 9 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoße(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Vor diesem Hintergrund ersucht das vorlegende Gericht um eine Vorabentscheidung zu der folgenden Frage:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ist Art. 3 der Richtlinie 98/5 dahin auszulegen, dass die Eintragung eines Mönchs der Kirche von Griechenland als Rechtsanwalt in das Verzeichnis der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, in dem er seine berufliche Qualifikation erworben hat, um dort seinen Beruf unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben, durch den nationalen Gesetzgeber mit der Begründung verboten werden kann, dass die Mönche der Kirche von Griechenland nach nationalem Recht nicht in die Verzeichnisse der Rechtsanwaltskammern eingetragen werden können, weil sie aufgrund ihrer Stellung als Personen, die klösterlichen Regeln unterliegen, bestimmte für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs erforderliche Garantien nicht bieten?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Monachos Eirinaios, die griechische Regierung, die niederländische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Monachos Eirinaios, der DSA, die griechische Regierung und die Kommission haben in der Sitzung vom 18. September 2018 mündlich verhandelt.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Beurteilung</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Anwendbares Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Verschiedene Richtlinien gelten für unterschiedliche Aspekte der Situation eines Rechtsanwalts, der seine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben möchte. So behandelt die Richtlinie 2005/36 die Anerkennung von Berufsqualifikationen, während die Richtlinie 77/249/EWG des Rates die Dienstleistungsfreiheit betrifft(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>). Die Richtlinie 2006/123/EG betrifft ein breites Spektrum von Tätigkeiten innerhalb des Binnenmarkts, einschließlich der Erbringung von Rechtsberatung im Zusammenhang mit sowohl der Niederlassung als auch der Erbringung von Dienstleistungen(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>). Die Richtlinie 98/5 gilt für Rechtsanwälte, die ihre Tätigkeit auf Dauer im Aufnahmestaat ausüben möchten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      In ihren schriftlichen Erklärungen hat die niederländische Regierung vorgetragen, da die Richtlinie 98/5 keine Berufs- und Standesregeln für Rechtsanwälte festlege, könnten Leitlinien in den anderen möglicherweise anwendbaren Richtlinien gesucht werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Diese Ansicht teile ich nicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Die Richtlinie 77/249 regelt die Erbringung von Dienstleistungen durch Rechtsanwälte und nicht die Niederlassungsfreiheit(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>). Das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht betrifft die Weigerung der Rechtsanwaltskammer, einen Rechtsanwalt einzutragen, der seine Berufsqualifikationen in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat. Der Gegenstand der Vorlagefrage ist daher die Niederlassung als Rechtsanwalt, die von der Richtlinie 98/5 geregelt wird, und nicht die Freiheit, Rechtsdienstleistungen zu erbringen(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Die Richtlinie 2005/36 gilt für Rechtsanwälte, die sich sofort unter der Berufsbezeichnung des <i>Aufnahme</i>staats niederlassen möchten. Sie berührt nicht die Anwendung der Richtlinie 98/5(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>) und ist hier nicht einschlägig. Monachos Eirinaios möchte unter seiner zyprischen Berufsbezeichnung eingetragen werden und unter dieser seine Tätigkeit ausüben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Die Richtlinie 2006/123 gilt in der Tat für Rechtsdienstleistungen und erfasst nicht nur die Erbringung von Dienstleistungen, sondern auch die Niederlassung(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>). Allerdings gilt Art. 25 dieser Richtlinie, auf den sich die niederländische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen berufen hat, nur für die Ausübung multidisziplinärer <i>wirtschaftlicher</i> Tätigkeiten. Unter diese Rubrik passt keine Person im Klosterstand, was die „Paralleltätigkeit“ von Monachos Eirinaios neben der des Rechtsanwalts ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Die Situation von Monachos Eirinaios fällt eindeutig in den Geltungsbereich der Richtlinie 98/5. Er ist ein Rechtsanwalt, der über eine in einem Mitgliedstaat gültige Berufsbezeichnung verfügt (so dass er in den persönlichen Geltungsbereich der Richtlinie 98/5 fällt, wie dieser in ihrem Art. 1 Abs. 1 und 2 definiert ist); er möchte seine Tätigkeit auf Dauer in einem anderen Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben (damit erfüllt er das grenzüberschreitende Element und fällt in den materiellen Geltungsbereich der Richtlinie 98/5, wie dieser in ihrem Art. 1 Abs. 1 definiert ist). Die Frage, ob mit dem Unionsrecht nationale Vorschriften vereinbar sind, wonach Mönchen mit der Begründung, dass sie gewisse für Rechtsanwälte notwendige Garantien nicht bieten, verweigert wird, sich unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung als Rechtsanwalt eintragen zu lassen, ist folglich auf der Grundlage dieser Richtlinie zu prüfen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Vorbemerkung zur Richtlinie 98/5</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Der Zweck der Richtlinie 98/5 besteht darin, die Freizügigkeit für Rechtsanwälte durch die Erleichterung der ständigen Ausübung dieses Berufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Berufsqualifikation erworben wurde, zu verbessern(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>). Im Folgenden werde ich der Einfachheit halber diese Rechtsanwälte als „zuwandernde Rechtsanwälte“ bezeichnen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Zur Förderung des Binnenmarkts zielt die Richtlinie darauf ab, den Rechtsanwälten und den Rechtsuchenden in allen Mitgliedstaaten die gleichen Möglichkeiten zu bieten. Sie bemüht sich, den Erfordernissen der Rechtsuchenden zu entsprechen, die aufgrund des zunehmenden Geschäftsverkehrs im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarkts einer Beratung bei grenzübergreifenden Transaktionen bedürfen, bei denen das internationale Recht, das Unionsrecht und nationale Rechtsordnungen häufig miteinander verschränkt sind(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Somit zielt die Richtlinie u. a. darauf ab, der Unterschiedlichkeit der nationalen Vorschriften über die Voraussetzungen der Eintragung bei den zuständigen Stellen ein Ende zu setzen, die zu Ungleichheiten und Hindernissen für die Freizügigkeit geführt haben(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>). Die gegenseitige Anerkennung der Berufsbezeichnungen der zuwandernden Rechtsanwälte, die ihre Tätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben möchten, stützt die Erreichung der Ziele der Richtlinie(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Obwohl die Richtlinie das Niederlassungsrecht betrifft, reguliert sie allerdings weder den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf noch die Ausübung dieses Berufs unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Bei der Verfolgung ihrer Ziele hat die Richtlinie einen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen zu herzustellen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Erstens stellt sie einen Ausgleich her zwischen der Gewährung eines automatischen Rechts der zuwandernden Rechtsanwälte auf Eintragung bei den zuständigen Stellen des Aufnahmestaats, ohne dass der Aufnahmestaat vorher die Berufsqualifikationen kontrolliert (Art. 3 Abs. 2), und der Notwendigkeit, die Personen, die Rechtsdienstleistungen in Anspruch nehmen wollen, über den Umfang der Fachkunde solcher Rechtsanwälte zu informieren; infolgedessen ist es zuwandernden Rechtsanwälten nur erlaubt, ihre Tätigkeit unter ihrer ursprünglichen, in der Sprache des Herkunftsstaats ausgedrückten Berufsbezeichnung auszuüben (Art. 4 Abs. 1)(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Zweitens wird zuwandernden Rechtsanwälten nach Art. 5 das Recht gewährt, Rechtsberatung zu erbringen sowie Mandanten zu vertreten und zu verteidigen, erforderlichenfalls in Verbindung mit einem Rechtsanwalt, der seine Tätigkeit vor dem betreffenden Gericht ausübt. Im Gegenzug müssen sie sich nach Art. 3 bei der zuständigen Stelle im Aufnahmestaat eintragen lassen und unterliegen nach Art. 6 den Verpflichtungen und Berufs- und Standesregeln dieses Staates(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Obwohl Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 98/5 die Voraussetzungen harmonisiert, die von Rechtsanwälten erfüllt werden müssen, die ihre Berufstätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben möchten, i) legt die Richtlinie darüber hinaus keine Regeln für rein innerstaatliche Situationen fest (siebter Erwägungsgrund); ii) lässt sie die nationalen Regelungen für den Zugang und die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats unberührt (siebter Erwägungsgrund) und iii) sieht sie vor, dass Rechtsanwälte den in diesem Staat geltenden Berufs- und Standesregeln nachkommen müssen (achter Erwägungsgrund und Art. 6)(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Kurz gesagt, ist die Richtlinie 98/5 eine hybride Richtlinie, die die Niederlassungsfreiheit zuwandernder Rechtsanwälte behandelt, die ihre Tätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben möchten, und die zu diesem Zweck bestimmte Aspekte harmonisiert, während sie den Mitgliedstaaten für andere Aspekte ein hohes Maß an Autonomie belässt. Einen Ausgleich zu der Förderung der Freizügigkeit stellt die Notwendigkeit dar, sicherzustellen, dass die Verbraucher geschützt sind und dass zuwandernde Rechtsanwälte im Aufnahmestaat ihren Berufspflichten in Hinblick auf die Wahrung der geordneten Rechtspflege nachkommen. Daraus ergibt sich ein inhärentes Potenzial für Spannungen zwischen der <i>Zulassung</i> zur Ausübung der Tätigkeit (Art. 3) und den <i>Regeln für die Ausübung der Tätigkeit</i> (Art. 6).</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Die Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Das vorlegende Gericht fragt im Wesentlichen, ob Art. 3 der Richtlinie 98/5 dahin auszulegen ist, dass er es erlaubt, Mönchen mit der Begründung, sie böten nicht die für die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit notwendigen Garantien, durch nationale Vorschriften zu verbieten, sich als Rechtsanwalt unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung eintragen zu lassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Monachos Eirinaios und die Kommission bringen vor, Art. 3 der Richtlinie 98/5 habe nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine vollständige Harmonisierung der maßgeblichen Vorschriften bewirkt. Die Vorlage einer Bescheinigung über die Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats sei die einzige Bedingung, der die Eintragung der betreffenden Person im Aufnahmestaat unterworfen werden dürfe(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>). Ob diese Person die verschiedenen für die Praxis als Rechtsanwalt notwendigen Garantien biete, werde von der betreffenden Rechtsanwaltskammer in einer späteren Verfahrensphase kontrolliert.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Die Kommission fügt hinzu, die Frage, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 98/5 (der das Disziplinarverfahren behandelt, sollte ein Rechtsanwalt, der seine Tätigkeit unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung ausübt, die im Aufnahmestaat geltenden Verpflichtungen verletzen) für Monachos Eirinaios gelte, liege außerhalb der Gegenstands des vorliegenden Verfahrens, das nur sein Recht auf Eintragung beim DSA betreffe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      In der mündlichen Verhandlung trug der DSA vor, eine systematische Auslegung der Art. 3 Abs. 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 98/5 müsse unter Berücksichtigung ihrer Erwägungsgründe zu dem Ergebnis führen, dass eine Rechtsanwaltskammer die Eintragung eines Rechtsanwalts, der seine Tätigkeit unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben möchte, ablehnen könne, wenn sich aus den vorgelegten Unterlagen ergebe, dass nach nationalem Recht ein Eintragungshindernis bestehe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Die griechische Regierung argumentiert, Art. 3 der Richtlinie 98/5 sei in Verbindung mit Art. 6 dieser Richtlinie zu lesen. Würde ein Mönch unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung beim DSA eingetragen, sei er nach den griechischen Berufs- und Standesregeln sofort aus dem Verzeichnis zu löschen. Dies sei ein sinnwidriges Ergebnis. Die griechische Regierung ist der Auffassung, ein Mönch habe nicht die erforderliche Unabhängigkeit, um die Rechtsanwaltstätigkeit auszuüben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Die niederländische Regierung ist der Auffassung, Art. 3 der Richtlinie 98/5 sei dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehe, die einem Mönch verbieten, sich eintragen zu lassen und die Rechtsanwaltstätigkeit unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben. Art. 6 der Richtlinie erfasse Berufs- und Standesregeln nicht vollständig; diese seien daher unter Berücksichtigung anderer Bestimmungen des Sekundärrechts, wie etwa des Art. 25 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/123, zu prüfen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Eintragung nach Art. 3 der Richtlinie 98/5</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 98/5 betrifft ausschließlich die Eintragung zuwandernder Rechtsanwälte bei der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats. Er sieht vor, dass diese Stelle die Eintragung des Rechtsanwalts nach Vorlage der maßgeblichen Bescheinigung vorzunehmen hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Diese Bestimmung soll der Unterschiedlichkeit der nationalen Vorschriften über die Voraussetzungen der Eintragung bei den zuständigen Stellen ein Ende setzen und legt daher einen Mechanismus für die gegenseitige Anerkennung der Berufsbezeichnungen der zuwandernden Rechtsanwälte fest (siehe oben, Nr. 43). Sie nimmt eine <i>vollständige</i> Harmonisierung der Vorbedingungen vor, die für die Ausübung des von dieser Richtlinie gewährten Niederlassungsrechts erforderlich sind. Ein Rechtsanwalt, der seine Tätigkeit auf Dauer in einem anderen Mitgliedstaat als dem ausüben möchte, in dem er seine Berufsqualifikation erworben hat, ist verpflichtet, sich bei der zuständigen Stelle in diesem Staat eintragen zu lassen. Diese Stelle hat diese Eintragung „anhand einer Bescheinigung über dessen Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats“ vorzunehmen(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die einzige Bedingung, der die Eintragung unterworfen werden darf, diejenige, dass die betreffende Person der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats diese Bescheinigung vorlegt. Die Eintragung im Aufnahmestaat ist dann zwingend und ermöglicht der betreffenden Person, dort ihre Tätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>). Diese Analyse wird durch den Kommissionsvorschlag bestätigt, der in seinen Erläuterungen zu Art. 3 feststellt, dass „auf die Eintragung ein <i>automatischer Anspruch besteht</i>, wenn der Antragsteller den Beweis seiner Eintragung bei der zuständigen Stelle in seinem Herkunftsstaat erbringt“ (Hervorhebung nur hier). Mit der Eintragung steht der zuwandernde Rechtsanwalt an der Schwelle zur Ausübung seiner Tätigkeit im Aufnahmestaat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Dementsprechend hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass bei italienischen Staatsangehörigen, die nach dem Erwerb eines Universitätsabschlusses in Rechtswissenschaften in Italien einen weiteren Universitätsabschluss in Spanien erworben hatten und in diesem Mitgliedstaat als Rechtsanwälte eingetragen worden waren, davon auszugehen ist, dass sie alle nötigen Voraussetzungen erfüllen, um sich bei einer italienischen Rechtsanwaltskammer anhand einer Bescheinigung über ihre Eintragung in Spanien eintragen zu lassen(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Im gleichen Sinne hat der Gerichtshof in der Rechtssache Wilson entschieden, dass es der Richtlinie 98/5 entgegensteht, von Rechtsanwälten, die ihre Tätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben, die Teilnahme an einem Gespräch zu verlangen, das dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer die Überprüfung ermöglicht, ob sie die Amts- und Gerichtssprachen des Aufnahmestaats beherrschen(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass die Mitgliedstaaten kein Ermessen haben, für die Eintragung zuwandernder Rechtsanwälte unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung zusätzliche Anforderungen einzuführen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Auf einer Ebene ist daher die Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts einfach. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 98/5 verbietet die Einführung einer zusätzlichen Bedingung – wie derjenigen, kein Mönch zu sein – für die Eintragung eines Rechtsanwalts unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Wird dieses Ergebnis durch das Zusammenspiel der Art. 3 und 6 der Richtlinie 98/5 und die Existenz nationaler Vorschriften unterlaufen, denen zufolge Rechtsanwälte, die Mönche sind oder werden, sofort aus dem Verzeichnis zu löschen sind, oder die bestimmte Verpflichtungen auferlegen, wie etwa die Voraussetzung, im geografischen Bezirk des erstinstanzlichen Gerichts, dem die betreffende Person als Rechtsanwalt zugeordnet ist, einen Sitz und ein Büro zu unterhalten oder für ihre Dienstleistungen ein Entgelt zu empfangen?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Informationen scheint sich zu ergeben, dass die nationale Rechtsvorschrift, die Mönchen verbietet, Rechtsanwälte <i>zu werden</i>, in Form eines Verbots, Mönch <i>zu sein</i> und die Rechtsanwaltstätigkeit auszuüben, wiederholt wird(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>). Es ist Sache des nationalen Gerichts zu überprüfen, ob dies bei ordnungsgemäßer Auslegung des nationalen Rechts tatsächlich der Fall ist. Andere nationale Vorschriften, auf die sich der DSA und die griechische Regierung berufen haben, umfassen die Verpflichtung, unabhängig zu sein, die Verpflichtung, sich ausschließlich seinen beruflichen Aufgaben zu widmen, die Verpflichtung, im geografischen Bezirk des erstinstanzlichen Gerichts, dem man als Rechtsanwalt zugeordnet ist, einen Sitz und ein Büro zu unterhalten, und das Verbot, Dienstleistungen unentgeltlich zu erbringen. Das vorgetragene Argument lautet im Wesentlichen: Jemand, der Mönch ist, wird gegen die Berufs- und Standesregeln verstoßen, so dass er gar nicht erst als Rechtsanwalt eingetragen werden sollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Zu Beginn dieses Teils der Analyse muss daran erinnert werden, worum es hier genau geht, und – das ist genauso wichtig – worum es nicht geht. Das vorliegende Verfahren betrifft einen zuwandernden Rechtsanwalt, der sich unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung niederlassen und seine Tätigkeit unter dieser Bezeichnung ausüben möchte. Es betrifft nicht das Recht Griechenlands oder eines anderen Mitgliedstaats, Bedingungen festzulegen, unter denen sich eine Person nach den eigenen Regeln des betreffenden Mitgliedstaats als Rechtsanwalt qualifiziert oder ihre Tätigkeit unter der eigenen Berufsbezeichnung dieses Mitgliedstaats ausübt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Erlaubt Art. 6 der Richtlinie 98/5 es einem Mitgliedstaat, einem Einzelnen, der nach Art. 3 dieser Richtlinie für die Eintragung, dort die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit unter der Berufsbezeichnung seines Heimatlandes auszuüben, qualifiziert ist, diese Eintragung mit der Begründung zu verweigern, er könne sich als Person, die religiösen Gehorsam gelobt habe, <i>per definitionem</i> nicht so verhalten, dass er die für die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit notwendigen Garantien biete?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Meines Erachtens sollte hier eine analytische Unterscheidung gemacht werden zwischen – auf der einen Seite – der besonderen Vorschrift, nach der ein Geistlicher oder ein Mönch kein Rechtsanwalt sein kann, und – auf der anderen Seite – den verschiedenen einzelnen Berufs- und Standesregeln, auf die sich der DSA beruft, wie z. B. die, nach denen man sich ausschließlich seinen anwaltlichen Aufgaben zu widmen oder einen Sitz und ein Büro im geforderten geografischen Bezirk zu unterhalten hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Ich akzeptiere nicht, dass erstere Vorschrift richtigerweise als <i>Berufs- und Standes</i>regel zu bezeichnen ist, die nach Art. 6 der Richtlinie 98/5 in den Aufgabenbereich des Aufnahmestaats fällt. Es scheint mir, dass eine solche Vorschrift, wenn man sie näher untersucht, eine Regel darstellt, die besagt, dass es Personen mit besonderen <i>Merkmalen</i> nicht erlaubt sein sollte, ihre Tätigkeit auszuüben. Ihr liegt die unausgesprochene Annahme zugrunde, dass sich eine Person A, weil sie diese <i>Merkmale</i> aufweist, notwendigerweise auf eine bestimme Weise <i>verhalten</i> wird, die nach dem deontologischen Kodex nicht akzeptabel ist. Aber das ist eine Annahme; Berufs- und Standesregeln sollen dagegen ein tatsächliches Verhalten regulieren und nicht ein angenommenes zukünftiges Verhalten. Wenn man in dem Beispiel, dass ich gerade gebildet habe, „rothaarige Person“ an die Stelle von „Mönch“ setzt, zeigt sich sogleich, warum eine solche Vorschrift genau genommen keine Berufs- oder Standesregel ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Ich füge hinzu, dass, soweit ich das übersehen kann, eine solche Vorschrift außerdem in Wahrheit die nachteilig betroffene Person der von den Art. 7 und 9 der Richtlinie 98/5 gewährten Verfahrensgarantien beraubt. Nimmt man an, dass eine rothaarige Person z. B. automatisch gegen die Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf Mandanten verstoßen werde, und sie deshalb im Voraus gemaßregelt wird, indem ihre Eintragung bei der Rechtsanwaltskammer gelöscht wird, bevor sie überhaupt mit der Ausübung ihrer Tätigkeit begonnen hat, wie sollten das vorsichtige bilaterale Verfahren zwischen dem Aufnahmestaat und dem Herkunftsstaat nach Art. 7 oder das Recht auf ein gerichtliches Rechtsmittel nach Art. 9 irgendeinen realen Schutz gewähren?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Da nur Berufs- und Standesregeln von Art. 6 der Richtlinie 98/5 erfasst werden, ergibt sich, dass eine nationale Vorschrift, die gegen einen Mönch ein absolutes Verbot verhängt, die Rechtsanwaltstätigkeit auszuüben, nicht für einen zuwandernden Rechtsanwalt gilt, der für die Eintragung nach Art. 3 qualifiziert ist und seine Tätigkeit unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben möchte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Wie verhält es sich mit der oben identifizierten zweiten Regelkategorie?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 98/5 ergibt sich, dass Rechtsanwälte, die ihre Tätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung in einem Aufnahmestaat ausüben, den gleichen Berufs- und Standesregeln unterliegen wie Rechtsanwälte, die ihre Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung dieses Staates ausüben(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>). Aus den Art. 6 und 7 dieser Richtlinie folgt daher, dass solche Rechtsanwälte zwei Systemen von Berufs- und Standesregeln entsprechen müssen: den Regeln ihres Herkunftsstaats und denen des Aufnahmestaats. Verstoßen sie dagegen, drohen ihnen disziplinarische Maßnahmen und die Inanspruchnahme aus der Berufshaftpflicht(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Demnach scheint mir, dass die zuständigen Stellen des Aufnahmestaats nicht berechtigt sind, im Voraus <i>anzunehmen</i>, dass der Betroffene, weil er religiösen Gehorsam gelobt hat (oder schlimmer noch: ein Atheist oder ein Mitglied einer bestimmten politischen oder philosophischen Gruppierung ist) – sich automatisch und unvermeidlich in einer Weise verhalten wird, die gegen die Standesregeln für Rechtsanwälte in diesem Mitgliedstaat verstößt. Vielmehr müssen sie abwarten und sehen, wie sich die betreffende Person <i>in der Praxis </i>tatsächlich<i> verhält</i>. Denn das sollen <i>Berufs- und Standes</i>regeln regulieren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Wie der Gerichtshof in der Rechtssache Jakubowska entschieden hat, sind die Berufs- und Standesregeln anders als die Vorschriften über die Eintragungsvoraussetzungen nicht Gegenstand der Harmonisierung und können daher erheblich von den Vorschriften abweichen, die im Herkunftsstaat gelten. Die Nichteinhaltung dieser Vorschriften kann dazu führen, dass ein Rechtsanwalt aus dem Verzeichnis im Aufnahmestaat gelöscht wird(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>). Der Gerichtshof hat in diesem Urteil auch betont, dass das Nichtvorhandensein von Interessenskonflikten für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unerlässlich ist und insbesondere voraussetzt, dass Rechtsanwälte sich in einer Position der Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Stellen und anderen Wirtschaftsteilnehmern und Dritten befinden, von denen sie sich nicht beeinflussen lassen dürfen. Somit ist die Tatsache, dass bestimmte Berufs- und Standesregeln streng sind, als solche nicht zu beanstanden. Neben ihrer unterschiedslosen Geltung für alle in diesem Mitgliedstaat eingetragenen Rechtsanwälte, dürfen diese Vorschriften jedoch nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung ihres Ziels erforderlich ist(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Bei der Vornahme der erforderlichen Prüfung sind zuerst die von den nationalen Rechtsvorschriften verfolgten Ziele zu identifizieren(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>). Das vorlegende Gericht hat angedeutet, der Grund für das für Mönche geltende Verbot, als Rechtsanwälte tätig zu sein, bestehe darin, dass das öffentliche Interesse verlange, dass sich ein Rechtsanwalt ausschließlich seinen Aufgaben widme. Hinzu komme, dass die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit die Bearbeitung von Streitigkeiten mit sich bringe<b>, </b>was mit der Stellung eines Geistlichen unvereinbar sei. Das vorlegende Gericht erwähnt auch das Erfordernis der beruflichen Unabhängigkeit und der Freiheit bei der Bearbeitung von Fällen. Spezifische ergänzende Berufs- und Standesregeln, von denen behauptet wird, ein Mönch könne ihnen nicht nachkommen, umfassen die Verpflichtung, im geografischen Bezirk des erstinstanzlichen Gerichts, dem eine Person als Rechtsanwalt zugeordnet ist, einen Sitz und ein Büro zu unterhalten, sowie das Verbot der unentgeltlichen Erbringung von Dienstleistungen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Die angeführte Begründung scheint mir das in der Tat richtigerweise als „Ziele“ (und überdies lobenswerte Ziele) Beschreibbare, nämlich den Schutz der geordneten Rechtspflege und die Sicherstellung des Zugangs der Mandanten zu unparteiischer Beratung und ordnungsgemäßer professioneller Vertretung, mit der abermaligen Annahme zu verbinden, dass eine Person, die religiösen Gehorsam gelobt hat, offensichtlich nicht in der Lage sein werde, sich in einer diesen Zielen entsprechenden Weise zu verhalten. Basierend auf den konkreten Umständen des Berufs- und Standesverhaltens eines bestimmten Rechtsanwalts kann diese Annahme durchaus richtig sein. Allerdings kann sie auch falsch sein. Dies kann am besten an zwei (fiktiven) Beispielen gezeigt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Mönch X sieht die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit als eine intellektuelle Tätigkeit neben und in Ergänzung zu seinem religiösen Leben. Er lehnt es regelmäßig ab, Fälle für „schlechte“ Leute zu bearbeiten; er richtet seine Rechtsberatung darauf aus, dass sie in jeder Hinsicht dem entspricht, was sein Mandant seiner Meinung nach in moralischer Hinsicht tun sollte, um die religiösen Lehren der Kirche zu beachten; und in dem geografischen Bezirk, dem er als Rechtsanwalt zugeordnet ist, steht er nicht regelmäßig zur Verfügung. Sein Verhalten verstößt eindeutig gegen die detaillierten Berufs- und Standesregeln im Aufnahmestaat und unterläuft die im öffentlichen Interesse liegenden Ziele dieser Vorschriften. Es liegt auf der Hand, dass die zuständigen Stellen des Aufnahmestaats ein Disziplinarverfahren gegen Mönch X einleiten können (und tatsächlich auch einleiten sollten). Basierend auf den von mir skizzierten Umständen wird dieses Verfahren dazu führen, dass er im Verzeichnis im Aufnahmestaat gelöscht wird. Ich füge hinzu, dass er sich ebenso nach den Disziplinarvorschriften seines Herkunftsstaats in Schwierigkeiten befinden könnte. All dies wird jedoch unter Einhaltung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ablaufen, und Mönch X wird gegen die Entscheidung, ihn aus der Rechtsanwaltskammer auszuschließen, ein gerichtliches Rechtsmittel einlegen können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Mönch Y diskutiert mit seinen Kirchenoberen die beruflichen Anforderungen, die an ihn gestellt werden, wenn er mit der Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit beginnt. Gemeinsam prüfen sie Punkt für Punkt die anwendbaren Regeln. Er erhält die erforderliche Befreiung, um ordnungsgemäß einen Sitz und ein Büro in dem geografischen Bezirk zu unterhalten, dem er zugeordnet ist. Es wird vereinbart, dass er für seine Dienste die üblichen Gebühren verlangen und dieses Entgelt einer bestimmten Wohlfahrtseinrichtung übergeben wird. Er wird während des Arbeitstages von der förmlichen Anwesenheit bei den Gemeinschaftsgebeten befreit, so dass er sich ausschließlich den Aufgaben als Rechtsanwalt widmen kann. Seine Kirchenoberen stimmen zu, seine berufliche Unabhängigkeit zu respektieren. Auf dieser Grundlage beginnt Mönch Y mit der Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit; sein Verhalten als Rechtsanwalt ist tadellos. Auf der Grundlage der von mir geschilderten Umstände wäre es eindeutig objektiv nicht gerechtfertigt, ein Disziplinarverfahren gegen ihn einzuleiten, und erst recht nicht, ihn aus der Rechtsanwaltskammer auszuschließen. Auch wenn er ein Mönch ist, kommt er den maßgeblichen Berufs- und Standesregeln nach.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Ich habe bewusst fiktive Beispiele gebildet. Es ist nicht Gegenstand der Aufgaben dieses Gerichtshofs, vorauszusagen, was geschehen wird, wenn Monachos Eirinaios beginnt, seine Rechtsanwaltstätigkeit auszuüben. Das einzige Ergebnis, zu dem ich hier gelange – und, wie ich respektvoll anrege, der einzige Aspekt der Geschichte, den der Gerichtshof bei der Beantwortung der Vorlagefrage ansprechen sollte – ist, dass Art. 6 der Richtlinie 98/5 einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, einer Person, die für eine Eintragung nach Art. 3 qualifiziert ist, automatisch die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung mit der Begründung zu verweigern, dass sie sich als Person, die ein Gelübde religiösen Gehorsams abgelegt habe, <i>per definitionem</i> nicht in der Weise verhalten kann, die erforderlich ist, um die zur Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit notwendigen Garantien zu bieten.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland) wie folgt zu antworten:</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, wonach die Eintragung einer Person als Rechtsanwalt unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung mit der Begründung, sie sei Mönch, verboten ist. Art. 6 dieser Richtlinie erlaubt einem Mitgliedstaat nicht, einer Person, die für die Eintragung nach Art. 3 qualifiziert ist, automatisch die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung mit der Begründung zu verweigern, dass sie sich als Person, die ein Gelübde religiösen Gehorsams abgelegt habe, <i>per definitionem</i> nicht in der Weise verhalten kann, die erforderlich ist, um die zur Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit notwendigen Garantien zu bieten.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Englisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      „Οὐδεὶς δύναται δυσὶ κυρίοις δουλεύειν· ἢ γὰρ τòν ἕνα μισήσει καὶ τòν ἕτερον ἀγαπήσει, ἢ ἑνòς ἀνθέξεται καὶ τοῦ ἑτέρου καταφρονήσει. Οὐ δύνασθε Θεῷ δουλεύειν καὶ μαμωνᾷ“, Matthäus 6,24.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Lukas 10,25-37.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. 1998, L 77, S. 36), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013/25/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleitungsverkehrs aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien (ABl. 2013, L 158, S. 368).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Die gewöhnliche Übersetzung von „Monachos Eirinaios“ ins Englische, die Originalsprache dieser Schlussanträge, wäre „Brother Eirinaios“ (Bruder Eirinaios). Jedoch werde ich den Begriff „Monachos“ (Mönch) beibehalten, um die verschiedenen Vorstellungen und Assoziationen zu vermeiden, die mit den verschiedenen Sprachfassungen verbunden sein mögen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Richtlinie des Rates 89/48/EWG vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16), aufgehoben durch die Richtlinie 2005/36 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2005, L 255, S. 22).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Art. 5.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Vgl. jeweils Art. 7 Abs. 1 Buchst. a und c.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Art. 7 Abs. 2.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Das vorlegende Gericht teilte über Monachos Eirinaios mit, er sei Mönch im Heiligen Kloster von Petra in Karditsa. Jedoch wies der Anwalt von Monachos Eirinaios in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass dieser gegenwärtig auf der Insel Zakynthos stationiert sei.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Urteil Nr. 2368/1988 des vorlegenden Gerichts (Plenum).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Urteil Nr. 1090/1989 des vorlegenden Gerichts.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Richtlinie des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (ABl. 1977, L 78, S. 17), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013/25/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien (ABl. 2013, L 158, S. 368).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36), 33. Erwägungsgrund und Art. 1 Abs. 1.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Zweiter Erwägungsgrund und Art. 1 der Richtlinie 77/249.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Vgl. Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 98/5. Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 2. Dezember 2010, Jakubowska (C‑225/09, EU:C:2010:729).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      42. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36. Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 3. Februar 2011, Ebert (C‑359/09, EU:C:2011:44), eine Rechtssache, die die Richtlinie 89/48, die durch die Richtlinie 2005/36 aufgehoben worden ist, und die Richtlinie 98/5 betraf, entschieden, dass diese beiden Richtlinien einander dadurch ergänzen, dass sie für die Rechtsanwälte der Mitgliedstaaten zwei Wege des Zugangs zum Rechtsanwaltsberuf in einem Aufnahmemitgliedstaat unter der dortigen Berufsbezeichnung einführen (vgl. Rn. 27 bis 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      33. Erwägungsgrund und Art.1 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Erwägungsgründe 1 und 5 sowie Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/5. Vgl. auch den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, KOM(94) 572 endg. (im Folgenden: Kommissionsvorschlag), Ziff. 1.3.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Erwägungsgründe 1, 5 und 6.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Sechster Erwägungsgrund der Richtlinie 98/5 und das Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 56).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Neunter Erwägungsgrund. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2000, Luxemburg/Parlament und Rat (C‑168/98, EU:C:2000:598), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass der „Gemeinschaftsgesetzgeber … um einer bestimmten Kategorie zuwandernder Rechtsanwälte die Ausübung der Niederlassungsfreiheit, einer Grundfreiheit, zu erleichtern, einer Regelung, die eine Unterrichtung des Verbrauchers, Beschränkungen hinsichtlich des Umfangs und der Modalitäten der Ausübung bestimmter mit dem Beruf verbundener Tätigkeiten, eine Kumulierung der zu beachtenden Berufs- und Standesregeln, eine Versicherungspflicht sowie eine die zuständigen Stellen des Herkunftsstaats und des Aufnahmestaats einbeziehende Disziplinarregelung miteinander verknüpft, den Vorzug vor einem System der Vorabkontrolle einer Qualifikation im nationalen Recht des Aufnahmestaats gegeben [hat]. Er hat nicht die Verpflichtung zur Kenntnis des nationalen Rechts beseitigt, das in den vom betreffenden Anwalt bearbeiteten Rechtssachen anwendbar ist, sondern lediglich den Anwalt von der Verpflichtung befreit, diese Kenntnisse im Voraus nachzuweisen“ (Rn. 43). Ich füge hinzu, dass der DSA, da die Berufsbezeichnung für einen nach griechischem Recht und einen nach zyprischem Recht qualifizierten Rechtsanwalt die gleiche ist („Δικηγόρος“), meines Erachtens berechtigt wäre, von Monachos Eirinaios die Angabe zu verlangen, dass er nicht nach griechischem Recht qualifiziert ist, beispielsweise durch Verwendung des Zusatzes „(Κύπρος)“ nach seiner Berufsbezeichnung. Siehe oben, Nrn. 8 und 9.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Vgl. Kommissionsvorschlag, Ziff. 2.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Vgl. auch Kommissionsvorschlag, Ziff. 3.3, der betont, dass sich der Vorschlag darauf beschränkt, die Mindestvoraussetzungen festzulegen, die zuwandernde Rechtsanwälte erfüllen müssen. Im Übrigen verweist er auf die Regeln, insbesondere auf die Berufs- und Standesregeln, die im Aufnahmestaat für Rechtsanwälte gelten, die unter der Berufsbezeichnung dieses Staates praktizieren.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Urteil vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 66 und 67).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 9 und 40).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Urteil vom 19. September 2006 (C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 77). Vgl. auch Urteil vom 19. September 2006, Kommission/Luxemburg (C‑193/05, EU:C:2006:588, Rn. 40).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Art. 7 Abs. 1 Buchst. a des Rechtsanwaltskodex, siehe oben, Nr. 22.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Urteil vom 3. Februar 2011, Ebert (C‑359/09, EU:C:2011:44, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Urteil vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 74).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Urteil vom 2. Dezember 2010, Jakubowska (C‑225/09, EU:C:2010:729, Rn. 57).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Urteil vom 2. Dezember 2010, Jakubowska (C‑225/09, EU:C:2010:729, Rn. 59 bis 62).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Vgl. in diesem Sinne und nur entsprechend Urteil vom 21. Oktober 1999, Zenatti (C‑67/98, EU:C:1999:514, Rn. 26 und 30).</p>
|
175,074 | eugh-2018-12-19-c-5118 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
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"state": 19,
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"level_of_appeal": null
} | C-51/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:16 | 2019-01-31T19:21:16 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1035 | <p class="sum-title-1">
<a id="judgment"/>URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">19. Dezember 2018 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62018CJ0051_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62018CJ0051_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Steuer – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 – Verwaltungspraxis, wonach die dem Urheber des Originals eines Kunstwerks zustehende Folgerechtsvergütung der Mehrwertsteuer unterworfen wird“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑51/18</p>
<p class="normal">betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 29. Januar 2018,</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Europäische Kommission</span>, vertreten durch N. Gossement und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,</p>
<p class="pstatus">Klägerin,</p>
<p class="pnormal">gegen</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Republik Österreich</span>, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,</p>
<p class="pstatus">Beklagte,</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter) und M. Safjan,</p>
<p class="normal">Generalanwalt: M. Wathelet,</p>
<p class="normal">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="normal">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="normal">aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="normal">folgendes</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2006:347:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2006, L 347, S. 1</a>, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) verstoßen hat, dass sie die dem Urheber des Originals eines Kunstwerks aufgrund des Folgerechts zustehende Vergütung der Mehrwertsteuer unterwirft.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Rechtlicher Rahmen</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Unionsrecht</span>
</span>
</p>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Mehrwertsteuerrichtlinie</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Erwägungsgründe 3 und 5 der Mehrwertsteuerrichtlinie lauten:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">„(3)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Einklang mit dem Grundsatz besserer Rechtsetzung sollten zur Gewährleistung der Klarheit und Wirtschaftlichkeit der Bestimmungen die Struktur und der Wortlaut der Richtlinie neu gefasst werden; dies sollte jedoch grundsätzlich nicht zu inhaltlichen Änderungen des geltenden Rechts führen. Einige inhaltliche Änderungen ergeben sich jedoch notwendigerweise im Rahmen der Neufassung und sollten dennoch vorgenommen werden. Soweit sich solche Änderungen ergeben, sind sie in den Bestimmungen über die Umsetzung und das Inkrafttreten der Richtlinie erschöpfend aufgeführt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">(5)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die größte Einfachheit und Neutralität eines Mehrwertsteuersystems wird erreicht, wenn die Steuer so allgemein wie möglich erhoben wird und wenn ihr Anwendungsbereich alle Produktions- und Vertriebsstufen sowie den Bereich der Dienstleistungen umfasst. Es liegt folglich im Interesse des Binnenmarktes und der Mitgliedstaaten, ein gemeinsames System anzunehmen, das auch auf den Einzelhandel Anwendung findet.“</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point3">3</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:</p>
<p class="normal">„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">c)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point4">4</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:</p>
<p class="normal">„Als ‚Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point5">5</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 25 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:</p>
<p class="normal">„Eine Dienstleistung kann unter anderem in einem der folgenden Umsätze bestehen:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Abtretung eines nicht körperlichen Gegenstands, gleichgültig, ob in einer Urkunde verbrieft oder nicht;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">c)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Erbringung einer Dienstleistung auf Grund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes.“</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point6">6</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:</p>
<p class="normal">„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Richtlinie 2001/84/EG</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point7">7</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2001:272:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2001, L 272, S. 32</a>) lautet:</p>
<p class="normal">„Das Folgerecht soll den Urhebern von Werken der bildenden Künste eine wirtschaftliche Beteiligung am Erfolg ihrer Werke garantieren. Auf diese Weise soll ein Ausgleich zwischen der wirtschaftlichen Situation der bildenden Künstler und der Situation der anderen Kunstschaffenden hergestellt werden, die aus der fortgesetzten Verwertung ihrer Werke Einnahmen erzielen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point8">8</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 1 („Gegenstand des Folgerechts“) der Richtlinie 2001/84 sieht vor:</p>
<p class="normal">„(1)   Die Mitgliedstaaten sehen zugunsten des Urhebers des Originals eines Kunstwerks ein Folgerecht vor, das als unveräußerliches Recht konzipiert ist, auf das der Urheber auch im Voraus nicht verzichten kann; dieses Recht gewährt einen Anspruch auf Beteiligung am Verkaufspreis aus jeder Weiterveräußerung nach der ersten Veräußerung durch den Urheber.</p>
<p class="normal">(2)   Das Recht nach Absatz 1 gilt für alle Weiterveräußerungen, an denen Vertreter des Kunstmarkts wie Auktionshäuser, Kunstgalerien und allgemein Kunsthändler als Verkäufer, Käufer oder Vermittler beteiligt sind.</p>
<p class="normal">(3)   Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass das Recht nach Absatz 1 auf Weiterveräußerungen nicht anzuwenden ist, wenn der Veräußerer das Werk weniger als drei Jahre vor der betreffenden Weiterveräußerung unmittelbar beim Urheber erworben hat und wenn der bei der Weiterveräußerung erzielte Preis 10000 [Euro] nicht übersteigt.</p>
<p class="normal">(4)   Die Folgerechtsvergütung wird vom Veräußerer abgeführt. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass eine – vom Veräußerer verschiedene – natürliche oder juristische Person nach Absatz 2 allein oder gemeinsam mit dem Veräußerer für die Zahlung der Folgerechtsvergütung haftet.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point9">9</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 3 („Mindestbetrag“) der Richtlinie 2001/84 bestimmt:</p>
<p class="normal">„(1)   Die Mitgliedstaaten setzen einen Mindestverkaufspreis fest, ab dem die Veräußerungen im Sinne des Artikels 1 dem Folgerecht unterliegen.</p>
<p class="normal">(2)   Dieser Mindestverkaufspreis darf 3000 [Euro] in keinem Fall überschreiten.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point10">10</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 4 („Sätze“) der Richtlinie 2001/84 sieht vor:</p>
<p class="normal">„(1)   Die Folgerechtsvergütung nach Artikel 1 beträgt:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">4 % für die Tranche des Verkaufspreises bis zu 50000 [Euro],</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">3 % für die Tranche des Verkaufspreises von 50000,01 bis 200000 [Euro],</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">c)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">1 % für die Tranche des Verkaufspreises von 200000,01 bis 350000 [Euro],</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">d)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">0,5 % für die Tranche des Verkaufspreises von 350000,01 bis 500000 [Euro],</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">e)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">0,25 % für die Tranche des Verkaufspreises über 500000 [Euro].</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">Der Gesamtbetrag der Folgerechtsvergütung darf jedoch 12500 [Euro] nicht übersteigen.</p>
<p class="normal">(2)   Abweichend von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten einen Satz von 5 % auf die Tranche des Verkaufspreises nach Absatz 1 Buchstabe a) anwenden.</p>
<p class="normal">(3)   Setzt ein Mitgliedstaat einen niedrigeren Mindestverkaufspreis als 3000 [Euro] fest, so bestimmt er auch den Satz, der für die Tranche des Verkaufspreises bis zu 3000 [Euro] gilt; dieser Satz darf nicht unter 4 % liegen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Österreichisches Recht</span>
</span>
</p>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Urheberrechtsgesetz</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point11">11</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Urheberrechtsgesetz vom 9. April 1936 (BGBl. Nr. 111/1936) in der für die vorliegende Rechtssache maßgeblichen Fassung (im Folgenden: UrhG) sieht im III. Abschnitt die dem Urheber zustehenden Rechte vor, darunter das Verwertungsrecht, das Vervielfältigungsrecht und das Verbreitungsrecht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point12">12</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 16 („Verbreitungsrecht“) UrhG sieht vor:</p>
<p class="normal">„(1)   Der Urheber hat das ausschließliche Recht, Werkstücke zu verbreiten. Kraft dieses Rechtes dürfen Werkstücke ohne seine Einwilligung weder feilgehalten noch auf eine Art, die das Werk der Öffentlichkeit zugänglich macht, in Verkehr gebracht werden.</p>
<p class="normal">(2)   Solange ein Werk nicht veröffentlicht ist, umfasst das Verbreitungsrecht auch das ausschließliche Recht, das Werk durch öffentliches Anschlagen, Auflegen, Aushängen, Ausstellen oder durch eine ähnliche Verwendung von Werkstücken der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.</p>
<p class="normal">(3)   Dem Verbreitungsrecht unterliegen – vorbehaltlich des § 16a – Werkstücke nicht, die mit Einwilligung des Berechtigten durch Übertragung des Eigentums in einem Mitgliedstaat der Europäischen [Union] oder in einem Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraums in Verkehr gebracht worden sind.</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(5)   Wo sich dieses Gesetz des Ausdrucks ‚ein Werk verbreiten‘ bedient, ist darunter nur die nach den Absätzen 1 bis 3 dem Urheber vorbehaltene Verbreitung von Werkstücken zu verstehen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point13">13</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 16b („Folgerecht“) UrhG bestimmt:</p>
<p class="normal">„(1)   § 16 Abs. 3 gilt für die Weiterveräußerung des Originals eines Werkes der bildenden Künste nach der ersten Veräußerung durch den Urheber mit der Maßgabe, dass der Urheber gegen den Veräußerer einen Anspruch auf eine Vergütung in der Höhe des folgenden Anteils am Verkaufspreis ohne Steuern (Folgerechtsvergütung) hat:</p>
<p class="normal">4 % von den ersten 50000 [Euro],</p>
<p class="normal">3 % von den weiteren 150000 [Euro],</p>
<p class="normal">1 % von den weiteren 150000 [Euro],</p>
<p class="normal">0,5 % von den weiteren 150000 [Euro],</p>
<p class="normal">0,25 % von allen weiteren Beträgen;</p>
<p class="normal">die Vergütung beträgt insgesamt jedoch höchstens 12500 [Euro].</p>
<p class="normal">(2)   Der Anspruch auf Folgerechtsvergütung steht nur zu, wenn der Verkaufspreis mindestens 2500 [Euro] beträgt und an der Veräußerung ein Vertreter des Kunstmarkts – wie ein Auktionshaus, eine Kunstgalerie oder ein sonstiger Kunsthändler – als Verkäufer, Käufer oder Vermittler beteiligt ist; diese Personen haften als Bürge und Zahler, soweit sie nicht selbst zahlungspflichtig sind. Auf den Anspruch kann im Voraus nicht verzichtet werden. Der Anspruch kann auch durch Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden; im Übrigen ist der Anspruch unveräußerlich. § 23 Abs. 1 gilt sinngemäß.</p>
<p class="normal">(3)   Als Originale im Sinn des Abs. 1 gelten Werkstücke,</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die vom Urheber selbst geschaffen worden sind,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">2.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die vom Urheber selbst oder unter seiner Leitung in begrenzter Auflage hergestellt und in der Regel nummeriert sowie vom Urheber signiert oder auf andere geeignete Weise autorisiert worden sind,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">3.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die sonst als Originale angesehen werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">(4)   Ein Anspruch auf Folgerechtsvergütung steht nicht zu, wenn der Verkäufer das Werk vor weniger als drei Jahren vom Urheber erworben hat und der Verkaufspreis 10000 [Euro] nicht übersteigt.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Umsatzsteuergesetz 1994</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point14">14</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 1 des Umsatzsteuergesetzes vom 23. August 1994 (BGBl. Nr. 663/1994) in der für die vorliegende Rechtssache maßgeblichen Fassung (im Folgenden: UStG 1994) bestimmt:</p>
<p class="normal">„(1)   Der Umsatzsteuer unterliegen folgende Umsätze:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Umsatz aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point15">15</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In § 3 UStG 1994 heißt es:</p>
<p class="normal">„(1)   Lieferungen sind Leistungen, durch die ein Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Die Verfügungsmacht über den Gegenstand kann von dem Unternehmer selbst oder in dessen Auftrag durch einen Dritten verschafft werden.</p>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point16">16</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 3a Abs. 1 UStG 1994 sieht vor:</p>
<p class="normal">„Sonstige Leistungen sind Leistungen, die nicht in einer Lieferung bestehen. Eine sonstige Leistung kann auch in einem Unterlassen oder im Dulden einer Handlung oder eines Zustandes bestehen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Vorverfahren</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point17">17</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Mahnschreiben vom 17. Oktober 2014 machte die Kommission die Republik Österreich auf Bedenken hinsichtlich der Verwaltungspraxis aufmerksam, die dem Urheber eines Originalwerks aus dem Folgerecht zustehende Vergütung mit Mehrwertsteuer zu belasten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point18">18</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In dem Mahnschreiben vertrat die Kommission die Auffassung, dass diese Vergütung keine Gegenleistung für die künstlerische Leistung des Urhebers eines solchen Werks sei. Das Folgerecht werde unmittelbar durch das Gesetz gewährt, um es dem Urheber zu ermöglichen, am Erfolg seines Werks billigerweise teilzuhaben. Da es an einer Lieferung oder Dienstleistung des Urhebers bei der Ausübung des Folgerechts fehle, liege kein Vorgang vor, der der Mehrwertsteuer unterliege.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point19">19</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Republik Österreich beantwortete das Mahnschreiben mit Schreiben vom 16. Dezember 2014.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point20">20</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Republik Österreich führte aus, das Folgerecht solle dem Urheber eine Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg seines Werks garantieren. Dass der Urheber nicht an der Vereinbarung zwischen dem Verkäufer und dem Käufer im Rahmen der Weiterveräußerung des betreffenden Werks beteiligt sei, stehe einer Besteuerung der vom Urheber aus dem Folgerecht erzielten Vergütung nicht entgegen. Vielmehr gebiete der Grundsatz der Neutralität des Mehrwertsteuersystems, dass diese Vergütung ebenfalls mit Mehrwertsteuer belastet werde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point21">21</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem ermögliche es das Folgerecht, die Wertsteigerung des Werks bei seiner Weiterveräußerung zu berücksichtigen. Hilfsweise sei daraus eine Erhöhung der Steuerbemessungsgrundlage der Leistung des Urhebers beim Erstverkauf abzuleiten. Da diese erste einheitliche Leistung der Umsatzsteuer unterliege, müsse auch die Folgerechtsvergütung der Umsatzsteuer unterliegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point22">22</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Da die Antworten der Republik Österreich die Kommission nicht zufriedenstellten, richtete sie am 25. Juli 2016 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Österreich, in der sie daran festhielt, dass es sich bei der Folgerechtsvergütung nicht um eine Gegenleistung für die vom Urheber bei der ersten Veräußerung erbrachte Lieferung oder Dienstleistung handle. Das Folgerecht solle lediglich sicherstellen, dass der Urheber aus den mit der Anerkennung seiner künstlerischen Leistung verbundenen wirtschaftlichen Vorteilen einen Nutzen habe, und der Urheber könne sich einer Weiterveräußerung seines Werks nicht widersetzen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point23">23</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Republik Österreich beantwortete die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 22. September 2016 und machte erneut im Wesentlichen geltend, dass die Folgerechtsvergütung besteuert werden dürfe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point24">24</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sie führte aus, im Rahmen des Folgerechts erbringe der Künstler eine Leistung, indem er den Weiterverkauf des Werks dulde. Auch wenn diese Leistung für Urheber des Originals eines Kunstwerks gesetzlich vorgesehen sei, sei sie mit der Leistung vergleichbar, die andere Kunstschaffende bei der Aufführung ihrer Werke erbrächten. Da die Vergütung für die Aufführung dieser Werke als Entgelt für eine Dienstleistung der Umsatzsteuer unterliege, müsse die Folgerechtsvergütung ebenfalls der Umsatzsteuer unterliegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point25">25</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Republik Österreich hielt an ihrer hilfsweisen Argumentation fest, wonach die Besteuerung der Folgerechtsvergütung auch deshalb gerechtfertigt sei, weil sie die Steuerbemessungsgrundlage der Leistung erhöhe, die der Künstler beim ersten Inverkehrbringen seines Werks erbracht habe. Für eine Änderung der Steuerbemessungsgrundlage komme es nicht auf das Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Urheber und dem Verkäufer des Werks oder dessen späterem Käufer an, sondern darauf, dass dem Urheber aufgrund des Folgerechts die Wertsteigerung des Werks zugutekomme.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point26">26</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Da die Antworten der Republik Österreich die Kommission nicht zufriedenstellten, hat sie die vorliegende Klage erhoben.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zur Klage</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Vorbringen der Parteien</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point27">27</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Kommission ist der Ansicht, dass die Pflicht der an der Weiterveräußerung eines Werks Beteiligten, eine Vergütung an den Urheber zu entrichten, allein dazu diene, eine gerechte Beteiligung des Urhebers am Wert seines Originalwerks sicherzustellen. Diese gerechte Beteiligung stelle aber nicht den Gegenwert für eine Leistung des Urhebers dar, denn sie stehe nur in Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wert des Originalwerks, der sich für den Urheber aus dem ohne seine Genehmigung erfolgenden Weiterverkauf seines Werks ergebe. Die Höhe der Vergütung werde durch Gesetz endgültig festgelegt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point28">28</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem ergebe sich aus dem Urteil vom 18. Januar 2017, SAWP (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑37/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:22</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point25" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">25</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point26" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">26</a>), dass eine Lieferung oder Leistung im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie nur dann gegen Entgelt erbracht werde, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehe, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht würden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Leistung bilde. Zwischen der erbrachten Leistung und dem erhaltenen Gegenwert müsse also ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellten, die im Rahmen eines Rechtsverhältnisses, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht würden, erbracht worden sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point29">29</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die dem Urheber zu zahlende Vergütung aus dem Folgerecht sei jedoch offensichtlich kein Gegenwert für eine vom Urheber erbrachte Leistung, sondern richte sich allein nach dem bei der Weiterveräußerung des Werks erzielten Preis, auf dessen Höhe der Urheber keinen Einfluss habe. Dem Urheber stehe die Vergütung zu, ohne dass er irgendeine Leistung – sei es durch Tun oder durch Unterlassen – erbringen müsse oder erbringen könne. Demzufolge sei die Vergütung aus dem Folgerecht kein Entgelt für eine Lieferung oder Leistung im Sinne von Art. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point30">30</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem könne, da der Urheber die Weiterveräußerung eines Werks weder verhindern noch sonst Einfluss darauf nehmen könne und somit keine Leistung mehr erbringe, nicht angenommen werden, dass er eine Leistung in Form der Duldung der Weiterveräußerung erbringe. Das Folgerecht zähle daher auch nicht zu den urheberrechtlichen Nutzungs- und Verwertungsrechten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point31">31</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Darüber hinaus sei das im Vorverfahren geltend gemachte Argument der Republik Österreich zurückzuweisen, wonach es gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen würde, die fortgesetzte Verwertung der Rechte anderer Kunstschaffender der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, die Folgerechtsvergütung aber nicht. Da die Lage der Urheber von Originalen eines Kunstwerks hinsichtlich des ihnen bei der Ausübung weiterhin bestehender Nutzungs- und Verwertungsrechte gebührenden Entgelts nicht der anderer Kunstschaffender entspreche, stehe es auch dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer nicht entgegen, wenn das Entgelt dieser anderen Kunstschaffenden besteuert werde, die Folgerechtsvergütung dagegen nicht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point32">32</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Gleiche gelte für das Argument der Republik Österreich, wonach die Vergütung aus dem Folgerecht der Mehrwertsteuer unterliegen müsse, weil sich für den Urheber des Originals dadurch die Steuerbemessungsgrundlage seiner beim ersten Inverkehrbringen des Originals erbrachten Leistung ändere. Die Folgerechtsvergütung, die anhand des bei der Weiterveräußerung des Werks erzielten Verkaufspreises berechnet werde, sei völlig unabhängig davon, welches Entgelt der Urheber mit dem ersten Erwerber des Werks vereinbart habe. Der Urheber habe z. B. auch dann Anspruch auf die Folgerechtsvergütung, wenn er das Original verschenkt habe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point33">33</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In ihrer Klagebeantwortung trägt die Republik Österreich vor, die dem Urheber eines Werks gebührende Folgerechtsvergütung müsse der Umsatzsteuer unterliegen, da der Weiterverkauf dieses Werks ein Leistungsaustausch im Rahmen eines Rechtsverhältnisses sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point34">34</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Unter Berufung auf die Urteile vom 3. September 2015, Asparuhovo Lake Investment Company (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A542&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑463/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A542&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2015:542</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A542&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point35" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">35</a>), und vom 29. Oktober 2015, Saudaçor (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A733&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑174/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A733&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2015:733</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A733&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point32" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">32</a>), macht die Republik Österreich geltend, Voraussetzung für die Umsatzsteuerbarkeit einer Leistung sei, dass zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Nach den Urteilen vom 3. März 1994, Tolsma (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1994%3A80&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑16/93</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1994%3A80&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:1994:80</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1994%3A80&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point14" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">14</a> ff.), und vom 29. Oktober 2015, Saudaçor (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A733&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑174/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A733&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2015:733</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A733&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point32" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">32</a>), liege solch ein unmittelbarer Zusammenhang vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehe, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht würden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bilde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point35">35</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Somit unterliege die Folgerechtsvergütung der Umsatzsteuer, wenn es zu einem Leistungsaustausch komme, der im Rahmen eines Rechtsverhältnisses erbracht werde. Beide Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point36">36</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Was insbesondere das Vorliegen eines Leistungsaustauschs betreffe, sei das Urteil vom 18. Januar 2017, SAWP (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑37/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:22</a>), nicht einschlägig, da sich die darin entwickelte Argumentation des Gerichtshofs nicht auf die Folgerechtsvergütung übertragen lasse, die nicht mit einem echten Schadensersatz vergleichbar sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point37">37</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Folgerechtsvergütung solle dem Künstler eine wirtschaftliche Beteiligung am Erfolg seines Werks gewähren. Aufgrund der Erschöpfung seines Verbreitungsrechts habe der Künstler den Weiterverkauf seines Werks zu dulden, und die Folgerechtsvergütung sei damit verknüpft. Der Künstler erhalte ein Entgelt dafür, dass sein Werk weiterverkauft werde und zwischenzeitlich an Wert gewonnen habe. Die Folgerechtsvergütung habe also einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Leistung des Künstlers. Sie entspreche daher im Wesentlichen einer steuerbaren (Gegen‑)Leistung, die zu der (Gegen‑)Leistung beim Kauf des Kunstwerks hinzukomme. Insofern könne man in der Folgerechtsvergütung eine Art Enteignungsentschädigung sehen, die typischerweise der Umsatzsteuer unterliege.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point38">38</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Republik Österreich wiederholt außerdem ihr im Vorverfahren geltend gemachtes Argument, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es nicht zulasse, gleichartige Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Umsatzsteuer unterschiedlich zu behandeln.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point39">39</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Darüber hinaus macht sie geltend, selbst wenn die Folgerechtsvergütung kein Entgelt für eine eigenständige Dienstleistung sein sollte, erhöhe sie gleichwohl die Steuerbemessungsgrundlage des Umsatzes zwischen dem Urheber des Kunstwerks und dessen Erstkäufer.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point40">40</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit verweist die Republik Österreich auf den dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/84, wonach das Folgerecht dem Ausgleich von Wertsteigerungen diene. Bedenke man in diesem Zusammenhang, dass manche Originalwerke mit voranschreitender Zeit starke Wertsteigerungen aufwiesen, die bei einer Weiterveräußerung nicht dem Urheber, sondern dem jeweiligen Verkäufer zugutekämen, könne die Folgerechtsvergütung als Beteiligung des Urhebers an dieser Wertsteigerung qualifiziert werden. Daher sei sie mit einer Wertsicherung vergleichbar, die dem Urheber kraft Gesetzes zustehe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Würdigung durch den Gerichtshof</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point41">41</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit ihrer Klage wirft die Kommission der Republik Österreich vor, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie verstoßen zu haben, dass sie die Vergütung, die dem Urheber des Originals eines Kunstwerks aufgrund des Folgerechts gebührt, der Mehrwertsteuer unterwirft.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point42">42</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen sowie Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt bzw. erbringt, der Mehrwertsteuer.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point43">43</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ohne dass über die – von den Parteien im Übrigen nicht aufgeworfene – Frage entschieden zu werden braucht, ob die Zahlung der Folgerechtsvergütung als „Lieferung von Gegenständen“ oder als „Dienstleistung“ im Sinne der genannten Bestimmung qualifiziert werden kann, ist somit zu prüfen, ob eine solche Zahlung gegen Entgelt erfolgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2017, SAWP, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑37/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:22</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point24" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">24</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point44">44</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Hierzu ergibt sich aus einer ständigen Rechtsprechung, dass eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung nur dann im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie gegen Entgelt erbracht wird, wenn zwischen dem Veräußerer bzw. Leistenden und dem Erwerber bzw. Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Veräußerer oder Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für den Gegenstand oder die Dienstleistung bildet, der oder die dem Erwerber oder Leistungsempfänger geliefert bzw. erbracht wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2017, SAWP, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑37/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:22</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A22&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point25" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">25</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point45">45</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Republik Österreich vertritt erstens die Auffassung, dass es sich bei der Folgerechtsvergütung um die Gegenleistung bei einem Leistungsaustausch im Rahmen eines Rechtsverhältnisses handle. Sie stellt zwar nicht in Abrede, dass der Urheber des Originals eines Kunstwerks nicht an der Vereinbarung zwischen dem Verkäufer und dem Käufer über den Weiterverkauf des Kunstwerks beteiligt ist, meint aber, dass er durch die Duldung des Weiterverkaufs eine Leistung im Rahmen eines Rechtsverhältnisses erbringe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point46">46</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dazu ist festzustellen, dass zwar nach Art. 25 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Dienstleistung u. a. in der Duldung einer Handlung oder eines Zustands bestehen kann.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point47">47</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Entgegen der von der Republik Österreich offenbar vertretenen Auffassung entsteht jedoch das Rechtsverhältnis, in dessen Rahmen der Weiterverkauf eines Originalwerks erfolgt, allein zwischen dem Verkäufer und dem Käufer, ohne dass das Bestehen eines Folgerechts des Urhebers dieses Werks darauf Einfluss hätte. Folglich kann nicht angenommen werden, dass der Urheber dadurch, dass er in den Genuss des Folgerechts kommt, in irgendeiner Weise – sei es auch nur mittelbar – am Weiterverkauf beteiligt wäre, insbesondere indem er dieses Geschäft duldet.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point48">48</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zunächst treffen nämlich die Parteien des Weiterverkaufs eine freie Vereinbarung über die Übertragung des betreffenden Werks durch den Verkäufer und über den vom Käufer zu zahlenden Preis, ohne den Urheber des Werks in irgendeiner Weise um Zustimmung ersuchen oder konsultieren zu müssen. Der Urheber verfügt über kein Mittel, das es ihm ermöglicht, in den Weiterverkauf einzugreifen und ihn insbesondere zu verhindern, falls er nicht mit ihm einverstanden sein sollte.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point49">49</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sodann hat der Urheber des Originals eines Kunstwerks, das weiterverkauft wird, gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 Anspruch auf eine Beteiligung am Verkaufspreis aus der Weiterveräußerung dieses Werks, die grundsätzlich vom Verkäufer zu zahlen ist. Da jedoch das Folgerecht dieses Urhebers, aus dem sich die Pflicht des Verkäufers ergibt, ihm die dafür vorgesehene Vergütung zu zahlen, auf dem Willen des Unionsgesetzgebers beruht, ist davon auszugehen, dass es nicht im Rahmen eines jedweden Rechtsverhältnisses zwischen dem Urheber und dem Verkäufer Anwendung findet.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point50">50</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Schließlich soll das Folgerecht nach dem Willen des Unionsgesetzgebers, der im ersten Satz des dritten Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/84 zum Ausdruck kommt, den Urhebern der von ihr erfassten Originalkunstwerke, d. h. von Werken der bildenden Künste, eine wirtschaftliche Beteiligung am Erfolg ihrer Werke garantieren. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber den Urhebern keineswegs die Möglichkeit geben will, sich an den Umsätzen des Weiterverkaufs ihrer Werke zu beteiligen, sondern ihnen lediglich einen Anspruch auf Beteiligung an den wirtschaftlichen Ergebnissen der Weiterverkäufe nach deren Abschluss verschaffen will.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point51">51</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Unter diesen Umständen ist das Vorbringen der Republik Österreich zurückzuweisen, wonach die Folgerechtsvergütung die Gegenleistung bei einem Leistungsaustausch im Rahmen eines Rechtsverhältnisses sei, an dem der Urheber durch die Duldung des Weiterverkaufs teilhabe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point52">52</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zweitens meint die Republik Österreich, dass die Leistung, die der Urheber eines von der Richtlinie 2001/84 erfassten Originals eines Kunstwerks im Rahmen des Folgerechts erbringe, mit Leistungen vergleichbar sei, die andere Kunstschaffende bei der Aufführung ihrer Werke erbrächten. Da diese Leistungen der Mehrwertsteuer unterlägen, müsse dies auch für die Leistung gelten, die der Urheber des Originals eines Kunstwerks im Rahmen des Folgerechts erbringe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point53">53</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Hierzu ist dem zweiten Satz des dritten Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/84 zu entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber den Unterschied zwischen der wirtschaftlichen Situation der bildenden Künstler und der Situation der anderen Kunstschaffenden herausstellen wollte, weil Letztere im Gegensatz zu Ersteren Einnahmen aus der fortgesetzten Verwertung ihrer Werke erzielten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point54">54</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie die Kommission zutreffend ausführt, bestehen nämlich Werke der bildenden Kunst nur ein einziges Mal, und die mit ihnen verbundenen Nutzungs- und Verwertungsrechte sind mit ihrem erstmaligen Inverkehrbringen erschöpft. Andere Werkstücke werden dagegen wiederholt zur Verfügung gestellt, und das ihren Urhebern dafür gebührende Entgelt vergütet eine Leistung, die in der wiederholten Zurverfügungstellung besteht. Die Vergütung aus dem Folgerecht ist somit nicht mit dem Entgelt für die Ausübung der fortbestehenden Nutzungs- und Verwertungsrechte an diesen anderen Werken vergleichbar.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point55">55</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, mit dem der Unionsgesetzgeber im Bereich der Mehrwertsteuer den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung zum Ausdruck gebracht hat, verlangt aber nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs u. a., dass unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2012, Lietuvos geležinkeliai, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A496&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑250/11</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A496&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2012:496</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A496&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point44" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">44</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A496&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point45" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">45</a> sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point56">56</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Anbetracht der Feststellung in Rn. 54 des vorliegenden Urteils kann somit der Umstand, dass die Vergütungen aus den Rechten auf fortgesetzte Nutzung und Verwertung anderer Werke als solcher der bildenden Künste der Mehrwertsteuer unterliegen, ihre Erhebung auch auf die Folgerechtsvergütung nicht rechtfertigen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point57">57</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Folgerechtsvergütung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gegen Entgelt entrichtet wird.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point58">58</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Drittens ist das hilfsweise vorgebrachte Argument der Republik Österreich zurückzuweisen, wonach die Folgerechtsvergütung der Mehrwertsteuer unterliegen müsse, weil sich für den Urheber des Originalwerks die Steuerbemessungsgrundlage der Leistung ändere, die er beim ersten Inverkehrbringen des Originalwerks erbracht habe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point59">59</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie aus Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie hervorgeht, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage bei Dienstleistungen nämlich alles, was den Wert der Gegenleistung der erbrachten Dienstleistung bildet. Da die Folgerechtsvergütung aber, wie sich aus dem vorliegenden Urteil ergibt, nicht die Gegenleistung für die vom Urheber beim ersten Inverkehrbringen seines Werks erbrachte Leistung oder für eine andere von ihm erbrachte Leistung ist, kann sie keine Änderung der Steuerbemessungsgrundlage der vom Urheber beim ersten Inverkehrbringen seines Werks erbrachten Leistung bewirken.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point60">60</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach alledem hat die Republik Österreich, da die dem Urheber des Originals eines Kunstwerks aufgrund des Folgerechts zustehende Vergütung nicht unter Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dieser Bestimmung verstoßen, dass sie eine solche Vergütung der Mehrwertsteuer unterwirft.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Kosten</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point61">61</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Republik Österreich beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">1.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verstoßen, dass sie die dem Urheber des Originals eines Kunstwerks aufgrund des Folgerechts zustehende Vergütung der Mehrwertsteuer unterwirft.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">2.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Die Republik Österreich trägt die Kosten.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Vilaras</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Malenovský</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Safjan</p>
</div>
</div>
<p class="normal">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Dezember 2018.</p>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Der Kanzler</p>
<p class="normal">A. Calot Escobar</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Der Präsident</p>
<p class="normal">K. Lenaerts</p>
</div>
</div>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62018CJ0051_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62018CJ0051_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
175,073 | eugh-2018-12-19-c-41417 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-414/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:16 | 2019-01-31T19:21:16 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1027 | <p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">19. Dezember 2018(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i und iii – Art. 3 Abs. 1 – Innergemeinschaftlicher Erwerb verbrauchsteuerpflichtiger Waren – Art. 138 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b – Innergemeinschaftliche Lieferungen – Reihengeschäfte mit einer einzigen Beförderung – Zuordnung der Beförderung – Beförderung im Verfahren der Steueraussetzung – Auswirkung auf die Einstufung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑414/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 29. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juli 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>AREX CZ a.s.</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Odvolací finanční ředitelství</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwältin: J. Kokott,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        des Odvolací finanční ředitelství, vertreten durch T. Rozehnal, D. Jeroušek und D. Švancara als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der tschechischen Regierung, vertreten durch J. Vláčil, O. Serdula und M. Smolek als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios, Z. Malůšková und R. Lyal als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. Juli 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i und iii der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der AREX CZ a.s. (im Folgenden: Arex) und dem Odvolací finanční ředitelství (Einspruchsfinanzdirektion, Tschechische Republik) (im Folgenden: Finanzdirektion) über den Abzug der Mehrwertsteuer durch Arex für Erwerbe von Kraftstoffen bei tschechischen Lieferern, wobei die Kraftstoffe unter Steueraussetzung von Österreich in die Tschechische Republik befördert wurden.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Die Mehrwertsteuerrichtlinie</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Der 36. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Zum Vorteil der Steuerschuldner sowie der zuständigen Verwaltungen sollten die Verfahren für die Anwendung der Mehrwertsteuer auf bestimmte innergemeinschaftliche Lieferungen und Erwerbe verbrauchsteuerpflichtiger Waren an die Verfahren und Erklärungspflichten für den Fall der Beförderung derartiger Waren in einen anderen Mitgliedstaat angeglichen werden, die in der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren [(ABl. 1992, L 76, S. 1) in der zuletzt durch die Richtlinie 2004/106/EG des Rates vom 16. November 2004 (ABl. 2004, L 359, S. 30) geänderten Fassung] geregelt sind.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        In Art. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">i)      durch einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, oder durch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, wenn der Verkäufer ein Steuerpflichtiger ist, der als solcher handelt, für den die Mehrwertsteuerbefreiung für Kleinunternehmen gemäß den Artikeln 282 bis 292 nicht gilt und der nicht unter Artikel 33 oder 36 fällt;</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">…</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">iii)      wenn die betreffenden Gegenstände verbrauchsteuerpflichtige Waren sind, bei denen die Verbrauchsteuer nach der Richtlinie [92/12 in der Fassung der Richtlinie 2004/106] im Gebiet des Mitgliedstaats entsteht, durch einen Steuerpflichtigen oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, deren übrige Erwerbe gemäß Artikel 3 Absatz 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Als ‚verbrauchsteuerpflichtige Waren‘ gelten Energieerzeugnisse, Alkohol und alkoholische Getränke sowie Tabakwaren, jeweils im Sinne der geltenden [Unionsvorschriften], nicht jedoch über das Erdgasverteilungsnetz geliefertes Gas sowie Elektrizität.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 3 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Abweichend von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i unterliegen folgende Umsätze nicht der Mehrwertsteuer:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen durch einen Steuerpflichtigen oder durch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, wenn die Lieferung im Gebiet des Mitgliedstaats nach den Artikeln 148 und 151 steuerfrei wäre;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen, ausgenommen der Erwerb von Gegenständen im Sinne des Buchstabens a und des Artikels 4, von neuen Fahrzeugen und von verbrauchsteuerpflichtigen Waren, durch einen Steuerpflichtigen für Zwecke seines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder fischereiwirtschaftlichen Betriebs, der der gemeinsamen Pauschalregelung für Landwirte unterliegt, oder durch einen Steuerpflichtigen, der nur Lieferungen von Gegenständen bewirkt oder Dienstleistungen erbringt, für die kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, oder durch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Absatz 1 Buchstabe b gilt nur, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      im laufenden Kalenderjahr überschreitet der Gesamtbetrag der innergemeinschaftlichen Erwerbe von Gegenständen nicht den von den Mitgliedstaaten festzulegenden Schwellenwert, der nicht unter 10 000 [Euro] oder dem Gegenwert in Landeswährung liegen darf;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      im vorangegangenen Kalenderjahr hat der Gesamtbetrag der innergemeinschaftlichen Erwerbe von Gegenständen den in Buchstabe a geregelten Schwellenwert nicht überschritten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Maßgeblich als Schwellenwert ist der Gesamtbetrag der in Absatz 1 Buchstabe b genannten innergemeinschaftlichen Erwerbe von Gegenständen ohne die Mehrwertsteuer, der im Mitgliedstaat des Beginns der Versendung oder Beförderung geschuldet oder entrichtet wurde.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 20 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Als ‚innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen‘ gilt die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, der durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den Erwerber versandt oder befördert wird.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der [Europäischen Union] versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderem Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Außer den in Absatz 1 genannten Lieferungen befreien die Mitgliedstaaten auch folgende Umsätze von der Steuer:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      die Lieferungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung an den Erwerber nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der [Union] versandt oder befördert werden, wenn die Lieferungen an Steuerpflichtige oder nichtsteuerpflichtige juristische Personen bewirkt werden, deren innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen, die keine verbrauchsteuerpflichtigen Waren sind, gemäß Artikel 3 Absatz 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, und wenn die Versendung oder Beförderung dieser Waren gemäß Artikel 7 Absätze 4 und 5 oder Artikel 16 der Richtlinie [92/12 in der Fassung der Richtlinie 2004/106] durchgeführt wird;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Art. 139 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„[Die Steuerbefreiung nach Art. 138 Abs. 1] gilt … nicht für die Lieferungen von Gegenständen an Steuerpflichtige oder nichtsteuerpflichtige juristische Personen, deren innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen gemäß Artikel 3 Absatz 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.“</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Die Richtlinien 92/12 und 2008/118/EG</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Die Richtlinie 92/12 in der Fassung der Richtlinie 2004/106 (im Folgenden: Richtlinie 92/12) wurde mit Wirkung vom 1. April 2010 durch die Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem (ABl. 2009, L 9, S. 12) ersetzt. Angesichts der Zeitpunkte der im Ausgangsverfahren streitigen Umsätze sind diese beiden Richtlinien zu berücksichtigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Gemäß Art. 3 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie 92/12 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/118 finden diese Richtlinien unter anderem auf Kraftstoffe Anwendung.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Diese Richtlinien enthalten spezielle Regelungen für die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung im Gebiet der Union. Diese Regeln finden sich in den Art. 15 bis 21 der Richtlinie 92/12 und in den Art. 17 bis 31 der Richtlinie 2008/118.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Das „Verfahren der Steueraussetzung“ wird in Art. 4 Nr. 7 der Richtlinie 2008/118 als eine „steuerliche Regelung“ definiert, „die auf die Herstellung, die Verarbeitung, die Lagerung sowie die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die keinem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren unterliegen, unter Aussetzung der Verbrauchsteuer Anwendung findet“. Die Richtlinie 92/12 enthielt in Art. 4 Buchst. c in Bezug auf das „Verfahren der Steueraussetzung“ eine ähnliche Definition.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Nach Art. 4 Nr. 9 der Richtlinie 2008/118 ist „registrierter Empfänger“ „eine natürliche oder juristische Person, die von den zuständigen Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats ermächtigt wurde, in Ausübung ihres Berufs und gemäß den von diesen Behörden festgesetzten Voraussetzungen, in einem Verfahren der Steueraussetzung beförderte verbrauchsteuerpflichtige Waren aus einem anderen Mitgliedstaat zu empfangen“. Die Richtlinie 92/12, in der der Begriff „registrierter Wirtschaftsbeteiligter“ verwendet wurde, definierte diesen in ihrem Art. 4 Buchst. d in ähnlicher Weise.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Tschechisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      § 2 Abs. 1 Buchst. c des Gesetzes Nr. 235/2004 über die Mehrwertsteuer (zákon č. 235/2004 Sb., o dani z přidané hodnoty) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Steuer unterliegen:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      der im Inland durch einen Steuerpflichtigen im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit oder durch eine nicht für unternehmerische Zwecke gegründete juristische Person gegen Entgelt vorgenommene Erwerb von Gegenständen aus einem anderen Mitgliedstaat der [Union] sowie der Erwerb eines neuen Fahrzeugs aus einem anderen Mitgliedstaat durch eine nichtsteuerpflichtige Person gegen Entgelt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      § 64 dieses Gesetzes, mit dem Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie in tschechisches Recht umgesetzt wird, sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Lieferung von Gegenständen durch den Steuerschuldner in einen anderen Mitgliedstaat an eine in einem anderen Mitgliedstaat als mehrwertsteuerpflichtig registrierte Person ist, wenn die betreffenden Gegenstände vom Steuerschuldner oder vom Erwerber oder von einem ermächtigten Dritten aus dem Gebiet der Tschechischen Republik versandt oder befördert werden, mit Recht auf Vorsteuerabzug von der Steuer befreit; hiervon ausgenommen sind Lieferungen von Gegenständen an eine Person, bei der der Erwerb der Gegenstände in einem anderen Mitgliedstaat nicht besteuert wird.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren durch den Steuerschuldner in einen anderen Mitgliedstaat an einen Steuerpflichtigen, der nicht in einem anderen Mitgliedstaat als mehrwertsteuerpflichtig registriert ist, oder an eine juristische Person, die nicht in einem anderen Mitgliedstaat als mehrwertsteuerpflichtig registriert ist, ist, wenn diese Gegenstände vom Steuerschuldner oder vom Erwerber oder von einem ermächtigten Dritten aus dem Gebiet der Tschechischen Republik versandt oder befördert werden, mit Recht auf Vorsteuerabzug von der Steuer befreit, wenn die Versendung oder Beförderung der Gegenstände gemäß dem Verbrauchsteuergesetz erfolgt und die Pflicht zur Zahlung von Verbrauchsteuer beim Erwerber in dem Mitgliedstaat entsteht, in dem der Versand oder die Beförderung der Gegenstände endet.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Arex ist eine Gesellschaft mit Sitz in der Tschechischen Republik, die bei zwei tschechischen Gesellschaften Kraftstoffe aus Österreich erwarb.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Diese Erwerbe erfolgten am Ende einer Kette von Umsätzen. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kraftstoffe wurden zunächst durch die Doppler Mineralöle GmbH, eine in Österreich ansässige Gesellschaft, an vier für die Zwecke der Mehrwertsteuer registrierte Gesellschaften mit Sitz in der Tschechischen Republik (im Folgenden: tschechische Erstkäufer) verkauft. Anschließend fanden mehrere aufeinanderfolgende Weiterverkäufe an tschechische Gesellschaften statt, bevor die Kraftstoffe schlussendlich an Arex verkauft wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Die tschechischen Erstkäufer hatten einen Vertrag mit der Gesellschaft Garantrans s. r. o. geschlossen, die für diese Käufer der registrierte Empfänger war. Daher zahlte Garantrans im Namen der tschechischen Erstkäufer die Verbrauchsteuern auf die Kraftstoffe. Letztere entrichteten für diese Umsätze keine Mehrwertsteuer in der Tschechischen Republik.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Die Kraftstoffe wurden aus Österreich in die Tschechische Republik in einem Verfahren der Steueraussetzung befördert. Ihre Beförderung wurde durch Arex unter Nutzung ihrer eigenen Fahrzeuge sichergestellt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Im Anschluss an eine Steuerprüfung stellte der Finanční úřad pro Jihočeský kraj (Finanzamt für die Region Südböhmen, Tschechische Republik) (im Folgenden: Finanzamt) fest, dass die von Arex vorgenommenen Erwerbe in den Besteuerungszeiträumen Januar bis April, September, November und Dezember 2010 innergemeinschaftliche Erwerbe darstellten. Unter Berufung auf die Urteile vom 6. April 2006, EMAG Handel Eder (C‑245/04, EU:C:2006:232), und vom 16. Dezember 2010, Euro Tyre Holding (C‑430/09, EU:C:2010:786), sowie unter Hinweis darauf, dass im Fall von Reihengeschäften in Verbindung mit nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung diese nur einem Umsatz zugerechnet werden könne, vertrat diese Behörde die Ansicht, dass der Ort des Erwerbs durch Arex in Österreich und nicht in der Tschechischen Republik gewesen sei. Diese Gesellschaft habe nämlich in Österreich das Recht erworben, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen, da sie das mit den Gegenständen verbundene Risiko zu tragen gehabt habe und die Beförderung in die Tschechische Republik auf eigene Rechnung durchgeführt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Mit sieben Nacherhebungsbescheiden versagte das Finanzamt Arex das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer auf diese – von Arex als inländische Erwerbe eingestuften – Erwerbe, nahm eine Berichtigung der Mehrwertsteuer vor und erlegte dieser Gesellschaft die Zahlung von Geldbußen auf.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Mit Bescheid vom 15. Juli 2015 wies die Finanzdirektion den Einspruch von Arex gegen diese Bescheide zurück. Sich den Schlussfolgerungen des Finanzamts anschließend lehnte die Finanzdirektion zunächst die Anwendung von Art. 138 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie ab. Sodann betonte sie unter Verweis auf das Urteil vom 14. Juli 2005, British American Tobacco und Newman Shipping (C‑435/03, EU:C:2005:464), dass das Entstehen der Mehrwertsteuer nicht mit der Verbrauchsteuer verknüpft sei. Schließlich wies sie das Vorbringen von Arex zurück, mit dem diese Gesellschaft geltend machte, sie sei wegen des Verfahrens der Steueraussetzung nicht berechtigt gewesen, über die Kraftstoffe während der Beförderung und vor ihrer Überführung in den freien Verkehr in der Tschechischen Republik wie ein Eigentümer zu verfügen. Demnach schloss sie auch die von Arex vorgetragene Möglichkeit aus, eine einzige innergemeinschaftliche Beförderung für die Zwecke der Mehrwertsteuer in mehrere Beförderungen aufzuspalten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Nachdem ihre Klage gegen diesen Bescheid vom Krajský soud v Českých Budějovicích (Regionalgericht Budweis, Tschechische Republik) abgewiesen worden war, legte Arex Kassationsbeschwerde bei dem vorlegenden Gericht ein.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Vor diesem macht Arex geltend, dass Art. 138 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht ordnungsgemäß in tschechisches Recht umgesetzt worden sei. Nach dieser Bestimmung sei jede an einen Steuerpflichtigen bewirkte Lieferung von im Verfahren der Steueraussetzung in einen anderen Mitgliedstaat beförderten Gegenständen als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei. Angesichts der tschechischen Fassung dieser Bestimmung ist Arex der Ansicht, dass die anderen in dieser Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen, die sich in dem mit dem Relativpronomen „deren“ beginnenden Nebensatz fänden, nur auf nichtsteuerpflichtige juristische Personen anwendbar seien. Da sie steuerpflichtig sei, könnten diese Voraussetzungen keine Anwendung finden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Für den Fall, dass die Mehrwertsteuer nicht mit der Verbrauchsteuer verknüpft sei und Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie anzuwenden sei, betont Arex, dass es bei einer Beförderung im Verfahren der Steueraussetzung nicht zu einer Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums komme, da es selbst dann, wenn bei privatrechtlicher Betrachtung eine Eigentumsübertragung vorliegen sollte, unmöglich sei, während der Beförderung über die Gegenstände wie ein Eigentümer zu verfügen. Zur Stützung dieses Vorbringens verweist Arex auf das begleitende Verwaltungsdokument, das die Möglichkeit beschränke, während der Beförderung im Verfahren der Steueraussetzung über die Gegenstände zu verfügen, und trägt vor, dass es in den Urteilen vom 6. April 2006, EMAG Handel Eder (C‑245/04, EU:C:2006:232), und vom 16. Dezember 2010, Euro Tyre Holding (C‑430/09, EU:C:2010:786), nicht um die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren gegangen sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      In Anbetracht dieses Vorbringens hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob die Erwerbe von im Verfahren der Steueraussetzung beförderten Kraftstoffen durch Arex als inländische Erwerbe oder innergemeinschaftliche Erwerbe einzustufen sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Unter diesen Umständen hat der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist jeder Steuerpflichtige als Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 138 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen? Wenn nicht, für welche Steuerpflichtigen gilt die angeführte Bestimmung?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Falls der Gerichtshof antwortet, dass Art. 138 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie auf Fälle wie den der vorliegenden Rechtssache (d. h., dass ein im Steuerregister eingetragener Steuerpflichtiger der Erwerber der Erzeugnisse ist) anwendbar ist, ist diese Bestimmung dann dahin auszulegen, dass, wenn die Versendung oder Beförderung der Erzeugnisse im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2008/118 erfolgt, eine mit einem Verfahren nach der Richtlinie 2008/118 verbundene Lieferung als steuerfreie Lieferung im Sinne der angeführten Bestimmung anzusehen ist, obwohl ansonsten die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung gemäß Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht erfüllt wären, weil die Warenbeförderung einer anderen Transaktion zuzuordnen ist?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Falls der Gerichtshof antwortet, dass Art. 138 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie auf Fälle wie den der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar ist, ist dann die Tatsache, dass die Beförderung der Waren unter Steueraussetzung erfolgt, bei mehreren aufeinanderfolgenden Lieferungen ausschlaggebend für die Zuordnung der Beförderung zwecks Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Mit Schriftsatz, der am 31. Juli 2018 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat der Vertreter von Arex bei dem vorlegenden Gericht beantragt, gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Dieser Antrag schließt an die Übermittlung eines Schreibens vom 13. Juli 2018 durch die Kanzlei des Gerichtshofs an den Vertreter von Arex bei dem vorlegenden Gericht an, in dem er unter anderem darüber unterrichtet wurde, dass die für Arex vorgetragenen mündlichen Ausführungen für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens nicht berücksichtigt werden konnten, da sie in der vorliegenden Rechtssache in der mündlichen Verhandlung nicht wirksam vertreten war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Nach Darlegung der Gründe und der Umstände, die seines Erachtens zu dieser unwirksamen Vertretung geführt haben, äußert der Vertreter von Arex bei dem vorlegenden Gericht die Ansicht, dass es sich um einen behebbaren Mangel handele, und beantragt die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens, um Arex die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 83 der Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen kann, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof nach Anhörung der Generalanwältin der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nicht erfüllt sind. Die vom Vertreter von Arex bei dem vorlegenden Gericht geltend gemachten Umstände entsprechen nämlich nicht den Voraussetzungen für eine Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens. Der Gerichtshof ist jedenfalls der Auffassung, dass er über alle zur Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen erforderlichen Angaben verfügt und dass nicht auf die Stichhaltigkeit eines Vorbringens einzugehen ist, das nicht vor ihm erörtert worden ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Demzufolge ist die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nicht anzuordnen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Vorbemerkungen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof ist es dessen Aufgabe, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Es ist nämlich Aufgabe des Gerichtshofs, alle Bestimmungen des Unionsrechts auszulegen, die die nationalen Gerichte benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn diese Bestimmungen in den dem Gerichtshof von diesen Gerichten vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich genannt sind (Urteile vom 14. Oktober 2010, Fuß, C‑243/09, EU:C:2010:609, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos, C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 39).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Auch wenn das vorlegende Gericht seine Fragen der Form nach auf die Auslegung von Art. 138 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie beschränkt hat, hindert dies demnach den Gerichtshof nicht daran, dem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem vorlegenden Gericht vorgelegten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Oktober 2010, Fuß, C‑243/09, EU:C:2010:609, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos, C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 40).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen im Wesentlichen wissen möchte, ob Erwerbe wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in der Tschechischen Republik als innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen, die aus einem anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert werden, der Mehrwertsteuer unterliegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Art. 138 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt jedoch die Bedingungen für die Befreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen von der Mehrwertsteuer und nicht die Voraussetzungen für die Erhebung dieser Steuer auf innergemeinschaftliche Erwerbe, die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i und iii der Richtlinie festgelegt sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Daher sind die Vorlagefragen in dem Sinne umzuformulieren, dass sie, was die erste und die zweite Frage anbelangt, die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie und, was die dritte Frage anbelangt, die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Mehrwertsteuerrichtlinie betreffen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur ersten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht in der Sache wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er auf innergemeinschaftliche Erwerbe verbrauchsteuerpflichtiger Waren, bei denen die Verbrauchsteuer im Gebiet des Bestimmungsmitgliedstaats der Versendung oder Beförderung dieser Waren entsteht, durch alle Steuerpflichtigen anzuwenden ist oder nur auf Erwerbe durch einen Steuerpflichtigen, dessen übrige Erwerbe gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C‑156/98, EU:C:2000:467, Rn. 50, und vom 19. April 2018, Firma Hans Bühler, C‑580/16, EU:C:2018:261, Rn. 33).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegt der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt durch einen Steuerpflichtigen oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, deren übrige Erwerbe gemäß Art. 3 Abs. 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, der Mehrwertsteuer, wenn die betreffenden Gegenstände verbrauchsteuerpflichtige Waren sind, bei denen die Verbrauchsteuer im Gebiet des Mitgliedstaats entsteht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Erstens ist festzustellen, dass sich anhand des Wortlauts von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht eindeutig bestimmen lässt, ob der Nebensatz „deren übrige Erwerbe gemäß Artikel 3 Absatz 1 [dieser Richtlinie] nicht der Mehrwertsteuer unterliegen“, sowohl einen Steuerpflichtigen als auch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person – wie sie in der erstgenannten Bestimmung genannt werden – betrifft oder ob er sich nur auf diese letztgenannte Person bezieht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      In mehreren Sprachfassungen dieser Bestimmung wird nämlich ein unbestimmtes Pronomen verwendet, mit dem sowohl der Singular als auch der Plural wiedergegeben werden kann. Dies ist insbesondere in der deutschen („deren“), der estnischen („kelle“), der spanischen („cuyas“), der französischen („dont“), der italienischen („i cui“) oder der englischen („whose“) Fassung dieser Bestimmung der Fall. Andere Sprachfassungen verwenden Pronomen im Plural. Dies ist in der griechischen („των οποίων“), der lettischen („kuru“) und der polnischen („w przypadku których“) Fassung der Fall. Darüber hinaus enthält die tschechische Fassung dieser Bestimmung ein Pronomen im Singular, das sich nur auf die nichtsteuerpflichtige juristische Person beziehen kann („jejíž“).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Was zweitens die Ziele von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass sich diese Bestimmung in den Rahmen der Mehrwertsteuerübergangsregelung für den innergemeinschaftlichen Handel einfügt, die durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. 1991, L 376, S. 1) eingeführt worden ist. Diese Regelung beruht auf der Einführung eines neuen Mehrwertsteuertatbestands, nämlich des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen, der es ermöglicht, die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt. Diese Regelung soll eine klare Abgrenzung der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. November 2010, X, C‑84/09, EU:C:2010:693, Rn. 22 und 23 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 14. Juni 2017, Santogal M-Comércio e Reparação de Automóveis, C‑26/16, EU:C:2017:453, Rn. 37 und 38).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Demnach muss mit jedem innergemeinschaftlichen Erwerb, der im Mitgliedstaat des Bestimmungsorts der Versendung oder Beförderung von Gegenständen (im Folgenden: Bestimmungsmitgliedstaat) besteuert wird, eine innergemeinschaftliche Lieferung einhergehen, die im Mitgliedstaat des Beginns der Versendung oder Beförderung (im Folgenden: Abgangsmitgliedstaat) befreit ist. Die Bestimmungen zum innergemeinschaftlichen Erwerb und zur innergemeinschaftlichen Lieferung haben daher dieselbe Bedeutung und dieselbe Reichweite (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. April 2006, EMAG Handel Eder, C‑245/04, EU:C:2006:232, Rn. 29, und vom 26. Juli 2017, Toridas, C‑386/16, EU:C:2017:599, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Was drittens den Kontext von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie angeht, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung zu einem Regelwerk gehört, mit dem die Belastung innergemeinschaftlicher Erwerbe mit der Mehrwertsteuer und die Befreiung der entsprechenden innergemeinschaftlichen Lieferungen geregelt wird. Die entsprechenden Regeln finden sich in den Art. 2 und 3 bzw. den Art. 138 und 139 dieser Richtlinie.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Zum einen ist gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Mehrwertsteuerrichtlinie der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen, der gegen Entgelt durch einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, oder durch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person vorgenommen wird, unter bestimmten Bedingungen, die sich auf den Verkäufer beziehen, im Bestimmungsmitgliedstaat mehrwertsteuerpflichtig, während gemäß Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie die entsprechende innergemeinschaftliche Lieferung im Abgangsmitgliedstaat befreit ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Insoweit ist unter Berücksichtigung der Ausführungen der Generalanwältin in Nr. 41 ihrer Schlussanträge klarzustellen, dass sich der sachliche Anwendungsbereich dieser Bestimmungen auf alle „Gegenstände“ erstreckt und der Begriff „Gegenstände“ die verbrauchsteuerpflichtigen Waren umfasst. Daraus folgt, dass dann, wenn die anderen in diesen Bestimmungen vorgesehenen Voraussetzungen in Bezug auf den Verkäufer erfüllt sind, die innergemeinschaftlichen Umsätze, die verbrauchsteuerpflichtige Waren betreffen, gemäß Art. 138 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Mehrwertsteuerrichtlinie im Abgangsmitgliedstaat als innergemeinschaftliche Lieferungen von der Mehrwertsteuer befreit sind und im Bestimmungsmitgliedstaat als innergemeinschaftliche Erwerbe mit dieser Steuer belastet werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Da aber der innergemeinschaftliche Erwerb von „Gegenständen“ durch Steuerpflichtige bereits gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Mehrwertsteuerrichtlinie mehrwertsteuerpflichtig ist, wäre die Festlegung einer Besteuerung für den Erwerb von verbrauchsteuerpflichtigen Waren durch dieselben Steuerpflichtigen in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii dieser Richtlinie überflüssig, da sich diese Besteuerung – auch unter Berücksichtigung der in der vorstehenden Randnummer enthaltenen Ausführungen – schon aus der ersten Bestimmung ergibt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Zum anderen werden jedoch abweichend von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Mehrwertsteuerrichtlinie durch Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmte innergemeinschaftliche Erwerbe durch einen Steuerpflichtigen oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person von der Mehrwertsteuerpflicht ausgenommen. Gleichzeitig bestimmt Art. 139 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie, dass die Befreiung nach Art. 138 Abs. 1 nicht für Lieferungen gilt, denen Erwerbe nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie entsprechen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Nach alledem ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie in den Fällen anwendbar, in denen die innergemeinschaftlichen Erwerbe durch einen Steuerpflichtigen oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht der Besteuerung unterliegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Daraus folgt, dass bei Erwerben durch Steuerpflichtige nicht alle Steuerpflichtigen, sondern nur der Steuerpflichtige, dessen übrige innergemeinschaftliche Erwerbe gemäß der letztgenannten Bestimmung nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, im Hinblick auf die Mehrwertsteuerpflichtigkeit seiner innergemeinschaftlichen Erwerbe verbrauchsteuerpflichtiger Waren, bei denen die Verbrauchsteuern im Bestimmungsmitgliedstaat entstehen, in den Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Wie die Generalanwältin hierzu in den Nrn. 42 und 43 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, wird diese Auslegung durch den Wortlaut von Art. 138 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie gestützt, dem im Wesentlichen zu entnehmen ist, dass „[a]ußer den in Absatz 1 [dieses Art. 138] genannten Lieferungen“ die innergemeinschaftlichen Lieferungen, die den Erwerben nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii dieser Richtlinie entsprechen, befreit sind, wenn sie unter den dort aufgestellten Voraussetzungen an Steuerpflichtige oder nichtsteuerpflichtige juristische Personen bewirkt werden, deren innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen, die keine verbrauchsteuerpflichtigen Waren sind, gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht der Mehrwertsteuer unterliegen. Wie die Generalanwältin in Nr. 43 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, ergibt sich nämlich aus der Wahl dieser Formulierung, die die Befreiungen in Art. 138 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie einleitet, dass die in Buchst. b dieser Bestimmung vorgesehene Befreiung einen Regelungsgehalt hat, der über den der in Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Befreiung hinausgeht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Die in Rn. 52 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung entspricht auch dem im 36. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie formulierten Ziel, eine gewisse Angleichung der Verfahren für die Anwendung der Mehrwertsteuer auf bestimmte innergemeinschaftliche Erwerbe verbrauchsteuerpflichtiger Waren an die Verfahren und Erklärungspflichten für den Fall der Beförderung derartiger Waren in einen anderen Mitgliedstaat, die in den Richtlinien 92/12 und 2008/118 geregelt sind, vorzunehmen. Da Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie auf innergemeinschaftliche Erwerbe verbrauchsteuerpflichtiger Waren, bei denen Verbrauchsteuern im Gebiet des Bestimmungsmitgliedstaats entstehen, Anwendung findet, führt diese Auslegung nämlich dazu, dass diese Erwerbe in diesem Mitgliedstaat der Mehrwertsteuer unterliegen, selbst wenn die übrigen Erwerbe des Erwerbers gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen – vorbehaltlich einer Nachprüfung durch das vorlegende Gericht, das allein für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits zuständig ist – nicht hervor, dass die übrigen innergemeinschaftlichen Erwerbe von Arex unter die in Art. 3 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Befreiungen fallen. Sollte das vorlegende Gericht auf der Grundlage seiner eigenen Würdigung aller Umstände des Ausgangsrechtsstreits zu dieser Schlussfolgerung gelangen, wären nicht die Bestimmungen von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie, sondern diejenigen von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i dieser Richtlinie anzuwenden, um festzustellen, ob im Ausgangsrechtsstreit die Erwerbe der Kraftstoffe durch Arex als innergemeinschaftliche Erwerbe im Bestimmungsmitgliedstaat der Mehrwertsteuer unterliegen müssen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er auf innergemeinschaftliche Erwerbe verbrauchsteuerpflichtiger Waren, bei denen die Verbrauchsteuer im Gebiet des Bestimmungsmitgliedstaats entsteht, durch einen Steuerpflichtigen, dessen übrige Erwerbe gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, anzuwenden ist.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht in der Sache wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass bei Vorliegen einer Kette aufeinanderfolgender Erwerbe derselben verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung dieser Waren im Verfahren der Steueraussetzung geführt haben, der Erwerb durch den Wirtschaftsteilnehmer, der im Bestimmungsmitgliedstaat diese Steuer zu entrichten hat, nach dieser Bestimmung als mehrwertsteuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb einzustufen ist, selbst wenn diese Beförderung nicht diesem Erwerb zugeordnet werden kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung scheinen die tschechischen Erstkäufer, und nicht Arex, der Verbrauchsteuer auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kraftstoffe zu unterliegen. Vor diesem Hintergrund soll mit der zweiten Frage geklärt werden, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende innergemeinschaftliche Beförderung notwendigerweise dem Erwerb durch diese Käufer zugeordnet werden muss, da diese der Verbrauchsteuer unterliegen, und keinem anderen Erwerb, im vorliegenden Fall dem Erwerb durch Arex, zugeordnet werden kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Insoweit geht, wie in Rn. 41 des vorliegenden Urteils dargestellt, aus dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie hervor, dass in Anwendung dieser Bestimmung die Erhebung der Mehrwertsteuer auf innergemeinschaftliche Erwerbe verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Bestimmungsmitgliedstaat drei kumulativen Voraussetzungen unterliegt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Sie setzt nämlich erstens voraus, dass der Umsatz ein innergemeinschaftlicher Erwerb im Sinne von Art. 20 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist, zweitens, dass dieser Umsatz verbrauchsteuerpflichtige Waren betrifft, bei denen die Verbrauchsteuern im Gebiet des Bestimmungsmitgliedstaats entstehen, und drittens, dass dieser Umsatz durch einen Steuerpflichtigen oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, deren übrige Erwerbe gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Was die erste dieser Voraussetzungen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass der innergemeinschaftliche Erwerb eines Gegenstands im Sinne von Art. 20 der Mehrwertsteuerrichtlinie dann erfolgt ist, wenn das Recht, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist und wenn der Lieferer nachweist, dass dieser Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist und der Gegenstand infolge dieser Versendung oder Beförderung den Abgangsmitgliedstaat physisch verlassen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 2007, Teleos u. a., C‑409/04, EU:C:2007:548, Rn. 27 und 42, sowie vom 18. November 2010, X, C‑84/09, EU:C:2010:693, Rn. 27). Die Voraussetzung eines Grenzübertritts zwischen Mitgliedstaaten ist Tatbestandsmerkmal eines innergemeinschaftlichen Erwerbs (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 2007, Teleos u. a., C‑409/04, EU:C:2007:548, Rn. 37).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Nur ein Erwerb, der alle diese Voraussetzungen erfüllt, kann als innergemeinschaftlicher Erwerb eingestuft werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Wenn mehrere gegen Entgelt vorgenommene Erwerbe zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung von Gegenständen führen, kann diese Versendung oder Beförderung daher nur einem dieser Erwerbe zugeordnet werden, der allein im Bestimmungsmitgliedstaat als innergemeinschaftlicher Erwerb der Mehrwertsteuer unterliegt, sofern die anderen in Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. entsprechend Urteil vom 6. April 2006, EMAG Handel Eder, C‑245/04, EU:C:2006:232, Rn. 45).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Diese Auslegung ist geboten, um auf einfache Weise das mit der Übergangsregelung für innergemeinschaftliche Umsätze angestrebte Ziel zu erreichen, das, wie sich aus Rn. 44 des vorliegenden Urteils ergibt, darin besteht, die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt. Zu dieser Verlagerung kommt es nämlich bei dem einzigen Umsatz, der zu einer innergemeinschaftlichen Bewegung führt (vgl. entsprechend Urteil vom 6. April 2006, EMAG Handel Eder, C‑245/04, EU:C:2006:232, Rn. 40).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Was die zweite in Rn. 60 des vorliegenden Urteils genannte Voraussetzung anbelangt, ist klarzustellen, dass das Entstehen der Verbrauchsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat die Versendung oder Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Verfahren der Steueraussetzung gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 92/12 oder der Richtlinie 2008/118 voraussetzt. Diese Voraussetzung spiegelt das im 36. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie formulierte Ziel wider, die verbrauchsteuerpflichtigen Waren in ein und demselben Mitgliedstaat der Verbrauchsteuer und der Mehrwertsteuer zu unterwerfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Hingegen lässt sich diese Voraussetzung keinesfalls dahin verstehen, dass der Erwerb durch den Steuerpflichtigen oder die nichtsteuerpflichtige juristische Person gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie, die der Verbrauchsteuer unterliegen, aufgrund dieser Bestimmung der Mehrwertsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat unterliegen muss, selbst wenn die fragliche innergemeinschaftliche Beförderung nicht diesem Erwerb zugeordnet werden kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Eine Auslegung, nach der der Erwerb aufgrund dieser Bestimmung der Mehrwertsteuer unterliegen muss, selbst wenn die innergemeinschaftliche Beförderung ihm nicht zugeordnet werden kann, widerspräche im Übrigen dem kumulativen Charakter der in Rn. 60 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen. Sie würde es nämlich ermöglichen, einen Erwerb, der keine Verbindung zu einer innergemeinschaftlichen Beförderung hätte, und der damit nicht alle notwendigen Voraussetzungen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs erfüllen würde, im Bestimmungsmitgliedstaat der Mehrwertsteuer zu unterwerfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass bei Vorliegen einer Kette aufeinanderfolgender Umsätze, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Verfahren der Steueraussetzung geführt haben, der Erwerb durch den Wirtschaftsteilnehmer, der im Bestimmungsmitgliedstaat Verbrauchsteuern zu entrichten hat, nicht als mehrwertsteuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb nach dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn diese Beförderung nicht diesem Erwerb zugeordnet werden kann.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur dritten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht in der Sache wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass bei Vorliegen einer Kette aufeinanderfolgender Erwerbe derselben verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung dieser Waren im Verfahren der Steueraussetzung geführt haben, der Umstand, dass diese Waren in diesem Verfahren befördert worden sind, ein ausschlaggebender Umstand für die Feststellung ist, welchem Erwerb die Beförderung zuzuordnen ist, um ihn der Mehrwertsteuer gemäß dieser Bestimmung zu unterwerfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung zur Auslegung von Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass bei Umsätzen, die eine Kette zweier aufeinanderfolgender Lieferungen bilden, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben, die innergemeinschaftliche Beförderung nur einer der beiden Lieferungen zugeordnet werden kann, die folglich als Einzige in Anwendung dieser Bestimmung von der Steuer befreit ist, und dass zur Klärung der Frage, welcher der beiden Lieferungen die innergemeinschaftliche Beförderung zuzuordnen ist, eine umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. Im Rahmen dieser Würdigung ist insbesondere zu klären, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, zugunsten des Endabnehmers stattgefunden hat. Falls nämlich die zweite Übertragung dieser Befähigung, d. h. die Zweitlieferung, vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattgefunden hat, kann diese nicht der Erstlieferung an den Ersterwerber zugeordnet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Toridas, C‑386/16, EU:C:2017:599, Rn. 34 bis 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Im Hinblick auf das in Rn. 64 des vorliegenden Urteils genannte Ziel ist die in der vorstehenden Randnummer angeführte Rechtsprechung auf die Beurteilung von Umsätzen zu übertragen, die, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, eine Kette aufeinanderfolgender Erwerbe verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben, bilden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Um entscheiden zu können, welcher der Erwerbe in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kette derjenige ist, dem die einzige innergemeinschaftliche Beförderung zuzuordnen ist, und der daher als innergemeinschaftlicher Erwerb einzustufen ist, hat das vorlegende Gericht somit eine umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen und insbesondere zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, zugunsten von Arex stattgefunden hat. Falls diese Übertragung vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattgefunden hat, ist diese dem Erwerb durch Arex zuzuordnen und dieser Erwerb ist daher als innergemeinschaftlicher Erwerb einzustufen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      Im Rahmen dieser umfassenden Würdigung kann der Umstand, dass die Beförderung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kraftstoffe im Verfahren der Steueraussetzung erfolgte, jedoch kein ausschlaggebender Umstand sein, um aus den Erwerben der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kette den Erwerb zu bestimmen, dem diese Beförderung zuzuordnen ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point74">74</a>      Die in Rn. 70 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung macht nämlich im Wesentlichen die Zuordnung der Beförderung zu dem einen oder zu dem anderen Erwerb einer Kette aufeinanderfolgender Erwerbe von einem zeitlichen Kriterium abhängig, indem sie den Zeitpunkt betont, zu dem die Voraussetzungen in Bezug auf die innergemeinschaftliche Beförderung und die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, jeweils erfüllt sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point75">75</a>      Im Hinblick auf diese letztgenannte Voraussetzung ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass sie nicht auf die Übertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen beschränkt ist, sondern jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei erfasst, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juni 2010, De Fruytier, C‑237/09, EU:C:2010:316, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Übertragung der Befugnis, über einen körperlichen Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, verlangt weder, dass die Partei, der dieser Gegenstand übertragen wird, physisch über ihn verfügt, noch, dass der Gegenstand physisch zu ihr befördert wird und/oder physisch von ihr empfangen wird (Beschluss vom 15. Juli 2015, Itales, C‑123/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:511, Rn. 36).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point76">76</a>      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Richtlinien 92/12 und 2008/118 ein allgemeines Verbrauchsteuersystem für verbrauchsteuerpflichtige Waren schaffen. Wenn diese Richtlinien zu diesem Zweck insbesondere Anforderungen an die Beförderung im Verfahren der Steueraussetzung vorsehen, beeinflussen sie nicht die Voraussetzungen für die Übertragung des Eigentums an den Gegenständen oder für die Befugnis, wie ein Eigentümer über diese zu verfügen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point77">77</a>      Der Gerichtshof hat im Übrigen bereits festgestellt, dass der Steuertatbestand der Mehrwertsteuer, mit dem die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für die Entstehung der Steuer erfüllt werden, die Lieferung oder die Einfuhr der Ware und nicht die Erhebung der Verbrauchsteuer auf diese ist (Urteil vom 14. Juli 2005, British American Tobacco und Newman Shipping, C‑435/03, EU:C:2005:464, Rn. 41).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point78">78</a>      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass Arex nach dem Erwerb der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kraftstoffe bei ihren tschechischen Vertragspartnern diese in Besitz genommen hat, indem sie sie in Österreich in ihre Tanks geladen hat, bevor sie sie mit ihren eigenen Fahrzeugen von Österreich in die Tschechische Republik beförderte. Außerdem geht aus den Akten hervor, dass es mit dieser Beladung offenbar zu einem Übergang des Eigentums an diesen Waren im Sinne des tschechischen Privatrechts auf Arex kam. Vorbehaltlich einer Prüfung durch das vorlegende Gericht ergibt sich somit aus den Akten, dass die einzige innergemeinschaftliche Beförderung erst nach der Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, zugunsten von Arex erfolgte, so dass die von Arex vorgenommenen Erwerbe als innergemeinschaftliche Erwerbe einzustufen sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point79">79</a>      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass bei Vorliegen einer Kette aufeinanderfolgender Erwerbe derselben verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung dieser Waren im Verfahren der Steueraussetzung geführt haben, der Umstand, dass diese Waren in diesem Verfahren befördert worden sind, kein ausschlaggebender Umstand für die Feststellung ist, welchem Erwerb die Beförderung zuzuordnen ist, um ihn der Mehrwertsteuer gemäß dieser Bestimmung zu unterwerfen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point80">80</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er auf innergemeinschaftliche Erwerbe verbrauchsteuerpflichtiger Waren, bei denen die Verbrauchsteuer im Gebiet des Bestimmungsmitgliedstaats der Versendung oder Beförderung dieser Waren entsteht, durch einen Steuerpflichtigen, dessen übrige Erwerbe gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, anzuwenden ist.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass bei Vorliegen einer Kette aufeinanderfolgender Umsätze, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Verfahren der Steueraussetzung geführt haben, der Erwerb durch den Wirtschaftsteilnehmer, der im Bestimmungsmitgliedstaat der Versendung oder Beförderung dieser Waren Verbrauchsteuern zu entrichten hat, nicht als mehrwertsteuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb nach dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn diese Beförderung nicht diesem Erwerb zugeordnet werden kann.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">3.      <b>Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass bei Vorliegen einer Kette aufeinanderfolgender Erwerbe derselben verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung dieser Waren im Verfahren der Steueraussetzung geführt haben, der Umstand, dass diese Waren in diesem Verfahren befördert worden sind, kein ausschlaggebender Umstand für die Feststellung ist, welchem Erwerb die Beförderung zuzuordnen ist, um ihn der Mehrwertsteuer gemäß dieser Bestimmung zu unterwerfen.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Tschechisch.</p>
|
175,072 | eugh-2018-12-19-c-66717 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-667/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:15 | 2019-01-31T19:21:15 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1036 | <p class="sum-title-1">
<a id="judgment"/>URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">19. Dezember 2018 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62017CJ0667_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62017CJ0667_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 – Art. 2 Nr. 4 – Begriff ‚Begünstigter‘ – Art. 80 – Verbot, die gezahlten Beträge durch Abzüge oder Einbehalte zu verringern – Andere spezifische Abgabe oder Ähnliches – Begriff – Vom Europäischen Sozialfonds kofinanzierte Studienbeihilfe – Gleichsetzung mit Einkommen aus nicht selbständiger Arbeit – Einbehaltung einer Vorauszahlung auf die Einkommensteuer zuzüglich Steuern der Region und der Gemeinde“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑667/17</p>
<p class="normal">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Commissione tributaria provinciale di Cagliari (provinziale Steuerkommission Cagliari, Italien) mit Entscheidung vom 10. Juli 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 24. November 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Francesca Cadeddu</span>
</p>
<p class="pnormal">gegen</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Agenzia delle Entrate – Direzione provinciale di Cagliari,</span>
</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Regione autonoma della Sardegna,</span>
</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Regione autonoma della Sardegna – Agenzia regionale per il lavoro</span>
</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung des Präsidenten der Achten Kammer F. Biltgen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zehnten Kammer (Berichterstatter), des Richters E. Levits und der Richterin M. Berger,</p>
<p class="normal">Generalanwalt: M. Szpunar,</p>
<p class="normal">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="normal">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="normal">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">von Frau Cadeddu, vertreten durch G. Dore, S. Garau und A. Vinci, avvocati,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. Venturini, avvocato dello Stato,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Europäischen Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann und P. Arenas als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="normal">folgendes</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 4 und Art. 80 der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2006:210:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2006, L 210, S. 25</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den Frau Francesca Cadeddu gegen die Agenzia delle Entrate – Direzione provinciale di Cagliari (Steuerbehörde der Provinzdirektion Cagliari, Italien) (im Folgenden: Steuerbehörde), die Regione autonoma della Sardegna (Autonome Region Sardinien, Italien) und die Regione autonoma della Sardegna – Agenzia regionale per il lavoro (Autonome Region Sardinien – regionale Arbeitsagentur, Italien) führt. Gegenstand dieses Rechtsstreits sind die Beträge, die von der Studienbeihilfe an Frau Cadeddu einbehalten wurden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Rechtlicher Rahmen</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Unionsrecht</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point3">3</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 1083/2006 heißt es:</p>
<p class="normal">„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck</p>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">3.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">‚Vorhaben‘ ein Projekt oder ein Bündel von Projekten, das von der Verwaltungsbehörde des betreffenden operationellen Programms oder unter ihrer Verantwortung nach den vom Begleitausschuss festgelegten Kriterien ausgewählt und von einem oder mehreren Begünstigten durchgeführt wird, um die Ziele der zugehörigen Prioritätsachse zu erreichen;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">4.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">‚Begünstigter‘ einen Wirtschaftsbeteiligten oder eine Einrichtung bzw. ein Unternehmen des öffentlichen oder privaten Rechts, die mit der Einleitung oder der Einleitung und Durchführung der Vorhaben betraut sind. Bei den Beihilferegelungen gemäß Artikel 87 des [EG‑]Vertrags sind die Begünstigten die öffentlichen oder privaten Einrichtungen, die das einzelne Projekt durchführen und Empfänger der öffentlichen Beihilfe sind;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point4">4</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Gemäß Art. 80 der Verordnung „[sorgen] die Mitgliedstaaten … dafür, dass die mit den Zahlungen beauftragten Stellen darauf achten, dass die Begünstigten den Gesamtbetrag der öffentlichen Beteiligung so bald wie möglich und vollständig erhalten. Der den Begünstigten zu zahlende Betrag wird durch keinerlei Abzüge, Einbehalte, später erhobene spezifische Abgaben oder Ähnliches verringert“.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Italienisches Recht</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point5">5</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Decreto del Presidente della Republica n. 917 – Approvazione del testo unico delle imposte sui redditi (Dekret Nr. 917 des Präsidenten der Republik zur Verabschiedung des Einheitstextes über die Einkommensteuer) vom 22. Dezember 1986 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 302 vom 31. Dezember 1986) bestimmt in seiner für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: TUIR) in Art. 50 Abs. 1 Buchst. c:</p>
<p class="normal">„(1)   Dem Einkommen aus einer abhängigen Beschäftigung gleichgestellt sind</p>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">c)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Beträge, die von gleich welcher Seite als Stipendium, Beihilfe, Preisgeld oder Unterstützung für Zwecke des Studiums oder der beruflichen Fortbildung gezahlt werden, wenn der Begünstigte nicht durch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit dem, der die Zahlung gewährt, verbunden ist;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point6">6</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Direzione Generale dell’Assessorato del Lavoro, Formazione Professionale, Cooperazione e Sicurezza Sociale (Generaldirektion des regionalen Ministeriums für Arbeit, Berufsbildung, Zusammenarbeit und soziale Sicherung, Italien) wählte als Verwaltungsbehörde für das operationelle Programm zur Stärkung des Hochschulsystems in Sardinien (Italien) die Finanzierung des Programms „Master and Back“ aus, das u. a. darin bestand, Hochschulabsolventen und Forscher zu unterstützen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point7">7</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Entscheidung vom 8. April 2011 bewilligte die Autonome Region Sardinien – Regionale Arbeitsagentur der Klägerin des Ausgangsverfahrens eine vom Europäischen Sozialfonds (im Folgenden: ESF) kofinanzierte Studienbeihilfe in Höhe von 69818 Euro.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point8">8</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Bei der Auszahlung der Beihilfe behielt die Autonome Region Sardinien – Regionale Arbeitsagentur für Rechnung der Steuerbehörde eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer in Höhe von 19481,29 Euro zuzüglich Steuern der Region und der Gemeinde in Höhe von 859,28 Euro bzw. 349 Euro ein.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point9">9</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Da die Klägerin des Ausgangsverfahrens der Auffassung war, dass diese Abzüge gegen Art. 80 der Verordnung Nr. 1083/2006 verstießen, beantragte sie bei der Steuerbehörde, ihr den abgezogenen Betrag zu erstatten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point10">10</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Bescheid vom 6. April 2016 lehnte die Steuerbehörde ihren Antrag mit der Begründung ab, dass zum einen eine Studienbeihilfe gemäß Art. 50 Abs. 1 Buchst. c TUIR mit Einkommen gleichzusetzen sei und zum anderen der Empfänger einer Studienbeihilfe nicht als „Begünstigter“ der Kofinanzierung im Sinne von Art. 80 der Verordnung Nr. 1083/2006 gelten könne.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point11">11</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat mit bei der Commissione tributaria provinciale di Cagliari (provinziale Steuerkommission Cagliari, Italien) am 30. Juni 2016 erhobener Klage die Nichtigerklärung dieses Bescheids beantragt. Dabei stützte sie sich hauptsächlich auf einen Widerspruch zwischen den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1083/2006, wonach jegliche Abzüge oder Einbehalte hinsichtlich der den Begünstigten gewährten Beträge verboten seien, und der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung, wonach Studienbeihilfen der Einkommensteuer unterlägen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point12">12</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das vorlegende Gericht fragt sich, ob unter den Begriff „Begünstigter“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 der Verordnung Nr. 1083/2006 auch eine natürliche Person fällt, die Empfängerin einer Studienbeihilfe ist, und ob die Begriffe „Abzüge [oder] Einbehalte“ gemäß Art. 80 der Verordnung Nr. 1083/2006 Einbehalte umfassen, die in nationalen Bestimmungen zur Einkommensteuer vorgesehen sind. Die italienische Rechtsprechung sei in dieser Frage uneinheitlich; bestimmte italienische Gerichte ließen Einbehalte von den durch den ESF finanzierten Beträgen zu, andere nicht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point13">13</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Vor diesem Hintergrund hat die Commissione tributaria provinciale di Cagliari (provinziale Steuerkommission Cagliari) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:</p>
<p class="normal">Sind Art. 80 und Art. 2 Nr. 4 der Verordnung Nr. 1083/2006 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie Art. 50 Abs. 1 Buchst. c TUIR entgegenstehen, wonach „Beträge, die von gleich welcher Seite als Stipendium, Beihilfe, Preisgeld oder Unterstützung für Zwecke des Studiums oder der beruflichen Fortbildung gezahlt werden, wenn der Begünstigte nicht durch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit dem, der die Zahlung gewährt, verbunden ist“, dem Einkommen aus einer abhängigen Beschäftigung gleichgestellt sind und daher der allgemeinen Einkommensteuer für natürliche Personen unterliegen, auch wenn die Studienbeihilfe aus europäischen Strukturfonds gezahlt wird?</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zur Vorlagefrage</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point14">14</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 80 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 4 der Verordnung Nr. 1083/2006 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren entgegensteht, wonach Studienbeihilfen der nationalen Einkommensteuer unterliegen, die aus Mitteln Europäischer Strukturfonds finanziert und natürlichen Personen von der Behörde gewährt werden, die von der Verwaltungsbehörde des betreffenden operationellen Programms mit der Durchführung des ausgewählten Projekts im Sinne von Art. 2 Nr. 3 der Verordnung beauftragt wurde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point15">15</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, diese ihre Befugnisse aber unter Wahrung des Unionsrechts ausüben müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. September 2004, Manninen, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A484&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑319/02</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A484&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2004:484</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A484&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point19" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">19</a>, und vom 25. Oktober 2007, Porto Antico di Genova, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑427/05</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2007:630</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point10" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">10</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point16">16</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insbesondere dürfen die nationalen Rechtsvorschriften das Funktionieren der Mechanismen nicht behindern, die im Rahmen der Strukturfonds, wie sie in der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehen sind, geschaffen wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2007, Porto Antico di Genova, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑427/05</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2007:630</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point10" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">10</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point17">17</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit bestimmt Art. 80 der Verordnung Nr. 1083/2006, dass „[d]ie Mitgliedstaaten [dafür sorgen], dass die mit den Zahlungen beauftragten Stellen darauf achten, dass die Begünstigten den Gesamtbetrag der öffentlichen Beteiligung so bald wie möglich und vollständig erhalten“.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point18">18</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 80 der Verordnung Nr. 1083/2006, der jegliche Abgabe auf den Betrag der finanziellen Beteiligung der Europäischen Union untersagt, weist nur auf die Regel der vollständigen Auszahlung von Finanzbeihilfen der Union hin, die bereits in anderen Vorschriften geregelt war, u. a. in Art. 21 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1988:374:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 1988, L 374, S. 1</a>) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2082/93 des Rates vom 20. Juli 1993 (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1993:193:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 1993, L 193, S. 20</a>) geänderten Fassung.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point19">19</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Gerichtshof hat im Hinblick auf diese Bestimmung, wonach „[d]ie Zahlungen … an die Endempfänger zu leisten [sind], ohne dass irgendein Abzug oder Einbehalt den Finanzhilfebetrag verringern darf, auf den sie Anspruch haben“, klargestellt, dass dieses Verbot von Abzügen nicht rein formal ausgelegt werden kann und sich auf alle Belastungen beziehen muss, die unmittelbar und untrennbar mit den gezahlten Beträgen in Zusammenhang stehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 2006, Kommission/Portugal, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A640&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C-84/04</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A640&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2006:640</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A640&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point35" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">35</a>, und vom 25. Oktober 2007, Porto Antico di Genova, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C-427/05</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2007:630</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point13" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">13</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point20">20</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dagegen behindert eine Abgabe, die von Unionszuschüssen unabhängig ist und nicht speziell mit den gewährten Beträgen zusammenhängt, sondern unterschiedslos die Gesamtheit der Einkünfte des Endbegünstigten betrifft, nicht das Funktionieren der vom Unionsrecht geschaffenen Mechanismen, obwohl sie zu einer Verringerung des Betrags des Unionszuschusses führt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2007, Porto Antico di Genova, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C-427/05</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2007:630</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point16" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">16</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A630&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point18" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">18</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point21">21</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Angesichts dessen, dass den unterschiedlichen Unterstützungsmaßnahmen gemeinsam ist, dass sie aus dem Unionshaushalt finanziert werden und die auf sie anwendbaren Auszahlungsregelungen gleich auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2006, Kommission/Portugal, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A640&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C-84/04</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A640&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2006:640</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A640&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point32" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">32</a>), bleibt die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur vollständigen Auszahlung von Finanzhilfen nach Art. 21 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 4253/88 in der durch die Verordnung Nr. 2082/93 geänderten Fassung auf Art. 80 der Verordnung Nr. 1083/2006 anwendbar.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point22">22</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Jedoch sind die Besonderheiten der verschiedenen fraglichen Mechanismen zu berücksichtigen. Im Unterschied zu anderen Rechtsvorschriften, die sich unter Verwendung des Begriffs „Endbegünstigter“ auf die natürliche oder juristische Person beziehen, die Empfängerin der gewährten Beträge ist, wird nämlich in Art. 2 Nr. 4 der Verordnung Nr. 1083/2006 ein „Begünstigter“ ausdrücklich als „[ein] Wirtschaftsbeteiligte[r] oder eine Einrichtung bzw. ein Unternehmen des öffentlichen oder privaten Rechts, die mit der Einleitung oder der Einleitung und Durchführung der Vorhaben betraut sind“, definiert.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point23">23</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 2 Nr. 3 der Verordnung wird der Begriff „Vorhaben“ definiert als ein „Projekt oder ein Bündel von Projekten, das von der Verwaltungsbehörde des betreffenden operationellen Programms … ausgewählt und von einem oder mehreren Begünstigten durchgeführt wird, um die Ziele der zugehörigen Prioritätsachse zu erreichen“.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point24">24</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Folglich geht es bei der in Art. 80 der Verordnung Nr. 1083/2006 geregelten vollständigen Auszahlung um die Auszahlung an Wirtschaftsbeteiligte oder eine Einrichtung bzw. ein Unternehmen des öffentlichen oder privaten Rechts, die mit der Einleitung oder der Einleitung und Durchführung von Projekten betraut sind, die von der Verwaltungsbehörde des betreffenden operationellen Programms ausgewählt wurden, um die Ziele der betreffenden Prioritätsachse zu erreichen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point25">25</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Vorliegend ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten, dass die Verwaltungsbehörde im Rahmen des operationellen Programms zur Stärkung des Hochschulsystems in Sardinien das Programm „Master and Back“ ausgewählt hat, das darin bestand, Hochschulabsolventen und Forschern Studienbeihilfen zu gewähren, deren Auswahl der Autonomen Region Sardinien – regionale Arbeitsagentur im Rahmen der Durchführung des zuletzt genannten Programms oblag.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point26">26</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Daraus folgt, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens, obwohl sie persönlich die Empfängerin der Beträge ist, die im Rahmen des vom ESF ausgewählten und kofinanzierten Programms gewährt wurden, nicht als „Begünstigter“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 der Verordnung Nr. 1083/2006 einzuordnen ist, da diese Eigenschaft der Autonomen Region Sardinien – regionale Arbeitsagentur zukommt. Somit ist der Grundsatz der vollständigen Auszahlung der aus dem Unionsbudget gewährten Beträge gemäß Art. 80 der Verordnung Nr. 1083/2006 auf Letztere anwendbar.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point27">27</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 80 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 4 der Verordnung Nr. 1083/2006 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren nicht entgegensteht, wonach Studienbeihilfen der nationalen Einkommensteuer unterliegen, die aus Mitteln europäischer Strukturfonds finanziert und natürlichen Personen von der Behörde gewährt werden, die von der Verwaltungsbehörde des betreffenden operationellen Programms mit der Durchführung des ausgewählten Projekts im Sinne von Art. 2 Nr. 3 der Verordnung beauftragt wurde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Kosten</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point28">28</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<p class="normal">
<span class="bold">Art. 80 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren nicht entgegensteht, wonach Studienbeihilfen der nationalen Einkommensteuer unterliegen, die aus Mitteln europäischer Strukturfonds finanziert und natürlichen Personen von der Behörde gewährt werden, die von der Verwaltungsbehörde des betreffenden operationellen Programms mit der Durchführung des ausgewählten Projekts im Sinne von Art. 2 Nr. 3 der Verordnung beauftragt wurde.</span>
</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<p class="normal">Unterschriften</p>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62017CJ0667_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62017CJ0667_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprache: Italienisch.</p>
|
175,071 | eugh-2018-12-19-c-55217 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-552/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:15 | 2019-01-31T19:21:15 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1032 | <p class="sum-title-1">
<a id="judgment"/>URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">19. Dezember 2018 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62017CJ0552_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62017CJ0552_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Sonderregelung für Reisebüros – Bereitstellung einer von anderen Steuerpflichtigen gemieteten Ferienwohnung – Zusätzliche Leistungen – Wesen einer Leistung als Haupt- oder Nebenleistung – Ermäßigte Steuersätze – Von einem Reisebüro im eigenen Namen zur Verfügung gestellte Unterkunft“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑552/17</p>
<p class="normal">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. August 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 21. September 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Alpenchalets Resorts GmbH</span>
</p>
<p class="pnormal">gegen</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Finanzamt München Abteilung Körperschaften</span>
</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász (Berichterstatter) und C. Vajda,</p>
<p class="normal">Generalanwalt: M. Bobek,</p>
<p class="normal">Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,</p>
<p class="normal">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2018,</p>
<p class="normal">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Alpenchalets Resorts GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Laukemann und durch E. Meilinger,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und M. Noort als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Gossement und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. September 2018</p>
<p class="normal">folgendes</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Art. 306 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2006:347:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2006, L 347, S. 1</a>, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Alpenchalets Resorts GmbH (im Folgenden: Alpenchalets) und dem Finanzamt München (Deutschland) wegen der Besteuerung der Bereitstellung von Ferienunterkünften.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Rechtlicher Rahmen</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Unionsrecht</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point3">3</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach dem zu Titel VIII („Steuersätze“) der Mehrwertsteuerrichtlinie gehörenden Art. 98 Abs. 1 und 2 können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden, die nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III der Richtlinie genannten Kategorien anwendbar sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point4">4</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält das „Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MwSt-Sätze gemäß Artikel 98 angewandt werden können“. Seine Nr. 12 lautet:</p>
<p class="normal">„Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen;</p>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point5">5</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Kapitel 3 („Sonderregelung für Reisebüros“) von Titel XII („Sonderregelungen“) der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält Art. 306. Dieser bestimmt:</p>
<p class="normal">„(1)   Die Mitgliedstaaten wenden auf Umsätze von Reisebüros die Mehrwertsteuer-Sonderregelung dieses Kapitels an, soweit die Reisebüros gegenüber dem Reisenden in eigenem Namen auftreten und zur Durchführung der Reise Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen.</p>
<p class="normal">Diese Sonderregelung gilt nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die zur Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage Artikel 79 Absatz 1 Buchstabe c anzuwenden ist.</p>
<p class="normal">(2)   Für die Zwecke dieses Kapitels gelten Reiseveranstalter als Reisebüro.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point6">6</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 307 der Richtlinie sieht vor:</p>
<p class="normal">„Die zur Durchführung der Reise vom Reisebüro unter den Voraussetzungen des Artikels 306 bewirkten Umsätze gelten als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden.</p>
<p class="normal">Die einheitliche Dienstleistung wird in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem das Reisebüro den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point7">7</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 308 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:</p>
<p class="normal">„Für die von dem Reisebüro erbrachte einheitliche Dienstleistung gilt als Steuerbemessungsgrundlage und als Preis ohne Mehrwertsteuer im Sinne des Artikels 226 Nummer 8 die Marge des Reisebüros, das heißt die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugutekommen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point8">8</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 309 der Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="normal">„Werden die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb der [Union] bewirkt, wird die Dienstleistung des Reisebüros einer gemäß Artikel 153 von der Steuer befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt.</p>
<p class="normal">Werden die in Absatz 1 genannten Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der [Union] bewirkt, ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze außerhalb der [Union] entfällt.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point9">9</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:</p>
<p class="normal">„Die Mehrwertsteuerbeträge, die dem Reisebüro von anderen Steuerpflichtigen für die in Artikel 307 genannten Umsätze in Rechnung gestellt werden, welche dem Reisenden unmittelbar zugutekommen, sind in keinem Mitgliedstaat abziehbar oder erstattungsfähig.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Deutsches Recht</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point10">10</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Umsatzsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 2005 (BGBl. I S. 386) in der durch das Gesetz vom 22. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3950) geänderten Fassung (im Folgenden: UStG) bestimmt in § 12 („Steuersätze“):</p>
<p class="normal">„(1)   Die Steuer beträgt für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19 Prozent der Bemessungsgrundlage (§§ 10, 11, 25 Abs. 3 und § 25a Abs. 3 und 4).</p>
<p class="normal">(2)   Die Steuer ermäßigt sich auf sieben Prozent für die folgenden Umsätze:</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">11.   die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen. Satz 1 gilt nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point11">11</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In § 25 („Besteuerung von Reiseleistungen“) UStG heißt es:</p>
<p class="normal">„(1)   Die nachfolgenden Vorschriften gelten für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. Erbringt der Unternehmer an einen Leistungsempfänger im Rahmen einer Reise mehrere Leistungen dieser Art, so gelten sie als eine einheitliche sonstige Leistung. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich nach § 3a Abs. 1. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugutekommen.</p>
<p class="normal">(2)   Die sonstige Leistung ist steuerfrei, soweit die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen im Drittlandsgebiet bewirkt werden. Die Voraussetzung der Steuerbefreiung muss vom Unternehmer nachgewiesen sein. Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat.</p>
<p class="normal">(3)   Die sonstige Leistung bemisst sich nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. Die Umsatzsteuer gehört nicht zur Bemessungsgrundlage. Der Unternehmer kann die Bemessungsgrundlage statt für jede einzelne Leistung entweder für Gruppen von Leistungen oder für die gesamten innerhalb des Besteuerungszeitraums erbrachten Leistungen ermitteln.</p>
<p class="normal">(4)   Abweichend von § 15 Abs. 1 ist der Unternehmer nicht berechtigt, die ihm für die Reisevorleistungen gesondert in Rechnung gestellten sowie die nach § 13b geschuldeten Steuerbeträge als Vorsteuer abzuziehen. Im Übrigen bleibt § 15 unberührt.</p>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point12">12</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Jahr 2011 mietete Alpenchalets Häuser in Deutschland, Österreich und Italien von deren Eigentümern an und vermietete sie anschließend im eigenen Namen zu Urlaubszwecken an Privatkunden. Zu den Leistungen gehörten neben der Bereitstellung der Unterkunft auch deren Reinigung sowie gegebenenfalls ein Wäsche- und Brötchenservice.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point13">13</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Alpenchalets ermittelte die Umsatzsteuer – gemäß § 25 UStG, unter den Reiseleistungen fallen – anhand ihrer Gewinnmarge und wandte den Regelsteuersatz an. Später, mit Schreiben vom 6. Mai 2013, beantragte sie die Änderung der Steuerfestsetzung und die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 UStG. Das Finanzamt München lehnte diesen Antrag ab.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point14">14</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Alpenchalets erhob Klage beim Finanzgericht. Dieses wies die Klage mit der Begründung ab, dass nach § 25 UStG auf die fraglichen Reiseleistungen die Margenbesteuerung anzuwenden sei. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes komme nicht in Betracht, da die Erbringung einer Reiseleistung im Sinne von § 25 UStG nicht im Katalog der Steuersatzermäßigungen des § 12 Abs. 2 UStG genannt sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point15">15</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Diese Entscheidung focht Alpenchalets beim Bundesfinanzhof (Deutschland) an.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point16">16</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das vorlegende Gericht weist zum einen darauf hin, dass nach dem Urteil vom 12. November 1992, Van Ginkel (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1992%3A435&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑163/91</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1992%3A435&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:1992:435</a>), die Sonderregelung für Reisebüros auf Leistungen eines Reisebüros, die nur die Unterbringung umfassten, anwendbar sei. Dieses Ergebnis sei in der späteren Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt worden; fraglich sei jedoch, ob es nicht im Licht des Urteils vom 21. Juni 2007, Ludwig (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A369&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑453/05</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A369&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2007:369</a>), in dem zwischen Haupt- und Nebenleistungen unterschieden werde, überprüft werden sollte.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point17">17</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zum anderen sei zu prüfen, ob es möglich sei, in der anhängigen Rechtssache einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, obwohl die Umsätze von Reisebüros im Sinne von Art. 306 der Mehrwertsteuerrichtlinie als solche zu betrachten seien und in dieser Eigenschaft nicht unter Anhang III der Richtlinie fielen. Da die Vermietung einer Ferienwohnung außerhalb der Sonderregelung für Reisebüros einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliege, könne die Anwendung dieses ermäßigten Satzes auf eine gleichartige Leistung, die der Sonderregelung unterliege, zugelassen werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point18">18</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zu den Vorlagefragen</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zur ersten Frage</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point19">19</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 306 bis 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass die bloße Überlassung einer von anderen Steuerpflichtigen angemieteten Ferienwohnung durch ein Reisebüro oder eine solche Überlassung einer Ferienwohnung mit zusätzlichen, als Nebenleistungen einzustufenden Leistungselementen der Sonderregelung für Reisebüros unterliegt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point20">20</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Sonderregelung für Reisebüros gemäß Art. 306 der Mehrwertsteuerrichtlinie nur anwendbar ist, wenn das Reisebüro zur Veranstaltung der Reise Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2012, Kozak, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑557/11</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2012:672</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point18" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">18</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point21" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">21</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point21">21</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Vorabentscheidungsersuchen enthält indessen keine Angaben dazu, ob es sich bei den Eigentümern oder Betreibern der an Alpenchalets vermieteten Ferienwohnungen um Mehrwertsteuerpflichtige handelt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point22">22</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Daher kann der Gerichtshof die erste Frage nur unter dem Vorbehalt beantworten, dass diese Eigentümer oder Betreiber mehrwertsteuerpflichtig sind, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point23">23</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 306 der Mehrwertsteuerrichtlinie und aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, findet die Sonderregelung für Reisebüros nur Anwendung, wenn ein Reisebüro zur Durchführung der Reise Gegenstände und Dienstleistungen Dritter in Anspruch nimmt; dies bedeutet, dass seine eigenen Leistungen, d. h. die Leistungen, die nicht von Dritten bezogen, sondern von dem Reisebüro selbst erbracht wurden, nicht unter die Sonderregelung fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2012, Kozak, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑557/11</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2012:672</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point18" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">18</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point21" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">21</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point23" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">23</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point27" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">27</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point24">24</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In diesem Zusammenhang kann der vom vorlegenden Gericht angesprochene und in Rn. 18 des Urteils vom 21. Juni 2007, Ludwig (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A369&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑453/05</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A369&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2007:369</a>), erwähnte Grundsatz der einheitlichen Leistung, der im Bereich der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung Anwendung findet, die Beurteilung der „einheitlichen Dienstleistung“ im Kontext der Mehrwertsteuer-Sonderregelung für die Umsätze von Reisebüros nicht beeinflussen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2012, Kozak, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑557/11</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2012:672</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A672&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point24" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">24</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point25">25</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zur Anwendung dieser Sonderregelung auf eine von Dritten bezogene Dienstleistung der Überlassung einer Ferienwohnung ist, wie das vorlegende Gericht ausführt, darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in den Rn. 23 und 24 des Urteils vom 12. November 1992, Van Ginkel (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1992%3A435&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑163/91</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1992%3A435&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:1992:435</a>), festgestellt hat, dass die bloße Bereitstellung der Unterkunft durch das Reisebüro unter die genannte Sonderregelung fallen kann. Um den Wünschen der Kundschaft zu entsprechen, bieten Reisebüros nämlich ganz verschiedene Urlaubs- und Reiseformen an, die es dem Reisenden erlauben, nach seinen Vorstellungen Beförderungs-, Unterkunfts- und sonstige Leistungen zu kombinieren, die diese Veranstalter erbringen können. Würden vom Anwendungsbereich von Art. 306 der Mehrwertsteuerrichtlinie Leistungen eines Reisebüros allein deswegen ausgeschlossen, weil sie nur die Unterkunft umfassen, so führte das zu einer komplexen steuerlichen Regelung, in der die anwendbaren Mehrwertsteuervorschriften davon abhingen, welche Bestandteile die dem Reisenden angebotenen Leistungen umfassten. Eine solche Steuerregelung widerspräche den Zielen der Richtlinie.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point26">26</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Diese Rechtsprechung wurde in mehreren Urteilen des Gerichtshofs bestätigt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point27">27</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In der Rechtssache MyTravel (Urteil vom 6. Oktober 2005, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2005%3A591&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑291/03</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2005%3A591&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2005:591</a>), veranstaltete das Reisebüro Pauschalreisen einschließlich Unterkunft und übernahm die Beförderung selbst, d. h. mit eigenen Mitteln. Wie sich aus Rn. 19 dieses Urteils ergibt, war der Pauschalpreis in den auf die Sonderregelung und den auf die Eigenleistungen entfallenden Teil aufzuschlüsseln. Durch diese Aufschlüsselung hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Sonderregelung auf bloße Beherbergungsleistungen Anwendung finden kann.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point28">28</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus Rn. 29 des Urteils vom 13. Oktober 2005, ISt (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2005%3A608&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑200/04</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2005%3A608&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2005:608</a>), geht hervor, dass die Sonderregelung für Reisebüros auf einen Wirtschaftsteilnehmer Anwendung findet, der seinen Kunden gegen Zahlung eines Pauschalpreises außer den mit eigenen Mitteln erbrachten Leistungen im Zusammenhang mit Sprachausbildung und ‑unterricht auch von anderen Steuerpflichtigen bezogene Leistungen wie den Transfer in das Bestimmungsland und/oder den Aufenthalt in diesem Land anbietet. Die Konjunktion „und/oder“ verdeutlicht, dass eine dieser Leistungen für sich genommen ausreichen kann, damit die genannte Sonderregelung Anwendung findet.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point29">29</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Urteil vom 9. Dezember 2010, Minerva Kulturreisen (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A762&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑31/10</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A762&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2010:762</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A762&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point21" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">21</a>), hat der Gerichtshof entschieden, dass zwar nicht jede von einem Reisebüro erbrachte Leistung ohne Zusammenhang mit einer Reise unter die Sonderregelung in Art. 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1977:145:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 1977, L 145, S. 1</a>) fällt, dessen Bestimmungen in Art. 306 der Mehrwertsteuerrichtlinie übernommen wurden; die Bereitstellung einer Ferienunterkunft durch ein Reisebüro wird aber vom Anwendungsbereich dieses Artikels erfasst, auch wenn die Leistung nur die Unterbringung und nicht die Beförderung umfasst.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point30">30</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Beschluss vom 1. März 2012, Star Coaches (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A120&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑220/11</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A120&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2012:120</a>), lässt keinen anderen Schluss zu.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point31">31</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Erstens hat der Gerichtshof in Rn. 20 dieses Beschlusses die auf das Urteil vom 12. November 1992, Van Ginkel (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1992%3A435&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑163/91</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A1992%3A435&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:1992:435</a>), zurückgehende Rechtsprechung klar bestätigt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point32">32</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zweitens hat der Gerichtshof in dieser Rechtssache lediglich festgestellt, dass die von einem Wirtschaftsteilnehmer erbrachten Beförderungsleistungen nicht unter Art. 306 der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen können, wenn sie über einen Unterauftragnehmer nicht an den Reisenden selbst, sondern an Reisebüros erbracht werden und das Beförderungsunternehmen kein anderes Merkmal aufweist, anhand dessen seine Leistungen denen eines Reisebüros oder eines Reiseveranstalters gleichgestellt werden können.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point33">33</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Da die bloße Bereitstellung von Ferienunterkünften durch das Reisebüro genügt, damit die in den Art. 306 bis 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Sonderregelung Anwendung findet, kann der Stellenwert etwaiger anderer Lieferungen von Gegenständen oder anderer Dienstleistungen, die zu dieser Bereitstellung von Unterkünften hinzutreten, keine Auswirkung auf die rechtliche Qualifikation des in Rede stehenden Sachverhalts haben, die dahin geht, dass er unter die Sonderregelung für Reisebüros fällt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point34">34</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Somit braucht nicht gegebenenfalls im Licht der auf das Urteil vom 21. Juni 2007, Ludwig (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A369&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑453/05</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A369&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2007:369</a>), zurückgehenden Rechtsprechung geprüft zu werden, ob solche Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen, die zur Bereitstellung von Unterkünften durch das Reisebüro hinzutreten, als Haupt- oder Nebenleistung zu qualifizieren sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point35">35</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 306 bis 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass die bloße Überlassung einer von anderen Steuerpflichtigen angemieteten Ferienwohnung durch ein Reisebüro oder eine solche Überlassung einer Ferienwohnung mit zusätzlichen, als Nebenleistungen einzustufenden Leistungselementen unabhängig von dem Stellenwert dieser zusätzlichen Leistungen jeweils eine einheitliche Leistung darstellt, die der Sonderregelung für Reisebüros unterliegt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zur zweiten Frage</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point36">36</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 98 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die in der Beherbergung in Ferienunterkünften bestehende Dienstleistung von Reisebüros, die unter Art. 307 der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt, dem ermäßigten Steuersatz oder einem der ermäßigten Steuersätze im Sinne von Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie unterliegen kann.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point37">37</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass schon nach dem Wortlaut von Art. 307 der Mehrwertsteuerrichtlinie die zur Durchführung der Reise vom Reisebüro unter den Voraussetzungen von Art. 306 der Richtlinie bewirkten Umsätze für ihre steuerliche Behandlung als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden gelten. Da die in der Beherbergung in Ferienunterkünften bestehende Leistung unter die Sonderregelung für Reisebüros fällt, folgt ihre steuerliche Behandlung daher nicht den für die Beherbergung in Ferienunterkünften geltenden Regeln, sondern richtet sich nach der Sonderregelung der Mehrwertsteuerrichtlinie für die einheitliche Dienstleistung des Reisebüros.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point38">38</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zudem ist festzustellen, dass nach Art. 98 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie der ermäßigte Steuersatz nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III der Richtlinie genannten Kategorien anwendbar ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point39">39</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die einheitliche Dienstleistung des Reisebüros im Sinne von Art. 307 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist dort jedoch nicht aufgeführt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point40">40</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Somit findet der in Art. 98 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene ermäßigte Steuersatz keine Anwendung auf die Beherbergung in Ferienunterkünften, die unter die Sonderregelung für Reisebüros fällt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point41">41</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 98 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die in der Beherbergung in Ferienunterkünften bestehende Dienstleistung von Reisebüros, die unter Art. 307 der Richtlinie fällt, nicht dem ermäßigten Steuersatz oder einem der ermäßigten Steuersätze im Sinne von Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie unterliegen kann.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Kosten</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point42">42</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">1.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Die Art. 306 bis 310 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass die bloße Überlassung einer von anderen Steuerpflichtigen angemieteten Ferienwohnung durch ein Reisebüro oder eine solche Überlassung einer Ferienwohnung mit zusätzlichen, als Nebenleistungen einzustufenden Leistungselementen unabhängig von dem Stellenwert dieser zusätzlichen Leistungen jeweils eine einheitliche Leistung darstellt, die der Sonderregelung für Reisebüros unterliegt.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">2.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass die in der Beherbergung in Ferienunterkünften bestehende Dienstleistung von Reisebüros, die unter Art. 307 der Richtlinie fällt, nicht dem ermäßigten Steuersatz oder einem der ermäßigten Steuersätze im Sinne von Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie unterliegen kann.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">von Danwitz</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Jürimäe</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Lycourgos</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Juhász</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Vajda</p>
</div>
</div>
<p class="normal">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Dezember 2018.</p>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Der Kanzler</p>
<p class="normal">A. Calot Escobar</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Der Präsident</p>
<p class="normal">K. Lenaerts</p>
</div>
</div>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62017CJ0552_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62017CJ0552_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
175,070 | eugh-2018-12-19-c-1718 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-17/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:14 | 2019-01-31T19:21:14 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1038 | <p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">19. Dezember 2018(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuer – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 19, Art. 29 und Art. 135 Abs. 1 Buchst. l – Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens – Steuerbefreiung der Vermietung von Grundstücken – Pachtvertrag über eine für einen Geschäftsbetrieb genutzte Immobilie und die für diesen Betrieb erforderlichen beweglichen Gegenstände – Leistungen in Bezug auf die Immobilie, die zu einem Vorsteuerabzug berechtigten – Berichtigung“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑17/18</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Mureş (Landgericht Mureş, Rumänien) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Januar 2018, in dem Strafverfahren gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Virgil Mailat,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Delia Elena Mailat,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Apcom Select SA</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zehnten Kammer, des Richters E. Levits und der Richterin M. Berger,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwältin: E. Sharpston,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Herrn Mailat, vertreten durch L. Chiriac und O. D. Crăciun, avocaţi,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Frau Mailat, vertreten durch S. Bogdan und D.‑S. Chertes, avocaţi,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der rumänischen Regierung, zunächst vertreten durch R.‑H. Radu, dann durch C.‑R. Canţăr, O. C. M. Florescu und E. Gane als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und R. Lyal als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 19 und 29 sowie von Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Virgil Mailat und Frau Delia Elena Mailat sowie gegen die Handelsgesellschaft Apcom Select SA, deren Geschäftsführer Herr und Frau Mailat waren. In diesem Verfahren wird ihnen Steuerhinterziehung zur Last gelegt, weil sie, nachdem sie auf Arbeiten in einer für ihre Geschäftstätigkeit genutzten Immobilie einen Vorsteuerabzug vorgenommen hatten, die Mehrwertsteuer nicht berichtigten, als sie die fragliche Immobilie und die zur Fortsetzung der Geschäftstätigkeit benötigten beweglichen Gegenstände verpachteten.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten können die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Mitgliedstaaten können die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Wettbewerbsverzerrungen für den Fall zu vermeiden, dass der Begünstigte nicht voll steuerpflichtig ist. Sie können ferner die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen durch die Anwendung dieses Artikels vorzubeugen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 29 dieser Richtlinie sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Artikel 19 gilt unter den gleichen Voraussetzungen für Dienstleistungen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">l)      Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Rumänisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 149 der Legea nr. 571/2003 privind Codul fiscal (Gesetz Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch) vom 23. Dezember 2003 (<i>Monitorul Oficial</i><i>al României</i>, Teil I, Nr. 927 vom 23. Dezember 2003) in der im Dezember 2007 geltenden Fassung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Im Sinne dieses Artikels ist</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      die abziehbare Vorsteuer für Investitionsgüter die für Umsätze jeder Art im Zusammenhang mit dem Erwerb, der Herstellung, der Umwandlung oder der Modernisierung dieser Güter gezahlte oder geschuldete Steuer, ausgenommen die für Reparaturen oder die Instandhaltung dieser Güter gezahlte oder geschuldete Steuer oder die Steuer für den Erwerb von zur Reparatur oder der Instandhaltung von Investitionsgütern bestimmten Ersatzteilen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Die Berichtigung der in Abs. 1 Buchst. d vorgesehenen abziehbaren Vorsteuer erfolgt</p>
<p class="C02AlineaAltA">a)      wenn das Investitionsgut vom Steuerpflichtigen</p>
<p class="C10Marge1">1.      ganz oder teilweise für andere Zwecke als seine wirtschaftliche Tätigkeit verwendet wird;</p>
<p class="C10Marge1">2.      für Umsätze verwendet wird, für die kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht;</p>
<p class="C10Marge1">3.      für Umsätze verwendet wird, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug in anderer Höhe als ursprünglich abgezogen besteht.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Apcom Select, deren Geschäftsführer Herr und Frau Mailat waren, nahm im Mai 2007 Investitionsarbeiten ab, die in den Jahren 2006 bis 2007 in einer Immobilie durchgeführt worden waren, in der sie ein Restaurant betrieb. Apcom Select nahm für diese Arbeiten sowie die für den Betrieb des Restaurants benötigten Sachanlagen und Inventargegenstände einen Vorsteuerabzug vor.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Im Dezember 2007 verpachtete Apcom Select die fragliche Immobilie sowie die für den Betrieb des Restaurants benötigten Sachanlagen und Inventargegenstände mehrwertsteuerfrei an eine andere Handelsgesellschaft. Der Pächter führte den Betrieb des Restaurants unter demselben Namen fort. Beim Abschluss des Pachtvertrags nahmen Herr und Frau Mailat keine Berichtigung der für die ausgeführten Arbeiten sowie die für den Betrieb des Restaurants benötigten Sachanlagen und Inventargegenstände in Abzug gebrachten Mehrwertsteuer vor, obwohl sie nach der nationalen Regelung dazu verpflichtet gewesen wären.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        In diesem Zusammenhang ist gegen Herrn und Frau Mailat sowie Apcom Select auf Betreiben der staatlichen Direktion für Korruptionsbekämpfung ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung beim vorlegenden Gericht anhängig.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Im vorliegenden Fall machen Herr und Frau Mailat geltend, dass es sich bei der Verpachtung der Immobilie, in der sie ein Restaurant betrieben hätten, einschließlich der Sachanlagen und der für den Betrieb des Restaurants benötigten Gegenstände an eine andere Handelsgesellschaft, um eine Geschäftsübertragung im Sinne der Art. 19 und 29 der Mehrwertsteuerrichtlinie gehandelt habe und Apcom Select daher berechtigt gewesen sei, die gesamte Vorsteuer auf die in den Jahren 2006 bis 2007 durchgeführten Modernisierungsarbeiten abzuziehen, ohne die Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt der Verpachtung zugunsten des Staates berichtigen zu müssen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Vor diesem Hintergrund hat das Tribunalul Mureș (Landgericht Mureș, Rumänien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Stellt der Abschluss eines Vertrags, mit dem eine Gesellschaft eine Immobilie, in der sie ein Restaurant betrieben hat, einschließlich aller Sachanlagen und Inventargegenstände verpachtet, wenn der Pächter das Restaurant unter demselben zuvor verwendeten Namen weiterbetreibt, eine Geschäftsübertragung im Sinne der Art. 19 und 29 der Mehrwertsteuerrichtlinie dar?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird: Handelt es sich bei dem beschriebenen Umsatz um eine Dienstleistung, die als eine Verpachtung von Grundstücken im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen ist, oder um eine komplexe Dienstleistung, die nicht als eine Verpachtung von Grundstücken anzusehen ist und kraft Gesetzes steuerbar ist?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur ersten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff „Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens“ im Sinne von Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einen Umsatz erfasst, mit dem eine Immobilie, die einem Geschäftsbetrieb diente, einschließlich aller Sachanlagen und für diesen Betrieb genutzter Inventargegenstände verpachtet wird, wenn der Pächter diesen Betrieb unter demselben Namen fortführt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gleichlautend ist mit Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) und dass sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur letztgenannten Bestimmung entsprechend auf Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie übertragen lässt. Nach dieser Rechtsprechung ist Zweck dieser Bestimmung, Übertragungen von Unternehmen zu erleichtern, nämlich sie zu vereinfachen und zu vermeiden, dass die Mittel des Begünstigten mit einer erheblichen Ausgabe belastet werden, zumal er diese Belastung später durch einen Vorsteuerabzug wiedererlangen würde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. November 2003, Zita Modes, C‑497/01, EU:C:2003:644, Rn. 39, und vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 23).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Der Begriff „Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens“ ist vom Gerichtshof dahin ausgelegt worden, dass er die Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensteils erfasst, die jeweils materielle und gegebenenfalls immaterielle Bestandteile umfassen, die zusammengenommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann, dass er aber nicht die bloße Übertragung von Gegenständen wie den Verkauf eines Warenbestands einschließt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. November 2003, Zita Modes, C‑497/01, EU:C:2003:644, Rn. 40, und vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 24).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Nach dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs muss, damit eine Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensteils vorliegt, die Gesamtheit der übertragenen Bestandteile ausreichen, um die Fortführung einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen, und ist die Frage, ob diese Gesamtheit sowohl unbewegliche als auch bewegliche Gegenstände umfassen muss, im Hinblick auf die Art der in Rede stehenden wirtschaftlichen Tätigkeit zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 25 und 26).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass bei der Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände, die vorzunehmen ist, um festzustellen, ob der betreffende Umsatz unter den Begriff „Übertragung eines Gesamtvermögens“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt, der Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, deren Fortführung geplant ist, besondere Bedeutung zuzumessen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 32).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      So kann in dem Fall, dass für eine wirtschaftliche Tätigkeit kein besonderes Geschäftslokal oder kein Lokal mit einer für die Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit unverzichtbaren festen Ladeneinrichtung erforderlich ist, eine Übertragung eines Gesamtvermögens im Sinne von Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie auch ohne Übereignung einer unbeweglichen Sache vorliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 27).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Zu wirtschaftlichen Tätigkeiten, die in der Nutzung einer untrennbaren Gesamtheit von beweglichen und unbeweglichen Sachen bestehen, hat der Gerichtshof außerdem entschieden, dass keine Übertragung eines Gesamtvermögens im Sinne von Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorliegt, wenn der Erwerber nicht den Besitz an dem Geschäftslokal erhält. Insbesondere wenn das Lokal mit einer festen Ladeneinrichtung ausgestattet ist, die für die Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit notwendig ist, müssen diese unbeweglichen Sachen zu den übertragenen Bestandteilen gehören, damit es sich um die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie handeln kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 28).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Bei der Tätigkeit, um die es im Ausgangsverfahren geht, nämlich dem Betrieb eines Restaurants, handelt es sich um eine Tätigkeit, die grundsätzlich nicht ohne ein Geschäftslokal ausgeübt werden kann. Abgesehen von Imbisswagen setzt die Tätigkeit der Bewirtung nämlich voraus, dass der Betreiber über Räumlichkeiten verfügt, die als Küche genutzt werden können und in denen die Ausstattung, die Geräte und die Rohstoffe, die für die Zubereitung von Speisen benötigt werden, untergebracht werden können. Im Ausgangsverfahren geht es aber nicht um den Betrieb eines Imbisswagens, sondern um den Betrieb eines Restaurants an einer festen Adresse, das sowohl über eine Küche als auch über einen Speisesaal verfügt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Es ist darauf hinzuweisen, dass es, auch wenn es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt, die nicht ohne ein Geschäftslokal ausgeübt werden kann, zur Fortführung bestimmter übertragener wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht notwendig ist, dass der Inhaber des Geschäfts auch der Eigentümer der Immobilie ist, in der dieses Geschäft geführt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 34). So hat der Gerichtshof entschieden, dass, wenn sich zeigt, dass der Erwerber zur Fortführung der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit über dasselbe Geschäftslokal verfügen muss, das dem Veräußerer zur Verfügung stand, grundsätzlich auch nichts dagegen spricht, dass ihm der Besitz durch Abschluss eines Mietvertrags eingeräumt wird (Urteil vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 36).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Allerdings betraf die Rechtssache, in der das Urteil vom 10. November 2011, Schriever (C‑444/10, EU:C:2011:724), ergangen ist, in dem der Gerichtshof diese Erwägungen angestellt hat, die Übertragung des Warenbestands und der Geschäftsausstattung an den neuen Inhaber des in dieser Rechtssache in Rede stehenden Geschäftsbetriebs, die als Gesamtheit beweglicher Sachen angesehen wurden, die hinreichte, um die wirtschaftliche Tätigkeit fortzuführen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Im vorliegenden Fall dagegen geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass sämtliche zur Ausübung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden wirtschaftlichen Tätigkeit erforderlichen Gegenstände lediglich vermietet wurden und die an ihnen bestehenden Eigentumsrechte nicht übertragen wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Eine solche Überlassung sämtlicher dieser Gegenstände stellt aber keine Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens im Sinne von Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dar.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist jedoch darauf hinzuweisen, dass den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen zu entnehmen ist, dass einige bewegliche Gegenstände wohl nicht vermietet, sondern an den Übernehmer verkauft wurden. Letztlich ist es Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob diese Gegenstände für sich allein dem Übernehmer ermöglichten, die fragliche wirtschaftliche Tätigkeit selbständig fortzuführen, oder ob die Immobilie, die Gegenstand des im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Pachtvertrags war, mit den zur Fortführung dieser wirtschaftlichen Tätigkeit erforderlichen Anlagen ausgestattet war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Außerdem ist zum einen der Tatbestand „Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens“ im Sinne von Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie nur erfüllt, wenn der Übernehmer beabsichtigt, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben und nicht bloß die betreffende Geschäftstätigkeit sofort abzuwickeln sowie gegebenenfalls den Warenbestand zu verkaufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. November 2003, Zita Modes, C‑497/01, EU:C:2003:644, Rn. 44).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Dazu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Absichten des Erwerbers im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände eines Geschäftsvorgangs berücksichtigt werden können oder in bestimmten Fällen auch berücksichtigt werden müssen, sofern sie durch objektive Anhaltspunkte untermauert werden (Urteil vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 38).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Zwar ist im Ausgangsverfahren unstreitig, dass der Pächter mehr als zwei Jahre lang die zuvor vom Verpächter ausgeübte selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortführte und dass er, wie aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen hervorgeht, die Arbeitnehmer übernommen, dieselben Lieferanten behalten und die geschäftlichen Verpflichtungen erfüllt hat, die der Verpächter gegenüber seinen Kunden eingegangen war, doch war der Pächter als solcher nie in der Lage, die betreffende Geschäftstätigkeit abzuwickeln, weil er über einen großen Teil der zur Ausübung dieser Tätigkeit erforderlichen Gegenstände nicht verfügen konnte, da er nicht deren Eigentümer geworden war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Zum anderen sind zwar Elemente wie die Laufzeit des gewährten Mietvertrags und die für seine Beendigung vereinbarten Bedingungen bei der Gesamtbeurteilung des Vorgangs einer Vermögensübertragung im Sinne von Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu berücksichtigen, doch sind weder die Laufzeit des Mietvertrags noch die Möglichkeit, diesen kurzfristig zu kündigen, als solche für die Schlussfolgerung entscheidend, dass der Erwerber beabsichtigte, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil sofort abzuwickeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 42 und 43). Da aber im vorliegenden Fall, wie sich aus der vorstehenden Randnummer ergibt, der Pächter von Apcom Select die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit ohnehin nicht abwickeln konnte, hat der Umstand, dass die Anwendung von Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht allein aus diesem Grund abgelehnt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2011, Schriever, C‑444/10, EU:C:2011:724, Rn. 42 bis 44), keine Auswirkung auf die Einstufung des im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Umsatzes am Maßstab dieser Bestimmung.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass nach Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie der Begünstigte der Übertragung Rechtsnachfolger des Übertragenden ist, nicht bedeutet, dass die Rechtsnachfolge ein Tatbestandsmerkmal dieser Bestimmung ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. November 2003, Zita Modes, C‑497/01, EU:C:2003:644, Rn. 43). Somit ist auch der Umstand, dass der Begünstigte im vorliegenden Fall den Geschäftsbetrieb unter demselben Namen wie der Übertragende fortgeführt hat, nicht entscheidend für die Feststellung, ob der fragliche Umsatz unter Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass der Begriff „Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens“ im Sinne von Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einen Umsatz nicht erfasst, mit dem eine Immobilie, die einem Geschäftsbetrieb diente, einschließlich aller Sachanlagen und Inventargegenstände verpachtet wird, selbst wenn der Pächter diesen Betrieb unter demselben Namen wie der Verpächter fortführt.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Pachtvertrag, der eine Immobilie, die einem Geschäftsbetrieb diente, sowie sämtliche für diesen Betrieb erforderliche Sachanlagen und Inventargegenstände zum Gegenstand hat, eine „Verpachtung von Grundstücken“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, oder ob ein solcher Vertrag als komplexe Dienstleistung einzustufen ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unter bestimmten Umständen mehrere formal unterschiedliche Einzelleistungen, die getrennt erbracht werden und damit jede für sich zu einer Besteuerung oder Befreiung führen könnten, als einheitlicher Umsatz anzusehen sind, wenn sie nicht selbständig sind (Urteil vom 27. Juni 2013, RR Donnelley Global Turnkey Solutions Poland, C‑155/12, EU:C:2013:434, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Leistung als einheitlich anzusehen ist, wenn der Steuerpflichtige zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (Urteil vom 27. Juni 2013, RR Donnelley Global Turnkey Solutions Poland, C‑155/12, EU:C:2013:434, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Dies ist auch dann der Fall, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die steuerlich wie die Hauptleistung behandelt werden. Insbesondere ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (Urteil vom 27. Juni 2013, RR Donnelley Global Turnkey Solutions Poland, C‑155/12, EU:C:2013:434, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Zwar ist es Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob der Steuerpflichtige in einem konkreten Fall eine einheitliche Leistung erbringt, und dazu alle endgültigen Tatsachenbeurteilungen vorzunehmen, doch kann der Gerichtshof ihm alle Auslegungshinweise an die Hand geben, die für die Entscheidung über den Rechtsstreit zweckdienlich sind (Urteil vom 27. Juni 2013, RR Donnelley Global Turnkey Solutions Poland, C‑155/12, EU:C:2013:434, Rn. 23).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Zu den Begriffen „Vermietung und Verpachtung von Grundstücken“ in Art. 135 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Ermangelung einer Definition dieser Begriffe in dieser Bestimmung den Begriff „Vermietung von Grundstücken“ im Sinne von Art. 135 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin gehend definiert hat, dass dem Mieter vom Vermieter eines Grundstücks auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht eingeräumt wird, dieses Grundstück in Besitz zu nehmen und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen (vgl. u. a. Urteile vom 4. Oktober 2001, „Goed Wonen“, C‑326/99, EU:C:2001:506, Rn. 55, und vom 6. Dezember 2007, Walderdorff, C‑451/06, EU:C:2007:761, Rn. 17).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Außerdem sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Begriffe, mit denen die in Art. 135 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen umschrieben sind, also auch die Begriffe „Vermietung und Verpachtung von Grundstücken“, eng auszulegen, da diese Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt (Urteil vom 6. Dezember 2007, Walderdorff, C‑451/06, EU:C:2007:761, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Im vorliegenden Fall ist somit zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren in Frage stehende Umsatz, nämlich die Verpachtung einer Immobilie, die einem Geschäftsbetrieb diente, und gleichzeitig der für diesen Betrieb erforderlichen Sachanlagen und Inventargegenstände als eine einheitliche Leistung oder als mehrere selbständige Einzelleistungen, die hinsichtlich der Mehrwertsteuer gesondert zu beurteilen sind, anzusehen ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Hierzu ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass sich die Verpachtung der beweglichen Gegenstände, die Gegenstand des Pachtvertrags sind, nicht von der Verpachtung der im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Immobilie trennen lassen dürfte. Im Übrigen ist unstreitig, dass einige dieser beweglichen Gegenstände wie die Küchenausstattung und ‑geräte mit dieser Immobilie fest verbunden und in diesem Stadium als deren wesentliche Bestandteile anzusehen sind. Da die Inventargegenstände, die gleichzeitig mit der Immobilie vermietet, bzw. in einigen Fällen übereignet wurden, ebenso wie die Immobilie für den Betrieb des Restaurants bestimmt waren, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass mit dieser Vermietung/Übereignung ein eigener Zweck verfolgt wird, vielmehr stellt sie sich als Mittel dar, um die Hauptleistung, die in der Verpachtung besteht, unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Daher ist die Verpachtung der Immobilie als Hauptleistung anzusehen, gegenüber der die übrigen Leistungen, d. h. die Vermietung der Sachanlagen und Inventargegenstände lediglich Nebenleistungen sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Pachtvertrag, der eine Immobilie, die einem Geschäftsbetrieb diente, sowie sämtliche für diesen Betrieb erforderlichen Sachanlagen und Inventargegenstände zum Gegenstand hat, eine einheitliche Leistung darstellt, bei der die Verpachtung der Immobilie die Hauptleistung ist.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Der Begriff „Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens“ im Sinne von Art. 19 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er einen Umsatz nicht erfasst, mit dem eine Immobilie, die einem Geschäftsbetrieb diente, einschließlich aller Sachanlagen und Inventargegenstände verpachtet wird, selbst wenn der Pächter diesen Betrieb unter demselben Namen wie der Verpächter fortführt.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass ein Pachtvertrag, der eine Immobilie, die einem Geschäftsbetrieb diente, sowie sämtliche für diesen Betrieb erforderlichen Sachanlagen und Inventargegenstände zum Gegenstand hat, eine einheitliche Leistung darstellt, bei der die Verpachtung der Immobilie die Hauptleistung ist.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Rumänisch.</p>
|
175,069 | eugh-2018-12-19-c-53017 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
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"level_of_appeal": null
} | C-530/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:14 | 2019-01-31T19:21:14 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1031 | <p class="sum-title-1">
<a id="judgment"/>URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">19. Dezember 2018 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62017CJ0530_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62017CJ0530_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Rechtsmittel – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Aufnahme des Namens des Rechtsmittelführers – Beschluss einer Behörde eines Drittstaats – Verpflichtung des Rates, zu prüfen, ob dieser Beschluss unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gefasst wurde“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑530/17 P</p>
<p class="normal">betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 7. September 2017,</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Mykola Yanovych Azarov</span>, wohnhaft in Kiew (Ukraine), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Egger und G. Lansky,</p>
<p class="pstatus">Kläger,</p>
<p class="pnormal">andere Partei des Verfahrens:</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Rat der Europäischen Union</span>, vertreten durch J.‑P. Hix und F. Naert als Bevollmächtigte,</p>
<p class="pstatus">Beklagter im ersten Rechtszug</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,</p>
<p class="normal">Generalanwalt: G. Hogan,</p>
<p class="normal">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="normal">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="normal">aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="normal">folgendes</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Mykola Yanovych Azarov die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (T‑215/15, im Folgenden: angefochtenes Urteil, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2017%3A479&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:T:2017:479</a>), mit dem das Gericht seine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2015/364 des Rates vom 5. März 2015 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2015:062:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2015, L 62, S. 25</a>) und der Durchführungsverordnung (EU) 2015/357 des Rates vom 5. März 2015 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2015:062:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2015, L 62, S. 1</a>), soweit sie ihn betreffen (im Folgenden: angefochtene Rechtsakte), abgewiesen hat.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Vorgeschichte des Rechtsstreits</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Am 5. März 2014 erließ der Rat den Beschluss 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2014:066:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2014, L 66, S. 26</a>). In Art. 1 Abs. 1 und 2 dieses Beschlusses heißt es:</p>
<p class="normal">„(1)   Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.</p>
<p class="normal">(2)   Den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point3">3</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Am 5. März 2014 erließ der Rat auch die Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2014:066:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2014, L 66, S. 1</a>), mit der die vom Beschluss 2014/119 vorgesehenen restriktiven Maßnahmen für die Europäische Union umgesetzt werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point4">4</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung heißt es:</p>
<p class="normal">„Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz der in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Person, Einrichtung oder Organisation sind oder von dieser gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point5">5</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 208/2014 sieht vor:</p>
<p class="normal">„Anhang I enthält eine Liste der natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen und Organisationen, die vom Rat nach Artikel 1 des Beschlusses 2014/119/GASP als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte verantwortlich ermittelt worden sind, der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die mit ihnen in Verbindung stehen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point6">6</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der als „Premierminister der Ukraine bis Januar 2014“ identifizierte Kläger war in die Listen der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden, im Anhang des Beschlusses 2014/119 bzw. in Anhang I der Verordnung Nr. 208/2014 aufgenommen worden. Die Begründung für seine Aufnahme in diese Listen war identisch und lautete wie folgt:</p>
<p class="normal">„Person ist in der Ukraine Gegenstand von Ermittlungen wegen der Beteiligung an Straftaten im Zusammenhang mit der Veruntreuung öffentlicher Gelder der Ukraine und des illegalen Transfers dieser Gelder in das Ausland.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point7">7</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit dem Beschluss (GASP) 2015/143 vom 29. Januar 2015 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2015:024:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2015, L 24, S. 16</a>) änderte der Rat den Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 wie folgt:</p>
<p class="normal">„Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.</p>
<p class="normal">Für die Zwecke dieses Beschlusses zählen zu Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich erklärt wurden, Personen, die Gegenstand von Untersuchungen der ukrainischen Behörden sind</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine oder wegen Beihilfe hierzu oder</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">wegen Amtsmissbrauchs als Inhaber eines öffentlichen Amtes, um sich selbst oder einer dritten Partei einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen und wodurch ein Verlust staatlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine verursacht wird, oder wegen Beihilfe hierzu.“</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point8">8</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit der Verordnung (EU) 2015/138 vom 29. Januar 2015 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2015:024:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2015, L 24, S. 1</a>) änderte der Rat den Wortlaut von Art. 3 der Verordnung Nr. 208/2014 in ähnlicher Weise.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point9">9</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit den angefochtenen Rechtsakten beließ der Rat auf der Grundlage einer Überprüfung den Namen des Klägers auf diesen Listen und verlängerte damit die Anwendung der gegen den Kläger getroffenen restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2016 mit folgender Begründung:</p>
<p class="normal">„Person ist Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point10">10</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Rechtsmittelführer erhob mit am 29. April 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift Nichtigkeitsklage gegen die angefochtenen Rechtsakte und stützte diese auf fünf Klagegründe, nämlich erstens eine Verletzung der Begründungspflicht, zweitens eine Verletzung seiner Grundrechte, drittens einen Ermessensmissbrauch, viertens einen Verstoß gegen den Grundsatz der guten Verwaltung und fünftens einen offensichtlichen Beurteilungsfehler.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point11">11</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Gericht wies alle diese Klagegründe zurück und infolgedessen die Klage insgesamt ab.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point12">12</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Rechtsmittelführer beantragt,</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">das angefochtene Urteil aufzuheben;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">den Rechtsstreit selbst endgültig zu entscheiden und die angefochtenen Rechtsakte, soweit sie ihn betreffen, für nichtig zu erklären sowie dem Rat die Kosten der Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof aufzuerlegen;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">hilfsweise, die Sache zur Entscheidung unter Bindung an die rechtliche Beurteilung durch den Gerichtshof an das Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point13">13</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Rat beantragt,</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">das Rechtsmittel zurückzuweisen;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">hilfsweise, die Klage abzuweisen;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">dem Kläger die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zum Rechtsmittel</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point14">14</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Rechtsmittelführer macht fünf Rechtsmittelgründe geltend. Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund wirft er dem Gericht vor, gegen Art. 296 AEUV und Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verstoßen zu haben. Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund, der sich in vier Teile gliedert, rügt er, dass das Gericht fehlerhaft zu dem Ergebnis gekommen sei, dass seine Grundrechte nicht verletzt worden seien. Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund wirft er dem Gericht vor, keinen Ermessensmissbrauch durch den Rat festgestellt zu haben. Mit dem vierten Rechtsmittelgrund rügt er einen Verstoß gegen Art. 41 der Charta. Mit seinem fünften Rechtsmittelgrund schließlich, der sich in sechs Teile gliedert, beanstandet der Rechtsmittelführer, das Gericht habe zu Unrecht angenommen, dass der Rat beim Erlass der angefochtenen Rechtsakte keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point15">15</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zunächst ist der dritte Teil des fünften Rechtsmittelgrundes zu prüfen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Vorbringen der Parteien</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point16">16</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Rechtsmittelführer macht geltend, das Gericht habe in den Rn. 166 ff. des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft festgestellt, dass sich das Urteil des Gerichts vom 16. Oktober 2014, LTTE/Rat (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2014%3A885&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">T‑208/11 und T‑508/11</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2014%3A885&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:T:2014:885</a>) – gegen das damals ein Rechtsmittelverfahren anhängig gewesen sei und wonach der Rat, bevor er sich auf einen Beschluss einer Behörde eines Drittstaats stütze, prüfen müsse, ob die einschlägigen Regelungen dieses Staates einen Schutz der Verteidigungsrechte und des Rechts auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz wie in der Union gewährleisteten – nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lasse, weil sich die angefochtenen Rechtsakte im Wortlaut und in der Zielsetzung von den Rechtsakten unterschieden, um die es in der Rechtssache gegangen sei, in der jenes Urteil ergangen sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point17">17</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Unterschiede zwischen diesen beiden Kategorien von Rechtsakten sind nach Ansicht des Klägers jedoch nicht entscheidend, der sich insoweit auf das zwischenzeitlich verkündete Urteil des Gerichtshofs vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:583</a>) beruft. Zum einen setze der Erlass restriktiver Maßnahmen gegen ihn das Vorhandensein eines Beschlusses einer zuständigen Behörde voraus, damit ihn der Rat, gestützt auf einen solchen Beschluss, als für die Veruntreuung von Geldern verantwortlich identifizieren könne. Zum anderen gälten die vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen daher für dieses Aufnahmekriterium, das weiter formuliert sei als das, das in der Rechtssache geprüft worden sei, in der jenes Urteil ergangen sei. Zum anderen sei auch das Argument des Gerichts irrig, wonach die Bekämpfung des Terrorismus, um die es in den genannten Urteilen gegangen sei, nicht notwendig die Kooperation mit einem Drittstaat umfasse, dessen Unterstützung der Rat, wie im vorliegenden Fall, beschlossen habe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point18">18</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Rat hält demgegenüber den dritten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes für unbegründet. Er ist in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Gerichts im angefochtenen Urteil der Ansicht, dass zwischen dem Modell restriktiver Maßnahmen, um das es in der Rechtssache gegangen sei, in der das Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:583</a>) ergangen sei, und dem Modell, um das es in der vorliegenden Rechtssache gehe, der Unterschied – was den Wortlaut und die Systematik sowie die Zielsetzungen und die Rahmenbedingungen betreffe – erheblich sei. Insbesondere die politische Entscheidung der Union, die ukrainische Regierung, u. a. bei ihren Reformen zur Stärkung des Rechtsstaats in der Ukraine zu unterstützen, sei ein einschlägiges Element; im Urteil vom 19. Oktober 2017, Yanukovych/Rat (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A786&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑598/16 P</a>, nicht veröffentlicht, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A786&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:786</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A786&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point61" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">61</a>) habe der Gerichtshof nämlich darauf hingewiesen, dass die restriktiven Maßnahmen, mit denen die Veruntreuung öffentlicher Gelder in diesem Land bekämpft werden sollten, Teil einer Politik zur Unterstützung eines Drittstaats sei, die beabsichtige, dessen wirtschaftliche und politische Stabilität zu unterstützen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point19">19</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Ansicht des Rates ist zudem die Aussage des Gerichtshofs in den Rn. 64 und 75 jenes Urteils – in Anbetracht der nicht der Kontrolle durch den Gerichtshof unterliegenden Tatsachenfeststellungen des Gerichts in den Rn. 175 und 176 des angefochtenen Urteils, wonach die vom Rechtsmittelführer genannten Gesichtspunkte nicht als Nachweis dafür ausreichten, dass seine besondere Situation durch die von ihm behaupteten Probleme des ukrainischen Justizsystems beeinträchtigt worden wäre – auf den vorliegenden Fall übertragbar.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Würdigung durch den Gerichtshof</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point20">20</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen die Unionsgerichte bei der Kontrolle restriktiver Maßnahmen eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der Unionsrechtsordnung gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2013Kommission u. a./Kadi, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:518</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point97" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">97</a>, vom 28. November 2013, Rat/Fulmen und Mahmoudian, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A775&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑280/12 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A775&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:775</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A775&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point58" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">58</a>, sowie vom 28. März 2017, Rosneft, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A236&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑72/15</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A236&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:236</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A236&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point106" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">106</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point21">21</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Grundrechtsrang kommt u. a. dem Recht auf Wahrung der Verteidigungsrechte und dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu (Urteile vom 28. November 2013, Rat/Fulmen und Mahmoudian, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A775&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑280/12 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A775&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:775</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A775&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point59" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">59</a> und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑348/12 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:776</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point66" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">66</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point22">22</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta garantierten gerichtlichen Kontrolle erfordert – worauf das Gericht in Rn. 136 des angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen hat –, dass sich der Unionsrichter, wenn er die Rechtmäßigkeit der Gründe prüft, die der Entscheidung zugrunde liegen, den Namen einer Person in die Liste der restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen aufzunehmen oder dort zu belassen, vergewissert, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind (Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:518</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point119" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">119</a>, vom 18. Juni 2015, Ipatau/Rat, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A407&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑535/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A407&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2015:407</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A407&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point42" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">42</a>, und vom 18. Februar 2016, Rat/Bank Mellat, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A96&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑176/13 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A96&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:96</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A96&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point109" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">109</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point23">23</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall sind die gegenüber dem Rechtsmittelführer verhängten restriktiven Maßnahmen – wie das Gericht in den Rn. 132 bis 134 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat – mit den angefochtenen Rechtsakten auf der Grundlage des Aufnahmekriteriums aufrechterhalten worden, das in Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 in der durch den Beschluss 2015/143 geänderten Fassung und in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 208/2014 in Verbindung mit deren Art. 3 Abs. 1 in der durch die Verordnung 2015/138 geänderten Fassung enthalten ist. Nach diesem Kriterium werden die Gelder von Personen eingefroren, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte verantwortlich identifiziert wurden, einschließlich der Personen, die Gegenstand von Untersuchungen der ukrainischen Behörden sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point24">24</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit geht aus den Rn. 134, 149 und 150 des angefochtenen Urteils hervor, dass sich der Rat für den Erlass der betreffenden restriktiven Maßnahmen auf den Umstand gestützt hat, dass der Rechtsmittelführer „Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte“ war, wie ein Schreiben der ukrainischen Justizverwaltung vom 10. Oktober 2014 belegte, in dem von einem durch die ukrainische Justizverwaltung gegen den Rechtsmittelführer eingeleiteten Ermittlungsverfahren die Rede ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point25">25</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Folglich beruht die Aufrechterhaltung der gegen den Rechtsmittelführer verhängten restriktiven Maßnahmen auf dem Beschluss einer – insoweit zuständigen – Behörde eines Drittstaats, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder einzuleiten und durchzuführen. Unerheblich ist insoweit der in Rn. 169 des angefochtenen Urteils erwähnte Umstand, dass die Existenz eines solchen Beschlusses nicht das in Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 in der durch den Beschluss 2015/143 geänderten Fassung festgelegte Aufnahmekriterium darstellt, sondern die Tatsachengrundlage, auf der die streitigen restriktiven Maßnahmen beruhen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point26">26</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Bevor sich der Rat auf einen solchen Beschluss eines Drittstaats stützt, muss er prüfen, ob dieser Beschluss unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergangen ist (Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:583</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point24" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">24</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point27">27</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Rat nämlich beim Erlass restriktiver Maßnahmen die Grundrechte, die Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind, beachten, wobei – wie in Rn. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt – dem Recht auf Wahrung der Verteidigungsrechte und dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz Grundrechtsrang zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:518</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point97" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">97</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point98" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">98</a>, vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑348/12 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:776</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point65" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">65</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point66" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">66</a>, sowie vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:583</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point25" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">25</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point28">28</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit soll das Erfordernis einer Prüfung durch den Rat, ob die Beschlüsse von Drittstaaten, auf die der Rat die Aufnahme einer Person oder Organisation in eine Liste von Personen und Organisationen stützt, deren Vermögenswerte eingefroren werden, unter Wahrung dieser Rechte gefasst worden sind, sicherstellen, dass ihre Aufnahme nur auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage erfolgt, und damit die betroffenen Personen oder Einrichtungen schützen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:583</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point26" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">26</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point29">29</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Gerichtshof hat außerdem angenommen, dass der Rat verpflichtet ist, in der Begründung für eine Entscheidung über die Aufnahme einer Person oder Organisation in eine Liste von Personen und Organisationen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, und für die nachfolgenden Entscheidungen – zumindest in gedrängter Form – die Gründe anzugeben, aus denen seiner Auffassung nach der Beschluss des Drittstaats, auf den er sich stützt, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:583</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point31" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">31</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point33" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">33</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point30">30</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Um seiner Begründungspflicht zu genügen, muss der Rat daher in der Entscheidung, mit der restriktive Maßnahmen verhängt werden, erkennen lassen, dass er geprüft hat, dass die Entscheidung des Drittstaats, auf die der Rat diese Maßnahmen stützt, unter Wahrung dieser Rechte ergangen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:583</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point37" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">37</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point31">31</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Rn. 167 des angefochtenen Urteils hat das Gericht angenommen, dass sich der im Urteil vom 16. Oktober 2014, LTTE/Rat (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2014%3A885&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">T‑208/11 und T‑508/11</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2014%3A885&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:T:2014:885</a>), verfolgte Ansatz nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lasse.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point32">32</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Rn. 175 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ferner ausgeführt, dass sich „die fehlende Übereinstimmung des Grundrechtsschutzes in der Ukraine mit dem in der Union nur dann auf die Rechtmäßigkeit der [angefochtenen Rechtsakte] auswirken [könnte], wenn die politische Entscheidung des Rates, die neue ukrainische Regierung zu unterstützen, … sich als offensichtlich falsch erwiesen hätte“. Diese Schlussfolgerung hat das Gericht, wie aus den Rn. 173 und 174 des angefochtenen Urteils hervorgeht, auf die Rechtsprechung gemäß dem Urteil vom 21. April 2015, Anbouba/Rat (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A247&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑630/13 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A247&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2015:247</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A247&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point42" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">42</a>), gestützt, wonach der Gerichtshof dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen bei der Festlegung der allgemeinen Aufnahmekriterien zugesteht, die der Anwendung restriktiver Maßnahmen zugrunde zu legen sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point33">33</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Diese Schlussfolgerung ist mit einem Rechtsfehler behaftet.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point34">34</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Rat darf nämlich erst davon ausgehen, dass eine Aufnahmeentscheidung auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht, nachdem er selbst überprüft hat, dass die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beim Erlass des Beschlusses durch den betreffenden Drittstaat, auf den er den Erlass restriktiver Maßnahmen stützen möchte, gewahrt wurden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point35">35</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall ermöglicht das in Rn. 23 des vorliegenden Urteils genannte Aufnahmekriterium dem Rat restriktive Maßnahmen auf den Beschluss eines Drittstaats wie den zu stützen, der in dem in Rn. 24 des vorliegenden Urteils erwähnten Schreiben vom 10. Oktober 2014 genannt ist; unbeschadet dessen schließt die diesem Organ obliegende Verpflichtung, die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu wahren, die Pflicht ein, sich zu vergewissern, dass diese Rechte von den Behörden des Drittstaats, die den betreffenden Beschluss erlassen haben, gewahrt wurden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point36">36</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Allerdings gehört die Ukraine, wie das Gericht in Rn. 173 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, zu den Staaten, die der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beigetreten sind. Aber auch wenn mit einem derartigen Umstand untrennbar verknüpft ist, dass die in dieser Konvention gewährleisteten Grundrechte – die nach Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind – durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überwacht werden, wird dadurch eine Überprüfung durch den Rat nicht überflüssig, ob der Beschluss eines solchen Drittstaats, auf die der Rat restriktive Maßnahmen stützt, unter Wahrung der Grundrechte und insbesondere der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point37">37</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Umstand, dass die angeführte Rechtsprechung zu restriktiven Maßnahmen ergangen ist, die sich auf den Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2001:344:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2001, L 344, S. 93</a>) stützten, der ausweislich seines Art. 1 Abs. 4 ausdrücklich auf einen von einer zuständigen Behörde gefassten Beschluss abstellt, vermag diese Schlussfolgerung nicht in Frage zu stellen. Denn die Unterschiede in Wortlaut, Systematik und Zielsetzung, die das Gericht in den Rn. 168 bis 172 des angefochtenen Urteils zwischen dem Modell restriktiver Maßnahmen, das dieser Gemeinsame Standpunkt vorsieht, einerseits und dem Modell restriktiver Maßnahmen, das der Beschluss 2014/119 in der durch den Beschluss 2015/143 geänderten Fassung und die Verordnung Nr. 208/2014 in der durch die Verordnung 2015/138 geänderten Fassung vorsehen, andererseits festgestellt hat, können nicht zur Folge haben, dass die Anwendung der Garantien, die sich aus dieser Rechtsprechung ergeben, allein auf restriktive Maßnahmen beschränkt wird, die zur Bekämpfung des Terrorismus nach dem Modell des genannten Gemeinsamen Standpunkts erlassen werden, und davon restriktive Maßnahmen ausgenommen werden, die im Rahmen der Zusammenarbeit mit einem Drittstaat erlassen werden, die der Rat infolge einer politischen Entscheidung beschließt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point38">38</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zu der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Erwägung des Gerichts ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Festlegung allgemeiner Aufnahmekriterien, die den Erlass restriktiver Maßnahmen ermöglichen, im vorliegenden Fall nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist. Es geht vielmehr um die Entscheidung, das Einfrieren der Vermögenswerte des Klägers mit den angefochtenen Rechtsakten aufrechtzuerhalten, die eine individuelle Betroffenheit des Klägers begründet. Nach der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung muss sich der Unionsrichter, wenn er die Rechtmäßigkeit der Gründe prüft, die einer solchen Entscheidung zugrunde liegen, vergewissern, dass zumindest einer der angeführten Gründe hinreichend präzise und konkret ist, nachgewiesen ist und für sich genommen eine hinreichende Grundlage für diese Entscheidung darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑348/12 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:776</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A776&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point72" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">72</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point39">39</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Darüber hinaus ist es im Streitfall Sache der zuständigen Unionsbehörde, die Stichhaltigkeit der gegen die betroffene Person angeführten Begründung nachzuweisen, und nicht Sache der betroffenen Person, den Negativbeweis der fehlenden Stichhaltigkeit dieser Begründung zu erbringen (Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:518</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A518&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point121" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">121</a>, sowie vom 28. November 2013, Rat/Fulmen und Mahmoudian, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A775&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑280/12 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A775&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:775</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A775&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point66" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">66</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point40">40</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Hinsichtlich der Urteile vom 19. Oktober 2017, Yanukovych/Rat (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A786&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑598/16 P</a>, nicht veröffentlicht, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A786&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:786</a>) und vom 19. Oktober 2017, Yanukovych/Rat (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A785&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/16 P</a>, nicht veröffentlicht, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A785&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:785</a>), auf die sich der Rat beruft, ist zu bemerken, dass der Gerichtshof im Rahmen der Rechtsmittel, auf die diese Urteile ergangen sind, nicht mit der Frage befasst war, ob sich die Rechtsprechung gemäß dem Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:583</a>) auf den Fall restriktiver Maßnahmen erstreckt, die angesichts der Lage in der Ukraine erlassen wurden. Zudem ist in Anbetracht der in den Rn. 27, 28 und 39 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung davon auszugehen, dass aus diesen Urteilen nicht die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass der Rat nicht verpflichtet ist, zu prüfen, dass der Beschluss eines Drittstaats, auf den der Rat den Erlass restriktiver Maßnahmen stützen möchte, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde. Eine solche Schlussfolgerung würde nämlich im Widerspruch zu dieser ständigen Rechtsprechung stehen. Die Feststellungen in den genannten Urteilen wirken sich somit auf das vorliegende Rechtsmittel nicht aus.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point41">41</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach alledem hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, als es entgegen den Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑599/14 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A583&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:583</a>) angenommen hat, dass der Rat nicht verpflichtet gewesen sei, zu prüfen, ob der Beschluss eines Drittstaats, auf den der Rat die Verhängung restriktiver Maßnahmen stützen möchte, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen worden sei, so dass der vor ihm geltend gemachte Klagegrund, mit dem ein offensichtlicher Beurteilungsfehler gerügt worden sei, zurückzuweisen sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point42">42</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Da somit dem dritten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes stattzugeben ist, ist in der Folge das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben, ohne dass es erforderlich wäre, auf die anderen Teile dieses Rechtsmittelgrundes oder die anderen Rechtsmittelgründe einzugehen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zur Klage vor dem Gericht</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point43">43</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts, wenn das Rechtsmittel begründet ist, auf. Ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, so kann ihn der Gerichtshof selbst endgültig entscheiden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point44">44</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof über die erforderlichen Angaben, um endgültig über die vom Rechtsmittelführer beim Gericht erhobene Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte zu entscheiden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point45">45</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus der Begründung der angefochtenen Rechtsakte geht in keiner Weise hervor, dass der Rat geprüft hat, ob die ukrainische Justizverwaltung die Verteidigungsrechte des Klägers und dessen Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt hatte.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point46">46</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Unter diesen Bedingungen genügt der Hinweis, dass die Klage aus den in den Rn. 25 bis 30 und 34 bis 42 des vorliegenden Urteils genannten Gründen begründet ist und die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären sind, soweit sie den Rechtsmittelführer betreffen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Kosten</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point47">47</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point48">48</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Art. 138 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point49">49</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Da der Rechtsmittelführer die Verurteilung des Rates beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">1.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2017%3A479&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">T‑215/15</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2017%3A479&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:T:2017:479</a>), wird aufgehoben.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">2.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Der Beschluss (GASP) 2015/364 des Rates vom 5. März 2015 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine und die Durchführungsverordnung (EU) 2015/357 des Rates vom 5. März 2015 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine werden für nichtig erklärt, soweit sie Herrn Mykola Yanovych Azarov betreffen.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">3.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten sowohl des Verfahrens im ersten Rechtszug als auch des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">von Danwitz</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Jürimäe</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Lycourgos</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Juhász</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Vajda</p>
</div>
</div>
<p class="normal">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Dezember 2018.</p>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Der Kanzler</p>
<p class="normal">A. Calot Escobar</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Der Präsident</p>
<p class="normal">K. Lenaerts</p>
</div>
</div>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62017CJ0530_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62017CJ0530_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
175,068 | eugh-2018-12-19-c-57217 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-572/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:13 | 2019-01-31T19:21:13 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1033 | <p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">19. Dezember 2018(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 4 Abs. 1 – Verbreitungsrecht – Verletzung – Zum Verkauf bestimmte Waren mit einem urheberrechtlich geschützten Motiv – Lagerung zu kommerziellen Zwecken – Vom Verkaufsort getrenntes Lager“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑572/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) mit Entscheidung vom 21. September 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. September 2017, in dem Strafverfahren gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Imran Syed</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        des Riksåklagare, vertreten durch M. Hedström und K. Skarp als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda und K. Simonsson als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Oktober 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines vom Riksåklagare (Generalstaatsanwalt, Schweden) gegen Herrn Imran Syed wegen Verstößen gegen das Markenrecht und das Eigentum an literarischen und künstlerischen Werken eingeleiteten Strafverfahrens.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Völkerrecht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) nahm am 20. Dezember 1996 in Genf den WIPO-Urheberrechtsvertrag (im Folgenden: WCT) an, der mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. 2000, L 89, S. 6) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde und am 14. März 2010 für die Europäische Union in Kraft trat (ABl. 2010, L 32, S. 1).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 6 („Verbreitungsrecht“) Abs. 1 des WCT bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Urheber von Werken der Literatur und Kunst haben das ausschließliche Recht zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder sonstige Eigentumsübertragung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 4 („Verbreitungsrecht“) Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Schwedisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Das Lag (1960:729) om upphovsrätt till litterära och konstnärliga verk (Gesetz [1960:729] über das Urheberrecht an literarischen und künstlerischen Werken, im Folgenden: Gesetz [1960:729]) setzt die Richtlinie 2001/29 in schwedisches Recht um.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        § 53 dieses Gesetzes lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren wird bestraft, wer in Bezug auf ein literarisches oder künstlerisches Werk vorsätzlich oder grob fahrlässig Handlungen vornimmt, die das gemäß den Kapiteln 1 und 2 dieses Gesetzes an dem Werk bestehende Urheberrecht verletzen oder gegen eine in § 41 Abs. 2 oder § 50 vorgesehene Bestimmung verstoßen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Nach § 2 des Gesetzes kann eine solche Handlung u. a. darin bestehen, dass ein Werk ohne Zustimmung des Urhebers verwertet wird, indem es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Gemäß Abs. 3 Nr. 4 dieses Artikels wird ein Werk u. a. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn Exemplare des Werks zum Verkauf, zur Vermietung oder zum Verleih angeboten oder auf andere Weise in der Öffentlichkeit verbreitet werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Das Gesetz enthält kein ausdrückliches Verbot, zum Verkauf bestimmte geschützte Waren zu lagern.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Herr Syed betrieb in Stockholm (Schweden) ein Einzelhandelsgeschäft, in dem er Kleider und Accessoires mit Rockmusikmotiven verkaufte. Zusätzlich zu den dort zum Verkauf angebotenen Teilen lagerte er solche Waren in einem diesem Ladenlokal angeschlossenen Lagerraum und in einem Lager in Bandhagen (Schweden), einem Stadtteil von Stockholm. Das Ladenlokal von Herrn Syed wurde unstreitig in regelmäßigen Abständen mit Waren aus diesen Lagern beliefert.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Es wurde festgestellt, dass der Verkauf mehrerer dieser Waren gegen das Markenrecht und das Urheberrecht verstieß. Daraufhin wurde gegen Herrn Syed vor dem Tingsrätt (Gericht erster Instanz, Schweden) ein Strafverfahren wegen Markenverletzung und Verstoßes gegen das Gesetz (1960:729) eröffnet. Der Åklagare (Staatsanwaltschaft, Schweden) vertrat die Auffassung, dass Herr Syed gegen das Urheberrecht der Nebenkläger verstoßen habe, indem er widerrechtlich Kleider und Stoffe, die mit urheberrechtlich geschützten Motiven versehen gewesen seien, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe. Alle mit solchen Motiven versehenen Waren, die sich in dem Ladenlokal und den Lagern befänden, seien zum Verkauf angeboten oder an die Öffentlichkeit verbreitet worden, weshalb diese Handlungen gegen das Gesetz (1960:729) verstießen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Das Tingsrätt (Gericht erster Instanz) verurteilte Herrn Syed in Bezug auf alle erfassten Waren wegen Markenverletzung. Zudem verurteilte es ihn wegen Verstoßes gegen das Gesetz (1960:729) in Bezug auf die mit einem urheberrechtlich geschützten Motiv versehenen Waren, die sich in dem von ihm betriebenen Ladenlokal befanden, sowie die Waren in den beiden Lagern, soweit sie mit den im Ladenlokal verkauften Waren identisch waren. Das Gericht verurteilte Herrn Syed auch wegen dieser gelagerten Waren, weil es der Ansicht war, dass der Begriff des „Anbietens“ von das Urheberrecht der Nebenkläger verletzenden Waren „zum Verkauf“ nicht nur die Waren erfasse, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in dem Ladenlokal von Herrn Syed befänden, sondern auch die identischen Waren in den Lagerräumen. Dagegen könnten die übrigen Waren in diesen Lagern nicht als zum Verkauf angeboten angesehen werden. Herr Syed wurde für alle diese Verstöße zu einer Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, und zu einer Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen verurteilt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Das mit der Berufung befasste Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht Stockholm, Rechtsmittelgericht in Patent- und Markensachen, Schweden) befand, dass Herr Syed nur in Bezug auf die Waren in seinem Ladenlokal, nicht aber in Bezug auf die Waren in den Lagerräumen gegen das Gesetz (1960:729) verstoßen habe. Herr Syed habe diese Waren zwar zu dem Zweck gelagert, sie zu verkaufen. Jedoch könne nicht angenommen werden, dass sie zum Verkauf angeboten oder an die Öffentlichkeit verbreitet worden seien. Auch handele es sich bei der Aufbewahrung der Waren in den Lagern nicht um einen Versuch der Begehung oder die Vorbereitung eines Verstoßes gegen das Gesetz (1960:729). Die gegen Herrn Syed verhängte Strafe wurde auf eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen herabgesetzt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Der Riksåklagare (Generalstaatsanwalt) beantragte vor dem Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden), dem vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache, Herrn Syed in Bezug auf dieselben Waren, hinsichtlich deren das Tingsrätt (Gericht erster Instanz) einen Verstoß gegen das Gesetz (1960:729) festgestellt hatte, zu verurteilen. Ferner beantragte er, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zur Vorabentscheidung vorzulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Herr Syed machte vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass eine Verletzung des Verbreitungsrechts eines Urheberrechtsinhabers durch ein Verkaufsangebot nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ein aktives Tätigwerden gegenüber der Öffentlichkeit voraussetze, das auf die Übereignung jedes einzelnen Gegenstands gerichtet sein müsse. Der Einkauf und die Lagerung von Waren könne nicht als ein solches aktives Tätigwerden angesehen werden. Eine gegenteilige Auslegung würde den Bereich der strafrechtlichen Verantwortung unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit ausweiten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass weder das Gesetz (1960:729) noch die Richtlinie 2001/29 ein ausdrückliches Verbot enthielten, mit einem urheberrechtlich geschützten Motiv versehene Waren, die zum Verkauf bestimmt seien, zu lagern. Ferner gehe aus dem Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca (C‑516/13, EU:C:2015:315), hervor, dass das in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 verankerte Verbreitungsrecht bereits durch dem Abschluss des Kaufvertrags vorausgehende Geschäfte oder Handlungen verletzt sein könne. Es stelle sich jedoch die Frage, ob jemand, der mit einem geschützten Motiv versehene Waren in einem Lager aufbewahre, diese zum Verkauf anbiete, wenn er in seinem Einzelhandelsgeschäft identische Waren zum Verkauf anbiete.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Unter diesen Umständen hat der Högsta domstol (Oberster Gerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Kann, wenn in einem Ladenlokal Waren mit geschützten Motiven rechtswidrig zum Verkauf angeboten werden, ein Verstoß gegen das ausschließliche Recht des Urhebers gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, die Verbreitung dieser Waren zu erlauben oder zu verbieten, auch in Bezug auf solche Waren mit identischen Motiven vorliegen, die sich in einem Lager der diese Waren anbietenden Person befinden?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Kommt es dabei darauf an, ob die Waren in einem an das Ladenlokal angeschlossenen Lagerraum oder an einem anderen Ort gelagert werden?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Lagerung von Waren, die mit einem im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Lagerung urheberrechtlich geschützten Motiv versehen sind, durch einen Händler eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts des Urheberrechtsinhabers im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn dieser Händler in einem Ladenlokal ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers Waren zum Verkauf anbietet, die mit den ohne Zustimmung dieses Rechtsinhabers gelagerten Waren identisch sind. Das vorlegende Gericht möchte auch wissen, ob insoweit die Entfernung zwischen Lager- und Verkaufsort zu berücksichtigen ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 sehen die Mitgliedstaaten vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Es ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Verbreitung“ in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, da diese Richtlinie dazu dient, Verpflichtungen nachzukommen, die der Union u. a. nach dem WCT obliegen, und da nach ständiger Rechtsprechung Bestimmungen des Unionsrechts nach Möglichkeit im Licht des Völkerrechts auszulegen sind, insbesondere wenn mit ihnen ein von der Union geschlossener völkerrechtlicher Vertrag durchgeführt werden soll, im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 des WCT auszulegen ist (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Die Wendung „Verbreitung an die Öffentlichkeit … durch Verkauf“ in Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie ist daher gleichbedeutend mit der Formulierung „durch Verkauf … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ in Art. 6 Abs. 1 des WCT (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Unter Berücksichtigung dessen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Verbreitung an die Öffentlichkeit durch eine Reihe von Handlungen gekennzeichnet ist, die zumindest vom Abschluss eines Kaufvertrags bis zu dessen Erfüllung durch die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit reicht. Ein Händler ist daher für jede von ihm selbst oder für seine Rechnung vorgenommene Handlung verantwortlich, die zu einer Verbreitung an die Öffentlichkeit in einem Mitgliedstaat führt, in dem die in Verkehr gebrachten Waren urheberrechtlich geschützt sind (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Aus dieser Rechtsprechung und insbesondere aus dem vom Gerichtshof verwendeten Begriff „zumindest“ ergibt sich, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass dem Abschluss des Kaufvertrags vorangehende Geschäfte oder Handlungen ebenfalls unter den Begriff „Verbreitung“ fallen und ausschließlich den Inhabern des Urheberrechts vorbehalten sind (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 26).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Insoweit steht fest, dass eine Verbreitung an die Öffentlichkeit im Fall des Abschlusses einer Verkaufs- und Versendungsvereinbarung als gegeben anzunehmen ist. Dies gilt auch im Fall eines den Erklärenden bindenden Angebots zum Abschluss eines Kaufvertrags, da ein solches Angebot seinem Wesen nach eine dem Zustandekommen des Kaufgeschäfts vorgelagerte Handlung darstellt (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 27).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Der Gerichtshof hat im Wesentlichen auch entschieden, das eine solche Handlung selbst dann eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellen kann, wenn auf diese Handlung nicht der Übergang des Eigentums an dem geschützten Werk oder seinen Vervielfältigungstücken folgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 32).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      So kann eine dem Zustandekommen des Kaufgeschäfts über ein urheberrechtlich geschütztes Werk oder seine Vervielfältigungsstücke vorgelagerte Handlung, die ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers erfolgt und diesen Verkauf zustande bringen soll, eine Verletzung des Verbreitungsrechts im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 28).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Auch wenn eine Verletzung des Verbreitungsrechts nicht zwangsläufig das Zustandekommen des Kaufgeschäfts voraussetzt, ist insoweit doch nachzuweisen, dass die betreffenden Waren tatsächlich dazu bestimmt sind, ohne Zustimmung des Rechtsinhabers an die Öffentlichkeit verbreitet zu werden, und zwar insbesondere durch ein Verkaufsangebot in einem Mitgliedstaat, in dem das in Rede stehende Werk geschützt ist (vgl. entsprechend Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 29 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Im Ausgangsfall lagerte Herr Syed Waren mit urheberrechtlich geschützten Motiven und verkaufte in einem Ladenlokal identische Waren ohne Zustimmung der Urheberrechtsinhaber.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Es ist zu prüfen, ob eine solche Lagerung als eine dem Zustandekommen des Kaufgeschäfts vorgelagerte Handlung angesehen werden kann, die eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellen kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Hierzu ist festzustellen, dass die Lagerung von Waren mit urheberrechtlich geschützten Motiven als eine solche Handlung angesehen werden kann, wenn nachgewiesen wird, dass diese Waren tatsächlich dazu bestimmt sind, ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers an die Öffentlichkeit verkauft zu werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Insoweit kann der Umstand, dass jemand, der Waren mit urheberrechtlich geschützten Motiven ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in einem Ladenlokal verkauft, identische Waren lagert, ein Indiz dafür darstellen, dass die gelagerten Waren ebenfalls in diesem Ladenlokal verkauft werden sollen und diese Lagerung damit eine dem Zustandekommen des Kaufgeschäfts vorgelagerte Handlung darstellen kann, die das Verbreitungsrecht des Urheberrechtsinhabers verletzen kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Jedoch lässt sich allein daraus, dass die gelagerten Waren und die im Ladenlokal des Betroffenen verkauften Waren identisch sind, nicht schließen, dass die Lagerung eine Handlung darstellt, mit der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem diese Waren urheberrechtlich geschützt sind, ein Verkauf zustande gebracht werden soll.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Es lässt sich nicht ausschließen, dass alle oder ein Teil der unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens gelagerten Waren nicht zum Verkauf im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bestimmt sind, in dem das auf diesen Waren angebrachte Werk geschützt wird, auch wenn diese Waren mit denjenigen identisch sind, die in dem Ladenlokal des Händlers zum Verkauf angeboten werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      In einem solchen Fall würde eine Herangehensweise, wie sie oben in Rn. 32 dargelegt ist, dazu führen, dass die tatsächliche Bestimmung der betroffenen Waren nicht berücksichtigt wird und dass alle gelagerten Waren gleich behandelt werden, obwohl sie grundsätzlich verschiedene Bestimmungen haben können.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Eine solche Herangehensweise würde daher darauf hinauslaufen, den durch das ausschließliche Verbreitungsrecht verliehenen Schutz über den vom Unionsgesetzgeber festgelegten Rahmen hinaus auszuweiten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, im Licht der ihm vorliegenden Beweismittel zu prüfen, ob alle oder nur ein Teil der Waren, die mit den in dem fraglichen Ladenlokal verkauften Waren identisch sind, in diesem Ladenlokal vertrieben werden sollten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Insoweit hält es der Gerichtshof für sachdienlich, die folgenden Hinweise zu geben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Was die Feststellung der Bestimmung der fraglichen Waren betrifft, sind alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die dem Nachweis dienen können, dass diese Waren gelagert werden, um sie dann ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in dem Mitgliedstaat zu verkaufen, in dessen Hoheitsgebiet die auf den Waren angebrachten Motive urheberrechtlich geschützt sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Unter diesen Gesichtspunkten kann die Entfernung zwischen Lager- und Verkaufsort zwar ein Indiz dafür darstellen, dass die betreffenden Waren an diesem Verkaufsort verkauft werden sollen; dieses Indiz kann jedoch für sich allein nicht ausschlaggebend sein. Es kann allerdings im Rahmen einer konkreten Prüfung aller möglicherweise erheblichen Gesichtspunkte – wie z. B. die regelmäßige Belieferung des Ladenlokals mit Waren aus den in Rede stehenden Lagerstätten, Buchhaltungsbelege, das Umsatz- und Bestellvolumen im Verhältnis zum Volumen der gelagerten Waren und die laufenden Verkaufsverträge – berücksichtigt werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Lagerung von Waren, die mit einem im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Lagerung urheberrechtlich geschützten Motiv versehen sind, durch einen Händler eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn dieser Händler in einem Ladenlokal ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers Waren, die mit den gelagerten Waren identisch sind, zum Verkauf anbietet, sofern die gelagerten Waren tatsächlich zum Verkauf im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bestimmt sind, in dem dieses Motiv geschützt ist. Die Entfernung zwischen Lager- und Verkaufsort kann für die Feststellung, ob die gelagerten Waren zum Verkauf im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats bestimmt sind, für sich allein nicht ausschlaggebend sein.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C30Dispositifalinea">
<b>Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die Lagerung von Waren, die mit einem im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Lagerung urheberrechtlich geschützten Motiv versehen sind, durch einen Händler eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn dieser Händler in einem Ladenlokal ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers Waren, die mit den gelagerten Waren identisch sind, zum Verkauf anbietet, sofern die gelagerten Waren tatsächlich zum Verkauf im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bestimmt sind, in dem dieses Motiv geschützt ist. Die Entfernung zwischen Lager- und Verkaufsort kann für die Feststellung, ob die gelagerten Waren zum Verkauf im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats bestimmt sind, für sich allein nicht ausschlaggebend sein.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Schwedisch.</p>
|
175,067 | eugh-2018-12-19-c-37517 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-375/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:13 | 2019-01-31T19:21:13 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1026 | <p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)</p>
<p class="C19Centre">19. Dezember 2018(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 49 und 56 AEUV – Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr – Glücksspiel – Konzession für die Veranstaltung automatisierter Lotterien und anderer Zahlenglücksspiele mit fester Quote, die nur einem Konzessionsnehmer erteilt wird – Beschränkung – Zwingende Gründe des Allgemeininteresses – Verhältnismäßigkeit“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑375/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 11. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juni 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Stanley International Betting Ltd,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Stanleybet Malta ltd.</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Ministero dell’Economia e delle Finanze,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Agenzia delle Dogane e dei Monopoli,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">weitere Beteiligte:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Lottomatica SpA,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Lottoitalia Srl,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung der Präsidentin der Dritten Kammer A. Prechal in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters A. Rosas,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwältin: E. Sharpston,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Stanley International Betting Ltd, vertreten durch R. Jacchia, F. Ferraro, A. Terranova und D. Agnello, avvocati,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Stanleybet Malta ltd., vertreten durch D. Agnello und M. Mura, avvocati,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Lottoitalia Srl, vertreten durch F. Satta, R. Mastroianni, S. Fidanzia, A. Gigliola, R. Baratta und A. Romano, avvocati,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino und P. G. Marrone, avvocati dello Stato,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck, R. Verbeke und J. Van den Bon, advocaten,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo, A. Silva Coelho und P. de Sousa Inês als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe, G. Gattinara und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. September 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 und 56 AEUV, der Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit sowie der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der im Vereinigten Königreich in das Gesellschaftsregister eingetragenen Stanley International Betting Ltd und deren maltesischer Tochtergesellschaft Stanleybet Malta ltd. (im Folgenden zusammen: Stanley) einerseits und dem Ministero dell’Economia e delle Finanze (Minister für Wirtschaft und Finanzen, Italien) und der Agenzia delle Dogane e dei Monopoli (Agentur für Zölle und Monopole, Italien) (im Folgenden: ADM) andererseits wegen der Rechtmäßigkeit des Verfahrens zur Vergabe der Konzession für die Veranstaltung automatisierter Lotterien und anderer Zahlenglücksspiele mit fester Quote (im Folgenden: Lotterien).</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        In der Richtlinie 2014/23 heißt es im ersten Erwägungsgrund:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Das Fehlen klarer Bestimmungen zur Vergabe von Konzessionen auf Unionsebene führt zu Rechtsunsicherheit, Behinderungen des freien Dienstleistungsverkehrs und Verzerrungen des Binnenmarkts. … Ein angemessener, ausgewogener und flexibler Rechtsrahmen für die Konzessionsvergabe würde den tatsächlichen, diskriminierungsfreien Marktzugang aller Wirtschaftsteilnehmer in der Union und Rechtssicherheit gewährleisten und so öffentliche Investitionen in Infrastrukturen und strategische Dienstleistungen für die Bürger fördern. Ein solcher Rechtsrahmen würde auch zu größerer Rechtssicherheit für die Wirtschaftsteilnehmer führen und könnte eine Grundlage und ein Mittel für die weitere Öffnung der internationalen Märkte für öffentliche Aufträge darstellen und den Welthandel ankurbeln. …“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        In Art. 51 („Umsetzung“) der Richtlinie 2014/23 ist in Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens bis zum 18. April 2016 nachzukommen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 54 („Inkrafttreten“) der Richtlinie 2014/23 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i> in Kraft.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf vor dem 17. April 2014 ausgeschriebene oder vergebene Konzessionen.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Italienisches Recht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Gesetz Nr. 528 vom 2. August 1982 – Regelung der Lotterien und Maßnahmen für die Beschäftigten dieser Branche</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Nach Art. 1 der Legge n. 528 – Ordinamento del gioco del lotto e misure per il personale del lotto (Gesetz Nr. 528 – Regelung der Lotterien und Maßnahmen für die Beschäftigten dieser Branche) vom 2. August 1982 (GURI Nr. 222, vom 13. August 1982) ist die Veranstaltung von Lotterien dem Staat vorbehalten, der diese Aufgabe der ADM übertragen hat.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Gesetz Nr. 190/2014</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 1 Abs. 653 der Legge n. 190 – Disposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (legge di stabilità 2015) (Gesetz Nr. 190 – Bestimmungen über die Feststellung des Haushaltsplans für ein oder mehrere Rechnungsjahre [Stabilitätsgesetz 2015]) vom 23. Dezember 2014 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 300, vom 29. Dezember 2014, im Folgenden: Gesetz Nr. 190/2014) lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Wegen des Auslaufens der bisherigen Konzession wird die Konzession für die Veranstaltung automatisierter Lotterien und anderer Zahlenglücksspiele mit fester Quote, was die Annahme der Spieleinsätze durch das Netz der Konzessionsnehmer oder online angeht, damit dabei die öffentlichen Interessen gewahrt werden, von der [ADM] unter Beachtung der Grundsätze und Vorschriften des europäischen und nationalen Rechts in einem offenen, auf dem Wettbewerb basierenden und nicht diskriminierenden Auswahlverfahren an ein qualifiziertes Unternehmen vergeben, das Erfahrung auf dem Gebiet der Veranstaltung von Glücksspielen oder der Annahme von Spieleinsätzen hat, im Europäischen Wirtschaftsraum ansässig ist und in sittlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Das Verfahren sieht folgende wesentlichen Bedingungen vor:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      die Laufzeit der Konzession beträgt neun Jahre, sie kann nicht verlängert werden;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      die Auswahl richtet sich nach dem wirtschaftlich günstigsten Angebot bei einem Richtwert von 700 Mio. Euro;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      die Zahlung des Preises, der im Angebot des an erster Stelle stehenden Bieters genannt wird, ist in Höhe von 350 Mio. Euro bei Erteilung des Zuschlags im Jahr 2015, in Höhe von 250 Mio. Euro bei der tatsächlichen Übernahme des Lottospielbetriebs durch den Zuschlagsempfänger im Jahr 2016 und bezüglich des verbleibenden Teilbetrags bis zum 30. April 2017 zu leisten;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      das Recht des Zuschlagsempfängers und Konzessionsnehmers auf Nutzung des Telekommunikationsnetzes für die unmittelbare oder mittelbare Erbringung von anderen Diensten als der Annahme der Einsätze der Lotterien und der sonstigen Zahlenglücksspiele mit feststehender Quote, sofern sie nach Auffassung der [ADM] mit der Annahme der Spieleinsätze vereinbar sind;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">e)      die Provision für den Konzessionsnehmer beläuft sich auf 6 % der Annahmen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">f)      Verpflichtung, das System des Netzes und die Spielterminals gemäß dem Investitionsplan, der Bestandteil des technischen Angebots ist, nach Qualitätsnormen, die ein Höchstmaß an Sicherheit und Zuverlässigkeit bieten, technisch auf dem neuesten Stand zu halten;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">g)      Verpflichtung des Konzessionsnehmers, Gelder die nicht gemäß dem in Buchst. f genannten Investitionsplan investiert worden sind, jährlich an den Staat zu zahlen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">h)      Verpflichtung für jeden Bieter, bei der Teilnahme am Auswahlverfahren an die [ADM] einen Betrag zu zahlen, der den in Abs. 654 genannten Vergütungen entspricht, wobei lediglich die Bieter, die den Zuschlag nicht erhalten haben, einen Anspruch auf Erstattung haben.“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, werden in Italien im Rahmen der vom Staat veranstalteten Lotterien zwei Arten von Konzessionen erteilt: die eine für die Annahme der Spieleinsätze, die an eine Vielzahl von Annahmestellen vergeben wird (System mehrerer Konzessionsnehmer), die andere für die Ziehung und die automatisierte Verwaltung des Netzes der Annahmestellen, die früher freihändig an die Lottomatica SpA vergeben wurde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Kurz vor Auslaufen der an Lottomatica vergebenen Konzession (8. Juni 2016), wurde die ADM damit betraut, die Ausschreibung für die Vergabe einer neuen Konzession zu organisieren. Die wesentlichen allgemeinen Bedingungen der Ausschreibung waren in Art. 1 Abs. 653 des Gesetzes Nr. 190/2014 geregelt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Die Ausschreibung wurde am 17. Dezember 2015 im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i> und am 21. Dezember 2015 in der <i>Gazzetta ufficiale della Repubblica italiana</i> veröffentlicht. In der Ausschreibung wurde als Frist für die Einreichung der Angebote der 16. März 2016 festgesetzt und der Wert der Konzession mit 6 600 000 000 Euro angegeben, was den im Jahr 2014 angenommenen Spieleinsätzen entspricht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Außer den in der Ausschreibung festgelegten wesentlichen Bedingungen war im Lastenheft in Abschnitt 5.3 als Bedingung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit vorgesehen, dass die Bieter von 2012 bis 2014 oder von 2013 bis 2015 mit der Verwaltung oder der Annahme von Spieleinsätzen einen Gesamtumsatz von mindestens 100 Mio. Euro erzielt haben müssen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Was die Voraussetzungen der technischen Leistungsfähigkeit angeht, verlangte Abschnitt 5.4 Buchst. a des Lastenhefts „in den letzten drei abgeschlossenen Abrechnungszeiträumen der Jahre 2012 bis 2014 oder 2013 bis 2015 die Annahme von Spieleinsätzen für Spiele, die über Spielterminals erfolgen, in Höhe von insgesamt mindestens [350 Mio. Euro]“, wobei „dieser Wert bei Bietern, die erst seit weniger als drei Jahren aber mehr als 18 Monaten in dem Sektor tätig sind, nach der Dauer der tatsächlichen Annahme von Spieleinsätzen anteilsmäßig herabgesetzt wird“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Nach Abschnitt 11 des Lastenhefts hatte der Bieter einen Investitions-, einen Organisations- und einen Entwicklungsplan vorzulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Das wirtschaftliche Angebot bestand nach Abschnitt 12.4 des Lastenhefts „in einem Mehrgebot gegenüber dem Richtwert von 700 Mio. Euro“, das mindestens 3 Mio. Euro betragen musste. Nach Abschnitt 15.3 des Lastenhefts war für den Zuschlag das Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots maßgeblich.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Im Muster eines Vertrags über die Konzession der Veranstaltung von Lotterien (im Folgenden: Musterkonzessionsvertrag) war in Art. 22 Abs. 1 bestimmt: „Nach Ablauf der Konzession überträgt der Konzessionsnehmer an die [ADM] auf Aufforderung kostenfrei sämtliche materiellen und immateriellen Vermögensgegenstände zurück, aus denen das Netz der physischen Annahmestellen besteht. Ferner überträgt er an die [ADM] das Eigentum am gesamten automatisierten System mit Zugang zu den Räumlichkeiten sowie das Eigentum an den Geräten, zu denen auch die Spielterminals in sämtlichen Annahmestellen gehören, an den Anlagen, an den Strukturen, an den Programmen, an den Archiven und an allem, was sonst gemäß dem letzten von der [ADM] genehmigten Inventar für das vollständige Funktionieren, die umfassende Verwaltung und die volle Funktionsfähigkeit des Systems erforderlich ist.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Art. 30 des Musterkonzessionsvertrags, in dem die Rücknahme und der Widerruf der Konzession geregelt sind, bestimmte in seinem Abs. 2:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Zur Wahrung der Interessen des Staates und der Verbraucher widerruft die [ADM] die Konzession … auch</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">h)      … bei einer Straftat, wegen der das Hauptverfahren eröffnet worden ist und die nach Einschätzung der [ADM] wegen ihrer Art, ihrer Schwere, der Art ihrer Ausführung und ihres Zusammenhangs mit der Tätigkeit, für die die Konzession erteilt worden ist, die Zuverlässigkeit, Professionalität und sittliche Eignung des Konzessionsnehmers ausschließt …</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">k)      bei einem Verstoß des Konzessionsnehmers gegen die Vorschriften zur Bekämpfung des unerlaubten, illegalen und heimlichen Glücksspiels, insbesondere wenn er selbst oder über eine irgendwo auf der Welt ansässige Gesellschaft, die er kontrolliert oder mit der er verbunden ist, auf italienischem Staatsgebiet Glücksspiele anbietet, die mit automatisierten Lotterien und anderen Zahlenglücksspielen mit feststehender Quote vergleichbar sind und für die er keine Genehmigung hat oder die mit anderen Glücksspielen vergleichbar sind, die nach italienischem Recht verboten sind;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Mit Entscheidung vom 16. Mai 2016 wurde die Konzession der Lottoitalia Srl erteilt, die als Mitglied eines Konsortiums bestehend aus Lottomatica und drei weiteren Gesellschaften an dem Vergabeverfahren teilgenommen hatte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Stanley ist in Italien im Sektor der Wetten mit fester Quote mit sogenannten „Datenübertragungszentren“ (im Folgenden: DÜZ) vertreten, die Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sportwetten erbringen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Stanley vertrat die Auffassung, dass sie daran gehindert worden sei, an dem Verfahren über die Vergabe der Konzession für die Veranstaltung von Lotterien teilzunehmen. Die Gesellschaft erhob deshalb beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium, Italien) Klage auf Aufhebung der im Vergabeverfahren ergangenen Rechtsakte. Sie machte geltend, Art. 1 Abs. 653 des Gesetzes Nr. 190/2014 und bestimmte der Voraussetzungen für die Teilnahme an dem Vergabeverfahren, die im Lastenheft und im Musterkonzessionsvertrag festgelegt worden seien, seien unionsrechtswidrig.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Die Klage von Stanley wurde vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium) mit Urteil vom 21. April 2016 abgewiesen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium) nahm an, dass sich Lotterien erheblich von anderen Glücksspielen unterschieden. Lotterien seien das einzige Glücksspiel, bei dem der Staat das unternehmerische Risiko trage. Außerdem werde bei ihnen zwischen der Phase der Annahme der Spieleinsätze und der Phase der Veranstaltung des Spiels unterschieden. Wegen dieser Unterschiede sei es gerechtfertigt, für die Veranstaltung der Lotterien nur eine Konzession zu vergeben. Dadurch würden die Kosten, die durch die Koordination der Tätigkeiten einer Vielzahl von Konzessionsnehmern entstünden, eingespart und bestehe auf dem Markt weniger Konkurrenz, was gut für eine verantwortliche Veranstaltung der Lotterien sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Die Voraussetzungen für die Teilnahme an dem Vergabeverfahren seien in Bezug auf den Gegenstand der zu vergebenden Konzession angemessen und verhältnismäßig gewesen. Nach den vorliegenden Zahlen seien in den letzten fünf Abrechnungszeiträumen bei Zahlenglücksspielen mit fester Quote Spieleinsätze von mehr als 6 Mrd. Euro jährlich angenommen worden, was einem Umsatz des Konzessionsnehmers von etwa 400 Mio. Euro entspreche. Im Übrigen hätten mindestens 15 Wirtschaftsteilnehmer des Sektors die Bedingungen für die Teilnahme an dem Vergabeverfahren erfüllt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Stanley legte beim Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium) ein, das auf dessen Aufhebung gerichtet ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Stanley macht geltend, bei Lotterien anders als bei den übrigen Glücksspielen, Prognosewettbewerben und Wetten nur eine Konzession zu vergeben, sei unionsrechtswidrig. Die Voraussetzungen für die Teilnahme an dem Vergabeverfahren, insbesondere der Richtwert und die Gründe für den Widerruf der Konzession seien unverhältnismäßig. Sie werde dadurch davon abgehalten, an dem Verfahren teilzunehmen. Die unentgeltliche Rückgabe des Netzes an die ADM nach Ablauf der Konzession sei nicht mit dem Urteil vom 28. Januar 2016, Laezza (C‑375/14, EU:C:2016:60), vereinbar.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts stellt sich im Ausgangsverfahren eine Frage betreffend die Auslegung des Unionsrechts, die sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung nicht beantworten lässt. Das vorlegende Gericht hält es deshalb für erforderlich, den Gerichtshof anzurufen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Der Consiglio di Stato (Staatsrat) hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Sind die Bestimmungen des Unionsrechts – insbesondere das Niederlassungsrecht und der freie Dienstleistungsverkehr sowie die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Transparenz, des freien Wettbewerbs, der Verhältnismäßigkeit und der Kohärenz – dahin auszulegen, dass sie einer Regelung wie der des Art. 1 Abs. 653 des Gesetzes Nr. 190/2014 und der betreffenden Durchführungsvorschriften entgegenstehen, die vorsehen, dass für die Veranstaltung von Lotterien anders als bei anderen Glücksspielen, Prognosewettbewerben oder Wetten nur eine exklusive Konzession vergeben wird?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Sind die Bestimmungen des Unionsrechts – insbesondere das Niederlassungsrecht, der freie Dienstleistungsverkehr und die Richtlinie 2014/23 sowie die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Transparenz, des freien Wettbewerbs, der Verhältnismäßigkeit und der Kohärenz – dahin auszulegen, dass sie einer Ausschreibung entgegenstehen, die einen Richtwert vorsieht, der im Hinblick auf Anforderungen an die wirtschaftlich-finanzielle und technisch-organisatorische Leistungsfähigkeit, die denen entsprechen, die in den Abschnitten 5.3, 5.4, 11, 12.4 und 15.3 des Lastenhefts für die Vergabe der Konzession für Lotterien vorgesehen sind, weit überhöht und ungerechtfertigt ist?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Sind die Bestimmungen des Unionsrechts – insbesondere das Niederlassungsrecht, der freie Dienstleistungsverkehr und die Richtlinie 2014/23 sowie die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Transparenz, des freien Wettbewerbs, der Verhältnismäßigkeit und der Kohärenz – dahin auszulegen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, die den Wirtschaftsteilnehmer, wie hier durch Art. 30 des Musterkonzessionsvertrags, faktisch vor die Alternative stellt, entweder eine neue Konzession zu erwerben oder weiter von der Freiheit der Erbringung der verschiedenen grenzüberschreitenden Wettdienstleistungen Gebrauch zu machen, so dass die Entscheidung für eine Teilnahme an dem Verfahren zur Vergabe der neuen Konzession den Verzicht auf die grenzüberschreitende Tätigkeit erfordern würde, obwohl die Rechtmäßigkeit der letztgenannten Tätigkeit vom Gerichtshof bereits mehrfach bestätigt wurde?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur Zulässigkeit</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Lottoitalia und die italienische Regierung halten das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig. In der Vorlageentscheidung würden lediglich die von Stanley vorgeschlagenen Fragen wiedergegeben. Es werde aber nicht dargelegt, warum der Gerichtshof angerufen werde und inwieweit die Fragen erforderlich seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Nach ständiger Rechtsprechung spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts stellt. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 8. September 2016, Politanò, C‑225/15, EU:C:2016:645, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung ist eine Auslegung des Unionsrechts, die für das nationale Gericht von Nutzen ist, nur dann möglich, wenn das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese beruhen, erläutert. Außerdem muss die Vorlageentscheidung die genauen Gründe angeben, aus denen dem nationalen Gericht die Auslegung des Unionsrechts fraglich und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof erforderlich erscheint (Urteil vom 22. Januar 2015, Stanley International Betting und Stanleybet Malta, C‑463/13, EU:C:2015:25, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Im vorliegenden Fall wird der tatsächliche und rechtliche Kontext des Ausgangsrechtsstreits in der Vorlageentscheidung hinreichend dargelegt. Auch lässt sich anhand der Ausführungen, die das vorlegende Gericht zur Erheblichkeit der Vorlagefragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits gemacht hat, die Tragweite der Vorlagefragen bestimmen. Und die Vorlagefragen lassen sich auf der Grundlage dieser Ausführungen auch so beantworten, dass das vorlegende Gericht daraus einen Nutzen ziehen kann. Die schriftlichen Erklärungen der belgischen und der portugiesischen Regierung bestätigen diese Einschätzung.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Nach Nr. 3 der Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2018, C 257, S. 1) übt der Gerichtshof seine Befugnis, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung oder die Gültigkeit des Unionsrechts zu entscheiden, ausschließlich auf Initiative der nationalen Gerichte aus, und zwar unabhängig davon, ob die Parteien des Ausgangsrechtsstreits eine Anrufung des Gerichtshofs angeregt haben. Da das mit einem Rechtsstreit befasste nationale Gericht die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu tragen hat, ist es nämlich Sache dieses Gerichts – und allein dieses Gerichts –, im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl zu beurteilen, ob ein Vorabentscheidungsersuchen für den Erlass seiner Entscheidung erforderlich ist, als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Demnach ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Beantwortung der Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Die drei Fragen des vorlegenden Gerichts betreffen im Wesentlichen die Frage, ob die nationale Regelung, um die es im Ausgangsverfahren geht, und bestimmte Bestimmungen von Rechtsakten zur Durchführung dieser Regelung mit den Art. 49 und 56 AEUV, mit den Grundsätzen der Nichtdiskriminierung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit sowie mit der Richtlinie 2014/23 vereinbar sind.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur zeitlichen Anwendbarkeit der Richtlinie 2014/23</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Nach einer ständigen Rechtsprechung zu öffentlichen Aufträgen, die auf Dienstleistungskonzessionen übertragbar ist, ist grundsätzlich diejenige Richtlinie anwendbar, die zu dem Zeitpunkt gilt, zu dem der öffentliche Auftraggeber die Art des Verfahrens auswählt und endgültig entscheidet, ob die Verpflichtung zu einem vorherigen Aufruf zum Wettbewerb für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags besteht. Unanwendbar sind hingegen die Bestimmungen einer Richtlinie, deren Umsetzungsfrist nach diesem Zeitpunkt abgelaufen ist (vgl. entsprechend Urteil vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Die Ausschreibung, um die es hier geht, wurde am 17. Dezember 2015, also vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2014/23 (18. April 2016), im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i> veröffentlicht. Wie die Generalanwältin in Nr. 30 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist nicht ersichtlich, dass die Richtlinie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ausschreibung bereits in nationales Recht umgesetzt gewesen wäre.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Die Richtlinie 2014/23 ist im Ausgangsverfahren daher zeitlich nicht anwendbar.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur ersten Frage</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 56 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens entgegenstehen, nach der die Konzession für die Veranstaltung von Lotterien im Gegensatz zu anderen Glücksspielen, Prognosewettbewerben oder Wetten, bei denen die Konzession mehreren Konzessionsnehmern erteilt wird, nur einem Konzessionsnehmer erteilt wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Wie der Gerichtshof bereits wiederholt entschieden hat, stellt eine mitgliedstaatliche Regelung wie die des Ausgangsverfahrens, die die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit vom Erhalt einer Konzession abhängig macht und mehrere Gründe für den Widerruf der Konzession vorsieht, eine Beschränkung der in den Art. 49 und 56 AEUV garantierten Freiheiten dar (Urteile vom 16. Februar 2012, Costa und Cifone, C‑72/10 und C‑77/10, EU:C:2012:80, Rn. 70, und vom 22. Januar 2015, Stanley International Betting und Stanleybet Malta, C‑463/13, EU:C:2015:25, Rn. 46).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Das gilt unabhängig davon, ob eine oder mehrere Konzessionen vergeben werden. Wie die Generalanwältin in Nr. 43 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist die Entscheidung, die betreffende Tätigkeit von der Erlangung einer Konzession abhängig zu machen und in dem Verfahren über die Vergabe des entsprechenden öffentlichen Auftrags nur eine Konzession zu vergeben, deshalb nach den Art. 49 und 56 AEUV zu prüfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Dabei ist zu beachten, dass es den Mitgliedstaaten, solange der Bereich der Glücksspiele auf der Ebene der Union nicht harmonisiert ist, zwar freisteht, die Ziele ihrer Politik auf diesem Gebiet festzulegen, und dass sie bei der Bestimmung des ihnen am geeignetsten erscheinenden Niveaus des Schutzes der Verbraucher und der Sozialordnung über ein weites Ermessen verfügen. Die von ihnen vorgesehenen Beschränkungen müssen jedoch den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen – insbesondere an ihre Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses und ihre Verhältnismäßigkeit – genügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2016, Politanò, C‑225/15, EU:C:2016:645, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Demnach ist zu prüfen, ob eine solche Beschränkung im Rahmen der Ausnahmeregelungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die in den nach Art. 62 AEUV auch auf dem Gebiet des freien Dienstleistungsverkehrs anwendbaren Art. 51 und 52 AEUV ausdrücklich vorgesehen sind, zulässig oder gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (Urteil vom 22. Januar 2015, Stanley International Betting und Stanleybet Malta, C‑463/13, EU:C:2015:25, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Was die Ziele angeht, die mit der Regelung, um die es hier geht, verfolgt werden, hat die italienische Regierung erläutert, dass man sich u. a. deshalb für die Vergabe nur einer Konzession entschieden habe, weil es erforderlich sei, das Glücksspiel in geordnete Bahnen zu lenken, und weil durch die Reduzierung des Wettbewerbs auf diesem besonderen Markt eine verantwortungsvolle Veranstaltung des Glücksspiels ermöglicht werde. Auch aus technischen Gründen sei es geboten gewesen, nur eine Konzession zu vergeben. Bei Vergabe mehrerer Konzessionen hätte durch eine Einrichtung, die die Tätigkeiten der verschiedenen Konzessionsnehmer hätte koordinieren und vereinheitlichen müssen, eine Kontrolle auf zwei Ebenen stattfinden müssen, was zu einer Vervielfachung der Kosten geführt hätte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Insoweit hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Glücksspielen jüngst darauf hingewiesen, dass der Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben zwingende Gründe des Allgemeininteresses sein können, die Beschränkungen der Grundfreiheiten gemäß den Art. 49 und 56 AEUV rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2015, Stanley International Betting und Stanleybet Malta, C‑463/13, EU:C:2015:25, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich aber auch, dass verwaltungstechnische Nachteile und wirtschaftliche Gründe die Beeinträchtigung einer durch das Unionsrecht gewährleisteten Grundfreiheit nicht rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Juni 2011, Zeturf, C‑212/08, EU:C:2011:437, Rn. 48 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Für die Feststellung, welche Ziele mit der nationalen Regelung tatsächlich verfolgt werden, ist bei einem Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV jedoch das vorlegende Gericht zuständig (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Außerdem hat das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der Hinweise des Gerichtshofs zu prüfen, ob die durch den betreffenden Mitgliedstaat auferlegten Beschränkungen den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit genügen (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass, wenn eines der Ziele der Regelung, um die es im Ausgangsverfahren geht, tatsächlich darin besteht, auf dem besonderen Markt der Veranstaltung von Lotterien den Wettbewerb zu reduzieren, wie die italienische Regierung erläutert hat, die Vergabe nur einer Konzession geeignet sein dürfte, dieses Ziel zu erreichen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Denn im Gegensatz zur Einführung eines freien und unverfälschten Wettbewerbs auf einem traditionellen Markt könnte die Betreibung eines derartigen Wettbewerbs auf dem sehr spezifischen Markt für Glücksspiele, d. h. zwischen mehreren Veranstaltern, die die gleichen Glücksspiele betreiben dürfen, nach der Rechtsprechung insofern nachteilige Folgen haben, als diese Veranstalter versucht wären, einander an Einfallsreichtum zu übertreffen, um ihr Angebot attraktiver als das ihrer Wettbewerber zu machen, so dass für die Verbraucher die mit dem Spiel verbundenen Ausgaben und die Gefahr der Spielsucht erhöht würden (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Die Auswahl der Modalitäten der Organisation und der Kontrolle der Tätigkeiten der Veranstaltung und praktischen Durchführung von Glücksspielen ist Sache der nationalen Behörden, die insoweit über einen Gestaltungsspielraum verfügen. Dass ein Mitgliedstaat sich dafür entschieden hat, für die Veranstaltung von Lotterien lediglich eine Konzession zu vergeben, obwohl in demselben Mitgliedstaat für die Organisation des Markts der übrigen Glücksspiele etwas anderes gilt, hat daher für sich genommen keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Regelung des Ausgangsverfahrens, die ausschließlich im Hinblick auf die mit der Regelung verfolgten Ziele zu erfolgen hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Derart divergierende rechtliche Regelungen ändern nämlich als solche nichts an der Eignung eines solchen Systems der Vergabe nur einer Konzession zur Verwirklichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Ein solches duales System zur Organisation des Glücksspielmarkts würde jedoch gegen Art. 56 AEUV verstoßen, wenn sich herausstellen sollte, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele als die, bei denen nur eine Konzession vergeben wird, eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, was zur Folge hat, dass das der Vergabe nur einer Konzession zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, mit ihm nicht mehr wirksam verfolgt werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Sofern das vorlegende Gericht feststellt, dass die den freien Dienstleistungsverkehr einschränkende Regelung tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise die vom betreffenden Mitgliedstaat angegebenen Ziele verfolgt, ist ein solches duales System aber mit Art. 56 AEUV vereinbar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 33).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 49 und 56 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens, nach der die Konzession für die Veranstaltung von Lotterien im Gegensatz zu anderen Glücksspielen, Prognosewettbewerben oder Wetten, bei denen die Konzession mehreren Konzessionsnehmern erteilt wird, nur einem Konzessionsnehmer erteilt wird, nicht entgegenstehen, sofern das vorlegende Gericht feststellt, dass die Regelung tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise die vom betreffenden Mitgliedstaat angegebenen Ziele verfolgt.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur zweiten Frage</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 56 AEUV sowie die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung und den betreffenden Durchführungsvorschriften entgegenstehen, die wie im Ausgangsverfahren für die Konzession für die Veranstaltung von Lotterien einen Richtwert festlegen, der gemessen an den übrigen Anforderungen an die wirtschaftliche, finanzielle und technisch-organisatorische Leistungsfähigkeit hoch ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Hierzu ist festzustellen, dass sowohl das Erfordernis einer Konzession als auch die in der betreffenden Ausschreibung festgelegten Teilnahmevoraussetzungen, u. a. der Richtwert, geeignet sind, die Ausübung der in den Art. 49 und 56 AEUV garantierten Freiheiten weniger attraktiv zu machen. Sie müssen deshalb gerechtfertigt sein und den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Nach ständiger Rechtsprechung muss die konzessionserteilende Stelle bei der Vergabe einer Konzession wie der, um die es im Ausgangsverfahren geht, das Transparenzgebot beachten, das u. a. dazu verpflichtet, zugunsten der potenziellen Bewerber einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherzustellen, der eine Öffnung der Konzessionen für den Wettbewerb und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt worden sind (Urteil vom 16. Februar 2012, Costa und Cifone, C‑72/10 und C‑77/10, EU:C:2012:80, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Der aus dem Gleichheitssatz folgende Grundsatz der Transparenz soll in diesem Zusammenhang im Wesentlichen gewährleisten, dass alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer auf der Grundlage sämtlicher einschlägiger Informationen an Ausschreibungen teilnehmen können, und die Gefahr von Günstlingswirtschaft oder von willkürlichen Entscheidungen der Vergabestelle ausschließen. Er verlangt, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, genau und eindeutig formuliert sind, so dass zum einen alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt die genaue Bedeutung dieser Informationen verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen dem Ermessen der konzessionserteilenden Stelle Grenzen gesetzt werden und diese tatsächlich überprüfen kann, ob die Gebote der Bieter die für das Verfahren geltenden Kriterien erfüllen (Urteil vom 16. Februar 2012, Costa und Cifone, C‑72/10 und C‑77/10, EU:C:2012:80, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Der Wert des Auftrags ist eine wesentliche Information, die nach dem Grundsatz der Transparenz in der Ausschreibung zumindest schätzungsweise anzugeben ist. Wie die Generalanwältin in Nr. 59 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, muss der geschätzte Wert des Auftrags auf objektiven Kriterien beruhen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Wie Stanley geltend macht, beträgt der Richtwert des Auftrags, um den es im Ausgangsverfahren geht, nach Art. 1 Abs. 653 Buchst. b des Gesetzes Nr. 190/2014 700 Mio. Euro. Das ist etwa das Doppelte der Voraussetzung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit gemäß Abschnitt 5.3 des Lastenhefts. Bei der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit wurde aber lediglich auf die von dem Wirtschaftsteilnehmer in der Vergangenheit angenommenen Spieleinsätze abgestellt. Sie kann keine Auswirkungen auf die Objektivität des geschätzten Werts des Auftrags haben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Wie die Generalanwältin in den Nrn. 61 und 62 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, sind bei der Beurteilung des geschätzten Werts des Auftrags auch der sehr hohe Betrag der Konzession (6 600 Mio. Euro jährlich), die jährliche Vergütung des Konzessionsnehmers in Höhe von 6 % der angenommenen Spieleinsätze (etwa 400 Mio. Euro), und die Möglichkeit etwaiger Bieter, an dem Verfahren als Konsortium teilzunehmen, zu berücksichtigen. Was diesen letzten Punkt angeht, ergibt sich aus dem Urteil vom 21. April 2016 des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium), dass zumindest 15 Wirtschaftsteilnehmer des Sektors diese Teilnahmevoraussetzung erfüllt haben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Außerdem sah Art. 1 Abs. 653 Buchst. c des Gesetzes Nr. 190/2014 vor, dass der im Angebot des an erster Stelle stehenden Bieters genannte Preis von 2015 bis 2017 in drei Teilen gezahlt wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Somit ist festzustellen, dass der Richtwert des Auftrags, um den es im Auftragsverfahren geht, klar, genau und eindeutig formuliert wurde und objektiv gerechtfertigt sein dürfte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Nach der oben in Rn. 46 dargestellten Rechtsprechung ist die endgültige Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Regelung, um die es im Ausgangsverfahren geht, aber Sache des nationalen Gerichts. Dasselbe gilt für die Vereinbarkeit der Regelung mit dem Grundsatz der Transparenz.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass die Art. 49 und 56 AEUV sowie die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung und den betreffenden Durchführungsvorschriften, die wie im Ausgangsverfahren für die Konzession für die Veranstaltung von Lotterien einen hohen Richtwert festlegen, nicht entgegenstehen, sofern der Richtwert klar, genau und eindeutig formuliert und objektiv gerechtfertigt ist, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur dritten Frage</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts beruht offenbar auf der Annahme, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung anerkannt hätte, dass die Veranstaltung von Glücksspielen durch DÜZ als Dienstleistung im freien Dienstleistungsverkehr rechtmäßig ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof im Glücksspielsektor den Rückgriff auf ein Konzessionssystem gebilligt hat, weil ein solches System ein wirksamer Mechanismus sein kann, um die in diesem Sektor tätigen Wirtschaftsteilnehmer mit dem Ziel zu kontrollieren, der Ausnutzung dieser Tätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2013, Biasci u. a., C‑660/11 und C‑8/12, EU:C:2013:550, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass bestimmte Bestimmungen von Ausschreibungen für die Vergabe von Verträgen über Konzessionen für die Veranstaltung von Glücksspielen unionsrechtswidrig sind. Er hat sich aber nicht zu der Rechtmäßigkeit der Veranstaltung von Glücksspielen durch DÜZ als Dienstleistung im freien Dienstleistungsverkehr geäußert.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Die dritte Frage ist daher umzuformulieren. Das vorlegende Gericht möchte mit dieser Frage wissen, ob die Art. 49 und 56 AEUV sowie die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie einer Bestimmung eines zu einer Ausschreibung gehörenden Musterkonzessionsvertrags wie der des Ausgangsverfahrens entgegenstehen, nach der die Konzession für die Veranstaltung von Lotterien widerrufen wird</p>
<p class="C03Tiretlong">–        bei einer Straftat, wegen der das Hauptverfahren eröffnet worden ist und die nach Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers wegen ihrer Art, ihrer Schwere, der Art ihrer Ausführung und ihres Zusammenhangs mit der Tätigkeit, für die die Konzession erteilt worden ist, die Zuverlässigkeit, Professionalität und sittliche Eignung des Konzessionsnehmers ausschließt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        oder bei einem Verstoß des Konzessionsnehmers gegen die Vorschriften zur Bekämpfung des unerlaubten, illegalen und heimlichen Glückspiels, insbesondere wenn er selbst oder über eine irgendwo auf der Welt ansässige Gesellschaft, die er kontrolliert oder mit der er verbunden ist, ohne entsprechende Genehmigung mit Lotterien vergleichbare Glücksspiele anbietet.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Wie oben in den Rn. 38 bis 40 ausgeführt, stellt eine mitgliedstaatliche Regelung, die die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit vom Erhalt einer Konzession abhängig macht und verschiedene Gründe für den Widerruf der Konzession vorsieht, eine Beschränkung der in den Art. 49 und 56 AEUV garantierten Freiheiten dar. Die Bestimmungen über den Widerruf der Konzession müssen, wenn sie mit den Art. 49 und 56 AEUV vereinbar sein sollen, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Außerdem müssen sie dem Grundsatz der Transparenz (siehe oben, Rn. 56 und 57) genügen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Die dritte Vorlagefrage ist nach Maßgabe dieser Erwägungen zu beantworten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Was als Erstes den Widerrufsgrund der Eröffnung des Hauptverfahrens (Art. 30 Abs. 2 Buchst. h des Musterkonzessionsvertrags) angeht, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass in dem besonderen Bereich der Glücksspiele der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers wegen der Begehung einer Straftat, die mit dem Gegenstand der Tätigkeit, für die die Konzession erteilt wurde, in Zusammenhang steht, grundsätzlich als eine Maßnahme angesehen werden kann, die durch das Ziel der Bekämpfung der Kriminalität gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2012, Costa und Cifone, C‑72/10 und C‑77/10, EU:C:2012:80, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Da der Widerruf der Konzession für den Konzessionsnehmer eine besonders einschneidende Maßnahme darstellt, muss er das Risiko, dass ihn eine solche Sanktion trifft, allerdings sicher abschätzen können. Es muss daher klar, genau und eindeutig bestimmt sein, unter welchen Umständen die Sanktion zur Anwendung kommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2012, Costa und Cifone, C‑72/10 und C‑77/10, EU:C:2012:80, Rn. 77 und 78).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      Unter dem Vorbehalt der Überprüfungen, die durchzuführen Sache des vorlegenden Gerichts ist, dürfte die Bestimmung des Art. 30 Abs. 2 Buchst. h des Musterkonzessionsvertrags diesen Anforderungen genügen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point74">74</a>      Wie die Generalanwältin in Nr. 73 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, werden die Voraussetzungen für den Widerruf der Konzession durch die ADM in Art. 30 Abs. 2 Buchst. h des Musterkonzessionsvertrags knapp, aber klar beschrieben, so dass ein Bieter bei verständiger Würdigung und Anwendung der üblichen Sorgfalt keine Schwierigkeiten haben dürfte, den Anwendungsbereich und die Tragweite dieser Bestimmung zu erkennen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point75">75</a>      Zum anderen sind die Voraussetzungen der Eröffnung des Hauptverfahrens, die im italienischen Recht in der Strafprozessordnung geregelt sind, für alle Wirtschaftsteilnehmer zugänglich und vorhersehbar.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point76">76</a>      Was die Frage angeht, ob Art. 30 Abs. 2 Buchst. h des Musterkonzessionsvertrags auch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt, ergibt sich aus einer ständigen Rechtsprechung, dass die durch die nationalen Rechtsvorschriften auferlegten Beschränkungen nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Zieles erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. November 2003, Gambelli u. a., C‑243/01, EU:C:2003:597, Rn. 72). Auch wenn der öffentliche Auftraggeber im Prinzip die Möglichkeit haben muss, die Konzession bei Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Konzessionsnehmers, insbesondere wegen der Begehung einer Straftat, die mit der Tätigkeit, für die die Konzession erteilt ist, in Zusammenhang steht, zu widerrufen. Diese Möglichkeit muss aber genau geregelt sein, damit sie in Bezug auf das Ziel der Bekämpfung der Kriminalität verhältnismäßig ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point77">77</a>      Im vorliegenden Fall hängt das Ermessen, über das die ADM beim Widerruf der Konzession gemäß Art. 30 Abs. 2 Buchst. h des Musterkonzessionsvertrags verfügt, von zwei Voraussetzungen ab. Ein Widerruf der Konzession setzt erstens voraus, dass eine vom öffentlichen Auftraggeber unabhängige Justizbehörde vorher tätig geworden ist und auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift verfasst, die auf einem Bündel von Indizien beruht, die im Ermittlungsverfahren zusammengetragen worden sind, und zweitens, dass die begangene Straftat mit dem Gegenstand der Tätigkeit, für die die Konzession erteilt worden ist, in Zusammenhang steht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point78">78</a>      Somit ist festzustellen, dass eine Bestimmung wie die des Art. 30 Abs. 2 Buchst. h des Musterkonzessionsvertrags nicht über das hinausgehen dürfte, was erforderlich ist, um das verfolgte Ziel der Bekämpfung der Kriminalität zu erreichen, was zu überprüfen aber Sache des vorlegenden Gerichts ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point79">79</a>      Dieses Ergebnis wird nicht durch Rn. 81 des Urteils vom 16. Februar 2012, Costa und Cifone (C‑72/10 und C‑77/10, EU:C:2012:80), in Frage gestellt, wonach ein Ausschluss vom Markt durch Widerruf der Konzession nur dann als dem Ziel der Bekämpfung der Kriminalität angemessen betrachtet werden kann, wenn er auf einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer hinreichend schweren Straftat beruht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point80">80</a>      Denn auch wenn die Konzession bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Straftat im Zusammenhang mit der Tätigkeit, für die die Konzession erteilt worden ist, automatisch widerrufen wird, bedeutet dies nicht, dass dem öffentlichen Auftraggeber nicht die Befugnis erteilt werden dürfte, die Konzession unter genau geregelten gesetzlichen Voraussetzungen auch ohne rechtskräftige Verurteilung zu widerrufen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point81">81</a>      Was als Zweites den Widerrufsgrund des Art. 30 Abs. 2 Buchst. k des Musterkonzessionsvertrags angeht, stellt das darin enthaltene Verbot, im italienischen Hoheitsgebiet andere, mit Lotterien vergleichbare Glücksspiele ohne entsprechende Genehmigung oder andere, mit nach italienischem Recht verbotenen Glücksspielen vergleichbare Glücksspiele in Verkehr zu bringen ebenfalls eine Maßnahme zur Bekämpfung des illegalen Glücksspiels dar, was gewiss ein legitimes Ziel darstellt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point82">82</a>      Unter dem Vorbehalt der Überprüfungen, die vorzunehmen Sache des vorlegenden Gerichts ist, dürfte diese Bestimmung hinreichend klar formuliert sein. Sie dürfte auch geeignet sein, das verfolgte Ziel zu erreichen, ohne über das zu hinauszugehen, was hierzu erforderlich ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point83">83</a>      Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Bestimmungen wird das vorlegende Gericht aber auch zu berücksichtigen haben, dass der Widerruf der Konzession eines Wirtschaftsteilnehmers nicht als verhältnismäßig angesehen werden kann, wenn die nationale Regelung kein wirksames gerichtliches Verfahren und keinen Ersatz für den entstandenen Schaden, falls sich der Widerruf später als ungerechtfertigt erweisen sollte, vorsieht (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Februar 2012, Costa und Cifone, C‑72/10 und C‑77/10, EU:C:2012:80, Rn. 81).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point84">84</a>      Sofern der Wirtschaftsteilnehmer, der tatsächlich ein Angebot eingereicht hat und wegen der streitigen Bestimmungen über den Widerruf der Konzession bei deren Vergabe nicht berücksichtigt wird bzw. der Bieter, bei dem die Konzession gemäß den streitigen Bestimmungen widerrufen worden ist, ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die Nichtberücksichtigung bei der Vergabe der Konzession bzw. den Widerruf der Konzession und Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens hat, falls sich herausstellen sollte, dass die Nichtberücksichtigung bei der Vergabe der Konzession bzw. der Widerruf der Konzession nicht gerechtfertigt waren, u. a. auch wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht, ist davon auszugehen, dass solche Bestimmungen den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point85">85</a>      Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Art. 49 und 56 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Bestimmung eines zu einer Ausschreibung gehörenden Musterkonzessionsvertrags wie der des Ausgangsverfahrens, nach der die Konzession für die Veranstaltung von Lotterien widerrufen wird</p>
<p class="C03Tiretlong">–        bei einer Straftat, wegen der das Hauptverfahren eröffnet worden ist und die nach Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers wegen ihrer Art, ihrer Schwere, der Art ihrer Ausführung und ihres Zusammenhangs mit der Tätigkeit, für die die Konzession erteilt worden ist, die Zuverlässigkeit, Professionalität und sittliche Eignung des Konzessionsnehmers ausschließt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        oder bei einem Verstoß des Konzessionsnehmers gegen die Vorschriften zur Bekämpfung des unerlaubten, illegalen und heimlichen Glücksspiels, insbesondere wenn er selbst oder über eine irgendwo auf der Welt ansässige Gesellschaft, die er kontrolliert oder mit der er verbunden ist, ohne entsprechende Genehmigung mit Lotterien vergleichbare Glücksspiele anbietet,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nicht entgegenstehen, sofern die Bestimmung gerechtfertigt ist, in Bezug auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig ist und dem Grundsatz der Transparenz entspricht, was das nationale Gericht unter Berücksichtigung der in diesem Urteil enthaltenen Hinweise zu prüfen haben wird.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point86">86</a>      Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Die Art. 49 und 56 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens, nach der die Konzession für die Veranstaltung automatisierter Lotterien und anderer Zahlenglücksspiele mit fester Quote im Gegensatz zu anderen Glücksspielen, Prognosewettbewerben oder Wetten, bei denen die Konzession mehreren Konzessionsnehmern erteilt wird, nur einem Konzessionsnehmer erteilt wird, nicht entgegenstehen, sofern das vorlegende Gericht feststellt, dass die Regelung tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise die vom betreffenden Mitgliedstaat angegebenen Ziele verfolgt.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Die Art. 49 und 56 AEUV sowie die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung und den betreffenden Durchführungsvorschriften, die wie im Ausgangsverfahren für die Konzession für die Veranstaltung automatisierter Lotterien und anderer Zahlenglücksspiele mit fester Quote einen hohen Richtwert festlegen, nicht entgegenstehen, sofern der Richtwert klar, genau und eindeutig formuliert und objektiv gerechtfertigt ist, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">3.      <b>Die Art. 49 und 56 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Bestimmung eines zu einer Ausschreibung gehörenden Musterkonzessionsvertrags wie der des Ausgangsverfahrens, nach der die Konzession für die Veranstaltung automatisierter Lotterien und anderer Zahlenglücksspiele mit fester Quote widerrufen wird</b>
</p>
<p class="C34Dispositifmarge1avectiretlong">–        <b>bei einer Straftat, wegen der das Hauptverfahren eröffnet worden ist und die nach Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers wegen ihrer Art, ihrer Schwere, der Art ihrer Ausführung und ihres Zusammenhangs mit der Tätigkeit, für die die Konzession erteilt worden ist, die Zuverlässigkeit, Professionalität und sittliche Eignung des Konzessionsnehmers ausschließt,</b>
</p>
<p class="C34Dispositifmarge1avectiretlong">–        <b>oder bei einem Verstoß des Konzessionsnehmers gegen die Vorschriften zur Bekämpfung des unerlaubten, illegalen und heimlichen Glücksspiels, insbesondere wenn er selbst oder über eine irgendwo auf der Welt ansässige Gesellschaft, die er kontrolliert oder mit der er verbunden ist, ohne entsprechende Genehmigung mit automatisierten Lotterien und anderen Zahlenglücksspielen mit fester Quote vergleichbare Glücksspiele anbietet,</b>
</p>
<p class="C32Dispositifmarge1">
<b>nicht entgegenstehen, sofern die Bestimmung gerechtfertigt ist, in Bezug auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig ist und dem Grundsatz der Transparenz entspricht, was das nationale Gericht unter Berücksichtigung der in diesem Urteil enthaltenen Hinweise zu prüfen haben wird.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Italienisch.</p>
|
175,066 | eugh-2018-12-19-c-21617 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-216/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:12 | 2019-01-31T19:21:12 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1034 | <p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">19. Dezember 2018(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2004/18/EG – Art. 1 Abs. 5 – Art. 32 Abs. 2 – Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge – Rahmenvereinbarungen – Klausel zur Erweiterung der Rahmenvereinbarung auf andere öffentliche Auftraggeber – Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer – Fehlende Bestimmung der Menge der öffentlichen Folgeaufträge oder Bestimmung unter Bezugnahme auf den normalen Bedarf der die Rahmenvereinbarung nicht unterzeichnenden öffentlichen Auftraggeber – Verbot“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑216/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 9. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 24. April 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato – Antitrust,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Coopservice Soc. coop. arl</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Azienda Socio-Sanitaria Territoriale della Vallecamonica – Sebino (ASST),</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Azienda Socio-Sanitaria Territoriale del Garda (ASST),</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Azienda Socio-Sanitaria Territoriale della Valcamonica (ASST),</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">Beteiligte:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Markas Srl,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>ATI – Zanetti Arturo & C. Srl e in proprio,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Regione Lombardia,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Richters J. Malenovský in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter M. Safjan und D. Šváby (Berichterstatter),</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Coopservice Soc. coop. arl, vertreten durch P. S. Pugliano, avvocato,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Markas Srl, vertreten durch F. G. Scoca, P. Adami und I. Tranquilli, avvocati,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von B. Tidore und P. Palmieri, avvocati dello Stato,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und T. Müller als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der finnischen Regierung, vertreten durch S. Hartikainen als Bevollmächtigten,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Oktober 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114, Berichtigung ABl. 2004, L 351, S. 44) und von Art. 33 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18 (ABl. 2014, L 94, S. 65).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen zweier vom vorlegenden Gericht verbundener Klagen, nämlich erstens der Autorità Garante della Concorrenza e del mercato (Wettbewerbsbehörde, Italien, im Folgenden: AGCM) und zweitens der Coopservice Soc. Coop. arl jeweils gegen die Azienda Socio-Sanitaria Territoriale della Vallecamonica – Sebino (regionale Gesundheitseinrichtung des Valcamonica – Sebino, Italien, im Folgenden: ASST Valcamonica) wegen deren Entscheidung, einem Vertrag über die Dienste der Krankenhausreinigung sowie der Sammlung und Entsorgung von Abfall (im Folgenden: ursprünglicher Vertrag) beizutreten, der 2012 von der Azienda Socio-Sanitaria Territoriale del Garda (regionale Gesundheitseinrichtung Gardasee, Italien, im Folgenden: ASST Gardasee) mit der ATI – Zanetti Arturo & C. Srl, einer Bietergemeinschaft von Unternehmen, zu der die Markas Srl und Zanetti Arturo gehören (im Folgenden: ATE Markas), geschlossen worden war.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Richtlinie 2004/18</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        In den Erwägungsgründen 11 und 15 der Richtlinie 2004/18 heißt es:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(11)      Es sollten eine … Definition der Rahmenvereinbarungen [auf Unionsebene] sowie spezifische Vorschriften für die Rahmenvereinbarungen, die für in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Aufträge geschlossen werden, vorgesehen werden. Nach diesen Vorschriften kann ein öffentlicher Auftraggeber, wenn er eine Rahmenvereinbarung gemäß den Vorschriften dieser Richtlinie insbesondere über Veröffentlichung, Fristen und Bedingungen für die Abgabe von Angeboten abschließt, während der Laufzeit der Rahmenvereinbarung Aufträge auf der Grundlage dieser Rahmenvereinbarung entweder durch Anwendung der in der Rahmenvereinbarung enthaltenen Bedingungen oder, falls nicht alle Bedingungen im Voraus in dieser Vereinbarung festgelegt wurden, durch erneute Eröffnung des Wettbewerbs zwischen den Parteien der Rahmenvereinbarung in Bezug auf die nicht festgelegten Bedingungen vergeben. Bei der Wiedereröffnung des Wettbewerbs sollten bestimmte Vorschriften eingehalten werden, um die erforderliche Flexibilität und die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, zu gewährleisten. Aus diesen Gründen sollte die Laufzeit der Rahmenvereinbarung begrenzt werden und sollte vier Jahre nicht überschreiten dürfen, außer in von den öffentlichen Auftraggebern ordnungsgemäß begründeten Fällen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(15)      In den Mitgliedstaaten haben sich verschiedene zentrale Beschaffungsverfahren entwickelt. Mehrere öffentliche Auftraggeber haben die Aufgabe, für andere öffentliche Auftraggeber Ankäufe zu tätigen oder öffentliche Aufträge zu vergeben/Rahmenvereinbarungen zu schließen. In Anbetracht der großen Mengen, die beschafft werden, tragen diese Verfahren zur Verbesserung des Wettbewerbs und zur Rationalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens bei. Daher sollte der Begriff der für öffentliche Auftraggeber tätigen zentralen Beschaffungsstelle im Gemeinschaftsrecht definiert werden. Außerdem sollte unter Einhaltung der Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung definiert werden, unter welchen Voraussetzungen davon ausgegangen werden kann, dass öffentliche Auftraggeber, die Bauleistungen, Waren und/oder Dienstleistungen über eine zentrale Beschaffungsstelle beziehen, diese Richtlinie eingehalten haben.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 1 („Definitionen“) Abs. 5 dieser Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Eine ‚Rahmenvereinbarung‘ ist eine Vereinbarung zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern, die zum Ziel hat, die Bedingungen für die Aufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 2 („Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen“) dieser Richtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        In Art. 9 („Methoden zur Berechnung des geschätzten Wertes von öffentlichen Aufträgen, von Rahmenvereinbarungen und von dynamischen Beschaffungssystemen“) dieser Richtlinie heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Grundlage für die Berechnung des geschätzten Auftragswertes ist der Gesamtwert ohne MwSt., der vom öffentlichen Auftraggeber voraussichtlich zu zahlen ist. Bei dieser Berechnung ist der geschätzte Gesamtwert einschließlich aller Optionen und der etwaigen Verlängerungen des Vertrags zu berücksichtigen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Ein Bauvorhaben oder ein Beschaffungsvorhaben mit dem Ziel, eine bestimmte Menge von Waren und/oder Dienstleistungen zu beschaffen, darf nicht zu dem Zwecke aufgeteilt werden, das Vorhaben der Anwendung dieser Richtlinie zu entziehen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(7)      Bei regelmäßig wiederkehrenden öffentlichen Aufträgen oder Daueraufträgen über Lieferungen oder Dienstleistungen wird der geschätzte Auftragswert wie folgt berechnet:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      entweder auf der Basis des tatsächlichen Gesamtwerts entsprechender aufeinander folgender Aufträge aus den vorangegangenen zwölf Monaten oder dem vorangegangenen Haushaltsjahr; dabei sind voraussichtliche Änderungen bei Mengen oder Kosten während der auf den ursprünglichen Auftrag folgenden zwölf Monate nach Möglichkeit zu berücksichtigen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      oder auf der Basis des geschätzten Gesamtwerts aufeinander folgender Aufträge, die während der auf die erste Lieferung folgenden zwölf Monate bzw. während des Haushaltsjahres, soweit dieses länger als zwölf Monate ist, vergeben werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Wertes eines öffentlichen Auftrags darf nicht in der Absicht erfolgen, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(9)      Der zu berücksichtigende Wert einer Rahmenvereinbarung oder eines dynamischen Beschaffungssystems ist gleich dem geschätzten Gesamtwert ohne MwSt. aller für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung oder des dynamischen Beschaffungssystems geplanten Aufträge.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 32 („Rahmenvereinbarungen“) der Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Mitgliedstaaten können für die öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen vorsehen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Für den Abschluss einer Rahmenvereinbarung befolgen die öffentlichen Auftraggeber die Verfahrensvorschriften dieser Richtlinie in allen Phasen bis zur Zuschlagserteilung der Aufträge, die auf diese Rahmenvereinbarung gestützt sind. Für die Auswahl der Parteien einer Rahmenvereinbarung gelten die Zuschlagskriterien gemäß Artikel 53.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Aufträge, die auf einer Rahmenvereinbarung beruhen, werden nach den in den Absätzen 3 und 4 beschriebenen Verfahren vergeben. Diese Verfahren sind nur zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und den Wirtschaftsteilnehmern anzuwenden, die von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Bei der Vergabe der auf einer Rahmenvereinbarung beruhenden Aufträge dürfen die Parteien keinesfalls substanzielle Änderungen an den Bedingungen dieser Rahmenvereinbarung vornehmen; dies ist insbesondere in dem in Absatz 3 genannten Fall zu beachten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Mit Ausnahme von Sonderfällen, in denen dies insbesondere aufgrund des Gegenstands der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt werden kann, darf die Laufzeit der Rahmenvereinbarung vier Jahre nicht überschreiten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Der öffentliche Auftraggeber darf das Instrument der Rahmenvereinbarung nicht missbräuchlich oder in einer Weise anwenden, durch die der Wettbewerb behindert, eingeschränkt oder verfälscht wird.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Wird eine Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer geschlossen, so werden die auf dieser Rahmenvereinbarung beruhenden Aufträge entsprechend den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vergeben.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Für die Vergabe der Aufträge kann der öffentliche Auftraggeber den an der Rahmenvereinbarung beteiligten Wirtschaftsteilnehmer schriftlich konsultieren und ihn dabei auffordern, sein Angebot erforderlichenfalls zu vervollständigen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Wird eine Rahmenvereinbarung mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern geschlossen, so müssen mindestens drei Parteien beteiligt sein, sofern eine ausreichend große Zahl von Wirtschaftsteilnehmern die Eignungskriterien und/oder eine ausreichend große Zahl von zulässigen Angeboten die Zuschlagskriterien erfüllt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Vergabe von Aufträgen, die auf einer mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern geschlossenen Rahmenvereinbarung beruhen, erfolgt</p>
<p class="C03Tiretlong">–        entweder nach den Bedingungen der Rahmenvereinbarung ohne erneuten Aufruf zum Wettbewerb</p>
<p class="C03Tiretlong">–        oder, sofern nicht alle Bedingungen in der Rahmenvereinbarung festgelegt sind, nach erneutem Aufruf der Parteien zum Wettbewerb zu denselben Bedingungen, die erforderlichenfalls zu präzisieren sind, oder gegebenenfalls nach anderen, in den Verdingungsunterlagen der Rahmenvereinbarung genannten Bedingungen, und zwar nach folgendem Verfahren:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Art. 35 („Bekanntmachungen“) dieser Richtlinie sieht in Abs. 4 vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Ein öffentlicher Auftraggeber, der einen öffentlichen Auftrag vergeben oder eine Rahmenvereinbarung geschlossen hat, sendet spätestens 48 Tage nach der Vergabe des Auftrags beziehungsweise nach Abschluss der Rahmenvereinbarung eine Bekanntmachung mit den Ergebnissen des Vergabeverfahrens ab.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Bei Rahmenvereinbarungen im Sinne von Artikel 32 brauchen die öffentlichen Auftraggeber nicht für jeden Einzelauftrag, der aufgrund dieser Vereinbarung vergeben wird, eine Bekanntmachung mit den Ergebnissen des jeweiligen Vergabeverfahrens abzusenden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        In Anhang VII Teil A („Angaben, die in den Bekanntmachungen für öffentliche Aufträge enthalten sein müssen“) der Richtlinie heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„…</p>
<p class="C02AlineaAltA">Bekanntmachung</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">3.      …</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">c)      gegebenenfalls Angabe, ob es sich um eine Rahmenvereinbarung handelt;</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">6.      …</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">c)      Dienstleistungsaufträge:</p>
<p class="C15Marge2avectiretlong">–        Kategorie der Dienstleistung und Beschreibung; Referenznummer(n) der Nomenklatur. Umfang der Dienstleistungen. Insbesondere Hinweis auf Optionen bezüglich zusätzlicher Aufträge und, sofern bekannt, auf den vorläufigen Zeitplan für die Inanspruchnahme dieser Optionen sowie gegebenenfalls auf die Anzahl der Verlängerungen. Bei regelmäßig wiederkehrenden oder Daueraufträgen voraussichtlicher Zeitplan, sofern bekannt, für nachfolgende Ausschreibungen für die geplanten Lieferungen.</p>
<p class="C16Marge3">Bei Rahmenvereinbarungen ferner Angabe der vorgesehenen Laufzeit der Vereinbarung, des für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung veranschlagten Gesamtwerts der Dienstleistungen sowie – wann immer möglich – des Wertes und der Häufigkeit der zu vergebenden Aufträge.</p>
<p class="C15Marge2avectiretlong">–        …</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">18.      Bei Rahmenvereinbarungen: vorgesehene Anzahl und gegebenenfalls die Höchstzahl der Wirtschaftsteilnehmer, die Partei der Rahmenvereinbarung werden sollen, Dauer der Vereinbarung, gegebenenfalls unter Angabe der Rechtfertigungsgründe für eine Rahmenvereinbarung über einen längeren Zeitraum als vier Jahre.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Italienisches Recht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Nationales Recht</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Art. 1 Abs. 449 letzter Teil der Legge n. 296 (Gesetz Nr. 296) vom 27. Dezember 2006 (Supplemento ordinario Nr. 244 zur GURI Nr. 299 vom 27. Dezember 2006) bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Einrichtungen des staatlichen Gesundheitsdienstes sind in jedem Fall verpflichtet, beim Einkauf von den Vereinbarungen Gebrauch zu machen, die von den zuständigen regionalen Stellen abgeschlossen wurden, oder, wenn keine regionalen Vereinbarungen in Kraft sind, von den Rahmenvereinbarungen Gebrauch zu machen, die die Consip SpA (zentrale Beschaffungsstelle der italienischen Verwaltung) abgeschlossen hat.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Das Decreto legislativo n. 163 (gesetzesvertretendes Dekret Nr. 163) vom 12. April 2006 (Supplemento ordinario Nr. 107 zur GURI Nr. 100 vom 2. Mai 2006) in der für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Fassung hatte u. a. zum Gegenstand, die Richtlinie 2004/18 umzusetzen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Aus Art. 3 Abs. 13 dieses Dekrets ging hervor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Eine ‚Rahmenvereinbarung‘ ist eine Vereinbarung zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern, die zum Ziel hat, die Bedingungen für die Aufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Die Funktionsweise einer mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer geschlossenen Rahmenvereinbarung wurde in Art. 59 dieses Dekrets beschrieben. Diese Bestimmung übernahm in ihren Abs. 2 bis 4 wörtlich Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 1 bis 3 und Abs. 3 der Richtlinie 2004/18. Dagegen unterließ sie es, Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 4 und 5 dieser Richtlinie umzusetzen, die zum Gegenstand haben, mit Ausnahme von ordnungsgemäß begründeten Sonderfällen die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung auf vier Jahre zu begrenzen bzw. den öffentlichen Auftraggebern zu verbieten, von Rahmenvereinbarungen missbräuchlich oder in einer Weise Gebrauch zu machen, durch die der Wettbewerb behindert, eingeschränkt oder verfälscht wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Art. 1 Abs. 12 des Decreto-legge 6 luglio 2012 n. 95 (Gesetzesdekret Nr. 95 vom 6. Juli 2012, Supplemento ordinario Nr. 141 zur GURI Nr. 156 vom 6. Juli 2012), convertito con modificazioni dalla legge 7 agosto 2012, n. 135 (mit Änderungen in Gesetz umgewandelt durch das Gesetz Nr. 135 vom 7. August 2012, Supplemento ordinario Nr. 173 zur GURI Nr. 189 vom 14. August 2012) lässt zur Verbesserung der in der ursprünglichen Ausschreibung festgelegten Vertragsbedingungen eine Änderung der Bedingungen eines öffentlichen Auftrags während seiner Durchführung zu.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Nach Art. 15 Abs. 13 Buchst. b dieses Decreto-legge kann ein im Sinne dieser Vorschrift übermäßig teurer Liefer- oder Dienstleistungsauftrag gekündigt werden, um ohne eine neue Ausschreibung einen neuen Vertrag zu schließen, der die Bedingungen übernimmt, die in dem mit anderen Unternehmen geschlossenen in Kraft befindlichen Vertrag enthalten sind.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Regionales Recht</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      In der Lombardei (Italien) verpflichtet Art. 3 Abs. 7 der Legge regionale n. 14 (Regionales Gesetz Nr. 14) vom 19. Mai 1997 die gesamte regionale Verwaltung, von zentralisierten Formen der Beschaffung, insbesondere der regionalen Beschaffungsstelle, Gebrauch zu machen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Der Beschluss des Regionalrats Nr. 2633 vom 6. Dezember 2011 wiederholt die Verpflichtung der ASST, sich Sammelbestellungen anzuschließen und auf die Beschaffungsstellen zurückzugreifen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Der Ausgangsrechtsstreit hat seinen Ursprung im Dekret Nr. 1158/2015, das am 30. Dezember 2015 vom Generaldirektor der ASST Valcamonica erlassen wurde, um ohne Durchführung eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags dem ursprünglichen Vertrag für den Zeitraum zwischen dem 1. Februar 2016 und dem 15. Februar 2021 beizutreten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Zu diesem Zweck verlangte der Generaldirektor der ASST Valcamonica die Erweiterung des öffentlichen Auftrags, der mit dem am 4. November 2011 vom Generaldirektor der ASST Gardasee erlassenen Dekret Nr. 828/2011 (im Folgenden: Dekret Nr. 828/2011) ursprünglich an ATE Markas vergeben worden war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Mit diesem Dekret wurden die Dienste der Reinigung der Räumlichkeiten sowie der Sammlung und der Entsorgung von Abfall für einen Zeitraum von 108 Monaten, d. h. 9 Jahre, vom 16. Februar 2012 bis zum 15. Februar 2021, an ATE Markas vergeben. Nr. 5 des Lastenhefts dieses Auftrags enthielt eine Klausel mit der Überschrift „Erweiterung des Vertrags“ (im Folgenden: Erweiterungsklausel), die einer oder mehreren der in dieser Klausel genannten Einrichtungen erlaubte, vom Zuschlagsempfänger des Auftrags zu verlangen, ihn zu ihren Gunsten zu erweitern, und zwar „zu denselben Bedingungen wie denen des fraglichen Auftrags“. In dieser Klausel, in der u. a. die ASST Valcamonica erwähnt war, hieß es, dass der Zuschlagsempfänger nicht verpflichtet war, den Antrag auf Erweiterung anzunehmen. Außerdem bildete sich auf der Grundlage dieser Klausel ein „selbständiges Vertragsverhältnis“, das die Restlaufzeit des vom ursprünglichen Vertrag vorgesehenen Auftragszeitraums abdeckte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Coopservice, die bis dahin die Reinigung der Räumlichkeiten der ASST Valcamonica sicherstellte, und die AGCM erhoben jeweils Klage vor dem Tribunale amministrativo regionale della Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht der Lombardei, Italien) u. a. auf Nichtigerklärung des Dekrets Nr. 1158/2015, des Dekrets Nr. 828/2011 und der Erweiterungsklausel mit der Begründung, dass diese Rechtsakte die Vergabe eines neuen Dienstleistungsauftrags unter Verstoß gegen die nationalen und europäischen Wettbewerbsregeln und insbesondere gegen die Pflicht, ein Vergabeverfahren durchzuführen, gestatteten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Mit Urteil vom 7. November 2016 wies das Tribunale amministrativo regionale della Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht der Lombardei) diese beiden Klagen mit der Begründung ab, dass zwischen einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer und einem einzigen Auftraggeber, der für sich selbst und für andere öffentliche Auftraggeber handele, die in der Vereinbarung zwar genannt würden, aber nicht unmittelbar daran beteiligt seien, eine Rahmenvereinbarung geschlossen werden könne. Außerdem sei es nicht notwendig, dass in einer Rahmenvereinbarung ausdrücklich und von Anfang an die Menge der Leistungen genannt werde, die die Auftraggeber, die sich möglicherweise auf die Erweiterungsklausel beriefen, verlangen könnten, da diese Menge implizit vorhergesehen werden könne, indem man den gewöhnlichen Bedarf heranziehe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Coopservice und AGCM legten daraufhin gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht, dem Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), Rechtsmittel ein.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Vor diesem macht Markas, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der ASST Valcamonica als Streithelferin beigetreten ist, geltend, dass deren Beitritt zum ursprünglichen Vertrag mit Art. 33 der Richtlinie 2014/24 in Einklang stehe, und beantragt, dem Gerichtshof eine Vorabentscheidungsfrage nach der Auslegung dieser Bestimmung vorzulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Hierzu trifft das vorlegende Gericht drei Feststellungen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Erstens sei Art. 32 der Richtlinie 2004/18 auf das Ausgangsverfahren anwendbar. Da es jedoch zum einen feststellt, dass diese Richtlinie durch die Richtlinie 2014/24 mit Wirkung zum 18. April 2016 aufgehoben worden sei und dass die für die Lösung des Rechtsstreits maßgeblichen Bestimmungen dieser Richtlinie mit denen der Richtlinie 2004/18 identisch seien, hält es das vorlegende Gericht für angebracht, die Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit der Richtlinie 2014/24 auszulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Zweitens hält es das vorlegende Gericht grundsätzlich für zutreffend, den ursprünglichen Vertrag als „Rahmenvereinbarung“ im Sinne der Richtlinien 2004/18 und 2014/24 einzustufen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Drittens habe eine „Rahmenvereinbarung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 der Richtlinie 2004/18 zwei Haupteigenschaften. Zum einen müsse der Aufruf zum Wettbewerb im Vorfeld zum Zeitpunkt der Bestimmung des Zuschlagsempfängers erfolgen und sei daher für den Abschluss jedes einzelnen Auftrags, der in Durchführung der Rahmenvereinbarung mit dem Wirtschaftsteilnehmer geschlossen werde, der am Ende des öffentlichen Vergabeverfahrens, das zum Abschluss dieser Rahmenvereinbarung geführt habe, ausgewählt worden sei (im Folgenden: Folgeaufträge), nicht notwendig. Zum anderen müssten in einer Rahmenvereinbarung in Anbetracht des Adverbs „gegebenenfalls“ in Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 2004/18 die Mengen, die sie betreffen werde, nicht genau angegeben werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Zwar könne der vom Tribunale amministrativo regionale della Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht der Lombardei) eingenommene Standpunkt im Hinblick auf das vom italienischen Gesetzgeber unterstützte Ziel der Förderung von Sammelbeschaffungen gerechtfertigt werden, doch sei dieser Standpunkt nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Ferner stellt das vorlegende Gericht fest, dass es zu dieser Frage keine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs gebe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Hierzu vertritt der Consiglio di Stato (Staatsrat) die Auffassung, dass die vom Tribunale amministrativo regionale della Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht der Lombardei) zugrunde gelegte Auslegung des Adverbs „gegebenenfalls“ zu weit gehe. Aus Sicht des vorlegenden Gerichts muss die Erweiterungsklausel zweifach eingeschränkt werden. Auf subjektiver Ebene müsse sie die Auftraggeber nennen, die sich auf sie berufen könnten, während sie auf objektiver Ebene den wirtschaftlichen Wert der eventuellen Erweiterung auch in Form eines Höchstbetrags angeben müsse, wie es in mehreren seiner Urteile entschieden habe. Eine gegenteilige Auslegung würde eine unbegrenzte Folge freihändiger Vergaben legitimieren, die gegen die fundamentalen Grundsätze des Unionsrechts verstoßen würden, wonach öffentliche Aufträge durch öffentliche Vergabeverfahren vergeben würden, und so den Wettbewerb beeinträchtigen würden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Das vorlegende Gericht neigt daher dazu, eine enge Auslegung dieses Adverbs zugrunde zu legen, wonach die Rahmenvereinbarung „gegebenenfalls“ die Menge festlege, die sie betreffen werde. Diese Präzisierung dürfe nur dann weggelassen werden, wenn die Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen oder rechtlichen Sachlage, von der die Parteien der in Rede stehenden Rahmenvereinbarung Kenntnis hätten, selbst klar und eindeutig bestimmt und bestimmbar seien, auch wenn sie nicht in ihren Inhalt aufgenommen worden seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      In Beantwortung eines Ersuchens um Klarstellung, das der Gerichtshof gemäß Art. 101 der Verfahrensordnung an das vorlegende Gericht gerichtet hatte, um zu erfahren, aus welchen Gründen es den zwischen dem ursprünglichen Auftragnehmer und ATE Markas geschlossenen Vertrag als Rahmenvereinbarung im Sinne von Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 der Richtlinie 2004/18 eingestuft habe, obwohl dieser öffentliche Auftrag für eine Dauer von neun Jahren geschlossen worden sei, erklärte das vorlegende Gericht mit Entscheidung vom 20. Februar 2018, dass es als Verwaltungsgericht durch den Dispositionsgrundsatz gebunden sei und dass eine Feststellung von Amts wegen nur dann zulässig sei, wenn ein Verwaltungsakt besonders schwere Fehler enthalte, die seine Nichtigerklärung rechtfertigten. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts „ist offensichtlich auszuschließen, dass eine Dauer von mehr als der gesetzlich vorgesehenen Mindestdauer einen Fehler einer solchen Schwere darstellt, die die Nichtigkeit der Maßnahme rechtfertigen würde und das Gericht daher theoretisch von Amts wegen feststellen könnte“. Zudem weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der ursprüngliche Vertrag unter Berücksichtigung seines besonderen Gegenstands, den ordnungsgemäßen Betrieb mehrerer Krankenhäuser aufrechtzuerhalten, unter die Ausnahme in Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 4 der Richtlinie 2004/18 fallen könnte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Können Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 der Richtlinie 2004/18 und Art. 33 der Richtlinie 2014/24, die die Richtlinie 2004/18 ersetzt, dahin ausgelegt werden, dass sie den Abschluss einer Rahmenvereinbarung gestatten, bei der</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        ein öffentlicher Auftraggeber für sich selbst und für andere speziell genannte öffentliche Auftraggeber handelt, diese aber nicht unmittelbar an der Unterzeichnung dieser Rahmenvereinbarung mitwirken, und</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        die Menge der Leistungen, die die nicht unterzeichnenden öffentlichen Auftraggeber verlangen können, wenn sie die in dieser Rahmenvereinbarung vorgesehenen Folgeaufträge abschließen, nicht bestimmt ist?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird: Können Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 der Richtlinie 2004/18 und Art. 33 der Richtlinie 2014/24 dahin ausgelegt werden, dass sie den Abschluss einer Rahmenvereinbarung gestatten, bei der</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        ein öffentlicher Auftraggeber für sich selbst und für andere speziell genannte öffentliche Auftraggeber handelt, diese aber nicht unmittelbar an der Unterzeichnung dieser Rahmenvereinbarung mitwirken, und</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        die Menge der Leistungen, die die nicht unterzeichnenden öffentlichen Auftraggeber verlangen können, wenn sie die in dieser Rahmenvereinbarung vorgesehenen Folgeaufträge abschließen, durch die Bezugnahme auf ihren normalen Bedarf bestimmt ist?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Argumentation des vorlegenden Gerichts auf der Prämisse beruht, dass der ursprüngliche Vertrag als „Rahmenvereinbarung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 der Richtlinie 2004/18 einzustufen sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Coopservice und die Europäische Kommission bezweifeln jedoch, dass diese Prämisse stichhaltig ist. Sie machen nämlich geltend, dass der ursprüngliche Vertrag gegen Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 4 der Richtlinie 2004/18 verstoße, wonach die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung „[m]it Ausnahme von Sonderfällen, in denen dies insbesondere aufgrund des Gegenstands der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt werden kann“, vier Jahre nicht überschreiten dürfe. Es sei jedoch keine Erklärung vorgebracht worden, um die Nichteinhaltung der vierjährigen Frist zu rechtfertigen. Daraus folge, dass der Vertrag nicht als „Rahmenvereinbarung“ im Sinne der Richtlinie 2004/18 eingestuft werden könne und daher das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig erklärt werden müsse.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Da das vorlegende Gericht nämlich nicht erläutere, aus welchen Gründen der ursprüngliche Vertrag, der für eine Dauer von neun Jahren geschlossen worden sei, unter die Ausnahme in Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 4 der Richtlinie 2004/18 fallen könnte, habe es weder den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügten, umrissen, noch die von ihm angenommenen tatsächlichen Umstände erläutert, auf denen seine Fragen beruhten, und zwar unter Missachtung der Vorgaben von Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten nach Art. 267 AEUV die Notwendigkeit, zu einer für das vorlegende Gericht zweckdienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, gebietet, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen umreißt, in den sich die gestellten Fragen einfügen, oder dass es zumindest die von ihm angenommenen tatsächlichen Umstände erläutert, auf denen diese Fragen beruhen. Der Gerichtshof ist nämlich nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung einer Unionsvorschrift zu äußern (vgl. aus jüngerer Zeit im Rahmen der Niederlassungsfreiheit Beschluss vom 31. Mai 2018, Bán, C‑24/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:376, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das mit Art. 267 AEUV eingerichtete Verfahren jedoch ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (vgl. u. a. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 1992, Meilicke, C‑83/91, EU:C:1992:332, Rn. 22, und vom 20. Dezember 2017, Global Starnet, C‑322/16, EU:C:2017:985, Rn. 24).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Im Rahmen dieser Zusammenarbeit spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht, so dass der Gerichtshof das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann zurückweisen kann, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C‑94/04 und C‑202/04, EU:C:2006:758, Rn. 25, und vom 11. Mai 2017, Archus und Gama, C‑131/16, EU:C:2017:358, Rn. 42).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Zudem gebietet es das Unionsrecht den nationalen Gerichten nicht, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen Unionsvorschriften aufzugreifen, wenn sie durch die Prüfung dieser Frage die ihnen grundsätzlich gebotene Passivität aufgeben müssten, indem sie die Grenzen des Rechtsstreits zwischen den Parteien überschreiten und sich auf andere Tatsachen und Umstände stützen, als sie die Prozesspartei, die ein Interesse an der Anwendung hat, ihrem Begehren zugrunde gelegt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 1995, van Schijndel und van Veen, C‑430/93 und C‑431/93, EU:C:1995:441, Rn. 21 und 22).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob es ihm, wie der Generalanwalt in Nr. 77 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht möglich ist, die Vereinbarkeit der für den ursprünglichen Vertrag vorgesehenen Laufzeit mit Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 4 der Richtlinie 2004/18 zu beurteilen, da sich die Parteien des Ausgangsverfahrens – so scheint es – auf Anhang VII Teil A Abschnitt „Bekanntmachung“ Nr. 6 Buchst. c („Dienstleistungsaufträge“) dieser Richtlinie berufen haben. Diese Bestimmung nennt bei den Angaben, die unbedingt in den Bekanntmachungen für öffentliche Dienstleistungsaufträge enthalten sein müssen, den für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung veranschlagten Gesamtwert der Dienstleistungen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Überdies ist in keiner Weise dargetan worden, dass ein öffentlicher Auftrag wie der ursprüngliche Vertrag nur deshalb nicht als „Rahmenvereinbarung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 4 der Richtlinie 2004/18 eingestuft werden könnte, weil er für eine Laufzeit von mehr als vier Jahren geschlossen wurde, ohne dass der Auftraggeber die Überschreitung dieser Laufzeit gerechtfertigt hat. In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden kann nämlich insbesondere nicht ausgeschlossen werden, dass ein Vertrag wie der ursprüngliche Vertrag in den ersten vier Jahren seiner Anwendung einen im Sinne dieser letztgenannten Vorschrift gültigen Vertrag darstellt und nach Ablauf dieses Zeitraums unwirksam wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Infolgedessen ist das Vorabentscheidungsersuchen für zulässig zu erklären.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      In den dem Gerichtshof vorgelegten Fragen bezieht sich das vorlegende Gericht gleichzeitig auf die Richtlinien 2004/18 und 2014/24.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Hierzu ist vorab darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich diejenige Richtlinie anwendbar ist, die zu dem Zeitpunkt gilt, zu dem der öffentliche Auftraggeber die Art des durchzuführenden Verfahrens auswählt und endgültig entscheidet, ob ein vorheriger Aufruf zum Wettbewerb für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags durchzuführen ist. Unanwendbar sind hingegen die Bestimmungen einer Richtlinie, deren Umsetzungsfrist nach diesem Zeitpunkt abgelaufen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 31, und vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 83).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Im Ausgangsverfahren nahm der ursprüngliche Vertrag die Form des am 4. November 2011 erlassenen Dekrets Nr. 828/2011 an, während die Richtlinie 2004/18 durch die Richtlinie 2014/24 erst mit Wirkung zum 18. April 2016 aufgehoben wurde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Folglich war die Richtlinie 2004/18 zum Zeitpunkt des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens noch anwendbar, so dass das Vorabentscheidungsersuchen dahin auszulegen ist, dass mit ihm eine Auslegung dieser Richtlinie und nicht der Richtlinie 2014/24 begehrt wird (vgl. entsprechend Beschluss vom 10. November 2016, Spinosa Costruzioni Generali und Melfi, C‑162/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:870, Rn. 21).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Somit möchte das vorlegende Gericht mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, offenbar wissen, ob Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen sind, dass sie den Abschluss einer Rahmenvereinbarung gestatten, nach der zum einen ein öffentlicher Auftraggeber für sich selbst und für andere speziell genannte öffentliche Auftraggeber handelt, die jedoch selbst nicht unmittelbar Parteien dieser Rahmenvereinbarung sind, und zum anderen die Menge der Leistungen, die die nicht unterzeichnenden öffentlichen Auftraggeber verlangen können, wenn sie die in dieser Rahmenvereinbarung vorgesehenen Folgeaufträge abschließen, nicht bestimmt oder durch die Bezugnahme auf ihren normalen Bedarf bestimmt ist.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur Möglichkeit eines öffentlichen Auftraggebers, für sich selbst und für andere eindeutig genannte öffentliche Auftraggeber zu handeln, die aber nicht unmittelbar Parteien der Rahmenvereinbarung sind</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Nach Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18 werden Aufträge, die auf einer Rahmenvereinbarung beruhen, nach Verfahren vergeben, die nur zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und den Wirtschaftsteilnehmern anzuwenden sind, die von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Da sich allein anhand des Wortlauts dieser Bestimmung nicht ermitteln lässt, ob das Erfordernis, von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt zu sein, sowohl für die öffentlichen Auftraggeber als auch die Wirtschaftsteilnehmer oder nur für die Wirtschaftsteilnehmer gilt, ist nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. November 1983, Merck, 292/82, EU:C:1983:335, Rn. 12).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      In diesem Zusammenhang ist zunächst hervorzuheben, dass Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18 im Licht des elften Erwägungsgrundes dieser Richtlinie vorsieht, dass, wenn eine Rahmenvereinbarung mit mehreren Zuschlagsempfängern geschlossen wird, die Folgeaufträge nach erneutem Aufruf der Parteien zum Wettbewerb über die nicht festgelegten Bedingungen geschlossen werden. Ebenso verpflichtet Anhang VII Teil A Abschnitt „Bekanntmachung“ Nr. 18 dieser Richtlinie den Auftraggeber, der von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt ist, die „vorgesehene Anzahl und gegebenenfalls die Höchstzahl der Wirtschaftsteilnehmer, die Partei der Rahmenvereinbarung werden sollen …“, anzugeben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass das Erfordernis, von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt zu sein, nur für die Wirtschaftsteilnehmer gilt, da es nicht darum gehen kann, die öffentlichen Auftraggeber selbst zum Wettbewerb aufzurufen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Diese Auslegung trägt außerdem dazu bei, die praktische Wirksamkeit von Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 der Richtlinie 2004/18 sicherzustellen, deren Ziel u. a. darin besteht, die Effizienz des öffentlichen Beschaffungswesens zu verbessern, indem durch den Rückgriff auf Rahmenverträge Sammelbestellungen bei öffentlichen Aufträgen gefördert werden, um Skaleneffekte zu erzielen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Überdies wird diese Auslegung, wie der Generalanwalt in Nr. 62 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, durch den Wortlaut von Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 bestätigt, wonach die Verfahren zur Vergabe von Aufträgen, die auf einer Rahmenvereinbarung beruhen, nur zwischen jenen öffentlichen Auftraggebern, die zu diesem Zweck im Aufruf zum Wettbewerb oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung eindeutig bezeichnet worden sind, und jenen Wirtschaftsteilnehmern, die Vertragspartei der Rahmenvereinbarung in der Form, wie sie abgeschlossen wurde, waren, angewandt werden dürfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18 einem öffentlichen Auftraggeber erlauben soll, anderen öffentlichen Auftraggebern den Zugang zu einer Rahmenvereinbarung zu eröffnen, die er im Begriff ist, mit den Wirtschaftsteilnehmern zu schließen, die ursprünglich Partei dieser Rahmenvereinbarung sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18 verlangt also nicht, dass ein „sekundärer“ öffentlicher Auftraggeber wie die ASST Valcamonica im Ausgangsverfahren an der Unterzeichnung der Rahmenvereinbarung beteiligt war, um anschließend einen Folgevertrag abschließen zu können. Es reicht aus, dass ein solcher öffentlicher Auftraggeber als potenzieller Nutznießer dieser Rahmenvereinbarung ab dem Zeitpunkt ihres Abschlusses erscheint, indem er eindeutig in den Ausschreibungsunterlagen ausdrücklich genannt wird, was geeignet ist, diese Möglichkeit sowohl dem „sekundären“ öffentlichen Auftraggeber selbst als auch jedem interessierten Wirtschaftsteilnehmer anzuzeigen. Diese Nennung kann entweder in der Rahmenvereinbarung selbst oder in einem anderen Dokument wie einer Erweiterungsklausel in den Verdingungsunterlagen erfolgen, wenn die Anforderungen an die Publizität und die Rechtssicherheit und damit an die Transparenz eingehalten werden.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur Möglichkeit der eine Rahmenvereinbarung nicht unterzeichnenden öffentlichen Auftraggeber, die Menge der Leistungen, die verlangt werden kann, wenn sie Folgeverträge abschließen, nicht zu bestimmen oder sie durch Bezugnahme auf ihren normalen Bedarf zu bestimmen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Aus Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 2004/18 geht hervor, dass eine Rahmenvereinbarung zum Ziel hat, die Bedingungen für die Aufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Zwar könnte aus dem Adverb „gegebenenfalls“ abgeleitet werden, dass die Angabe der Mengen der Leistungen, die die Rahmenvereinbarung betrifft, nur fakultativ ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Diese Auffassung trifft allerdings nicht zu.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Erstens geht aus einer Reihe anderer Bestimmungen der Richtlinie 2004/18 hervor, dass die Rahmenvereinbarung von Anbeginn an die Höchstmenge der Lieferungen und Dienstleistungen, die Gegenstand der Folgeverträge sein können, bestimmen muss. Insbesondere bestimmt Art. 9 Abs. 9 dieser Richtlinie, in dem u. a. die Methoden für die Berechnung des geschätzten Werts der Rahmenvereinbarung dargestellt werden, dass der zu berücksichtigende Wert gleich dem geschätzten Gesamtwert ohne Mehrwertsteuer aller für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung geplanten Aufträge ist. Auch Anhang VII Teil A Abschnitt „Bekanntmachung“ Nr. 6 Buchst. c („Dienstleistungsaufträge“) der Richtlinie 2004/18 verlangt, dass in der Bekanntmachung zu einer solchen Vereinbarung der für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung veranschlagte Gesamtwert der Dienstleistungen sowie – wann immer möglich – des Wertes und der Häufigkeit der zu vergebenden Aufträge angegeben wird. Wie die Kommission im Wesentlichen vorträgt und wie der Generalanwalt in Nr. 78 seiner Schlussanträge festgestellt hat, unterliegt der öffentliche Auftraggeber, der von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt ist, zwar nur einer Handlungspflicht, wenn es darum geht, den Wert und die Häufigkeit jedes einzelnen der abzuschließenden Folgeaufträge anzugeben, er muss jedoch unbedingt die Gesamtmenge angeben, in die sich die Folgeaufträge einfügen können.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Zweitens müssen nach Art. 32 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18, wenn eine Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer geschlossen wird, die auf dieser Rahmenvereinbarung beruhenden Folgeaufträge entsprechend den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vergeben werden. Daraus folgt, dass der öffentliche Auftraggeber, der von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt ist, sich für sich selbst und für potenzielle öffentliche Auftraggeber, die in dieser Vereinbarung eindeutig genannt werden, nur bis zu einer bestimmten Menge verpflichten kann, und dass diese Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn diese Menge erreicht ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Drittens ist diese Auslegung geeignet, die Beachtung der fundamentalen Grundsätze sicherzustellen, die die Vergabe öffentlicher Aufträge regeln und die gemäß Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2004/18 beim Abschluss einer Rahmenvereinbarung anwendbar sind. Die Rahmenvereinbarung fällt nämlich allgemein unter den Begriff „öffentlicher Auftrag“, da sie die verschiedenen Aufträge, für die sie gilt, zu einem einheitlichen Auftrag zusammenfasst (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Mai 1995, Kommission/Griechenland, C‑79/94, EU:C:1995:120, Rn. 15, vom 29. November 2007, Kommission/Italien, C‑119/06, nicht veröffentlicht, EU:C:2007:729, Rn. 43, und vom 11. Dezember 2014, Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ u. a., C‑113/13, EU:C:2014:2440, Rn. 36).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Sowohl die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung als auch der daraus folgende Grundsatz der Transparenz (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2015, UNIS und Beaudout Père et Fils, C‑25/14 und C‑26/14, EU:C:2015:821, Rn. 38) verlangen, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen klar, genau und eindeutig formuliert sind, damit, erstens, alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt ihre genaue Bedeutung verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und, zweitens, der öffentliche Auftraggeber imstande ist, tatsächlich zu überprüfen, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2017, Ingsteel und Metrostav, C‑76/16, EU:C:2017:549, Rn. 34).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Die u. a. in Art. 2 der Richtlinie 2004/18 verankerten Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der am Abschluss der Rahmenvereinbarung interessierten Wirtschaftsteilnehmer würden beeinträchtigt, wenn der öffentliche Auftraggeber, der von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt ist, die Gesamtmenge, die eine solche Vereinbarung betrifft, nicht angäbe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Der Grundsatz der Transparenz ist gerade deshalb so notwendig, weil die öffentlichen Auftraggeber im Falle eines Folgeauftrags gemäß Art. 35 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18 für jeden Einzelauftrag, der aufgrund dieser Rahmenvereinbarung vergeben wird, eine Bekanntmachung mit den Ergebnissen des jeweiligen Vergabeverfahrens nicht abzusenden brauchen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Wäre zudem der öffentliche Auftraggeber, der von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt ist, nicht verpflichtet, von vornherein die Gesamtmenge und den Gesamtbetrag der Leistungen, die von dieser Vereinbarung abgedeckt werden, anzugeben, könnte deren Abschluss dazu dienen, einen Auftrag künstlich aufzuspalten und so unter den von der Richtlinie 2004/18 festgelegten Schwellenwerten bleiben, was Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 verbietet.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Überdies kann man, selbst unterstellt, dass sich eine Bezugnahme auf den normalen Bedarf der in der Rahmenvereinbarung eindeutig bezeichneten öffentlichen Auftraggeber für die nationalen Wirtschaftsteilnehmer als ausreichend explizit erweisen könnte, nicht annehmen, dass dies zwangsläufig auch für einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Wirtschaftsteilnehmer gilt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Wenn die Gesamtmenge der Dienstleistungen, die dieser normale Bedarf darstellt, bekannt ist, dürfte es schließlich keine Schwierigkeit bereiten, sie in der Rahmenvereinbarung selbst oder in einem anderen veröffentlichten Dokument wie den Verdingungsunterlagen anzugeben und dadurch die vollumfängliche Beachtung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung zu gewährleisten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Viertens konkretisiert die Tatsache, dass vom öffentlichen Auftraggeber, der von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt ist, verlangt wird, in der Rahmenvereinbarung die Menge und den Betrag der Leistungen, die diese Vereinbarung abdeckt, anzugeben, das in Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 5 der Richtlinie 2004/18 aufgestellte Verbot, das Instrument der Rahmenvereinbarung missbräuchlich oder in einer Weise anzuwenden, durch die der Wettbewerb behindert, eingeschränkt oder verfälscht wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Es ist daher auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 4 der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen sind, dass</p>
<p class="C03Tiretlong">–        ein öffentlicher Auftraggeber für sich selbst und für andere eindeutig bezeichnete öffentliche Auftraggeber, die nicht unmittelbar an einer Rahmenvereinbarung beteiligt sind, handeln kann, wenn die Gebote der Publizität und der Rechtssicherheit und damit das Transparenzgebot beachtet werden, und</p>
<p class="C03Tiretlong">–        es nicht zulässig ist, dass die diese Rahmenvereinbarung nicht unterzeichnenden öffentlichen Auftraggeber nicht die Menge der Leistungen bestimmen, die verlangt werden kann, wenn sie Aufträge in Durchführung dieser Rahmenvereinbarung abschließen, oder sie die Menge unter Bezugnahme auf ihren normalen Bedarf bestimmen, da sie sonst gegen die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der am Abschluss dieser Rahmenvereinbarung interessierten Wirtschaftsteilnehmer verstoßen würden.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C30Dispositifalinea">
<b>Art. 1 Abs. 5 und Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge sind dahin auszulegen, dass</b>
</p>
<p class="C31Dispositiftiretlong">–        <b>ein öffentlicher Auftraggeber für sich selbst und für andere eindeutig bezeichnete öffentliche Auftraggeber, die nicht unmittelbar an einer Rahmenvereinbarung beteiligt sind, handeln kann, wenn die Gebote der Publizität und der Rechtssicherheit und damit das Transparenzgebot beachtet werden, und</b>
</p>
<p class="C31Dispositiftiretlong">–        <b>es nicht zulässig ist, dass die diese Rahmenvereinbarung nicht unterzeichnenden öffentlichen Auftraggeber nicht die Menge der Leistungen bestimmen, die verlangt werden kann, wenn sie Aufträge in Durchführung dieser Rahmenvereinbarung abschließen, oder sie die Menge unter Bezugnahme auf ihren normalen Bedarf bestimmen, da sie sonst gegen die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der am Abschluss dieser Rahmenvereinbarung interessierten Wirtschaftsteilnehmer verstoßen würden.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Italienisch.</p>
|
175,065 | eugh-2018-12-19-c-36717 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-367/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:12 | 2019-01-31T19:21:12 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1025 | <p class="sum-title-1">
<a id="judgment"/>URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">19. Dezember 2018 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62017CJ0367_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62017CJ0367_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft – Verordnung (EG) Nr. 510/2006 – Art. 4 Abs. 2 Buchst. e – Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 – Art. 7 Abs. 1 Buchst. e – Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen – Antrag auf Änderung der Produktspezifikation – Schinken aus dem Schwarzwald, Deutschland (‚Schwarzwälder Schinken‘) – Bestimmungen über die Aufmachung im Herstellungsgebiet – Anwendbarkeit der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 oder der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑367/17</p>
<p class="normal">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundespatentgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 18. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juni 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="normal">
<span class="bold">S</span>
</p>
<p class="pnormal">gegen</p>
<p class="normal">
<span class="bold">EA,</span>
</p>
<p class="normal">
<span class="bold">EB,</span>
</p>
<p class="normal">
<span class="bold">EC</span>
</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev, C. G. Fernlund und S. Rodin (Berichterstatter),</p>
<p class="normal">Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,</p>
<p class="normal">Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="normal">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2018,</p>
<p class="normal">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">von S, vertreten durch J. Schwarze und Rechtsanwalt U. Gruler,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">von EC, vertreten durch Rechtsanwälte K. Sandberg und V. Schoene,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Eggers, B. Hofstötter, I. Naglis und D. Bianchi als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="normal">folgendes</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 des Rates vom 20. März 2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2006:093:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2006, L 93, S. 12</a>) und der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2012:343:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2012, L 343, S. 1</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen S, einem Verband, auf der einen Seite und EA, EB und EC auf der anderen Seite über einen Beschluss, mit dem das Deutsche Patent- und Markenamt (im Folgenden: DPMA) den Antrag von S auf Änderung der Spezifikation für die geschützte geografische Angabe (im Folgenden: g.g.A.) „Schwarzwälder Schinken“ zurückgewiesen hat, soweit sich die Änderung auf die Angaben zum Schneiden und Verpacken bezieht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Rechtlicher Rahmen</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point3">3</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 4 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 510/2006 sieht vor:</p>
<p class="normal">„Die Spezifikation enthält mindestens folgende Angaben:</p>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">e)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die Beschreibung des Verfahrens zur Gewinnung des Agrarerzeugnisses oder Lebensmittels und gegebenenfalls die redlichen und ständigen örtlichen Verfahren sowie die Angaben über die Aufmachung, wenn die antragstellende Vereinigung im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 unter Angabe von Gründen festlegt, dass die Aufmachung in dem abgegrenzten geografischen Gebiet erfolgen muss, um die Qualität zu wahren oder um den Ursprung oder die Kontrolle zu gewährleisten“.</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point4">4</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 dieser Verordnung lautet:</p>
<p class="normal">„Ein Antrag auf Eintragung kann nur von einer Vereinigung gestellt werden.</p>
<p class="normal">‚Vereinigung‘ im Sinne dieser Verordnung bedeutet ungeachtet der Rechtsform oder Zusammensetzung jede Art des Zusammenschlusses von Erzeugern oder Verarbeitern des gleichen Agrarerzeugnisses oder Lebensmittels. Andere Beteiligte können sich der Vereinigung anschließen. Eine natürliche oder eine juristische Person kann gemäß den in Artikel 16 Buchstabe c genannten Durchführungsvorschriften mit einer Vereinigung gleichgestellt werden.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point5">5</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1898/2006 der Kommission vom 14. Dezember 2006 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 510/2006 (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2006:369:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2006, L 369, S. 1</a>) bestimmt:</p>
<p class="normal">„Legt eine antragstellende Vereinigung in der Produktspezifikation fest, dass die Aufmachung des Agrarerzeugnisses oder des Lebensmittels gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe e) der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 in dem abgegrenzten geografischen Gebiet stattfinden muss, so sind solche produktspezifischen Beschränkungen des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs zu rechtfertigen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point6">6</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Verordnung Nr. 510/2006 wurde mit Wirkung vom 3. Januar 2013 durch die Verordnung Nr. 1151/2012 aufgehoben und ersetzt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point7">7</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1151/2012 lautet:</p>
<p class="normal">„Eine geschützte Ursprungsbezeichnung oder eine [g.g.A.] muss einer Produktspezifikation entsprechen, die mindestens folgende Angaben enthält:</p>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">e)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die Beschreibung des Verfahrens zur Gewinnung des Erzeugnisses und gegebenenfalls die redlichen und ständigen örtlichen Verfahren sowie die Angaben über die Aufmachung, wenn die antragstellende Vereinigung dies so festlegt und eine hinreichende produktspezifische Rechtfertigung dafür liefert, warum die Aufmachung in dem abgegrenzten geografischen Gebiet erfolgen muss, um die Qualität zu wahren, den Ursprung oder die Kontrolle zu gewährleisten; dabei ist dem Unionsrecht, insbesondere den Vorschriften über den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, Rechnung zu tragen“.</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Ausgangssachverhalt und Vorlagefragen</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point8">8</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zurückgehend auf einen Antrag von S ist die Bezeichnung „Schwarzwälder Schinken“ seit dem 25. Januar 1997 als g.g.A. eingetragen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point9">9</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seinem Antrag vom 23. März 2005 begehrte S beim DPMA eine Reihe von Änderungen der Spezifikation für die g.g.A. „Schwarzwälder Schinken“ gemäß Art. 9 der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:1992:208:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 1992, L 208, S. 1</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point10">10</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zur Prüfung dieses Änderungsantrags holte die Markenabteilung 3.2. des DPMA Stellungnahmen sachkundiger und interessierter Stellen ein.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point11">11</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Eingang dieser Stellungnahmen stellte S unter Berücksichtigung derselben mit Schriftsatz vom 13. Februar 2007, der beim DPMA am 15. Februar 2007 einging, einen neuen Antrag auf Änderung der Produktspezifikation.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point12">12</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Gegen diesen Antrag wurden drei Einsprüche eingelegt, einer davon von EC, die im vorliegenden Verfahren Erklärungen abgegeben hat. EC ist ein großer Vermarkter von Fleischerzeugnissen, der derzeit das Schneiden und Verpacken von „Schwarzwälder Schinken“ außerhalb des Herstellungsgebiets betreibt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point13">13</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Beschluss vom 5. Dezember 2008 wies das DPMA den Antrag auf Änderung der Produktspezifikation zurück, soweit er die Angaben zum Schneiden und Verpacken betrifft. Es begründete dies damit, dass er den Bestimmungen der Verordnung Nr. 510/2006 nicht entspreche.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point14">14</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">S legte Beschwerde ein, mit der er die Abänderung des Teils des Beschlusses des DPMA begehrte, mit dem der besagte Änderungsantrag zurückgewiesen worden war.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point15">15</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Beschluss vom 13. Oktober 2011 hob das Bundespatentgericht (Deutschland) den Beschluss des DPMA auf und stellte fest, dass der Antrag auf Änderung der Produktspezifikation den Anforderungen der Verordnung Nr. 510/2006 entspreche.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point16">16</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Gegen diesen Beschluss legte EC Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (Deutschland) ein.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point17">17</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Beschluss vom 3. April 2014 hob der Bundesgerichtshof den Beschluss des vorlegenden Gerichts vom 13. Oktober 2011 auf und verwies die Sache an es zurück.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point18">18</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Bundespatentgericht hat vor dem geschilderten Hintergrund beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zu den Vorlagefragen</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zur ersten Frage</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point19">19</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich die Entscheidung über einen Antrag auf Änderung der Spezifikation einer g.g.A. wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 510/2006 in Verbindung mit Art. 8 der Verordnung Nr. 1898/2006, die zur Zeit der Antragstellung galten, oder nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1151/2012, die zur Zeit des Erlasses einer solchen Entscheidung gilt, richten muss. Da diese Bestimmungen im Wesentlichen inhaltsgleich sind, braucht die erste Frage nicht beantwortet zu werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zu den Fragen 2 und 3</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point20">20</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seinen zusammen zu prüfenden Fragen 2 und 3 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 510/2006 in Verbindung mit Art. 8 der Verordnung Nr. 1898/2006 und Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1151/2012 dahin auszulegen sind, dass das Erfordernis der Aufmachung eines durch eine g.g.A. zertifizierten Erzeugnisses wie des „Schwarzwälder Schinkens“ in dem geografischen Gebiet, in dem es erzeugt wird, gemäß dem besagten Art. 4 Abs. 2 Buchst. e gerechtfertigt ist, wenn damit bezweckt wird, dem mit dem Transport, dem Schneiden oder dem Verpacken außerhalb dieses Gebiets verbundenen Risiko für die Qualität des Erzeugnisses vorzubeugen, ein Höchstmaß an Wirksamkeit der Kontrollen in dem betreffenden Gebiet zu garantieren und eine bessere Gewährleistung der unionsrechtlich verlangten Rückverfolgbarkeit des Erzeugnisses sicherzustellen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point21">21</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 510/2006 enthält die Spezifikation „Angaben über die Aufmachung, wenn die antragstellende Vereinigung … unter Angabe von Gründen festlegt, dass die Aufmachung in dem abgegrenzten geografischen Gebiet erfolgen muss, um die Qualität zu wahren oder um den Ursprung oder die Kontrolle zu gewährleisten“, und gemäß Art. 8 der Verordnung Nr. 1898/2006 sind, wenn „… eine antragstellende Vereinigung in der Produktspezifikation fest[legt], dass die Aufmachung des Agrarerzeugnisses oder des Lebensmittels gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe e) der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 in dem abgegrenzten geografischen Gebiet stattfinden muss, … solche produktspezifischen Beschränkungen des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs zu rechtfertigen“.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point22">22</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem muss nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1151/2012 die Produktspezifikation für die g.g.A. „Angaben über die Aufmachung [enthalten], wenn die antragstellende Vereinigung dies so festlegt und eine hinreichende produktspezifische Rechtfertigung dafür liefert, warum die Aufmachung in dem abgegrenzten geografischen Gebiet erfolgen muss, um die Qualität zu wahren, den Ursprung oder die Kontrolle zu gewährleisten; dabei ist dem Unionsrecht, insbesondere den Vorschriften über den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, Rechnung zu tragen“.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point23">23</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach diesen Bestimmungen muss das Erfordernis der Aufmachung eines von einer g.g.A. erfassten Erzeugnisses in einem abgegrenzten geografischen Gebiet bezwecken, die Qualität des Erzeugnisses zu wahren oder seinen Ursprung oder seine Kontrolle zu gewährleisten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point24">24</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Unionsgesetzgebung eine allgemeine Tendenz zeigt, im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik die Qualität der Erzeugnisse herauszustellen, um deren Ansehen zu fördern, u. a. durch die Verwendung besonders geschützter Ursprungsbezeichnungen. Sie ist auch darauf gerichtet, dass den Erwartungen der Verbraucher in Bezug auf Qualitätserzeugnisse und Erzeugnisse mit bestimmbarer geografischer Herkunft Rechnung getragen wird und es den Herstellern erleichtert wird, unter gleichen Wettbewerbsbedingungen als Gegenleistung für echte Qualitätsanstrengungen ein höheres Einkommen zu erzielen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2011, Kakavetsos-Fragkopoulos, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A110&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑161/09</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A110&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2011:110</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A110&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point34" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">34</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point25">25</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Übrigen soll eine Produktspezifikation, die die Zuerkennung der g.g.A. u. a. an das Aufschneiden und Verpacken eines Schinkens im Erzeugungsgebiet knüpft, den Inhabern dieser g.g.A. ermöglichen, die Kontrolle über eine der Formen zu behalten, in denen das Erzeugnis auf den Markt gebracht wird. Diese in der Spezifikation aufgestellte Voraussetzung verfolgt das Ziel, die Qualität und Unverfälschtheit des betreffenden Erzeugnisses und damit das Ansehen der g.g.A., für das die Inhaber gemeinsam die volle Verantwortung übernehmen, besser zu wahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2003, Consorzio del Prosciutto di Parma und Salumificio S. Rita, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑108/01</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2003:296</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point65" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">65</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point26">26</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In diesem Zusammenhang ist eine Bedingung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ungeachtet ihrer beschränkenden Auswirkungen auf den Handelsverkehr als unionsrechtskonform anzusehen, wenn nachgewiesen wird, dass sie ein erforderliches und verhältnismäßiges Mittel darstellt, um die Qualität des betreffenden Erzeugnisses zu wahren oder dessen Ursprung oder die Kontrolle der Spezifikation für diese g.g.A. zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2003, Consorzio del Prosciutto di Parma und Salumificio S. Rita, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑108/01</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2003:296</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point66" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">66</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point27">27</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall betont das vorlegende Gericht hinsichtlich des Risikos einer Beeinträchtigung der Qualität des Erzeugnisses aufgrund eines unsachgemäßen Transports, dass dieses Risiko jedes Erzeugnis, ob unter einer g.g.A. vermarktet oder nicht, betreffe und dass S keinerlei Vorgaben für den Transport vorgelegt habe, die etwaigen Beeinträchtigungen des Erzeugnisses vorbeugen könnten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point28">28</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Da mit dem Erfordernis der Aufmachung eines Erzeugnisses mit g.g.A. in einem abgegrenzten geografischen Gebiet u. a. die Wahrung der Qualität dieses Erzeugnisses bezweckt wird, ist dieses Erfordernis insoweit nur triftig, wenn die Aufmachung außerhalb des geografischen Herstellungsgebiets des betreffenden Erzeugnisses erhöhte Risiken für dessen Qualität mit sich bringt, nicht aber, wenn die gleichen Risiken auch bei vergleichbaren anderen Erzeugnissen bestehen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point29">29</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Auftreten erhöhter Risiken im Fall der Aufmachung eines durch eine g.g.A. zertifizierten Erzeugnisses außerhalb des Herstellungsgebiets wird im Übrigen durch den Umstand an sich, dass die von S vorgelegten Vorgaben für das Schneiden und Verpacken für Schinken handelsüblich sind oder nicht über geltende Maßstäbe der Lebensmittelhygiene hinausgehen, weder bestätigt noch ausgeschlossen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point30">30</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Was wiederum den Umstand betrifft, dass die Europäische Kommission in ihren Eintragungsentscheidungen bereits vergleichbare Argumente in Bezug auf vergleichbare andere Erzeugnisse akzeptiert haben mag, ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht nicht gehalten ist, zu beurteilen, ob die vorgebrachten Argumente die Aufmachung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisses in einem abgegrenzten geografischen Gebiet im Hinblick auf eine angebliche frühere Entscheidungspraxis der Kommission rechtfertigen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point31">31</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zum Ziel, die Rückverfolgbarkeit des Erzeugnisses zu gewährleisten, ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass dieses Argument von S allgemein, ohne eingehendere Begründung angeführt wurde und dass folglich nicht nachgewiesen ist, dass die Aufmachung in dem geografischen Herstellungsgebiet erforderlich wäre, um den Ursprung des Erzeugnisses zu gewährleisten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point32">32</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Was schließlich das Ziel anbelangt, eine wirksame Kontrolle der Beachtung der Produktspezifikation zu gewährleisten, macht S geltend, die Wirksamkeit der Kontrollen sei im Allgemeinen im geografischen Herstellungsgebiet höher, wenn ein Erzeugnis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende in erheblichem Umfang außerhalb dieses geografischen Gebiets vermarktet werde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point33">33</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Hierzu ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im Urteil vom 20. Mai 2003, Consorzio del Prosciutto di Parma und Salumificio S. Rita (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑108/01</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2003:296</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point69" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">69</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point74" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">74</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point75" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">75</a>), vor dem Hintergrund, dass mit der Spezifikation für die geschützte Ursprungsbezeichnung des in jener Rechtssache in Rede stehenden Erzeugnisses die einzelnen Schritte des Schneidens und Verpackens eingerichtet werden, bei denen es zu sehr genauen technischen Maßnahmen und Kontrollen in Bezug auf Echtheit, Qualität, Hygiene und Etikettierung kommt, von denen einige fachmännischer Beurteilungen bedürfen, festgestellt hat, dass Kontrollen außerhalb des Erzeugungsgebiets weniger Garantien für die Qualität und Echtheit des besagten Erzeugnisses gäben als Kontrollen, die im Erzeugungsgebiet unter Einhaltung des in der Spezifikation vorgesehenen Verfahrens durchgeführt werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point34">34</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">So verhält es sich insbesondere, wenn die Spezifikation Fachleute, die über spezielle Kenntnisse der Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses verfügen, mit der Vornahme eingehender und systematischer Kontrollen betraut und es somit kaum vorstellbar ist, solche Kontrollen in den anderen Mitgliedstaaten wirksam einzurichten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2003, Consorzio del Prosciutto di Parma und Salumificio S. Rita, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑108/01</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2003:296</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A296&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point75" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">75</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point35">35</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall ist das vorlegende Gericht, auch wenn die Spezifikation für das mit der g.g.A. „Schwarzwälder Schinken“ bezeichnete Erzeugnis Vorgaben enthält, die beim Schneiden und Verpacken des Erzeugnisses befolgt werden müssen, und dieses Erzeugnis in erheblichem Umfang außerhalb des geografischen Herstellungsgebiets vermarktet wird, der Ansicht, dass diese Vorgaben für Schinken handelsüblich seien oder nicht über die geltenden Maßstäbe der Lebensmittelhygiene hinausgingen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point36">36</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach alledem sind Art. 4 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 510/2006 in Verbindung mit Art. 8 der Verordnung Nr. 1898/2006 und Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1151/2012 dahin auszulegen, dass das Erfordernis der Aufmachung eines von einer g.g.A. erfassten Erzeugnisses in dem geografischen Gebiet, in dem es erzeugt wird, gemäß dem besagten Art. 4 Abs. 2 Buchst. e gerechtfertigt ist, wenn es ein erforderliches und verhältnismäßiges Mittel darstellt, um die Qualität des Erzeugnisses zu wahren oder dessen Ursprung oder die Kontrolle der Spezifikation für die g.g.A. zu gewährleisten. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob dieses Erfordernis, was die g.g.A. „Schwarzwälder Schinken“ betrifft, durch eines der vorstehend genannten Ziele gebührend gerechtfertigt ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Kosten</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point37">37</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<p class="normal">
<span class="bold">Art. 4 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 des Rates vom 20. März 2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel in Verbindung mit Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1898/2006 der Kommission vom 14. Dezember 2006 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 510/2006 und Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel sind dahin auszulegen, dass das Erfordernis der Aufmachung eines von einer geschützten geografischen Angabe erfassten Erzeugnisses in dem geografischen Gebiet, in dem es erzeugt wird, gemäß dem besagten Art. 4 Abs. 2 Buchst. e gerechtfertigt ist, wenn es ein erforderliches und verhältnismäßiges Mittel darstellt, um die Qualität des Erzeugnisses zu wahren oder dessen Ursprung oder die Kontrolle der Spezifikation für die geschützte geografische Angabe zu gewährleisten. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob dieses Erfordernis, was die geschützte geografische Angabe</span>
<span class="bold">„Schwarzwälder Schinken“ betrifft, durch eines der vorstehend genannten Ziele gebührend gerechtfertigt ist.</span>
</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Silva de Lapuerta</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Bonichot</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Arabadjiev</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Fernlund</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Rodin</p>
</div>
</div>
<p class="normal">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Dezember 2018.</p>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Der Kanzler</p>
<p class="normal">A. Calot Escobar</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Der Präsident</p>
<p class="normal">K. Lenaerts</p>
</div>
</div>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62017CJ0367_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62017CJ0367_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
175,064 | eugh-2018-12-19-c-37417 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-374/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:11 | 2019-01-31T19:21:11 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1024 | <p class="sum-title-1">
<a id="judgment"/>URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">19. Dezember 2018 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62017CJ0374_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62017CJ0374_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Staatliche Beihilfen – Art. 107 Abs. 1 AEUV – Grunderwerbsteuer – Befreiung – Übergang des Eigentums an einem Grundstück aufgrund von Umwandlungsvorgängen innerhalb bestimmter Konzerne – Begriff der staatlichen Beihilfe – Voraussetzung der Selektivität – Rechtfertigung“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑374/17</p>
<p class="normal">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juni 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Finanzamt B</span>
</p>
<p class="pnormal">gegen</p>
<p class="normal">
<span class="bold">A-Brauerei</span>
</p>
<p class="normal">Beteiligter:</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Bundesministerium der Finanzen</span>
</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Große Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten M. Vilaras, F. Biltgen, K. Jürimäe und C. Lycourgos sowie der Richter M. Ilešič, J. Malenovský, E. Levits, L. Bay Larsen, C. G. Fernlund und S. Rodin,</p>
<p class="normal">Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,</p>
<p class="normal">Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,</p>
<p class="normal">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juni 2018,</p>
<p class="normal">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der A-Brauerei, vertreten durch die Rechtsanwälte K. Naeve und B. Pignot, die Steuerberaterinnen K. Seiferth und C. Tillmann sowie den Steuerberater A. Linn,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze als Bevollmächtigten,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Blanck-Putz, B. Stromsky und T. Maxian Rusche als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. September 2018</p>
<p class="normal">folgendes</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 107 Abs. 1 AEUV.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt B (Deutschland) (im Folgenden: Finanzamt) und der A‑Brauerei wegen der dieser Gesellschaft vom Finanzamt versagten Befreiung von der Grunderwerbssteuer, die nach deutschem Recht unter bestimmten Voraussetzungen Gesellschaften zugutekommt, die im Rahmen von Umwandlungsvorgängen innerhalb bestimmter Konzerne ein Eigentumsrecht an Grundstücken erwerben.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Deutsches Recht</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Umwandlungsgesetz</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point3">3</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 1 Abs. 1 des Umwandlungsgesetzes in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: UmwG) bestimmt:</p>
<p class="normal">„Rechtsträger mit Sitz im Inland können umgewandelt werden</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">durch Verschmelzung;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">2.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">durch Spaltung (Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung);</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">3.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">durch Vermögensübertragung;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">… “</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point4">4</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In § 2 UmwG heißt es:</p>
<p class="normal">„Rechtsträger können unter Auflösung ohne Abwicklung verschmolzen werden</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">im Wege der Aufnahme durch Übertragung des Vermögens eines Rechtsträgers oder mehrerer Rechtsträger (übertragende Rechtsträger) als Ganzes auf einen bestehenden Rechtsträger (übernehmender Rechtsträger) …“</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Grunderwerbsteuergesetz</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point5">5</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 1 des Grunderwerbsteuergesetzes in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: GrEStG) bestimmt:</p>
<p class="normal">„(1)   Der Grunderwerbsteuer unterliegen die folgenden Rechtsvorgänge, soweit sie sich auf inländische Grundstücke beziehen:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung begründet;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">2.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die Auflassung, wenn kein Rechtsgeschäft vorausgegangen ist, das den Anspruch auf Übereignung begründet;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">3.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Übergang des Eigentums, wenn kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen ist und es auch keiner Auflassung bedarf. …</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(2)   Der Grunderwerbsteuer unterliegen auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten.</p>
<p class="normal">(2a)   Gehört zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück und ändert sich innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar dergestalt, dass mindestens 95 vom Hundert der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen, gilt dies als ein auf die Übereignung eines Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft. …</p>
<p class="normal">(3)   Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegen der Steuer, soweit eine Besteuerung nach Absatz 2a nicht in Betracht kommt, außerdem:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 vom Hundert der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers oder in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen oder in der Hand von abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen allein vereinigt werden würden;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">2.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die Vereinigung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 vom Hundert der Anteile der Gesellschaft, wenn kein schuldrechtliches Geschäft im Sinne der Nummer 1 vorausgegangen ist;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">3.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 vom Hundert der Anteile der Gesellschaft begründet;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">4.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Übergang unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 vom Hundert der Anteile der Gesellschaft auf einen anderen, wenn kein schuldrechtliches Geschäft im Sinne der Nummer 3 vorausgegangen ist.“</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point6">6</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 6a GrEStG, der durch § 7 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22. Dezember 2009 (BGBl. I 2009 S. 3950) unter der Überschrift „Steuervergünstigung bei Umstrukturierungen im Konzern“ neu eingeführt wurde, sieht in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung Folgendes vor:</p>
<p class="normal">„Für einen nach § 1 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 2a oder 3 steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Umwandlungsgesetzes wird die Steuer nicht erhoben; … Satz 1 gilt auch für entsprechende Umwandlungen aufgrund des Rechts eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Staats, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet. Satz 1 gilt nur, wenn an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind. Im Sinne von Satz 3 abhängig ist eine Gesellschaft, an deren Kapital oder Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder mittelbar oder teils unmittelbar, teils mittelbar zu mindestens 95 vom Hundert ununterbrochen beteiligt ist.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Ausgangsverfahren und Vorlagefrage</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point7">7</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die A-Brauerei ist eine Aktiengesellschaft mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Sie hielt 100 % der Geschäftsanteile an der T‑GmbH, der mehrere Grundstücke gehörten und die ihrerseits Alleingesellschafterin einer anderen Gesellschaft war.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point8">8</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Vertrag vom 1. August 2012 übertrug die T‑GmbH ihr Vermögen als Ganzes einschließlich der Grundstücke mit allen Rechten und Pflichten im Rahmen einer Umwandlung im Wege der Verschmelzung durch Aufnahme gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Nr. 1 UmwG auf die A‑Brauerei. An der Umwandlung waren nur diese beiden Gesellschaften beteiligt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point9">9</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Verschmelzung wurde mit der Eintragung im Handelsregister am 24. September 2012 wirksam. Zu diesem Zeitpunkt erlosch die T‑GmbH, an der die A‑Brauerei vor der Verschmelzung mehr als fünf Jahre lang zu 100 % beteiligt gewesen war.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point10">10</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Bescheid vom 7. Juni 2013 verlangte das Finanzamt von der A‑Brauerei die Zahlung von Grunderwerbssteuer. Diese werde von ihr geschuldet, weil der Übergang der Grundstücke der T‑GmbH als übertragender Gesellschaft auf sie als übernehmende Gesellschaft aufgrund der Verschmelzung der beiden Unternehmen und der damit verbundenen Übertragung des Gesamtvermögens der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft einen steuerbaren Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG darstelle, der nicht unter die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG falle.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point11">11</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Entscheidung vom 19. Juli 2013 wies das Finanzamt den Einspruch der A-Brauerei gegen diesen Bescheid mit der Begründung zurück, dass die T‑GmbH keine „abhängige Gesellschaft“ im Sinne von § 6a GrEStG sei, weil sie aufgrund der Verschmelzung untergegangen sei und daher die in § 6a aufgestellte Voraussetzung, wonach während einer gesetzlichen Nachbehaltensfrist von fünf Jahren ab dem steuerbaren Vorgang mindestens 95 % der Beteiligung zu behalten seien, nicht erfüllt sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point12">12</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Urteil vom 14. Oktober 2014 gab das Finanzgericht Nürnberg (Deutschland) der Klage der A-Brauerei gegen diese Entscheidung mit der Begründung statt, dass im vorliegenden Fall die Steuervergünstigung nach § 6a GrEStG zu gewähren sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point13">13</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Finanzamt ging gegen dieses Urteil beim Bundesfinanzhof (Deutschland) in Revision.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point14">14</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In einem Beschluss vom 25. November 2015 bestätigte der Bundesfinanzhof die im ersten Rechtszug vorgenommene Auslegung von § 6a GrEStG mit der Begründung, dass die Voraussetzung einer Nachbehaltensfrist nur anwendbar sei, wenn sie bei der betreffenden Umwandlung auch tatsächlich eingehalten werden könne, was bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verschmelzung nicht der Fall gewesen sei, da diese zwangsläufig den Untergang der übertragenden Gesellschaft zur Folge gehabt habe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point15">15</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In diesem Beschluss befasste sich das vorlegende Gericht außerdem von Amts wegen mit der Frage, ob § 6a GrEStG unangewendet bleiben müsse, weil die mit dieser Vorschrift gewährte Steuervergünstigung als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen sei und damit gegebenenfalls ein Verstoß gegen die Mitteilungs- und die Stillhaltepflicht aus Art. 108 Abs. 3 AEUV festzustellen sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point16">16</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In diesem Zusammenhang wies das Bundesministerium der Finanzen (Deutschland), das dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren beigetreten ist, darauf hin, dass die in § 6a GrEStG vorgesehene Steuervergünstigung der Europäischen Kommission nicht mitgeteilt worden sei und diese somit in Bezug auf die Steuervergünstigung auch kein Prüfverfahren eingeleitet habe. Das Ministerium hat jedoch unter Hinweis auf das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 7. November 2014, Autogrill España/Kommission (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2014%3A939&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">T‑219/10</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AT%3A2014%3A939&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:T:2014:939</a>), geltend gemacht, dass es sich bei der in Rede stehenden Vergünstigung nicht um eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV handele, da es nicht möglich sei, die begünstigten Unternehmen anhand ihrer spezifischen Eigenarten als privilegierte Gruppe zu kennzeichnen, so dass die in dieser Vorschrift aufgestellte Voraussetzung der Selektivität nicht erfüllt sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point17">17</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="normal">Ist Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin gehend auszulegen, dass eine nach dieser Vorschrift verbotene Beihilfe vorliegt, wenn nach der Regelung eines Mitgliedstaats Grunderwerbsteuer für einen steuerbaren Erwerb aufgrund einer Umwandlung (Verschmelzung) nicht erhoben wird, falls am Umwandlungsvorgang bestimmte Rechtsträger (herrschendes Unternehmen und eine abhängige Gesellschaft) beteiligt sind und die Beteiligung des herrschenden Unternehmens an der abhängigen Gesellschaft in Höhe von 100 % innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang besteht?</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zur Vorlagefrage</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point18">18</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Steuervergünstigung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die darin besteht, dass der Übergang des Eigentums an einem Grundstück von der Grunderwerbsteuer befreit ist, wenn er aufgrund eines Umwandlungsvorgangs erfolgt, an dem ausschließlich Gesellschaften desselben Konzerns beteiligt sind, die während eines ununterbrochenen Mindestzeitraums von fünf Jahren vor und fünf Jahren nach diesem Vorgang durch eine Beteiligung von mindestens 95 % miteinander verbunden sind, die in dieser Vorschrift aufgestellte Voraussetzung der Selektivität des betreffenden Vorteils erfüllt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point19">19</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Einstufung einer nationalen Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point53" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">53</a> sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point20">20</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Bezug auf die Voraussetzung der Selektivität des Vorteils, die ein Tatbestandsmerkmal des Begriffs der staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ist, muss zunächst geprüft werden, ob die Steuervergünstigung des § 6a GrEStG, wie von der deutschen Regierung geltend gemacht, von vornherein als „allgemeine Maßnahme“ anzusehen ist und daher nicht unter Art. 107 Abs. 1 AEUV fällt, weil sie die in dieser Vorschrift aufgestellte Voraussetzung der Selektivität nicht erfüllt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point21">21</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit ist insbesondere in Bezug auf nationale Maßnahmen, die einen Steuervorteil verschaffen, darauf hinzuweisen, dass eine derartige Maßnahme, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, die Begünstigten aber finanziell besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, den Empfängern einen selektiven Vorteil verschaffen kann und daher eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point56" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">56</a> sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point22">22</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof auch entschieden, dass eine Voraussetzung für die Anwendung oder den Erhalt einer steuerlichen Beihilfe den selektiven Charakter dieser Beihilfe begründen kann, wenn sie dazu führt, dass zwischen Unternehmen, obwohl sie sich im Hinblick auf das mit der in Rede stehenden Steuerregelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, unterschieden wird und sie daher eine Ungleichbehandlung der Unternehmen bewirkt, die von dieser Regelung ausgeschlossen sind (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>‚ Rn. 86).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point23">23</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dagegen handelt es sich bei nationalen Maßnahmen, die unterschiedslos auf alle Unternehmen des betreffenden Mitgliedstaats anwendbar sind, um allgemeine und damit nicht selektive Maßnahmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. März 2012, 3M Italia, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A184&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑417/10</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A184&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2012:184</a>‚ Rn. 39, und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>‚ Rn. 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point24">24</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Umstand, dass nur die Steuerpflichtigen, die die Voraussetzungen für die Anwendung einer Maßnahme erfüllen, diese in Anspruch nehmen können, kann als solcher dieser Maßnahme keinen selektiven Charakter verleihen (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point59" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">59</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point25">25</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für die Einstufung als „allgemeine Maßnahme“ ist jedoch irrelevant, dass die in Rede stehende Maßnahme unabhängig von der Art der Tätigkeit der Unternehmen angewandt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>‚ Rn. 82 bis 84).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point26">26</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Feststellung, dass eine Maßnahme, mit der ein Vorteil gewährt wird, <span class="italic">a priori</span> selektiv ist, muss nämlich nicht unbedingt auf eine mit dem Tätigkeitsbereich eines Unternehmens zusammenhängende Voraussetzung für die Gewährung gestützt werden, sondern kann auch an andere Voraussetzungen anknüpfen, etwa an die Rechtsform des Unternehmens, dem diese Vergünstigung zugutekommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2006, Cassa di Risparmio di Firenze u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A8&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑222/04</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A8&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2006:8</a>‚ Rn. 136).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point27">27</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ebenso wenig kommt es für die Qualifikation als „allgemeine Maßnahme“ darauf an, dass eine grundsätzlich oder potenziell allen Unternehmen offenstehende Maßnahme es nicht ermöglicht, eine besondere Gruppe von Unternehmen zu ermitteln, die als einzige von dieser Maßnahme begünstigt werden und aufgrund spezifischer und gemeinsamer Eigenarten unterschieden werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>‚ Rn. 69 bis 71).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point28">28</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass die Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach § 6a GrEStG durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22. Dezember 2009 unter der Überschrift „Steuervergünstigung bei Umstrukturierungen im Konzern“ als formal von § 1 Abs. 1 Nr. 3 sowie Abs. 2a und 3 GrEStG abweichende Maßnahme eingeführt wurde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point29">29</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem ergibt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs für diese Steuerbefreiung, dass damit im Wesentlichen Umstrukturierungen von Unternehmen und insbesondere Umwandlungen, bei denen Grundstücke von einer Gesellschaft auf eine andere übergehen, erleichtert werden sollten, um die Wettbewerbsfähigkeit dieser Gesellschaften während der Finanzkrise, von der die Bundesrepublik Deutschland seit 2008 betroffen war, zu stärken.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point30">30</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ferner ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens beschlossen wurde, die Gewährung dieser Steuervergünstigung auf bestimmte Konzerne zu beschränken, indem der ursprünglich vorgeschlagene Text um eine zusätzliche Anwendungsvoraussetzung ergänzt wurde, wonach an der Umwandlung nur ein sogenanntes „beherrschendes“ Unternehmen und/oder eine oder mehrere sogenannte „abhängige“ Gesellschaften beteiligt sein dürfen, wobei Letztere als Gesellschaften definiert wurden, an deren Gesellschaftsvermögen ein herrschendes Unternehmen während eines ununterbrochenen Mindestzeitraums von fünf Jahren vor und fünf Jahren nach diesem Vorgang zu mindestens 95 % beteiligt ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point31">31</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerbefreiung werden nur die genannten Konzerne begünstigt, die Umwandlungen vornehmen, während Gesellschaften, die nicht zu solchen Konzernen gehören, selbst dann von diesem Vorteil ausgeschlossen sind, wenn sie die gleichen Umwandlungen wie diese Konzerne vornehmen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point32">32</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zwar ist die Regelungstechnik nicht entscheidend für die Feststellung, ob es sich um eine selektive oder um eine allgemeine Maßnahme handelt, da, wie insbesondere aus Rn. 101 des Urteils vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A732&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑106/09 P und C‑107/09 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A732&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2011:732</a>), hervorgeht, selbst eine nicht formal abweichende Maßnahme, die auf an sich allgemeinen Kriterien beruht, selektiv sein kann, wenn sie faktisch zu einer unterschiedlichen Behandlung der Gesellschaften führt, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Steuerregelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point33">33</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die verwendete Regelungstechnik ist zwar nicht für den Nachweis der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme ausschlaggebend, so dass nicht immer erforderlich ist, dass sie von einer allgemeinen Steuerregelung abweicht. Allerdings ist der Umstand, dass sie – wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme – einen solchen abweichenden Charakter aufweist, für den Nachweis der Selektivität relevant, wenn sich daraus ergibt, dass zwei Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern voneinander unterschieden und <span class="italic">a priori</span> unterschiedlich behandelt werden – und zwar diejenigen, die unter die abweichende Maßnahme fallen, und diejenigen, die weiterhin unter die allgemeine Steuerregelung fallen –, obwohl sich diese beiden Gruppen im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden (Urteile vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/16 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point77" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">77</a>, sowie vom 28. Juni 2018, Andres [Insolvenzverwalter über das Vermögen der Heitkamp BauHolding]/Kommission, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A505&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑203/16 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A505&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:505</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A505&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point93" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">93</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point34">34</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Daraus folgt, dass allein durch das in Rn. 20 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Vorbringen der deutschen Regierung nicht belegt werden kann, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme nicht unter Art. 107 Abs. 1 AEUV fällt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point35">35</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Beurteilung des Merkmals der Selektivität des Vorteils, das zum Begriff der „staatlichen Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV gehört, zunächst die Feststellung, ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situationen befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point54" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">54</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point36">36</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Zusammenhang mit steuerlichen Maßnahmen muss für die Einstufung einer nationalen steuerlichen Maßnahme als „selektiv“ in einem ersten Schritt die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder „normale“ Steuerregelung ermittelt und in einem zweiten Schritt dargetan werden, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme vom allgemeinen System insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dieser allgemeinen Regelung verfolgte Ziel in vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situationen befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point57" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">57</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point37">37</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass, wie sich aus der Darstellung des nationalen Rechts in der Vorlageentscheidung ergibt, der Bezugsrahmen, anhand dessen die Vergleichbarkeit zu prüfen ist, durch die deutschen Rechtsvorschriften über die Grunderwerbsteuer gebildet wird, die in ihrer Gesamtheit den Steuergegenstand und den Steuerentstehungstatbestand festlegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point38">38</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sodann stellt sich die Frage, ob der durch § 6a GrEStG gewährte Steuervorteil – da er auf Umwandlungsvorgänge beschränkt ist, an denen ausschließlich Gesellschaften eines Konzerns beteiligt sind, die während eines ununterbrochenen Mindestzeitraums von fünf Jahren vor und fünf Jahren nach diesem Vorgang durch eine Beteiligung von mindestens 95 % miteinander verbunden sind –, Wirtschaftsteilnehmer unterschiedlich behandelt, die sich im Hinblick auf das mit der im Ausgangsverfahren fraglichen allgemeinen Steuerregelung verfolgte Ziel in vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situationen befinden, da Gesellschaften, die solche Umwandlungen vornehmen, ohne durch solche Beteiligungen miteinander verbunden zu sein, von dieser Befreiung ausgeschlossen sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point39">39</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Hierzu ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das mit der Regelung über die Grunderwerbsteuer verfolgte Ziel darin besteht, jeden Rechtsträgerwechsel an einem Grundstück zu besteuern oder, mit anderen Worten, jede zivilrechtliche Übertragung von Grundstückseigentum durch eine natürliche oder juristische Person auf eine andere natürliche oder juristische Person zu besteuern.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point40">40</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dieses Ziel wird im Übrigen auch ausdrücklich in der Begründung des Gesetzentwurfs, aus dem § 6a GrEStG hervorgegangen ist, erwähnt. Darin wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die betreffende Steuerbefreiung zur Vermeidung willkürlicher Vorteile auf Umwandlungen von Unternehmen zu beschränken ist, da diese Vorgänge, anders als andere Arten der Umstrukturierung von Unternehmen, im Sinne des GrEStG zu einem Rechtsträgerwechsel an einem Grundstück führen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point41">41</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 6a GrEStG befreit seinem Wortlaut nach bestimmte normalerweise gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG steuerbare Vorgänge ausdrücklich von der Steuer. Auch angesichts dieses Wortlauts ist festzustellen, dass die Prüfung der Vergleichbarkeit – im Sinne des in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsatzes (siehe oben, Rn. 35) – im Hinblick auf das Ziel der Besteuerung jeden Eigentümerwechsels an Grundstücken vorzunehmen ist, wie auch das vorlegende Gericht nahelegt. Dieses Ziel wird allgemein mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung über die Grunderwerbsteuer und insbesondere mit den Bestimmungen in § 1 GrEStG verfolgt, die den Steuergegenstand und den Steuerentstehungstatbestand festlegen und die, wie in Rn. 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, den Bezugsrahmen bilden, anhand dessen diese Prüfung der Vergleichbarkeit vorzunehmen ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point42">42</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 6a GrEStG führt offenkundig zu einer Unterscheidung zwischen Gesellschaften, die eine Umwandlung innerhalb eines Konzerns wie dem in dieser Vorschrift genannten vornehmen und die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerbefreiung in Anspruch nehmen können, und Gesellschaften, die die gleiche Umwandlung vornehmen, aber keinem solchen Konzern angehören und von dieser Befreiung ausgeschlossen sind, obwohl sich die einen wie die anderen im Hinblick auf das mit dieser Steuer verfolgte Ziel, nämlich den zivilrechtlichen Eigentümerwechsel zu besteuern, bei dem die entsprechenden Rechte von einer natürlichen oder juristischen Person auf eine andere übertragen werden, in vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situationen befinden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point43">43</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Übrigen wird die Wirkung der Unterscheidung, die sich somit aus der Voraussetzung ergibt, dass an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich Gesellschaften desselben Konzerns beteiligt sein dürfen, die durch eine Beteiligung von mindestens 95 % miteinander verbunden sind, noch verstärkt durch das sich ebenfalls aus dieser Voraussetzung ergebende Erfordernis, wonach diese Beteiligung während eines ununterbrochenen Mindestzeitraums von fünf Jahren vor und fünf Jahren nach diesem Vorgang bestehen muss.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point44">44</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sodann ist jedoch daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Begriff „staatliche Beihilfe“ nicht die Maßnahmen erfasst, die eine Unterscheidung zwischen Unternehmen einführen, die sich im Hinblick auf das von der in Rede stehenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, und damit <span class="italic">a priori</span> selektiv sind, wenn der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass diese Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑20/15 P und C‑21/15 P</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:981</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A981&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point58" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">58</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point45">45</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass durch die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG, wie das vorlegende Gericht nahelegt und wie auch in den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen sowie während der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde, einer übermäßigen Besteuerung entgegengewirkt werden soll.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point46">46</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Besteuerung der Übertragung von Grundstücken aufgrund von Umwandlungsvorgängen innerhalb eines Konzerns, der sich durch einen besonders hohen Grad an Beteiligung, nämlich mindestens 95 %, auszeichnet, wird als übermäßig angesehen, weil nach § 1 Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG die Übertragung des betreffenden Grundstücks grundsätzlich bereits „eingangs“ besteuert wird, d. h. zu dem Zeitpunkt, zu dem die Gesellschaft, die Eigentümerin dieses Grundstücks ist, in einem solchen Konzern aufgeht. Würde später die Übertragung des Grundstücks aufgrund einer konzerninternen Umwandlung, insbesondere, wie im vorliegenden Fall, infolge einer Verschmelzung durch Aufnahme der 100%igen Tochtergesellschaft, die Eigentümerin des Grundstücks ist, erneut besteuert, ergäbe sich eine Doppelbesteuerung derselben Grundstücksübertragung, nämlich ein erstes Mal bei der Eigentumsübertragung, die dem Erwerb von mindestens 95 % des Gesellschaftsvermögens der abhängigen Gesellschaft durch das beherrschende Unternehmen entspricht, und ein zweites Mal bei der Umwandlung, die im vorliegenden Fall in der Verschmelzung im Wege der Aufnahme der abhängigen Gesellschaft durch das beherrschende Unternehmen besteht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point47">47</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dagegen ist eine solche Doppelbesteuerung, wie der Generalanwalt in Nr. 175 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, in Fällen einer Umwandlung, an der zwei durch eine Beteiligung von weniger als 95 % miteinander verbundene Gesellschaften beteiligt sind, ausgeschlossen. Denn dann ist der Erwerb durch das beherrschende Unternehmen, das eine Beteiligung von weniger als 95 % des Gesellschaftsvermögens der abhängigen Gesellschaft hält, nicht nach § 1 Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG steuerpflichtig, während der spätere Umwandlungsvorgang zwischen den beiden Gesellschaften nicht nach § 6a GrEStG befreit wäre.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point48">48</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Eine Maßnahme, die eine Ausnahme von der Anwendung des allgemeinen Steuersystems darstellt, kann durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt werden, wenn der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass sie unmittelbar auf den Grund- oder Leitprinzipien seines Steuersystems beruht. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen den mit einer bestimmten Steuerregelung verfolgten Zielen, die außerhalb dieser Regelung liegen, und den dem Steuersystem selbst inhärenten Mechanismen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind (Urteil vom 6. September 2006, Portugal/Kommission, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A511&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑88/03</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A511&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2006:511</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2006%3A511&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point81" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">81</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point49">49</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung anerkannt, dass dem betreffenden allgemeinen Steuersystem inhärente Zwecke ein <span class="italic">a priori</span> selektives Steuersystem rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 2004, GIL Insurance u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A252&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑308/01</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A252&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2004:252</a>‚ Rn. 74 bis 76, sowie vom 8. September 2011, Paint Graphos u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A550&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑78/08 bis C‑80/08</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A550&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2011:550</a>‚ Rn. 64 bis 76).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point50">50</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall kann das mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des fraglichen allgemeinen Steuersystems zusammenhängende Ziel, eine doppelte und damit übermäßige Besteuerung zu vermeiden, somit rechtfertigen, dass die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG auf Umwandlungsvorgänge zwischen Gesellschaften beschränkt wird, die während eines ununterbrochenen Mindestzeitraums von fünf Jahren vor und fünf Jahren nach diesem Vorgang durch eine Beteiligung von mindestens 95 % miteinander verbunden sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point51">51</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, erscheint das Erfordernis der Mindesthaltedauer einer solchen Beteiligung durch die Absicht gerechtfertigt, ungewollte Mitnahmeeffekte und damit Missbrauch zu verhindern, indem vermieden wird, dass Beteiligungsverhältnisse in dieser Höhe, die nach Abschluss der Umwandlung wieder beendet würden, nur für kurze Zeit geschaffen werden, um in den Genuss der Steuerbefreiung zu gelangen. Die Verhinderung von Missbrauch kann durch das Wesen oder den Aufbau des betreffenden Systems gerechtfertigt sein (vgl. entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 29. April 2004, GIL Insurance u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A252&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑308/01</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A252&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2004:252</a>‚ Rn. 74).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point52">52</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Selbst wenn diese Befreiung also zwischen Unternehmen unterscheidet, die sich im Hinblick auf das mit der in Rede stehenden Rechtsvorschrift verfolgte Ziel in vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situationen befinden, ist diese Unterscheidung gerechtfertigt, da durch sie eine Doppelbesteuerung vermieden werden soll und sie sich insoweit aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sie sich einfügt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point53">53</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Steuervergünstigung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die darin besteht, dass der Übergang des Eigentums an einem Grundstück von der Grunderwerbsteuer befreit ist, wenn er aufgrund eines Umwandlungsvorgangs erfolgt, an dem ausschließlich Gesellschaften desselben Konzerns beteiligt sind, die während eines ununterbrochenen Mindestzeitraums von fünf Jahren vor und fünf Jahren nach diesem Vorgang durch eine Beteiligung von mindestens 95 % miteinander verbunden sind, die in dieser Vorschrift aufgestellte Voraussetzung der Selektivität des betreffenden Vorteils nicht erfüllt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Kosten</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point54">54</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<p class="normal">
<span class="bold">Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine Steuervergünstigung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die darin besteht, dass der Übergang des Eigentums an einem Grundstück von der Grunderwerbsteuer befreit ist, wenn er aufgrund eines Umwandlungsvorgangs erfolgt, an dem ausschließlich Gesellschaften desselben Konzerns beteiligt sind, die während eines ununterbrochenen Mindestzeitraums von fünf Jahren vor und fünf Jahren nach diesem Vorgang durch eine Beteiligung von mindestens 95 % miteinander verbunden sind, die in dieser Vorschrift aufgestellte Voraussetzung der Selektivität des betreffenden Vorteils nicht erfüllt.</span>
</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Lenaerts</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Silva de Lapuerta</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Bonichot</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Arabadjiev</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Prechal</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Vilaras</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Biltgen</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Jürimäe</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Lycourgos</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Ilešič</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Malenovský</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Levits</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Bay Larsen</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Fernlund</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Rodin</p>
</div>
</div>
<p class="normal">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Dezember 2018.</p>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Der Kanzler</p>
<p class="normal">A. Calot Escobar</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Der Präsident</p>
<p class="normal">K. Lenaerts</p>
</div>
</div>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62017CJ0374_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62017CJ0374_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
175,063 | eugh-2018-12-19-c-42217 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-422/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:11 | 2019-01-31T19:21:11 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1029 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">19. Dezember 2018(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Steuertatbestand – Sonderregelung für Reisebüros – Art. 65 und 308 – Von einem Reisebüro erzielte Marge – Bestimmung der Marge – Anzahlungen vor der Erbringung von Reiseleistungen durch das Reisebüro – Dem Reisebüro tatsächlich entstandene Kosten“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑422/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen) mit Entscheidung vom 16. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juli 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Szef Krajowej Administracji Skarbowej</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Skarpa Travel sp. z o.o.</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász (Berichterstatter) und C. Vajda,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: M. Bobek,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        des Szef Krajowej Administracji Skarbowej, vertreten durch J. Kaute und M. Kowalewska als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Skarpa Travel sp. z o.o., vertreten durch J. Zając-Wysocka, radca prawny,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und A. Kramarczyk-Szaładzińska als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze als Bevollmächtigten,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Siekierzyńska und N. Gossement als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. September 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 65 und 308 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Szef Krajowej Administracji Skarbowej (Leiter der nationalen Finanzverwaltung, Polen) und der Skarpa Travel sp. z o.o. (im Folgenden: Skarpa) wegen einer Steuerauskunft des Minister Finansów (Finanzminister, Polen, im Folgenden: Minister) über den Entstehungszeitpunkt und die Berechnungsmethode der Mehrwertsteuer bei der Vereinnahmung einer Anzahlung auf eine von einem Reisebüro erbrachte touristische Dienstleistung.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Gemäß Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie treten „Steuertatbestand und Steueranspruch … zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 65 der Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Werden Anzahlungen geleistet, bevor die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht ist, entsteht der Steueranspruch zum Zeitpunkt der Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 66 der Richtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      spätestens bei der Vereinnahmung des Preises;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung binnen einer bestimmten Frist spätestens nach Ablauf der von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 222 Absatz 2 gesetzten Frist für die Ausstellung der Rechnung oder, falls von den Mitgliedstaaten eine solche Frist nicht gesetzt wurde, binnen einer bestimmten Frist nach dem Eintreten des Steuertatbestands.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Ausnahme nach Absatz 1 gilt jedoch nicht für Dienstleistungen, für die der Dienstleistungsempfänger nach Artikel 196 die Mehrwertsteuer schuldet, und für Lieferungen oder Verbringungen von Gegenständen gemäß Artikel 67.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 306 der Richtlinie sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Mitgliedstaaten wenden auf Umsätze von Reisebüros die Mehrwertsteuer-Sonderregelung dieses Kapitels an, soweit die Reisebüros gegenüber dem Reisenden in eigenem Namen auftreten und zur Durchführung der Reise Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Diese Sonderregelung gilt nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die zur Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage Artikel 79 Absatz 1 Buchstabe c anzuwenden ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Für die Zwecke dieses Kapitels gelten Reiseveranstalter als Reisebüro.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 307 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die zur Durchführung der Reise vom Reisebüro unter den Voraussetzungen des Artikels 306 bewirkten Umsätze gelten als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die einheitliche Dienstleistung wird in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem das Reisebüro den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        In Art. 308 der Richtlinie heißt es: „Für die von dem Reisebüro erbrachte einheitliche Dienstleistung gilt als Steuerbemessungsgrundlage und als Preis ohne Mehrwertsteuer im Sinne des Artikels 226 Nummer 8 die Marge des Reisebüros, das heißt die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugutekommen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Art. 309 der Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Werden die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb der [Union] bewirkt, wird die Dienstleistung des Reisebüros einer gemäß Artikel 153 von der Steuer befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Werden die in Absatz 1 genannten Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der [Union] bewirkt, ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze außerhalb der [Union] entfällt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Gemäß Art. 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie sind „[d]ie Mehrwertsteuerbeträge, die dem Reisebüro von anderen Steuerpflichtigen für die in Artikel 307 genannten Umsätze in Rechnung gestellt werden, welche dem Reisenden unmittelbar zugutekommen, … in keinem Mitgliedstaat abziehbar oder erstattungsfähig“.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Polnisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Art. 19a Abs. 8 der Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom 11. März 2004 (Dz. U. Nr. 54, Pos. 535) in geänderter Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Wurde vor der Lieferung des Gegenstands oder der Erbringung der Dienstleistung die Zahlung – insbesondere eine Vorauszahlung, eine Anzahlung, ein Vorschuss, eine Rate, eine Bau- oder Wohnungseinlage vor der Begründung des genossenschaftlichen Eigentumsrechts an einer Wohnung oder an einem für andere Zwecke bestimmten Raum – ganz oder teilweise vereinnahmt, so entsteht die Steuerpflicht in Bezug auf den vereinnahmten Betrag, unbeschadet von Abs. 5 Nr. 4, zum Zeitpunkt der Vereinnahmung dieser Zahlung.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Art. 119 dieses Gesetzes sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Bei der Erbringung von Reiseleistungen ist, unbeschadet von Abs. 5, die Steuerbemessungsgrundlage die um die geschuldete Steuer verminderte Marge.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die in Abs. 1 genannte Marge ist die Differenz zwischen dem vom Erwerber der Dienstleistung zu zahlenden Betrag und den tatsächlichen Kosten, die dem Steuerpflichtigen für den Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen von anderen Steuerpflichtigen entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugutekommen; als Umsätze, die dem Reisenden unmittelbar zugutekommen, sind Umsätze anzusehen, die zu den Reiseleistungen gehören, und zwar insbesondere Beförderung, Unterbringung, Verpflegung und Versicherung.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass seit dem 1. Januar 2014 die auf Art. 66 der Mehrwertsteuerrichtlinie beruhenden Bestimmungen des nationalen Rechts zur Regelung des Entstehungszeitpunkts dieser Steuer bei Anzahlungen auf touristische Dienstleistungen eines Reisebüros in Polen nicht mehr gelten.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Skarpa unterliegt als Reisebüro der in Art. 119 des Mehrwertsteuergesetzes vorgesehenen Sonderregelung für Reisebüros. Da sie sich außerstande sah, dieser Regelung eindeutig zu entnehmen, wann bei Anzahlungen, die von Reisebüros vereinnahmt werden, der Mehrwertsteueranspruch entsteht, beantragte sie beim Minister eine Steuerauskunft.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      In seiner Steuerauskunft führte der Minister aus, dass der Mehrwertsteueranspruch dann entstehe, wenn die Anzahlungen geleistet würden. Zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer in Form der erzielten Marge könne Skarpa von ihrer Bruttomarge den geschätzten Betrag der von ihr zu tragenden Kosten für die betreffende Dienstleistung in Abzug bringen, und später gegebenenfalls die erforderlichen Korrekturen vornehmen, sobald sie in der Lage sei, den endgültigen Betrag der tatsächlich angefallenen Kosten zu bestimmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Da Skarpa davon ausging, dass der Mehrwertsteueranspruch auf ihre Dienstleistungen erst dann entstehen könne, wenn sie in der Lage sei, ihre endgültige Gewinnmarge zu bestimmen, erhob sie beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Krakowie (Verwaltungsgericht der Woiwodschaft Krakau, Polen) Klage gegen die Auskunft.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Mit Urteil vom 25. November 2014 hob dieses Gericht die Auskunft auf und führte zur Begründung aus, da Art. 119 Abs. 2 des Mehrwertsteuergesetzes nur auf die dem Dienstleister tatsächlich entstandenen Kosten Bezug nehme, entstehe der Mehrwertsteueranspruch erst dann, wenn die tatsächliche Marge endgültig festgestellt worden sei. Eine Schätzung der Steuerbemessungsgrundlage sei bei einer Anzahlung auf die Erbringung touristischer Dienstleistungen durch ein Reisebüro nicht vorgesehen. Zudem sollten Korrekturen von Steuererklärungen nur ausnahmsweise erfolgen und nicht die Regel werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Der Minister legte gegen dieses Urteil eine Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht, dem Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen), ein und berief sich darauf, dass alle Anzahlungen mit Ausnahme der im Mehrwertsteuergesetz genannten Fälle zum Zeitpunkt ihrer Vereinnahmung besteuert würden. Die vom Steuerpflichtigen bis zum Zeitpunkt der Vereinnahmung der Anzahlung getragenen tatsächlichen Kosten könnten bei der Berechnung der Gewinnmarge berücksichtigt werden. Dass die tatsächliche Marge zum Zeitpunkt einer Anzahlung auf eine von einem Reisebüro erbrachte touristische Dienstleistung nicht bestimmbar sei, könne jedoch nicht zur Folge haben, dass der Mehrwertsteueranspruch erst dann entstehe, wenn sie endgültig bestimmt werden könne.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob sich die in Art. 308 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Sonderregel zur Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage bei Dienstleistungen von Reisebüros auf den Zeitpunkt der Entstehung des Mehrwertsteueranspruchs bei diesen Dienstleistungen auswirke. Da die vom Reisebüro tatsächlich getragenen Kosten erst bekannt seien, nachdem es seinem Kunden die touristische Dienstleistung erbracht habe, könne Art. 65 der Richtlinie auf eine unter Art. 308 zu subsumierende Fallgestaltung keine Anwendung finden. Die Mehrwertsteuerrichtlinie sehe dies allerdings so nicht vor, und ein solcher Ansatz ließe sich nur aus ihrem allgemeinen Rahmen ableiten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Sollte der Mehrwertsteueranspruch im Einklang mit Art. 65 der Mehrwertsteuerrichtlinie zum Zeitpunkt der Vereinnahmung der Anzahlung durch das Reisebüro entstehen, sei zudem fraglich, ob die Steuer anhand des vereinnahmten Betrags zu berechnen sei oder ob die in Art. 308 der Richtlinie vorgesehene besondere Methode zur Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage heranzuziehen sei. Insoweit könnte einerseits die Besteuerung der gesamten Anzahlung eine ganz erhebliche, wenn auch nur vorläufige Belastung für das Reisebüro mit sich bringen. Andererseits sei es aber mit der Sonderregelung für Reisebüros unvereinbar, einem Reisebüro zu gestatten, bei der Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage der betreffenden Dienstleistung zum Zeitpunkt einer Anzahlung durch den Kunden den Preis noch nicht bezahlter Dienstleistungen zu berücksichtigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Unter diesen Umständen hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass die Steuerpflicht bei Anzahlungen, die ein Steuerpflichtiger bei der Erbringung touristischer Dienstleistungen, für die die Steuersonderregelung für Reisebüros in den Art. 306 bis 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt, vereinnahmt hat, zu dem in Art. 65 dieser Richtlinie bestimmten Zeitpunkt entsteht?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Bei Bejahung der ersten Frage: Ist Art. 65 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass eine Anzahlung, die ein Steuerpflichtiger bei der Erbringung touristischer Dienstleistungen, für die die Steuersonderregelung für Reisebüros in den Art. 306 bis 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt, vereinnahmt hat, für die Zwecke der Besteuerung um die in Art. 308 dieser Richtlinie genannten Kosten, die bei dem Steuerpflichtigen bis zur Vereinnahmung der Anzahlung tatsächlich angefallen sind, verringert wird?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur ersten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 65 und 306 bis 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass der Mehrwertsteueranspruch im Einklang mit Art. 65 entsteht, wenn ein Reisebüro, das der Sonderregelung in den Art. 306 bis 310 unterliegt, eine Anzahlung auf touristische Dienstleistungen vereinnahmt, die es dem Reisenden erbringen wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Skarpa macht geltend, das Reisebüro müsse zur Bestimmung der einschlägigen Steuerbemessungsgrundlage nach Art. 308 der Richtlinie seine tatsächliche Gewinnmarge berechnen, was jedoch unmöglich sei, ohne die tatsächlichen Kosten zu kennen, die es für den Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen von anderen Steuerpflichtigen verauslagen müsse. Somit entstehe der Steueranspruch erst dann, wenn alle tatsächlich vom Reisebüro getragenen Kosten bekannt seien und die erzielte Marge feststehe. Art. 65 der Richtlinie könne in einem solchen Fall daher keine Anwendung finden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Die mit den Art. 306 bis 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingeführte Mehrwertsteuer-Sonderregelung für Reisebüros enthält für deren Tätigkeit eigene Regeln, die vom gemeinsamen Mehrwertsteuersystem abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2012, Kozak, C‑557/11, EU:C:2012:672, Rn. 16).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Nach Art. 306 der Richtlinie wenden die Mitgliedstaaten diese Regelung auf Umsätze von Reisebüros an, soweit diese nicht als Vermittler handeln, sondern gegenüber dem Reisenden im eigenen Namen auftreten und zur Durchführung der Reise Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Für die gemäß Art. 306 getätigten Umsätze von Reisebüros hat der Unionsgesetzgeber in den Art. 307 bis 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie Sondervorschriften für den Ort der Besteuerung, die Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage und den Vorsteuerabzug vorgesehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass diese Sonderregelung als Ausnahme vom gemeinsamen System der Mehrwertsteuerrichtlinie nur angewandt werden darf, soweit dies zur Erreichung ihres Ziels erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2012, Kozak, C‑557/11, EU:C:2012:672, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs soll mit dieser Sonderregelung vor allem den Schwierigkeiten abgeholfen werden, die sich für die Wirtschaftsteilnehmer ergäben, wenn auf die Umsätze, die mit der Erbringung von Dritten bezogener Leistungen verbunden sind, die allgemeinen Grundsätze der Mehrwertsteuerrichtlinie anwendbar wären, da die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen über den Ort der Besteuerung, die Steuerbemessungsgrundlage und den Vorsteuerabzug bei diesen Unternehmen aufgrund der Vielzahl und der Lokalisierung der erbrachten Leistungen zu praktischen Schwierigkeiten führen würde, die geeignet wären, die Ausübung ihrer Tätigkeit zu behindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2012, Kozak, C‑557/11, EU:C:2012:672, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Folglich stellt die für Reisebüros geltende Mehrwertsteuer-Sonderregelung als solche keine unabhängige und abschließende Steuerregelung dar, sondern enthält lediglich Vorschriften, die von bestimmten Regeln des allgemeinen Mehrwertsteuersystems abweichen, so dass die übrigen Regeln dieses allgemeinen Systems auf mehrwertsteuerpflichtige Umsätze von Reisebüros anwendbar sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Daher können mit Ausnahme der Bestimmungen über den Ort der Besteuerung, die Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage und den Vorsteuerabzug alle Bestimmungen des allgemeinen Mehrwertsteuersystems auf Umsätze angewandt werden, die unter die Sonderregelung für Reisebüros fallen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Demzufolge bleiben die den Steuertatbestand und die Entstehung des Mehrwertsteueranspruchs auf Lieferungen von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen, die sich u. a. in den Art. 63 und 65 der Mehrwertsteuerrichtlinie befinden, auf Umsätze anwendbar, die unter die Sonderregelung für Reisebüros fallen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Nach Art. 63 der Richtlinie treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Nach Art. 65 der Mehrwertsteuerrichtlinie entsteht der Steueranspruch bei Anzahlungen, die geleistet werden, bevor die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht ist, aber zum Zeitpunkt der Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag. Diese Vorschrift muss, da sie von der in Art. 63 der Richtlinie aufgestellten Regel abweicht, eng ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2014, FIRIN, C‑107/13, EU:C:2014:151, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Damit unter solchen Umständen der Steueranspruch entstehen kann, müssen alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestands, d. h. der künftigen Dienstleistung, bereits bekannt sein; somit müssen insbesondere die Dienstleistungen zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sein (Urteil vom 13. März 2014, FIRIN, C‑107/13, EU:C:2014:151, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Im vorliegenden Fall verweist das vorlegende Gericht darauf, dass die Anzahlung zum Zeitpunkt ihrer Vereinnahmung durch ein Reisebüro wie Skarpa einer von diesem Reisebüro erbrachten Dienstleistung zugeordnet werden könne, z. B. einer Reise an einem bestimmten Datum und in ein bestimmtes Land. Somit steht unter dem Vorbehalt einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht fest, dass eine solche Anzahlung eine genau bezeichnete Dienstleistung betrifft, so dass der Mehrwertsteueranspruch nach Art. 65 der Mehrwertsteuerrichtlinie zum Zeitpunkt ihrer Vereinnahmung entsteht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Unter diesen Umständen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 65 und 306 bis 310 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass der Mehrwertsteueranspruch im Einklang mit Art. 65 entsteht, wenn ein Reisebüro, das der Sonderregelung in den Art. 306 bis 310 unterliegt, eine Anzahlung auf touristische Dienstleistungen, die es dem Reisenden erbringen wird, vereinnahmt, sofern die zu erbringenden touristischen Dienstleistungen zu diesem Zeitpunkt genau bestimmt sind.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Mit seiner zweiten Frage ersucht das vorlegende Gericht um Klarstellungen dazu, wie eine von einem Reisebüro vereinnahmte Anzahlung zu besteuern ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Nach Art. 308 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt als Steuerbemessungsgrundlage für die vom Reisebüro erbrachte einheitliche Dienstleistung dessen Gewinnmarge – d. h. die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen –, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugutekommen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Wie in den Rn. 26 bis 28 des vorliegenden Urteils ausgeführt, richtet sich, wenn Reisebüros Gegenstände oder Dienstleistungen bei anderen Steuerpflichtigen erwerben, die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer nach dieser Vorschrift, die zu den Sondervorschriften gehört, die der Unionsgesetzgeber vorgesehen hat, um den Besonderheiten der Tätigkeit von Reisebüros Rechnung zu tragen und um ihnen praktische Schwierigkeiten zu ersparen, die die Ausübung ihrer Tätigkeit behindern könnten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Folglich darf die Auslegung der Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht dazu führen, dass die genaue Berechnung der in ihrem Art. 308 speziell vorgesehenen Steuerbemessungsgrundlage<i> de facto</i> unmöglich gemacht wird; diese setzt voraus, dass das Reisebüro vom Gesamtpreis ohne Mehrwertsteuer, den der Reisende zahlt, sämtliche Kosten in Abzug bringen kann, die dem Reisebüro für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger tatsächlich entstehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Falls die vom Kunden geleistete Anzahlung dem Gesamtpreis der touristischen Dienstleistung oder einem erheblichen Teil davon entspricht und falls dem Reisebüro zum Zeitpunkt der Leistung dieser Anzahlung noch keine tatsächlichen Kosten oder nur ein begrenzter Teil der individuellen Gesamtkosten für diese Dienstleistung entstanden sind, kann die alleinige Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Anzahlung tatsächlich entstandenen Kosten das Reisebüro in bestimmten Fällen daran hindern, alle diese Kosten oder einen Teil von ihnen vom Gesamtpreis ohne Mehrwertsteuer der Dienstleistung abzuziehen, und kann somit die in Art. 308 der Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegte Berechnungsweise der Steuerbemessungsgrundlage verfälschen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Außerdem kann es sein, dass ein Reisebüro nicht in der Lage ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Reisender eine Anzahlung leistet, die tatsächlichen Kosten einer konkreten ihm erbrachten touristischen Dienstleistung zu bestimmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      In Situationen wie den in den beiden vorstehenden Randnummern geschilderten kann die Gewinnmarge des Reisebüros folglich aufgrund einer Schätzung der tatsächlichen Gesamtkosten bestimmt werden, die ihm letztlich entstehen. Bei einer solchen Schätzung hat das Reisebüro gegebenenfalls die Kosten zu berücksichtigen, die ihm zum Zeitpunkt der Vereinnahmung der Anzahlung bereits tatsächlich entstanden sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Zieht man die geschätzten tatsächlichen Gesamtkosten vom Gesamtpreis der Reise ab, ergibt sich die voraussichtliche Gewinnmarge des Reisebüros. Multipliziert man die Anzahlung mit dem Prozentsatz, der vom Gesamtpreis der Reise auf die in dieser Weise bestimmte voraussichtliche Gewinnmarge entfällt, ergibt sich die Bemessungsgrundlage der bei Vereinnahmung der Anzahlung abzuführenden Mehrwertsteuer.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Wie der Generalanwalt in Nr. 51 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann von einem mit durchschnittlicher Sorgfalt betriebenen Reisebüro bei vernünftiger Betrachtung erwartet werden, dass es eine relativ detaillierte Schätzung der individuellen Gesamtkosten einer Reise erstellt, um ihren Gesamtpreis zu bestimmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Die geschätzten voraussichtlichen Kosten müssen mit der konkreten touristischen Dienstleistung in Zusammenhang stehen, für die die Anzahlung vom Reisebüro vereinnahmt wurde, da die Gewinnmarge und die Steuerbemessungsgrundlage für jede vom Reisebüro erbrachte einheitliche Dienstleistung zu bestimmen sind, d. h. in individueller Form und nicht pauschal für Gruppen von Dienstleistungen oder eine Gesamtheit von Dienstleistungen, die während eines bestimmten Zeitraums erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Februar 2018, Kommission/Deutschland, C‑380/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:76, Rn. 89, 91 und 92).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Diese Lösung gilt unbeschadet dessen, dass die tatsächlichen individuellen Kosten der Reise, sobald ihr endgültiger Betrag dem Reisebüro bekannt ist, zur Ermittlung der Mehrwertsteuer im Einklang mit Art. 308 der Mehrwertsteuerrichtlinie heranzuziehen sind, gegebenenfalls unter Berichtigung der bei der Vereinnahmung der Anzahlung erstellten Mehrwertsteuererklärungen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 308 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Marge des Reisebüros – und folglich seine Steuerbemessungsgrundlage – in der Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten besteht, die vom Reisebüro vorab für Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger verauslagt werden, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugutekommen. Entspricht die Anzahlung dem Gesamtpreis der touristischen Dienstleistung oder einem erheblichen Teil davon, und sind dem Reisebüro noch keine tatsächlichen Kosten oder nur ein begrenzter Teil der individuellen Gesamtkosten für diese Dienstleistung entstanden oder können die vom Reisebüro zu tragenden tatsächlichen individuellen Kosten der Reise zum Zeitpunkt der Leistung der Anzahlung nicht bestimmt werden, dann kann die Gewinnmarge aufgrund einer Schätzung der tatsächlichen Gesamtkosten bestimmt werden, die dem Reisebüro letztlich entstehen werden. Bei einer solchen Schätzung hat das Reisebüro gegebenenfalls die Kosten zu berücksichtigen, die ihm zum Zeitpunkt der Vereinnahmung der Anzahlung bereits tatsächlich entstanden sind. Bei der Berechnung der Marge werden vom Gesamtpreis der Reise die geschätzten tatsächlichen Kosten in Abzug gebracht. Die Bemessungsgrundlage der bei Vereinnahmung der Anzahlung abzuführenden Mehrwertsteuer ergibt sich aus einer Multiplikation des Betrags der Anzahlung mit dem Prozentsatz, der vom Gesamtpreis der Reise auf die in dieser Weise bestimmte voraussichtliche Gewinnmarge entfällt.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Die Art. 65 und 306 bis 310 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass der Mehrwertsteueranspruch im Einklang mit Art. 65 entsteht, wenn ein Reisebüro, das der Sonderregelung in den Art. 306 bis 310 unterliegt, eine Anzahlung auf touristische Dienstleistungen, die es dem Reisenden erbringen wird, vereinnahmt, sofern die zu erbringenden touristischen Dienstleistungen zu diesem Zeitpunkt genau bestimmt sind.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Art. 308 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Marge des Reisebüros – und folglich seine Steuerbemessungsgrundlage – in der Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten besteht, die vom Reisebüro vorab für Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger verauslagt werden, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugutekommen. Entspricht die Anzahlung dem Gesamtpreis der touristischen Dienstleistung oder einem erheblichen Teil davon, und sind dem Reisebüro noch keine tatsächlichen Kosten oder nur ein begrenzter Teil der individuellen Gesamtkosten für diese Dienstleistung entstanden oder können die vom Reisebüro zu tragenden tatsächlichen individuellen Kosten der Reise zum Zeitpunkt der Leistung der Anzahlung nicht bestimmt werden, dann kann die Gewinnmarge aufgrund einer Schätzung der tatsächlichen Gesamtkosten bestimmt werden, die dem Reisebüro letztlich entstehen werden. Bei einer solchen Schätzung hat das Reisebüro gegebenenfalls die Kosten zu berücksichtigen, die ihm zum Zeitpunkt der Vereinnahmung der Anzahlung bereits tatsächlich entstanden sind. Bei der Berechnung der Marge werden vom Gesamtpreis der Reise die geschätzten tatsächlichen Kosten in Abzug gebracht. Die Bemessungsgrundlage der bei Vereinnahmung der Anzahlung abzuführenden Mehrwertsteuer ergibt sich aus einer Multiplikation des Betrags der Anzahlung mit dem Prozentsatz, der vom Gesamtpreis der Reise auf die in dieser Weise bestimmte voraussichtliche Gewinnmarge entfällt.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Polnisch.</p>
|
175,062 | eugh-2018-12-19-c-21917 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-219/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:10 | 2019-01-31T19:21:10 | Urteil | ECLI:EU:C:2018:1023 | <p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)</p>
<p class="C19Centre">19. Dezember 2018(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Beaufsichtigung von Kreditinstituten – Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut – Von der Richtlinie 2013/36/EU sowie den Verordnungen (EU) Nr. 1024/2013 und (EU) Nr. 468/2014 geregeltes Verfahren – Mehrteiliges Verwaltungsverfahren – Ausschließliche Entscheidungsbefugnis der Europäischen Zentralbank (EZB) – Klage gegen vorbereitende Handlungen der zuständigen nationalen Behörde – Vorwurf einer Verletzung der Rechtskraft einer nationalen Entscheidung“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑219/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 23. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 25. April 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Silvio Berlusconi,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest)</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Banca d’Italia,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Istituto per la Vigilanza Sulle Assicurazioni (IVASS),</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">Beteiligte:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Ministero dell’Economia e delle Finanze,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Banca Mediolanum SpA,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Holding Italiana Quarta SpA,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Fin. Prog. Italia di E. Doris & C. s.a.p.a.,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Sirefid SpA,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Ennio Doris,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Große Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan, T. von Danwitz, K. Jürimäe und C. Lycourgos sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, J. Malenovský, E. Levits und L. Bay Larsen,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. April 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Herrn Berlusconi und der Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest), vertreten durch A. Di Porto, R. Vaccarella, A. Saccucci, M. Carpinelli, B. Nascimbene, R. Baratta und N. Ghedini, avvocati,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Banca d’Italia, vertreten durch M. Perassi, G. Crapanzano, M. Mancini und O. Capolino, avvocati,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der spanischen Regierung, vertreten durch M. A. Sampol Pucurull als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, H. Krämer, K.‑P. Wojcik und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Zentralbank (EZB), vertreten durch G. Buono, C. Hernández Saseta und C. Zilioli als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Juni 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 256 Abs. 1 AEUV und von Art. 263 Abs. 1, 2 und 5 AEUV.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Silvio Berlusconi und der Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest) auf der einen sowie der Banca d’Italia und dem Istituto per la Vigilanza sulle Assicurazioni (IVASS) (Versicherungsaufsichtsbehörde) (Italien) auf der anderen Seite über die Kontrolle des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>CRD</i>‑<i>IV-Richtlinie</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        In Art. 22 („Anzeige und Beurteilung eines geplanten Erwerbs“) der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338, sogenannte Eigenkapitalrichtlinie, im Folgenden: CRD‑IV-Richtlinie) heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine natürliche oder juristische Person oder gemeinsam handelnde natürliche oder juristische Personen (im Folgenden ‚interessierter Erwerber‘), die beschlossen hat bzw. haben, an einem Kreditinstitut eine qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erwerben oder eine derartige qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erhöhen, mit der Folge, dass ihr Anteil an den Stimmrechten oder am Kapital 20 %, 30 % oder 50 % erreichen oder überschreiten würde oder das Kreditinstitut ihr Tochterunternehmen würde (im Folgenden ‚beabsichtigter Erwerb‘), den für das Kreditinstitut, an dem eine qualifizierte Beteiligung erworben oder erhöht werden soll, zuständigen Behörden diese Tatsache vor dem Erwerb schriftlich unter Angabe des Umfangs der geplanten Beteiligung zusammen mit den einschlägigen Informationen nach Artikel 23 Absatz 4 anzuzeigen hat bzw. haben. …</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die zuständigen Behörden bestätigen dem interessierten Erwerber umgehend, in jedem Fall jedoch innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Erhalt der Anzeige sowie dem etwaigen anschließenden Erhalt der in Absatz 3 genannten Informationen schriftlich deren Eingang.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die zuständigen Behörden verfügen über höchstens 60 Arbeitstage ab dem Datum der schriftlichen Bestätigung des Eingangs der Anzeige und aller von dem Mitgliedstaat verlangten Unterlagen, die der Anzeige nach Maßgabe der in Artikel 23 Absatz 4 genannten Liste beizufügen sind (im Folgenden ‚Beurteilungszeitraum‘), um die Beurteilung nach Artikel 23 Absatz 1 (im Folgenden ‚Beurteilung‘) vorzunehmen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die zuständigen Behörden teilen dem interessierten Erwerber zum Zeitpunkt der Bestätigung des Eingangs der Anzeige mit, zu welchem Zeitpunkt der Beurteilungszeitraum abläuft.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die zuständigen Behörden können erforderlichenfalls – spätestens am 50. Arbeitstag des Beurteilungszeitraums – weitere Informationen anfordern, die für den Abschluss der Beurteilung erforderlich sind. Eine derartige Anforderung ergeht schriftlich und führt die benötigten Informationen im Einzelnen auf.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Der Beurteilungszeitraum wird für die Dauer ab dem Zeitpunkt der Anforderung von Informationen durch die zuständigen Behörden bis zum Eingang der entsprechenden Antwort des interessierten Erwerbers ausgesetzt. Die Aussetzung darf 20 Arbeitstage nicht überschreiten. Es liegt im Ermessen der zuständigen Behörden, weitere Ergänzungen oder Klarstellungen zu den Informationen anzufordern, doch führt dies nicht zu einer Aussetzung des Beurteilungszeitraums.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Die zuständigen Behörden dürfen die Aussetzung nach Absatz 3 Unterabsatz 2 um bis zu 30 Arbeitstage ausdehnen, wenn der interessierte Erwerber in einem Drittland ansässig ist oder beaufsichtigt wird oder eine natürliche oder juristische Person ist, die nicht einer Beaufsichtigung nach dieser Richtlinie oder den Richtlinien 2009/65/EG, 2009/138/EG oder 2004/39/EG unterliegt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(5)      Entscheiden die zuständigen Behörden nach Abschluss der Beurteilung, Einspruch gegen den beabsichtigten Erwerb zu erheben, so setzen sie den interessierten Erwerber innerhalb von zwei Arbeitstagen und innerhalb des Beurteilungszeitraums schriftlich unter Angabe der Gründe davon in Kenntnis. Vorbehaltlich nationaler Rechtsvorschriften kann eine Begründung der Entscheidung auf Antrag des interessierten Erwerbers der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Diese Bestimmung hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, den zuständigen Behörden zu gestatten, derartige Informationen auch ohne entsprechenden Antrag des interessierten Erwerbers der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(6)      Erheben die zuständigen Behörden innerhalb des Beurteilungszeitraums keinen schriftlichen Einspruch gegen den beabsichtigten Erwerb, so gilt dieser als genehmigt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(7)      Die zuständigen Behörden können eine Frist für den Abschluss eines beabsichtigten Erwerbs festlegen und diese Frist gegebenenfalls verlängern.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(8)      Die Mitgliedstaaten stellen an die Anzeige eines direkten oder indirekten Erwerbs von Stimmrechten oder Kapital an die zuständigen Behörden und die Genehmigung eines derartigen Erwerbs durch diese Behörden keine strengeren Anforderungen, als in dieser Richtlinie vorgesehen ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 23 („Beurteilungskriterien“) der CRD‑IV-Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Bei der Beurteilung der Anzeige nach Artikel 22 Absatz 1 und der Informationen nach Artikel 22 Absatz 3 haben die zuständigen Behörden im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts, an dem der Erwerb beabsichtigt wird, und unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Einflusses des interessierten Erwerbers auf jenes Kreditinstitut die Eignung des interessierten Erwerbers und die finanzielle Solidität des beabsichtigten Erwerbs anhand folgender Kriterien zu prüfen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      Leumund des interessierten Erwerbers,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Leumund, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung gemäß Artikel 91 Absatz 1 aller Mitglieder des Leitungsorgans und aller Mitglieder der Geschäftsleitung, die die Geschäfte des Kreditinstituts infolge des beabsichtigten Erwerbs führen werden,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      finanzielle Solidität des interessierten Erwerbers, insbesondere in Bezug auf die Art der tatsächlichen und geplanten Geschäfte des Kreditinstituts, an dem der Erwerb beabsichtigt wird,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die zuständigen Behörden können gegen den beabsichtigten Erwerb nur dann Einspruch erheben, wenn es dafür berechtigte Gründe auf der Grundlage der in Absatz 1 genannten Kriterien gibt oder die vom interessierten Erwerber vorgelegten Informationen unvollständig sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 119 („Einbeziehung von Holdinggesellschaften in die Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis“) Abs. 1 der CRD‑IV-Richtlinie sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um Finanzholdinggesellschaften und gemischte Finanzholdinggesellschaften gegebenenfalls in die Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis einzubeziehen.“</p>
<p class="C06Titre3"> <i>SSM-Verordnung</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Im elften Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63, sogenannte Verordnung über den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus, im Folgenden: SSM-Verordnung) heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Es sollte … eine Bankenunion in der Union geschaffen werden, die sich auf ein umfassendes und detailliertes einheitliches Regelwerk für Finanzdienstleistungen im Binnenmarkt als Ganzes stützt und einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus sowie neue Rahmenbedingungen für die Einlagensicherung und die Abwicklung von Kreditinstituten umfasst. …“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 1 („Gegenstand und Geltungsbereich“) der SSM-Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Durch diese Verordnung werden der [Europäischen Zentralbank (EZB)] mit voller Rücksichtnahme auf und unter Wahrung der Sorgfaltspflicht für die Einheit und Integrität des Binnenmarkts auf der Grundlage der Gleichbehandlung der Kreditinstitute mit dem Ziel, Aufsichtsarbitrage zu verhindern, besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute übertragen, um einen Beitrag zur Sicherheit und Solidität von Kreditinstituten sowie zur Stabilität des Finanzsystems in der Union und jedem einzelnen Mitgliedstaat zu leisten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">Diese Verordnung berührt nicht die Verantwortlichkeiten und dazu gehörenden Befugnisse der zuständigen Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten zur Wahrnehmung von Aufsichtsaufgaben, die der EZB nicht durch diese Verordnung übertragen wurden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        In Art. 4 der SSM-Verordnung heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Im Rahmen des Artikels 6 ist die EZB im Einklang mit Absatz 3 ausschließlich für die Wahrnehmung der folgenden Aufgaben zur Beaufsichtigung sämtlicher in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute zuständig:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      Beurteilung der Anzeige über den Erwerb oder die Veräußerung von qualifizierten Beteiligungen an Kreditinstituten, außer im Fall einer Bankenabwicklung und vorbehaltlich des Artikels 15;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben und mit dem Ziel, hohe Aufsichtsstandards zu gewährleisten, wendet die EZB das einschlägige Unionsrecht an, und wenn dieses Unionsrecht aus Richtlinien besteht, wendet sie die nationalen Rechtsvorschriften an, mit denen diese Richtlinien umgesetzt wurden. Wenn das einschlägige Unionsrecht aus Verordnungen besteht und den Mitgliedstaaten durch diese Verordnungen derzeit ausdrücklich Wahlrechte eingeräumt werden, wendet die EZB auch die nationalen Rechtsvorschriften an, mit denen diese Wahlrechte ausgeübt werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Art. 6 Abs. 1 der SSM-Verordnung sieht vor, dass die EZB ihre Aufgaben innerhalb eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus wahrnimmt, der aus ihr und den nationalen zuständigen Behörden (National Competent Authorities, im Folgenden: NCA) besteht und in Bezug auf den sie dafür verantwortlich ist, dass er wirksam und einheitlich funktioniert. Nach Art. 6 Abs. 2 unterliegen sowohl die EZB als auch die NCA der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit und zum Informationsaustausch. Unbeschadet der Befugnis der EZB, Informationen, die von den Kreditinstituten regelmäßig zu übermitteln sind, direkt zu erhalten oder direkt auf sie zuzugreifen, stellen die NCA der EZB insbesondere alle Informationen zur Verfügung, die sie zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben benötigt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Art. 9 („Aufsichts- und Untersuchungsbefugnisse“) Abs. 1 der SSM-Verordnung lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Ausschließlich zum Zweck der Wahrnehmung der ihr nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 und Artikel 5 Absatz 2 übertragenen Aufgaben gilt die EZB nach Maßgabe des einschlägigen Unionsrechts in den teilnehmenden Mitgliedstaaten je nach Sachlage als die zuständige oder die benannte Behörde.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ausschließlich zu demselben Zweck hat die EZB sämtliche in dieser Verordnung genannten Befugnisse und Pflichten. Ebenso hat sie sämtliche Befugnisse und Pflichten, die zuständige und benannte Behörden nach dem einschlägigen Unionsrecht haben, sofern diese Verordnung nichts anderes vorsieht. Insbesondere hat die EZB die in den Abschnitten 1 und 2 dieses Kapitels genannten Befugnisse.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Soweit zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben erforderlich, kann die EZB die nationalen Behörden durch Anweisung auffordern, gemäß und im Einklang mit ihrem jeweiligen nationalen Recht von ihren Befugnissen in den Fällen Gebrauch zu machen, in denen diese Verordnung der EZB die entsprechenden Befugnisse nicht übertragen hat. Die nationalen Behörden unterrichten die EZB in vollem Umfang über die Ausübung dieser Befugnisse.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Art. 15 („Beurteilung des Erwerbs von qualifizierten Beteiligungen“) der SSM-Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Ungeachtet der Ausnahmen nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c werden alle Anzeigen über den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem in einem teilnehmenden Mitgliedstaat niedergelassenen Kreditinstitut und alle damit zusammenhängenden Informationen im Einklang mit dem einschlägigen, auf die Rechtsakte nach Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 1 gestützten nationalen Recht an die [NCA] gerichtet, in dem das Kreditinstitut niedergelassen ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die [NCA] prüft den geplanten Erwerb und leitet die Anzeige gemeinsam mit einem Vorschlag für einen Beschluss, mit dem der Erwerb auf Grundlage der in den Rechtsakten nach Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 1 festgelegten Kriterien abgelehnt oder nicht abgelehnt wird, der EZB … zu und unterstützt die EZB nach Maßgabe des Artikels 6.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die EZB beschließt auf Grundlage der Beurteilungskriterien des Unionsrechts und im Einklang mit den darin geregelten Verfahren und innerhalb des darin festgelegten Beurteilungszeitraums, ob der Erwerb abzulehnen ist.“</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<i>SSM-Rahmenverordnung</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Die Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung) (ABl. 2014, L 141, S. 1, und Berichtigung ABl. 2018, L 65, S. 48), die gemäß Art. 4 Abs. 3 der SSM-Verordnung verabschiedet wurde, richtet innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus den Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen der EZB und den NCA ein.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Art. 85 („Anzeige des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung gegenüber der NCA“) der SSM-Rahmenverordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Eine NCA, die eine Anzeige über den geplanten Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem in diesem teilnehmenden Mitgliedstaat niedergelassenen Kreditinstitut erhält, unterrichtet die EZB spätestens fünf Arbeitstage nach der Bestätigung ihres Eingangs gemäß Artikel 22 Absatz 2 der [CRD‑IV-Richtlinie] über die Anzeige.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die NCA unterrichtet die EZB, wenn sie den Prüfungszeitraum aufgrund eines Ersuchens um zusätzliche Informationen aussetzen muss. Die NCA übermittelt der EZB solche weiteren Informationen innerhalb von fünf Arbeitstagen nach deren Eingang bei der NCA.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die NCA teilt der EZB auch das Datum mit, an dem der Beschluss, mit dem der Erwerb einer qualifizierten Beteiligung abgelehnt oder nicht abgelehnt wird, dem Antragsteller nach einschlägigem nationalem Recht mitzuteilen ist.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Art. 86 („Prüfung des geplanten Erwerbs“) der SSM-Rahmenverordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die NCA, der ein geplanter Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut angezeigt wird, prüft, ob der geplante Erwerb alle im einschlägigen Unions- und nationalen Recht vorgesehenen Bedingungen erfüllt. Nach dieser Prüfung arbeitet die NCA einen Beschlussentwurf für die EZB aus, mit dem der Erwerb abgelehnt oder nicht abgelehnt wird.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die NCA übermittelt der EZB den Entwurf des Beschlusses, mit dem der Erwerb abgelehnt oder nicht abgelehnt wird, mindestens 15 Arbeitstage vor Ablauf des nach einschlägigem Unionsrecht festgelegten Prüfungszeitraums.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Art. 87 („Beschluss der EZB über den Erwerb“) der SSM-Rahmenverordnung lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die EZB beschließt, ob sie den Erwerb auf Grundlage ihrer Prüfung des geplanten Erwerbs und des Beschlussentwurfs der NCA ablehnt oder nicht ablehnt. Das in Artikel 31 vorgesehene Recht auf rechtliches Gehör findet Anwendung.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Italienisches Recht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Rechtsvorschriften über die Bankenaufsicht</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Durch Art. 19 des Decreto legislativo n. 385 – Testo unico delle leggi in materia bancaria e creditizia (Gesetzvertretendes Dekret Nr. 385 – kodifizierte Fassung der Gesetze über das Bank- und Kreditwesen) vom 1. September 1993 (GURI Nr. 230 vom 30. September 1993, Supplemento ordinario) in der durch das Decreto legislativo n° 72 vom 12. Mai 2015 geänderten Fassung (im Folgenden: Bankengesetz), mit dem der Inhalt der CRD‑IV-Richtlinie in italienisches Recht umgesetzt wurde, wird der Banca d’Italia die Zuständigkeit für die Erteilung von Genehmigungen für den Erwerb qualifizierter Beteiligungen an Finanzinstituten übertragen. Art. 19 Abs. 5 stellt klar, dass diese Genehmigungen erteilt werden, wenn „bei Würdigung der Eignung des potenziellen Erwerbers und der finanziellen Solidität des geplanten Erwerbs anhand nachstehender Kriterien geeignete Voraussetzungen für eine solide und umsichtige Führung der Bank vorliegen: der Leumund des potenziellen Erwerbers im Sinne von Art. 25 …“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Gemäß Art. 25 („Kapitalbeteiligungen“) Abs. 1 des Bankengesetzes müssen die Inhaber von Beteiligungen im Sinne von Art. 19 des Bankengesetzes Leumundsanforderungen genügen und Kompetenz- und Zuverlässigkeitskriterien erfüllen, so dass eine solide und umsichtige Führung der Bank gewährleistet ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Art. 2 Abs. 8 des Decreto legislativo Nr. 72 vom 12. Mai 2015 sah übergangsweise vor, dass die vor Erlass dieses Dekrets geltenden Bestimmungen über die Anforderungen an den Leumund der Inhaber von Beteiligungen an Finanzinstituten weiterhin anzuwenden sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Die fraglichen Bestimmungen wurden in den Decreto ministeriale n. 144 – regolamento recante norme per l’individuazione dei requisiti di onorabilità dei partecipanti al capitale sociale delle banche e fissazione della soglia rilevante (Ministerialdekret Nr. 144 – Regelung mit Bestimmungen zur Feststellung der Anforderungen an den Leumund der Teilhaber am Gesellschaftskapital der Banken und zur Festlegung des relevanten Schwellenwerts) vom 18. März 1998 aufgenommen, in dessen Art. 1 die Verurteilungen aufgeführt waren, die dem Leumund schaden und dazu führen, dass diese Anforderung nicht erfüllt ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Art. 2 des Decreto ministeriale Nr. 144 vom 18. März 1998 bestimmt übergangsweise, dass „[für] Rechtssubjekte, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der vorliegenden Regelung am Kapital einer Bank beteiligt sind, … die Nichterfüllung der in Art. 1 genannten Anforderungen, die nicht in der bisher geltenden Regelung vorgesehen waren, keine Rolle [spielt], wenn sie bereits vor diesem Zeitpunkt gegeben war; dies gilt jedoch nur für bereits gehaltene Beteiligungen“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Für qualifizierte Teilhaber an gemischten Finanzholdinggesellschaften galten nach dem gemäß Art. 119 der CRD‑IV-Richtlinie erlassenen Art. 63 des Bankengesetzes dieselben Verpflichtungen wie für qualifizierte Teilhaber an Kreditinstituten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Art. 67a Abs. 2 des Bankengesetzes regelt, dass die Banca d’Italia und das IVASS gemeinsam die Einhaltung dieser Verpflichtungen sicherstellen müssen, wenn diese Gesellschaften ihren Sitz in Italien haben und Muttergesellschaften von Finanzkonglomeraten sind, die ganz oder zum Teil italienisch sind.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Vorschriften für den Verwaltungsprozess</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Der italienische Verwaltungsprozess sieht eine „azione di ottemperanza“ vor.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Insoweit bestimmt Art. 21g Abs. 1 der Legge n. 241 – nuove norme in materia di procedimento amministrativo e di diritto di accesso ai documenti amministrativi (Gesetz Nr. 241 – neue Vorschriften für das Verwaltungsverfahren und das Recht auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen) vom 7. August 1990 in der durch das Gesetz Nr. 15 vom 11. Februar 2005 geänderten Fassung:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Eine Verwaltungsentscheidung, die … unter Verletzung oder Umgehung der Rechtskraft erlassen wurde, ist nichtig“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Art. 112 des Codice del processo amministrativo (Verwaltungsprozessordung) sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die öffentliche Verwaltung und die anderen Prozessparteien haben den Verfügungen des Verwaltungsgerichts Folge zu leisten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die <i>azione di ottemperanza</i> kann erhoben werden für die Durchführung</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      der in Rechtskraft erwachsenen Urteile sowie der anderen diesen gleichgestellten Verfügungen des ordentlichen Gerichts, um die Erfüllung der Verpflichtung seitens der öffentlichen Verwaltung zu erzielen, der im Rahmen des entschiedenen Falles ergangenen rechtskräftigen Entscheidung nachzukommen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      In Art. 114 Abs. 4 Buchst. b der Verwaltungsprozessordnung heißt es, dass das mit der „azione di ottemperanza“ befasste Gericht, wenn es der Klage stattgibt, „etwaige Handlungen, die die rechtskräftige Entscheidung verletzen oder umgehen, für nichtig [erklärt]“.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Herr Berlusconi hatte in den 1990er Jahren über Fininvest etwa 30 % der Mediolanum SpA erworben, die damals eine gemischte Finanzholdinggesellschaft war und u. a. eine Bank, die Banca Mediolanum SpA, kontrollierte und aus diesem Grund ab 2014 in Italien der Aufsicht über qualifizierte Beteiligungen unterstand.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Im Anschluss an das am 1. August 2013 rechtskräftig gewordene Urteil Nr. 35729/13 der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), mit dem Herr Berlusconi der Steuerhinterziehung für schuldig befunden worden war, leiteten die zuständigen italienischen Aufsichtsbehörden, die Banca d’Italia und das IVASS, gegen ihn ein Verfahren ein, das zu einer Entscheidung führte, mit der festgestellt wurde, dass er die in den anwendbaren Rechtsvorschriften vorgesehene Leumundsanforderung nicht mehr erfülle und daher die über 9,999 % hinausgehende Beteiligung von Fininvest an Mediolanum abgetreten werden müsse.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Herr Berlusconi und Fininvest fochten diese Entscheidung vor italienischen Gerichten an, wobei sie u. a. einen Klagegrund geltend machten, der den zeitlichen Anwendungsbereich der Rechtsvorschriften betraf und mit dem gerügt wurde, dass der Grund für den unzureichenden Leumund, der die Ablehnung des Erwerbs der in Rede stehenden qualifizierten Beteiligung gerechtfertigt habe, vor dem Inkrafttreten der diese Voraussetzung aufstellenden Vorschriften aufgetreten sei und daher nicht in deren Anwendungsbereich falle. Nachdem ihre Klage erstinstanzlich abgewiesen worden war, obsiegten sie als Rechtsmittelführer vor dem Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), der am 3. März 2016 entschied, dass die vor Erlass der Leumundskriterien geltenden Rechtsvorschriften, auf die sich die Rechtsmittelführer berufen hatten, ungeachtet des gegenläufigen Vorbringens, dass diese Rechtsvorschriften wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht als stillschweigend aufgehoben anzusehen seien, weiterhin anwendbar seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      In der Zwischenzeit ist die gemischte Finanzholdinggesellschaft Mediolanum von ihrer Tochtergesellschaft Banca Mediolanum übernommen worden, wodurch Fininvest zur Inhaberin einer qualifizierten Beteiligung nicht mehr an einer gemischten Finanzholdinggesellschaft, sondern unmittelbar an einem Kreditinstitut wurde. Die Banca d’Italia und die EZB schlossen daraus, dass auf der Grundlage der Art. 22 ff. der CRD‑IV-Richtlinie und der Art. 19 ff. des Bankengesetzes ein neuer Antrag auf Genehmigung dieser qualifizierten Beteiligung erforderlich sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Entsprechend den Vorgaben der EZB mit Schreiben vom 24. Juni 2016 forderte die Banca d’Italia Fininvest am 14. Juli 2016 auf, binnen 15 Tagen einen Genehmigungsantrag zu stellen. Da dieser Aufforderung nicht nachgekommen wurde, beschloss die Banca d’Italia am 3. August 2016, von Amts wegen ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, wobei sie darauf hinwies, dass die Entscheidungskompetenz auf diesem Gebiet gemäß Art. 4 der SSM-Verordnung bei der EZB liege.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Nachdem die Banca d’Italia die Unterlagen von Fininvest erhalten hatte, legte sie der EZB gemäß Art. 15 Abs. 2 der SSM-Verordnung einen Beschlussvorschlag vom 23. September 2016 vor, in dem die Beurteilung des Leumunds der Erwerber der fraglichen Beteiligung an der Banca Mediolanum negativ ausfiel und die EZB aufgefordert wurde, den Erwerb abzulehnen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Die EZB schloss sich der Argumentation der Banca d’Italia an und billigte einen Beschlussentwurf, den sie Herrn Berlusconi und Fininvest zur Stellungnahme übermittelte. Die EZB erließ am 25. Oktober 2016 einen endgültigen Beschluss.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      In diesem Beschluss stellte die EZB fest, dass begründete Zweifel hinsichtlich des Leumunds der Erwerber der Beteiligung an der Banca Mediolanum bestünden. Da Herr Berlusconi, der Mehrheitsaktionär und tatsächliche Eigentümer von Fininvest, der indirekte Erwerber der Beteiligung an der Banca Mediolanum sei und wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden sei, erfülle er nicht die Leumundsanforderung, die das nationale Recht an die Inhaber qualifizierter Beteiligungen stelle. Herr Berlusconi habe zudem weitere Unregelmäßigkeiten begangen, und gegen ihn und andere Mitglieder der Leitungsorgane von Fininvest seien weitere Verurteilungen ergangen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Aus diesen Gründen nahm die EZB an, dass die Erwerber der qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum diese Leumundsanforderung nicht erfüllten und ernsthafte Zweifel an ihrer Fähigkeit bestünden, in Zukunft eine solide und umsichtige Führung dieses Kreditinstituts zu gewährleisten. Die EZB lehnte deshalb den Erwerb der qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum durch Herrn Berlusconi und Fininvest ab.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Erstens fochten Herr Berlusconi und Fininvest den Beschluss der EZB vom 25. Oktober 2016 vor dem Gericht der Europäischen Union (Rechtssache Fininvest und Berlusconi/EZB, T‑913/16) mit einer Nichtigkeitsklage an. Zweitens erhob Fininvest Klage vor dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien), um die Nichtigerklärung der Handlungen der Banca d’Italia zur Vorbereitung dieses Beschlusses der EZB zu erwirken. Drittens erhoben Herr Berlusconi und Fininvest beim Consiglio di Stato (Staatsrat) eine „azione di ottemperanza“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Im Rahmen der zuletzt genannten Klage machen Herr Berlusconi und Fininvest geltend, der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils genannte Beschlussvorschlag sei wegen Verletzung der Rechtskraft des in Rn. 29 des vorliegenden Urteils genannten Urteils des Consiglio di Stato (Staatsrat) nichtig, das im Rahmen eines Rechtsstreits über ihre qualifizierte Beteiligung an Mediolanum ergangen sei. Die Banca d’Italia hat dagegen u. a. eingewandt, dass die nationalen Gerichte für diese Klage nicht zuständig seien, da es vorbereitende Handlungen seien, die keinen Entscheidungscharakter hätten und auf den Erlass einer Entscheidung gerichtet gewesen seien, für die ein Unionsorgan ausschließlich zuständig sei, und die ebenso wie die endgültige Entscheidung in die alleinige Zuständigkeit des Unionsrichters fielen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Der Consiglio di Stato (Staatsrat) hat die Klagen von Herrn Berlusconi und Fininvest verbunden und die Ansicht vertreten, dass das betreffende Verfahren sowohl einem „einheitlichen Verfahren“, dessen Handlungen ausschließlich vom Unionsrichter kontrolliert werden könnten, als auch einem „mehrteiligen Verfahren“ ähnele, dessen zum nationalen Abschnitt gehörende Handlungen von den nationalen Gerichten kontrolliert werden könnten, und zwar selbst dann, wenn dieser nationale Abschnitt mit einer Handlung ende, die für die Unionsbehörde, die für die abschließende Entscheidung zuständig sei, unverbindlich sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist Art. 263 Abs. 1, 2 und 5 AEUV in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass eine Klage gegen Maßnahmen – Einleitung von Verfahren, Ermittlungsmaßnahmen und die Unterbreitung nicht bindender Vorschläge –, die die zuständige NCA im Rahmen eines Verfahrens nach den Art. 22 und 23 der CRD‑IV-Richtlinie, Art. 1 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 15 der SSM-Verordnung, den Art. 85 bis 87 der SSM-Rahmenverordnung und den Art. 19, 22 und 25 des Bankengesetzes getroffen hat, in die Zuständigkeit der Unionsgerichte fällt, oder dahin, dass eine solche Klage in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Sind insbesondere die Unionsgerichte zuständig, wenn gegen solche Handlungen keine allgemeine Anfechtungsklage, sondern eine Nichtigkeitsklage wegen einer behaupteten Verletzung oder Umgehung der Rechtskraft des Urteils vom 3. März 2016 des Consiglio di Stato (Staatsrat) erhoben wird, die im Rahmen eines Verfahrens zur Umsetzung eines Urteils im Sinne der Art. 112 ff. der Verwaltungsprozessordung – d. h. im Rahmen eines besonderen Rechtsinstituts der nationalen Verwaltungsprozessordung – erfolgt und deren Entscheidung die Auslegung und Feststellung der objektiven Grenzen der Rechtskraft dieses Urteils nach den nationalen Rechtsvorschriften voraussetzt?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 263 AEUV dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass die nationalen Gerichte verfahrenseinleitende Handlungen, vorbereitende Handlungen oder nicht bindende Vorschläge, die die NCA im Rahmen des Verfahrens nach den Art. 22 und 23 der CRD‑IV-Richtlinie, Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 15 der SSM-Verordnung sowie den Art. 85 bis 87 der SSM-Rahmenverordnung vorgenommen haben, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen, und ob diese Frage anders zu beantworten ist, wenn bei einem nationalen Gericht eine besondere Klage auf Feststellung der Nichtigkeit wegen mutmaßlicher Verletzung der Rechtskraft einer Entscheidung eines nationalen Gerichts erhoben wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Zunächst ist zu klären, wie sich die Beteiligung nationaler Behörden im Lauf eines Verfahrens wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, das zur Vornahme einer Handlung der Union führt, auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den Gerichten der Mitgliedstaaten auswirkt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 263 AEUV nur der Gerichtshof der Europäischen Union dafür zuständig ist, Handlungen der Unionsorgane, zu denen die EZB gehört, auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Die etwaige Beteiligung nationaler Behörden im Lauf des Verfahrens, das zur Vornahme solcher Handlungen führt, kann deren Einstufung als Handlungen der Union nicht in Frage stellen, wenn die Handlungen der nationalen Behörden eine Stufe in einem Verfahren darstellen, in dem ein Unionsorgan die Befugnis zur endgültigen Entscheidung allein ausübt, ohne durch vorbereitende Handlungen oder Vorschläge nationaler Behörden gebunden zu sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 93 und 94).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      In einem solchen Fall, in dem das Unionsrecht nicht darauf abzielt, zwei Zuständigkeitsbereiche – einen nationalen und einen der Union – mit unterschiedlichen Zielen voneinander abzugrenzen, sondern vielmehr die ausschließliche Entscheidungsbefugnis eines Unionsorgans festlegt, hat nämlich der Unionsrichter gemäß seiner auf der Grundlage von Art. 263 AEUV bestehenden ausschließlichen Zuständigkeit für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Oktober 1987, Foto-Frost, 314/85, EU:C:1987:452, Rn. 17) über die Rechtmäßigkeit der von dem betreffenden Unionsorgan erlassenen endgültigen Entscheidung zu entscheiden und zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes der Beteiligten die etwaigen Mängel der vorbereitenden Handlungen oder Vorschläge der nationalen Behörden zu prüfen, die die Gültigkeit der endgültigen Entscheidung beeinträchtigen könnten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Andererseits fällt eine zu einem Entscheidungsprozess der Union gehörende Handlung einer nationalen Behörde nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Unionsrichters, wenn sich aus der in diesem Bereich geltenden Zuständigkeitsverteilung zwischen den nationalen Behörden und den Unionsorganen ergibt, dass die Handlung der nationalen Behörde eine notwendige Stufe eines Verfahrens zur Vornahme einer Handlung der Union darstellt, in dem die Unionsorgane nur über ein eingeschränktes oder über gar kein Ermessen verfügen, so dass die nationale Handlung das Unionsorgan bindet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Dezember 1992, Oleificio Borelli/Kommission, C‑97/91, EU:C:1992:491, Rn. 9 und 10).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Die nationalen Gerichte haben dann über die etwaigen Fehler einer solchen nationalen Handlung zu entscheiden, wobei sie – gegebenenfalls im Wege einer Vorlage an den Gerichtshof – dieselben Prüfungsmaßstäbe wie bei anderen endgültigen Handlungen, die von der betreffenden nationalen Behörde ergriffen werden und Rechte Dritter verletzen können, anzuwenden und eine entsprechende Klage gemäß dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes als zulässig anzusehen haben, selbst wenn die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften dies in einem solchen Fall nicht vorsehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Dezember 1992, Oleificio Borelli/Kommission, C‑97/91, EU:C:1992:491, Rn. 11 bis 13, vom 6. Dezember 2001, Carl Kühne u. a., C‑269/99, EU:C:2001:659, Rn. 58, und vom 2. Juli 2009, Bavaria und Bavaria Italia, C‑343/07, EU:C:2009:415, Rn. 57).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Nachdem dies geklärt wurde, ist festzustellen, dass sich aus Art. 263 AEUV in Verbindung mit dem in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten ergibt, dass Handlungen, die nationale Behörden im Rahmen eines Verfahrens wie dem in den Rn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils genannten vornehmen, nicht von den Gerichten der Mitgliedstaaten überprüft werden können.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber mit der Wahl eines Verwaltungsverfahrens, das die Vornahme von Handlungen nationaler Behörden zur Vorbereitung einer Rechtswirkungen erzeugenden und potenziell beschwerenden endgültigen Entscheidung eines Unionsorgans vorsieht, zwischen dem Organ und den nationalen Behörden ein besonderes Instrument der Zusammenarbeit einrichten möchte, das auf der ausschließlichen Entscheidungsbefugnis des Unionsorgans beruht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Die Wirksamkeit eines solchen Entscheidungsprozesses setzt jedoch zwangsläufig eine einzige gerichtliche Überprüfung voraus, die nur durch die Unionsgerichte und erst nach Erlass der das Verwaltungsverfahren abschließenden Entscheidung des Unionsorgans vorgenommen wird, die allein verbindliche Rechtswirkungen erzeugen kann, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung berühren können.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Insoweit wäre bei einem Nebeneinander nationaler Rechtsbehelfe gegen vorbereitende Handlungen oder Vorschläge von Behörden der Mitgliedstaaten in dieser Verfahrensart und dem in Art. 263 AEUV vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die das vom Unionsgesetzgeber eingerichtete Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung des Unionsorgans nicht die Gefahr auszuschließen, dass es in ein und demselben Verfahren zu unterschiedlichen Beurteilungen kommt, so dass die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser abschließenden Entscheidung insbesondere dann in Frage gestellt sein könnte, wenn sich diese Entscheidung der Prüfung und dem Vorschlag dieser Behörden anschließt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      In Anbetracht dieses Erfordernisses einer einzigen gerichtlichen Überprüfung sind sowohl die Art des nationalen Rechtsbehelfs, mit dem vorbereitende Handlungen nationaler Behörden der Überprüfung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterworfen werden, als auch das Wesen der zu diesem Zweck gestellten Anträge oder vorgebrachten Gründe ohne Belang.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Ausgehend von diesen Erwägungen ist das Wesen des Verfahrens zu prüfen, in dessen Verlauf die Handlungen der Banca d’Italia vorgenommen wurden, mit denen der Consiglio di Stato (Staatsrat) im Ausgangsverfahren befasst ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Dieses Verfahren ist im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus der Bankenunion vorgesehen, in Bezug auf den die EZB nach Art. 6 Abs. 1 der SSM-Verordnung dafür verantwortlich ist, dass er wirksam und einheitlich funktioniert. Mit dem Verfahren soll Art. 22 der CRD‑IV-Richtlinie umgesetzt werden, der für das reibungslose Funktionieren der Bankenunion vorsieht, dass vor jedem Erwerb bzw. jeder Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung an Kreditinstituten eine Genehmigung auf der Grundlage der in Art. 23 der Richtlinie genannten harmonisierten Beurteilungskriterien einzuholen ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der SSM-Verordnung in Verbindung mit deren Art. 15 Abs. 3 und mit Art. 87 der SSM-Rahmenverordnung ist nur die EZB dafür zuständig, nach Abschluss des u. a. in Art. 15 der SSM-Verordnung und in den Art. 85 und 86 der SSM-Rahmenverordnung vorgesehenen Verfahrens den geplanten Erwerb zu genehmigen oder nicht zu genehmigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Im Rahmen der nach Art. 6 Abs. 2 der SSM-Verordnung durch den Grundsatz der Zusammenarbeit geregelten Beziehungen besteht die Rolle der nationalen Behörden – wie sich aus dieser Vorschrift, aus Art. 15 Abs. 1 und 2 der SSM-Verordnung und aus den Art. 85 und 86 der SSM-Rahmenverordnung ergibt – darin, die Genehmigungsanträge zu registrieren und die allein entscheidungsbefugte EZB insbesondere dadurch zu unterstützen, dass sie ihr alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen mitteilen, die Anträge prüfen und anschließend der EZB einen Beschlussvorschlag übermitteln, an den die EZB nicht gebunden ist und hinsichtlich dessen das Unionsrecht im Übrigen nicht vorsieht, dass er an den Antragsteller zu übermitteln ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Somit ist das Verfahren, zu dem die bei dem vorlegenden Gericht angefochtenen Handlungen gehören, eines der Verfahren, auf die sich die Ausführungen in den Rn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils beziehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Folglich ist festzustellen, dass allein der Unionsrichter für die – inzidente – Prüfung zuständig ist, ob die Rechtmäßigkeit des Beschlusses der EZB vom 25. Oktober 2016 durch etwaige Mängel beeinträchtigt wird, die der Rechtmäßigkeit der von der Banca d’Italia zur Vorbereitung dieses Beschlusses ergriffenen Handlungen anhaften. Diese Zuständigkeit schließt die Zuständigkeit der nationalen Gerichte für diese Handlungen aus, ohne dass es insoweit darauf ankommt, dass bei einem nationalen Gericht eine Klage wie die „azione di ottemperanza“ anhängig gemacht worden ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      In letzterer Hinsicht ist entsprechend dem Vorbringen der Kommission festzustellen, dass die ausschließliche Zuständigkeit der EZB für den Beschluss, den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut zu genehmigen oder nicht zu genehmigen, und die damit zusammenhängende ausschließliche Zuständigkeit der Unionsgerichte für die Überprüfung der Gültigkeit dieses Beschlusses und die – inzidente – Prüfung, ob die nationalen vorbereitenden Handlungen Mängel aufweisen, die die Gültigkeit des Beschlusses der EZB beeinträchtigen können, dem entgegenstehen, dass ein nationales Gericht über eine Klage entscheidet, mit der bestritten wird, dass eine solche Handlung mit einer nationalen Vorschrift über den Grundsatz der Rechtskraft vereinbar ist (vgl. entsprechend Urteil vom 18. Juli 2007, Lucchini, C‑119/05, EU:C:2007:434, Rn. 62 und 63).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Folglich ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 263 AEUV dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass die nationalen Gerichte verfahrenseinleitende Handlungen, vorbereitende Handlungen oder nicht bindende Vorschläge, die die NCA im Rahmen des Verfahrens nach den Art. 22 und 23 der CRD‑IV-Richtlinie, Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 15 der SSM-Verordnung sowie den Art. 85 bis 87 der SSM-Rahmenverordnung vorgenommen haben, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen, und dass es insoweit unerheblich ist, dass bei einem nationalen Gericht eine besondere Klage auf Feststellung der Nichtigkeit wegen Verletzung der Rechtskraft einer Entscheidung eines nationalen Gerichts erhoben worden ist.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C30Dispositifalinea">Art. 263 AEUV ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass die nationalen Gerichte <b>verfahrenseinleitende</b><b>Handlungen, vorbereitende Handlungen oder nicht bindende Vorschläge, die die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen des Verfahrens nach den Art. 22 und 23 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 15 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank sowie den Art. 85 bis 87 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung) vorgenommen haben, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen. Insoweit ist es unerheblich, dass bei einem </b>nationalen Gericht <b>eine besondere Klage auf Feststellung der Nichtigkeit wegen Verletzung der Rechtskraft einer Entscheidung eines nationalen Gerichts erhoben worden</b><b>ist.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Italienisch.</p>
|
171,323 | lg-monchengladbach-2018-12-19-6-o-4018 | {
"id": 814,
"name": "Landgericht Mönchengladbach",
"slug": "lg-monchengladbach",
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} | 6 O 40/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:54 | 2019-02-12T13:44:40 | Urteil | ECLI:DE:LGMG:2018:1219.6O40.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.</p>
<p>Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger bestellte am 05.09.2014 bei der Beklagten einen Gebrauchtwagen ………., EZ: 22.07.2011, Laufleistung 60.648 km, zu einem Kaufpreis von 28.450,00 €. Das Fahrzeug wurde ihm am 05.09.2014 übergeben. In diesem Fahrzeug ist der von der Beklagten entwickelte Motor mit der Kennzeichnung ………. verbaut. Hierbei handelt es sich um einen Vierzylinder-Reihenmotor, der in verschiedenen Varianten, insbesondere in zehn verschiedenen Leistungsstufen gebaut wird. Er findet u.a. Verwendung in den Baureihen der A-Klasse, B-Klasse, C-Klasse, E-Klasse, S-Klasse, GL-Klasse, ML-Klasse, CLA-Klasse, GLA-Klasse und CLS-Klasse sowie in der V-Klasse, dem Viano, dem Vito und dem Sprinter. Für das streitgegenständliche Fahrzeug besteht eine EG-Typengenehmigung, die nicht widerrufen und deren Widerruf auch nicht angekündigt ist. Für das streitgegenständliche Fahrzeug weist die EG-Übereinstimmungsbescheinigung Grenzwerte von 145,5 mg/km, mithin unterhalb des Euro5-Grenzwertes aus. Für das Fahrzeug ist ein amtlicher Rückruf nicht angeordnet. Das Fahrzeug unterliegt aber einer freiwilligen Kundendienstmaßnahme der Beklagten. In dem Fahrzeug ist weder ein AdBlue-Tank noch ein SCR-Katalysator verbaut.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 13.11.2017 forderten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 27.11.2017 zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf. Mit Schreiben vom 20.11.2017 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Fahrzeugs und die Erstattung des Kaufpreises ab.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Kläger behauptet, dass der Motor seines Fahrzeugs mit einer Steuerungssoftware ausgestattet sei, die die Vornahme eines Emissionstest erkenne und lediglich in diesem Fall das volle Emissionskontrollsystem des Fahrzeuges aktiviere. Hierdurch würden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte erzielt und auch nur dann die nach der im Einzelfall einschlägigen Abgasnorm vorgegebenen Stickoxid-Grenzwerte eingehalten. Zudem sei eine Steuerungssoftware verbaut, die die Abgasreinigungsanlage im realen Straßenbetrieb am Beginn der Warmlaufphase und/oder bei einstelligen positiven Außentemperaturen reduziere oder ganz abschalte. Dadurch werde bei diesen Temperaturen der Grad der Abgasrückführung reduziert bzw. ganz abgeschaltet, mit der Folge, dass die Stickoxidemissionen erheblich ansteigen würden. Die Steuerungssoftware sorge zudem dafür, dass die Abgasreinigungsanlage bei einer bestimmten Drehzahl abgeschaltet werde, wodurch es bei höheren Drehzahlen zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen komme.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Konkret behauptet er hierzu, dass sich aus einer Studie ergebe, dass ein Fahrzeug der Beklagten des Typs ………. im Fahrbetrieb die Grenzwerte der Euro6-Norm nicht ansatzweise eingehalten habe. Auf dem Prüfstand habe das Fahrzeug hingegen den Grenzwert stets eingehalten oder nur geringfügig überschritten. Aus diversen Tests gehe zudem hervor, dass Fahrzeuge mit dem Motor OM 651 regelmäßig einen deutlichen Überschuss an NOx-Werten aufwiesen. Es gebe auch Prüfberichte, aus denen sich ergebe, dass die Euro5-Norm von einer ganzen Reihe von ……….-Modellen nicht eingehalten werde. Auch wenn das streitgegenständliche Fahrzeug nicht über einen AdBlue-Tank verfüge, so sei aus dem Umstand, dass die „Bild am Sonntag“ unter Verweis auf vertrauliche Unterlagen der US-Ermittlungsbehörden berichtet habe, dass bei Fahrzeugen mit AdBlue-Tank zusätzliche Software-Funktionen gefunden worden seien, um US-Abgastests zu bestehen, abzuleiten, dass umfangreiche und raffinierte Manipulationen im Bereich der Abgastechnik von der Beklagten eingesetzt worden seien. Gleiches ergebe sich auch aus einer amtlichen Anhörung der Beklagten durch das Kraftfahrt-Bundesamt in Bezug auf einen ………. 1,6 Liter Diesel mit der Euro-Norm 6.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hieraus könne einzig abgeleitet werden, dass auch in seinem Fahrzeug eine illegale Abschalteinrichtung verbaut worden sei. Von einer solchen habe der Vorstand der Beklagten positive Kenntnis gehabt.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger behauptet, es sei ihm beim Kauf gerade darauf angekommen, ein besonders umweltfreundliches Fahrzeug zu erwerben. Bei Kenntnis einer selektiv eingesetzten Abgasnachbehandlung, so der Kläger weiter, hätte er das Fahrzeug nie gekauft, da die gesetzlichen Anforderungen nicht eingehalten würden und somit das Risiko des Entzugs der Betriebserlaubnis bestehe. Zudem dränge sich der Eindruck auf, dass bei ständiger Aktivierung des vollen Abgaskontrollsystems mit erheblichen Einschränkungen der Funktionsfähigkeit des Fahrzeuges zu rechnen sei, da sich anderenfalls die Sinnhaftigkeit einer Betrugssoftware nicht erklären lasse.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Er ist der Ansicht, dass ihm deshalb ein deliktischer Anspruch gegen die Beklagte zustehe.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung einer geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km geht der Kläger bei einem Kilometerstand zum Zeitpunkt der Klageerhebung von 117.000 km von einer Vorteilsanrechnung in Höhe von 6.698,14 € aus.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat zunächst beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">1.       die Beklagte zu verurteilen, an ihn 25.519,90 € nebst weiteren Zinsen aus 28.450,00 € in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 01.01.2018 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des ……….mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ……….;</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">2.       festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des vorbezeichneten Fahrzeugs seit dem 28.11.2017 in Annahmeverzug befindet;</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">3.       festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle weiteren Schäden zu ersetzen, die er aufgrund des Kaufs des vorbezeichneten Fahrzeugs erleidet;</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">4.       die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten, sowie ihn von weiteren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 441,49 € freizustellen.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 20.11.2018 hat der Kläger den Rechtsstreit wegen der nunmehrigen Laufleistung des Fahrzeugs von 136.864 km teilweise für erledigt erklärt und beantragt hinsichtlich der Ziff. 1 nunmehr,</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">1.       die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.116,63 € nebst weiterer Zinsen aus 28.450,00 € in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 01.11.2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges ………. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ……….zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Sie behauptet, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine Programmierung, insbesondere keine Manipulationssoftware verwendet werde, die dazu führen würde, dass auf der Straße unter „normalen Betriebsbedingungen“ ein anderes Emissionsverhalten erzielt werde als auf dem Prüfstand. Das Fahrzeug erfülle auch den Grenzwert der einschlägigen Euro-Norm. Es bestehe auch eine unwiderrufene EG-Typengenehmigung für das Fahrzeug.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Sie ist der Ansicht, dass für die Ermittlung des Vorteilsausgleichs lediglich eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde zu legen sei.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf (Rück-)Zahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe von 28.450,00 € abzüglich einer zu zahlenden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus den §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG oder Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 oder §§ 263 StGB, 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder aus § 826 BGB.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, dass der Motor seines Fahrzeugs mit einer Steuerungssoftware ausgestattet wäre, die die Vornahme eines Emissionstests erkennt und lediglich in diesem Fall das volle Emissionskontrollsystem des Fahrzeuges aktiviert. Er hat auch nicht substantiiert dargelegt, dass in dem Fahrzeug eine Steuerungssoftware verbaut ist, die die Abgasreinigungsanlage im realen Straßenbetrieb am Beginn der Warmlaufphase und/oder bei einstelligen positiven Außentemperaturen reduziert oder ganz abschaltet oder dafür sorgt, dass die Abgasreinigungsanlage bei einer bestimmten Drehzahl abgeschaltet wird, wodurch es bei höheren Drehzahlen zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen kommt.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die diesbezüglichen Behauptungen des Klägers stellen sich vielmehr als Behauptungen ins Blaue hinein dar.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Grundsätzlich darf es einer Partei nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Unzulässig wird ein solches Vorgehen aber dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Vermutungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (vgl. BGH NJW-RR 2015, 829). Diese Voraussetzungen liegen vor.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Fahrzeug des Klägers mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet wäre. Unstreitig gibt es keinen amtlich angeordneten Rückruf für das Fahrzeug, das Fahrzeug ist bisher auch nicht Gegenstand von Ermittlungen des Kraftfahrtbundesamtes.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat auch keinerlei Beanstandungen, die sich auf sein konkretes Fahrzeug beziehen würden, vorgetragen. Bei den Behauptungen des Klägers handelt es sich ausschließlich um Vermutungen, für die der Kläger keine substantiierten Anknüpfungspunkte behauptet.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Behauptung des Klägers, dass – aus seiner Sicht – vergleichbare Fahrzeuge im Fahrbetrieb die vorgegebenen Grenzwerte überschritten hätten, ist nicht geeignet, die Vermutung des Klägers zu untermauern. Es ist gerichts- und allgemein bekannt, dass die Prüfverfahren auf Messungen auf dem Prüfstand beruhen, sodass die Messwerte im allgemeinen Fahrbetrieb häufig nicht zu reproduzieren sind. Bei aller rechtspolitischer Kritik, die an diesem Verfahren angebracht werden mag, stellt dies eine Besonderheit für Fahrzeuge der Beklagten nicht dar.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger Bezug genommen hat auf entsprechende Pressetexte, so handelt es sich unstreitig um Fahrzeuge, die mit dem Fahrzeug des Klägers nicht identisch, ja nicht einmal vergleichbar sind. Die bisher beanstandeten Fahrzeuge mussten die Euro-Norm 6 erfüllen, wohingegen das klägerische Fahrzeug nur den Anforderungen der Euro-Norm 5 genügen muss, oder verfügten – anders als das klägerische Fahrzeug - über eine Abgasreinigungstechnik mittels Harnstoffeinspritzung (sog. AdBlue-System) oder einen SCR-Katalysator.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Mit diesen Motorvarianten ist die Ausführung des klägerischen Fahrzeugs auch nicht hinreichend vergleichbar, um greifbare Anhaltspunkte für die klägerischen Behauptungen zu liefern. Es erscheint vielmehr auch nach dem Vortrag des Klägers als naheliegend, dass die Grenzwerte von Euro5 eben noch unproblematisch eingehalten werden konnten, wohingegen die Grenzwerte von Euro6 möglicherweise ein größeres Problem für die Hersteller dargestellt haben.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes lässt sich nicht daraus ableiten, dass auch in beanstandeten Fahrzeugen ein Motor mit der Kennziffer OM 651 verbaut war. Der Motor ist mit einem Hubraum von 1,8 bis 2,1 Liter und zehn verschiedenen Leistungsstufen von 109 PS bis 204 PS erhältlich. Bereits hieraus ergibt sich, dass die Motorbezeichnung so wenig spezifisch ist, dass der vom Kläger vorgenommene Rückschluss, dass er davon ausgehen müsse, dass auch sein Fahrzeug betroffen sei, nicht naheliegend erscheint.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat nicht einmal nachvollziehbar vorgetragen, dass er selbst davon ausgeht, dass in seinem Fahrzeug eine Abschalteinrichtung vorhanden ist. Vielmehr hat er in der mündlichen Verhandlung erklären lassen, dass er sich einen diesbezüglichen Erkenntnisgewinn durch die Beweisaufnahme erhoffe. Eine solche Beweiserhebung würde indes eine reine Ausforschung bedeuten.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Es ist auch nicht erkennbar, dass dem Kläger eine Kenntniserlangung ansonsten unmöglich wäre. Vielmehr wäre es durchaus möglich, zur Substantiierung seines Sachvortrags entsprechende technische Stellungnahmen bereits außerprozessual einzuholen.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Mangels Bestehens eines Hauptanspruchs hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Annahmeverzugs, Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden, Zahlung von Zinsen oder Zahlung bzw. Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Der Streitwert wird auf 21.751,86 EUR festgesetzt.</p>
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171,221 | ovgrlp-2018-12-19-7-b-1134618-7-d-11 | {
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} | 7 B 11346/18, 7 D 11347/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:10 | 2019-02-12T13:44:23 | Beschluss | ECLI:DE:OVGRLP:2018:1219.7B11346.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 2. Oktober 2018 hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.625,00 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:162pt">– 7 B 11346/18.OVG –</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 2. Oktober 2018 hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:162pt">– 7 D 11347/18.OVG –</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Ausführungen der Antragsteller im Beschwerdeverfahren, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt, enthalten keine Gründe, aus denen der angegriffene Beschluss insoweit abzuändern wäre (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3, 6 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>1. Die Antragsteller wenden sich gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, in ihrem Fall greife § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, wenn seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Die Beschränkung der Beschwerde auf diesen Duldungsgrund ergibt sich aus der Beschwerdeschrift vom 11. Oktober 2018, die sich ausschließlich auf strafrechtliche Fragen bezieht. Dort behaupten die Antragsteller, ihre Abschiebung käme einer Strafvereitelung gleich. Nur die Staatsanwaltschaft und das Strafgericht dürften beurteilen, ob das Verhalten des Arztes, der sie bei der Abschiebung begleitet habe, als Verbrechen zu werten sei. Sie wenden sich ferner gegen die Annahme, der Verbrechenstatbestand in § 225 Abs. 3 StGB sei nicht gegeben. Wegen der Erkrankungen der Antragstellerin zu 1) habe bei ihr die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bestanden, die für eine höhere Bestrafung gegenüber dem Grundtatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen gefordert werde. In diesem Kontext sind auch die am 12. Dezember 2018 vorgelegten Atteste zu sehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>2. Das Verwaltungsgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, eine einstweilige Anordnung mit dem Inhalt zu erlassen, die Abschiebung der Antragsteller nach § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG auszusetzen. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem am 29. August 2018 gestellten Eilantrag um einen Antrag auf Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts zum 9. August 2018 (3 L 781/18.KO) handelt, auf den § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog anzuwenden ist. Insoweit wird auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses verwiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Ein Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Änderung eines Beschlusses in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat nur Erfolg, wenn sich aus neu vorgetragenen Umständen zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Entscheidung ergibt, wobei der Streitgegenstand, abgesehen von der Frage, ob überhaupt neue Umstände vorliegen, derselbe ist wie im Ausgangsverfahren (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 196). Die Strafanzeige der Antragsteller vom 22. August 2018 und das von der Staatsanwaltschaft Gießen eingeleitete Ermittlungsverfahren (Az.: 404 Js 33479/18, s. Schriftsatz vom 11. Oktober 2018) rechtfertigen eine Änderung des Beschlusses vom 9. August 2018 nicht. Das Verwaltungsgericht hatte dort festgestellt, den Antragstellern fehle für eine Aussetzung der Abschiebung der nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Anordnungsanspruch. Daran hat sich nichts geändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>3. Ein Anspruch der Antragsteller auf die Aussetzung ihrer Abschiebung nach § 60a Abs. 2 <span style="text-decoration:underline">Satz 2</span> AufenthG ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Sie haben nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen dieser Duldungsvorschrift gegeben sind. § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG hindert eine Abschiebung nur, wenn die Erklärung einer Staatsanwaltschaft oder eines Strafgerichts vorliegt, wonach der betroffene Ausländer für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens benötigt wird. Eine solche Erklärung ist unabhängig davon erforderlich, ob ein Strafverfahren bereits förmlich eingeleitet wurde (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: 09.2018, § 60a Rn. 91). Die Antragsteller haben keine Erklärung der für die Strafverfolgung zuständigen Stellen vorgelegt, aus der sich ergibt, dass ihre Anwesenheit für das auf ihre Strafanzeige hin eingeleitete Verfahren erforderlich ist. Eine Erklärung dieses Inhalts findet sich auch nicht in den Akten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Es ist im Rahmen von § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht zu prüfen, ob eine solche Erklärung zu erteilen wäre. Weder die Ausländerbehörde noch die Verwaltungsgerichte haben zu entscheiden, ob die Anwesenheit eines Ausländers für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens erforderlich ist. Darüber befinden Staatsanwaltschaften und Strafgerichte in eigener Zuständigkeit und Verantwortung (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: 09.2018, § 60a Rdnr. 273). Diese Kompetenzzuweisung ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und der Regelungssystematik. Durch die Verwendung der Wörter „erachtet wird“ macht der Gesetzgeber deutlich, dass es ihm im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Anwesenheit eines Ausländers für ein Strafverfahren auf die Einschätzung der für dieses Verfahren zuständigen Stellen ankommt. Systematisch ist die Regelung im Zusammenhang mit dem folgenden Satz 3 von § 60a Abs. 2 AufenthG zu sehen, wonach einem Ausländer eine Duldung erteilt werden kann, wenn dringende persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen dies erfordern. Der Gesetzgeber sah das dort eröffnete Ermessen als auf Null reduziert an, wenn der Ausländer als Zeuge für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens benötigt wird (s. die Einzelbegründung im Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 23. April 2007; BT-Drs. 16/5065, S. 187). Damit entzog er in diesen Fällen die Entscheidung über die Erteilung einer Duldung der Ermessenskompetenz der Ausländerbehörden (vgl. Kluth/Breidenbach, in: BeckOK AuslR, 20. Ed. 01.11.2018, § 60a AufenthG Rn. 22).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>4. Die Antragsteller haben ferner nicht glaubhaft gemacht, dass ihnen wegen der Strafanzeige vom 22. August 2018 eine Duldung nach § 60a Abs. 2 <span style="text-decoration:underline">Satz 3</span> AufenthG zu erteilen wäre. Eine Duldung nach dieser Vorschrift käme in der vorliegenden Konstellation nur in Betracht, wenn nach ihrem Vorbringen und auf Grund der Aktenlage offensichtlich wäre, dass die Antragsteller Opfer eines Verbrechens waren, für dessen Aufklärung sie in Deutschland bleiben müssten. Neben § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG kommt eine Duldung wegen eines Strafverfahrens allenfalls in Betracht, wenn der betroffene Ausländer erhebliche persönliche Interessen an der Strafverfolgung hat. Denn dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse trägt bereits § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG Rechnung (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: 09.2018, § 60a Rdnr. 276). Ein erhebliches persönliches Interesse ist anzunehmen, wenn der Ausländer im Strafverfahren nicht nur als Zeuge in Betracht kommt, sondern Opfer ist. Bei Verbrechensopfern kann das Fehlen einer Erklärung über die Erforderlichkeit der Anwesenheit nicht dazu führen, dass ihnen keine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erteilt werden könnte, zumal das Nichtvorliegen dieser Erklärung vielfältige Gründe haben kann. Ein Eilverfahren auf Erteilung einer solchen Duldung kann aber nur Erfolg haben, wenn ohne weiteres ersichtlich ist, dass die Staatsanwaltschaft oder das Strafgericht die Anwesenheit des Opfers eines Verbrechens für das Strafverfahren als sachgerecht erachten würden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 10 CS 15.859 –, juris, Rn.76). Dadurch wird zudem verhindert, dass eine Strafanzeige nur gestellt wird, um eine Duldung zu erhalten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Hier kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Antragstellerin zu 1) Opfer eines Verbrechens wurde. Als Verbrechenstatbestand kommt allein die qualifizierte Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB in Betracht. Die Anwendung dieser Strafnorm erfordert es, dass der Täter vorsätzlich handelte (vgl. Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB-Komm., 29. Aufl. 2014, § 225 Rn. 15). Weder der Strafanzeige vom 22. August 2018 noch dem Schriftsatz der Antragsteller an die Staatsanwaltschaft Gießen vom 11. Oktober 2018 lässt sich entnehmen, dass der Arzt, der die Abschiebung begleitete, die Antragstellerin zu 1) in irgendeiner Art und Weise vorsätzlich habe schädigen wollen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Der Senat orientiert sich dabei an Nr. 1.5 und Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Mangels hinreichender Erfolgsaussichten in der Hauptsache war den Antragstellern keine Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens zu bewilligen (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Mit der Zurückweisung der Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts unanfechtbar. Damit steht fest, dass keine hinreichenden Erfolgsaussichten für das erstinstanzliche Verfahren im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben waren.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div>
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin zu 1) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beklagte wird ferner verpflichtet, den Klägern zu 2) und 3) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen unter der Bedingung, dass der Verpflichtungsausspruch in Bezug auf die Klägerin zu 1) rechtskräftig wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 02.12.2016 wird aufgehoben, soweit er dem vorgenannten Verpflichtungsausspruch entgegensteht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Kläger Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Tatbestand</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Kläger, irakische Staatsangehörige kurdischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit sowie ehemalige Kläger zu 2. bis 4. im Verfahren 6 A 7649/16, begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Sie reisten nach den Angaben der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung gemeinsam mit ihrem Ehemann bzw. Vater, dem Kläger im Verfahren 6 A 7649/16, etwa im Spätsommer 2014 aus dem Irak in die Türkei aus. Diese verließen sie im November 2015 wieder und reisten am 17. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellten sie in einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Asylanträge, die sie in ihrer späteren Anhörung auf die Anträge auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes beschränkten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>In seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 24. November 2016 gab der Ehemann der Klägerin zu 1. an, er habe den Irak verlassen, da ihn sein Schwiegervater mit dem Tode bedroht habe. In den letzten vier Jahren vor seiner Ausreise habe er I. im Dorf J. gelebt, K.. Ursprünglich stamme er direkt aus Ranya. Zu den Gründen seiner Ausreise erklärte er, er habe sich noch in der Schule in seine jetzige Frau, die Klägerin zu 1., verliebt. Ihr Vater sei ein bekannter, wohlhabender Mann und General der kurdischen Streitkräfte (Peshmerga). Er habe bei seinem Schwiegervater mehrere Male um die Hand seiner Freundin angehalten, doch dieser habe immer abgelehnt. Es habe diesen gestört, dass er nicht wohlhabend sei und in einer Bar arbeite, deshalb habe er ihn als „billige Person“ bezeichnet. Zuletzt habe sein Schwiegervater ihm gesagt, er werde ihn töten, wenn er nochmals um die Hand seiner Tochter anhalte. Auch seiner Tochter, der Klägerin zu 1., habe er mit dem Tod gedroht, sollte sie ihn heiraten. Sie habe deshalb ihrem Vater zugesagt, den Kontakt zu beenden, habe aber heimlich weiterhin mit ihm telefoniert und SMS geschrieben. Letztendlich hätten sie sich dann entschieden, am 1. Januar 2011 nach J. zu gehen, heimlich zu heiraten und sich dort zu verstecken. Bei der heimlichen Heirat seien lediglich sein eigener Vater und einige religiöse Würdenträger zugegen gewesen. In J. sei die Situation sehr schwierig gewesen. Seine Frau sei psychisch sehr unruhig gewesen; zudem sei sein erstes Kind geboren worden. Es habe dort auch kein Krankenhaus gegeben. Deshalb seien sie am 22. März 2014 nach Sulaimaniiyya gegangen, wo ihn zwei Männer, die sein Schwiegervater geschickt habe, geschlagen und mit Messerstichen verletzt hätten. Er sei operiert worden und eine Woche im Krankenhaus geblieben. Da er gewusst habe, wer die Täter gegen Geld beauftragt habe, habe er eine Strafanzeige gestellt. Da sein Schwiegervater einflussreich sei, habe die Strafanzeige jedoch keinerlei Folgen gehabt. Etwa einen Monat nach seinem Umzug sei er wieder zurück nach J. gegangen. Sein Vater habe einen Krankenhelfer für ihn bestellt, der ihm in J. zweimal im Jahr Spritzen verabreicht habe, weil er sich nicht ins Krankenhaus getraut habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin zu 1. gab in ihrer Anhörung ergänzend an, sie stamme aus der Stadt Ranya. Ihr Vater würde dort gemeinsam mit ihren zwei Brüdern wohnen. Neben ihrer Mutter habe er noch vier weitere Frauen. Ihre Mutter wohne in Haji Awa. Außerdem habe sie noch väterlicherseits fünf Onkel und fünf Tanten, die ebenfalls in Ranya lebten. Sie selbst habe die Schule bis zur sechsten Klasse besucht und sei anschließend Hausfrau gewesen. Auf die Gründe ihrer Flucht angesprochen, erklärte sie, gemeinsam mit ihrem Ehemann vor ihrem Vater geflohen zu sein. Ihr späterer Ehemann habe dreimal versucht, bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten. Nach dem dritten Mal, so die Protokollierung der Aussage der Klägerin beim Bundesamt, habe ihr Vater sie zu einem Ausflug mit ihrem Bruder nach Darband mitgenommen und sie geschlagen. Ihrem Bruder habe er gesagt: „Los, töte sie!“ Ihre Stiefmutter habe dies jedoch verhindert. Sie sei dann mit ihrem Mann nach J. gezogen. Ihr Vater habe sie dort nicht finden können. Das Leben sei jedoch hart gewesen, zumal es dort kein Krankenhaus gegeben habe. Als ihr Mann nach Sulaimaniyya gegangen sei, sei er gefunden und geschlagen worden. Er sei zehn Tage im Krankenhaus geblieben und dann wieder nach J. zurückgegangen. Ihr Schwiegervater habe jemanden geschickt, der ihn behandelt habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 2. Dezember 2016 erkannte das Bundesamt den Klägern und ihrem Ehemann bzw. Vater weder die Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) noch den subsidiären Schutzstatus (Nr. 2) zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 3). Zudem drohte es die Abschiebung der Kläger in den Irak an (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete es auf dreißig Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte es aus, eine Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Verfolgungsmerkmal sei nicht zu erkennen. Außerdem drohe den Klägern kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG durch Folter oder unmenschliche Behandlung. Zwar sei der Ehemann der Klägerin zu 1. mit Messern verletzt worden, doch danach habe die Familie unbehelligt bis zur Ausreise weiterleben können. Hätte der Schwiegervater der Familie wirklich habhaft werden wollen, hätte er dies wegen seiner Machtposition sicher veranlassen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Gegen diesen Bescheid haben sämtliche Familienangehörige am 18. Dezember 2016 zunächst unter dem Aktenzeichen 6 A 7649/16 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholten und vertieften sie ihr bisheriges Vorbringen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Mit Beschluss vom 18. Mai 2018 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Mit Beschluss vom 7. Juni 2018 untersagte das Amtsgericht A-Stadt dem Ehemann der Klägerin zu 1. im Wege der einstweiligen Anordnung, sich ihr oder ihrer Wohnung auf weniger als 50 Meter zu nähern, Verbindung zu ihr aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit ihr herbeizuführen. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin zu 1. habe durch Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht, dass ihr Ehemann vorsätzlich und widerrechtlich ihren Körper verletzt habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit Beschluss vom 25. Juni 2018 hat der Einzelrichter das Verfahren der Kläger des vorliegenden Verfahrens vom Verfahren 6 A 7649/16 abgetrennt und unter dem hiesigen Aktenzeichen 6 A 4443/18 weitergeführt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Das Gericht hat im Verfahren 6 A 7649/16 am 10. Dezember 2016 mündlich verhandelt. Der Ehemann der Klägerin zu 1. ist nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Kläger beantragen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 2. Dezember 2016 zu verpflichten,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">1. den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">2. hilfsweise, ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">3. hilfsweise festzustellen, dass in ihrer Person Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Klage, über die der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) anstelle der Kammer als Einzelrichter entscheidet, hat Erfolg. Sie ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 2. Dezember 2016, mit dem dieses Begehren abgelehnt worden ist, verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist aufzuheben, soweit er dem vorgenannten Anspruch entgegensteht (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>1.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin zu 1. hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. § 3 Abs. 1 AsylG bestimmt dazu, dass ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind in der Person des Klägers erfüllt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, Rn. 19). Der danach maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint. Zu begutachten ist hierbei die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 - 9 C 14.89 -, juris). Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 29).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs sowie der aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse ist das Gericht im vorliegenden Fall zu der Überzeugung gelangt, dass der Klägerin zu 1. im Falle ihrer Rückkehr in den Irak aus individuellen, an ihre Person anknüpfenden Gründen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht. Die für die Verfolgung der Klägerin zu 1. sprechenden Umstände haben bei einer zusammenfassenden Bewertung größeres Gewicht als die dagegensprechenden Umstände.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Der Klägerin zu 1. kommt bei der Beurteilung der Frage, ob ihr (weiterhin) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsgefahren im Irak drohen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; Urteil vom 01.03.2012 - 10 C 7.11 - juris Rn. 12) die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie) nicht zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Damit ein Ausländer von der Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie profitieren kann, muss sich die Ausreise dabei bei objektiver Betrachtung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als eine unter dem Druck erlittener Verfolgung stattfindende Flucht darstellen. In dieser Hinsicht kommt der zwischen Verfolgung und Ausreise verstrichenen Zeit maßgebliche Bedeutung zu, d.h. bereits der bloße Zeitablauf kann dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht verliert. Ein Ausländer ist regelmäßig nur dann als verfolgt ausgereist anzusehen, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der erlittenen Verfolgung verlässt. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland verbleibt, umso mehr verbraucht sich der objektive äußere Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise (BVerwG, Beschl. v. 13.11.2003 – 1 B 260.03, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs fehlt es vorliegend im Hinblick auf die von der Klägerin zu 1. vorgetragenen Geschehnisse im Irak an einer Vorverfolgung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie. Es steht insbesondere nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin zu 1. sowie ihr Ehemann im März 2014 in Sulaimaniyya durch bewaffnete Personen, die der Befehlsgewalt ihres Vaters unterstanden, mit körperlicher Gewalt bedroht wurden. Der Einzelrichter konnte sich diesbezüglich keine hinreichende Gewissheit bilden, weil der Ehemann der Klägerin nicht zu seiner mündlichen Verhandlung erschienen war und die Angaben der Klägerin zu 1. in diesem Punkt von den Schilderungen ihres Ehemannes gegenüber dem Bundesamt abwichen. So hatte der Ehemann der Klägerin zu 1. dort erklärt, ihn hätten zwei Personen angegriffen, wohingegen die Klägerin zu 1. von zehn Personen sprach. Überdies hatte der Ehemann der Klägerin zu 1. gegenüber dem Bundesamt erklärt, er hätte erfolglos Anzeige gegen seinen Schwiegervater erstattet, wohingegen die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung angab, sie hätten aus Sorge vor der Rache ihres Vaters nicht angegeben, wer ihren Ehemann verletzt habe. Es erschließt sich auch nicht ohne weiteres, dass die Klägerin zu 1. in der Lage gewesen wäre, mit zwei kleinen Kindern vor mehreren oder sogar zehn bewaffneten Personen zu fliehen und sich in einer angrenzenden Menschenmenge zu verstecken. Zwar hat der Ehemann der Klägerin zu 1. im schriftlichen Verfahren ein Foto vorgelegt, dass ihn in einem Krankenzimmer mit einem großflächigen Verband im Bauchbereich zeigt; zudem hat auch sein behandelnder Arzt eine (ältere) Bauch- bzw. Stichverletzung bestätigt. Angesichts der vorgenannten Sachverhaltsunklarheiten lässt sich jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass die Verletzung aus einem Unfall oder einer aus einem anderen Grund ausgebrochenen körperlichen Auseinandersetzung stammt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Das Gericht geht jedoch aufgrund der aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse davon aus, dass der Klägerin zu 1. im Falle ihrer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Zugehörigkeit zur besonderen sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 5 AsylG) der alleinerziehenden irakischen Frauen geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG durch Angehörige ihrer Familie sowie durch ihren Ehemann droht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund haben, der nicht verändert werden kann (lit. a) und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (lit. b). Eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter HS AsylG). Als Verfolgungen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss des Weiteren zwischen den in § 3 Abs.1 Nr. 1, § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen (oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen) eine kausale Verknüpfung bestehen. Auf eine etwaige subjektive Motivation des Verfolgers kommt es dabei nicht entscheidend an (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3a AsylG, Rn. 7). Maßgebend ist vielmehr die objektive Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.1.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55, Rnr. 22, 24, Marx, AsylG, 2017, § 3a Rnr. 50 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678). Für eine erkennbare objektive Zielrichtung der Maßnahme genügt es, wenn ein Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG einen wesentlichen Faktor für die Verfolgungshandlung darstellt (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3a AsylG, Rn. 7).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Diesen rechtlichen Maßstab vorangeschickt, liegen im Falle der Klägerin im Falle einer Rückkehr in den Irak die Voraussetzungen einer Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln bilden alleinstehende oder alleinerziehende Frauen im Irak, welche nicht auf den Schutz ihres Familienverbandes zurückgreifen können, eine eigene soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter HS AsylG. Derart in ihrer Identität durch ihren Familienstand bzw. ihre familiäre Situation geprägte Frauen teilen sowohl einen unveränderbaren gemeinsamen Hintergrund als auch bedeutsame Merkmale im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 lit. a) AsylG. Sie werden überdies wegen ihrer deutlich abgegrenzten Identität von der irakischen Gesellschaft als andersartig (lit. b)).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 12. Februar 2018 (Stand: Dezember 2017) vermerkt in Bezug auf die Lage der Frauen im Irak (S. 13 f.), die in der Verfassung festgeschriebene Gleichstellung der Geschlechter und das verfassungsrechtlich verankerte Verbot jeder Art von Diskriminierung (Art. 14 und 20 der irakischen Verfassung) fänden in niederrangigen Rechtsnormen keine Entsprechung und seien in der Praxis durch erhebliche Defizite gekennzeichnet. Die Stellung der Frau habe sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Die geschätzte Erwerbsquote unter Frauen habe im Jahr 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17% gelegen. Die prekäre Sicherheitslage und wachsende fundamentalistische Tendenzen in Teilen der irakischen Gesellschaft hätten negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak würden islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen würden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Middle East Online hebt in einem Artikel aus Dezember 2011 hervor, nach Angaben der irakischen Parlamentsabgeordneten Safia al-Souhail sei in statistischer Hinsicht eine von fünf irakischen Frauen körperlicher oder psychischer Gewalt ausgesetzt, die oft von Familienangehörigen ausgehe (Middle East Online, Hidden victims of Iraq conflict: Women expect little change for better, 21. Dezember 2011).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Human Rights Watch berichtete im Februar 2014, die Rechten der Frauen im Irak hätten sich seit dem Golfkrieg 1991 dramatisch verschlechtert. Mit der Erosion von Sicherheit und Stabilität einhergehend, hätten frauenfeindliche Ideologien propagierende Milizen Frauen und Mädchen zur Zielscheibe von Angriffen gemacht und sie eingeschüchtert, sich aus dem öffentlichen Leben fernzuhalten. Frauen sähen sich dem Risiko ausgesetzt, von Mitgliedern der ausschließlich männlichen Polizei oder anderen Sicherheitskräften belästigt und misshandelt zu werden, was ihre fortwährende Viktimisierung im häuslichen Bereich konsolidiere. Die größten Opfer der fortdauernden Unsicherheit seien junge Frauen. Sie würden verwitwet, versklavt, zur frühen Heirat gezwungen, häuslicher Gewalt ausgesetzt oder sexuell belästigt, sobald sie das Haus verließen. Letzteres sei ein neues Phänomen im Irak (Human Rights Watch, No one is safe. Abuses of women in Iraq’s criminal justice system, Februar 2014).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Nach den Förderungsrichtlinien für die Bewertung der internationalen Schutzbedürfnisse von Asylsuchenden aus dem Irak des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom 31. Mai 2012 ist die Gewalt gegen Frauen und Mädchen seit 2003 gestiegen und setzt sich unvermindert fort. Frauen und Mädchen seien im Irak Opfer von gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Diskriminierungen, Entführungen und Tötungen aus politischen, religiösen oder kriminellen Gründen, sexueller Gewalt, erzwungener Umsiedlung, häuslicher Gewalt, "Ehrenmorden" und anderen schädlichen traditionellen Praktiken, wie etwa (Sex-)Handel und erzwungener Prostitution. Frauen ohne männliche Unterstützung, einschließlich Witwen, Frauen, deren Ehemänner vermisst würden oder inhaftiert seien, und geschiedenen Frauen seien am meisten betroffen. Traditionell würden sie nach dem Verlust ihrer Ehemänner mit ihren Familien oder ihren Schwiegereltern mitgehen. Allerdings seien diese Verwandten oft wegen ihrer eigenen wirtschaftlichen Not nicht in der Lage, eine beträchtliche Unterstützung zu bieten (UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Iraq, 31.05.2012, S. 34 f.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.06.2017 – 8a K 1971/16.A -, juris Rn. 60).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Einer Schnellrecherche der Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) zufolge gelten alleinlebende Frauen zu den verletzlichsten Personengruppen des Landes. Ohne Unterstützung und Schutz von Verwandten seien sie besonders anfällig für Belästigungen, Entführungen oder sexuelle Übergriffe. Viele seien zur Sicherung ihres Lebensunterhalts gezwungen, sich zu prostituieren, Ehen mit älteren Männern oder Zeitehen („pleasure marriages“) einzugehen (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 15. Januar 2015 zu Irak: Zwangsheirat, S. 2, 8).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Auch Unami Human Rights stellt in einem Bericht aus Juni/Juli 2014 fest, einzelne Frauen und weibliche Haushaltsvorstände seien besonders anfällig für Drohungen von sexuellen und anderen Formen der physischen Gewalt, Tötungen und den beeinträchtigten Zugang zu ohnehin bereits begrenzter humanitärer Hilfe (Unami Rights Report on the Protection of Civilians in the Non International Armed Conflict in Iraq, 5 June - 5 July 2014, S. 21; VG Gelsenkirchen, a.a.O., Rn. 60).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Des Weiteren hebt das Britische Innenministerium in seinem Länderbericht 2015 in Bezug auf den Irak hervor, dass einzelne Frauen und Kinder, die in den Irak zurückkehrten, aufgrund ihres Geschlechts und ihres Alters besonders anfällig seien und wahrscheinlich die Schwelle für die Zuerkennung internationalen Schutzes erreicht sein dürfte, sofern sie keine Unterstützungsnetze hätten oder sich nicht finanziell unterstützen könnten (UK Home Office, Country Information and Guidance. Iraq: humanitarian situation in Baghdad, the south (including Babil) and the Kurdistan Region of Iraq, Version 1.0., Juni 2015, S. 7, Rn. 2.4.8).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt in einer Schnellrecherche vom 5. Februar 2018 aus (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 5. Februar 2018 zum Irak: Frauenhäuser in Kirkuk, S. 3 f.):</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„Laut dem <em>Geneva International Centre for Justice </em>(2015) werden unverheiratete Frauen im Irak gesellschaftlich stigmatisiert. Ein Bericht von <em>Care </em>(April 2015) deutet darauf hin, dass die vorherrschenden sozialen Normen Frauen daran hindern, ohne einen Mann zu leben. Insbesondere weiblich geführte Haushalte riskieren Gewalt ausgesetzt zu sein. Zu den schutzbedürftigsten Gruppen im Irak zählt <em>Care </em>unter anderem insbesondere schwangere und/oder stillende, ledige und verwitwete Frauen. Auch in einem Bericht einer <em>Fact-Finding-Mission </em>des <em>Danish Refugee Council </em>und des <em>Danish Immigration Service </em>(Januar 2016) wird hervorgehoben, dass ledige Frauen sowie weiblich geführte Haushalte unter den intern vertriebenen Menschen (IDPs) «besonders verletzlich» sind. Laut der <em>Koalition des CEDAW-Schattenberichtes </em>(2014) ist insbesondere die «Kategorie der Witwen und der geschiedenen Frauen» mit großen sozialen Herausforderungen und diskriminierenden Traditionen konfrontiert. Diese Frauen seien oft dem Risiko der sexuellen Ausbeutung, Prostitution und Ehen auf Zeit ausgesetzt. Haushalte, die von Frauen geführt werden, leben aufgrund des tiefen Einkommens in sehr schlechten finanziellen Verhältnissen.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">[…] Gemäss IWHR et al. (August 2015) sind irakische Frauen nach einer Scheidung oft von männlichen Verwandten abhängig. Insbesondere geschiedene Frauen ohne Bildung oder Arbeitserfahrung, vor allem in ländlichen Regionen, seien mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Aus Angst vor gewaltsamen Repressalien, sozialer Stigmatisierung und finanzieller Isolierung bei einer Trennung entscheiden sich viele Frauen dafür, eine Beziehung mit einem gewalttätigen Partner aufrechtzuerhalten.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>In Bezug auf die gesetzlichen Grundlagen der Ehescheidung im Irak führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe in einer Länderanalyse aus August 2011 aus, in den meisten muslimischen Ländern würden zivilrechtliche Angelegenheiten betreffend Heirat, Sorgerecht und Erbschaften gemäß dem islamischen Scharia-Recht geregelt. Im Irak ersetze hingegen das „Personal Status Law“ (Zivilstandsgesetz) aus dem Jahr 1959 die Schariagerichte und gelte als liberal bezüglich der Rechte der Frauen. Kinderheirat und Zwangsheirat seien verboten, Polygamie sei eingeschränkt. Die Rechte der Frauen bei einer Scheidung seien erweitert worden, ihre Möglichkeiten bezüglich Erbschaften verbessert. Gemäß Art. 57 des Zivilstandsgesetzes habe die Frau das Sorgerecht über die Kinder, bis diese zehn Jahre alt seien. In dieser Zeit müsse der Vater Unterhaltsgeld für die Kinder bezahlen. Das Sorgerecht der Frau könne vor Gericht bis zum 15. Lebensjahr verlängert werden, danach dürfe das Kind entscheiden, wer das Sorgerecht haben solle (SFH, Auskunft der SFH-Länderanalyse, Irak: Scheidung in KRG-Region, 11.08.2011, S. 1 f.). Seit dem Sturz der Baath-Regierung habe sich jedoch die massive Kritik religiöser Führer weiter verfestigt, welche in der Gesetzeslage einen Widerspruch zur islamischen Rechtsprechung sowie zu Art. 41 der neuen irakischen Verfassung sähen („Iraqis are free in their commitment to their personal status according to their religions, sects, beliefs, or choices and that shall be regulated by law“; SFH, a.a.O., S. 1). Nach den Angaben einer Kontaktperson vor Ort sprächen die irakischen Gerichte zudem oft den Ehemännern das Sorgerecht zu, da die Frauen oftmals nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten besäßen, für die Familie aufzukommen (SFH, a.a.O., S. 2).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich der Lage alleinstehender Frauen in der kurdischen Gesellschaft erklärt ein gemeinsamer Bericht des Norwegian Country of Origin Information Center (LANDINFO) und des Danish Immigration Service (DIS) aus November 2018, die Lage geschiedener Frauen sei weiterhin hart und stigmatisierend. Eine gebildete Frau mit ihrem eigenen Einkommen sei in der Lage, in einer Stadt alleine zu leben, sofern sie keinen Ehrenkonflikt mit ihrer Familie habe. Allerdings habe die sich verschlechternde finanzielle Situation im Irak in Kombination mit den allgemein bestehenden sozialen Einschränkungen für Frauen dahingehend ausgewirkt, dass sich die Fähigkeit von Frauen, alleinverantwortlich zu leben, reduziert habe. Eine Frau, die sich dauerhaft außerhalb einer Stadt aufhalte, so der Bericht im Weiteren, sei nicht in der Lage, alleine zu leben (DIS/LANDINFO, Kurdistan Region of Iraq (KRI): Women and men in honour-related conflicts, November 2018, S. 13). Alleinstehende Frauen, die in den Irak zurückkehrten, seien massiven Schwierigkeiten ausgesetzt, sofern sie kein (familiäres) Netzwerk besäßen, das sie unterstütze. Es gäbe keine Plätze in Notunterkünften, da diese an einem Mangel öffentlicher Finanzmittel litten. Eine alleinstehende Frau, die sich mit ihrer Familie überworfen habe und sich nicht selbst versorgen könne, sei zwingend darauf angewiesen, sich mit ihrer Familie zu versöhnen (DIS/LANDINFO, a.a.O., S. 21).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Es steht überdies zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass die Klägerin zu 1. unter die vorgenannte besondere soziale Gruppe fällt, weil sie keine belastbaren Bindungen mehr zu ihrer Herkunftsfamilie besitzt, sich dauerhaft von ihrem Ehemann getrennt hat und die gemeinsamen Kinder alleine erzieht. Sie hat in der mündlichen Verhandlung nicht nur glaubhaft geschildert, dass sie sich mit ihrer Herkunftsfamilie im Irak wegen ihrer Partnerwahl überworfen habe, nunmehr seit Juli 2017 von ihrem Ehemann getrennt lebe und sich zu ihrem Schutz in einem Frauenhaus aufhalte. Des Weiteren erschien sie zur mündlichen Verhandlung auch in Begleitung zweier Mitarbeiterinnen dieser Einrichtung. Überdies hat ihr Prozessbevollmächtigter unter Nennung der einschlägigen Aktenzeichen auf mehrere bei der Staatsanwaltschaft A-Stadt anhängige Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann der Klägerin zu 1. verwiesen, die u.a. wegen der Verletzung des im Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt angeordneten Kontaktverbots laufen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Das Gericht ist darüber hinaus aufgrund der glaubhaften und substantiierten Ausführungen der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung sowie auf Basis der vorliegenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung gelangt, dass sie sich im Falle ihrer Rückkehr in den Irak als alleinerziehende Frau mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von nichtstaatlicher Seite geschlechtsspezifischen Verfolgungsmaßnahmen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 5, § 3a Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AsylG ausgesetzt sehen würde. Ihr droht im Falle ihrer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, von ihrem Ehemann bzw. Angehörigen ihrer Familie wegen einer vermeintlichen Verletzung der Familienehre massiv körperlich misshandelt, unter Umständen auch getötet zu werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Eine irakische Frau, die gegen den Willen ihrer Herkunftsfamilie heiratet oder sich mit der Anschuldigung konfrontiert sieht, Ehebruch begangen zu haben, muss nach der gegenwärtigen Erkenntnismittellage in Abhängigkeit von ihrer familiären Situation sowie ihrem gesellschaftlichen Stand fürchten, Opfer gewaltsamer Übergriffe bis hin zum sogenannten „Ehrenmord“ zu werden, d.h. einer rechtswidrigen Tötung durch Familienangehörige oder nahestehende Dritte „zur Wiederherstellung der Familienehre“.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Nach dem aktuellen Länderbericht Irak des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) für das Jahr 2017 bleiben Ehrenverbrechen im ganzen Irak weiterhin ein ernstzunehmendes Problem, das sich derzeit noch zunehmend verschärft. Die Gründe hierfür seien u.a. die schwachen Strafverfolgungsbehörden, die paramilitärischen religiösen Milizen, die stark an Macht gewonnen hätten sowie die zunehmende Verbreitung besonders strenger und konservativer religiöser Werte. Ehrenverbrechen würden in allen Gegenden des Irak und bei allen ethnischen und religiösen Gruppen begangen, wobei es schwer sei, das wahre Ausmaß von Ehrenverbrechen zu erfassen, da viele Fälle nicht angezeigt würden. Ehrenmorde würden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan habe oder dessen auch nur verdächtigt werde: eine Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann einzugehen, sich zu weigern, einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten, gegen den Willen der Familie zu heiraten, Ehebruch, oder das Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung zu sein. Solche Verletzungen der Ehre würden in der irakischen Gesellschaft als unverzeihlich angesehen und könnten aus Sicht dieser häufig nur getilgt werden, indem man die Frau töte. Per Definition würden Ehrenmorde von einem Familienmitglied ausgeführt, es könne aber auch sein, dass die Großfamilie, der Clan, die Gemeinde, der Stamm, eine bewaffnete Gruppe oder anderen externe Akteure Druck auf die Familie ausübten, ein Familienmitglied zu töten, das vermeintliche Schande über die Familie gebracht habe (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 24.08.2017, S. 138 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Der gemeinsame Bericht des DIS/LANDINFO aus November 2018 führt hinsichtlich der Lage in der kurdischen Autonomieregion aus, unter den Jugendlichen finde ein Umdenken bezüglich der Wahl von Lebenspartnern statt. Zum einen sei es üblicher als früher, dass Jugendliche ihren eigenen Partner wählten, insbesondere in den Städten und bei gebildeten Familien. Zum anderen würden sich europäische Hochzeitstraditionen unter jungen Menschen zunehmender Beliebtheit erfreuen. Allerdings bemesse sich die Frage, ob diese Veränderungen akzeptiert würden, sehr nach der jeweiligen Herkunftsregion. In ländlichen Gebieten würden sich alte Traditionen hartnäckig halten. In einigen Stämmen gelte es als schweres Verbrechen, jemanden außerhalb des eigenen Stammes zu heiraten (DIS/LANDINFO, Kurdistan Region of Iraq (KRI): Women and men in honour-related conflicts, November 2018, S. 13). In den großen Städten Erbil und Dohuk herrschten weiterhin konservative Vorstellungen in Bezug auf die Rolle der Frau. Ehrenverbrechen trügen sich hier häufiger zu und würden oftmals von Personen begangen, die aus Stammesregionen in die Stadt gezogen seien. In der Stadt Sulaimaniyya seien Ehrenverbrechen seltener; sie würden vielmehr vorwiegend in den Außenbereichen der Stadt und in den umgrenzenden kleineren Ortschaften begangen. Städte, in denen es zu Ehrenverbrechen gekommen sei, seien nach Auskunft örtlicher Kontaktpersonen Ranya, Qaladze, Pesdar, Chamchamal, Kalar und Kirfri. Gerade die Stadt Ranya gilt nach Auskunft mehrerer örtlicher Kontaktpersonen als besonders konservativ (DIS/LANDINFO, a.a.O., S. 12). Speziell in Ranya sei zudem das Phänomen verbreitet, dass eine Frau, deren Herkunftsfamilie ihre Partnerwahl nicht akzeptiere, mit ihrem Ehemann in einen anderen Teil des Landes flüchte, um sich ggf. nach einigen Jahren wieder mit ihrer Familie zu versöhnen (DIS/LANDINFO, a.a.O., S. 21).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Das Deutsche Orient Institut (DOI) führt in Bezug auf die Verbreitung von Ehrenverbrechen in der kurdischen Autonomieregion in einer Stellungnahme aus Mai 2017 überdies aus (DOI, Stellungnahme vom 3. Mai 2017 gegenüber dem Verwaltungsgericht Wiesbaden, – Auskunft zum Beschluss 13 K 8604/16, S. 2 f.):</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">„Die Bevölkerung des kurdischen Tells des Irak hat nach wie vor einen relativ hohen Grad an tribalen, patriarchalen Strukturen. Dies ist tendenziell vermehrt in ländlichen Gebieten der Fall. Da ein großer Teil der mittlerweile in den urbanen Zentren der Region lebenden Menschen allerdings erst im Zuge der seit einigen Jahrzehnten anhaltenden Urbanisierung in die Städte zog, sind auch dort solche Beziehungen noch immer relevant. Somit existiert nach wie vor ein Normenkatalog, der vom kodifizierten irakischen (Straf)Recht abweicht. Letzteres stuft das Töten im Zusammenhang mit der Familienehre explizit als Mord ein. Gleichsam kommt es selten zu Verurteilungen und wenn sind nur geringe Strafen zu erwarten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">In diesen wie bereits erwähnt patriarchal strukturierten Beziehungen besteht ein ausgeprägtes Ehrverständnis. Dieses hat die Ehre der Familie — bzw. erweitert auch die des Clans oder Stammes — zum Gegenstand. Die Wahrung oder der Verlust der Familienehre ist an das Einhalten und Befolgen sozialer Traditionen und Normen gebunden. Besonders weibliche Familienmitglieder sind hiervon betroffen, denn ihr Verhalten bedingt die Familienehre direkt. Männer oder Jungen werden in der Regel nur im Falle homosexueller Kontakte bestraft. Ein entscheidender Teil dieses Ehrverständnisses sowie dessen, was solche Normen und Traditionen beinhalten, ist das Sexualleben der weiblichen Familienmitglieder. Jedweder Fall von vor- oder außerehelichen sexuellen Verhältnissen, inklusive Vergewaltigungen, wird als Bedrohung der Familienehre gesehen. Weitere Berichte führen zudem Heiraten ohne Zustimmung der Familie, das Abweichen von Kleidungsvorschriften oder Kontakt zu Männern außerhalb der eigenen Familie als Faktoren auf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">Diese Familienehre zu wahren, obliegt indes den männlichen Familienmitgliedern. Sollten sie also von (als solchem wahrgenommenen) „Fehlverhalten" erfahren, ist es dem Ehrverständnis folgend ihre Aufgabe, einzugreifen. Für die weiblichen Familienmitglieder hat dies oftmals körperliche Bestrafung bis hin zu „Ehrenmorden” zur Folge. Im Falle von Vergewaltigungen kann die Frau auch gezwungen werden, den Täter zu heiraten. Des Weiteren folgt oftmals eine soziale Brandmarkung, die das soziale Leben sowie etwaige berufliche Perspektiven der Frau enorm einschränkt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">Die offizielle Zahl der „Ehrenmorde" liegt in der Regel zwischen 50 und 60 im Jahr. Allerdings stimmen Experten überein, dass die Dunkelziffer um einiges höher liegen dürfte. Denn nur wenn Vorfälle offiziell gemeldet werden, erscheinen sie in der Statistik. Gleichsam bedingt jedoch die bereits angesprochene Parallelstruktur des Clans, dass dies nicht geschieht.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>In einem im Jahr 2012 veröffentlichten Studienbericht stellt das Staatssekretariat für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Staatssekretariat für Migration, Report on Joint Finnish-Swiss Fact-Finding Mission to Amman and the Kurdish Regional Government (KRG) Area, May 10-22, 2011, 1. Februar 2012) zudem fest, nach Auskunft der örtlichen Nichtregierungsorganisation Asuda for Combating Violence against Women seien Ehrenmorde heutzutage in der kurdischen Autonomieregion nicht (mehr) üblich, würden jedoch weiterhin geschehen, im Vergleich zum restlichen Irak sogar überdurchschnittlich oft (Staatssekretariat für Migration, a.a.O., S. 37). Nach Schätzung der Nichtregierungsorganisation WADI seien seit dem Jahr 1991 ca. 10.000 Frauen Opfer von Ehrenmorden oder Selbstverbrennungen geworden. Im Vergleich zu den 1990er Jahren seien die Todeszahlen zurückgegangen, insbesondere in Städten. Moderne Kommunikationsformen hätten jedoch neue Risiken geschaffen, da einige Frauen getötet worden seien, nachdem sie über Mobiltelefone Kontakt zu Männern aufgenommen hätten (Staatssekretariat für Migration, a.a.O., S. 41; siehe ferner: Artikel des Independent vom 16. Mai 2008, „How picture phones have fuelled frenzy of honour killings in Iraq“).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Der Danish Immigration Service (DIS) hebt in diesem Zusammenhang ebenfalls hervor, das Gut der familiären Ehre sei in der kurdischen Gesellschaft elementar. Verstöße hiergegen würden mit zunehmendem Zeitablauf nicht an Bedeutung verlieren, vielmehr könne die verletzte Familie noch über Jahre oder gar über Generationen hinweg Vergeltung suchen (DIS, Honour Crimes against Men in Kurdistan Region of Iraq (KRI) and the Availability of Protection, März 2010, S. 3). Sofern die Familie einem geflohenen Paar nicht bereits aktiv nachstellt und sodann Gewalt ausübt, sind auch Fälle dokumentiert, in denen der tödliche Angriff erfolgte, nachdem die Familie das Paar zunächst unter dem Deckmantel der Versöhnung zur Rückkehr bewegt hatte (Staatssekretariat für Migration, Report on Joint Finnish-Swiss Fact-Finding Mission to Amman and the Kurdish Regional Government (KRG) Area, May 10-22, 2011, S. 42). Zudem werden nach Erkenntnissen des Europäischen Zentrums für kurdischen Studien Stammesverbindungen dafür eingesetzt, um Personen aufzuspüren, an denen Blutrache ausgeübt werden soll, auch wenn es keinen Erfahrungssatz dahingehend gebe, dass sich sämtliche Stammesangehörige an einer Suche beteiligten. Ein besonderes Entdeckungsrisiko bestehe dann, wenn der betreffende Stamm zu den besonders einflussreichen Stämmen zähle, deren Angehörige z.B. mehrheitlich eine Nähe zur Demokratischen Partei Kurdistan aufwiesen und exponierte Positionen im Staatsapparat besetzten (EZKS, Auskunft vom 14. Juli 2006 gegenüber dem VG Regensburg – RO 4K 05.30031, S. 2).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Das Deutsche Orient-Institut (DOI) führt in einem Gutachten aus Juni 2005 aus, der bloße Umstand einer Trennung bzw. Scheidung begründe nicht die Gefahr eines „Ehrenmordes“ zur Wahrung des familieninternen Verständnisses von Ehre und Ansehen (DOS, Gutachten vom 14. Juni 2005 – Az.: 1789 al/br, S. 2-4). Schande könnte die Betroffene ihrer Familie indessen dann bringen, wenn sie nach der Trennung einen „sittenlosen Lebenswandel“ führen würde. In einem solchen Fall würden die männlichen Familienangehörigen sie zunächst zur Ordnung rufen und, bei einem massiven Verstoß gegen die dortigen Anschauungen, ihr auch körperlich nahetreten (DOI, a.a.O., S. 3). Die Tötung einer Frau drohe dann, wenn der Ehemann sich scheiden lasse, weil die Ehefrau in ehebrechender Weise unerlaubte Beziehungen zu anderen Männern unterhalten habe (DOI, ergänzendes Gutachten vom 30. Januar 2006 – Az.: 1789 al/br, S. 6). Naturgemäß verfüge der Mann dabei über die Möglichkeit, seine Frau „nach allen Regeln der Kunst“ schlecht zu machen und ihr die (mittelbare) Verantwortung für die Scheidung zuzuschieben. In einem solchen Fall würde das persönliche Umfeld ihm glauben, nicht hingegen der Frau, und zwar selbst dann, wenn alle Evidenz gegen den Mann spreche (DOI, a.a.O., S. 8 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Nach einem Bericht der Nichtregierungsorganisation Heartland Alliance aus Januar 2011 (Heartland Alliance, Institutionalized Violence Against Women and Girls. Laws and Practices in Iraq, Januar 2011, https://www.heartlandalliance.org/international/wp-content/uploads/sites/15/2017/02/Institutionalized-Violence-Against-Women-and-Girls-in-Iraq-Laws-and-Practices-January-2011.pdf, S. 21; auszugsweise abgedruckt bei SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 5. Februar 2011 zum Irak: Frauenhäuser in Kirkuk, S. 5 f.) stellt Ehebruch im Irak ebenso wie in den meisten anderen muslimischen Ländern eine Straftat nach Art. 377 des irakischen Strafgesetzbuchs (Iraqi Penal Code (IPC)) dar, welche als Vergehen im Sinne des Art. 26 Abs. 1 IPC mit einer Gefängnisstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren zu bestrafen ist. Männer seien ebenfalls nach dieser Vorschrift strafbar, jedoch diskriminiere das irakische Recht Frauen dahingehend, dass diese unabhängig vom Ort der Begehung des Ehebruchs zu bestrafen seien (Art. 377 Abs. 1 IPC). Männer seien nur strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, sofern sie den Ehebruch in der ehelichen Wohnung begingen (Art. 377 Abs. 2 IPC). Die Heartland Alliance führt im vorgenannten Bericht überdies aus, die irakische Gesellschaft sehe Ehebruch als gravierendes soziales Vergehen gegen die Ehre der Familie, der Gemeinschaft und des Stammes an. Infolgedessen müssten Frauen ernsthaft befürchten, dass die Familie ihres Ehemannes oder ihre Herkunftsfamilie sie „zur Wiederherstellung der Ehre“ töten würden (Heartland Alliance, a.a.O., S. 21). Die Tötung wegen Ehebruchs gelte dabei als einer von mehreren sozial anerkannten Gründen, Frauen wegen der „Entehrung der Familie“ zu töten. Dabei könne bereits die bloße Anschuldigung, Ehebruch begangen haben, die Grundlage für einen „Ehrenmord“ sein, wobei gerade Frauen die Bürde obliege, die Familienehre zu wahren. Ehemänner, die ihre Frauen misshandelten, würden den Straftatbestand zudem häufig als Drohkulisse nutzen, um ihre Frauen gefügig zu halten, aber auch dazu, um sich selbst zur Vorbereitung einer neuen Ehe unter vereinfachten Bedingungen scheiden zu lassen (Heartland Alliance, a.a.O., S. 21). Frauen, die des Ehebruchs angeklagt und/oder verurteilt würden, verlören üblicherweise das Sorgerecht für ihre Kinder und könnten sich unter keinen Umständen wieder sicher in ihre Herkunftsfamilien oder örtlichen Gemeinschaften integrieren (Heartland Alliance, a.a.O., S. 21).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Diese Erkenntnismittellage zum Risiko von Frauen in der kurdischen Autonomieregion, die gegen den Willen ihrer Herkunftsfamilie heiraten und/oder des Ehebruchs bezichtigt werden, finden ihre sachliche Entsprechung in der persönlichen Anhörung der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung. Das Gericht ist aufgrund ihrer glaubhaften und substantiierten Angaben sowie der vorliegenden Beweismittel zu der Überzeugung gelangt, dass ihr im Falle einer Rückkehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit droht, Opfer von Gewalttaten durch ihren Ehemann oder Familienangehörige zu werden, die bis zum sogenannten Ehrenmord reichen können. Die Klägerin zu. 1 schilderte das Geschehen insbesondere im Kerngeschehen logisch konsistent, mit einem erheblichen quantitativen Detailreichtum nebst Nennung ungewöhnlicher Details, im Zuge einer unstrukturierten Erzählweise nebst spontaner Ergänzungen bzw. Verbesserungen, unter Wiedergabe von Komplikationen im Handlungsverlauf, unter Beschreibung deliktsspezifischer Merkmale sowie unter Angabe räumlich-zeitlicher Verknüpfungen nebst Schilderung der Motivations- und Gefühlslage der Beteiligten sowie prägnanter Äußerungen. Zudem erwies sich die Schilderung in Bezug auf das verfolgungsrelevante Kerngeschehen im Wesentlichen als inhaltlich konstant mit der vorangegangenen Aussage gegenüber dem Bundesamt. Soweit die Klägerin zu 1. in Bezug auf einen Aspekt von den beim Bundesamt protokollierten Feststellungen abwichen, konnte sie hierfür plausible Gründe dartun. Diesbezüglich wird im Einzelnen auf die ausführliche Sitzungsniederschrift verwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin zu 1. hat insbesondere glaubhaft dargelegt, dass ihr Vater sie wegen der Wahl ihres Partners bereits in der Verlobungsphase im Irak mit dem Tode bedroht habe, ferner, dass dass sie ihren Ehemann gegen den Willen ihres Vaters und entgegen der in ihrer Familie vorherrschenden Stammestraditionen geheiratet habe. Ihr Vater besitze ein Autohaus sowie eine Betonblockfirma und sei sehr wohlhabend. Zusätzlich sei er Mitglied der Partei PUK und bekleide dort eine militärische Funktion, d.h. er habe ein Regiment unter sich und sei „wie ein Präsident“ bewacht worden. Jeden Monat sei er für ca. zehn Tage zum Dienst gerufen worden und habe dann gemeinsam mit dem ihm unterstellten bewaffneten Wachpersonal an auswärtigen Militäreinsätzen teilgenommen. In ihrer Familie gälten die Regeln ihres Stammes, der in Ranya und in der Umgebung beheimatet sei. Ihre Eltern hätten sich getrennt, weil ihr Vater mehrere Ehefrauen hätte haben wollen und deshalb eine Cousine väterlicherseits ihrer Mutter geheiratet habe; ihres Mutter sei mittlerweile verstorben. Sie selbst, d.h. die Klägerin zu 1., habe stets Angst gehabt, dass sie zwangsweise verheiratet werde wie beispielsweise ihre Tanten väterlicherseits. Ihr Ehemann habe drei- bis viermal um ihre Hand angehalten. Der Vater habe jedoch abgelehnt und habe gesagt, dass sie noch ein Kind sei. Er habe sie selbst dabei auch geschlagen und ihr gesagt, dass sie nicht zu entscheiden habe in Bezug auf ihr Leben. Zudem habe er ihr gedroht: „Nächstes Mal, wenn der Junge zu uns kommt, werde ich Dich töten.“ Das letzte Mal, als ihr späterer Ehemann um ihre Hand angehalten habe, habe ihr Vater sie geschlagen und drei Tage in einem Zimmer eingesperrt. Am letzten Tag sei ihr Vater in das Zimmer gekommen, habe ihr ins Gesicht gespuckt und sie eine Schlampe genannt. Ihrem jüngeren Bruder habe er eine Kalaschnikow in die Hand gegeben und gesagt: „Ich möchte, sie [d.h. die Klägerin zu 1.] nicht mehr haben.“ Er habe ihren Bruder aufgefordert, sie zu töten und gesagt: „Wenn jemand fragt, werden wir sagen, das Kind hat mit der Waffe gespielt; es sei ein Unfall gewesen.“ Ihre Stiefmütter hätten dies jedoch nicht zugelassen, laut geschrien und ihrem Bruder die Waffe weggenommen. Später habe sie, d.h. die Klägerin zu 1., mit dem Handy ihrer Stiefmutter ihren Ehemann angerufen. Dieser habe sie aufgefordert zur Straße hinter dem Haus zu kommen. Sie habe gegenüber ihrer Familie einen Vorwand angegeben und gesagt, dass sie zum Kiosk bzw. Supermarkt gehen wolle. Hinter dem Haus habe ihr Ehemann dann in einem Taxi auf sie gewartet. Der Taxifahrer habe sie an einen anderen Punkt gebracht, von wo aus sie mit dem Auto des Vaters ihres Ehemannes weitergefahren seien. Von dort seien sie weitergefahren in das Dorf J. und hätten dort religiös bei einem Mullah geheiratet. Gewohnt hätten sie in einem Haus, das dem Vater ihres Ehemannes gehöre. Ihr Ehemann sei in dieser Zeit keiner Berufstätigkeit nachgegangen, sondern habe hinter dem Haus Gemüse angepflanzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Der Glaubhaftigkeit dieser Äußerungen steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin zu 1. ausweislich der Feststellungen im Anhörungsprotokoll des Bundesamts angegeben haben soll, ihr Vater habe ihren Bruder „auf einem Ausflug“ zu ihrer Tötung aufgefordert. Das Gericht geht davon aus, dass es sich hierbei um ein Missverständnis bei der Übersetzung handelt. Hierfür spricht zum einen, dass die auf S. 4 f. des Protokolls festgehaltene Feststellung in sich widersprüchlich ist, da die Klägerin zu 1. einerseits angegeben haben soll, sie sei [nur] mit ihrem Vater und ihrem Bruder „zu einem Ausflug“ nach Darband gegangen, wo ersterer letzteren zu ihrer Ermordung aufgefordert habe, andererseits aber, ihre Stiefmutter habe dann die Tötung verhindert. Zum anderen hat die Klägerin zu 1. substantiiert geschildert, der Vorfall habe sich in der Zeit zugetragen, als sie in ihrem Zimmer eingesperrt gewesen sei. Ihr Vater habe ihren Bruder aufgefordert sie zu töten und habe gesagt: „Ansonsten werde ich ihre Leiche in das „kleine Meer“ werfen.“ Damit habe er auf einen beliebten (Ausflugs-)See angespielt, der sich in dem Ort Darband befinde, welcher in der Nähe von Ranya liege.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Ebenso hat die Klägerin zu 1. glaubhaft geschildert, dass ihr Ehemann, der Kläger im Verfahren 6 A 4443/18, sie über eine längere Zeit körperlich misshandelt, nach der Trennung mit dem Tode bedroht und gegenüber ihren im Irak lebenden Familienangehörigen wahrheitswidrig behauptet habe, sie pflege in Deutschland einen sittlich anstößigen Lebenswandel und habe Ehebruch begangen. Diesbezüglich hat sie nicht nur in einem außerordentlichen Detailreichtum geschildert, wie ihr Ehemann sie vor den gemeinsamen Kindern misshandelte und sie nach seiner Verweisung aus der Asylbewerberunterkunft immer wieder bei verschiedenen Gelegenheiten aufsuchte und bedrohte. Sie vermochte gleichermaßen konkret darzutun, wie ihr Ehemann ihr gedroht habe, sie vor eine Straßenbahn zu schubsen, falls sie die Strafanzeigen gegen ihn nicht zurückziehe. Ebenso hat sie substantiiert dargelegt, dass sie telefonisch von ihrem jüngeren Bruder zweimal gewarnt worden sei, dass ihre Familie ihr nach dem Leben trachte. Schließlich hat sie in der mündlichen Verhandlung eine E-Mail des Frauenhauses A-Stadt vom 11. Dezember 2017 an ihre Anwältin vorgelegt, welche einen Screenshot ihres Mobiltelefons nebst Übersetzung beinhaltet. Hiernach schrieb der Ehemann der Klägerin zu 1. u.a. auf Kurdisch: „Ruf Deinen Bruder […] an und frag nach, ob er was von Deinem Ehebruch weiß.“ Der Einzelrichter hat keinen Anlass, an der Authentizität des bereits ein Jahr vor der mündlichen Verhandlung erstellten Screenshots zu zweifeln, zumal die Mitarbeiterin des Frauenhauses, welche die E-Mail und die Übersetzung erstellt hatte, die Klägerin zu 1. in die mündliche Verhandlung begleitete.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Die der Klägerin zu 1. drohende Verfolgung ist auch rechtlich beachtlich im Sinne des § 3c AsylG. Hiernach kann die Verfolgung ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die in Nummer 2 der Norm genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Letzteres ist hier der Fall. Unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel steht der Klägerin zu 1. gegenüber der ihr im Irak drohenden geschlechtsspezifischen Verfolgung durch ihre Familienangehörigen und ihren Ehemann kein effektiver Schutz durch staatliche Organe zur Verfügung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>Nach § 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann Schutz vor der Verfolgung u.a. vom Staat geboten werden, sofern dieser willens und in der Lage ist, Schutz gemäß § 3d Abs. 2 AsylG zu leisten. Hiernach muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in § 3d Abs. 1 AsylG genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Letzteres setzt voraus, dass die Betroffenen einen realistischen Zugang zu den Schutzmaßnahmen haben, was insbesondere erfordert, dass sie den Schutz gefahrenfrei in Anspruch nehmen können (Kluth, in: BeckOK AuslR, Stand: November 2017, § 3d AsylG, Rn. 3). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin zu 1. nicht gegeben. Ihr ist es nicht möglich, im Falle ihrer Rückkehr auf eine für sie zumutbare Weise wirksamen Schutz vor der Bedrohung durch ihre Familie väterlicherseits bzw. ihren Ehemann zu erlangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>Das britische Innenministerium verweist in einem aktuellen Bericht aus August 2017 auf eine Stellungnahme der Kurdish and Middle Eastern Women’s Organisation (KMEWO) aus Mai 2014, der zufolge die kurdischen Behörden als nicht willens oder nicht in der Lage erschienen, von Ehrverbrechen bedrohten Personen Schutz zu bieten (Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Kurdish ‘honour’ crimes, Version 1.0, August 2017, Rn. 8.5.8). Dieses deckt sich mit einer Auskunft des Hohen Menschenrechtskommissars der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015 (Danish Refugee Council (DRC) and Danish Immigration Service (DIS), ‘The Kurdistan Region of Iraq (KRI) – Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation – Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015’, April 2016, S. 48).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>Nach Erkenntnissen des britischen Innenministeriums erweist sich die Strafverfolgungspraxis in der kurdischen Autonomieregion grundsätzlich als effektiver im Vergleich zum Süd- bzw. Zentralirak, wobei das Niveau nochmals von Gebiet zu Gebiet variiere. Nach Angaben örtlicher Auskunftspersonen hätten die kurdischen Behörden das Potential, in den von ihnen kontrollierten Territorien sehr effektive Sicherheit zu gewährleisten. Sofern sie allerdings eine bestimmte Person nicht schützen wollten, könnten sie diese Entscheidung ebenfalls sehr effektiv durchsetzen. Hiermit korrespondierend hänge die Möglichkeit, staatlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, davon ab, wer der Verfolger sei. Die Polizei und das Gerichtssystem seien anfällig gegenüber dem Einfluss politischer Akteure sowie bekannter Familien und Stämme. Dies könne zur Folge haben, dass ein Täter eines Ehrverbrechens trotz einer eindeutigen belastenden Beweislage freigesprochen werde (Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Kurdish ‘honour’ crimes, Version 1.0, August 2017, Rn. 8.5.1; ebenso: DIS, Honour Crimes against Men in Kurdistan Region of Iraq (KRI) and the Availability of Protection, März 2010, S. 9). Nach Aussage des Danish Immigration Service, die sich auf Erkenntnisse des Hohen Menschenrechtskommissars der Vereinten Nationen stützt, bringe die örtliche Bevölkerung den kurdischen Strafverfolgungsbehörden wenig Achtung entgegen. Trotz einiger ausgezeichneter Gesetze, die internationalen Standards entsprächen, reagierten die Gerichte oft nicht auf Rechtschutzgesuche. Der Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz sei abhängig von der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, dem jeweiligen Stamm, Beziehungen, Familie und Verwandten. Für den Einzelnen sei es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, selbst für seine Rechte einzutreten (Danish Refugee Council (DRC) and Danish Immigration Service (DIS), ‘The Kurdistan Region of Iraq (KRI) – Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation – Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015’, April 2016, S. 45). Konkretisiert wird diese Auskunft in der aktuellen Stellungnahme aus November 2018. Nach Auskunft mehrerer Kontaktpersonen würden die Gesetze gegen Ehrenverbrechen in der kurdischen Autonomieregion nicht effektiv umgesetzt. Ein Grund hierfür sei, dass die herrschenden Parteien in einigen Fällen die Täter schützen würden, was oftmals zu Freisprüchen führe. Die politischen Parteien würden nicht nur ihre eigenen Mitglieder schützen, sondern auch einflussreiche Personen und solche, die mit ihnen affiliiert seien (DIS/LANDINFO, Kurdistan Region of Iraq (KRI): Women and men in honour-related conflicts, November 2018, S. 15 f.). Nach Angabe einer akademischen Quelle würden nur finanziell schlechtgestellte Täter ohne Einfluss bzw. Beziehungen verurteilt. Wohlhabende Personen oder solche mit Beziehungen zu den herrschenden Parteien seien in der Lage, Richter durch politischen Druck, Bestechungsgelder oder falsche Alibis zu manipulieren. Der Quelle selbst sei kein Fall bekannt, in dem jemals ein hochrangiges Mitglied der beiden Parteien KDP oder PUK jemals für die Tötung einer Frau verurteilt worden sei (DIS/LANDINFO, a.a.O., S. 16).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>Zahlreiche Beispielsfälle, so auch das britische Innenministerium, würden die Unfähigkeit des Gerichtssystems verdeutlichen, einen Abschreckungseffekt gegenüber Straftaten zum Nachteil von Frauen zu entfalten, ferner die weiterhin deutlich sichtbare Tendenz, Ehrverletzungen als eine Rechtfertigung für Gewalt zu akzeptieren. Als Faustregel ließe sich festhalten, dass Ehrenverbrechen entweder nicht angezeigt oder nicht verfolgt würden. Die Polizei und die Gerichte würden die bestehenden Gesetze gegen Ehrenmorde nicht umsetzen, weil sie die Ansicht verträten, diese unterfielen der Verantwortungs- und Ermessensebene der männlichen Familienmitglieder. Nur wenige dieser Fälle würden tatsächlich bei Gericht landen, und wenn dies einmal geschähe, erhielten die Täter Freisprüche oder lediglich äußerst milde Strafen. Nach Auskunft der Nichtregierungsorganisation WADI sei keine Person, die eine durch Ehrverletzungen motivierte Straftat begangen habe, jemals zu einer Haftstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden, sofern der Betroffene überhaupt eine Haftstrafe erhalten habe. Zudem bestehe stets die Möglichkeit, nach Abschluss einer innerfamiliären Schlichtungsvereinbarung oder einer Übereinkunft zwischen zwei beteiligten Stämmen eine frühzeitige Haftentlassung zu erhalten (Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Kurdish ‘honour’ crimes, Version 1.0, August 2017, Rn. 8.5.1 ff.). Auch nach Auskunft des DIS/LANDINFO, die sich auf Angaben örtlicher Kontaktpersonen beruft, erhalten Täter von Ehrverbrechen lediglich geringe Strafen, zum Teil lediglich Haftstrafen von einem Jahr. Teilweise würden Personen auch freigesprochen und die Taten als Selbsttötungen eingeordnet, obwohl der gerichtsmedizinische Report eine Schussverletzung als Todesursache angebe. Sofern die Familie erkläre, sie verzeihe dem Täter, werde er eine geringere Strafe oder sogar eine Amnestie erhalten, insbesondere bei einflussreichen Personen. Das Gleiche gelte, wenn der Täter zum ersten Mal straffällig geworden sei. In manchen Fällen beauftrage die Familie gezielt einen Minderjährigen mit der Durchführung eines Ehrenmordes, da dieser ebenfalls eine geringe Strafe erhalten würde (DIS/LANDINFO, Kurdistan Region of Iraq (KRI): Women and men in honour-related conflicts, November 2018, S. 17). Der Danish Immigration Service nimmt zudem auf die Angaben örtlicher Quellen Bezug, denen zufolge es sehr wahrscheinlich sei, dass ein Täter eines Ehrverbrechens im Falle einer (vorzeitigen) Verhaftung und Verurteilung ein noch stärkeres Bedürfnis entwickele, Rache zu nehmen. Im Übrigen bestehe auch die Möglichkeit, dass seine Familie während der Dauer der Inhaftierung an seiner Stelle versuche, Rache auszuüben (Danish Immigration Service, Honour Crimes against Men in Kurdistan Region of Iraq (KRI) and the Availability of Protection, März 2010, S. 9).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Der gemeinsame Bericht des DIS/Landinfo erklärt des Weiteren, dass von Ehrverbrechen bedrohte Frauen faktisch keinen Schutz durch Polizeibehörden erhielten. Polizeibeamte würden Frauen in vielen Fällen erklären, dass dies eine innerfamiliäre Angelegenheit sei, sie beschwichtigend auffordern, mit ihrer Familie zu reden oder sie direkt zu ihrer Familie zurückschicken. Alternativ würden sie die Frauen persönlich für die Bedrohung oder die Gewaltausübung verantwortlich machen; zum Teil bestehe außerdem das Risiko, dass Polizisten selbst die Frauen belästigten (DIS/LANDINFO, a.a.O., S. 18).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_68">68</a></dt>
<dd><p>Nach den Erkenntnissen des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl bestehen darüber hinaus im Irak im Allgemeinen keine Zufluchtsstätten für von Ehrenverbrechen bedrohten Frauen. In der kurdischen Autonomieregion existierten zwar drei offizielle Frauenhäuser, aber um in einem solchem unterkommen zu dürfen, sei ein Gerichtsbeschluss erforderlich, was ein beträchtliches Hindernis für eine bedrohte Frau darstelle. Darüber hinaus käme es häufig vor, dass die Behörden ohne Zustimmung des Opfers den Täter zu dem Frauenhaus brächten und auf Kosten des Opfers versuchten, eine Lösung auszuhandeln. Sofern einige Frauenrechtsorganisationen im Irak Bestrebungen hätten, im Geheimen inoffizielle Unterkünfte zu betreiben, würden diese oft von den Behörden geschlossen, die solche Einrichtungen scheinbar teilweise als Bordelle betrachteten. Es sei nicht unüblich, dass Frauen für längere Zeit in Polizei-Gefängniszellen säßen, weil sie von ihren Familien bedroht würden und keine andere Unterkunftsmöglichkeit besäßen (BfA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 24. August 2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 23. November 2017), S. 139 f.). Der Bericht des DIS/LANDINFO ergänzt dies um den Hinweis, in eiligen Fällen könne sich eine Frau direkt an ein Frauenhaus wenden und einen Gerichtsbeschluss über die Unterbringung nachträglich erwirken. Allerdings dürften untergebrachte Frauen die Frauenhäuser auch nicht ohne Gerichtsbeschluss verlassen. Zudem dürften Familienangehörige die Frauen auch ohne deren Zustimmung weiterhin im Frauenhaus aufsuchen (DIS/LANDINFO, a.a.O., S. 18). Das schweizerische Staatssekretariat für Migration teilt zudem unter Berufung auf Erkenntnisse der Nichtregierungsorganisation WADI mit, eine von einem Ehrverbrechen bedrohte Frau erhalte keine Hilfe seitens der kurdischen Regionalregierung, um in einen anderen Teil des Landes zu ziehen (Staatssekretariat für Migration, Report on Joint Finnish-Swiss Fact-Finding Mission to Amman and the Kurdish Regional Government (KRG) Area, May 10-22, 2011, 1. Februar 2012, S. 44).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_69">69</a></dt>
<dd><p>Überdies steht der Klägerin vor der weiterhin drohenden Schadensgefahr kein interner Schutz im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung. Hiernach wird einem Ausländer der Flüchtlingsstatus nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor dem drohenden ernsthaften Schaden oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Kammer nimmt in ständiger Rechtsprechung an (s. etwa: Urteil v. 26.10.2017 - 6 A 7844/17 und 6 A 9126/17), dass sich Flüchtlinge im Irak aufgrund der vorherrschenden humanitären Verhältnisse in aller Regel nicht dauerhaft in andere Landesteile begeben können (zu den Fluchtmöglichkeiten innerhalb der kurdischen Autonomieregion bei einem drohenden Ehrenmord s. VG Hannover, Urt. v. 11.6.2018 – 6 A 7325/16, juris Rn. 54 f.). Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen weist in einer Auskunft aus April 2018 darauf hin, dass interne Fluchtalternativen im Irak in Anbetracht der gegenwärtigen Sicherheitslage und humanitären Verhältnisse allenfalls in Ausnahmefällen gegeben seien (UNHCR, Auskunft vom 25. April 2018 gegenüber dem VG Sigmaringen zum Beweisbeschluss vom 19. Oktober 2017 – A 1 K 5641/16 –, S. 2). Dieser negative Befund gilt erst recht im Falle der Klägerin zu 1., die sich als alleinerziehende Mutter zweier minderjähriger Kinder, wie dargestellt, sowohl in der kurdischen Autonomieregion als auch im restlichen Irak in einer besonders verletzlichen Position befindet und nicht in der Lage ist, alleinverantwortlich ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_70">70</a></dt>
<dd><p>Anhaltspunkte für Ausschlussgründe gegenüber der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG sowie § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG bestehen nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>2.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_71">71</a></dt>
<dd><p>Die Kläger zu 2. und 3. haben als zum Zeitpunkt der Asylantragstellung (§ 14a Abs. 1, Abs. 2 AsylG) minderjährige Kinder der Klägerin zu 1. ebenfalls einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 26 Abs. 2, Abs. 5 S. 1, S. 2 AsylG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_72">72</a></dt>
<dd><p>Der unanfechtbaren Anerkennung des Stammberechtigten, die nach § 26 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 AsylG für die Gewährung von Familienflüchtlingsschutz erforderlich ist, steht dabei die rechtskräftige gerichtliche Verpflichtung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Anerkennung des Stammberechtigten gleich (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.05.2009 - 10 C 21/08, NVwZ 2009, S. 1308). Die in § 26 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AsylG normierte Voraussetzung, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Stammberechtigten, d.h. die Klägerin zu 1., unanfechtbar bzw. rechtskräftig geworden sein muss, berücksichtigt das Gericht im vorliegenden Fall dadurch, dass die Beklagte lediglich verpflichtet wird, die positive Entscheidung bezüglich der Kläger zu 2. und 3. unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Rechtskraft des die Klägerin zu 1. betreffenden Teils des vorliegenden Urteils auszusprechen. Auf diese Weise wird der Eintritt der Voraussetzungen des zu erteilenden Verwaltungsakts gewährleistet. Anders als ein auflösend bedingter Urteilstenor steht dies mit Prozessrecht im Einklang (VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 12. Dezember 2017 – A 6 K 5424/17 –, juris Rn. 32 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>3.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_73">73</a></dt>
<dd><p>Die im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes enthaltene Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich der Bezeichnung Irak als Zielstaat gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufzuheben. Die Kläger haben einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, was nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG der Bezeichnung des Staates Irak in der Abschiebungsandrohung entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 – 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_74">74</a></dt>
<dd><p>Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_75">75</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_76">76</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1, S. 2 ZPO.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE190000250&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
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171,168 | vg-magdeburg-2018-12-19-8-e-25218 | {
"id": 1033,
"name": "Verwaltungsgericht Magdeburg",
"slug": "vg-magdeburg",
"city": 608,
"state": 16,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 8 E 252/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:40 | 2019-02-12T13:44:15 | Beschluss | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die gemäß §§ 165, 151 VwGO zulässige Erinnerung der Antragsgegnerin und Erinnerungsführerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 18.10.2018 ist unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Das Gericht hat mit Beschluss vom 17.07.2018 (8 B 163/18 MD) nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO seinen Beschluss vom 24.04.2018 (8 B 109/18 MD) geändert, indem es die aufschiebende Wirkung der Klage (8 A 110/18 MD) gegen den Bescheid vom 27.03.2018 (Abschiebungsandrohung) angeordnet hat. Die Kosten des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO hat das Gericht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO der in diesem Verfahren unterlegenen Erinnerungsführerin auferlegt. Zu den danach von der Erinnerungsführerin zu tragenden Kosten gehören nach § 162 Abs. 1 und 2 Satz 1 VwGO auch die gesetzlich vorgesehenen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts des obsiegenden Beteiligten, hier des Antragsstellers und Erinnerungsgegners. Diese sind dem Erinnerungsgegner im vorliegenden Fall ungeachtet des Umstandes zu erstatten, dass die Prozessbevollmächtigte den Erinnerungsgegner auch schon im – erfolglosen – Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vertreten hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Magdeburg hat zu den hier maßgeblichen Rechtsfragen bereits umfassend wie folgt ausgeführt (vgl. VG Magdeburg, Beschluss vom 14. August 2017 – 3 E 187/17 –, Rn. 3 ff., juris):</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">"Zwar weist die Erinnerungsführerin zutreffend darauf hin, dass nach § 16 Nr. 5 RVG das Verfahren über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und jedes Verfahren über deren Abänderung oder Aufhebung gebührenrechtlich dieselbe Angelegenheit sind und Gebühren in derselben Angelegenheit gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG nur einmal gefordert werden dürfen. Daher kann der bereits im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO tätig gewordene Prozessbevollmächtigte für das nachfolgende Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht erneut eine Verfahrensgebühr nach Ziffer 3100 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) beanspruchen und eine Auslagenpauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Ziffer 7002 VV-RVG gesondert verlangen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 24. April 2007 - 22 M 07.4006 -, juris; siehe auch BVerwG, Beschl. v. 23. Juli 2003 - 7 KSt 6.03, 7 VR 1.02 -, juris, zur entsprechenden Rechtslage nach den bis zum 30. Juni 2004 geltenden § 114 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 40 Abs. 2 BRAGO). Hintergrund der Regelung des § 16 Nr. 5 RVG ist, dass der Rechtsanwalt, der bereits in einem Verfahren über einen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung tätig war, in einem Abänderungs- oder Aufhebungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO in der Regel keine besondere Einarbeitungszeit benötigt, sondern vielmehr ohne Weiteres auf seine frühere Arbeit zurückgreifen kann (BayVGH, Beschl. v. 24. April 2007 - 22 M 07.4006 -, a. a. O.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Umstand, dass ein Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO nur einmal eine Vergütung verlangen kann, besagt jedoch nichts darüber, wer diese Gebühren zu erstatten hat. Für die hier allein streitgegenständliche Frage der im Verhältnis der Beteiligten zueinander zu erstattenden Kosten ist vielmehr die in dem jeweiligen Verfahren ergangene gerichtliche Kostengrundentscheidung maßgebend. Denn das Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO bildet nur die zahlenmäßige Ergänzung der vorangegangenen Kostenentscheidung auf Antrag eines Beteiligten (vgl. BayVGH, Beschl. v. 3. Juni 2009 - 6 C 07.565 -, juris). Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und nach § 80 Abs. 7 VwGO prozessual zwei selbständige Verfahren mit unterschiedlichen Gegenständen darstellen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25. August 2008 - 2 VR 1.08 -, juris; OVG LSA, Beschl. v. 1. März 2010 - 4 M 223/09 -, juris). Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO ist eine Neuregelung für die Zukunft, nicht aber die Überprüfung der nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffenen Entscheidung. In beiden Verfahren können dementsprechend entgegengesetzte Entscheidungen ergehen, die dann auch unterschiedliche Kostenlasten zur Folge haben. Hiervon ausgehend kann jeder aus der für ihn günstigen Entscheidung die Erstattung seiner Kosten verlangen. Dass ein Rechtsanwalt die Gebühren wegen der gebührenrechtlichen Zusammenfassung beider Verfahren in § 16 Nr. 5 RVG als eine Angelegenheit <span style="text-decoration:underline">gegenüber seinem Mandanten</span> nach § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG nur einmal geltend machen kann, steht dem nicht entgegen (so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 13. Februar 2017 - 11 B 769/15.A -, juris, mit Nachweisen zu der gegenteiligen Rspr. einiger Verwaltungsgerichte; VG Halle (Saale), Beschl. vom 11. Januar 2011 - 3 B 128/10 -, zitiert nach juris; VG München, Beschl. v. 12. August 2013 - M 17 M 13.30186 -, juris; VG Stuttgart, Beschl. v. 29. April 2014 - A 7 K 226/14 -, juris). Die Rechtsanwaltsgebühren fallen mit jeder Tätigkeit, die Voraussetzung für ihr Entstehen ist, erneut an. Ob sie tatsächlich auch gegenüber dem Mandanten geltend gemacht werden können oder ob dem etwa der Grundsatz der Einmalvergütung des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG entgegensteht, ist eine hiervon zu trennende Frage und für die Kostenerstattung <span style="text-decoration:underline">im Verhältnis der Beteiligten untereinander</span> ohne Belang (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 13. Februar 2017 - 11 B 769/15.A -, a. a. O.). Es ist nicht ersichtlich, dass Zweck des § 16 Nr. 5 RVG auch die Freistellung des in einem der beiden Verfahren unterlegenen anderen Beteiligten entgegen der dort gerichtlich getroffenen Kostengrundentscheidung ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Anders als die Erinnerungsführerin meint, wird dem Prozessbevollmächtigten des Erinnerungsgegners bei dieser Betrachtung auch keine Art Wahlrecht dahingehend eingeräumt, ob er seinen Gebührenanspruch im Ausgangsverfahren seinem Mandanten oder bei einem erfolgreichen Abänderungsantrag ihr – der Erinnerungsführerin – gegenüber geltend macht. Die Erinnerungsführerin verkennt hierbei, dass der Prozessbevollmächtigte die Kostenfestsetzung nicht in eigenem Namen und aus eigenem Recht, sondern für seinen Mandanten beantragt. Dementsprechend findet eine Kostenfestsetzung auch nicht zugunsten des Prozessbevollmächtigten des Erinnerungsgegners statt. Wie auch unmissverständlich im Tenor des im Wege der Erinnerung angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschlusses zum Ausdruck kommt, sind die Kosten vielmehr „an den Antragsteller“ – hier dem Erinnerungsgegner – zu erstatten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Im Rahmen der ggf. in beiden Verfahren zu treffenden Entscheidung nach § 164 VwGO über die im Verhältnis der Beteiligten zueinander zu erstattenden Kosten ist dem Grundsatz der Einmalvergütung aus § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG allerdings zum einen dadurch Rechnung zu tragen, dass eine Kostenfestsetzung hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten insgesamt nur bis zur Höhe des Betrages erfolgt, den der jeweils erstattungsberechtigte Beteiligte im Innenverhältnis seinem Prozessbevollmächtigten schuldet. Zum anderen muss im Rahmen der das Abänderungsverfahren betreffenden Kostenfestsetzung Berücksichtigung finden, ob und inwieweit bereits im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine Kostenfestsetzung zugunsten des im Abänderungsverfahren Obsiegenden stattgefunden hat (vgl. VG Halle (Saale), Beschl. vom 11. Januar 2011 - 3 B 128/10 -, a. a. O. [m. w. N.]). Unbeachtlich ist hingegen, ob der eine Kostenerstattung begehrende Beteiligte – etwa im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO mangels für ihn günstiger Kostenentscheidung – an seinen Prozessbevollmächtigten bereits eine Vergütung geleistet hat. Denn dieser Umstand betrifft allein das Innenverhältnis zwischen dem Beteiligten und seinem Prozessbevollmächtigten. Gegenstand des Kostenfestsetzungsverfahrens ist aber – wie dargestellt – die Frage der Kostenerstattung der Beteiligten untereinander (vgl. hierzu VG Augsburg, Beschl. v. 29. August 2002 - Au 4 S 01.30125 -, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">In Anwendung dieser Maßstäbe hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die vom Erinnerungsgegner für das Abänderungsverfahren geltend gemachten – von der Erinnerungsführerin lediglich dem Grunde, nicht aber der Höhe nach beanstandeten – Rechtsanwaltskosten zutreffend festgesetzt. Eine Kostenfestsetzung zugunsten des Erinnerungsgegners hat im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht stattgefunden, da dessen Antrag zunächst abgelehnt worden ist und er dementsprechend auch die Kosten dieses Verfahrens zu tragen hatte."</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Diesen Ausführungen gelten auch vorliegend und werden auch von der hiesigen Kammer angewandt (zuletzt: Beschluss v. 04.12.2018, 8 E 233/18 MD). Dabei ist für das Gericht wenig nachvollziehbar, dass die Erinnerungsführerin wiederholt derartige Anträge bei dem erkennenden Gericht stellt, obgleich die hiesige Rechtsprechung bekannt sein sollte und sie sich nicht damit auseinandersetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Hierbei ist nochmals hervorzuheben, dass die Prämisse der Erinnerungsführerin, nach der die Erstattung der geltend gemachten Gebühren und Auslagen bereits ausgeschlossen sei, weil es sich im Abänderungsverfahren nicht um "neu angefallene Kosten" handele, nicht zutrifft. Denn maßgeblich für die Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Kosten ist gerade, dass die Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts <span style="text-decoration:underline">nicht nur</span> im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern auch im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO <span style="text-decoration:underline">neu </span>entstehen. Hiervon geht auch § 15 Abs. 2 RVG aus, der lediglich vorsieht, dass der Rechtsanwalt die (mehrfach entstehenden) Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal <span style="text-decoration:underline">fordern</span> kann. Der Wortlaut dieser Regelung setzt demnach gerade voraus, dass Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts trotz Vorliegens derselben Angelegenheit in beiden Verfahrensarten gesondert entstehen und mithin "anfallen". Der Rechtsanwalt kann die Gebühren wegen der gebührenrechtlichen Zusammenfassung beider Verfahren in § 16 Nr. 5 RVG als eine Angelegenheit gegenüber seinem Mandanten nach § 15 Abs. 2 RVG zwar nur einmal geltend machen. Dieser Umstand besagt aber nichts darüber, wer diese Gebühren zu erstatten hat und schließt die dargestellte Sichtweise nicht aus (vgl. VG Magdeburg, Beschluss v. 04.11.2014, 9 B 207/14; OVG NRW, Beschluss vom 12. Oktober 2018 – 11 B 1482/15.A –, alle juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
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"name": "Landgericht Hamburg",
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"city": 233,
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"jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Landgericht"
} | 321 OH 22/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:34 | 2019-02-12T13:44:13 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1. Auf die Kostenbeschwerde des Antragstellers wird die Kostenrechnung des Notars Dr. M. C. vom 05.12.2017, Nummer ... i.H.v. 9.270,10 € aufgehoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="text-align:center"><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller wendet sich gegen die Kostenrechnung des Antragsgegners vom 05.12.2017, Nummer ... i.H.v. 9.270,10 €, mit welcher der Antragsgegner dem Antragsteller Gebühren für die Fertigung eines Vertragsentwurfs in Rechnung stellte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller beabsichtigte, ein Grundstück zu verkaufen. Da er nicht selbst Auftraggeber eines Notars werden wollte, bevor die Kaufpreisfinanzierung gesichert war, riet er den potenziellen Kaufinteressenten, sie sollten sich an den Antragsgegner wenden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Am 14.11.2017 beauftragten daher die ersten Kaufinteressenten, die Eheleute D., den Antragsgegner mit der Fertigung eines Entwurfs, der auf deren Veranlassung auch dem Antragsteller zugesandt wurde. Zudem vereinbarten sie bereits einen Beurkundungstermin für den 30.11.2017.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Am 16.11.2017 fertigte eine Mitarbeiterin des Antragsgegners eine Telefonnotiz, nach welcher der Antragsteller angerufen habe, um den Termin auf den 04.12.2017 zu verlegen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage AG 1 Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit den Eheleuten D. erfolgte keine Beurkundung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Stattdessen meldeten sich am 21.11.2017 die sonstigen Beteiligten als weitere Kaufinteressenten per E-Mail durch den sonstigen Beteiligten zu 2) und teilten mit, nun Käufer des Objekts sowie sich mit dem Antragsteller zu einem Kaufpreis von 2.350.000,00 € handelseinig zu sein. Zudem schrieb der sonstige Beteiligte zu 2):</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"><em>„Der Termin für die Beurkundung bei Ihnen 4. Dezember 14:00 Uhr soll bleiben.</em><br><em>[...]</em><br><em>Erbitte den geänderten Notarvertragsentwurf per email an uns und Hr. S., vielen Dank.“</em></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Für die weiteren Einzelheiten wird auf die E-Mail Anlage AG 4 Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Auch mit den sonstigen Beteiligten erfolgte keine Beurkundung. Vielmehr fand diese bei einem anderen Notar des Notariats mit den dritten Kaufinteressenten statt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Unter dem 05.12.2017 stellte der Antragsgegner dem Antragsteller seine Notarkostenrechnung Nummer ... i.H.v. 9.270,10 €.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller ist der Auffassung, nicht Kostenschuldner der verfahrensgegenständlichen Tätigkeit des Antragsgegners zu sein. Insbesondere habe er den sonstigen Beteiligten nicht mitgeteilt, bei dem Antragsgegner befinde sich bereits ein von ihm beauftragter Entwurf. Vielmehr habe er lediglich erklärt, dass in dem Notariat bereits ein Entwurf vorliegen würde. Auch habe nicht er, sondern die Eheleute D. am 16.11.2017 einen neuen Termin vereinbart.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">die Kostenrechnung des Antragsgegners vom 05.12.2017, Rechnung-Nr. ... i.H.v. brutto 9.270,10 € aufzuheben und dem Antragsgegner die Kosten des vorliegenden Verfahrens aufzuerlegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner verteidigt seine Kostenrechnung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Er trägt vor, der Antragsteller habe am 16.11.2017 einen neuen Termin vereinbart. Unter anderem deshalb gehe er davon aus, dass auch der Antragsteller den Auftrag konkludent erteilen wollte und die sonstigen Beteiligten den Auftrag konkludent auch für den Antragsteller erteilt hätten. Außerdem hätten sich die jeweiligen Kaufinteressenten erst nach Absprache mit dem Antragsteller an ihn gewandt. Hingegen habe der Antragssteller sich gegen eine Beurkundung mit den sonstigen Beteiligten entschieden. Zudem habe der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers am 15.11.2017 zu dem Entwurf mit den ersten Kaufinteressenten noch Änderungswünsche mitgeteilt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die sonstigen Beteiligten tragen vor, der Antragsteller habe ihnen mitgeteilt, es gäbe schon einen von ihm bei dem Antragsgegner beauftragten Entwurf, und sie gebeten, diesen anzufordern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Für die weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="text-align:center"><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Die Kostenbeschwerde ist gemäß § 127 Abs. 1 GNotKG zulässig und begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Die Kostenrechnung des Antragsgegners vom 05.12.2017, Nummer ... ist unrichtig. Der Antragsteller ist für die verfahrensgegenständliche Tätigkeit des Antragsgegners nicht Kostenschuldner.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>In Betracht kommt vorliegend allenfalls eine Kostenschuld als Auftraggeber gemäß § 29 Nr. 1 GNotKG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Einen Auftrag erteilt regelmäßig derjenige, der durch sein Ansuchen unmittelbar die notarielle Amtstätigkeit veranlasst, etwa indem er den Notar um die Fertigung eines Entwurfs oder erstmals um einen Beurkundungstermin bittet. Ein solcher Auftrag kann auch anzunehmen sein, wenn bereits durch einen anderen Kostenschuldner ein Beurkundungsauftrag erteilt wurde. So kann die Amtstätigkeit des Notars etwa dadurch veranlasst werden, dass ein weiterer Beteiligter den Notar um Änderungen an dem Entwurf des zu beurkundenden Vertrages bittet. Ob im Einzelfall eine Auftragserteilung vorliegt, ist Ergebnis tatrichterlicher Würdigung (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZB 79/16, Rn. 8 nach juris). Folglich ist nicht jeder Kontakt zu einem Notar und ebenso nicht jeder Änderungswunsch als Auftrag zu werten. Vielmehr hängt es von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab, welche Erklärungen die Beteiligten abgegeben haben (so auch KG Berlin, Beschluss vom 11. Dezember 2017 - 9 W 63/16 - 64/16 -, Rn. 14 nach juris; OLG Bremen, Beschluss vom 17. Januar 2018 - 1 W 49/17, Rn. 10 nach juris; OLG Celle, Beschluss vom 23. Februar 2015 - 2 W 37/15, Rn. 9 nach juris). Nach Auffassung der Kammer sind dabei für die Würdigung des jeweiligen Einzelfalles unter anderem auch die Art und die Qualität der gewünschten Änderungen zu berücksichtigen. Soweit Änderungen nur redaktioneller Art sind oder lediglich Angaben ergänzen oder ersetzen, mit denen quasi ein Blanko-Entwurf formularmäßig ausgefüllt wird (z.B. Kaufpreis, Kontoverbindung, Fälligkeitstermin o.ä.), ohne dass der Entwurf mit einem gewissen Aufwand und einer (insbesondere juristischen) Denkleistung ergänzt oder geändert werden muss, geht damit regelmäßig nicht die konkludente Erklärung der Auftragserteilung einher. Schließlich sind insbesondere notwendige Mitwirkungshandlungen zur Vorbereitung der Beurkundung nicht als eigenständiger Auftrag zu werten (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZB 79/16, Rn. 11 nach juris; so auch OLG Bremen, Beschluss vom 17. Januar 2018 - 1 W 49/17, Rn. 9 nach juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller selbst hat sich nie ausdrücklich mit einem Auftrag an den Antragsgegner gewandt. Und er hat diesem gegenüber auch kein sonstiges Verhalten offenbart, welches der Antragsgegner als konkludente Auftragserteilung hätte werten können. Einzelheiten sind dazu bereits nicht vorgetragen worden oder ersichtlich. Insbesondere sind die Änderungswünsche vom 15.11.2017 nicht näher dargelegt worden, obwohl die Qualität der Änderungswünsche grundsätzlich für die tatrichterliche Beurteilung, ob darin ein Auftrag liegt, von Bedeutung ist. Dies war vorliegend jedoch nicht weiter aufzuklären, da diese Änderungswünsche nur den Entwurf mit den Eheleuten D. betroffen haben und nicht den rechnungsgegenständlichen Entwurf eines Kaufvertrages zwischen dem Antragsteller und den sonstigen Beteiligten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Zunächst wurde der Antragsgegner unstreitig von den ersten Kaufinteressenten, den Eheleuten D., mit der Beurkundung beauftragt und es wurde ein Termin für den 30.11.2017 vereinbart.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Sodann ist zwar streitig, ob der Antragsteller oder Herr D. den Beurkundungstermin für den 04.12.2017 vereinbart hat. Jedenfalls aber hat auch nach der Terminnotiz vom 16.11.17 (Anlage AG 1) der Antragsteller lediglich gebeten, den schon vereinbarten Termin vom 30.11.2017 auf den 04.12.2017 zu verlegen. Dies stellt keinen selbstständigen Beurkundungsauftrag dar, da es sich bei der Bitte um Verlegung des Termins lediglich um eine notwendige Mitwirkungshandlung zur Vorbereitung der Beurkundung handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZB 79/16, Rn. 11 nach Juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Anschließend wendeten sich die sonstigen Beteiligten auf Hinweis des Antragstellers an den Antragsgegner mit E-Mail vom 21.11.17 (Anlage AG 4), in der ein neuer Beurkundungsauftrag zu sehen ist. Insbesondere haben die sonstigen Beteiligten darin ausdrücklich einen neuen (“geänderten“) Vertragsentwurf erbeten, diesen mithin beauftragt und nicht nur um Übersendung eines bereits vorliegenden Entwurfs gebeten. Dass die sonstigen Beteiligten diesen Auftrag auch im Namen des Antragstellers erteilt haben, ist der E-Mail allerdings an keiner Stelle zu entnehmen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Weder aus dem Einverständnis des Antragstellers damit, dass sich die sonstigen Beteiligten an den Antragsgegner wandten und diesen gar beauftragten, noch daraus, dass sich die sonstigen Beteiligten erst nach „Absprache“ mit dem Antragsteller an den Antragsgegner gewandt haben, kann geschlossen werden, dass der Antragsteller auch selbst - kostenpflichtiger - Auftraggeber des rechnungsgegenständlichen Entwurfs werden wollte. Eine vorherige mündliche Einigung auf den Kaufvertrag und/oder auf den mit der Beurkundung zu beauftragenden Notar allein stellt grundsätzlich noch kein Verhalten dar, welches als konkludenter Auftrag i.S.d. § 29 GNotKG zu werten ist. Eine Absprache zwischen dem Antragsteller und den sonstigen Beteiligten, nach welcher die sonstigen Beteiligten den Antragsgegner auch im Namen des Antragstellers beauftragen sollten, haben weder der Antragsgegner, noch die sonstigen Beteiligten behauptet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Und schließlich ist für eine Kostenschuld nach § 29 GNotKG auch nicht von Bedeutung, wer sich gegen eine Beurkundung des Entwurfs entschieden hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Von einer Kostenentscheidung zu Lasten des Antragsgegners nach § 130 Abs. 3 Satz 1 GNotKG i. V. m. § 81 FamFG hat die Kammer - dem Grundsatz des § 81 FamFG entsprechend (vgl. Zöller, § 81 FamFG, Rn. 6) - abgesehen. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 FamFG nicht vor.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
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</div>
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171,146 | ovgsh-2018-12-19-4-lb-1018 | {
"id": 1066,
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<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
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<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Berufung wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tatbestand<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf einer Bewilligung zur Gewinnung von Bodenschätzen in der Nordsee.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 31.03.1999 erteilte der Beklagte der Klägerin unter ihrer damaligen Firmierung „... GmbH“ mit Wirkung ab dem 01.04.1999 die bergrechtliche Bewilligung zur Aufsuchung und Gewinnung von Steinen, Kies und Sand in dem Feld „Weiße Bank“ im Gebiet des „Sylter Außenriffs“. Das Bewilligungsfeld erstreckt sich über eine Fläche von ca. 440,5 km² und befindet sich in der ausschließlichen Wirtschaftszone der deutschen Nordsee, ca. 68 km nordwestlich von Helgoland und 65 km westlich der Südspitze von Sylt. Es liegt im Bereich des vom Land Schleswig-Holstein beanspruchten Teils des Festlandsockels der Deutschen Nordsee. Die Bewilligung wurde auf eine Dauer von 40 Jahren, mithin bis zum 30.03.2039, befristet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin reichte den geforderten Rahmenbetriebsplan im Oktober 2001 zur Zulassung ein. Dieser umfasste räumlich zwei jeweils knapp 60 km² große Teilfelder, die wiederum unterteilt waren in jeweils gleich große Bereichsfelder (Bereichsfeld 1-8 im Teilfeld I und Bereichsfeld 9-11 in Teilfeld II). Bestandteil des Rahmenbetriebsplans waren eine Umweltverträglichkeitsstudie mit landschaftspflegerischem Begleitplan und eine FFH-Verträglichkeitsuntersuchung. Am 31.10.2002 ließ der Beklagte den Rahmenbetriebsplan im Wege eines Planfeststellungsbeschlusses nach §§ 52 Abs. 2a, 57a BBergG zu. Dort wurde u.a. ausgeführt, dass die Teilfelder I und II zu 90 % in einem Gebiet lägen, das sich noch als FFH-Gebiet „Elbe-Urstromtal“ qualifizieren solle. Da gemäß FFH-Richtlinie die Lebensraumtypen Sandbänke und Riffe besonders zu schützen seien, wurde in einer Nebenbestimmung festgelegt, dass die in der Umweltverträglichkeitsstudie ausgewiesenen Steinfelder mit einer Schutzzone von 500 Metern bei der Gewinnung von Kies und Sand auszusparen seien. Eine FFH-Verträglichkeitsstudie sei nicht erforderlich, da das Abbaugebiet nicht die Qualität eines potenziellen FFH-Gebietes aufweise. Auflagen zum Schutz der Meeressäuger (Schweinswale und Kegelrobben) erfolgten nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 16.12.2002 erteilte der Beklagte der Klägerin erstmals die für die Gewinnung erforderliche Zulassung des vorgelegten Hauptbetriebsplanes (§§ 51, 52 Abs. 1 BBergG) zunächst für die Bereichsfelder 1 und 3 bis zum 31.12.2004. Dieser Hauptbetriebsplan wurde mehrfach verlängert. Im Juni 2007 erfolgte eine vorerst letzte Verlängerung bis zum 30.06.2009, bezogen auf die Bereichsfelder 3 und 5. In den Jahren von 2002 bis 2007 förderte die Klägerin auf der Grundlage der zugelassenen Hauptbetriebspläne im Feld „Weiße Bank“ jährlich Sand- und Kiesmengen zwischen ca. 44.000 und 306.000 t. Im Jahr 2009 erfolgte eine einmalige und zugleich letzte Förderung von 9.250 t.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Bereits im Jahre 2004 hatte die Bundesregierung das „Sylter Außenriff“ als FFH-Gebiet gemeldet; im Januar 2008 nahm die EU-Kommission das „Sylter Außenriff“ in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gem. Art. 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG auf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Im Oktober 2007 legten verschiedene Umweltverbände bei der EU-Kommission Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland ein wegen Verletzung habitat- und artenschutzrechtlicher Vorschriften, u.a. in Bezug auf die Abbaubewilligung für das Feld „Weiße Bank“. Im August 2008 versenkte die Organisation Greenpeace e.V. im Bereich des „Sylter Außenriffs“ an drei Tagen ca. 300 Felsblöcke mit einer Größe von mindestens 1 m³, davon betroffen auch das Teilfeld I im Feld „Weiße Bank“. Mit Schreiben vom 27.11.2008 teilte Greenpeace der Klägerin die Koordinaten der versenkten Felsblöcke mit.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Im März 2009 stellte die Klägerin einen Antrag auf weitere Verlängerung der Zulassung des Hauptbetriebsplanes. Das im Rahmen der Antragsprüfung beteiligte Bundesamt für Naturschutz (BfN) bezog sich auf seine bereits Anfang 2007 geäußerten schwerwiegenden Bedenken, die sich daraus ergaben, dass im Bewilligungsfeld weitere als Lebensraumtyp „Riff“ (EU-Code 1170) zu bezeichnende schutzbedürftige Steinfelder entdeckt worden seien. Insoweit hatte es bereits weitere Untersuchungen zwecks sach- und fachgerechter Bewertung der im Planfeststellungsbeschluss nicht ausgewiesenen Steinfelder gefordert. Auch eine FFH-Verträglichkeitsstudie sei notwendig. Darüber hinaus verwies das BfN auf den erforderlichen Schutz der marinen Säugetiere (Schweinswale und Kegelrobben). Die daraufhin vom Beklagten geforderten weiteren Untersuchungen und Unterlagen bezüglich der vorhandenen Steinfelder und des Schutzes der Meeressäugetiere legte die Klägerin fristgerecht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Im Juli 2009 wies der Beklagte die Klägerin auf nochmals veränderte Rahmenbedingungen hin, die sich aus der abgestimmten Stellungnahme der Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission und den darin entwickelten Voraussetzungen für eine weitere Verlängerung des Hauptbetriebsplanes ergeben hätten. Das beteiligte BfN legte in seinen Stellungnahmen von August und September 2009 einen neuen Maßstab hinsichtlich der Korngröße in den Steinfeldern an und hielt die bis dahin eingereichten Unterlagen der Klägerin für nicht ausreichend; erforderlich sei u.a. noch ein Schallgutachten zur Abschätzung der Folgen des Abbaus auf die Meeressäugetiere. Eine Einigung zwischen der Klägerin, dem Beklagten und dem BfN hinsichtlich einzureichender Unterlagen und Untersuchungen kam nicht zustande.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Nach Anhörung der Klägerin ließ der Beklagte den weiteren Abbau durch Zulassung des Hauptbetriebsplanes am 23.02.2010 befristet bis zum 28.02.2012 zu. In den Nebenbestimmungen beschränkte sie den Abbau auf eine Fläche von etwa 1,8 km², weil das BfN die Existenz weiterer geschützter Riffe belegt habe. Wegen des Schutzes der marinen Säugetiere forderte der Beklagte die Vorlage weiterer Unterlagen, unter anderem ein begleitendes Monitoring. Mit dem Abbau dürfe im Übrigen erst begonnen werden, wenn sich der Beklagte unter Berücksichtigung der Auffassung der zuständigen Naturschutzbehörde zuvor die Gewissheit verschafft habe, dass durch den Abbau eine Beeinträchtigung der geschützten Meeressäugetiere ausgeschlossen sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Gegen die zitierten Nebenbestimmungen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 10.03.2010 Widerspruch und stellte zugleich eine Erweiterung der Abbauflächen in den Bereichsfeldern 3 und 5 nach Süden zur Diskussion. Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 06.07.2010 zurück, weil zum Schutz der Riffe Neufestlegungen erforderlich geworden und die Unterlagen hinsichtlich des Schutzes der Schweinswale unzureichend seien. Dagegen erhob die Klägerin am 05.08.2010 Klage vor dem VG Braunschweig (letztes Az. 2 A 119/15), ohne diese zu begründen. Da die Klägerin weiterhin eine einvernehmliche Lösung anstrebte und dies dem Gericht mitteilte, wurde auf Antrag der Klägerin mit Schreiben vom 17.02.2011 und mit Zustimmung des Beklagten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Wegen des Ablaufs der letzten Hauptbetriebsplanzulassung am 28.02.2012 erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit im Frühjahr 2015 übereinstimmend für erledigt. Durch Beschluss vom 29.04.2015 stellte das VG Braunschweig das Verfahren ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>In der Zeit zwischen April 2010 und Mai 2014 hatten zwischen der Klägerin, dem Beklagten sowie dem BfN weitere Gespräche stattgefunden, u.a. über die Auffassung des Beklagten, dass ein weiterer Abbau im Feld „Weiße Bank“ kritisch, aber nicht unmöglich sei. Hier befänden sich die am besten ausgeprägten Riffgebiete; ein Vorkommen besonders geschützter „artenreicher Grobsand-, Kies und Schillgründe“ sei sehr wahrscheinlich. Für eine Erweiterung der Abbauflächen außerhalb der im Hauptbetriebsplan behandelten Flächen seien weitere Untersuchungen, etwa hinsichtlich „Artenreiche Grobsande“, erforderlich. Der Beklagte empfahl, hierfür ein Fachbüro für Naturschutz einzuschalten und die gesamten Teilflächen I und II in Abstimmung mit dem BfN auf Abbaumöglichkeiten hin zu untersuchen. Im September 2009 kündigte die Klägerin die Prüfung an, ob ein Abbau außerhalb der Schutzzonen möglich sei. Im Oktober 2013 teilte sie mit, dass sie in Kontakt stehe mit dem BSH - Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie - und Alternativflächen außerhalb des Schutzgebietes suche. Der Beklagte empfahl eine frühe Beteiligung des BfN. An der Bewilligung für das Feld „Weiße Bank“ wolle die Klägerin jedoch festhalten. Die Aktivitäten könnten für die Dauer anderweitiger Zulassungen zum Ruhen gebracht werden. Auf die Frage, ob die bestehende Bewilligung in diesem Fall gefährdet sei, bekundeten Beklagter und BfN, dass es nicht in ihrer Absicht liege, die Bewilligung zu widerrufen. Eine andauernde Bewilligung habe den Vorteil, dass in dieser Zeit keine anderen Nutzungen stattfinden könnten. Rein rechtlich sei ein Widerruf aber nicht auszuschließen. Im Mai 2014 unterrichtete die Klägerin den Beklagten über ein in der Abstimmung mit dem BfN befindliches Monitoring-Konzept für das ebenfalls im Bereich des FFH-Gebietes liegende und von der Klägerin betriebene Bewilligungsfeld „OAM III“ und nochmals über die Planung von Alternativflächen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 02.07.2015 hörte der Beklagte die Klägerin zum geplanten Widerruf der Bewilligung an. Die Klägerin machte u.a. geltend, dass sie sich für die Unterbrechung der Gewinnung seit 2009 auf berechtigte Gründe berufen könne und diese nicht zu vertreten habe. Sie wolle an dem Bewilligungsfeld „Weiße Bank“ festhalten und sei darin sowohl vom Beklagten als auch vom BfN bestärkt worden. Von einem Widerruf sei nie die Rede gewesen. Vielmehr habe man seit Februar 2012 vielfache Versuche unternommen, um den rechtlichen und naturschutzfachlichen Rahmen auszuloten. Eigentlicher Grund für die Unterbrechung der Gewinnung seien die ungeklärte Rechtslage und die Unsicherheit der beteiligten Behörden. Der Beklagte und das BfN kämen nicht zu einer sachgerechten Einigung. Die Klägerin kündigte an, in Kürze die Zulassung eines neuen Hauptbetriebsplanes innerhalb der Teilfelder I und II zu beantragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 20.08.2015 widerrief der Beklagte die Bewilligung vom 31.03.1999 für das Feld „Weiße Bank“ gemäß § 18 Abs. 3 BBergG. Er stellte fest, dass seit Juli 2007 eine Unterbrechung der regelmäßigen Gewinnung vorliege. Für die Unterbrechung ursächliche Gründe, die die Klägerin über einen Zeitraum von drei Jahren nicht zu vertreten habe, lägen nicht vor. Dies gelte sowohl für die Zeit bis zur Zulassung des Hauptbetriebsplanes vom 23.02.2010 als auch für die Geltungsdauer der Zulassung bis zum 28.02.2012. Eine Rechtswidrigkeit des Zulassungsbescheides – mit der Folge, dass der Bewilligungsinhaber eine darauf beruhende Unterbrechung nicht zu vertreten habe – sei weder gerichtlich festgestellt noch sonst ersichtlich. Da das Feld „Weiße Bank“ nunmehr in einem FFH-Gebiet liege, seien zusätzliche naturschutzfachliche Untersuchungen erforderlich gewesen. Den diesbezüglichen Anforderungen nach § 52 Abs. 4 BBergG und § 34 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG sei die Klägerin nicht nachgekommen. Nach dem 28.02.2012 sei kein neuer Hauptbetriebsplan zur Zulassung vorgelegt worden; greifbare Ansätze für eine Fortsetzung des Abbaus gebe es auch sonst nicht. Sollte es tatsächlich nicht möglich sein, in dem zuerteilten Feld einen sowohl wirtschaftlichen wie naturschutzrechtlichen Kriterien entsprechenden Abbau zu betreiben, könne die Bewilligung angesichts der strengen Widerrufsregelungen gleichwohl nicht bestehen bleiben. Eine über dreijährige Unterbrechung müsse auch dann angenommen werden können, wenn die Hinderungsgründe auf Erkenntnissen beruhten, die erst nach Erteilung der Bewilligung aufträten und bei rechtzeitiger Kenntnis zur Versagung hätten führen müssen. Die Rechtslage sei im Übrigen seit Anerkennung des Gebietes durch die EU-Kommission geklärt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Am 09.09.2015 stellte die Klägerin, ohne weitere Unterlagen beizufügen, einen Antrag auf Verlängerung der letzten Hauptbetriebsplanzulassung sowie auf Zulassung des Rohstoffabbaus im Bereichsfeld 7 (Teilfeld I). Über den Antrag wurde bislang nicht entschieden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Gegen den Widerrufsbescheid erhob die Klägerin rechtzeitig Widerspruch. Selbst wenn der Beginn der Drei-Jahres-Frist im Juli 2007 läge, wäre der Fristlauf wegen der begründeten Unterbrechung durch die rechtswidrig versenkten Gesteinsblöcke ab dem 12.08.2008 wieder ausgesetzt worden. Bis zur Mitteilung der Koordinaten der Gesteinsblöcke habe sie keine Baggerarbeiten durchführen können. Der Beklagte habe außerdem versäumt zu prüfen, ob die allgemeine wirtschaftliche Situation einer sinnvollen Abbauplanung entgegengestanden habe. Ab Antragstellung im März 2009 bis zur Bescheidung am 23.02.2010 habe die Verfahrensdauer allein in der Hand des Beklagten gelegen. Ohne Vorliegen eines bestandskräftigen Hauptbetriebsplanes sei die Klägerin schon aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, im Bewilligungsfeld Rohstoffe zu gewinnen. Die Zeiträume des laufenden Widerspruchsverfahrens sowie des am VG Braunschweig anhängig gemachten Klageverfahrens dürften ebenfalls nicht mit eingerechnet werden, zumal die angefochtenen Nebenbestimmungen einer sinnvollen Planung entgegengestanden hätten. Die Klägerin könne nicht darauf verwiesen werden, die Gewinnung in dem zugelassenen Abbaufeld währenddessen fortzusetzen, da sie mit dem Rechtsstreit die Verlängerung des ursprünglich beantragten Hauptbetriebsplans verfolgt habe. Dieser sei Grundlage ihrer Planungen gewesen. Es könne nicht sein, dass die Klägerin während des anhängigen Rechtsstreits eine Verlängerung der eingeschränkten Zulassung des Hauptbetriebsplans hätte beantragen müssen, obgleich sie gegen den Zulassungsbescheid Rechtsmittel erhoben hätte. Stattdessen habe sie folgerichtig erst nach Ende der Rechtshängigkeit am 10.09.2015 einen Verlängerungsantrag (der tatsächlich als neuer Antrag zu betrachten sei) gestellt. Durch die andauernden außergerichtlichen Gespräche habe der Beklagte den Rechtsschein gesetzt, dass ein Konsens gefunden werden könne. Deshalb habe die Klägerin auf Anraten des Verwaltungsgerichts das Ruhen des Verfahrens beantragt. Der Beklagte habe dem zugestimmt und das Gericht habe die Zweckmäßigkeit der Ruhensanordnung bejaht – mithin hätten auch beide Erfolgsaussichten für die außergerichtlichen Gespräche gesehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2015 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte zur Begründung u.a. aus: Angesichts der geringen Fördermenge im Juni 2009 und des gänzlichen Ausfalls in 2008 sowie ab 2010 sei eine regelmäßige Gewinnung schon seit Juli 2007 nicht mehr anzunehmen. Es sei nicht dargelegt, aus welchen konkreten technischen oder wirtschaftlichen Gründen die Unterbrechung erfolgt sei. Da die Klägerin in dem fraglichen Zeitraum in dem benachbarten Abbaufeld „OAM III“ kontinuierlich erhebliche Mengen Sand und Kies gefördert habe, sei es nicht plausibel, weshalb dies nicht auch im Feld „Weiße Bank“ möglich gewesen sein solle. Wenn eine Gewinnung in dem zugelassenen verkleinerten Abbaufeld weder technisch noch wirtschaftlich sinnvoll planbar gewesen sei, hätte die Klägerin eine gerichtliche Klärung herbeiführen müssen. Die diesbezüglichen Aktivitäten hätten sich jedoch in der Einreichung einer Klage ohne Begründung und in der Erklärung zum Ruhen des Verfahrens erschöpft. Nach Klageerhebung sei weder eine außergerichtliche Einigung betrieben noch seien neue Vorschläge zur Beendigung des Verfahrensstillstandes unterbreitet bzw. entsprechende Schritte unternommen worden. Im Rahmen der zwischenzeitlich geführten Gespräche habe der Beklagte immer betont, dass der Antrag ohne weitere naturschutzfachliche Untersuchungen nicht genehmigungsfähig sei. Mögliche Alternativen seien von der Klägerin zwar angesprochen, aber nicht weiterverfolgt worden. Hieraus folge, dass der Beklagte weder neue Perspektiven eröffnet noch einen Rechtsschein hinsichtlich der Fortsetzung des Abbaus gesetzt habe. Nach Ablauf der Geltungsdauer des Hauptbetriebsplanes am 28.02.2012 habe die Klägerin zwar ihr Interesse an einer Beibehaltung der Bewilligung bekundet, aber keinerlei Fortschritte in der Sache, insbesondere hinsichtlich des gebotenen Schutzes von Schweinswalen und Riffen unternommen. Dies gelte auch für den Verlängerungsantrag vom 09.09.2015.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Am 27.11.2015 hat die Klägerin Klage erhoben. Unter Bezugnahme auf ihren bisherigen rechtlichen Vortrag hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, das die Unterbrechungsgründe im Zeitraum seit der zuletzt beantragten Verlängerung des Hauptbetriebsplanes im März 2009 insbesondere im Verantwortungsbereich des Beklagten gelegen hätten. Darüber hinaus habe es für die Unterbrechung Gründe einer sinnvollen technischen oder wirtschaftlichen Planung gegeben, die im Widerspruchsverfahren bereits chronologisch dargelegt, aufgrund einer Vorfestlegung des Beklagten aber nicht berücksichtigt worden seien. Dabei handele es sich um unternehmerische Entscheidungen, die auf betriebswirtschaftlichen Erwägungen im Rahmen des Wettbewerbs beruhten. Die Entscheidung, die Gewinnung auf das nahe gelegene Bewilligungsfeld „OAM III“ zu konzentrieren, sei als marktstrategische Überlegung zu berücksichtigen, wie sie das Bergamt Stralsund in einem vergleichbaren Fall für das Feld „Adlergrund NO“ akzeptiert habe. Im Jahr 2014 habe der Beklagte die Klägerin darüber informiert, dass zur Verlängerung des Hauptbetriebsplanes für das Feld „OAM III“ ein Dialogprozess unter Beteiligung der Naturschutzverbände durchzuführen sei. Für die Klägerin sei absehbar gewesen, dass der Verlauf eines solchen Verfahrens auch für das Feld „Weiße Bank“ relevant werden würde. Daher habe sie mit Blick auf ihre Abbauplanung entschieden, zunächst nur das Hauptbetriebsplanverfahren „OAM III“ zu verfolgen. In Anbetracht der mehrfachen Zusicherung des Beklagten, die Bewilligung nicht widerrufen zu wollen, habe keine Veranlassung bestanden, über die diesbezüglichen wirtschaftlichen Überlegungen und Planungen zu berichten. Erst nachdem der Beklagte mit der Ankündigung, die Bewilligung zu widerrufen, den Konsensprozess beendet habe, sei es für die Klägerin zwingend gewesen, ihr wirtschaftliches Interesse am Fortbestand der Bewilligung durch den weiteren Antrag vom 09.09.2015 zu dokumentieren. Die Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Nebenbestimmungen im Bescheid vom 23.02.2010 und die Unterbrechung der Gewinnung über mehr als drei Jahre bei parallel geführten außergerichtlichen Verhandlungen und Beantragung von Erweiterungsflächen sei ebenfalls wirtschaftlich geboten gewesen. Schließlich habe der Beklagte die allgemeine (rohstoff-)wirt-schaftliche Situation als möglichen Unterbrechungsgrund nicht bzw. nur unzureichend gewürdigt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Außerdem gebe es für die Unterbrechung auch sonstige Gründe, die die Klägerin nicht zu vertreten habe, weil sie außerhalb ihrer Einflusssphäre lägen. So müsse eine rechtsmittelbedingte Unterbrechung für die gesamte Verfahrensdauer wirken, hier somit bis zur Einstellung des Verfahrens am 29.04.2015. Anderenfalls stelle ein länger als drei Jahre laufendes Verfahren ein unkalkulierbares Risiko für den Bestand der Bewilligung dar. Dauer und Ablauf des Verfahrens seien zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht vorhersehbar gewesen. Zu nennen seien außerdem die Greenpeace-Aktion ab August und bis über den November 2008 hinaus und vor allem die Einstufung des „Sylter Außenriffs“ als FFH-Gebiet sowie die sich daraus ergebenden fachlichen Differenzen zwischen dem Beklagten und dem BfN, die im letzten Zulassungsverfahren zu erheblichen Verzögerungen geführt hätten. Auch habe der politische Druck infolge der Gebietsausweisung und die Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland bei der EU-Kommission offenkundig Einfluss auf die Genehmigungspraxis des Beklagten gehabt, während die Klägerin weiterhin auf eine einvernehmliche Lösung vertraut habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Schließlich sei der Widerruf verspätet erfolgt. Anzuwenden sei die einjährige Widerrufsfrist des § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG. Sie beginne zu laufen, wenn dem zuständigen Sachbearbeiter alle für die Widerrufsentscheidung bedeutsamen Tatsachen bekannt seien. Die Widerrufsproblematik sei von der Klägerin bereits seit 2010 mehrfach angesprochen und mit der Behörde diskutiert worden. Wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben habe der Beklagte zudem das Widerrufsrecht verwirkt, da er der Klägerin seit 2010 in fortgesetzten Gesprächen den Eindruck vermittelt habe, sich über die Rahmenbedingungen verständigen zu können und die Bewilligung nicht widerrufen zu wollen. Schließlich sehe der Widerrufsbescheid keine Entschädigung gemäß § 49 Abs. 6 VwVfG vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">den Widerruf der Bewilligung für das Feld „Weiße Bank“ vom 20.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2015 aufzuheben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Er hat auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug genommen und geltend gemacht, dass in der Konzentration des Abbaus im Nachbarfeld „OAM III“ keine unternehmerische Entscheidung i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG erkannt werden könne. Einen legitimen Grund für eine auch längere Einstellung oder eine Konzentration auf ein bestimmtes Feld müsse zwecks Vermeidung einer unzulässigen Rohstoffbevorratung der Behörde mitgeteilt und mit präzisen Konzepten unterlegt werden. Dies sei nicht erfolgt. Die zum Vergleich angeführten Entscheidungen des Bergamtes Stralsund hätten einen anderen Hintergrund. Dort sei es nicht um genehmigungsrechtliche Hindernisse gegangen, sondern um die zeitliche Reihenfolge des Abbaus in zwei verschiedenen Feldern, in denen beiden in naher Zukunft habe abgebaut werden können. Der Dialogprozess für den Abbau im Feld „OAM III“ sei von der Landesregierung angestoßen worden, um die auch hier defizitäre FFH-Prüfung und das Beteiligungsdefizit mit Blick auf das Vertragsverletzungsverfahren zu korrigieren. Es zeige, dass sowohl Landesregierung als auch Beklagter am Abbau in diesem Feld festhalten wollten; dieser Dialogprozess aus dem Jahre 2015/2016 habe aber keine Vorbildwirkung für das Feld „Weiße Bank“.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Die anfangs vorhandenen Konflikte zwischen dem BfN und dem Beklagten sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen seien seit der Zulassungsentscheidung vom 23.02.2010 geklärt und der Klägerin bekannt gewesen. Auch wenn die eingeräumte Abbaufläche von 1,8 km² eine Gewinnung wirtschaftlich nicht ermöglicht haben sollte, erkläre dies nicht, aus welchen Gründen die Klägerin seit Februar 2012 nicht einen anderen Hauptbetriebsplan zur Genehmigung vorgelegt habe. Statt den gegen die Nebenbestimmungen anhängig gemachten Rechtsstreit aktiv mit inhaltlichem Gegenvorbringen zu führen, habe die Klägerin das Verfahren zum Ruhen gebracht. § 18 Abs. 3 BBergG solle die Führung eines Rechtsstreits zwar nicht dem Risiko eines Widerrufs aussetzen, doch dürfe ein zögerliches Prozessverhalten auch nicht über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben entscheiden. Es sei Sache des Unternehmers, den Bergbau aktiv voranzubringen. In den fünf Jahren seit Klageerhebung habe es keinen Fortschritt gegeben. Die Klägerin habe in dieser Zeit keine zielführenden Vorschläge oder Abbau-Alternativen vorgestellt. Auch die Anerkennung des „Sylter Außenriffs“ als FFH-Gebiet vermöge nicht zu erklären, warum acht Jahre später die erforderlichen natur- und artenschutzfachlichen Unterlagen nicht hätten vorgelegt werden können. Das laufende Vertragsverletzungsverfahren berühre oder behindere die Zulassung von Betriebsplänen unter Wahrung aktueller natur- und artenschutzrechtlicher Standards nicht. In dem ebenfalls vom Vertragsverletzungsverfahren betroffenen Feld „OAM III“ habe die Klägerin den Abbau denn auch weiter betrieben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Weisungen, politische Einflussnahmen oder eine Vorfestlegung aufseiten des Beklagten habe es nicht gegeben. Vielmehr habe sich schon im Jahre 2009 gezeigt, dass der Beklagte dem BfN fachlich nichts entgegenzusetzen habe. In der Folgezeit habe sich die Meinung herausgebildet, dass ein weiteres Zuwarten mit Blick auf § 18 Abs. 3 BBergG nicht zu vertreten sei und wegen des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens riskant erscheine. Bei Einleitung des Widerrufsverfahrens habe nicht mehr damit gerechnet werden können, dass die Klägerin noch einen genehmigungsfähigen Hauptbetriebsplan einreichen werde. Es sei zwar zutreffend, dass gegenüber der Klägerin lange Zeit signalisiert worden sei, einen Widerruf der Bewilligung nicht zu wollen. Es seien jedoch keine Zusagen gemacht worden. Die angeführten Gespräche seit dem Jahre 2010 hätten eingedenk der behördlichen Äußerungen auch nicht ein Vertrauen darauf begründen können, dass der Status Quo entgegen des Normbefehls des § 18 Abs. 3 BBergG unbegrenzt andauern werde. Aus der bloßen Untätigkeit einer Behörde könne sich keine Verwirkung eines Anspruchs ableiten lassen. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, welche Dispositionen die Klägerin im Hinblick auf das behauptete Vertrauen getroffen haben wolle.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Durch Urteil vom 30.03.2017 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Voraussetzungen für einen Widerruf der bergrechtlichen Bewilligung lägen vor. Ab August 2008 bis zum Ablauf der letzten Hauptbetriebsplanzulassung am 28.02.2012 hätten zwar ausreichende Unterbrechungsgründe gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG vorgelegen. Ab diesem Zeitpunkt bis zum Widerruf der Bewilligung mit Bescheid vom 20.08.2015 habe jedoch eine mehr als dreijährige Unterbrechung vorgelegen, für welche keine hinreichenden Gründe gegeben seien. Insbesondere seien unternehmerische Gründe i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 BBergG nicht ausreichend konkret dargelegt worden. So habe eine Konzentration auf das Feld „OAM III“ und die damit einhergehende Untätigkeit im Feld „Weiße Bank“ als unternehmerische Entscheidung betriebswirtschaftlicher Art dem Beklagten zur Kenntnis gegeben werden müssen, sei aber erstmals im Klageverfahren vorgetragen worden. Der Dialogprozess für das Feld „OAM III“ sei erst im Jahre 2014 angestoßen worden und habe im Übrigen keinen Einfluss auf ein Genehmigungsverfahren im Feld „Weiße Bank“. Erforderlich sei eine konkrete Auseinandersetzung auf der Grundlage eines vorgelegten Hauptbetriebsplanes für dieses Feld. Gleiches gelte für Beschwerdeverfahren bei der EU-Kommission; auch dieses mache eine konkrete Auseinandersetzung nicht entbehrlich. Insgesamt habe die Klägerin nach Ablauf des letzten zugelassenen Hauptbetriebsplanes am 28.02.2012 keine Aktivitäten entfaltet, um den weiteren Abbau voranzutreiben. Sie habe die Ursache für die weitere Unterbrechung selbst gesetzt, indem sie es unterlassen habe, einen Verlängerungsantrag zu stellen bzw. einen neuen Hauptbetriebsplan aufzustellen. Auf dieser Grundlage wäre es überhaupt erst möglich gewesen, die Gewinnung fortzusetzen und die rechtlichen Erwägungen des Beklagten – ggf. im Rechtswege – zu klären. Die verbale Absichtserklärung, an der Bewilligung festhalten zu wollen, reiche zur Annahme einer wirtschaftlichen Planung nicht aus. Der vorliegende Fall sei mit den Fällen des Bergamtes Stralsund nicht vergleichbar, dort habe aus marktstrategischen Gründen ein Planfeststellungsverfahren abgewartet werden sollen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Auch sonstige Gründe i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 BBergG, die die Klägerin nicht zu vertreten gehabt habe, lägen für die Zeit nach dem 28.02.2012 nicht vor. Dies gelte – trotz ex ante-Betrachtung und Verfahrensleitung durch das Gericht – für den gesamten Zeitraum des anhängigen Rechtsstreits am VG Braunschweig (05.08.2010 bis 29.04.2015), den allein die Klägerin zum Stillstand gebracht habe. Analog §§ 204, 209 BGB könne eine Klageerhebung zwar die Drei-Jahres-Frist hemmen, doch ende die Hemmung im Falle einer Ruhensanordnung sechs Monate nach Antragstellung, mithin am 18.08.2011. Eine Hemmung wegen schwebender Vergleichsverhandlungen (§ 203 BGB) sei nicht eingetreten. Zum einen habe es über drei Jahre (bis zum 23.10.2013) keinerlei Gespräche gegeben, zum anderen sei es nicht um eine konkrete zukünftige Abbauplanung, sondern nur um die klägerische Versicherung gegangen, an der Bewilligung festhalten zu wollen. Über einen Widerruf sei nur am 23.10.2013 gesprochen worden; an der Besprechung am 17.03.2014 sei der Beklagte nicht beteiligt gewesen und im Telefonat vom 13.05.2014 sei es nur um die Konsequenzen der Aufgabe des Rahmenbetriebsplans gegangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Bei einer anzunehmenden Unterbrechung erst ab dem 28.02.2012 und der erfolgten Anhörung mit Schreiben vom 02.07.2015 komme es auf die (streitige) Geltung der einjährigen Widerrufsfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht an. Es liege auch kein Verstoß gegen Treu und Glauben bzw. eine Verwirkung der Widerrufsmöglichkeit durch den Beklagten vor. Dieser habe allenfalls unverbindliche Absichtserklärungen, aber keine Zusagen abgegeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Auf Antrag der Klägerin hat der Senat die Berufung wegen neuen Tatsachenvortrags durch Beschluss vom 23.02.2018 zugelassen. Zur Begründung ihrer Berufung führt die Klägerin aus, dass sie zu der Frage, welche Aktivitäten sie entwickelt habe, um den weiteren Abbau voranzutreiben, bislang nur exemplarisch vorgetragen habe. Ergänzend verweist sie auf den Inhalt ihres Zulassungsantrages und damit auf zahlreiche weitere Kontakte, Gespräche, E-Mail-Verkehre, Telefonate und Mitwirkungshandlungen ab Oktober 2010, die belegten, dass unternehmerische Gründe i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG vorlägen, aufgrund derer die Drei-Jahres-Frist erst im Jahre 2014 begonnen haben könne. Gegenstand der Gespräche seien nicht die zur Wirkungslosigkeit der Hauptbetriebsplanzulassung führenden Nebenbestimmungen im Zulassungsbescheid vom 23.02.2010, sondern die Suche nach alternativen Abbauflächen gewesen. Insoweit wird im Einzelnen auf den Inhalt der Begründung des Zulassungsantrages (Schriftsatz der Klägerin v. 11.09.2017, S. 7-23 mit Anl. K 26-32 = GA Bl. 162-178, 184-199) und der Berufung (Schriftsatz der Klägerin v. 11.09.2017, S. 7-23 mit Anl. K 33-44 = GA Bl. 222-224, 243-268 und v. 02.11.2018, S. 5/6 mit Anl. K 44-46 = GA Bl. 286, 286R, 290-292R) Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Des Weiteren verweist die Klägerin für den vom Verwaltungsgericht als maßgeblich angesehenen Zeitpunkt ab dem 28.02.2012 auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und macht nochmals geltend, dass sie die bezeichneten Maßnahmen getroffen habe, um die Rahmenbedingungen für eine weitere Hauptbetriebsplanzulassung zu klären. Ergänzend führt sie aus, dass zu einer sinnvollen technischen bzw. wirtschaftlichen Planung deshalb auch gehört habe, in Verfolgung einer Doppelstrategie nach weniger sensiblen Alternativflächen im Bewilligungsfeld zu suchen. Dies habe die Klägerin seit einem Gesprächstermin beim Beklagten am 19.10.2010 getan und zwecks Erhalt neuer Daten über alternative Potenzialräume außerdem ab 2011 am Projekt „Geopotenzial Deutsche Nordsee“ (GPDN) mitgewirkt. Insoweit habe die Drei-Jahres-Frist frühestens nach dem abschließenden Projektgespräch am 05.09.2013 beginnen können. Noch im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für das Hochspannungsgleichstromseekabel „COBRA-cable“ im Jahre 2015 habe die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie daneben eine langfristige Nutzung des Bewilligungsfeldes „Weiße Bank“ anstrebe. Der Beklagte habe dort klar zum Ausdruck gebracht, dass auch er eine einvernehmliche Lösung des Nutzungskonflikts zwischen der Rohstoffgewinnung und der Kabelverlegung befürworte. Dies habe die Klägerin in ihrem Verständnis bestärkt, dass zwischen den Beteiligten eine einvernehmliche Regelung naturschutzfachlicher Konflikte möglich sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Ein neuer Antrag ohne vorherige Erörterung der strittigen Rahmenbedingungen und Klärung von Alternativflächen hätte absehbar zu einem kostenträchtigen Rechtsstreit geführt und sei nicht förderlich gewesen. Diese Einschätzung sei dem Beklagten nicht nur bekannt gewesen, sondern nach Einschätzung der Klägerin von ihm auch geteilt worden. Auf eine neuerliche Antragstellung nach Ablauf der Zulassung am 28.02.2012 könne es auch deshalb nicht ankommen, weil die Klägerin zunächst auf die Beklagte zugegangen sei, um auf eine Verlängerung der Zulassung hinzuwirken. Die dabei geführte Erörterung innerer und äußerer Einflüsse sei, wie sich aus § 25 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ergebe, zu berücksichtigen und stehe einer fristauslösenden Untätigkeit entgegen. Die Aktivitäten der Klägerin seien damit konstant darauf gerichtet gewesen, zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären und sodann zielgerichtet einen neuen Antrag zu stellen, um die Gewinnung unter Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen wieder aufnehmen zu können. Dies sei als sinnvoller Planungsschritt zu berücksichtigen. Die in beiden Instanzen dargestellten Aktivitäten müssten im Übrigen auch insoweit, wie es sich nur um verbale Absichtserklärungen gehandelt habe, berücksichtigt werden. Gerade in frühen Entwicklungsphasen komplexer Planungen seien Absichtserklärungen elementare Prozesse für die weiteren Planungsschritte, insbesondere dann, wenn sie solche Willensbekundungen – wie hier vom Beklagten zunächst – auch akzeptiert würden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht habe die inhaltliche Reichweite des Unterbrechungsgrundes fehlerhaft auf „im Wesentlichen betriebswirtschaftliche Gründe im Rahmen des vorhandenen Wettbewerbs“ beschränkt, weshalb die Entscheidung der Klägerin, sich nach Ablauf der Zulassung am 28.02.2012 auf das Feld „OAM III“ zu konzentrieren, nicht berücksichtigt worden sei. Diese Konzentration sei der schwierigen Rechtslage und dem drohenden Vertragsverletzungsverfahren als regulatorische Rahmenbedingung geschuldet gewesen und damit ebenfalls planungsrelevant. Gleiches gelte für die Entscheidung, den Ausgang des Dialogprozesses für das Feld „OAM III“ abzuwarten, wozu der Beklagte der Klägerin sogar selbst geraten habe. Wie das Bergamt Stralsund zutreffend und in verallgemeinerungsfähiger Weise entschieden habe, könnte für den Fall, dass mehrere Bewilligungsfelder von denselben bzw. vergleichbaren naturschutzfachlichen oder sonstigen Konflikten betroffen seien, eine Unterbrechung der Gewinnung gerechtfertigt sein, wenn im Rahmen eines Verfahrens übertragbare Konflikte bewältigt würden. So liege es auch hier. Es sei einem Bewilligungsinhaber nicht zuzumuten, mehrere kostenintensive und mit ungewissem Ausgang behaftete Verfahren parallel zu führen. Auch sei eine Forcierung des Abbaus mit Blick auf den offenen Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens weder sachgerecht noch zielführend gewesen. Die Klägerin habe sich nicht auf den Vertrauensschutz einer vorangegangenen Genehmigung berufen und vor einer Entscheidung im Vertragsverletzungsverfahren keine vollendeten Tatsachen schaffen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Schließlich habe das im Hamburger Hafen gelegene und von der Klägerin angemietete Areal zur Aufbereitung, Fraktionierung und Veredelung des im Feld „Weiße Bank“ gewonnenen Rohkieses ab dem Jahr 2011 aus städtebaulichen Gründen in Teilschritten zurückgebaut und geräumt werden müssen; Bemühungen um geeignete Ersatzflächen im Hamburger Hafen für eine derart komplexe und genehmigungspflichtige Seekiesaufbereitungsanlage seien erfolglos geblieben. Einen Absatzmarkt für die aufbereiteten Rohstoffe habe es in B-Stadt auch noch nach Abschluss der Bauarbeiten an der BAB 1 gegeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Für die Zeit ab Ablauf der letzten Zulassung am 28.02.2012 hätten auch sonstige Unterbrechungsgründe i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 BBergG vorgelegen. Bei der Bewertung des Rechtsstreits am VG Braunschweig sei in Bezug auf die Ruhestellung des Verfahrens zu berücksichtigen, dass die Klägerin das Verfahren nicht allein zum Stillstand gebracht habe, sondern dass dies unter Mitwirkung des Beklagten geschehen sei und das Gericht entsprechend § 251 ZPO davon habe ausgehen müssen, dass eine Ruhensanordnung wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen zweckmäßig sei. Der Beklagte müsse folglich für eine außergerichtliche Lösung offen gewesen sein. Eine Hemmung durch schwebende Vergleichsverhandlungen sei schon vor dem 23.10.2013 eingetreten. Dies belegten die im einzelnen aufgeführten Gespräche, E-Mail-Verkehre, Telefonate und Mitwirkungshandlungen. Bereits am Tag der Antragstellung auf Ruhestellung am 17.02.2011 habe die Klägerin mit dem Beklagten auf der Grundlage ihrer Planungsstrategie ein Gespräch geführt, um die gebotenen einvernehmlichen Verhandlungen voranzubringen. Die Planungsstrategie sei dem Beklagten bekannt gewesen und er habe sie auch nicht sofort oder erkennbar abgelehnt; vielmehr habe bis zum 10.12.2014 ein ernsthafter Meinungsaustausch über den Anspruch auf Zulassung eines neuen Hauptbetriebsplanes sowie dessen Voraussetzungen stattgefunden, ohne dass der Beklagte eine etwa geänderte Auffassung im Sinne eines eindeutigen Schlusspunktes zum Ausdruck gebracht habe. Unschädlich sei, dass die Klägerin nebenher weitere Aktivitäten zur Suche nach Alternativflächen im Bewilligungsfeld entwickelt habe. Die diesbezüglichen Erörterungen mit dem BfN und die Mitwirkung am GPDN-Projekt belegten, dass die Mindestanforderungen für schwebende Vergleichsverhandlungen erfüllt seien.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Auch die Einstufung des „Sylter Außenriffs“ als FFH-Gebiet, der dadurch ausgelöste öffentliche Druck auf den Beklagten, die Beschwerde bei der EU-Kommission und die Einflussnahme des MELUR hätten dazu beigetragen, dass die Klägerin keinen formalen Antrag gestellt, sondern sich auf eine auf unterschiedliche Lösungsansätze gerichtete Planungsstrategie konzentriert habe. Dem Beklagten sei aus politischen Gründen eine Bindung oktroyiert worden, denn es zeige sich, dass es für die im Zulassungsbescheid vom 23.02.2010 aufgeführten Nebenbestimmungen keine rechtlich zwingenden Vorgaben des Europarechts gebe und die für den Widerruf zur Anwendung gebrachte Rechtsgrundlage zweckentfremdet worden sei. Tatsächlich sei es darum gegangen, das EU-Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden. Dies erkläre auch, weshalb der Beklagte die vielfältigen Bemühungen der Klägerin, die in konkrete Planungsschritte hätten münden sollen, nicht konstruktiv aufgegriffen habe. Dabei hätten neuere Gespräche zum Bewilligungsfeld „OAM III“ ergeben, dass der EU-Kommission nicht am Entzug der Bewilligung, sondern nur an rechtskonformen Genehmigungen, insbesondere an einer neuen FFH-Verträglichkeitsprüfung und einer Verbändebeteiligung gelegen sei. Ein entsprechendes Verfahren sei aktuell für das Bewilligungsfeld „OAM III“ im Rahmen der anstehenden Verlängerung verabredet worden. Derartige Spielräume gebe es auch für das Bewilligungsfeld „Weiße Bank“.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Schließlich habe die Klägerin die Äußerungen des Beklagten im Rahmen der geführten Gespräche nicht nur als unverbindliche Absichtserklärungen verstehen können, sondern als rechtsverbindlich interpretieren dürfen, so dass der Widerruf auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">das Urteil der 6. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 30.03.2017, Az. 6 A 179/15, zu ändern und den Widerruf der Bewilligung für das Feld „Weiße Bank“ vom 20.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2015 aufzuheben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Der rechtlichen Einschätzung des Verwaltungsgerichts für die Zeit ab Juli 2007 bis zum 28.02.2012 trete er nicht entgegen. Grund für die Unterbrechung der Gewinnungstätigkeit seit dem 28.02.2012 seien die unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten über die Nebenbestimmungen im letzten Zulassungsbescheid vom 23.02.2010 gewesen. Der hierzu geführte Rechtsstreit sei ohne Ergebnis geblieben. Zu einer Annäherung zwischen den Beteiligten oder gar einer Umsetzung der Nebenbestimmungen sei es nicht gekommen. Wegen dieses Stillstandes und vor dem Hintergrund des immer noch nicht abgeschlossenen Vertragsverletzungsverfahrens habe sich der Beklagte für den Widerruf entschieden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin verfolge offenbar eine Strategie, die daraus bestehe, viele Gespräche zu führen, Alternativen zu erörtern, jegliche potenziellen Erkenntnisquellen abzuwarten und die vom Gesetz geforderte Abbautätigkeit hinter anderen Abbauaktivitäten zurückzustellen. Dies rechtfertige eine Ausnahme vom Grundsatz des § 18 Abs. 3 Satz 1 BBergG nicht. Die von der Klägerin aufgeführten Gespräche, Telefonate etc. hätten sich im Austausch von Allgemeinplätzen und bekannten Positionen erschöpft und zu keinem konkreten Ergebnis, etwa zu konkreten Planungsschritten, geführt. Konkrete Projekte bzw. Alternativlösungen oder auch nur Teilschritte seien weder präsentiert noch erörtert worden. Auch habe es keine „Vergleichsverhandlungen“ gegeben. Für solche sei schon wegen des europarechtlichen Hintergrundes kein Raum gewesen. Die im Bescheid aufgeführten Nebenbestimmungen seien Folge der Einstufung des „Sylter Außenriffs“ als FFH-Gebiet und würden unabhängig vom Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens gelten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Die von der Klägerin verfolgte Doppelstrategie sei nachvollziehbar, müsse aber irgendwann auch zu Ergebnissen führen. Bei dem GPDN-Projekt handele es sich um eine geowissenschaftliche Informationsplattform diverser Behörden und Institute u.a. zu Bodenschätzen in der Nordsee. Die Teilnahme an diesem Projekt sei dem Beklagten gegenüber nur mündlich erwähnt worden. Eine in diesem Zusammenhang im Zeitraum 2011/2013 unternommene Suche nach alternativen Abbauflächen könne unter Umständen einen temporären Unterbrechungsgrund darstellen, doch müssten solche Bemühungen den normierten Voraussetzungen entsprechend zügig und intensiv betrieben und die Resultate der zuständigen Behörde vorgelegt werden. Hier sei offengeblieben, mit welcher Intensität die Klägerin ihre diesbezüglichen Aktivitäten betrieben habe und aus welchen Gründen sie damit trotz des abschließenden Gesprächs am 05.09.2013 erfolglos geblieben sei. Es sei nicht ersichtlich, warum es nicht möglich sein solle, auf bislang noch nicht zugelassenen Abbauflächen innerhalb des 440 km² großen Feldes Sand und Kies abzubauen. Das zitierte Planfeststellungsverfahren für das Hochspannungsgleichstromseekabel „COBRAcable“ habe mit dem streitgegenständlichen Verfahren nichts zu tun, so dass auch die dort getätigten Äußerungen von Behördenvertretern nicht in Bezug zu nehmen seien.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>In Bezug auf die Entscheidung der Klägerin, sich nach Ablauf der Zulassung am 28.02.2012 auf das Feld „OAM III“ zu konzentrieren, habe das Verwaltungsgericht zutreffend gefordert, dass eine unternehmerische Entscheidung betriebswirtschaftlicher Art im Rahmen des vorhandenen Wettbewerbs, sofern sie denn getroffen worden sei, dem Beklagten habe mitgeteilt werden müssen. Der Dialogprozess für den Abbau im Feld „OAM III“ sei angestoßen worden, um Beteiligungsdefizite zu korrigieren und der EU-Kommission ein Zeichen zu geben. Zwei- bis dreimal habe ein Gesprächskreis getagt. Die Klägerin habe ihre Aktivitäten vorgestellt. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit der dortige Austausch von Informationen und Meinungen für den Abbau im Feld „Weiße Bank“ von Relevanz oder Bedeutung sein solle. Eine Rechtfertigung für jahrelange Untätigkeit könne in dem Dialogprozess nicht gesehen werden. Der Fall des Bergamtes Stralsund sei, wie ausgeführt, mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar; außerdem habe das Bergamt die ihm von der Klägerin zugeschriebenen Feststellungen tatsächlich nicht getroffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Standort der Seekiesaufbereitungsanlage und der Einstellung der Gewinnungstätigkeit im Feld „Weiße Bank“ bestehe nicht. Bei vorausschauender Planung hätte die erforderliche Räumung der Anlage kein Hindernis für eine Fortsetzung des Abbaus darstellen dürfen. Eine Aufbereitung von Sand und Kies könne auch an anderer Stelle vorgenommen werden. Die Errichtung einer entsprechenden Anlage sei vergleichsweise unproblematisch und wenig kostenintensiv. Sie erfolge dort, wo sich der Absatzmarkt befinde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Wegen weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der beigezogenen Gerichtsakte des VG Braunschweig verwiesen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Entscheidungsgründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Der angefochtene Widerruf durch Bescheid vom 20.08.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2015 erweist sich als rechtmäßig; er verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Widerrufsbescheides ist vorbehaltlich abweichender Regelungen des materiellen Rechts der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 04.07.2006 - 5 B 90/05 -, juris Rn. 6 m.w.N.), hier des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2015.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Rechtsgrundlage des angefochtenen Widerrufs der Bewilligung nach § 8 BBergG ist § 18 Abs. 3 BBergG. Gemäß § 1 Abs. 2 BergRzustBehV SH ist der Beklagte sowohl für die Erteilung einer solchen Bewilligung als auch für deren Widerruf zuständig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BBergG ist eine Bewilligung zu widerrufen, wenn die Gewinnung nicht innerhalb von drei Jahren nach Erteilung der Bewilligung aufgenommen oder wenn die regelmäßige Gewinnung länger als drei Jahre unterbrochen worden ist (1.). Dies gilt gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG nicht, solange Gründe einer sinnvollen technischen oder wirtschaftlichen Planung des Bewilligungsinhabers es erfordern, dass die Gewinnung im Bewilligungsfeld erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen oder wiederaufgenommen wird oder wenn sonstige Gründe für die Unterbrechung vorliegen, die der Bewilligungsinhaber nicht zu vertreten hat (2.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>1. Als Gewinnung gilt nach § 4 Abs. 2 BBergG das Lösen oder Freisetzen von Bodenschätzen einschließlich der damit zusammenhängenden vorbereitenden, begleitenden und nachfolgenden Tätigkeiten. Ob eine Gewinnung vorliegt, bestimmt sich nach rein tätigkeitsbezogenen, objektiven Kriterien (Keienburg in: Boldt/Weller/Kühne/von Mäßenhausen, BBergG, 2. Aufl., 2016, § 4 Rn. 7). Vom Begriff der Gewinnung umfasst ist der eigentliche Abbau bzw. die Förderung vom Bodenschätzen und damit eine Tätigkeit, die sich nicht mehr als Aufsuchung i.S.d. § 4 Abs. 1 BBergG und noch nicht als Aufbereitung i.S.d. § 4 Abs. 3 BBergG darstellt (Keienburg a.a.O., § 4 Rn. 6). Zu den vorbereitenden und begleitenden Tätigkeiten zählen auch Untersuchungsmaßnahmen wie die Erkundung der Grundwasserverhältnisse (z.B. im Bergbau) oder vorbereitend die exakte Erkundung der Lagerverhältnisse (Keienburg a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.07.2018 - 2 L 96/16 -, juris Rn. 109). Wegen der bestehenden Betriebsplanpflicht nach § 51 Abs. 1 BBergG gehören die vorgenannten Tätigkeiten allerdings nur dann zur Gewinnung i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 1 BBergG, wenn sie von einem behördlich zugelassenen – und noch bestehenden – (Rahmen-)Betriebsplan umfasst sind. Zudem geht § 18 Abs. 3 BBergG von der tatsächlichen Aufnahme der Arbeiten und damit von einer bestehenden Zulassung von Betriebsplänen aus (vgl. OVG Sachsen-Anhalt a.a.O., Rn. 109 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Für die Frage, ob bzw. ab wann eine „Unterbrechung des regelmäßigen Gewinns“ vorliegt, kann mit dem Verwaltungsgericht auf andere, der Regelung des § 18 BBergG vergleichbare Regelungen über die Beendigung von öffentlich-rechtlichen Berechtigungen und Gestattungen wegen deren Nichtausnutzung zurückgegriffen werden, mit denen überlangen Bindungszeiten und Vorratsplanungen entgegengewirkt werden soll (Kühne in: Boldt/Weller/Kühne/von Mäßenhausen, BBergG, 2. Aufl., 2016, § 18 Rn. 15). Nach der herangezogenen Regelung des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG muss die Dauer der Betriebsunterbrechung mehr als drei Jahre „an einem Stück“ betragen, eine Addition mehrerer kürzerer Unterbrechungen kommt nicht in Frage (vgl. Laubinger in: Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, Stand Juni 2006, § 18 Rn. D8). Nach Wiederaufnahme des Betriebs beginnt die Drei-Jahres-Frist erneut zu laufen (Jarras, BImSchG, 11. Aufl., § 18 Rn. 8).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>2. Nach dem gesetzgeberischen Ziel der vorgenannten Regelung muss eine über dreijährige Unterbrechung der regelmäßigen Gewinnung grundsätzlich ausreichen, um festzustellen, dass der Inhaber der Berechtigung nicht bereit oder in der Lage ist, den mit der Erteilung der Bewilligung verfolgten, im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken nachzukommen, es sei denn, es liegt ein Ausnahmetatbestand nach § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG vor. Die Gründe einer sinnvollen technischen oder wirtschaftlichen Planung werden im Gesetz besonders hervorgehoben, um klarzustellen, dass darauf zurückzuführende Verzögerungen in keinem Falle vom Inhaber der Bewilligung zu vertreten sind (BT-Drs. 8/1315, S. 91; Kühne a.a.O., § 18 Rn. 18).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die Widerrufsgründe des § 18 BBergG stehen in einem engen Bezug zu der gemäß § 1 Nr. 1 BBergG beabsichtigten Ordnung und Förderung der Gewinnungstätigkeit, die letztlich dem öffentlichen Interesse an einer Sicherung der Rohstoffversorgung dient (Dammert/Brückner, ZfB 2014, 183). Über den allgemeinen Zweck der Beendigung einer öffentlich-rechtlichen Berechtigung wegen deren Nichtausnutzung hinaus kommen vorliegend rohstoffwirtschaftliche Aspekte hinzu wie das sich gerade aus dem Förderzweck des § 1 Nr. 1 BBergG ergebende Gebot der Zügigkeit der Aufsuchung und Gewinnung (Kühne a.a.O., § 18 Rn. 15). Der Widerrufstatbestand und das entsprechende Verfahren sollen dazu beitragen, das von einer Bewilligung umfasste Feld möglichst intensiv und zügig auszubeuten (VG Chemnitz, Urt. v. 25.11.1999 - 2 K 561/98 - ZfB 2000, 66, 71).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Aus den vorgenannten Motiven und Gesetzeszwecken ergibt sich, dass die Gewinnung von Bodenschätzen nicht allein im privaten Interesse des Unternehmers, sondern vorrangig im öffentlichen Interesse liegt. Die Bewilligung begründet für den Unternehmer nicht nur das Recht zum Tätigwerden, sondern vielmehr auch die Pflicht zu einem bestimmten Tätigwerden. Dem Widerruf kommt damit die Funktion einer Gegensicherung zu, um über den Zeitpunkt der Bewilligungserteilung hinaus für die Wirtschaftsordnung nicht hinnehmbare Nachteile vermeiden zu können; sie wird als Instrument zur Anpassung des bergbaulichen Konzessionssystems an die jeweilige Entwicklung betrachtet (VG Chemnitz a.a.O., S. 70; Dammert/Brückner, ZfB 2014, 183, 190).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>III.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Der Senat lässt offen, ob der Widerruf der Bewilligung schon auf eine Unterbrechung der regelmäßigen Gewinnung für die Zeit bis zum Ablauf des zuletzt am 23.02.2010 zugelassenen Hauptbetriebsplanes am 28.02.2012 gestützt werden kann. Hierauf kommt es nicht an. Eine Unterbrechung der regelmäßigen Gewinnung länger als drei Jahre ist gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 BBergG jedenfalls für die Zeit seit Ablauf der letzten Zulassung am 28.02.2012 gegeben (1.), ohne dass sich die Klägerin mit Erfolg auf einen Ausnahmetatbestand des § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG berufen kann (2.). Dies gilt auch angesichts der von der Klägerin neu vorgebrachten Tatsachen, die der Senat gemäß § 128 Abs. 2 VwGO im Berufungsverfahren zu berücksichtigen hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>1. Seit dem 28.02.2012 hat (weiterhin) eine Unterbrechung der regelmäßigen Gewinnung i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 1 BBergG vorgelegen. Dies war schon deshalb der Fall, weil die zeitliche Geltung des zuletzt zugelassenen Hauptbetriebsplanes mit dem 28.02.2012 abgelaufen war und tatsächlich auch keine Gewinnungstätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 1 BBergG mehr stattgefunden hatte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>2. An der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass diese Unterbrechung länger als drei Jahre währte, ohne dass sich die Klägerin auf einen Ausnahmetatbestand nach § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG berufen kann, ist festzuhalten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>a. Gründe einer „sinnvollen technischen oder wirtschaftlichen Planung", die eine Wiederaufnahme der Gewinnungstätigkeit im Feld „Weiße Bank“ hinderten, sind nicht erkennbar geworden. Erforderlich ist insoweit zum einen, dass solche Gründe einer sinnvollen technischen oder wirtschaftlichen Planung tatsächlich vorliegen und zum anderen, dass sie für den Aufschub der wieder aufzunehmenden Gewinnungstätigkeit kausal geworden sind (Dammert/Brückner a.a.O., S. 191). Um den Lauf der Drei-Jahres-Frist folgenlos unterbrechen zu können, bedarf es einer kontinuierlichen Durchführung der für die Wiederaufnahme der Gewinnungstätigkeit erforderlichen Schritte. Berücksichtigungsfähig sind insoweit die unternehmerische Konzeption für die Gewinnungstätigkeit und solche notwendigen Tätigkeiten, die auf eine technische und wirtschaftlich sachgemäße Betriebsplanung und Betriebsführung gerichtet sind (Dammert/Brückner a.a.O., S. 191, 188 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Insoweit ist vorab festzustellen, dass der Wiederaufnahme der Gewinnungstätigkeit wegen der Betriebsplanpflicht des § 51 Abs. 1 BBergG zunächst ein rechtlicher und kein technischer oder wirtschaftlicher Grund entgegenstand, weil die Klägerin rechtzeitig vor Ablauf des letzten Hauptbetriebsplanes am 28.02.2012 keinen Verlängerungsantrag gestellt hatte. Die Ursache für eine dadurch bedingte fortdauernde Unterbrechung hat die Klägerin selbst gesetzt. Die in § 52 Abs. 4 Satz 2 BBergG vorgesehene Möglichkeit der Verlängerung eines Hauptbetriebsplanes bedarf eines entsprechenden Antrages durch den Unternehmer; eine neuerliche Zulassung von Amts wegen kommt nicht in Betracht (von Hammerstein in: Boldt/Weller/Kühne/von Mäßenhausen, BBergG, 2. Aufl., 2016, § 51 Rn. 2, § 52 Rn. 116; vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.07.2018 - 2 L 96/16 -, juris Rn. 59). Der mit Schreiben vom 09.09.2015 gestellte Verlängerungsantrag geht schon deshalb ins Leere, weil der vorherige Hauptbetriebsplan zu diesem Zeitpunkt bereits seit dreieinhalb Jahren abgelaufen war und deshalb ein neu zuzulassender Hauptbetriebsplan aufzustellen und vorzulegen gewesen wäre. Für die Zeit nach dem 28.02.2012 ist auch kein neuer Hauptbetriebsplan aufgestellt und dessen Neuzulassung beantragt worden, wie es § 51 Abs. 1 BBergG gebietet. Dabei kann sich die Klägerin nicht auf einen bereits mit Schreiben vom 10.03.2010 gestellten und unbearbeitet gebliebenen Antrag auf Erweiterung der Abbauflächen in den Bereichsfeldern 3 und 5 berufen, denn ausweislich des genannten Schreibens wurde eine solche Erweiterung lediglich „zur Diskussion gestellt“; es ist auch nicht ersichtlich, dass die hierfür nach Auskunft des Beklagten benötigten Untersuchungen durchgeführt und die erforderlichen Unterlagen vollständig vorgelegen hätten. Soweit mit Schreiben vom 09.09.2015 die (Neu-)Zulassung der Kies- und Sandentnahme aus dem Bereichsfeld 7 beantragt worden war, ist weder den beigezogenen Verwaltungsvorgängen noch dem Vortrag der Beteiligten zu entnehmen, dass insoweit ein Hauptbetriebsplan oder auch nur ein Entwurf dessen vorgelegt worden wäre, mit dem sich der Beklagte konkret hätte befassen können bzw. müssen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>Dass sich die Klägerin kontinuierlich um die Beseitigung dieses rechtlichen Hindernisses bemüht und hierfür ergebnisorientierte Tätigkeiten einer wirtschaftlich sachgemäßen Betriebsplanung unternommen hätte, vermag der Senat auch unter Berücksichtigung der neu vorgetragenen Tatsachen nicht zu erkennen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>aa. Gründe einer sinnvollen technischen oder wirtschaftlichen Planung können sich zunächst aus den konkreten technischen und wirtschaftlichen Umständen des Einzelfalles ergeben (BT-Drs. 8/1315, S. 91; Kühne a.a.O., § 18 Rn. 18; Dammert/Brückner a.a.O., S. 191).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>(1) Die von der Klägerin als vorrangig angeführte Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllt die Anforderungen auch unter Berücksichtigung der behördlichen Pflichten aus § 5 BBergG i.V.m. § 25 Abs. 2 VwVfG nicht. Diese Erörterungspflicht bezieht sich nicht auf die verbindliche Vorabklärung der Genehmigungsfähigkeit eines konkreten Antrages, sondern nur auf die Erörterung bzw. Beratung, welche Nachweise und Unterlagen der Antragsteller beizubringen hat, um eine schnelle Abwicklung des Verfahrens zu ermöglichen (Ruthig in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl., § 25 Rn. 17, 17a). Dieser Pflicht ist der Beklagte regelmäßig nachgekommen, ohne dass dies jedoch zu einer Beschleunigung geführt hätte. Seit der letzten Zulassung am 23.02.2010 war der Klägerin darüber hinaus auch bekannt, dass sich der Beklagte der Rechtsauffassung des BfN zur Fortführung der Abbautätigkeit in den bis dahin betriebenen Bereichsfeldern 3 und 5 angeschlossen hatte. Dass die Klägerin damit nicht einverstanden war und versuchte, für die Zukunft durch Vorab-Gespräche eine für sie günstigere Lösung zu finden, bevor kostenträchtige Rechtsstreitigkeiten geführt würden, ist für sich betrachtet als Planungsschritt zwar nachvollziehbar und tatsächlich wohl auch kausal für den weiteren Stillstand, führte aber über mehrere Jahre zu keinen konkreten Ergebnissen. Wegen der im öffentlichen Interesse bestehenden Pflicht zu intensiven und zügigen Bemühungen um eine Wiederaufnahme der Abbautätigkeit kann dieses Anliegen allerdings nicht als ein ausreichender, den konkreten wirtschaftlichen Gegebenheiten geschuldeter Grund i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG anerkannt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>Den bereits vom Verwaltungsgericht behandelten Gesprächen vom 23.10.2013, 17.03.2014 und im Telefonat vom 13.05.2014 ist ebenfalls nicht zu entnehmen, welche konkreten Schritte die Klägerin hätte geplant haben können, um die Gewinnungstätigkeit wieder aufzunehmen. Insoweit kann gemäß § 130b Satz 2 VwGO auf die Gründe des angefochtenen Urteils (Umdr. S. 13) Bezug genommen werden. Im Übrigen mögen verbale Absichtserklärungen gerade in frühen Entwicklungsphasen erforderlich sein, doch war dieses Stadium für das Bewilligungsfeld „Weiße Bank“ seit Abschluss des Planfeststellungsverfahrens Ende 2002 lange überschritten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Entsprechendes gilt unter Berücksichtigung der beschriebenen Doppelstrategie, aufgrund derer sich die Klägerin nicht nur um die Klärung der für sie problematischen – laut Beklagtem unverrückbaren – Nebenbestimmungen aus dem letzten Zulassungsbescheid bemühte, sondern seit Oktober 2010 zugleich die Zulassung des Abbaus auf alternativen, weniger sensiblen Ersatzflächen innerhalb des Bewilligungsfeldes thematisierte. Wenn die Verlängerung des bisherigen oder die neuerliche Aufstellung eines entsprechenden Hauptbetriebsplanes für die Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Frage gekommen wäre, hätte es nahe gelegen, die Anfechtung der Nebenbestimmungen beim VG Braunschweig inhaltlich voranzubringen und deren Rechtmäßigkeit verbindlich und für die Zukunft feststellen zu lassen, statt die „rechtlichen Rahmenbedingungen“ außergerichtlich und in unverbindlich bleibenden Gesprächen klären zu wollen. Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass nach Erledigung der angefochtenen Nebenbestimmungen durch Zeitablauf auch die Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage in Frage gekommen wäre. Alternativ hätte die Klägerin einen anderen Hauptbetriebsplan oder wenigstens einen Entwurf zur Vorprüfung vorlegen können, etwa zu den von ihr in Erwägung gezogenen Ersatzflächen, für die sie auch bereits über erste Datenauswertungen verfügte. Auf diesem Wege hätte sie vom Beklagten konkret formulierte Anforderungen erhalten können. Im Falle von Unklarheiten oder sachlichen Defiziten wäre der Antrag nicht sogleich abzulehnen, sondern es wären gemäß § 5 BBergG i.V.m. § 25 Abs. 2 VwVfG zunächst Nachbesserungen anzufordern gewesen (vgl. von Hammerstein a.a.O., § 52 Rn. 103). In Anbetracht dieser bereits vom Verwaltungsgericht aufgezeigten Möglichkeiten genügt der Verweis auf die mehrfach bekundete Absicht, am Bewilligungsfeld „Weiße Bank“ festhalten und insoweit nach langfristigen Lösungen suchen zu wollen – „daran geknüpft ... auch der Gedanke, nach etwaigen Alternativflächen“ (vgl. E-Mail der Klägerin an das BfN vom 16.12.2013 in Anl K 40, GA Bl. 255) – nicht aus, um eine Ausnahme vom gebotenen Widerruf zu begründen. Die weiteren Kontakte und Gespräche mit dem Beklagten dienten der gegenseitigen Information, dem Meinungsaustausch und der Erörterung alternativer Lösungsansätze sowie zu erwartender Rechtsfolgen weiterer Untätigkeit. Es ist aber nicht ersichtlich, dass diese zu konkreten Ergebnissen geführt hätten und dass das Ausbleiben konkreter Ergebnisse auf konkreten wirtschaftlichen Gegebenheiten beruhte. So verfügte die Klägerin für die etwaigen Alternativflächen zwar über Daten aus dem GPDN-Projekt und über Geofachdaten des BfN, hätte mit deren Hilfe aber nach ihrem eigenen Vortrag erst ab Ende März 2014 mögliche Potenzialflächen innerhalb und außerhalb des Feldes „Weiße Bank“ näher eingrenzen können. Dass die Klägerin diese Eingrenzung in der Folgezeit vorgenommen hätte und es insoweit zu konkreteren Ergebnissen gekommen wäre, ist nicht ersichtlich, ergibt sich insbesondere nicht aus den per E-Mail angekündigten Themen für ein weiteres Gespräch mit dem Beklagten am 09.07.2014; das Feld „Weiße Bank“ wird darin noch nicht einmal erwähnt (dazu GA Bl. 178 und Anl. K 42, GA Bl. 261).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_68">68</a></dt>
<dd><p>Die vorgetragene Mitwirkung an dem GPDN-Projekt in der Zeit von Ende 2011 bis Oktober 2013 kann, wie auch der Beklagte einräumt, zur Klärung der tatsächlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf alternative Potenzialräume für eine weitere Hauptbetriebszulassung sinnvoll gewesen sein, belegt aber nicht, dass die Klägerin der Suche nach Alternativflächen zügig und intensiv nachgegangen ist und dass gerade die Mitwirkung an diesem Projekt es erfordert hätte, die gebotenen Schritte zur Schaffung der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Abbaus im Feld „Weiße Bank“ zu veranlassen. Immerhin hatte der Beklagte die Klägerin schon im April 2010 darauf hingewiesen, dass wegen des neuen Bundesnaturschutzgesetzes weitere spezielle Untersuchungen erforderlich seien und empfohlen, die beiden Teilfelder I und II unter Einschaltung eines Fachbüros für Naturschutz und Beteiligung des BfN insgesamt nochmals gezielt zu untersuchen. Dies aber hat die Klägerin auch nach Abschluss des Projekts im Oktober 2013 nicht weiter verfolgt. Stattdessen teilte sie dem Beklagten am 23.10.2013 mit, dass sie nunmehr Alternativflächen außerhalb des Natura-2000-Gebietes suchen wolle und die Aktivitäten im Feld „Weiße Bank“ für die Dauer anderweitiger Zulassungen zum Ruhen bringen könne.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_69">69</a></dt>
<dd><p>Dass die Klägerin im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für das Hochspannungsgleichstromseekabel „COBRAcable“ im Jahre 2015 zum Ausdruck gebracht habe, eine langfristige Nutzung des Bewilligungsfeldes „Weiße Bank“ anzustreben und Ausführungen zur Fortsetzung der Gewinnung gemacht habe, ist der als Anl. K 44 eingereichten Niederschrift vom 05.11.2015 (GA Bl. 264) schon nicht zu entnehmen. Selbst wenn dem aber so gewesen sein sollte, führt dies nicht weiter. Es ist nicht ersichtlich, welche entscheidungserhebliche Relevanz der einem Beklagten-Vertreter zugeschriebenen Äußerung über die einvernehmliche Lösung des Nutzungskonflikts zwischen der Rohstoffgewinnung und der Kabelverlegung nach den obigen Ausführungen zukommen sollte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_70">70</a></dt>
<dd><p>Aus den vorgenannten Gründen kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie zur Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen den Ausgang des gegen die Bundesrepublik Deutschland angestrengten EU-Vertrags-verletzungsverfahrens habe abwarten dürfen. Gegenstand des Verfahrens ist zwar der Rechtsrahmen für den weiteren Abbau in der Außenwirtschaftszone der Nordsee, doch machte und macht dies eine konkrete Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten einer weiteren Zulassung des Abbaus im Feld „Weiße Bank“ durch Aufstellung eines neues Hauptbetriebsplanes nicht entbehrlich, solange die Klägerin an diesem Feld festhält. Dass ein rechtmäßiger Abbau selbst bei Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr möglich sein sollte, behauptet sie selbst nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_71">71</a></dt>
<dd><p>(2) Die von der Klägerin vorgenommene Konzentration der Abbautätigkeit auf ihr Bewilligungsfeld „OAM III“ erfüllt die Anforderungen des Ausnahmetatbestandes ebenfalls nicht. Fragwürdig ist bereits, ob darin eine Entscheidung gesehen werden kann, die auf eine wirtschaftlich sachgemäße Betriebsplanung und Betriebsführung gerichtet ist, wenn sich die Klägerin insoweit auf planungsrelevante „regulatorische Rahmenbedingungen“ beruft, mithin auf eine ihrer Meinung nach schwierige Rechtslage und den noch offenen Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens. Mit dem Verwaltungsgericht wäre aber auf jeden Fall zu fordern, dass diese Entscheidung dem Beklagten hätte zur Kenntnis gegeben werden müssen. Dies ergibt sich aus dem unter II.2. beschriebenen Gesetzeszweck (§ 1 Nr. 1 BBergG), der eine Förderung der Gewinnungstätigkeit zwecks Sicherung der Rohstoffversorgung und zwecks Vermeidung einer unzulässigen Vorratshaltung verlangt. Die Einhaltung des daraus abzuleitenden Gebotes einer zügigen Aufsuchung und Gewinnung kann die zuständige Behörde nur sicherstellen, wenn sie über die getroffenen unternehmerischen Entscheidungen informiert wird und diese mit ihr abgestimmt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.03.2011 - 7 C 4.10 - juris Rn. 21). Ebenso wenig anzuerkennen ist die von der Klägerin geltend gemachte Vorgreiflichkeit des erst im Jahre 2014 angestoßenen Dialogprozesses für das Feld „OAM III“. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit dieser Prozess, der nach unbestrittenem Vortrag des Beklagten lediglich dem Austausch von Informationen und Meinungen im Rahmen eines Gesprächskreises gedient hat, auf ein anzustrebendes Zulassungsverfahren für das streitgegenständliche Bewilligungsfeld „Weiße Bank“ Auswirkungen hätte haben sollen. Auch insoweit gilt, dass die Gewinnungsmöglichkeiten auf der Grundlage eines neu aufgestellten Hauptbetriebsplanes oder jedenfalls eines entsprechenden Entwurfs deutlich zielgerichteter hätten erörtert und bewertet werden können und müssen, solange die Klägerin an der Bewilligung für dieses Feld festhalten will.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_72">72</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen können die geltend gemachten unternehmerischen Entscheidungen, sich im Rahmen eines wirtschaftlichen Gesamtkonzeptes vorerst auf eines von mehreren Abbaugebieten zu konzentrieren bzw. verschiedene, selbständig zuzulassende Abbauvorhaben rechtlich miteinander zu verknüpfen, i.R.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG keine Anerkennung finden. Überzeugend weist das VG Chemnitz darauf hin, dass die Akzeptanz einer solchen Verknüpfung dem zitierten und auch in § 18 Abs. 3 BBergG zu berücksichtigenden Gesetzeszweck einer möglichst zügigen und intensiven Ausbeutung zuwiderliefe (Urt. v. 25.11.1999 a.a.O., S. 72, in diese Richtung auch VG Halle, Urt. v. 22.01.2014 - 5 A 157/13 - ZfB 2014, 219 ff., juris Rn. 55; a.A. Dammert/Brückner a.a.O., S. 189). Ohne Erfolg verweist die Klägerin deshalb auf behördliche Entscheidungen des Bergamtes Stralsund. Ausweislich der mit Anl. K 24 und 25 vorgelegten Bescheide vom 10.09.2012 und 03.03.2016 ging es dort um die parallele Führung zweier aufwändiger Planfeststellungsverfahren, die die Klägerin aus wirtschaftlichen bzw. marktstrategischen Gründen nicht gleichzeitig führen wollte. Abgesehen davon, dass diese behördlichen Entscheidungen für das vorliegende Verfahren nicht verbindlich sein können, findet sich darin auch keine verallgemeinerungsfähige Aussage, wonach bei mehreren von denselben bzw. vergleichbaren naturschutzfachlichen oder sonstigen Konflikten betroffenen Bewilligungsfeldern eine Unterbrechung der Gewinnung deshalb gerechtfertigt sei, wenn im Rahmen eines Verfahrens übertragbare Konflikte bewältigt würden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_73">73</a></dt>
<dd><p>(3) Einen entscheidungserheblichen Zusammenhang zwischen der seit Ende 2011 zurückgebauten und für die Aufbereitung der aus der Nordsee stammenden Rohstoffe weggefallenen Seekiesaufbereitungsanlage im Hamburger Hafen mit dem fortdauernden Unterbleiben klägerischer Bemühungen um eine Wiederaufnahme der Gewinnung im Bewilligungsfeld „Weiße Bank“ vermochte die Klägerin nicht überzeugend darzulegen. Schon der Umstand, dass dieses Argument erstmalig im Berufungsverfahren geltend gemacht wird, spricht gegen einen Kausalzusammenhang. Die Klägerin vermochte im Übrigen nicht zu erklären, warum eine Kiesgewinnung im Nachbarfeld „OAM III“ davon offensichtlich nicht betroffen gewesen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_74">74</a></dt>
<dd><p>bb. Ob für die wirtschaftliche Planung i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG auch die allgemeine wirtschaftliche Situation von Bedeutung sein kann, so dass auch unternehmerische Entscheidungen zu berücksichtigen wären, die auf allgemeinen betriebswirtschaftlichen / marktstrategischen Erwägungen im Rahmen des Wettbewerbs beruhen, ist umstritten (so BT-Drs. 8/1315, S. 91; Kühne a.a.O., § 18 Rn. 18, Dammert/Brückner a.a.O., S. 191; ablehnend VG Halle a.a.O. juris Rn. 54, dem ausdrücklich folgend OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 08.06.2015 - 2 L 20/14 - ZfB 2015, 259 ff., juris Rn. 15 ff. unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 03.03.2011 - 7 C 4.10 -, juris Rn. 12 ff.). Die Frage bedarf vorliegend jedoch keiner abschließenden Klärung. Denn die Klägerin beschränkt sich insoweit auf den unergiebigen Hinweis, dass der Beklagte es versäumt habe, dies zu prüfen. Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen allgemeinwirtschaftlich bedingter Entscheidungen und deren Kausalität für das Unterbleiben weitergehender Bemühungen um die Gewinnung gerade im Bewilligungsfeld „Weiße Bank“ hat sie auch in der mündlichen Verhandlung nicht angeführt. Bei Vorliegen einer über dreijährigen Unterbrechung der regelmäßigen Gewinnung kann es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht Sache der widerrufenden Behörde sein, ein etwaiges Eingreifen von Ausnahmetatbeständen nach § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG von Amts wegen zu ermitteln, ohne dass hierfür konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Um eine Amtsermittlungspflicht auszulösen, ist es vielmehr zunächst Sache des Bewilligungsinhabers, zu den von ihm als maßgeblich erachteten und zu seinen Gunsten sprechenden Aspekten konkrete Anhaltspunkte vorzutragen. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus den unter II.2. dargestellten Grundsätzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_75">75</a></dt>
<dd><p>b. Sonstige Gründe, die der Unternehmer nicht zu vertreten hat (§ 18 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 BBergG), sind solche, die außerhalb seiner Einflusssphäre liegen (BT-Drs. 8/1315, S. 91; Kühne a.a.O., § 18 Rn. 18; Dammert/Brückner a.a.O., S. 193) und die den Unternehmer daran hindern, die zur (Wieder-)Aufnahme der Gewinnung erforderlichen Schritte wie z.B. die Einreichung eines den Vorschriften des Gesetzes entsprechenden Betriebsplanes einzuleiten; Gründe, die allein gegen die Durchführung der Maßnahme sprechen, zählen hierzu nicht (VG Halle a.a.O., Rn. 56).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_76">76</a></dt>
<dd><p>aa. Die Erhebung einer Anfechtungsklage am VG Braunschweig am 05.08.2010 gegen die Nebenbestimmungen im Zulassungsbescheid vom 23.02.2010 und der während dieses Rechtsstreits verstrichene Zeitraum bis zum Einstellungsbeschluss vom 29.04.2015 stellen im Ergebnis keine außerhalb der Einflusssphäre der Klägerin liegenden, von ihr nicht zu vertretenden Gründe dar, die den Lauf der Drei-Jahres-Frist des § 18 Abs. 3 Satz 1 BBergG unterbrechen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_77">77</a></dt>
<dd><p>Ob in einem solchen Fall Raum für eine analoge Anwendung der Verjährungsregelungen des BGB (Buch 1, Abschn. 5, §§ 194 bis 225 BGB) ist, erscheint in dieser Allgemeinheit schon zweifelhaft. In der Rechtsprechung wird eine Anwendung der Verjährungsregelungen auf öffentlich-rechtliche Vermögens- oder sonstige Ansprüche zwar bejaht (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.03.2017 - 10 C 3.16 -, juris Rn. 16 und v. 15.07.2016 - 9 A 16/15 -, juris Rn. 40; Beschl. v. 20.01.2014 - 2 B 2/14 -, juris Rn. 8; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.08.2018 - 1 A 11843/17 -, juris Rn. 29), doch enthält § 18 Abs. 3 BBergG weder einen der Verjährung unterliegenden öffentlich-rechtlichen Anspruch noch eine Verjährungsbestimmung. Inhalt und Anliegen dieser speziellen fachgesetzlichen Vorschrift ist vielmehr die Beendigung einer öffentlich-rechtlichen Berechtigung bzw. Gestattung wegen deren Nichtausnutzung, um einer Vorratshaltung an Rohstoffen entgegenzuwirken. Der Widerruf und der Lauf der Drei-Jahres-Frist ist zwingend vorgeschrieben und zu beachten. Zweifel sind außerdem mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen geboten. Denn während die Drei-Jahres-Frist des § 18 Abs. 3 Satz 1 BBergG nach Wiederaufnahme des Betriebs bzw. der erforderlichen Bemühungen erneut zu laufen beginnt (s.o. zu II.1.), wäre der Zeitraum, während dessen der Lauf einer Verjährungsfrist gehemmt ist, entsprechend § 209 BGB nur nicht in die Drei-Jahres-Frist einzurechnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_78">78</a></dt>
<dd><p>(1) Dennoch gehen die Beteiligten und das Verwaltungsgericht zutreffend davon aus, dass sich ein Unternehmer grundsätzlich nicht dem Risiko des Widerrufs seiner Abbaubewilligung aussetzen muss, nur weil er von der Möglichkeit Gebrauch macht, gegen ihn belastende Maßnahmen um Rechtsschutz nachzusuchen. Als „sonstiger Grund“ i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG geltend gemacht hätte die Klägerin diesen mit Blick auf die gesamte Dauer des Verfahrens vor dem VG Braunschweig allerdings selbst zu vertreten, da sie das Klageverfahren von Beginn an nicht ernsthaft betrieb und es schließlich selbst zum Stillstand brachte, so dass sich die Sache wegen Zeitablaufs erledigte. Dies kann bei der Bemessung der Dauer einer Unterbrechung schon angesichts der unter II.2. dargestellten allgemeinen Grundsätze, insbesondere des Zügigkeitsgebotes aus § 1 Nr. 1 BBergG nicht unberücksichtigt bleiben. Der Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass ein zögerliches Prozessverhalten nicht über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben entscheiden darf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_79">79</a></dt>
<dd><p>Nichts anderes ergäbe sich im Übrigen aus einer analogen Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB und einer angenommenen Hemmung der Drei-Jahres-Frist durch Rechtsverfolgung. Insoweit kann nochmals auf die zutreffenden Gründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils (Umdr. S. 14) Bezug genommen werden. Auch hier geht es darum, dass der Eintritt der gehemmten Rechtsfolge – die Verjährung – nicht auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben wird. Erfasst werden Fälle, in denen die Parteien ohne triftigen Grund untätig bleiben, wobei es im Interesse der Rechtssicherheit auf die nach außen erkennbar werdenden Umstände des Verfahrensstillstandes im Verantwortungsbereich der Parteien ankommt (Grothe in: MüKo BGB, 8. Aufl., § 204 Rn. 74, 75). Grund des Verfahrensstillstandes ist bei die Ruhensanordnung im Übrigen der übereinstimmende Antrag der Parteien oder ihr tatsächliches Nichtverhandeln, nicht aber der gerichtliche Beschluss (vgl. schon BGH, Urt. v. 21.02.1983 - VIII ZR 4/82 (KG) -, NJW 1983, 2496, 2497; Grothe a.a.O., Rn. 76).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_80">80</a></dt>
<dd><p>(2) Aus den o.g. Gründen kommt für die Zeit des angeordneten Ruhens des Verfahrens bis zur Einstellung durch Beschluss vom 29.04.2015 auch eine Hemmung des Fristlaufs wegen schwebender Verhandlungen analog § 203 BGB von vornherein nicht in Betracht, da der Lauf der Drei-Jahres-Frist des § 18 Abs. 3 BBergG behördlicherseits weder verlänger- noch verhandelbar ist. Der Beklagte handelt nicht privatautonom, sondern ist als Organ einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft an Recht und Gesetz gebunden. Er hat auf die Einhaltung fachgesetzlicher Regelungen zu achten und verfahrensrechtliche Vorgaben einzuhalten. Wie die Klägerin an anderer Stelle zutreffend geltend macht, ist der Beklagte etwa zur Amtsermittlung verpflichtet (§ 24 VwVfG) und hat künftige Antragsteller schon vor Beginn eines Verwaltungsverfahrens zu beraten, Auskünfte zu erteilen und den Verfahrensablauf zu erörtern (§ 25 Abs. 1 und 2 VwVfG). Dies ist mit dem zivilrechtlich weit auszulegenden Verhandlungsbegriff (vgl. dazu nur BGH, Beschl. v. 31.01.2014 – III ZR 84/13 – BeckRS 2014, 03762, Rn. 8 m.w.N. und Grothe a.a.O., § 203 Rn. 5) nicht vereinbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_81">81</a></dt>
<dd><p>bb. Schließlich kann auch die politische Entwicklung seit der Erteilung der Bewilligung im Jahre 1999 und des Planfeststellungsbeschlusses über den Rahmenbetriebsplan der Klägerin Ende 2002 nicht als sonstiger Grund i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 BBergG anerkannt werden. Es trifft zwar zu, dass die Einstufung des „Sylter Außenriffs“ als FFH-Gebiet, die Einleitung eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland und die dazu geführten Gespräche auf Bundes- und Landesebene außerhalb der Sphäre der Klägerin liegen; aber auch dies hätte sie nicht daran gehindert, die zur Wiederaufnahme der Gewinnung im Feld „Weiße Bank“ erforderlichen Schritte wie z.B. die Aufstellung und Einreichung eines neuen Hauptbetriebsplanes einzuleiten oder jedenfalls einen Entwurf desselben vorzulegen. Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass sich dadurch die naturschutzrechtlichen Anforderungen an den weiteren Abbau von Rohstoffen erhöht haben, denn diese betreffen nur die Durchführung der Maßnahme. Ob nunmehr eine neue FFH-Verträglichkeitsprüfung unter Beteiligung der Naturschutzverbände durchzuführen ist, kann im Rahmen des anzustrebenden Zulassungsverfahrens geklärt werden. Dies trägt die Klägerin unter Verweis auf die zwischenzeitlich getroffenen Verabredungen für das Feld „OAM III“ selbst vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_82">82</a></dt>
<dd><p>Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die klägerischen Bemühungen nicht konstruktiv begleitet und allein auf politischen Druck gehandelt hätte, vermag der Senat im Übrigen nicht zu erkennen. Die Klägerin ist in den zahlreich geführten Gesprächen wiederholt auf die zu stellenden Anforderungen hingewiesen worden und es sind ihr Vorschläge unterbreitet worden, wie diese erfüllt werden könnten. Es ist nichts dagegen zu erinnern, sondern war sogar geboten, dass der Beklagte auf die gestiegenen naturschutzrechtlichen Anforderungen reagierte, so, wie dies auch durch Formulierung der Nebenbestimmungen im Zulassungsbescheid vom 23.02.2010 geschehen ist. Über die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme ist hier im Übrigen nicht zu befinden. Der Bescheid hat sich durch Zeitablauf erledigt, ohne dass die Klägerin von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte, ihre rechtlichen Bedenken im Rahmen der vor dem VG Braunschweig erhobenen Anfechtungsklage vorzubringen und eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Dass der Beklagte der Klägerin aus politisch-strategischer Sicht Ratschläge erteilte und etwa dazu riet, den Dialogprozess das Feld „Weiße Bank“ aufzugeben, um wenigstens das Feld „OAM III“ weiter betreiben zu können, ändert an den rechtlichen Vorgaben nichts. Dies musste auch der Klägerin klar sein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_83">83</a></dt>
<dd><p>3. Der im August 2015 ausgesprochene Widerruf erfolgte ohne Verstoß gegen die in § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG vorgesehene Jahresfrist, da diese Regelung vorliegend nicht anwendbar ist. Nach § 5 BBergG gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz nur, soweit im Bundesberggesetz nichts anderes bestimmt ist. Die Unanwendbarkeit einzelner Normen wie hier des § 49 VwVfG kann sich darüber hinaus mittelbar aus Sinn und Zweck der Regelung sowie aus dem Regelungszusammenhang ergeben (Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 49 Rn. 18a m.w.N.). So liegt es hier. Anders als nach § 49 VwVfG steht ein Widerruf nach § 18 Abs. 3 BBergG nicht im behördlichen Ermessen, sondern ist zwingend vorgeschrieben. Damit hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er einen gesetzwidrigen Zustand zum Schutz anderer Interessen nicht hinnehmen will (vgl. zum Waffenrecht BVerwG, Urt. v. 26.03.1996 - 1 C 12/95 -, juris Rn. 27). Entsprechend könnte einem Bewilligungsinhaber zwar in den Fällen des Widerrufs nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 VwVfG Vertrauensschutz zugebilligt werden, doch nicht im Falle der bergbauspezifischen Zulassung eines Widerrufs nach § 18 Abs. 3 BBergG und deren differenzierte Regelung. Sie schreibt den Widerruf einer Bewilligung zwingend vor. Die Tatsachen, die den Widerruf auslösen, liegen in der Sphäre des Bewilligungsinhabers und sind ihm bekannt. Da er deshalb mit der Möglichkeit eines Widerrufes rechnen muss, ist ein Vertrauensschutz nicht geboten (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.07.2018 - 2 L 96/16 -, juris Rn. 116 und Beschl. v. 08.06.2015 - 2 L 20/14 -, juris Rn. 10, 23; Piens/Schulte/Graf Vitzthum, BBergG, 1983, § 18 Rn. 14; offen gelassen, mit Neigung zur Unanwendbarkeit: VG Chemnitz, Urt. v. 25.11.1999 - 2 K 561/98 - ZfB 2000, 66, 70; a.A.: Kühne a.a.O., § 18 Rn. 20 ff., 37 und Dammert/Brückner a.a.O., S. 195).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_84">84</a></dt>
<dd><p>Mangels schutzwürdigen Vertrauens war entgegen der Auffassung der Klägerin auch keine Entschädigung nach § 49 Abs. 6 VwVfG vorzusehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>IV.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_85">85</a></dt>
<dd><p>Schließlich steht dem Widerruf nach § 18 Abs. 3 BBergG auch nicht das Rechtsinstitut der Verwirkung entgegen (dazu Dammert/Brückner a.a.O., S. 193 m.w.N.). Die Verwirkung als Hauptanwendungsfall des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, weil seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (Umstandsmoment) und damit eine Situation geschaffen wird, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (Vertrauensmoment) (BVerwG, Urt. v. 30.08.2018 - 2 C 10/17 -, juris Rn. 21 und v. 27.01.2010 - 7 A 8.09 -, juris, Rn. 26, beide m.w.N.; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.07.2018 - 2 L 96/16 -, juris Rn. 117 und Beschl. v. 08.06.2015 - 2 L 20/14 -, juris Rn. 24).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_86">86</a></dt>
<dd><p>Eine solche Fallkonstellation liegt hier nicht vor. Davon ausgehend, dass die Drei-Jahres-Frist des § 18 Abs. 3 Satz 1 BBergG mit Ablauf des Monats Februar 2012 begann und infolgedessen erst mit Ablauf des Monats Februar 2015 vollständig abgelaufen war, der Widerruf aber schon im August 2015 ausgesprochen wurde, fehlt es bereits am sogenannten Zeitmoment. Wiederum unterstellt, die Widerrufsvoraussetzungen hätten bereits nach Ablauf von drei Jahren seit Beendigung des regelmäßigen Abbaus im Juli 2007 vorgelegen, fehlt es am sogenannten Umstandsmoment. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Beklagte mit seinen Äußerungen zwischenzeitlich zu erkennen gegeben hat, die Bewilligung trotz der fehlenden Einleitung konkreter Schritt zur Wiederaufnahme der Gewinnungstätigkeit im Bewilligungsfeld „Weiße Bank“ nicht widerrufen zu wollen. Dies allein führt jedoch noch nicht zu einer ausreichenden Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen. Denn der Beklagte hatte andererseits mehrfach auf die bestehende Rechtslage und den zwingenden Widerrufstatbestand hingewiesen. Dass die Klägerin sich der Widerrufsgefahr bewusst war, ist ihrem eigenen Vortrag – etwa zum Lauf der von ihr für anwendbar gehaltenen Widerrufsfrist – zu entnehmen. Hierfür sprechen auch ihre wiederholten Nachfragen und Gesprächsgesuche. Ohne entsprechende Vertrauensgrundlage konnte sich aufseiten der Klägerin aber auch kein schützenswerter Vertrauenstatbestand bilden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_87">87</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_88">88</a></dt>
<dd><p>Die Revision wird nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
171,123 | bverfg-2018-12-19-2-bvr-63718 | {
"id": 3,
"name": "Bundesverfassungsgericht",
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"state": 2,
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} | 2 BvR 637/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:10 | 2019-01-29T12:49:10 | Nichtannahmebeschluss | ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20181219.2bvr063718 | <h2>Tenor</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
1. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig, denn sie wird den aus §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG folgenden Substantiierungsanforderungen nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht soll durch die Begründung der Verfassungsbeschwerde in die Lage versetzt werden, den angegriffenen Hoheitsakt ohne eigene weitere Nachforschung einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. Dies kann erfordern, neben den angegriffenen Entscheidungen auch andere relevante Entscheidungsgrundlagen vorzulegen (vgl. nur BVerfGK 14, 402 <417 m.w.N.>). Der Beschwerdeführer hat weder die unveröffentlichten, ihn selbst betreffenden Beschlüsse des Oberlandesgerichts Celle, auf die die angegriffenen Beschlüsse abstellen, noch mehrere eigene und fremde Stellungnahmen aus dem fachgerichtlichen Verfahren vorgelegt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
171,087 | bverwg-2018-12-19-4-b-618 | {
"id": 5,
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"slug": "bverwg",
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"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 4 B 6/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-29T12:48:50 | 2019-01-29T12:48:50 | Beschluss | ECLI:DE:BVerwG:2018:191218B4B6.18.0 | <h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass das Berufungsurteil von Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts abweicht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>Eine die Revision eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Daran fehlt es hier.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Eine Divergenz zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 1995 - 4 NB 36.95 - (Buchholz 406.12 § 16 BauNVO Nr. 4) ist nicht dargetan und liegt auch nicht vor.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Beschwerde entnimmt der Entscheidung den Rechtssatz, dass Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nicht durch Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche (§ 23 BauNVO) substituiert werden könnten. Der Verwaltungsgerichtshof habe sich in Widerspruch zu dieser Rechtsprechung gesetzt. Er sei im Wege der Auslegung des Bebauungsplans zu dem Ergebnis gekommen, dass die innerhalb des "Stellplatzfensters" zulässigen Stellplätze und ihre Zufahrten bei der Ermittlung der Grundfläche nach § 19 Abs. 4 Satz 2 BauNVO nicht mitzurechnen seien; er sehe darin eine von dieser Grundregel abweichende Festsetzung auf der Grundlage von § 19 Abs. 4 Satz 3 BauNVO. Damit weiche der Verwaltungsgerichtshof von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Er schließe aus der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen für Stellplätze und ihre Zufahrten auf eine Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung, nämlich auf eine auf § 19 Abs. 4 Satz 3 BauNVO gestützte Festsetzung einer von den Anrechnungsregeln nach § 19 Abs. 4 Satz 2 BauNVO abweichenden Regelung. Die Rüge führt nicht auf eine Rechtssatzdivergenz. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof eine nach § 19 Abs. 4 Satz 3 BauNVO fehlende Festsetzung durch eine solche zur überbaubaren Grundstücksfläche substituiert - also ersetzt - hat. Der Vorwurf der Klägerin trifft auch in der Sache nicht zu. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Bebauungsplan für die als Gewerbegebiet ausgewiesenen Grundstücke der Klägerin ein Baufenster festsetze, das den Umrissen des auf den Grundstücken vorhandenen Baukörpers entspreche; das Maß der baulichen Nutzung werde durch die Festsetzung einer absoluten Grundfläche bestimmt. Ferner setze der Bebauungsplan auf diesen Grundstücken eine Fläche fest, die die vorhandenen Stellplätze und ihre Zufahrten umfasse. Der Begründung des Bebauungsplans hat das Berufungsgericht das planerische Ziel entnommen, dass die Einzelhandelsbetriebe auf den klägerischen Grundstücken in ihrer bestehenden Form auch weiterhin planungsrechtlich zulässig sein sollen. Mit Blick auf diese Zielsetzung hat der Verwaltungsgerichtshof die vorgenannten, die Grundstücke der Klägerin betreffenden Festsetzungen dahingehend ausgelegt, dass damit auf der Grundlage von § 19 Abs. 4 Satz 3 BauNVO auch eine Festsetzung getroffen sei, wonach die Stellplätze und ihre Zufahrten bei der Ermittlung der Grundfläche nicht mitzurechnen sind. Er geht somit davon aus, dass die Beigeladene in Bezug auf die Stellplätze und deren Zufahrten eine von den Vorgaben des § 19 Abs. 4 Satz 2 BauNVO abweichende Festsetzung zur Ermittlung der nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 BauNVO maßgeblichen Größe der Grundfläche und damit zum Maß der baulichen Nutzung getroffen hat. Mit der Substituierung einer Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung durch eine Festsetzung zur überbaubaren Grundstücksfläche hat dies nichts zu tun.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Eine die Revision eröffnende Rechtssatzdivergenz ist auch nicht dargelegt, soweit die Beschwerde geltend macht, der Verwaltungsgerichtshof weiche in seinem Urteil von dem Beschluss des Senats vom 23. Januar 1992 - 4 NB 2.90 - (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 61) ab. Die Klägerin stellt den - sinngemäß - wiedergegebenen Rechtssätzen des Senats keine in der angegriffenen Entscheidung formulierten abweichenden Rechtssätze gegenüber, sondern macht eine von der Rechtsprechung des Senats abweichende Rechtsanwendung der Vorinstanz geltend. Die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kann hierauf nicht gestützt werden (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 24. August 2017 - 4 BN 35.17 - juris Rn. 5). Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin nicht allein in der Ausnutzung der ihr nach Erlass des Bebauungsplans erteilten Baugenehmigung erblickt, sondern insofern auch berücksichtigt, dass die Beigeladene den vorhabenbezogenen Bebauungsplan auf Wunsch der Klägerin und in enger Abstimmung mit dieser erlassen habe. In der Zusammenschau beider Aspekte ("zum einen ..." <UA S. 15>; "zum anderen ..." <UA S. 16>) hat er ein Verhalten gesehen, das die Berufung auf die Unwirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans als rechtsmissbräuchlich erscheinen lasse. Das liegt auf der Linie des Beschlusses des Senats vom 14. November 2000 - 4 BN 54.00 - (BRS 63 Nr. 50 S. 273).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Die jeweils für den Fall fehlender Divergenz von der Klägerin formulierten Fragen führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Das ist hier nicht der Fall.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Die von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob aus einer Festsetzung über die überbaubaren Grundstücksflächen für Stellplätze und ihre Zufahrten darauf geschlossen werden kann, dass der Plangeber eine Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung getroffen hat, mit der auf der Grundlage von § 19 Abs. 4 Satz 3 BauNVO von der Regel aus § 19 Abs. 4 Satz 2 BauNVO zur Anrechnung der Grundfläche von Stellplätzen und ihren Zufahrten auf die zulässige Grundfläche abgewichen wird,</p>
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<p>führt mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zur Zulassung der Revision. Denn - wie dargelegt - hat der Verwaltungsgerichtshof nicht - wie es die Beschwerde unterstellt - aus einer Festsetzung über die überbaubaren Grundstücksflächen für Stellplätze und ihre Zufahrten auf eine Festsetzung geschlossen, wonach diese Flächen bei der Ermittlung der Grundfläche nicht mitzurechnen sind.</p>
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<a name="rd_10">10</a>
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<p>b) Nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führt auch die Frage,</p>
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<p>ob der Umstand, dass ein Bebauungsplan zwischen Bauherrn und planender Gemeinde inhaltlich abgestimmt wurde und im Zusammenwirken mit der Ausnutzung der auf der Grundlage dieses Bebauungsplanes erteilten Baugenehmigung durch den Bauherrn dessen prozessuale Befugnis ausschließen kann, die Unwirksamkeit des abgestimmten Bebauungsplans zu einem späteren Zeitpunkt geltend zu machen.</p>
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<a name="rd_11">11</a>
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<p>Soweit diese Rechtsfrage überhaupt in einer über den vorliegenden Streitfall hinaus verallgemeinerungsfähigen Weise klärungsfähig ist, besteht kein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass auch die Ausübung prozessualer Rechte den Geboten von Treu und Glauben unterliegt und dass deshalb die Befugnis zur Anrufung der Gerichte unter bestimmten Voraussetzungen unzulässig sein kann. So hat der beschließende Senat bereits mehrfach ausgesprochen, dass in die Prüfung eines Normenkontrollantrages nicht mehr eingetreten werden kann, wenn der Antragsteller dadurch, dass er zur Durchsetzung eines geltend gemachten Rechts das Gericht anruft, sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in einen mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch setzt (BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1989 - 4 NB 14.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 44 = NVwZ 1990, 554; Beschluss vom 23. Januar 1992 - 4 NB 2.90 - NVwZ 1992, 974 <975> m.w.N.). Das kann etwa der Fall sein, wenn der Rechtsschutzsuchende zunächst die ihm günstigen Festsetzungen eines Bebauungsplans ausnützt und sich erst später gegen die für ihn ungünstigen Festsetzungen wendet (BVerwG, Beschlüsse vom 18. Dezember 1989 - 4 NB 14.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 44, vom 9. November 1990 - 4 NB 35.90 - juris Rn. 5, vom 23. Januar 1992 - 4 NB 2.90 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 61 und vom 14. November 2000 - 4 BN 54.00 - BRS 63 Nr. 50 S. 273). Es liegt ferner auf der Hand, dass ein Antragsteller auch dann dem Vorwurf eines treuwidrigen (rechtsmissbräuchlichen) Verhaltens ausgesetzt sein kann, wenn er zunächst im Rahmen von Vergleichsverhandlungen die Bereitschaft der Antragsgegnerin (Gemeinde), den angegriffenen Bebauungsplan den Vorschlägen des Antragstellers entsprechend zu dessen Gunsten zu ändern, ausnutzt und nach Erhalt einer auf die Planänderung gestützten Baugenehmigung die gerichtliche Feststellung begehrt, dass der Bebauungsplan vor der in seinem Interesse erfolgten Planänderung nichtig gewesen sei (BVerwG, Beschluss vom 14. November 2000 - 4 BN 54.00 - BRS 63 Nr. 50 S. 273). Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu bestätigen, dass Entsprechendes bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan (§ 12 BauGB) in Bezug auf den Vorhabenträger gelten kann. Ob bei einer solchen Fallkonstellation der Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens berechtigt und von einer Verwirkung der Befugnis, die Unwirksamkeit des Bebauungsplans zu einem späteren Zeitpunkt geltend machen zu können, auszugehen ist, entscheidet sich jedoch stets nach den besonderen Umständen des Einzelfalles. Diese festzustellen und zu würdigen, ist Aufgabe der Tatsachengerichte.</p>
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<a name="rd_12">12</a>
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<p>3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.</p>
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} | VII ZB 45/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-29T12:48:14 | 2019-01-29T12:48:14 | Beschluss | ECLI:DE:BGH:2018:191218BVIIZB45.18.0 | <h2>Tenor</h2>
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<p>Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 39. Zivilkammer des Landgerichts Köln(Einzelrichter) vom 5. Juni 2018 aufgehoben.</p>
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<p>Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Einzelrichter) zurückverwiesen.</p>
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<h2>Gründe</h2>
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<p>I.</p>
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<a name="rd_1">1</a>
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<p>Der am 6. Januar 2001 geborene Gläubiger ist der Sohn des Schuldners und betreibt gegen diesen die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsforderungen aus der Urkunde über die Festsetzung des Unterhalts des Jugendamts Kreis Borken vom 18. Juli 2007.</p>
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<a name="rd_2">2</a>
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<p>Die Mutter des Gläubigers bevollmächtigte am 16. Mai 2008 den Kreis Borken, aus dieser Jugendamtsurkunde die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner zu betreiben, die gepfändeten Beträge entgegenzunehmen sowie gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts Rechtsmittel einzulegen und sie in den durch die Zwangsvollstreckung eventuell notwendig werdenden Gerichtsverfahren zu vertreten.</p>
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<a name="rd_3">3</a>
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<p>Am 10. März 2017 beantragte der Gläubiger, vertreten durch den Kreis Borken, den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem Ansprüche des Schuldners auf Zahlung des gesamten, auch künftig fällig werdenden Arbeitseinkommens gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen werden sollten.</p>
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<p>Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - hat den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 7. April 2017 erlassen. Die Erinnerung des Schuldners hiergegen ist mit Ausnahme der Heraufsetzung seines Selbstbehalts erfolglos geblieben.</p>
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<a name="rd_5">5</a>
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<p>Seine sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht (Einzelrichter) zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit der vom Beschwerdegericht (Einzelrichter) wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rechtsbeschwerde.</p>
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<p>Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.</p>
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<p>1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums der Einzelrichter entschieden hat.</p>
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<p>2. Die Einzelrichterentscheidung unterliegt indes der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).</p>
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<p>Der Einzelrichter hat Verfahren, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, gemäß § 568 Satz 2 ZPO dem Kollegium zu übertragen. Der Einzelrichter, der die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache bejaht, darf über die Zulassung darum nicht selbst entscheiden, sondern muss das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der Kammer übertragen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2018 - VI ZB 34/17 Rn. 5; Beschluss vom 2. Dezember 2015 - VII ZB 41/15 Rn. 7; Beschluss vom 20. Mai 2015 - VII ZB 50/14 Rn. 6, NJW-RR 2015, 1406; Beschluss vom 10. April 2003 - VII ZB 17/02, MDR 2003, 949, juris Rn. 6; Beschluss vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, juris Rn. 6 f.).</p>
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<a name="rd_10">10</a>
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<p>Dem hat der Einzelrichter nicht Rechnung getragen, mit seiner Entscheidung hat er die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung dem Kollegium als dem gesetzlichen Richter entzogen.</p>
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<p>3. Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an den Einzelrichter, welcher den angefochtenen Beschluss erlassen hat. Die Zurückverweisung gibt dem Einzelrichter Gelegenheit, die Frage der von ihm bislang angenommenen grundsätzlichen Bedeutung einer nochmaligen Prüfung zu unterziehen. Sollte er danach bei seiner bisherigen diesbezüglichen Beurteilung verbleiben, wird er nach § 568 Satz 2 ZPO zu verfahren haben.</p>
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<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Pamp     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Kartzke     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Graßnack</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Borris     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Brenneisen     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
</tr>
</table>
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} | VIII ZR 254/17 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-29T12:48:10 | 2019-01-29T12:48:10 | Urteil | ECLI:DE:BGH:2018:191218UVIIIZR254.17.0 | <h2>Tenor</h2>
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<p>Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin vom 12. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.</p>
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<p>Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.</p>
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<p>Von Rechts wegen</p>
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<h2>Tatbestand</h2>
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<p>Der Kläger ist seit Juli 2015 Mieter einer Wohnung der Beklagten in Berlin. Der Mietvertrag enthält unter anderem auszugsweise folgende Regelungen:</p>
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<tr>
<td colspan="4" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">"<strong>§ 7 - Miete, Nebenkosten, Schönheitsreparaturen</strong>
</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">1.    </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td>
<td colspan="1" rowspan="1"/>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Die Miete X netto kalt ☐ brutto kalt beträgt<span style="text-decoration:underline">         </span>
</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">zzt.   </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1">EUR</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:right">
<span style="text-decoration:underline"> 1.499,99</span>
</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">☒ Der Betriebskostenvorschuss für Betriebskosten</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td>
<td colspan="1" rowspan="1"/>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:right">        </p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">  gemäß § 18 beträgt</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">zzt.   </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1">EUR</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:right">  <span style="text-decoration:underline"> </span>
<span style="text-decoration:underline">158,12</span>
</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">☐ Die Betriebskostenpauschale für Betriebskosten</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td>
<td colspan="1" rowspan="1"/>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:right">        </p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">  gemäß § 18 beträgt</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">zzt.   </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1">EUR</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:right">
<span style="text-decoration:underline">     </span>
<span style="text-decoration:underline">       </span>
</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Der Heizkostenvorschuss gemäß § 9 beträgt<span style="text-decoration:underline">        </span>
</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">zzt.   </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1">EUR</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:right">   <span style="text-decoration:underline"> </span>
<span style="text-decoration:underline">123,75</span>
</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">
<span style="text-decoration:underline">Verwaltungskostenpauschale                              </span>
</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">
<span style="text-decoration:underline">zzt.   </span>
</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1">
<span style="text-decoration:underline">EUR</span>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:right">
<span style="text-decoration:underline">     34,38</span>
</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Für Garage/Kfz.-Stellplatz<span style="text-decoration:underline">                                   </span>
</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">zzt.   </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1">EUR</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:right">
<span style="text-decoration:underline">            </span>
</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">
<strong>              zzt. monatlich insgesamt</strong>
</p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td>
<td colspan="1" rowspan="1">
<strong>EUR</strong>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:right">
<strong> </strong>
<span style="text-decoration:underline">1.816,24</span>
</p>
</td>
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<strong>§ 18 - Betriebskosten</strong>
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<p style="margin-left:36pt">[…] Im Fall der Vereinbarung einer Betriebskostenpauschale ist der Vermieter gem. § 560 Abs. (1) BGB berechtigt, Erhöhungen der Betriebskosten durch Erklärung in Textform anteilig auf den Mieter umzulegen. […]"</p>
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<p>Auf die Verwaltungskostenpauschale zahlte der Kläger in der Zeit von Mitte Juli 2015 bis Januar 2017 insgesamt einen Betrag von 601,65 €. Mit der vorliegenden Klage begehrt er - unter Berufung auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung über die Verwaltungskostenpauschale und die daraus folgende Rechtsgrundlosigkeit seiner hierauf erbrachten Zahlungen - die Rückzahlung dieser Summe.</p>
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<p>Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.</p>
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<h2>Entscheidungsgründe</h2>
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<a name="rd_4">4</a>
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<p>Die Revision hat keinen Erfolg.</p>
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<a name="rd_5">5</a>
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<p>Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:</p>
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<p>Dem Kläger stehe der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu, da die Vereinbarung zur Tragung der Verwaltungskostenpauschale nach § 556 Abs. 4 BGB unwirksam sei und die vom Kläger hierauf geleisteten Zahlungen deshalb ohne rechtlichen Grund erfolgt seien. Die im Mietvertrag enthaltene Vereinbarung über die Verwaltungskostenpauschale weiche zum Nachteil des Mieters von § 556 Abs. 1 BGB ab. Nach § 556 Abs. 1 Satz 1 BGB sei es den Parteien eines Wohnraummietvertrages nur gestattet, über die Grundmiete hinaus Betriebskosten im Sinne des § 556 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 1 Abs. 1, § 2 Betriebskostenverordnung (BetrKV) auf den Mieter umzulegen, nicht jedoch Verwaltungskosten (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrKV) oder andere Kostenarten. Dies ergebe sich insbesondere aus den Gesetzesmaterialien zu § 556 Abs. 1 BGB sowie aus der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck des § 556 Abs. 1, 4 BGB.</p>
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<p>Der Formularmietvertrag der Parteien könne unter Beachtung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB auch nicht etwa dahingehend ausgelegt werden, dass die Parteien nicht eine gesonderte Abwälzung von Verwaltungskosten auf den Kläger vereinbart hätten, sondern die Beklagte mit Benennung der Verwaltungskostenpauschale lediglich auf ihre interne Kalkulation der Grundmiete hingewiesen habe und es sich bei der Verwaltungskostenpauschale damit um einen Teil der - von der Bestimmung des § 556 Abs. 4 BGB nicht erfassten - Preishauptabrede handele. Gegen eine solche Einordnung der Verwaltungskostenpauschale spreche bereits der Wortlaut des Mietvertrages, der die Nettokaltmiete abschließend beziffere. Die Systematik des Mietvertrages bestätige dies, da die Verwaltungskostenpauschale in § 7 zusätzlich und in Abgrenzung zu den ebenfalls ausdrücklich bezifferten Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen ausgewiesen werde. Zudem seien die Verwaltungskosten in die Berechnung der Höhe der Mietkaution nicht eingeflossen; diese sei vielmehr mit der dreifachen Höhe der im Mietvertrag angegebenen Nettokaltmiete bemessen worden.</p>
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<p>Nach alledem ergebe sich die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Vereinbarung über die Verwaltungskostenpauschale bereits aus § 556 Abs. 4 BGB. Es könne deshalb dahinstehen, ob eine Unwirksamkeit - auch wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot - zusätzlich aus § 307 Abs. 1, 2 BGB folge.</p>
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<p>Schließlich sei der Rückzahlungsanspruch des Klägers auch nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen. Die Beklagte habe nicht dargetan, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Bewirkung der Leistung eine positive Kenntnis vom Nichtbestehen der Verbindlichkeit gehabt habe.</p>
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<a name="rd_10">10</a>
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<p>Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die im Mietvertrag vereinbarte Verwaltungskostenpauschale wegen Verstoßes gegen § 556 Abs. 4 BGB unwirksam ist und dem Kläger deshalb aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung der hierauf ohne Rechtsgrund erbrachten Zahlungen zusteht.</p>
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<p>1. Gemäß § 556 Abs. 1, 2 BGB können die Parteien eines Wohnraummietvertrages vereinbaren, dass der Mieter bestimmte, in der Betriebskostenverordnung bezeichnete Betriebskosten trägt, entweder als Pauschale oder im Wege (angemessener) Vorauszahlungen mit Abrechnungspflicht (§ 556 Abs. 2, 3 BGB). Einer solchen Vereinbarung bedarf es, weil der Vermieter nach der Grundregel des § 535 Abs. 1 Satz 3 BGB die auf der Mietsache ruhenden Lasten zu tragen hat. Die Miete ist von ihrer gesetzgeberischen Ausgestaltung her eine Inklusivmiete, so dass die aus der Gebrauchsgewährung herrührenden Kosten grundsätzlich mit der vereinbarten Miete abgegolten werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. Mai 2012 - XII ZR 88/10, NJW-RR 2012, 1034 Rn. 13; BT-Drucks. 14/4553, S. 50; MünchKommBGB/Schmid/Zehelein, 7. Aufl., § 556 Rn. 5).</p>
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<p>Hintergrund für die - in der Praxis auch seit langem allgemein übliche - gesonderte Umlage bestimmter Betriebskosten ist letztlich eine vereinfachte Anpassung bei Kostensteigerungen in diesem überschaubaren und klar definierten Bereich. Insoweit soll der Vermieter bei Kostensteigerungen nicht auf das - wesentlich aufwendigere - Verfahren einer Mieterhöhung nach § 558 BGB (Vergleichsmietenverfahren) verwiesen sein (vgl. schon BT-Drucks. VI/2421, S. 4; BT-Drucks. 7/2011, S. 8). Vielmehr kann er im Fall einer Betriebskostenpauschale unter den Voraussetzungen des § 560 Abs. 1 BGB eine Anpassung im Wege einer Erklärung in Textform vornehmen, während bei Vorauszahlungen von Betriebskosten jeder Partei diese Anpassungsmöglichkeit nach einer Abrechnung eröffnet ist.</p>
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<p>Zum Schutz des Mieters von Wohnraum sieht § 556 Abs. 4 BGB allerdings vor, dass Vereinbarungen, die zum Nachteil des Mieters von den Bestimmungen des § 556 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 BGB abweichen, unwirksam sind. Dies gilt sowohl für Individualvereinbarungen, als auch für - hier nach den rechtsfehlerfreien und unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts vorliegende - Allgemeine Geschäftsbedingungen. Deshalb können in der Wohnraummiete nur die enumerativ in der Betriebskostenverordnung aufgezählten Bewirtschaftungskosten als Nebenkosten (Betriebskosten) vereinbart werden, nicht aber (allgemeine) Verwaltungskosten, die nach der ausdrücklichen Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung über die Aufstellung von Betriebskosten (Betriebskostenverordnung - BetrKV) in der Wohnraummiete nicht als Betriebskosten umgelegt werden können. Dementsprechend führt bereits die Gesetzesbegründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) explizit aus, dass die umlagefähigen Betriebskosten abschließend aufgezählt sind und eine vertragliche Erweiterung, zum Beispiel auf Verwaltungskosten, nicht möglich ist (vgl. BT-Drucks. 14/4553, S. 50).</p>
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<p>2. In der im vorliegenden Mietvertrag vereinbarten Verwaltungskostenpauschale hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei eine gegen § 556 Abs. 1 BGB verstoßende und deshalb gemäß § 556 Abs. 4 BGB unwirksame Vereinbarung gesehen.</p>
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<a name="rd_15">15</a>
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<p>Entgegen der Auffassung der Revision ist dies nicht deshalb anders zu beurteilen, weil es sich bei der Verwaltungskostenpauschale um eine "zusätzliche Preishauptabrede über die Nettomiete" handelte und die Beklagte hier nur ihre Kalkulation dahingehend offengelegt habe, dass in der Netto- oder Grundmiete Verwaltungskosten in Höhe von monatlich 34,38 € enthalten seien.</p>
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<p>Allerdings trifft es - wie auch das Berufungsgericht richtig gesehen hat - zu, dass es dem Vermieter freisteht, im Mietvertrag eine Aufschlüsselung der vereinbarten (Grund-)Miete beziehungsweise (Netto-)Miete vorzunehmen und dadurch einen - aus Sicht des Mieters allerdings regelmäßig belanglosen - Hinweis auf seine interne Kalkulation zu geben (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Mai 2017 - VIII ZR 31/17, NJW-RR 2017, 981 Rn. 7). Dies gilt auch für Verwaltungskosten, die der Vermieter ebenso wie sonstige nicht gesondert umlegbare Kosten in die Grundmiete "einpreisen" oder auch separat als weiteren Bestandteil der Grundmiete angeben kann, mit der Folge, dass der Gesamtbetrag die Ausgangsmiete bildet, die im Falle späterer Mieterhöhungen der ortsüblichen Vergleichsmiete gegenüberzustellen ist (§ 558 Abs. 1 BGB).</p>
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<p>Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend angenommen, dass in der hier formularmäßig vereinbarten "Verwaltungskostenpauschale" eine bloße Offenlegung als Bestandteil der Nettomiete nicht gesehen werden kann.</p>
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<p>a) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Sofern nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten Zweifel verbleiben und zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, kommt die sich zu Lasten des Klauselverwenders auswirkende Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung (st. Rspr.; vgl. Senatsurteile vom 20. Januar 2016 - VIII ZR 152/15, NJW-RR 2016, 526 Rn. 17, 19; vom 10. Februar 2016 - VIII ZR 137/15, NJW 2016, 1308 Rn. 14).</p>
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<p>b) Letztlich bedarf es hier keiner vertieften Prüfung, welche Auslegungsmöglichkeiten ernsthaft in Betracht kommen. Denn zumindest nach der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung kann die hier vereinbarte Verwaltungskostenpauschale nicht als weiterer Mietbestandteil angesehen werden.</p>
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<p>Zwar könnte der Umstand, dass in der Wohnraummiete Verwaltungskosten seit jeher nicht als Betriebskosten umgelegt werden können, dafür sprechen, dass mit der genannten Pauschale Verwaltungskosten nicht - unter einem zur Unwirksamkeit der Vereinbarung führenden Verstoß gegen § 556 Abs. 4 BGB als Betriebskosten - umgelegt werden sollten, sondern lediglich ein - unveränderbarer - Festbetrag als gesondert ausgewiesener Teil der Grundmiete gemeint war, der als solcher - wie oben ausgeführt - auch in der Wohnraummiete wirksam vereinbart werden kann.</p>
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<p>Auf der anderen Seite zeigt schon die Bezeichnung als "Verwaltungskostenpauschale" die Nähe zu den Betriebskosten, da der (Grund-)Miete Bezeichnungen als "Pauschale" oder als "Vorschuss" fremd sind. Hinzu kommt, dass Verwaltungskosten - entgegen der Auffassung der Revision - ihrer Natur nach ebenfalls Betriebskosten sind und in § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrKV definiert sind. Dass die Verwaltungskosten in § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrKV von den umlagefähigen Betriebskosten ausgenommen werden, dient lediglich dem Zweck, dass die Verwaltungskosten nicht als sonstige Kosten nach § 2 Nr. 17 BetrKV dem Wohnraummieter auferlegt werden können, während in der Geschäftsraummiete die Umlage von Verwaltungskosten als Betriebskosten grundsätzlich zulässig und weit verbreitet ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2009 - XII ZR 109/08, BGHZ 183, 299 Rn. 17).</p>
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<p>Die Berechnung der Mietkaution spricht ebenfalls gegen eine Einordnung der Verwaltungskostenpauschale als Teil der Grundmiete. Die vorliegend in § 20 des Mietvertrages festgelegte Kautionshöhe von 4.499,97 € entspricht genau dem dreifachen Betrag der im Mietvertrag mit 1.499,99 € ausgewiesenen Nettokaltmiete. Zwar ist es einem Vermieter, worauf die Revision insoweit zutreffend verweist, nicht verwehrt, weniger als den Maximalbetrag von drei Monatsmieten (§ 551 Abs. 1 BGB) zu verlangen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte vorliegend von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollte, fehlen jedoch und liegen angesichts der bei einer bloßen Teilforderung zu erwartenden, hier aber unterbliebenen Rundung eines Betrages auch eher fern.</p>
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<p>Einer Zuordnung der Verwaltungskostenpauschale zur Grundmiete steht ferner entgegen, dass sich die Vermieterin im Mietvertrag eine Erhöhung von Betriebskostenpauschalen vorbehalten hat. Nach § 560 Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Vermieter insbesondere ohne die Einhaltung von Sperrfristen und der Kappungsgrenze (§ 558 Abs. 3 BGB) berechtigt, durch Erklärung in Textform die Betriebskosten zu erhöhen, soweit dies im Mietvertrag vereinbart ist. Eine solche Vereinbarung enthält § 18 des Mietvertrages. Da es sich bei den Verwaltungskosten ihrer Natur nach ebenfalls um Betriebskosten handelt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2009 - XII ZR 109/08, aaO), spricht dies aus Sicht eines verständigen und redlichen Mieters, jedenfalls nach kundenfeindlichster Auslegung, für eine in sich geschlossene Betriebskostenvereinbarung, mittels derer sich die Vermieterin auch die Erhöhungsmöglichkeit des § 560 Abs. 1 BGB eröffnet hat.</p>
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<p>Soweit die Revision darauf hinweist, dass in § 7 Ziffer 1 des Mietvertrages mit den Kosten für Garage und Kfz-Stellplatz weitere Mietkosten aufgelistet sind, ergibt sich daraus nicht, jedenfalls nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit, dass auch die Verwaltungskostenpauschale Bestandteil der Grundmiete sein sollte. Denn bei dem Kostenanteil für Garage und Stellplatz handelt es sich um das Entgelt für eine neben der Wohnungsüberlassung zusätzlich eingeräumte Gebrauchsgewährung, das - anders als die Verwaltungskostenpauschale - eindeutig der Grundmiete zuzurechnen ist.</p>
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<p>Ebenfalls ohne Erfolg bleibt der Hinweis der Revision auf den Umstand, dass die Verwaltungskosten weder in § 18 des Mietvertrages noch in der Anlage 1 zum Mietvertrag im Rahmen der dort jeweils explizit genannten Betriebskosten aufgeführt sind. Zum einen sind die Verwaltungskosten gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrKV von den umlagefähigen Betriebskosten abgegrenzt, so dass ihre Nennung im Betriebskostenkatalog eines Formularmietvertrages nicht zu erwarten ist. Zum anderen sind beide zuletzt genannten Regelungen ausweislich ihres Wortlautes - "insbesondere"; "u.a." - nicht abschließend.</p>
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<p style="text-align:left">Dr. Milger     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Dr. Hessel     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Dr. Fetzer</p>
</td>
</tr>
<tr>
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</td>
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<p style="text-align:left">Dr. Bünger     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Dr. Schmidt     </p>
</td>
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171,059 | bgh-2018-12-19-xii-zr-1418 | {
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<p>Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 7. Februar 2018 aufgehoben.</p>
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<p>Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.</p>
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<p>Von Rechts wegen</p>
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<h2>Tatbestand</h2>
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<p>Die Beklagte vertreibt Werbeflächen auf Fahrzeugen und sonstigen Gegenständen. Die Gegenstände erwirbt sie, um sie an soziale und andere Institutionen zu verleihen. Mit der Klägerin schloss sie am 2. März 2016 für die Dauer von fünf Jahren mit Verlängerungsklausel einen Vertrag über Werbeflächen auf der Bande einer mobilen Soccer-Arena und auf einem Anhänger, die einem Sportzentrum zur Nutzung überlassen wurden. Vereinbart war ein Nettopreis von 4.099 € für die Vertragslaufzeit von fünf Jahren, zahlbar in 15 Monatsraten. Auf Grundlage des Vertrags stellte die Beklagte zwei Rechnungen in Höhe eines Gesamtbetrags von 650,70 € und zog diesen vom Konto der Klägerin ein.</p>
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<p>Mit der Klage verlangt die Klägerin die Rückzahlung des eingezogenen Betrags nebst Zinsen und Mahnkosten sowie die Feststellung, dass der geschlossene Vertrag unwirksam sei. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre vom Landgericht zugelassene Revision.</p>
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<h2>Entscheidungsgründe</h2>
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<p>Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.</p>
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<p>Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag als Werkvertrag einzuordnen sei, weil nicht die bloße Gebrauchsüberlassung der Werbefläche im Vordergrund stehe, sondern die mit der Platzierung der Werbung erwartete Werbewirksamkeit als geschuldeter Erfolg. Nur vor diesem Hintergrund sei auch die vergleichsweise hohe Vergütung zu erklären.</p>
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<p>Die Werbewirksamkeit sei wesentlicher Bestandteil des Vertrags, da sie charakteristisch für den geschuldeten Werbeerfolg sei. Für die Wirksamkeit des Vertrags sei folglich zwingend erforderlich, dass dieser gerade auch in Bezug auf die Werbewirksamkeit hinreichend charakterisiert und bestimmbar sei. Mangels Angaben über den zeitlichen und räumlichen Einsatz der Bande und des Anhängers sei dies vorliegend nicht gegeben; deren Bestimmung habe auch nicht dem Sportzentrum überlassen werden können. Deshalb sei der Vertrag als solcher mangels Bestimmbarkeit der geschuldeten Werkleistung unwirksam.</p>
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<p>Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.</p>
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<p>1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag, wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung in einer gleichartigen Sache bereits entschieden hat (Senatsurteil vom 7. November 2018 - XII ZR 109/17 - juris Rn. 7 ff.), nicht die Vorschriften über den Werkvertrag, sondern die Vorschriften über den Mietvertrag anzuwenden. Maßgeblich für die Einordnung des Vertragstyps ist die rechtliche Qualifizierung der vertraglich geschuldeten Hauptleistungspflichten.</p>
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<p>a) Nicht zu beanstanden ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Landgerichts, dass aufgrund der von der Klägerin versprochenen Leistungen nicht die - als Werkleistung anzusehende - Anbringung der Werbung, sondern die nachfolgend dauerhafte Bereitstellung der Werbeflächen als vertragscharakteristische Leistung im Vordergrund steht (vgl. Senatsurteile vom 28. März 2018 - XII ZR 18/17 - juris Rn. 10 und vom 7. November 2018 - XII ZR 109/17 - juris Rn. 8).</p>
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<p>b) Die rechtliche Einordnung der vertragscharakteristischen Leistung wird nicht bereits durch die im Auftragsformular verwendeten - weithin offenen - Begriffe wie "Werbemaßnahme", "Werbelaufzeit" bestimmt. Entscheidend für die rechtliche Einordnung sind vielmehr die konkret geschuldeten Leistungen. Sie bestehen nach dem Vertragsinhalt darin, die auf näher festgelegten Werbefeldern anzubringenden Beschriftungen über die gesamte Vertragsdauer dort angebracht zu halten, um im laufenden Geschäftsbetrieb der sozialen oder anderen Institution - hier des Sportzentrums - einen Werbeeffekt zu ermöglichen. Während die Beklagte sich verpflichtete, bestimmte Flächen auf dem ihr gehörenden Anhänger und der Bande für eine bestimmte Dauer zur werbemäßigen Nutzung zur Verfügung zu stellen, war gleichzeitig offenkundig, dass sie auf den konkreten Einsatz dieser Gegenstände nach Ort und Zeit keinen Einfluss hatte. Wie das Landgericht selbst hervorhebt, konnte die Beklagte aus der Natur der Sache heraus keine Vorfestlegung des zeitlichen und räumlichen Einsatzes der Bande und des Anhängers treffen, sondern lediglich die Zurverfügungstellung der Werbefläche als solche versprechen. Insoweit sprechen gerade die vom Landgericht hervorgehobenen Umstände gegen einen bestimmten, werkvertragsmäßig versprochenen Erfolg, sondern vielmehr dafür, dass sich die Vertragspflicht auf dasjenige beschränkte, was in der Hand der Beklagten lag, nämlich die Zurverfügungstellung der Werbeflächen als solche (Senatsurteil vom 7. November 2018 - XII ZR 109/17 - juris Rn. 9).</p>
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<p>In der Zurverfügungstellung einer konkreten Werbefläche auf den der Beklagten gehörenden Gegenständen liegt eine Gebrauchsüberlassung gemäß § 535 BGB, bei der es einer Besitzverschaffung ausnahmsweise nicht bedarf (BGHZ 65, 137, 140 = NJW 1976, 105, 106; BGH Urteil vom 1. Februar 1989 - VIII ZR 126/88 - NJW-RR 1989, 589 f. mwN und Senatsurteil vom 7. November 2018 - XII ZR 109/17 - juris Rn. 10 mwN). Die Überlassung einer Werbefläche auf einem in Benutzung des Sportzentrums stehenden Anhänger und der Soccer-Arena unterscheidet sich rechtlich auch nicht von der Reklame an Straßenbahnen, die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Mietverhältnis qualifiziert worden ist (BGH Urteil vom 1. Februar 1989 - VIII ZR 126/88 - NJW-RR 1989, 589, 590 und RGZ 141, 99, 102). Soweit der Senat ähnlich gelagerte Werbegestattungen als Rechtspacht eingestuft hat (vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 1994 - XII ZR 93/92 - NJW-RR 1994, 558: Driving Range; Senatsbeschluss vom 23. Dezember 1998 - XII ZR 49/97 - NJW-RR 1999, 845: Bandenwerbung), führt dies gemäß § 581 Abs. 2 BGB ebenfalls zur Anwendung von Mietrecht.</p>
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<p>Dem steht auch nicht das Urteil des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 1984 (X ZR 93/83 - NJW 1984, 2406 f.) entgegen. Denn in jenem Fall lag der Schwerpunkt - anders als im vorliegenden Fall - auf werkvertragstypischen Leistungen.</p>
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<p>c) Die Mietsache war auch durch Angabe genau bezeichneter Werbeflächen in dem Vertrag hinreichend konkret bestimmt. Weitere Bestimmungen zum konkreten Werbeerfolg bedurfte es entgegen der Ansicht des Landgerichts zur Wirksamkeit des Vertrags nicht.</p>
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<p>2. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, da dieses - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen zu der streitigen Tatsache getroffen hat, ob die Werbung vertragsgemäß auf den Werbeflächen angebracht worden ist.</p>
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<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Dose     </p>
</td>
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<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Klinkhammer     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Günter</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Nedden-Boeger     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Guhling     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
</tr>
</table>
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|
161,501 | vg-munchen-2018-12-19-m-23-k-182277 | {
"id": 289,
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"city": 158,
"state": 4,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | M 23 K 18.2277 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:52 | 2019-01-17T12:06:29 | Urteil | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>I. Die Klagen werden abgewiesen.</p>
<p>II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.</p>
<p>III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p>
</div>
<h2>Tatbestand</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/>Die Kläger begehren die Erteilung von Parkausweise für Übernachtungsgäste (Urlauberparkausweise).</p>
<p><rd nr="2"/>Die Klägerin zu 2), deren Mitgeschäftsführerin die Klägerin zu 1) ist, betreibt in einem mittels Zeichen 325.1 und 325.2 ausgewiesenen verkehrsberuhigten Beriech … ein Gasthaus. Die in diesem Bereich öffentlich ausgewiesenen Parkflächen (Zeichen 314) sind zeitlich mittels Zeichen 318 (Parkscheibe) beschränkt. Das Gasthaus bietet in elf Zimmern und einer Ferienwohnung Beherbergungsmöglichkeiten für etwa 19 Übernachtungsgäste. Das Gasthaus selbst verfügt lediglich über eine eigene Stellfläche.</p>
<p><rd nr="3"/>Der Beklagte erteilte der Klägerin zu 2) in der Vergangenheit Urlauberparkausweise für ihre Übernachtungsgäste. Diese galten zeitlich unbeschränkt für die Dauer des Übernachtungsaufenthalts. Dabei überließ der Beklagte der Klägerin zu 2) bzw. ihren Bediensteten die Eintragung der Kfz-Kennzeichen der Übernachtungsgäste sowie deren Übernachtungsdauer in die Urlauberparkausweise.</p>
<p><rd nr="4"/>Nach der Umgestaltung des …platzes und der Erneuerung des Verkehrskonzepts zur Mitte des Jahres 2017 beschloss der Gemeinderat des Beklagten am 24. Juli 2017, Urlauberparkausweise zukünftig auf den An- und Abreisetag der Urlauber und zudem auf max. drei Stunden zu beschränken.</p>
<p><rd nr="5"/>Die Kläger beantragten am 30. Januar 2018 für näher bezeichnete Parkflächen „die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Nutzung durch die Beherbergungsgäste […] für die Dauer des Aufenthalts des Übernachtungsgastes“.</p>
<p><rd nr="6"/>Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Februar 2018 ließ der Beklagte gegenüber den Klägern ausrichten, dass keine besondere Dringlichkeit für die Erteilung solcher Parkausweise bestehe und verwies ergänzend auf die geänderte Erteilungspraxis.</p>
<p><rd nr="7"/>Mit am 14. Mai 2018 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangenem Schriftsatz vom 9. Mai 2018 erhoben die Kläger „Untätigkeitsklage“ mit dem Antrag,</p>
<p>„den Beklagte zu verpflichten, den Klägern die beantragte Ausnahmeparkgenehmigung zum Parken auf den Parkflächen in dem durch Richtzeichen 325.1 im Sinne von <verweis.norm>§ 42 Abs. 2 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> eingegrenzten Bereich der …straße, der …straße und des …platzes in … … für die Nutzung der Beherbergungsgäste des Gasthauses … während der Dauer ihres jeweiligen Aufenthalts zu erteilen.“</p>
<p><rd nr="8"/>Zur Begründung führen die Kläger im Wesentlichen aus, die Klägerin zu 1) habe zulässigerweise Klage erhoben, da sie als Eigentümerin des mit dem Gasthaus bebauten Grundstücks zur eigenen Existenzsicherung auf Parkmöglichkeiten der Übernachtungsgäste angewiesen sei. Sie könne sich dabei auf einen gesteigerten Anliegergebrauch berufen. Aus diesem gesteigerten Anliegergebrauch folge letztlich auch der Anspruch der Kläger auf Erteilung der Urlauberparkausweise, da die Inanspruchnahme bzw. Fortführung des Gasthauses nicht mehr möglich bzw. wirtschaftlich nicht mehr vertretbar wäre. So erfordere ein zeitgemäßer Gewerbebetrieb einen unmittelbaren Zugriff der Übernachtungsgäste auf ihr Fahrzeug in unmittelbarer Nähe des Gasthauses. Für Übernachtungsgäste stelle das Gasthaus einen zeitweisen Lebensmittelpunkt dar, sodass eine Vergleichbarkeit mit Anwohnern gegeben sei. Zudem bestünde für das klägerische Gasthaus mangels eigener Stellplätze gegenüber anderen Beherbergungsbetrieben ein Wettbewerbsnachteil. Die Erteilung der Parkausweise könne den Klägern auch nicht mit Verweis darauf versagt werden, dass <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> lediglich die Erteilung in „bestimmten Einzelfälle“ vorsehe. Schließlich würden die Berechtigten nicht durch die Kläger, sondern den Beklagten selbst konkretisiert. Letztlich bestehe für die Kläger auch nach dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ein Anspruch. Insoweit verweisen die Kläger als Bezugsfall zum einen auf das Hotel M., für dessen Gäste die Verkehrsüberwachung ausgesetzt sei und im Anschluss gemeindliche Parkflächen zur Verfügung gestellt worden seien. Auch einem örtlichen Segelclub seien gesonderte Parkflächen zur Verfügung gestellt worden. Angesichts dieser Erwägungen und der besonderen örtlichen Verhältnisse des klägerischen Gasthauses sei das dem Beklagen eingeräumte Ermessen auf Null reduziert.</p>
<p><rd nr="9"/>Der Beklagte beantragte Klageabweisung und führte im Wesentlichen aus, die Klage der Klägerin zu 1) sei bereits unzulässig, da sie nicht klagebefugt sei. In der Sache bestehe auch für die Kläger kein Anspruch auf Erteilung der Urlauberparkausweise, da Urlauber als unbestimmter Personenkreis nicht von <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> erfasst seien.</p>
<p><rd nr="10"/>Das Gericht hat am 8. November 2018 gemäß Beweisbeschluss vom 25. September 2018 Augenschein durchgeführt, dem sich die mündliche Verhandlung anschloss. Hierbei gab die Klägerin zu 1) insbesondere an, im Besitz „einer Kiste von Ausnahmegenehmigungen“ zu sein. Der Beklagtenvertreter wies im Hinblick auf das als Bezugsfall benannte Hotel M. darauf hin, dass wohl der Nießbrauchberechtigte die gemeindlichen Flächen dem Hotel M. zur Verfügung stelle.</p>
<p><rd nr="11"/>Die Beteiligten haben sich in der mündlichen Verhandlung mit einem Übergang in das schriftliche Verfahren einverstanden erklärt.</p>
<p><rd nr="12"/>Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift zum Augenschein verwiesen.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="13"/>Die Klage hat keinen Erfolg. Im Hinblick auf die Klägerin zu 1) ist sie bereits unzulässig (I.) und im Übrigen zwar zulässig aber unbegründet (II.)</p>
<p>I. </p>
<p><rd nr="14"/>Die Klage der Klägerin zu 1) ist bereits mangels Klagebefugnis unzulässig.</p>
<p><rd nr="15"/>Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist die hier statthafte Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) nur zulässig, wenn die Klägerin geltend macht, durch die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten Verwaltungsakts in ihren Rechten verletzt zu sein (<verweis.norm>§ 42 Abs. 2 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>). Dabei muss die Darlegung der Klägerin ergeben, dass nicht offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die ihr behaupteten Rechte - und somit der von ihr behauptete Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts - nicht bestehen oder ihr nicht zustehen können (BayVGH, B.v. 11.5.2017 - 14 ZB 16.1775 - juris Rn. 7). Die Klagebefugnis für eine Verpflichtungsklage fehlt, wenn offensichtlich und eindeutig kein Rechtssatz besteht, der die Behörde zum Erlass des Verwaltungsaktes verpflichtet oder wenigstens ermächtigt und zugleich einen subjektiven Anspruch gewährt sowie den jeweiligen Kläger in den Rechtskreis der Berechtigten einbezieht (BayVGH B.v. 23.8.2016 - 14 ZB 15.2633 - juris Rn. 6). Die Einhaltung von Vorschriften kann also nur derjenige verlangen, dessen faktische Interessen auch den rechtlichen Schutz der Norm genießen (Ramsauer: Die Dogmatik der subjektiven öffentlichen Rechte, JuS 2012, 769, 771). Daran fehlt es, wenn sich der Kläger - wie hier - lediglich auf die Wirkungen eines einem Dritten zustehenden öffentlichen Rechts, also lediglich auf einen Rechtsreflex beruft (Schaks/Friedrich: Verwaltungsaktsbezogener Rechtsschutz: Die Zulässigkeitsprüfung, JuS 2018, 860, 865). Denn eine bloß faktische Begünstigung des Einzelnen durch die Normbefolgung reicht jedenfalls nicht aus (Voßkuhle/Kaiser: Grundwissen - Öffentliches Recht: Das subjektiv-öffentliche Recht, JuS 2009, 16, 17).</p>
<p><rd nr="16"/>Allenfalls auf einen solchen Rechtsreflex, nicht aber auf ein ihr zustehendes subjektiv-öffentliches Recht könnte sich die Klägerin zu 1) berufen. Die Stellungen der Klägerinnen zu 1) und 2) sind voneinander getrennt zu betrachten. Aus der Stellung der Klägerin zu 1) als Eigentümerin des mit dem Gasthaus bebauten Grundstücks oder als Mitgeschäftsführerin des Gasthauses erwächst ihr aus <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> auch unter Berücksichtigung ihrer Grundrechte kein eigenes Recht auf Erteilung der Urlauberparkausweise für Übernachtungsgäste der Klägerin zu 2). Insoweit beruft sie sich auf die einzig der Klägerin zu 2) eingeräumten betriebsbezogenen Rechte aus <verweis.norm>Art. 12 <v.abk ersatz="Grundgesetz - GG">Grundgesetz - GG</v.abk></verweis.norm> - und Art. 14 GG. Die hieraus abgeleiteten Interessen der Klägerin zu 1) am Erhalt eines wirtschaftlich rentablen Gewerbebetriebs der Klägerin zu 2) sind zwar berechtigt, aber gerade nicht betriebsbezogen. Insoweit sind die Interessen der Klägerin zu 1) mit denen eines Vermieters oder Angestellten vergleichbar, ohne dass diesen hieraus ein eigener Anspruch erwüchse. Auch der von den Klägern gestellte Antrag im Verwaltungsverfahren stützt sich ausschließlich auf betriebliche Interessen der Klägerin zu 2).</p>
<p><rd nr="17"/>Insoweit war die Klage der Klägerin zu 1) bereits als unzulässig abzuweisen.</p>
<p>II. </p>
<p><rd nr="18"/>Die Klage der Klägerin zu 2) ist zwar zulässig, sie bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.</p>
<p><rd nr="19"/>Die ggü. dem Beklagten beanspruchte und einfachgesetzlich auf <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> gestützte Erteilung von Urlauberparkausweisen kommt bereits mangels Vorliegens der rechtsatzmäßigen Voraussetzungen nicht in Betracht, sodass die Klägerin zu 2) wegen der Ablehnung oder Unterlassung nicht in ihren Rechten verletzt ist, ohne dass es im weiteren noch darauf ankäme, inwieweit auch ihre gewerblichen Interessen rechtsfehlerfrei abgewogen worden wären (<verweis.norm>§ 113 Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>).</p>
<p><rd nr="20"/>Insoweit begehrt die Klägerin zu 2) die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung, mit dem es den Übernachtungsgästen erlaubt werden soll, von den durch Zeichen 325.1 und 325.2. i.V.m. Zeichen 314 und 318 (zulässige Höchstparkdauer auf ausgewiesenen Parkflächen im verkehrsberuhigten Bereich) angeordneten Parkverbot abzuweichen. Ein derartiger Anspruch besteht nicht.</p>
<p><rd nr="21"/>Nach <verweis.norm>§ 46 Absatz 1 Nr. 11 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> können die Straßenverkehrsbehörden nur in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen von den durch Vorschriftzeichen angeordneten Verboten genehmigen; die entsprechenden Bescheide sind gemäß Abs. 3 S. 3 von den begünstigten Verkehrsteilnehmern mitzuführen und auf Verlangen zuständigen Personen auszuhändigen.</p>
<p><rd nr="22"/>Vorliegend begehrt die Klägerin zu 2) indes keine Ausnahme für bestimmte Einzelfälle oder allgemein für bestimmte, d. h. namentlich benannte Personen, sondern für einen konkreten Sachverhalt eine allgemeine Ausnahme für einen lediglich als “Übernachtungsgäste” bezeichneten - also unbestimmten - Personenkreis (vgl. BVerwG, U.v. 22.12.1993 - 11 C 45/92 - juris Rn. 34; OVG Koblenz, B.v. 15.3.1985 - 7 A 100/84 - juris; VGH Mannheim, U.v. 15.4.2004 - 5 S 682/03 - juris Rn. 51; VG Sigmaringen, U.v. 28.3.2017 - 3 K 4514/15 - juris Rn. 28 ff.). Soweit die Klägerin zu 2) damit eine einen konkreten Sachverhalt und einen generellen Personenkreis betreffende Regelung begehrt, ist diese Fallgruppe bereits systematisch nicht über <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> zu erreichen, sondern allenfalls über eine Regelung gem. <verweis.norm>§ 45 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm>. Denn <verweis.norm>§ 45 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> eröffnet im Gegensatz zu <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> die Möglichkeit, eine konkret-generelle Regelung mittels Allgemeinverfügung in Form einer Beschilderung zu erlassen. Dem widerspricht auch nicht der Umstand, dass die Person im (späteren) Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Ausnahmegenehmigung bestimmt ist. Dieser Umstand ist einer Allgemeinverfügung gerade immanent. Zudem muss der berechtigte Personenkreis bereits vor Erteilung der Ausnahmegenehmigung bestimmt und nicht etwa nur bestimmbar sein. Nur so kann der Sinn und Zweck des <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> nach einer präventiven Kontrolle erreicht werden, während <verweis.norm>§ 45 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> lediglich die Möglichkeit einer repressiven Kontrolle eröffnet. Dies legt auch der Wortlaut des <verweis.norm>§ 46 Abs. 3 Satz 3 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> nahe, wonach der Berechtigte die Genehmigung bereits mitführen muss. Hieraus geht hervor, dass auch der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, dass der Berechtigte bereits konkret bestimmt ist, bevor er den Ausnahmetatbestand verwirklicht.</p>
<p><rd nr="23"/>Vorliegend erfolgt die konkrete Auswahl der Berechtigten in der von dem Beklagten geübten und (in der Praxis) praktikablen - wenn auch über den Gesetzeszweck hinausgehenden - Verwaltungspraxis letztlich nicht durch den Beklagten selbst. Vielmehr überlässt er die konkrete Auswahl der Klägerin zu 2) bzw. ihren Bediensteten, indem diese die Blanko-Ausnahmegenehmigungen im konkreten Einzelfall auf die Übernachtungsgäste ausfüllen und ihnen zuweisen. Die Entscheidungshoheit ist damit vollständig der Klägerin zu 2) überlassen, soweit es sich um deren Gäste handelt. Die begehrte Erteilung von Urlauberparkausweisen erweist sich damit nicht als personenbezogen, wie dies <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> aber verlangt, sondern allenfalls als betriebsbezogen, knüpft also nicht an die Person des Berechtigten, sondern an den Gewerbebetrieb an. Dass es an dem Merkmal der „Einzelfallbezogenheit“ fehlt, wird letztlich auch durch die Aussage der Kläger in der mündlichen Verhandlung deutlich, wonach sich „eine Kiste von Ausnahmegenehmigungen“ im Besitz der Kläger befinde. Eine solche Erteilung von Blanko-Ausnahmegenehmigungen „auf Vorrat“, ohne die berechtigte Person oder zumindest das ihr zugehörige Kfz vorab zu benennen, ist nach <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> aber gerade nicht zulässig und führt den Sinn und Zweck einer präventiven Kontrolle ad absurdum.</p>
<p><rd nr="24"/>Nachdem damit bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des <verweis.norm>§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 <v.abk ersatz="StVO">StVO</v.abk></verweis.norm> nicht erfüllt sind, kommt es weiter nicht auf die Frage an, ob der Beklagte tatsächlich untätig geblieben ist und seiner Pflicht zur Ausübung des eingeräumten Ermessens rechtsfehlerfrei nachgekommen ist.</p>
<p><rd nr="25"/>Ein Anspruch folgt auch nicht aus einem etwaigen Anspruch auf Gleichbehandlung unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit die Klägerin zu 2) insoweit vergleichbare Sachverhalte im Hinblick auf die Parkplatzsituation des Hotels M. und den örtlichen Segelclub aufzuzeigen versucht, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Insoweit fehlt es an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Die beschriebenen Konstellationen haben bereits nicht die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zum Gegenstand, sondern allenfalls allgemein die Zuweisung von Parkflächen auf öffentlichem Grund. Eine derart allgemeine Umschreibung eines zu vergleichenden Sachverhalts ist aber nicht geeignet, eine konkrete Vergleichbarkeit im Einzelfall zu begründen. Im Hinblick auf den örtlichen Segelclub fehlt es zudem aufgrund der örtlich vom verkehrsberuhigten Innenstadtbereich des Beklagten abgelegenen Situierung bereits an der örtlichen Vergleichbarkeit. Soweit die Klägerin zu 2) eine Vergleichbarkeit mit der Parkplatzsituation des Hotels M. konstruiert, ist die Vergleichbarkeit mangels Zurechenbarkeit ggü. dem Beklagten nicht gegeben. So hat der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass die Zurverfügungstellung der Parkflächen durch den berechtigten Nießbraucher und nicht durch den Beklagten selbst erfolgt.</p>
<p><rd nr="26"/>Ein Anspruch der Klägerin zu 2) ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Selbstbindung der Verwaltung. Insoweit fehlt es bereits an der Beibehaltung der Vergabepraxis, nachdem der Beklagte aufgrund des angepassten Verkehrskonzepts mit dem Gemeinderatsbeschluss vom 24. Juli 2017 eine eindeutige Abkehr von der bisherigen Vergabepraxis offenbart hat, welche der Beklagte nach der Umgestaltung des Untermüllerplatzes praktiziert und die sachlich wegen der Reduzierung der Parkmöglichkeiten im streitgegenständlichen Bereich rechtlich nicht zu beanstanden ist. Im Übrigen hätte die Klägerin zu 2) keinen Anspruch auf fortwährend gleiche Verwaltungspraxis.</p>
<p><rd nr="27"/>Soweit die Klägerin zu 2) geltend macht, die Versagung der erstrebten Ausnahmegenehmigungen treffe sie wegen der Ausrichtung und besonderen örtlichen Situation ihres Gasthausbetriebs überdurchschnittlich hart, ist dies zwar nachvollziehbar, jedoch hat jeder Gewerbetreibende sein Unternehmenskonzept an den von der Rechtsordnung vorgegebenen Rahmenbedingungen und hier dem Gestaltungsspielraum des Beklagten für den innerörtlichen Verkehr auszurichten. Auch besteht kein Anspruch darauf, dass die Gesetze in einer Weise vollzogen werden, die eine andernfalls nicht bestehende Gewinnerzielungsmöglichkeit eröffnet (BayVGH, B.v. 25.9.2007 - 11 ZB 06.279 - juris Rn. 19).</p>
<p><rd nr="28"/>Aus gleichen Erwägungen wäre im Übrigen auch die Klage der Klägerin zu 1) als unbegründet abzuweisen gewesen.</p>
<p><rd nr="29"/>Die Klagen waren somit unter Ausspruch der Kostenfolge aus <verweis.norm>§ 154 Abs. 1 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf <verweis.norm>§ 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> i.V.m. <verweis.norm>§ 708 Nr. 11, § 711 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>.</p>
</div>
|
|
161,466 | olgk-2018-12-19-14-uf-18518 | {
"id": 822,
"name": "Oberlandesgericht Köln",
"slug": "olgk",
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"state": 12,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Oberlandesgericht"
} | 14 UF 185/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:21 | 2019-02-12T12:22:37 | Beschluss | ECLI:DE:OLGK:2018:1219.14UF185.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 gegen den am 9. Dezember 2013 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Brühl wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.</p>
<p><strong>(…)</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die beteiligten Kinder wurden während der Ehe der Kindesmutter mit dem Antragsteller geboren. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 9. Dezember 2013 hat das Amtsgericht auf Antrag des Antragstellers festgestellt, dass die Kinder nicht von ihm abstammen. In zwei Parallelverfahren begehren die Kinder die Feststellung der Vaterschaft des Beteiligten zu 3. Nachdem dieser Kenntnis von dem angefochtenen Beschluss erlangt hat, hat er am 22. Oktober 2018 Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, die Anfechtungsfrist sei nicht gewahrt.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist unzulässig, da dem weiteren Beteiligten zu 3 ein Beschwerderecht nicht zusteht.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Der weitere Beteiligte zu 3 ist nicht nach § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt. Denn eine dem Anfechtungsantrag des rechtlichen Vaters stattgebende Entscheidung beeinträchtigt den potenziellen biologischen Vater nicht in seinen Rechten (vgl. OLG München, Beschluss vom 19.4.2012 - 16 UF 231/12, FamRZ 2012, 1825; Dürbeck in Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl., § 172 Rn. 9; Borth/Grandel in Musielak/Borth, FamFG, 6. Aufl., § 59 Rn. 5; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 172 FamFG Rn. 1).</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtsbeeinträchtigung liegt nur vor, wenn der Entscheidungssatz des angefochtenen Beschlusses unmittelbar in ein dem Beschwerdeführer zustehendes Recht eingreift (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19.1.2011 - XII ZB 326/10, FamRZ 2011, 465 Rn. 9; vom 18.1.2017 - XII ZB 544/15, FamRZ 2017, 623 Rn. 25). Das ist in der vorliegenden Konstellation nicht der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Rechtsstellung des biologischen Vaters durch eine dem Anfechtungsantrag des rechtlichen Vaters stattgebende Entscheidung nur insoweit mittelbar betroffen, als sie den Weg zur Feststellung seiner Vaterschaft freigibt. Die Anfechtungsentscheidung stellt aber noch keine rechtsbedeutsame Beziehung des potenziellen biologischen Vaters zum Kind her und verkürzt auch nicht die Rechtsverteidigung des potenziellen biologischen Vaters in einem späteren Vaterschaftsfeststellungsverfahren. Da die Anfechtungsentscheidung für und gegen alle wirkt (§ 184 Abs. 2 FamFG), kann er sich zwar im Feststellungsverfahren nicht mehr auf den Standpunkt stellen, das Kind sei rechtlich dem Antragsteller des Anfechtungsverfahrens zuzuordnen. Er kann aber seine eigene biologische Vaterschaft bestreiten, ohne dass die Erforschung der wahren Abstammungsverhältnisse unter Einbeziehung des Antragstellers des Anfechtungsverfahrens ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4.7.2007 - XII ZB 68/04, FamRZ 2007, 1731 Rn. 15 f. und XII ZB 224/03, FamRZ 2007, 1729 Rn. 13; vom 17.6.2009 - XII ZB 75/07, FamRZ 2009, 1404 Rn. 10 f.).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Auch aus dem Umstand, dass die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 nach dem Beschwerdevorbringen falsche Angaben zu den die Anfechtungsfrist in Gang setzenden Umständen gemacht und den angefochtenen Beschluss arglistig erschlichen haben sollen, kann der weitere Beteiligte zu 3 nichts für sich herleiten. Denn die Anfechtungsfristen dienen nicht dem Interesse des potenziellen biologischen Vaters, einer möglichen Inanspruchnahme durch das Kind zu entgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 4.7.2007 - XII ZB 68/04, FamRZ 2007, 1731 Rn. 18).</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Dem weiteren Beteiligten zu 3 steht auch kein Beschwerderecht gemäß § 184 Abs. 3 FamFG zu. Denn im Anfechtungsverfahren des rechtlichen Vaters muss ein potenzieller biologischer Vater nicht beteiligt werden.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Er ist nicht nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG als Beteiligter hinzuzuziehen. Denn aus den oben genannten Gründen wird sein Recht durch das Verfahren nicht unmittelbar betroffen (vgl. OLG München, Beschluss vom 19.4.2012 - 16 UF 231/12, FamRZ 2012, 1825, 1825 f.; Schwonberg in Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 5. Aufl., § 172 Rn. 29 ff.; Dürbeck in Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl., § 172 Rn. 9, § 184 Rn. 12; MüKoFamFG/Coester-Waltjen/Lugani, 3. Aufl., § 172 Rn. 13 ff.; Borth/Grandel in Musielak/Borth, FamFG, 6. Aufl., § 172 Rn. 1; Löhning in Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 3. Aufl., § 172 Rn. 3; a.A. Coester/Waltjen, JURA 2009, 427, 429 f.).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus muss ein potenzieller biologischer Vater auch nicht zum Ausgleich der weggefallenen Möglichkeit einer unselbständigen Nebenintervention auf seinen Antrag beteiligt werden (so aber Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 172 FamFG Rn. 1). Zwar konnte der als Erzeuger des Kindes in Betracht kommende Mann sich im zivilprozessualen Anfechtungsverfahren alten Rechts als einfacher Nebenintervenient am Rechtsstreit beteiligen (vgl. BGH, Beschluss vom 4.7.2007 - XII ZB 224/03, FamRZ 2007, 1729 Rn. 9 mwN). Dass das neue Recht eine entsprechende Möglichkeit nicht vorsieht, ist aber hinzunehmen. Denn da die der Anfechtung stattgebende Entscheidung nicht unmittelbar in die Rechtsstellung des biologischen Vaters eingreift, ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, ihm durch geeignete Verfahrensvorschriften die Möglichkeit zu verschaffen, dem Anfechtungsverfahren zur Wahrnehmung seiner Interessen beizutreten (vgl. BGH, Beschluss vom 4.7.2007 - XII ZB 224/03, FamRZ 2007, 1729 Rn. 16 zum postmortalen Anfechtungsverfahren alten Rechts).</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><strong>(…)</strong></p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsbehelfsbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss findet ein Rechtsmittel nicht statt.</p>
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161,428 | olgrost-2018-12-19-20-ws-25218 | {
"id": 483,
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"slug": "olgrost",
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"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Oberlandesgericht"
} | 20 Ws 252/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-16T06:59:45 | 2019-02-12T12:22:35 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1. <strong>Auf die Beschwerde des Verurteilten werden die Weisungen zu Ziffer 3. d) und 3. e) des Beschlusses der 8. Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock vom 01.10.2018 - 18 StVK 186/18 (1) - aufgehoben und wie folgt neu gefasst:</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"><strong>Ziffer 3. d):</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"><strong>Der Verurteilte wird strafbewehrt (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10, § 145a StGB) angewiesen, keine illegalen Drogen zu sich zu nehmen und sich zum Nachweis hierfür bis zu zehn mal jährlich auf kurzfristige Aufforderung durch die Führungsaufsichtsstelle/Bewährungshilfe beim Institut für Rechtsmedizin in Rostock, St.-Georg-Str. 108, 18055 Rostock einem Urintest zur Untersuchung auf Betäubungsmittelrückstände und Amphetamine zu stellen. Die Kosten der Untersuchung trägt einstweilen die Staatskasse.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"><strong>Ziffer 3. e):</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"><strong>Der Verurteilte wird angewiesen, sich unverzüglich, spätestens bis Ende Januar 2019 unter Vermittlung der Führungsaufsichtsstelle / Bewährungshilfe bei einer zu seiner Betreuung bereiten örtlichen Suchtberatungsstelle vorzustellen und diese hernach zur Abstinenzmotivation aufzusuchen (Weisung gem. § 68b Abs. 2 Satz 2 StGB). Die nähere Ausgestaltung dieser Weisung (insbesondere die Benennung der Beratungsstelle sowie die Häufigkeit der Kontakthaltung) ergeht nach der Kontaktanbahnung durch Ergänzungsbeschluss der Strafvollstreckungskammer.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2. <strong>Die sofortige und die weitergehende einfache Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss vom 01.10.2018 werden als unbegründet auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.</strong></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">1. <strong>Auf die Beschwerde des Verurteilten werden die Weisungen zu Ziffer 3. d) und 3. e) des Beschlusses der 8. Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock vom 01.10.2018 - 18 StVK 186/18 (1) - aufgehoben und wie folgt neu gefasst:</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong><span style="text-decoration:underline">Ziffer 3. d):</span></strong><br><strong>Der Verurteilte wird </strong><strong><span style="text-decoration:underline">strafbewehrt</span></strong><strong> (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10, § 145a StGB) angewiesen, keine illegalen Drogen zu sich zu nehmen und sich zum Nachweis hierfür bis zu zehn mal jährlich auf kurzfristige Aufforderung durch die Führungsaufsichtsstelle / Bewährungshilfe beim Institut für Rechtsmedizin in Rostock, St.-Georg-Str. 108, 18055 Rostock einem Urintest zur Untersuchung auf Betäubungsmittelrückstände und Amphetamine zu stellen. Die Kosten der Untersuchung trägt einstweilen die Staatskasse.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong><span style="text-decoration:underline">Ziffer 3. e):</span></strong><br><strong>Der Verurteilte wird angewiesen, sich unverzüglich, spätestens bis Ende Januar 2019 unter Vermittlung der Führungsaufsichtsstelle / Bewährungshilfe bei einer zu seiner Betreuung bereiten örtlichen Suchtberatungsstelle vorzustellen und diese hernach zur Abstinenzmotivation aufzusuchen (Weisung gem. § 68b Abs. 2 Satz 2 StGB). Die nähere Ausgestaltung dieser Weisung (insbesondere die Benennung der Beratungsstelle sowie die Häufigkeit der Kontakthaltung) ergeht nach der Kontaktanbahnung durch Ergänzungsbeschluss der Strafvollstreckungskammer.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">2. <strong>Die sofortige und die weitergehende einfache Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss vom 01.10.2018 werden als unbegründet auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="text-align:center"><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 10.10.2018 richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts Rostock vom 01.10.2018 - 18 StVK 186/18 (1) -, mit dem die 8. Kleine Strafvollstreckungskammer nach mündlicher Anhörung des Verurteilten entschieden hat, dass die eintretende Führungsaufsicht nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 18.05.2017 - 39 Ls 62/17 - nicht entfällt, die Führungsaufsicht fünf Jahre dauert, der Verurteilte der Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe- und der Führungsaufsichtsstelle unterstellt wird und er schließlich näher ausgeführte Weisungen zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht zu befolgen hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der angefochtene Beschluss ist dem Verurteilten am 06.10.2018 förmlich zugestellt worden. Die Beschwerdeschrift ist am 15.10.2018 (einem Montag) beim Landgericht Rostock eingegangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Strafvollstreckungskammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="text-align:center"><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Das unausgeführte Rechtsmittel des Verurteilten ist trotz der Bezeichnung als „sofortige Beschwerde“ mangels ausdrücklicher Beschränkung sowohl als sofortige Beschwerde gegen die Anordnung der Führungsaufsicht (<strong>1.</strong>) als auch als einfache Beschwerde gegen die Dauer der Führungsaufsicht, der Unterstellung der Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe- und der Führungsaufsichtsstelle sowie die ihm erteilten Weisungen (<strong>2.</strong>) auszulegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>1.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Soweit sich das eingelegte Rechtsmittel gegen die Entscheidung aus Ziffer 1. des angefochtenen Beschlusses richtet, wonach die nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 18.05.2017 eintretende Führungsaufsicht nicht entfällt, ist es nach §§ 463 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. 454 Abs. 3 Satz 1 StPO als sofortige Beschwerde statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 306, 311 Abs. 2 StPO), mithin zulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die sofortige Beschwerde erweist sich jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung sowie den ebenfalls zutreffenden Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 23.11.2018 als unbegründet. Die Voraussetzungen für den gesetzlichen Eintritt der Führungsaufsicht gemäß § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB liegen vor. Der Verurteilte wird die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat bis zum 13.12.2018 vollständig verbüßt haben. Die Grundregel des § 68f Abs. 1 StGB beruht auf der Erwägung, dass die Vollverbüßung einer zumindest zweijährigen Freiheitsstrafe in der Regel eine ungünstige Sozialprognose indiziert. Das Absehen von der Maßregel gemäß § 68f Abs. 2 StGB hat infolgedessen Ausnahmecharakter und setzt die durch konkrete Fakten begründete Erwartung voraus, dass der Verurteilte auch ohne die Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehen wird. Das ist hier nicht der Fall. Bei dem erheblich und einschlägig vorbestraften Verurteilten, der sich bereits zum vierten Mal in Strafhaft befindet, besteht eine therapeutisch unbearbeitete Suchtproblematik, aufgrund derer sich eine künftige Wiedereingliederung äußerst schwierig gestalten wird und ein Rückfall in kriminelle Verhaltensmuster wahrscheinlich ist. Umstände, die ausnahmsweise ein Entfallen der Führungsaufsicht rechtfertigen könnten, sind daher nicht ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>2.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Soweit sich der Verurteilte gegen die Dauer der Führungsaufsicht, die Unterstellung und Leitung der Bewährungshilfe- und der Führungsaufsichtsstelle sowie die ihm erteilten Weisungen wendet, ist sein Rechtsmittel als einfache Beschwerde nach §§ 463 Abs. 2 i.V.m. 453 Abs. 2 Satz 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>a.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde hat hinsichtlich der Weisungen zu Ziffer 3. d) und 3. e) des Beschlusses des Landgerichts Rostock in geringem Umfang Erfolg. Das Rechtsmittel führt insoweit jedoch nicht zur (Teil-)Aufhebung und Zurückverweisung an die Vorinstanz, sondern zu eigener Sachentscheidung des Senats (§ 309 Abs. 2 StPO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Beschwerde gegen Maßnahmen zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht nur darauf gestützt werden, dass die getroffenen Anordnungen gesetzeswidrig sind. Gesetzeswidrig sind Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht nur dann, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des der Strafvollstreckungskammer eingeräumten Ermessens überschreiten. Dabei ist allein zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung in der angewendeten Vorschrift eine Rechtsgrundlage hat, ob Ermessensmissbrauch vorliegt und ob der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist. Eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Anordnung findet im Beschwerdeverfahren hingegen nicht statt (OLG Bamberg, Beschluss vom 06.11.2012 - 1 Ws 678/12 -).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>aa)</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Unter Berücksichtigung dieses Überprüfungsmaßstabes bedurfte die Weisung zu Ziffer 3. d) des angefochtenen Beschlusses, der Verurteilte habe <em>keinen Alkohol</em> und keine illegalen Drogen zu sich zu nehmen und zum Nachweis hierfür bis zu zehnmal jährlich einen Urintest beim Institut für Rechtsmedizin in Rostock <em>oder bei einer durch die Führungsaufsichts- bzw. Bewährungshilfestelle zu bezeichnenden Stelle</em> abnehmen zu lassen, mit Blick auf § 68b Abs. 1 Satz 2 StGB zwar keiner Zurückverweisung an die Vorinstanz, aber doch einer Modifizierung. Denn im Hinblick auf die Strafbewehrung sind Weisungen gem. § 68b Abs. 1 StGB hinreichend genau zu bestimmen. § 68b Abs. 1 Satz 2 StGB stellt deshalb ausdrücklich klar, dass das Gericht das verbotene und verlangte Verhalten genau zu bestimmen hat. Um diesen Anforderungen zu genügen, bedarf es bei der Anordnung von Alkohol- und Drogenkontrollen i.S.v. § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB zumindest zusätzlich der Bezeichnung der Stelle, die die Kontrollen durchführen soll, sowie der Angabe einer Obergrenze für deren Häufigkeit innerhalb eines bestimmten Zeitraumes und die Festlegung der Kostentragung. Nichts davon kann dem Bewährungshelfer oder der Führungsaufsichtsstelle überlassen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 22.02.2011 - I Ws 39/11 -).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>(1)</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Daran mangelt es der Befugnis, dass der Verurteilte die Urinprobe außer beim Institut für Rechtsmedizin Rostock auch bei einer durch die Führungsaufsichtsstelle oder den/die Bewährungshelfer/in zu benennenden Stelle abgeben können soll. Da eine solche Alternativstelle zur Testung und Überwachung des Verurteilten aber derzeit nicht notwendig erscheint, konnte sie in Wegfall geraten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>(2)</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Weisung unterlag ebenfalls Bedenken, sofern sie auch die Einnahme von <em>Alkohol</em> betrifft. Eine Abstinenzweisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB kann ergehen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass ein Alkohol- bzw. Rauschmittelkonsum zur Gefahr der Begehung weiterer Straftaten beitragen könnte (OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2018 - III-5 Ws 35-37/18 -). Zum Vorliegen dieser Voraussetzungen im Hinblick auf den Konsum von illegalen Drogen hat die Kammer ausgeführt, bei dem Verurteilten bestehe eine ungelöste Drogenproblematik, die erneute Straftaten befürchten lasse. Die Abstinenzweisung mit Kontrollauflage diene der Unterstützung des Verurteilten, der in der Vergangenheit seinen Drogenkonsum mit dem Handel mit Betäubungsmitteln finanziert habe. Der Anlassverurteilung lag ein unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zugrunde. Aus den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen ergibt sich, dass der Verurteilte seit 1994 betäubungsmittelabhängig ist. Auch die JVA bescheinigt dem Verurteilten ein straftatrelevantes, auf Betäubungsmittel bezogenes Suchtverhalten. Nicht ersichtlich ist jedoch, worauf das - dann auch nach § 145a StGB strafbewehrte - Verbot des Konsums von <em>Alkohol</em> beruhen soll. Weder der angegriffene Beschluss noch die Nichtabhilfeentscheidung der Kammer vom 13.11.2018 beinhalten entsprechende Ausführungen. Auch aus den vorliegenden Akten ist nicht ersichtlich, dass der Verurteilte in der Vergangenheit Alkohol im Übermaß konsumiert hätte und ein solcher Alkoholkonsum mitursächlich für die begangenen Straftaten war. Allenfalls der Gesichtspunkt einer drohenden Suchtverlagerung und darauf beruhender Gefahren könnte hier ein Verbot rechtfertigen. Diesbezüglich bestehen jedoch einstweilen keine Erkenntnisse.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Auch insoweit bedurfte es jedoch keiner Aufhebung und Zurückverweisung zur Neuentscheidung, sondern das „Alkoholverbot“ konnte jedenfalls einstweilen in Wegfall geraten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>(3)</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Angesichts der Delinquenzgeschichte des Verurteilten bestand zwar Anlass zu näherer Auseinandersetzung mit der Frage der Zumutbarkeit der erteilten strafbewehrten Abstinenzweisung. Ausweislich der Urteilsfeststellungen des Amtsgerichts Rostock vom 18.05.2017 ist der Verurteilte seit 1994 betäubungsmittelabhängig. Er wurde bislang bereits fünfmal wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Nach der dritten einschlägigen Verurteilung (Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 03.05.2011) handelte er trotz laufender Bewährung sofort wieder mit Betäubungsmitteln, um seine Drogensucht zu finanzieren, weswegen er sodann vom Amtsgerichts Rostock am 27.11.2012 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden ist. Die Drogenproblematik des Verurteilten ist zudem unbearbeitet. Bei einer Haftraumkontrolle wurden beim Verurteilten BtM-Utensilien festgestellt. Im November 2017 verweigerte er eine Urinkontrolle mit der Begründung, positiv zu sein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Gleichwohl sieht der Senat die Abstinenzweisung im Lichte seiner ständigen Rspr. aber nicht als unverhältnismäßig an. Denn der Verurteilte scheint, wie aus den Akten auch zu erschließen ist, bei gehöriger Willensanstrengung zumindest für eine gewisse Zeit auf Drogenkonsum verzichten zu können. Überdies ist den Akten nicht zu entnehmen, dass es aus Anlass des letzten Haftantritts zu bemerkenswerten Entzugserscheinungen gekommen ist, so dass das Maß der körperlichen und geistigen Auswirkungen des Substanzmissbrauchs noch überschaubar erscheint.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Allein der Umstand, dass es sich bei dem Verurteilten um einen langjährig nicht erfolgreich behandelten Suchtkranken handelt, macht die Abstinenzweisung keinesfalls grundsätzlich unzulässig. Abstinenzweisungen sind vielmehr gerade für diese Gruppe von Straftätern anzuwenden, um sie angesichts der nicht therapierten Suchterkrankung vom weiteren Suchtmittelmissbrauch abzuhalten (vgl. Senatsbeschluss vom 27.03.2012 - I Ws 90/12 - juris -) und ggf. zur therapeutischen Aufarbeitung zu motivieren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>bb)</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Soweit dem Verurteilten aufgegeben wurde, sich erstmals binnen einer Woche nach der Entlassung und sodann monatlich mindestens einmal bei einer örtlichen Suchtberatungsstelle zur Abstinenzmotivation vorzustellen, hat die Kammer nicht beachtet, dass die Vorstellungsverpflichtung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB nur zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen und nur bei einem (jeweils zu bestimmenden) Arzt, einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz zulässig ist. Sowohl die zeitliche Anordnung „monatlich mindestens einmal“ als auch die allgemein gehaltene Formulierung „bei einer örtlichen Suchtberatungsstelle“ genügt dem Bestimmtheitsgebot nicht (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 19.11.2007 - 1 AR 1287/07, 2 Ws 581/07 -; OLG Dresden, Beschluss vom 06.09.2007 - 2 Ws 423/07 -).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Der von der Kammer beabsichtigte, überaus sinnvolle Regelungsgehalt - regelmäßige Anbindung des Verurteilten an eine örtliche Suchtberatungsstelle, ggf. i.V.m. der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe - läßt sich zwar (wenigstens zunächst) nicht auf § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB, jedoch auf § 68b Abs. 2 Satz 2 StGB stützen. Mit der aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen, dem Senat nach § 309 Abs. 2 StPO möglichen Modifizierung kann eine Kontaktanbahnung des Verurteilten zu einer zu seiner Betreuung geeigneten und - von den Kapazitäten her - bereiten Beratungsstelle erreicht werden. Ob im Anschluss daran weitere - präzisere, dann ggf. auch strafbewehrte - Regelungen getroffen werden können und müssen, wird die Strafvollstreckungskammer zu entscheiden haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>b.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Die darüber hinausgehende Beschwerde ist unbegründet. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 23.11.2018.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="text-align:center"><strong>III.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidungen folgen aus § 473 Abs. 1 StPO. Da die Beschwerde nur in einem sehr geringen Maß Erfolg hatte, war für die Anwendung des § 473 Abs. 4 StPO kein Raum.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="text-align:center"><strong>IV.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 310 Abs. 2 StPO.</p></dd>
</dl>
</div></div>
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<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a>
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"id": 1068,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht",
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"jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit",
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} | L 3 AL 193/18 B ER | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-16T06:59:23 | 2019-01-17T12:06:24 | Beschluss | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 9. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 9. Oktober 2018 wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Antragsgegnerin erstattet dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten auch im Beschwerdeverfahren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten streiten im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe für den Antragsteller.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der am ... 1989 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsbürger. Er ist alleinstehend und reiste im März 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Sein Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom Februar 2017 abgelehnt. Hiergegen erhob er Klage zum Verwaltungsgericht Schleswig, über die noch nicht entschieden ist (Az. 5 B 19/17). Der Antragsteller hat den Aufenthaltsstatus einer Aufenthaltsgestattung, § 55 Abs. 1 Asylgesetz. Der Antragsteller hat in Afghanistan keine Ausbildung absolviert. Zum 1. Oktober 2017 nahm er eine Arbeitsstelle als Hilfskraft in der Fleischerei S. auf. Dort verdiente er ca. 1.100 € netto pro Monat. Mit Wirkung zum 1. September 2018 schloss der Antragsteller mit seinem Arbeitgeber einen Berufsausbildungsvertrag für den Ausbildungsberuf Fleischer. Das Ausbildungsentgelt beträgt im ersten Lehrjahr 550 € brutto, im zweiten Lehrjahr 650 €, im dritten Lehrjahr 750 €. Für seine Wohnung zahlt der Kläger eine monatliche Warmmiete von 406 €.  Aus Anlass der Aufnahme der Ausbildung beantragte er bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe. Mit Bescheid vom 30. August 2018 lehnte die Antragsgegnerin diesen ab, da der Antragsteller nicht zum förderungsfähigen Personenkreis gehöre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 3. September 2018 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, der Antrag sei zu Unrecht abgelehnt worden, da seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes am 6. August 2016 Asylsuchende, wie er, mit einer Aufenthaltsgestattung, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten sei, nach 15 Monaten Aufenthalt Berufsausbildungsbeihilfe erhielten, § 132 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Diese Voraussetzungen seien bei ihm erfüllt. Es sei insbesondere auch ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt zu erwarten. Er absolviere eine Berufsausbildung. Selbst bei Ablehnung seines Asylantrags habe er einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz. Diese könne bei erfolgreichem Abschluss zu einer Aufenthaltserlaubnis führen, von einem erfolgreichen Abschluss könne ausgegangen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2018 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz liege bislang nicht vor. Eine gute Bleibeperspektive bestehe nicht, so dass der Antragsteller nicht zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 59 SGB III gehöre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Dass sein Aufenthalt seit mindestens 15 Monaten gestattet sei, nütze ihm nichts. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bestehe eine gute Bleibeperspektive für Menschen aus Herkunftsstaaten mit einer Schutzquote von über 50%. Afghanistan gehöre nicht dazu. Eine Sonderregelung habe nur für das zweite Halbjahr 2017 gegolten. Da sie mit dem 1. Januar 2018 ausgelaufen sei, fehle es an einer guten Bleibeperspektive.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Hiergegen hat der Antragsteller am 27. September 2018 Klage zum Sozialgericht Lübeck erhoben und mit Schreiben vom selben Tag den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Es sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, eine Entscheidung darüber, ob ein gesicherter Aufenthalt zu erwarten sei, allein aufgrund des Herkunftslandes zu treffen. Dies sei nicht allein aufgrund der Feststellungen des BAMF zur Bleibeperspektive zu entscheiden, sondern im Einzelfall zu klären. Die Folgenabwägung im Eilrechtsschutz müsse zu seinen Gunsten ausfallen. Die Nachteile bei Ablehnung der Beihilfe im Fall der Begründetheit der Klage wögen schwerer, als umgekehrt, die Nachteile bei Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes im Falle der Unbegründetheit der Hauptsache. Es handele sich um eine förderungsfähige Ausbildung, über die der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden sei. Glaubhaft sei dargelegt, dass es sich bei der jetzigen Berufsausbildung zum Fleischer um eine Erstausbildung handelte. Er sei auch zum förderungsfähigen Personenkreis zu zählen. Eine gute Bleibeperspektive sei daraus zu entnehmen, dass er eine qualifizierte Berufsausbildung erfolgreich durchlaufen werde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 Aufenthaltsgesetz sei eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von Satz 3 zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnehme oder aufgenommen habe, die Voraussetzungen nach Abs. 6 nicht vorlägen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstünden. Dies sei bei ihm der Fall. Nach § 18 Absatz 1a Aufenthaltsgesetz sei, wenn eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 Aufenthaltsgesetz erteilt worden sei, nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung für eine der erworbenen beruflichen Qualifikation entsprechende Beschäftigung eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von zwei Jahren zu erteilen, wenn die Voraussetzungen von § 18 Abs. 1 Nummer 2-7 vorlägen und die Bundesagentur für Arbeit nach § 39 Aufenthaltsgesetz zugestimmt habe. Die Möglichkeit der nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung zu erlangenden Aufenthaltserlaubnis begründe eine gute Bleibeperspektive. Die halbjährige Festlegung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dürfe dagegen nicht allein zur Entscheidung herangezogen werden, ob eine gute Bleibeperspektive bestehe. Angesichts der noch nicht abschließend geklärten Rechtslage sei sein Anspruch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach summarischer Prüfung nicht offensichtlich auszuschließen. Ein Anordnungsgrund liege vor. Das Ausbildungsgehalt sei nicht existenzsichernd, er sei daher dringend auf die Ausbildungsbeihilfe an gewiesen. Ihm drohten schwere nicht anders abwendbare und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigende Beeinträchtigungen. Die Berufsausbildungsbeihilfe diene der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens. Bei der Abwägung stehe unter Zugrundelegung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bei entsprechender Schwere der drohenden Beeinträchtigung auch eine geringe Wahrscheinlichkeit des Hauptsacheerfolgs einem Erfolg des Eilantrags nicht entgegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass der Antragsteller nicht geduldet im Sinne des § 60a Aufenthaltsgesetz sei, so dass § 59 Abs. 2 SGB III nicht zu beachten sei. Die Entscheidung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, die gute Bleibeperspektive für Asylbewerber und Asylbewerberinnen auch aus Afghanistan zu öffnen, sei ausdrücklich für das zweite Halbjahr 2017 bis zum 31. Dezember 2017 befristet gewesen. Hieran sehe sich die Antragsgegnerin gebunden. Afghanistan gehöre nach ihrer bundeseinheitliche Auffassung nicht zu den Herkunftsstaaten mit guter Bleibeperspektive, so dass der Antragsteller nicht zum förderungsfähigen Personenkreis gehöre. Sie hat weiter auf den Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 20. Juli 2018, L2 AL7/18 B ER verwiesen. Ein Anordnungsgrund bestehe ebenfalls nicht. Der Antragsteller müsse alle zumutbaren Möglichkeiten der Selbsthilfe erfolglos ausgeschöpft haben. Insbesondere im Streit um die einstweilige Zuerkennung der Berufsausbildungsbeihilfe sei dies die Verweisung auf die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vor Feststellung der Voraussetzung des Anspruchs auf Berufsausbildungsbeihilfe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Mit Beschluss vom 9. Oktober 2018 hat das Sozialgericht Lübeck den Antragsgegner verpflichtet, im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antragsteller vorläufig für seine Ausbildung zum Fleischer Berufsausbildungsbeihilfe ab dem 27. September 2018 längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, ein Anordnungsanspruch sei glaubhaft gemacht. Der Antragsteller sei zu dem in § 132 SGB III genannten Personenkreis zu zählen. Die erforderliche Bleibeperspektive sei auf jeden Fall dann anzunehmen, wenn abstrakt für das fragliche Herkunftsland eine Schutzquote von mehr als 50% bestehe, was für Afghanistan, das Herkunftsland des Antragstellers, nicht der Fall sei. Die rein abstrakte Betrachtung sei jedoch nicht nach dem Wortlaut der Vorschrift zur generellen Maxime aufzuwerten. Sprachlich knüpfe die Erwartung des rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts in § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht an das Herkunftsland, sondern an die Person des die Leistung nachsuchenden Ausländers an. Dies mache zwar generell Betrachtungen, wie die vorstehende der Gesamtschutzquote, nicht von vornherein wertlos, erübrige aber eine individuelle Betrachtung dadurch gleichwohl nicht. Zu berücksichtigen sei auch, ob der Leistung nachsuchende Ausländer die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels erfülle, auch wenn dieser noch nicht erteilt worden sei. Wenn zwingendes Recht die Zuerkennung eines aufenthaltsrechtlichen Status vorsehe, der die Zugehörigkeit zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 59 Abs. 2 SGB III zur Folge habe, lege dies regelmäßig die Annahme einer guten Bleibeperspektive nahe. Diese sei daraus abzuleiten, dass der Antragsteller eine qualifizierte Berufsausbildung absolviere und damit auch bei einer rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung habe. Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 Aufenthaltsgesetz sei eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne des Satzes 3 dann zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnehme oder aufgenommen habe, die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorlägen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstünden. Diese Voraussetzungen erfülle der Antragsteller seit der Aufnahme der Ausbildung, da die Voraussetzungen nach Abs. 6 nicht vorlägen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht ersichtlich seien. Ihm sei daher die Duldung zu erteilen, wonach er nach § 59 Abs. 2 SGB III zum förderungsfähigen Personenkreis gehöre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 17. Oktober 2018 Beschwerde zum schleswig-holsteinischen Landessozialgericht erhoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung führt sie aus, es stelle sich die Rechtsfrage, ob die Bundesagentur für Arbeit und die Sozialgerichte in einem Verfahren der Beantragung von Berufsausbildungsbeihilfe eigenständig Feststellungen zu treffen hätten, ob der dauerhafte Aufenthalt eines Asylbewerbers zu erwarten sei und ob sich eine gute Bleibeperspektive daraus ergebe, wenn der Antragsteller bei rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags eine Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 Aufenthaltsgesetz beantragen könne. Die inhaltliche Überprüfung der Richtigkeit der Asylentscheidung sei in einem Verfahren der Beantragung von Berufsausbildungsbeihilfe weder Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit noch der Sozialgerichte. Der Antragsteller habe auch die Fehlerhaftigkeit des Asylbescheids nicht aufgezeigt. Ein Erfolg des Asylantrags erscheine hiernach im gegenwärtigen Zeitpunkt als sehr unwahrscheinlich. Ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt als Flüchtling oder subsidiär geschützter sei nicht zu erwarten. Eine gute Bleibeperspektive ergebe sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller bei rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags eine Ausbildungsduldung nach § 60 Abs. 2 Satz 4 Aufenthaltsgesetz beantragen könne, womit das Sozialgericht seine Entscheidung tragend begründet habe. Zutreffend sei die Argumentation des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern, wonach eine Duldung keinen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des § 132 Abs. 1 Nummer 2 SGB III darstelle. Es handele sich lediglich um eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung, wobei der Aufenthalt an sich unrechtmäßig bleibe und die Pflicht zur unverzüglichen Ausreise fortbestehe. Zudem sei die Anspruchsberechtigung auf Ausbildungsbeihilfe bei Duldung gesondert in § 59 Abs. 2 SGB III geregelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Würde die Aussicht auf eine Ausbildungsduldung und gegebenenfalls eine anschließende Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 1a Aufenthaltsgesetz tatsächlich eine gute Bleibeperspektive in Sinne von § 132 Abs. 1 Nummer 2 SGB III vermitteln, wäre diese dort geregelte Voraussetzung schlicht überflüssig, da jeder Ausländer diese mit der Aufnahme einer Ausbildung automatisch erfüllen würde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Antragsgegnerin beantragt</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 9. Oktober 2018 aufzuheben und den Antrag abzulehnen, hilfsweise die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aus den Beschluss vom 9. Oktober 2018 auszusetzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller beantragt</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Beschwerde zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Er trägt vor, die Wahrscheinlichkeit, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu obsiegen, sei nur ein Aspekt der Prüfung. Es möge zutreffen, dass für den Antragsteller keine positive Prognose zu stellen sei. Zutreffen möge auch, dass nicht jeder nach § 60a Aufenthaltsgesetz in Ausbildung befindliche Ausländer im Ergebnis zum berechtigten Personenkreis gehören werde. Hierauf komme es nicht an. Entscheidend sei, ob einem Asylsuchenden ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe für die Dauer des Hauptsacheverfahrens allein deshalb vorenthalten bleiben müsse, wenn ihm auf der Grundlage der Anerkennungsquote seines Herkunftslandes keine gute Bleibeperspektive prognostiziert werden könne. Zum einen scheitere die Annahme einer guten Bleibeperspektive an gerade einmal zwei Prozentpunkten, zum anderen begründe § 18 Abs. 1a Aufenthaltsgesetz eine gute, jedenfalls aber eine für den Eilrechtschutz hinreichende Bleibeperspektive. Nach § 132 Absatz 1 Satz 2 SGB III werde nur bei Asylbewerbern, die aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a Asylgesetz stammten, vermutet, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nicht zu erwarten sei. Eine entsprechende gesetzliche Vermutung für Asylbewerber aus anderen Staaten gebe es nicht. Dass keine hinreichend abgesicherte negative Prognose gestellt werden könne, rechtfertige die Gewährung der Leistung im einstweiligen Rechtsschutz. Nur so sei sicherzustellen, dass der Antragsteller die Ausbildung überhaupt fortsetzen könne. Bei anderer Auffassung bliebe de facto nur Asylbewerbern die Möglichkeit einer Ausbildung, die aus den Ländern Syrien, Somalia, Eritrea, Irak oder Iran stammten, diese Verengung des Personenkreis habe der Gesetzgeber erkennbar nicht gewollt. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass auch Geduldete eine gute Bleibeperspektive haben könnten. Dies könne sich von Rechts wegen nicht aus einem Asylantrag ergeben, weil die betroffenen Personen bei gestelltem Asylantrag keine Duldung, § 60a Aufenthaltsgesetz, sondern eine Aufenthaltsgestattung, § 55 Asylgesetz hätten. Daher seien auch bei Personen mit Aufenthaltsgestattung andere Gründe, die sich aus dem allgemeinen Aufenthaltsrecht ergäben, zu berücksichtigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist statthaft, weil die Berufung nicht der Zulassung bedürfte (§§ 172 Abs. 3 Nr. 1, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde ist unbegründet. Dem Antragsteller steht im Rahmen einer Folgenabwägung vorläufig die Förderung durch Berufsausbildungsbeihilfe zu. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Ihr Erlass setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) und auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft (i.S.v. überwiegend wahrscheinlich; vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03) macht (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Es besteht eine Wechselbeziehung. Mit zunehmender Eilbedürftigkeit oder mit schwereren oder unzumutbarer drohenden Nachteilen sind die Anforderungen an den Anordnungsanspruch zu verringern und umgekehrt. Insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht ist, - wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist - anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, in die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen sind (vgl. zu alledem BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller kann aus einer Folgenabwägung in summarischer Prüfung die Berufsausbildungsbeihilfe aus § 132 Abs. 1 SGB III verlangen. Aus der systematischen und teleologischen Auslegung des § 132 Abs. 1 SGB III, § 132 Abs. 2 SGB III und § 59 Abs. 3 SGB III, § 60a Aufenthaltsgesetz sowie der Gesetzgebungsmaterialen zu § 44 Aufenthaltsgesetz ist ein Anspruch des Antragsstellers auf Berufsausbildungsbeihilfe nicht offensichtlich ausgeschlossen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Er kann sich zur Begründung der begehrten Berufsausbildungsbeihilfe zwar nicht auf § 59 Abs. 2 SGB III stützen. Er ist als Inhaber einer Aufenthaltsgestattung nicht vom personellen Anwendungsbereich dieser Vorschrift erfasst. § 59 Abs. 2 SGB III ist danach auf geduldete Ausländer im Sinne des § 60a Aufenthaltsgesetzes beschränkt. Die Förderungsvoraussetzungen des § 59 Abs. 3 SGB III erfüllt der Antragsteller ebenfalls nicht. Er hat sich weder vor Beginn der Berufsausbildung 5 Jahre im Inland aufgehalten und ist rechtmäßig erwerbstätig gewesen (§ 59 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB III), noch hat sich einer seiner Elternteile während der letzten sechs Jahre vor Beginn der Berufsausbildung insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Aus der systematischen und teleologischen Auslegung des § 132 Abs. 1 und 2 SGB III in Verbindung mit § 59 Abs. 2 SGB III ist entnehmbar, dass auch für Gestattete mit 15-monatiger Aufenthaltsdauer, dem Absolvieren einer anerkannten Berufsausbildung und beim Fehlen von eine Duldung ausschließenden Umständen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Förderung durch Berufungsausbildungsbeihilfe zusteht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Nach § 132 Abs. 1 SGB III gehören Ausländer, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, zum förderungsfähigen Personenkreis, wenn ihr Aufenthalt seit mindestens 15 Monaten gestattet ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>§ 132 SGB III soll die Eingliederung von Ausländern in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft durch eine frühzeitige Unterstützung der Berufsausbildung fördern. Der Zugang zu Leistungen ist in Abhängigkeit von Aufenthaltsstatus an unterschiedliche Voraufenthaltszeiten geknüpft. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III, einer privilegierenden und befristeten Sondervorschrift, § 132 Abs. 4 SGB III, liegen aber vor. Ein dauerhafter und rechtmäßiger Aufenthalt kann auch beim Absolvieren einer qualifizierten Berufsausbildung bei Gestatteten erwartbar sein, wenn sie nicht aus einem Herkunftsland mit hoher Schutzquote kommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Dem Antragssteller ist seit 15 Monaten der Aufenthalt gestattet. Mit der Aufnahme der Berufsausbildung ist er von dem Anspruch auf Analogleistungen, § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz, nach § 22 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ausgeschlossen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Eine gesetzliche Definition, wann ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, ist im SGB III nicht normiert. Es handelt sich um einen unbestimmten und gerichtlich voll überprüfbaren Rechtsbegriff (vgl. Bienert, info also 2018, 104; Lehner: Gehen oder Bleiben, Der Gesetzgeber kann sich nicht entscheiden, www.verfassungsblog.de/gehen-oder-bleiben-der-gesetzgeber-kann-sich-nicht-entscheiden/), dessen Auslegung sich an allgemeinen Kriterien zu orientieren hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Der Wortlaut „dauerhaft“ gibt keinen Hinweis, welche Zeitspanne erfasst sein soll. Ob mit rechtmäßig allein</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><table class="RspIndent" style="margin-left:36pt">
<tr>
<th colspan="3" rowspan="1"></th>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">-</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">der aufgrund materiellen Aufenthaltsstatus Bleibende,</td>
</tr>
</table></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><table class="RspIndent" style="margin-left:36pt">
<tr>
<th colspan="3" rowspan="1"></th>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">-</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">der aufgrund unanfechtbarer Feststellung des Aufenthaltsstatus Bleibende</td>
</tr>
</table></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><table class="RspIndent" style="margin-left:36pt">
<tr>
<th colspan="3" rowspan="1"></th>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">-</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">oder auch der den in Folge einer Aussetzung der Abschiebung Bleibende gemeint ist,</td>
</tr>
</table></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>ergibt sich nicht. Zwar sind Letztere ausreisepflichtig. Auch die Aussetzung der Abschiebung hat aber die Wirkung, dass der ausreisepflichtige Ausländer nicht abgeschoben werden darf (Kluth/Breidenbach, BeckOK Ausländerrecht, § 60a Rn. 6). Im Fraktionsentwurf des Gesetzes, BT-Drs. 18/8615, S. 31, wird auf das Ziel abgestellt, Gestatteten im Asylverfahren mit guter Perspektive als Asylberechtigte anerkannt zu werden und damit in Deutschland bleiben zu können, den Zugang zu den in Absatz 1 genannten Maßnahmen eröffnen zu wollen. Auch dort ist nicht bestimmt, anhand welcher Kriterien diese gute Perspektive zu bestimmen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>In systematischer Betrachtung findet sich dieselbe Formulierung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts in § 44 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes. Dieser regelt die Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs für Ausländer mit Aufenthaltsgestattung. Nach der Gesetzesbegründung dieser Vorschrift, BT-Drs. 18/6185, S. 48, sollen Asylbewerber erfasst sein,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><table class="RspIndent" style="margin-left:36pt">
<tr>
<th colspan="3" rowspan="1"></th>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">-</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">die aus einem Land mit hoher Anerkennungsquote kommen oder</td>
</tr>
</table></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><table class="RspIndent" style="margin-left:36pt">
<tr>
<th colspan="3" rowspan="1"></th>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><strong>-</strong></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht<strong>.</strong>
</td>
</tr>
</table></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Der Gesetzgeber selbst führt nicht aus, ab welchem Wert eine Anerkennungsquote eine hohe Quote sein soll und was, als Alternativvariante, die belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag begründen soll. Auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke und weiterer Abgeordneter (BT-Drs. 18/13329, S. 18) führte die Bundesregierung aus:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><em>„Ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt ist einzelfallunabhängig zu erwarten, wenn der oder die Asylsuchende aus einem Herkunftsland stammt, bei dem mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass eine Schutzberechtigung erteilt wird. Bei dieser lediglich abstrakten Prognoseentscheidung ist maßgeblich, dass die Gesamtschutzquote über 50 Prozent liegt und ihr eine hinreichende Aussagekraft zukommt, was eine relevante Anzahl von Antragsstellern voraussetzt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 28 verwiesen.“</em></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Diese Antwort verbindet die in der Gesetzesbegründung genannten Alternativen zu einer insgesamt abstrakten Prognoseentscheidung, für die maßgeblich sein soll, dass die Gesamtschutzquote über 50 Prozent liegt. Auf dieser Grundlage sowie der Entwurfsbegründung zu § 44 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz wird vertreten, dass ausschließlich eine abstrakte Prognose und einzelfallunabhängige Entscheidung anhand einer Gesamtschutzquote über 50% zu treffen sei (vgl. VGH München, Beschluss vom 21.2.2017, 19 CE 16.2204, vgl. die Einschätzung der Bundesregierung zu der o.g. Anfrage, LSG NW, Beschluss vom 19.4.2018, L 9 AL 227/17). Diese sei nur bis zu einer Entscheidung des Bundesamtes heranzuziehen, denn dann liege eine Einzelfallwürdigung vor, die bei der Anwendung des § 44 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz grundsätzlich nicht zu prüfen sei (VGH München aaO, dem folgend, LSG NW aaO; Buser, in Eicher/Schlegel, SGB III, Loseblatt, Stand 161. Ergänzungslieferung Mai 2018, § 132, Rn. 30).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Zweifel an dieser Operationalisierung sind daraus zu begründen, dass damit die genannten Alternativen aus der Gesetzesbegründung nicht ausschöpft sind. Wenn ein Land mit hoher Anerkennungsquote ein solches mit einer Gesamtschutzquote mit über 50 Prozent ist und für dies die alternativ genannte „belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag“ gleichfalls maßgeblich sein soll, tritt kein Unterschied in den in der Begründung genannten Alternativen für einen rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt (Land mit hoher Anerkennungsquote oder belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag) ein. Mit der Wahl des Wortes „oder“ ist jedoch eine alternative, nicht eine kumulative Anbindung aufgenommen. Dies spricht nicht dafür, dass die abstrahierende Auslegung mit einer Gesamtschutzquote dem Regelungsgehalt der Vorschrift entspricht. Dagegen sprechen weiter Gründe der Rechtssicherheit, insbesondere wenn sich die maßgebliche abstrahierende Einordnung allein nach zufälligen Kriterien des Verwaltungsalltags – hier der stark schwankenden Anerkennungspraxis (dazu: Bienert, info also 2018, 104(108); kritisch auch: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21.2.2017 – 19 CE 16.2204 –, [juris] Rn. 29f. 34) bestimmt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Gegen eine abstrahierende normimmanente Gesamtschutzquote von 50% spricht bei selber Rechtslage die ab 1.7.2017 bis 31.12.2017 erfolgte Zuerkennung einer dauerhaften und rechtmäßigen Aufenthaltsperspektive durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für Asylsuchende aus Afghanistan trotz Unterschreitens der Gesamtschutzquote. Diese lag im Jahr 2017 bei 44,7%; im Jahr 2018 bis Oktober lag die Gesamtschutzquote für Erstentscheidungen zu Asylanträgen von Personen aus Afghanistan bei 38,9%. Der Unterschied in der Abweichung von 50% zu 44,7 % ist nicht wesentlich größer als der von 44,7% zu 38,9 %. In der abstrahierenden Betrachtung der Gesamtschutzquote sind absolut mehr Asylbewerber nicht anerkannt worden als erfolgreich waren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Sähe die Norm eine abstrakte Grenze von 50% vor, wäre diese Gesetzesauslegung durch das BMAS aus dem 2. Halbjahr 2017, einen dauerhaften und rechtmäßigen Aufenthalt trotz Unterschreitens der Quote anzunehmen, in den Aussagegehalt eines kalkulierten Rechtsbruchs oder in eine Rechtsänderung ohne Normänderung gerückt. Dies ginge zu weit. Das alleinige Abstellen auf eine bestimmte Gesamtschutzquote gründet die Rechtsanwendung auf eine nicht rechtsverbindliche administrative Gesetzesauslegung. Sie weist neben den Schutzquotenschwankungen den Schwachpunkt auf, dass es der Exekutive ermöglicht ist, die Normanwendung so zu steuern, dass diametral unterschiedliche Ergebnisse resultieren, ohne den Wortlaut der Norm selbst zu ändern und damit ohne dass dies durch eine Entscheidung des Gesetzgebers mit getragen ist (kritisch wegen der Unsicherheit der Zielabwägung auch: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21. Februar 2017 – 19 CE 16.2204 –, [juris] Rn. 30). Dies ist bei einer Vorschrift, die einen Teilhabeanspruch normiert, aufgrund des Wesentlichkeitsgebots bedenklich. Die abstrahierende Auslegung führt lediglich zu einer Grobsteuerung der Förderungs- und Integrationsmöglichkeiten. Jedenfalls wenn - wie hier - keine grobe Lücke von Asylsuchenden und Asylanerkennungen besteht, würden etwa 40% der berechtigt Schutzsuchenden per se aus der Förderfähigkeit ausgenommen, obwohl ihr Schutzgesuch der Sache nach Erfolg hat und damit tatsächlich eine gute Bleibeperspektive besteht. Diese Auslegung erscheint dem Senat in Bezug auf die in den Gesetzesmaterialien erkennbare Förderungsintention (vgl. Entwurf eines Integrationsgesetzes, BT-Drs. 18/8829, S. 1) und dem Fehlen einer dahingehenden gesetzlich bestimmten (abstrakten) Grenze bedenklich. Zwar steht außer Zweifel, dass der Gesetzgeber selbst eine ausdrückliche derartige Regelung treffen kann. Daran fehlt es aber derzeit, jedenfalls angesichts der alternativen Beschreibung in der Gesetzesbegründung zu demselben Rechtsbegriff.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Bei der Auslegung des § 132 Abs. 1 SGB III ist im Sinne einer Sicherung des Normzwecks nicht allein abstrahierend mit Blick auf die Gesamtschutzquote vorzugehen. Auch vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbots ist eine differenzierende Handhabung gefordert (Schmidt-De Caluwe, in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/ Coseriu, Sozialgesetzbuch III, 6. Auflage 2016, § 132 Rn. 10; vgl. kritisch auch: Lehner: Gehen oder Bleiben, Der Gesetzgeber kann sich nicht entscheiden, www.verfassungsblog.de/gehen-oder-bleiben-der-gesetzgeber-kann-sich-nicht-entscheiden/ ).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Eine gute Bleibeperspektive besteht, wenn ex ante eine überwiegend wahrscheinliche Aussicht darauf besteht, dass die jeweilige Person den Status als Flüchtling (§§ 3 ff. Asylgesetz) oder einen subsidiären Schutz iSd. § 4 Asylverfahrensgesetz erlangen wird (Schmidt-De Caluwe, in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, Sozialgesetzbuch III, 6. Auflage 2016, § 132 Rn. 8). Die Prognose eines erfolgreichen Asylantrags im Sinne des § 132 Abs. 1 SGB III ist nicht ausschließlich auf die Anerkennung einer Asylberechtigung im Sinne des Art. 16a GG zu beziehen. Ein positiver Bescheid ergeht nach Verständnis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge auch bei der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach § 3 Asylgesetz, der Zuerkennung des subsidiären Schutzes, § 4 und der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. V und VII Aufenthaltsgesetz (http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/AblaufAsylv/Entscheidung/entscheidung-node.html). Allen vier Konstellationen ist gemeinsam, dass von einem längerfristigen Aufenthalt in Deutschland für den jeweiligen Adressaten auszugehen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Die Alternative in der Gesetzesbegründung für die Annahme eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts aus § 44 Abs. 4 S. 2 Aufenthaltsgesetz, neben der Gesamtschutzquote auf eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag anzuknüpfen, bietet daneben Raum, neben der schematischen abstrahierenden Entscheidung die Einzelfallumstände für den dauerhaften und rechtmäßigen Aufenthalt einzustellen (dahingehend auch: SG Leipzig, Beschluss vom 06. Dezember 2018 – S 1 AL 232/18 [juris] Rn,50; erwägend, aber im Einzelfall ablehnend: LSG NW, Beschluss vom 19.4.2018, L 9 AL 2018 Rn. 14, [juris]).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>In systematischer und teleologischer Auslegung ist § 132 Abs. 2 SGB III im Hinblick auf § 59 Abs. 2 SGB III einschränkend auszulegen (dahingehend wegen der Änderung im § 59 Abs. 2 SGB III für einen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe für Geduldete nach Voraufenthaltsdauer auch: Petzold in: Hauck/Noftz, SGB, 04/17, § 132 SGB III Rn. 10). Aus dem einschränkend ausgelegten § 132 Abs. 2 SGB III ergibt sich für die Auslegung der Begriffe rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt im § 132 Abs. 1 SGB III, dass auch Gestattete mit den entsprechenden Voraussetzungen für eine Duldung eine Förderung durch Berufsausbildungsbeihilfe beanspruchen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>In der Behandlung der Ausländer nach § 132 Abs. 1 SGB III und § 132 Abs. 2 SGB III ergibt sich im Vergleich zu § 59 SGB III ein Wertungswiderspruch. Geduldete Ausländer (§ 60a Aufenthaltsgesetz) mit ständigem Wohnsitz im Inland werden während einer betrieblich durchgeführten Berufsausbildung gefördert, wenn sie sich seit mindestens 15 Monaten ununterbrochen rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten, § 59 Abs. 2 SGB III.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>§ 132 Abs. 2 SGB III trifft demgegenüber für denselben Personenkreis strengere Fördervoraussetzungen. § 132 Abs. 2 SGB III schließt geduldete Ausländer zum förderungsfähigen Personenkreis ein, wenn sie sich – auch für Berufsausbildungsbeihilfe - mindestens 6 Jahre ununterbrochen rechtmäßig gestattet oder geduldet aufhalten. Die Norm privilegiert insoweit nicht, so dass Geduldete Leistungen unverändert wie bisher auf Grundlage von § 59 Abs. 3 SGB III erhalten können (vgl. Schmidt-De Caluwe, SGB III, 6. Auflage 2016, § 132 Rn. 18; Petzold in: Hauck/Noftz, SGB, 04/17, § 132 SGB III, Rn. 10). Ein Anwendungsvorrang als Spezialnorm ist § 132 Abs. 2 SGB III allein aus seiner Normüberschrift nicht zuzubilligen. Sowohl § 132 Abs. 2 SGB III als auch § 59 Abs. 3 SGB III treffen je bereits eine ausdrückliche Spezialregelung (zu § 60a Aufenthaltsgesetz) mit einander widersprechendem Aussagegehalt. Nachdem der Gesetzgeber mit der Regelung des § 132 SGB III die Eingliederung von insbesondere jungen Ausländerinnen und Ausländern in den Arbeitsmarkt durch frühzeitige Unterstützung einer Berufsausbildung fördern wollte, ist § 132 Abs. 2 SGB III für den bereits von § 59 Abs. 3 SGB III erfassten Personenkreis in dessen Anwendungsbereich insoweit einschränkend auszulegen und damit der Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe nach § 59 Abs. 2 SGB III eröffnet (vgl. Schmidt-De Caluwe, SGB III, 6. Auflage 2016, § 132 Rn. 18).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Ein dauerhafter Aufenthalt im Sinne des § 132 Abs. 1 SGB III ist auch dann anzunehmen, wenn die Fördervoraussetzungen des § 59 Abs. 2 SGB III entsprechend erfüllt sind. Der unterschiedliche Status der Ausländer steht der Bezugnahme auf einen dauerhaften Aufenthalt nicht zwingend entgegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Wenn geduldete Ausländer, deren Ausreisepflicht besteht, nach 15 Monaten Voraufenthalt und Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung die Fördervoraussetzungen für Berufsausbildungsbeihilfe erfüllen können, kann gestatteten Ausländern, deren Ausreisepflicht noch nicht besteht, beim Vorliegen derselben Umstände Berufsausbildungsbeihilfe nicht mit dem Argument versagt werden, ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt sei nicht zu erwarten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Sie haben beim Absolvieren einer qualifizierten Berufsausbildung und dem Fehlen von anderweitigen abschiebungsrelevanten Faktoren (z.B. Straftaten) dieselbe zeitliche Aufenthaltsperspektive. Zwischen der Behandlung von Ausländern nach § 132 Abs. 1 SGB III und den Ausländern nach § 132 Abs. 2 SGB III in der Gestalt einer einschränkenden Auslegung kommt es bei allein abstrahierender Auslegung der Vorschrift des § 132 Abs. 1 SGB III zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Bei unverzüglicher Rücknahme seines Asylantrags würde der Antragsteller nach § 132 Abs. 1 SGB III nahtlos dem Duldungspersonenkreis unterfallen und die beantragte Berufsausbildungsbeihilfe erhalten können. Noch nicht beschiedene in betrieblicher Ausbildung stehende Asylbewerber stehen schlechter als Geduldete, die auf weitere Durchführung des Asylverfahrens durch Rücknahme verzichten oder deren Anträge abschließend negativ beschieden sind. Diese Folge steht wiederum mit der Förderungsintention in gewissem Konflikt. Es ist nicht folgerichtig, denjenigen mit besseren Fördervoraussetzungen zu versehen, der über eine weniger kräftige Rechtsposition verfügt (Geduldete mit Ausreispflicht und Aussetzung der Abschiebung), als denjenigen der diese Feststellung noch nicht zu seinen Lasten erhalten hat (Gestattete), wenn es in beiden Konstellationen um Förderung, eine Integrationsperspektive und dauerhaften Aufenthalt geht. Die Ausschöpfung des Rechtswegs ist ein legitimes Mittel, dem auch angesichts der Gesamtschutzquote von über 38% nicht jegliche Aussicht abgesprochen werden kann. Die mit dem Entwurf des Integrationsgesetzes beabsichtigte Lösung wollte den Bedarf einer Vielzahl von Fachkräften durch die nach Deutschland kommenden Menschen teilweise abdecken, wobei sowohl die Gesellschaft als auch die Arbeitsmärkte der Herkunftsländer im Falle einer Rückkehr von in Deutschland erworbenen Qualifikationen profitierten (Entwurf des Integrationsgesetzes, BT-Drs. 18/8829, S. 1).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Die Einordnung, die gute Bleibeperspektive folge nicht daraus, dass bei rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrags Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 S. 4 Aufenthaltsgesetz beantragt werden kann, denn diese vermittele keinen rechtmäßigen Aufenthalt, sondern sei eine vorrübergehende Aussetzung der Abschiebung (Bienert, info also 2018, 104, 108) setzt eine gute Bleibeperspektive mit einem rechtmäßigen Aufenthalt gleich. Diese Auffassung argumentiert formal. Auch bei einer Pflicht zur Ausreise kann dennoch eine gute Bleibeperspektive bestehen (dahingehend auch Petzold in: Hauck/Noftz, SGB, 11/18, § 59 SGB III Rn. 26, der bei Geduldeten einen bereits seit längerem rechtmäßigen Aufenthalt im Inland sieht, wenn die dort genannt Aufenthaltsdauer erfüllt ist; kritisch: Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs. 18/8829, S. 23 1. Absatz: „offenkundig dauerhafte Aufenthaltsperspektive“). Die gute Bleibeperspektive ergibt sich nicht allein aus dem rechtmäßigen Aufenthalt, sondern auch aus der rechtmäßig erteilten Duldung bzw. dem Anspruch auf eine Duldung. Die Duldung verhindert die Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Abschiebung. Sie führt für die Ausbildungsdauer zu einer bestimmten zeitlichen Bleibeperspektive, die der Gesetzgeber als förderungswürdig qualifiziert hat. Soweit die Voraussetzungen für eine derartige Bleibeperspektive wie hier entsprechend vorliegen, kann die Förderung Gestatteter nicht mit dem Argument des Fehlens einer guten Bleibeperspektive abgelehnt werden. Die integrative Zielsetzung der zeitlichen Förderperspektive ist dieselbe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Neben der Dauer aufgrund der Ausbildungsperspektive führen weitere Aspekte zu Auswirkungen auf die Bleibeperspektive, die eine abstrahierende Betrachtung einer Gesamtschutzquote nicht sachgerecht berücksichtigen kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die Innenministerkonferenz vom 30.11.2018 beschäftigte sich mit Fragen der Verlängerung eines Abschiebestopps, wobei sich der Verhandlungsführer der „A-Länder“ gegen Verschärfungen bei Abschiebungen nach Afghanistan aussprach (https://www.deutschlandfunk.de/innenminister-konferenz-pistorius-schliesst-abschiebungen.1939.de.html?drn:news_id=950903) und hierzu im Deutschlandfunk eine Verschlechterung der Lage in Afghanistan konstatierte (https://www.deutschlandfunk.de/innenministerkonferenz-pistorius-spd-keine-abschiebungen.694.de.html?dram:article_id=434510). Die derzeitige Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Afghanistan lautet:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong><em>„Vor Reisen nach Afghanistan wird gewarnt.</em></strong><br><em>Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte einschließlich Entführungen bewusst sein. Auch bei von professionellen Reiseveranstaltern organisierte Einzel- oder Gruppenreisen besteht unverminderte Gefahr, Opfer einer Gewalttat oder einer Entführung zu werden.</em><br><em>Für zwingend notwendige Reisen nach Afghanistan gilt: Der Aufenthalt in weiten Teilen des Landes bleibt gefährlich. Jeder längerfristige Aufenthalt ist mit zusätzlichen Risiken behaftet. Bereits bei der Planung des Aufenthaltes sollten die Sicherheitslage und die daraus resultierenden Bewegungseinschränkungen beachtet werden. Zudem sollte der Aufenthalt auf der Basis eines tragfähigen professionellen Sicherheitskonzepts durchgeführt werden.</em></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><em>Krisenvorsorgeliste</em><br><strong><em>Es wird dringend dazu geraten, sich bei Reisen nach Afghanistan schon vor Abreise in die </em></strong><em>Krisenvorsorgeliste</em><strong><em> einzutragen.</em></strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><em>Sicherheitslage</em><br><em>Wegen immer wieder und in vielen Landesteilen aufflammender Kämpfe zwischen afghanischen Sicherheitskräften und vor allem den Taliban, aber auch dem regionalen Ableger des sogenannten Islamischen Staats, ist die Sicherheitslage in großen Teilen des Landes unübersichtlich und nicht vorhersehbar. Reisende können daher jederzeit und ohne selbst beteiligt zu sein in lebensbedrohende Situationen geraten. Außerdem kann es landesweit zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und anderen Gewaltverbrechen kommen.“</em></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Die politische Diskussion über eine Korrektur der Förderlücke bei Ausländern (vgl. Antrag der FDP-Fraktion, BT-Drs. 19/2691, S. 2), sowie über Abschiebestopps nach Afghanistan, die Einschränkung von Abschiebungen für Gewalttäter sowie die regierungsamtliche Einschätzung des Auswärtigen Amtes sprechen nicht dafür, dass auch beim Entfall des Duldungsgrundes der qualifizierten Ausbildung eine stringente Rückführung ausreisepflichtiger Personen derzeit zu erwarten steht. Davon abgesehen besteht auf die Erteilung der Duldung bei Aufnahme der qualifizierten Berufsausbildung ein Rechtsanspruch, wobei keine konkreten Maßnahmen der Aufenthaltsbeendung bevorstehen dürfen. Letzteres entspricht der der Zielsetzung, den Vorrang aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nicht in Frage zu stellen (Kluth/Breidenbach, BeckOK Ausländerrecht, § 60a Rn. 27). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Fehlen konkret aufenthaltsbeendende Maßnahmen, führt die Duldung bei vorgesehenem Ausbildungsgang zu einem Aufenthalt für den Zeitraum der zwei- bzw. dreijährigen Ausbildung. Die limitierte Ausbildungsdauer ist damit kein entscheidender Gesichtspunkt, der der Bejahung einer Dauerhaftigkeit des Aufenthalts bzw. der guten Bleibeperspektive entgegensteht. Die Bedenken des Bundesrats zur der Modifizierung des § 60a Aufenthaltsgesetz, anstelle dieser „offenkundig dauerhafte(n) Aufenthaltsperspektive“ eine Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ zu erwägen (kritisch: Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs. 18/8829, S. 23 1. Absatz), hat der Gesetzgeber im Ergebnis nicht aufgenommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Die unterschiedliche Regelung zwischen geduldeten und gestatteten Ausländern gibt in Bezug auf die Aufenthaltsperspektive keine belastbare Differenzierung aus dem Gesetzestext wieder. Neben der unterschiedlichen Anknüpfung an die Voraufenthaltsdauer in § 59 SGB III und § 132 SGB III an einen Zeitraum der Vergangenheit ist nicht berücksichtigt, ob die prognostische Entwicklung in Bezug auf den in der Zukunft folgenden Aufenthalt damit in Einklang steht. So sind unterschiedliche Zeiträume für eine Duldung denkbar, die von kurzfristigen bis zu längeren Zeiträumen, insbesondere in Konstellationen des § 60a Abs. 2 S. 1 Alt. 2 Aufenthaltsgesetz i.V. mit § 60 Abs. 1-5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz gehen. Damit ist es möglich, dass in Fällen längeren genannten Voraufenthalts etwa im Sinne des § 132 Abs. 2 SGB III die Gründe für die ursprünglich erteilten vorangegangenen Duldungen wegfallen und der Anspruch aus § 60a Abs. 2 S. 4 Aufenthaltsgesetz verbliebe. Der Antragsteller wäre in diesem Fall trotzdem vom förderungsfähigen Personenkreis umfasst, obwohl der aus dem Abschluss des qualifizierten Ausbildungsbetrags herrührende Duldungsanspruch zeitlich beschränkt ist, etwa im Hinblick auf Abbruch sowie vorzeitigen Abbruch des Ausbildungsverhältnisses § 60a Abs. 2 S. 9, 10 Aufenthaltsgesetz, und nur eine eingeschränkte Gewissheit über ihren Bestand mit sich bringt. Die hieraus abzuleitende belastbare Bleibeperspektive ist im Ergebnis nur beschränkt dauerhaft. Wenn sie jedoch auf der einen Seite Förderung ermöglicht, kann dies auf der anderen Seite, wenn in vergleichbaren Rahmenbedingungen noch gerichtlicher Rechtsschutz nachgesucht wird, nicht zu einem Ausschluß der Förderung führen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Der hierzu erhobene Widerspruch, dass wenn die Aussicht auf eine Ausbildungsduldung und ggf. anschließende Aufenthaltserlaubnis nach § 18a Abs. 1a Aufenthaltsgesetz eine gute Bleibeperspektive im Sinne § 132 Abs. 1 Nr. 2 SGB III vermitteln würde, die dort geregelte Voraussetzung überflüssig wäre, weil jeder Ausländer sie mit der Aufnahme einer Ausbildung erfüllen würde, beruht letztlich auf einer nicht ganz konsistenten Abstimmung der gesetzlichen Bestimmungen. Diese im Wege der Administrativauslegung zu schließen ist nicht Aufgabe der Exekutive, sondern des Gesetzgebers.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>Im Sinne einer Folgenabwägung ist dem Antragsteller die Berufsausbildungsbeihilfe zu gewähren. Beim Fehlen einer höchstrichterlichen Entscheidung ist aufgrund der Wertungswidersprüche in den gesetzlichen Vorschriften kein eindeutiger Ausschluss einer Förderung festzumachen. Der Anspruch des Antragstellers ist in summarischer Prüfung nicht offensichtlich ausgeschlossen. Die Folgenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus. Der Antragsteller wäre als Ungelernter schlechter in der Lage, seinen Lebensunterhalt selbst am Arbeitsmarkt zu erwirtschaften. Bei einem unabsehbaren Abschluss des Asylverfahrens erscheint es sinnvoll, die Zeit für eine Qualifizierung des Antragstellers zu nutzen und nicht bis zum Abschluss des Asylverfahrens hinauszuzögern. Die Interessen der Antragsgegnerin überwiegen dies nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>Ein Anordnungsgrund besteht aufgrund der Unterfinanzierung der Bedarfsdeckung des Antragstellers, der ohne Berufsausbildungsbeihilfe ohne fremde Hilfe seine Ausbildung nicht fortsetzen könnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>Der hilfsweise gestellte Vollstreckungsschutzantrag ist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG in Verbindung mit § 199 Abs. 2 S. 1 und 2 SGG erfolglos. Anlass für eine Aussetzung der Vollstreckung vor Entscheidung über die Beschwerde durch den Vorsitzenden bestand- weil der Antrag nur als Hilfsantrag gestellt war- nicht. Der Senat sieht in seiner vollen Besetzung unbeschadet der Zuständigkeitsfrage keinen Anlass für eine Aussetzung der Vollstreckung. Die Entscheidung ergeht als Ermessensentscheidung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass bei existenzsichernden Leistungen eine Aussetzung in der Regel nicht in Betracht kommt (vgl. Groß, in: Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2016 § 199 Rn. 14).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG dem Ausgang des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
|
161,408 | vg-schleswig-holsteinisches-2018-12-19-4-a-19418 | {
"id": 1071,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht",
"slug": "vg-schleswig-holsteinisches",
"city": 647,
"state": 17,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 A 194/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-16T06:59:18 | 2019-01-17T12:06:24 | Urteil | ECLI:DE:VGSH:2018:1219.4A194.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Pfändungs- und Überweisungsverfügung der Beklagten vom 20.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2018 wird aufgehoben, soweit mit dieser Mahngebühren in Höhe von 5,00 € vollstreckt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tatbestand<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Kläger wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung der Beklagten, soweit die Beklagte mit dieser Mahngebühren in Höhe von 5,00 € vollstreckt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheiden vom 04.10.2013, 01.12.2013 und 01.03.2014 setzte der Beigeladene gegenüber dem Kläger für den Zeitraum von April 2013 bis einschließlich Februar 2014 Rundfunkbeiträge und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 203,80 € fest. Der Kläger zahlte diesen Betrag nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Unter dem 02.01.2015 sandte der Beigeladene dem Kläger ein mit „Mahnung“ überschriebenes Schreiben, in dem er dem Kläger mitteilte, dass dieser seine Forderungen bislang nicht beglichen habe. Das Beitragskonto des Klägers weise einen Gesamtrückstand von 370,62 € auf. Um weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen, gäbe er dem Kläger nochmals Gelegenheit, bis zum 16.01.2015 den Mahnbetrag in Höhe von 208,80 € auszugleichen. Der Mahnbetrag errechne sich aus den festgesetzten Beträgen der aufgeführten Gebühren-/Beitragsbescheide. Das Schreiben endet mit der Grußformel:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">„Mit freundlichen Grüßen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">... “.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Unter der Grußformel ist die folgende Tabelle abgedruckt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><img src="/jportal/docs/anlage//r/bilder/ovgnw/mwre190000155/bild1.jpg" class="docLayoutGraphicScale" alt="Abbildung" title="Abbildung" style="margin-top: 3px;"><a target="_blank" class="Overl" title="öffnet in neuem Fenster"><br><span>Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen</span></a></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Der Kläger zahlte auch nach Erhalt der Mahnung den genannten Mahnbetrag nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Beigeladene richtete am 03.07.2017 ein Vollstreckungsersuchen über einen Betrag in Höhe von 172,84 € an die Beklagte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 02.08.2017 übersandte die Beklagte dem Kläger eine Vollstreckungsankündigung mit Forderungsaufstellung. Die Beklagte forderte den Kläger darin auf, den Gesamtrückstand in Höhe von 172,84 € bis zum 14.08.2017 zu zahlen. Sollte der Kläger die Frist nicht einhalten, sei sie gezwungen, den Schuldbetrag im Wege der Zwangsvollstreckung beizutreiben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Entsprechend der Forderungsaufstellung setzt sich der Betrag in Höhe von 172,84 € aus noch zu zahlenden Rundfunkbeiträgen entsprechend der Bescheide vom 04.10.2013, 01.12.2013 und 01.03.2014 in Höhe von insgesamt 151,84 €, Säumniszuschläge in Höhe von 16,00 € sowie 5,00 € Mahngebühren gemäß der Mahnung vom 02.01.2015 zusammen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Eine Zahlung des genannten Betrages durch den Kläger erfolgte nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Mit an die            in            gerichteter Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 12.04.2018 ordnete die Beklagte die „Einziehung und Überweisung der gepfändeten Forderung“ an. Die Beklagte führte aus, der Kläger schulde einen Gesamtbetrag in Höhe von 199,95 €, den sie als Vollstreckungsbehörde beizutreiben habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Entsprechend der Zustellungsurkunde hat der Zusteller die Pfändungs- und Überweisungsverfügung am 13.04.2018 einer Mitarbeiterin der            übergeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte übersandte dem Kläger unter dem 20.04.2018 eine Ausfertigung der Pfändungs- und Überweisungsverfügung für den Schuldner. Darin heißt es:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><img src="/jportal/docs/anlage//r/bilder/ovgnw/mwre190000155/bild2.jpg" class="docLayoutGraphicScale" alt="Abbildung" title="Abbildung" style="margin-top: 3px;"><a target="_blank" class="Overl" title="öffnet in neuem Fenster"><br><span>Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen</span></a></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>In der Anlage zur Forderungspfändung ist die folgende Forderungsaufstellung enthalten:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><img src="/jportal/docs/anlage//r/bilder/ovgnw/mwre190000155/bild3.jpg" class="docLayoutGraphicScale" alt="Abbildung" title="Abbildung" style="margin-top: 3px;"><a target="_blank" class="Overl" title="öffnet in neuem Fenster"><br><span>Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen</span></a></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 27.04.2018 legte der Kläger Widerspruch gegen die Pfändungs- und Überweisungsverfügung ein. Zur Begründung trug er vor:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Soweit in der Forderungsaufstellung Mahngebühren enthalten seien, verstoße dies gegen § 262 Abs. 1 LVwG. Diese Regelung schreibe vor, dass der Träger der öffentlichen Verwaltung auf der Grundlage eines Gesetzes berechtigt sein müsse, die von ihm geltend gemachte Geldforderung erheben zu dürfen. Dies sei nicht der Fall. Für den Beigeladenen gäbe es keine gesetzliche Grundlage, Mahngebühren zu fordern. Eine gesetzlich nicht existierende Geldforderung dürfe nicht vollstreckt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Außerdem läge kein Leistungsbescheid im Sinne des § 269 Abs. 1 Nr. 1 LVwG, durch den der Kläger zu Leistung von Mahngebühren aufgefordert worden sei, vor. Dies ergebe sich schon aus der Tabelle zur Forderungsaufstellung der Beklagten, in der für die Mahngebühr kein Bescheid genannt sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 14.05.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung trug sie vor:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Der Beigeladene habe mit dem Vollstreckungsersuchen festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung erfüllt seien. Gemäß § 269 Abs. 5 LVwG trage der Vollstreckungsgläubiger die Verantwortung dafür, dass die Voraussetzungen der Abs. 1-4 vorlägen. Sie habe keinen Zweifel am ordnungsgemäßen Zugang der Festsetzungsbescheide und Mahnungen, an der Erhebung von Mahngebühren durch den Beigeladenen und deren Ausweis im Festsetzungsbescheid des Vollstreckungsgläubigers.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat am 28.05.2018 Klage bei dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht erhoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung seiner Klage trägt er ergänzend zu den Ausführungen im Widerspruchsverfahren vor:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der Beigeladene nehme keine Amtshandlung im Vollstreckungsverfahren vor, da er keine Vollstreckungsbehörde im Sinne des § 263 LVwG sei. Daher könne er keine diesbezüglichen Kosten fordern. Er könne sich nicht auf § 25 Abs. 2 der Landesverordnung Schleswig-Holstein über die Kosten im Vollzugs- und Vollstreckungsverfahren berufen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Ein Bescheid vom 02.01.2015 existiere nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Der Kläger beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 20.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2018 aufzuheben, soweit mit dieser Mahngebühren in Höhe von 5,00 € vollstreckt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung trägt sie ergänzend zu Ihren Ausführungen im Verwaltungsverfahren vor:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Es könne dahinstehen, ob die Mahngebühren in einem Leistungsbescheid vom Beigeladenen festgesetzt worden seien. Die Mahngebühren stellten eine Nebenforderung dar, die sofort fällig und ohne besonderen Verwaltungsakt mit den festgesetzten Rundfunkgebühren beigetrieben werden könne, § 25 Abs. 2 Satz 1 VVKVO (analog). Für eine zumindest analoge Anwendung spreche, dass im 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag eine entsprechende Regelung hinsichtlich der Nebenforderung Mahngebühren planwidrig fehle.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Auch die Entscheidung des OVG Lüneburg vom 20.11.2017, Az.: 4 ME 285/​17, stütze ihre Rechtsauffassung, wonach nur die Hauptforderung als Verwaltungsakt qualifiziert werden müsse.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Der Beigeladene trägt vor:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Die Rechtsgrundlage für die Erhebung und Vollstreckung von Mahngebühren lasse sich § 25 Abs. 2 der Landesverordnung Schleswig-Holstein über die Kosten im Vollzugs- und Vollstreckungsverfahren entnehmen. Er habe bei Erlass der Festsetzungsbescheide als Verwaltungsbehörde gehandelt. Er sei deshalb zur Festsetzung von Mahngebühren berechtigt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Mit Beschluss vom 01.08.2018 hat die Berichterstatterin als Einzelrichterin in dem Verfahren 4 B 46/18 einem unter dem 02.05.2018 gestellten Eilantrag stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Klage im vorliegenden Verfahren gegen die Pfändungs- und Überweisungsverfügungen der Beklagten vom 20.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2018 angeordnet, soweit mit dieser Mahngebühren in Höhe von 5,00 € vollstreckt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Akte der Beklagten zum Verwaltungsvorgang verwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Entscheidungsgründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Klage ist begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Die Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 20.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit mit dieser Mahngebühren in Höhe von 5,00 € vollstreckt werden, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Die Pfändungs- und Überweisungsverfügung der Beklagten findet ihre rechtliche Grundlage in den §§ 262 ff., 300, 306 LVwG. Danach hat die Vollstreckungsbehörde, die eine Geldforderung pfändet – bei Vorliegen der in den §§ 262 ff. LVwG genannten allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen – der Drittschuldnerin schriftlich zu verbieten, an den jeweiligen Vollstreckungsschuldner zu zahlen, und dem Vollstreckungsschuldner schriftlich zu gebieten, sich jeder Verfügung über die Forderung zu enthalten sowie dem Vollstreckungsgläubiger die gepfändete Forderung zur Einziehung zu überweisen (§§ 300 Abs. 1 Satz 1, 306 Abs. 1 Satz 1 LVwG). Dies hat, wie die §§ 300, 306 LVwG voraussetzen, durch Erlass einer Pfändungs- und Überweisungsverfügung zu geschehen, die in ständiger Rechtsprechung der Kammer als Verwaltungsakt im Sinne des § 106 Abs. 1 LVwG zu qualifizieren ist (vgl. insoweit beispielhaft VG Schleswig, Beschluss vom 23.03.2017, Az.: 4 B 38/17, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Die formell rechtmäßige Pfändungs- und Überweisungsverfügung ist materiell rechtswidrig, soweit mit dieser Mahngebühren in Höhe von 5,00 € vollstreckt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Die rechtmäßige Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen, zu denen beispielsweise Gebühren zählen, setzt grundsätzlich unter Anderem voraus, dass die in § 269 Abs. 1 LVwG genannten Voraussetzungen vorliegen. Das bedeutet, nur soweit die dort genannten Voraussetzungen gegeben sind, ist die Vollstreckungsbehörde berechtigt, öffentlich-rechtliche Geldforderungen beizutreiben. Dementsprechend hängt die Rechtmäßigkeit der konkreten Vollstreckungsmaßnahme unter anderem davon ab, dass der Schuldner vor Beginn der Vollstreckung durch einen Verwaltungsakt zur Leistung des geschuldeten Betrages aufgefordert worden ist, vgl. § 269 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVwG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Etwas anderes gilt allerdings hinsichtlich der für Amtshandlungen im Vollstreckungsverfahren angefallenen Kosten. Für diese Kosten enthält § 25 Abs. 2 der auf der gesetzlichen Ermächtigung nach §§ 322 Abs. 2 Satz 1, 249 LVwG beruhenden Landesverordnung über die Kosten im Vollzugs- und Vollstreckungsverfahren (im Folgenden VVKVO) eine Sonderreglung. Danach werden die für Amtshandlungen im Vollstreckungsverfahren festgesetzten Kosten zusammen mit der Hauptforderung beigetrieben, § 25 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 VVKVO. § 25 Abs. 2 Satz 1 VVKVO regelt, dass die Kosten für Amtshandlungen im Vollstreckungsverfahren zusammen mit der Vornahme der Amtshandlung festgesetzt werden und die Mahngebühr im Mahnschreiben festzusetzen ist. Zu den Kosten im genannten Sinne können insoweit auch Mahngebühren zählen, da die Mahnung gemäß § 12 Nr. 1 VVKVO eine gebührenpflichtige Amtshandlung im Vollstreckungsverfahren darstellen kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Es ist im vorliegenden Fall fraglich, ob die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung der Mahngebühren in der streitgegenständlichen Pfändungs- und Überweisungsverfügung an § 25 Abs. 2 Satz 4 VVKVO zu messen ist oder ob sich diese hier nach den allgemeinen Regelungen der §§ 262 ff. LVwG, insbesondere § 269 Abs. 1 LVwG richtet. Zweifel an der Anwendbarkeit von § 25 Abs. 2 VVKVO auf die vom Beigeladenen geforderten Mahngebühren sind hier vom Kläger geäußert worden. Vor dem Hintergrund, dass nicht die Beklagte als Vollstreckungsbehörde die Mahnung verfasst hat, lassen sich Bedenken, ob damit eine gebührenpflichtige Amtshandlung im Vollstreckungsverfahren im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 4, Satz 1 VVKVO i.V.m. § 12 Nr. 1 VVKVO vorgenommen wurde, nicht gänzlich von der Hand weisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Diese Frage kann im vorliegenden Verfahren im Ergebnis offen bleiben. Denn sowohl § 25 Abs. 2 Satz 4 VVKVO also auch die §§ 262 ff. LVwG, insbesondere § 269 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVwG erfordern für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme – hier der streitgegenständlichen Pfändungs- und Überweisungsverfügung, soweit mit dieser Mahngebühren in Höhe von 5,00 € vollstreckt werden –, dass ein Verwaltungsakt vorliegt, mit dem die Mahngebühren festgesetzt wurden bzw. der Vollstreckungsschuldner zur Leistung eines Geldbetrages aufgefordert wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Dem steht die von der Beklagten ins Feld geführte Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg nicht entgegenstehen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.11.2017, Az.: 4 ME 285/17, juris). Denn diese Entscheidung ist zum niedersächsischen Landesrecht ergangen<em>. </em>Das niedersächsische Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) macht im Gegensatz zu § 25 Abs. 2 Satz 4 VVKVO die Festsetzung von im Vollstreckungsverfahren entstandenen Kosten gerade nicht zur Voraussetzung für deren Beitreibung. Vielmehr regelt § 67 Abs. 4 Satz 2 NVwVG, dass die Kostenschuld ohne besonderen Leistungsbescheid mit der Hauptleistung beigetrieben werden kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Eine entsprechende Festsetzung von bzw. ein Leistungsbescheid über 5,00 € Mahngebühren liegt hier nicht vor. Ein solcher kann nach Auffassung der Kammer insbesondere nicht in dem Mahnschreiben vom 02.01.2015 erkannt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Ein Verwaltungsakt im Sinne des § 106 Abs. 1 LVwG ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere öffentlich-rechtliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtet ist. Diese Voraussetzungen werden von dem Schreiben vom 02.01.2015 nicht erfüllt. Dies ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung der verschiedenen Elemente des Schreibens vom 02.01.2015 im Vergleich zu den in anderen Fällen vom Beigeladenen erlassenen Verwaltungsakten, insbesondere den Bescheiden zur Festsetzung von Rundfunkbeiträgen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Gegen die Qualifikation des Schreibens vom 02.01.2015 als Verwaltungsakt spricht zunächst, dass dieses nicht die äußeren Merkmale eines Bescheides aufweist. Im Gegensatz zu den Bescheiden des Beigeladenen, mit denen dieser Rundfunkbeiträge festsetzt, schließt dieses Schreiben mit der Schlussformeln „Mit freundlichen Grüßen –           “. Dies deutet darauf hin, dass hier der         , bei dem es sich um eine nicht rechtsfähige Verwaltungsstelle des Beigeladenen handelt (vgl. VG Schleswig, Beschluss vom 29.06.2018, Az.: 4 B 35/18 n.v.; Beschluss vom 23.07.2018, Az.: 4 B 39/18, juris Rn. 26; VGH Mannheim, Urteil vom 04.11.2016, Az.: 2 S 548/16, juris Rn. 24 ff.), Absender des Schreibens ist. Bei objektiver Betrachtung des Schreibens kann dieses daher nicht als Maßnahme einer Behörde, hier des Beigeladenen, der nach der Rechtsprechung der Kammer die gemäß § 10 Abs. 5 Rundfunkbeitragsstaatsvertrages i.V.m. dem Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 16.12.2011 (GVOBl. SH 2011 Nr. 18, S. 345 ff., vgl. dort Art. 1 des Fünfzehnten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge) zum Erlass von Festsetzungsbescheiden zuständige Behörde ist (vgl. Beschluss vom 29.06.2018, Az.: 4 B 35/18; Beschluss vom 23.07.2018,Az.: 4 B 39/18, juris Rn. 23 f.), qualifiziert werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Auch der Umstand, dass das Schreiben vom 02.01.2015 – im Gegensatz zu den Bescheiden, mit denen der Beigeladene Rundfunkbeiträge festsetzt – weder als Bescheid bezeichnet noch mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist, spricht dafür, dass mit dem Schreiben vom 02.01.2015 keine Regelung, mit der Mahngebühren in Höhe von 5,00 € festgesetzt werden, getroffen werden sollte. Die am Ende des Schreibens vom 02.01.2015 eingefügte Tabelle trifft ebenfalls keine eigene Regelung, sondern klärt lediglich über die Zusammensatzung des im Text des Schreibens vom 02.01.2015 genannten Betrages in Höhe von 208,80 € auf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Als Indiz gegen den Charakter als Verwaltungsakt spricht ferner, dass es in dem Schreiben zwar heiß, dass Gelegenheit gegeben werde, den Mahnbetrag in Höhe von 208,80 € auszugleichen, dieser Betrag sich jedoch aus den festgesetzten Beträgen der aufgeführten Gebühren-/Beitragsbescheide ergäbe. Eine deutliche Trennung zwischen den bereits festgesetzten Rundfunkbeiträgen und den in dem Schreiben vom 02.01.2015 erstmals geltend gemachten Mahngebühren lässt sich dem Schreiben insoweit nicht entnehmen. Dies indiziert, dass der Beigeladene mit dem Schreiben vom 02.01.2015 lediglich eine Leistungspflicht des Antragstellers wiederholt oder einfach benennt, diese jedoch nicht (erstmals) rechtsverbindlich regeln wollte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Als weiteres Indiz kommt hinzu, dass der Beigeladene bundeseinheitliche Mahnschreiben verschickt und in einigen Bundesländern keine Mahngebühren erhoben werden können (beispielsweise in Bayern oder Hessen) bzw. es insoweit keiner Festsetzung bedarf (so in Niedersachsen entsprechend der oben stehenden Ausführungen).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte kann sich hier – unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit von § 25 Abs. 2 VVKVO auf von dem Beigeladenen erlassenen Mahnungen – auch nicht darauf berufen, dass Vollstreckungskosten und Nebenforderungen gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 VVKVO gemeinsam mit der Amtshandlung, d.h. hier in der streitgegenständlichen Pfändungs- und Überweisungsverfügung festgesetzt worden sind und insoweit der notwendige Verwaltungsakt in der Pfändungs- und Überweisungsverfügung zu erkennen ist. Denn nach § 25 Abs. 2 Satz 1 HS 2 VVKVO ist die Mahngebühr im Mahnschreiben festzusetzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Dem gefundenen Ergebnis steht auch § 269 Abs. 5 LVwG nicht entgegen. Die Kammer ist der Auffassung, dass dieser Regelung jedenfalls nicht entnommen werden kann, dass es für die Rechtmäßigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen keinerlei Rolle spielt, ob die in § 269 Abs. 1 LVwG genannten Voraussetzungen überhaupt vorliegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da er keinen Sachantrag gestellt und sich somit nicht am Kostenrisiko des Rechtsstreits beteiligt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 154 Abs. 3 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
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<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Klage wird abgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tatbestand<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zur Entrichtung von Rundfunkbeiträgen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Kläger betrieb zunächst unter der Adresse „          “ in        einen Internetversandhandel (http://www.            .de). Seit einem Umzug im Jahr 2017 betreibt er den vorgenannten Onlineshop nunmehr unter der im Rubrum bezeichneten Adresse.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Unter dem 24. Januar 2015 erhielt der Beklagte über das Internet eine als „NICHT PRIVAT“ gekennzeichnete Anmeldung einer Betriebsstätte mit dem Firmennamen „“ unter der damaligen Firmenanschrift „          “ in               zum 1. Januar 2013. Die Anmeldung wies den Kläger namentlich aus und umfasste dessen Geburtsdatum. Die Zahl der Mitarbeiter bezifferte die Anmeldung mit 21 Beschäftigten. Daneben enthielt die Anmeldung den Hinweis, dass die Betriebsstätte über drei Kraftfahrzeuge verfüge. Die Anmeldung wies als Zahlungsmethode das Lastschriftverfahren mit einer Kontonummer der Postbank aus, mit der Bezeichnung des Klägers als Kontoinhaber.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 29. Januar 2015 bestätigte der Beklagte dem Kläger die Anmeldung einer Betriebsstätte der Staffel 3 mit 21 Beschäftigten zum 1. Januar 2013.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Am 16. Februar 2015 teilte der Kläger dem Beklagten per E-Mail mit, dass von ihm keine Anmeldung vorgenommen worden sei. Bei seinem Betrieb handele es sich um eine religiöse Betriebsstätte. Anliegend übersandte er ein an den Beitragsservice adressiertes Schreiben eines „          “ vom 12. November 2014. In diesem Schreiben teilte          dem Beklagten unter der Bezeichnung „Vorsitzender der          Glaubensgemeinschaft“ mit, dass es sich bei der Anschrift „            “ in „       “ um eine anerkannte religiöse Betriebsstätte der Glaubensgemeinschaft handele. Das Schreiben enthielt ferner die Wiederholung des Wortlautes des § 5 Abs. 5 Nummer 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 25. Juni 2015 auf die bei ihm eingegangene Anmeldung hin. Bei der angemeldeten Raumeinheit handele es sich um eine solche Betriebsstätte, die der Beitragspflicht unterliege. Der Beklagte verwies diesbezüglich auf die Homepage des Klägers. Der Begriff einer religiösen Betriebsstätte sei bei dem Beklagten so nicht bekannt, die Einwände des Klägers nicht zu berücksichtigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Mit Festsetzungsbescheiden vom 1. Dezember 2015 und 3. Januar 2016 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger für die oben benannte Betriebsstätte Rundfunkbeiträge und Säumniszuschläge in Höhe von 1.192,73 Euro für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 30. September 2015 sowie in Höhe von 113,00 Euro für den Zeitraum vom 1. Oktober 2015 bis zum 31. Dezember 2015 fest. Der erstgenannte Bescheid umfasste einen Säumniszuschlag i.H.v. 11,81 Euro, der zweitgenannte Bescheid einen Säumniszuschlag i.H.v. 8,00 Euro.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Hiergegen erhob der Kläger am 15. Dezember 2015 hinsichtlich des Festsetzungsbescheides vom 1. Dezember 2015 und am 18. Januar 2016 hinsichtlich des Bescheides vom 3. Januar 2016 Widerspruch und führte zur Begründung jeweils aus, dass er dem Beklagten bereits eine Bescheinigung darüber habe zukommen lassen, dass es sich bei seiner Betriebsstätte um eine solche handele, die im Sinne von § 5 Abs. 5 Nummer 1 RBStV gottesdienstlichen Zwecken gewidmet und damit beitragsfrei sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit formlosem Schreiben vom 18. Januar 2016 informierte der Beklagte den Kläger darüber, dass für das Vorliegen der Beitragsfreiheit nach § 5 Abs. 5 Nummer 1 RBStV ein religionstypischer Widmungsakt notwendig sei. Die Betriebsstätte müsse daher dauerhaft und nahezu ausschließlich gottesdienstlichen Zwecken dienen. Nur gelegentlich abgehaltene Gottesdienste in ansonsten zu anderen Zwecken genutzten Betriebsstätten ließen die Beitragspflicht nicht entfallen. Man führe das Beitragskonto des Klägers daher unverändert fort.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Der Kläger trug hierauf vor, dass sein Unternehmen einzig zu dem Zweck gegründet worden sei, einen „wertvollen Beitrag zur Heilung der Erde und der Menschen zu leisten“. Man kaufe bei den meisten der angebotenen Produkte pro verkauftem Stück 10 qm Regenwald. Die Tätigkeit in der Betriebsstätte sei durchgängig und in allen Bereichen praktisch gelebter Gottesdienst.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Mit weiterem Schreiben vom 1. Juli 2016 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass die Betriebsstätte über lediglich fünf Beschäftigte verfüge. In einem Telefonvermerk vom 5. August 2016 hielt der Beklagte fest, dass Kläger angegeben habe, über lediglich vier Mitarbeiter und kein gewerblich genutztes Kraftfahrzeug zu verfügen. Am 24. Januar 2018 teilt der Kläger dem Beklagten laut eines Aktenvermerks telefonisch mit, dass er über lediglich acht Beschäftigte verfüge. Am 25. Januar 2018 übermittelt der Kläger schriftlich, dass die Betriebsstätte über lediglich sechs Beschäftigte verfüge.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat am 15. Januar 2018 Klage erhoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung wiederholt er seinen Vortrag aus dem Vorverfahren und führt vertiefend aus, dass es sich bei dem um eine keltisch-druidische Glaubensgemeinschaft handele. Zentraler Glaubenssatz der Gemeinschaft sei ein „respektvoller, rücksichtsnehmender Umgang mit allen Lebewesen“. Teil dessen sei auch die Umsetzung eines Wirtschaftssystems, welches der gesamten „Schöpfung nutze“. Es handele sich um ein Gegenkonzept zur eigensinnigen Erwirtschaftung von Geld. Der Verkauf von Produkten diene nicht der eigenen wirtschaftlichen Bereicherung, sondern der Umsetzung von Glaubensgrundsätzen. Der Betrieb sei somit selbst ein religiöser Akt. Erlöse würden unmittelbar für aus dem Glauben abgeleitete Ziele, etwa der Erhaltung des Regenwaldes, genutzt. Es handele sich um die Umsetzung des Glaubens im engsten Sinne und sei mit dem klassischen Gottesdienst vergleichbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>In der Betriebsstätte fänden auch rein religiöse Handlungen ohne wirtschaftlichen Bezug statt. Dies seien etwa regelmäßige Zusammenkünfte zwecks eines Austausches über spirituelle Themen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Der Kläger beantragt schriftsätzlich,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die Festsetzungsbescheide des Beklagten über die Festsetzung von Rundfunkbeiträgen von einem unbekannten Datum über die Rundfunkbeiträge für die Monate Januar 2013 bis September 2015 und vom 3. Januar 2016 über die Rundfunkbeiträge für die Monate Oktober 2015 bis Dezember 2015 aufzuheben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Der Klagantrag sei in Teilen bereits zu unbestimmt, da es keine undatierten Bescheide gebe. Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag sehe keine Befreiung für die Betriebsstätte des Klägers vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Der Kläger und der Beklagte haben mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 bzw. 7. Dezember 2018 erklärt, dass sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Entscheidungsgründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>I. Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da der Kläger und der Beklagte sich hiermit einverstanden erklärt haben (vgl. § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>II. Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alternative 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig. Der Zulässigkeit der Klage steht aufgrund der Untätigkeit des Beklagten insbesondere gemäß § 75 Sätze 1 und 2 VwGO nicht die fehlende Durchführung eines Vorverfahrens i.S.d. §§ 68 ff. VwGO entgegen. Der Beklagte hat über die Widersprüche des Klägers vom 15. Dezember 2015 bzw. 18. Januar 2016 nicht binnen drei Monaten (§ 75 Abs. 2 VwGO) entschieden. Ein zureichender Grund ist hierfür nicht erkennbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>III. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzungen der streitgegenständlichen Rundfunkbeiträge finden ihre Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1, §§ 7, 10 Abs. 5 RBStV.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Der RBStV ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts – auch soweit er die Erhebung von Rundfunkbeiträgen im nicht privaten Bereich betrifft – verfassungsgemäß. Dies hat das Bundesverfassungsgericht jüngst bestätigt (BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, Rn. 112 ff. juris). Die Möglichkeit des Rundfunkempfangs vermittelt hiernach einen Vorteil, der den Inhabern von Betriebsstätten und betrieblich genutzten Kraftfahrzeugen zurechenbar und gesetzlich belastungsgleich erfasst ist. Insoweit nimmt das erkennende Gericht vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, a.a.O., Rn. 112 ff. juris) Bezug.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Die Erhebung von Rundfunkbeiträgen verstößt nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung, der sich das erkennende Gericht anschließt, insbesondere weder gegen die in Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistete Glaubens- und Gewissensfreiheit noch gegen das in Art. 9 EMRK gewährleistete Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit. Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG sowie des Art. 9 EMRK wird durch die Beitragserhebung schon nicht tan-giert (VG Schleswig, Urt. v. 18.12.2017 – 4 A 207/16, Rn. 65, juris m.V. auf OVG Münster, Urt. v. 12.03.2015 - 2 A 2311/14, juris; vgl. auch VG Berlin, Urt. v. 22.04.2015 - 27 K 310.14, juris; VG Hamburg, Urt. v. 17.07.2014 - 3 K 5371/14, juris; VG Augsburg, Urt. v. 11.07.2016 - Au 7 K 16.263, juris; VG B-Stadt, Urt. v. 08.07.2016 - M 26 K 16.707, juris). Die Zahlung einer Abgabe wie des Rundfunkbeitrags ist als solche nicht mit der Äußerung eines weltanschaulichen oder religiösen Bekenntnisses verbunden (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.05.2017 – 2 A 2885/15, Rn. 118 juris). Die Glaubensfreiheit wird durch die Zahlung einer Abgabe nur berührt, soweit diese gerade die Finanzierung einer Glaubensgemeinschaft oder eines religiösen oder eines areligiösen Bekenntnisses bezweckt (Abgabenschuldners (OVG Münster, Urt. v. 21.09.2018 – 2 A 1821/15, Rn. 43 juris). Die allgemeine Pflicht zur Zahlung einer Abgabe ohne eine solche Zweckbindung berührt regelmäßig - und so auch hier - nicht den Schutzbereich der Glaubensfreiheit des Abgabenschuldners (OVG Münster, Urt. v. 21.09.2018 – 2 A 1821/15, Rn. 43 juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>2. Gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen keine Bedenken; solche sind mit der Klage auch nicht geltend gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>3. Der Bescheid erweist sich überdies als materiell rechtmäßig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Im nicht privaten Bereich ist für jede Betriebsstätte von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag nach Maßgabe der in § 5 Abs. 1 RBStV niedergelegten Staffelung zu entrichten. Gemäß § 7 Abs. 1 und 3 RBStV ist der Beitrag monatlich geschuldet und in der Mitte eines Dreimonatszeitraums zu leisten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Eine Betriebsstätte ist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 RBStV jede zu einem eigenständigen, nicht ausschließlich privaten Zweck bestimmte oder genutzte ortsfeste Raumeinheit oder Fläche innerhalb einer Raumeinheit.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte ist als Anstalt öffentlichen Rechts berechtigt, die rückständigen Rundfunkbeiträge durch Bescheid festzusetzen, § 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV. Nach § 11 Abs. 1 der Satzung des Norddeutschen Rundfunks über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge wird, soweit Rundfunkbeiträge nicht innerhalb einer Frist von vier Wochen nach Fälligkeit in voller Höhe entrichtet werden, ein Säumniszuschlag in Höhe von einem Prozent der rückständigen Beitragsschuld, mindestens aber ein Betrag von 8,00 Euro fällig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Die streitbefangenen Festsetzungen entsprechen diesen Maßgaben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Unstreitig handelt es sich bei den gewerblich und für Zwecke der keltisch-druidischen Glaubensgemeinschaft genutzten Räumlichkeiten des Klägers um eine Betriebsstätte im Sinne von § 6 Abs. 1 RBStV, deren Inhaber er ist, vgl. § 6 Abs. 2 RBStV.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>a) Bei der Betriebsstätte handelt es sich nicht um eine solche, die i.S.v. § 5 Abs. 5 Nummer 1 RBStV von der Beitragspflicht ausgenommen ist. Gemäß § 5 Abs. 5 Nummer 1 RBStV ist ein Rundfunkbeitrag nach § 5 Absatz 1 RBStV nicht zu entrichten für Betriebsstätten, die gottesdienstlichen Zwecken gewidmet sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>aa) Bei der Regelung des § 5 Abs. 5 Nummer 1 RBStV handelt es sich um einen Tatbestand der gesetzlichen Beitragsfreiheit (Beck RundfunkR/Schneider/Siekmann, 4. Aufl. 2018, RBStV § 5 Rn. 50, beck-online), weswegen es für die Berücksichtigung in dem vorliegende Verfahren nicht auf die Stellung eines vorherigen Antrages bei dem Beklagten und dessen etwaiger Bewilligung ankommt. Die Beitragsfreiheit tritt im Falle des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzung vielmehr kraft Gesetzes ein und ist somit bei der Festsetzung von Rundfunkbeiträgen zu berücksichtigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>bb) Die Voraussetzung des § 5 Abs. 5 Nummer 1 RBStV liegen jedoch nicht vor. Hiernach sind allein diejenigen Betriebsstätten von der Rundfunkbeitragspflicht ausgenommen, die ausschließlich gottesdienstlichen Zwecken dienen. Grundgedanke des Gesetzgebers war es, dass eine Kirche oder vergleichbare Räume schon nicht geeignet sind, eine Beitragspflicht zu begründen, weil dort typischerweise kein Rundfunkempfang ermöglicht wird, sondern die innere Einkehr im Fokus steht und gemeinsam Gottesdienste gefeiert werden (Beck RundfunkR/Schneider/Siekmann, 4. Aufl. 2018, RBStV § 5 Rn. 51, m.w.N.). Nach dem Willen des Gesetzgebers handelt es sich bei der Beitragsfreiheit von Betriebsstätten, die gottesdienstlichen Zwecken gewidmet sind, um eine eng begrenzte Ausnahme (BVerwG, Beschl. v. 29.01.2018 – 6 B 49/17, Rn. 8 juris). Ausgehend von der Grundannahme, dass in Betriebsstätten typischerweise Rundfunknutzung stattfindet (LT-Drs. BY 16/7001 S. 17, vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 07.12.2016 - 6 C 49.15, BVerwGE 156, 359 Rn. 31 ff.), lässt es der Gesetzgeber nicht ausreichen, dass ein Raum nur teil- oder zeitweise den privilegierten Zwecken dient. Die in § 5 Abs. 5 Nummer 1 RBStV geregelte Ausnahme von der Rundfunkbeitragspflicht setzt vielmehr voraus, dass die betreffenden Räume ausschließlich für den Gottesdienst oder eine hiermit vergleichbare – kirchlichen, religiösen oder weltanschaulichen Zwecken dienende – Nutzung bestimmt sind, die typischerweise erwarten lässt, dass dort keine betriebsbezogene Rundfunknutzung stattfindet (BVerwG, Beschl. v. 29.01.2018 – 6 B 49/17, Rn. 8 juris). Handelt es sich demgegenüber um Räumlichkeiten, die - wie im Fall der Betriebsräume des Klägers - regelmäßig auch für solche Aktivitäten genutzt werden, die sich für den objektiven Betrachter als Ausübung eines gewöhnlichen, nicht der Sphäre eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses zuzurechnenden Berufes darstellen, ist die erforderliche Grundlage für die Annahme, es werde dort keine betriebliche Rundfunknutzung stattfinden, nicht in gleicher Weise vorhanden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.01.2018 – 6 B 49/17, Rn. 10 juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>So liegt es hier. Die Räumlichkeiten der Betriebsstätte des Klägers sind bei objektiver Betrachtungsweise nicht ausschließlich gottesdienstlichen bzw. weltanschaulichen Zwecken gewidmet. Der Kläger betreibt in diesen vielmehr unstreitig einen Internetversandhandel. Die Nutzung der Räumlichkeiten der Betriebsstätte eines Internetversandhandels ist nicht mit derjenigen eines Kirchenraumes oder eines Raumes, welcher ausschließlich der Zusammenkunft von Glaubensgemeinschaften dient (vgl. zur Anwendbarkeit auf Weltanschauungsgemeinschaften BVerwG, Beschl. v. 29.01.2018 – 6 B 49/17, Rn. 9 juris), vergleichbar. Es fehlt im Sinne der vorgenannten Maßgaben an einer vergleichbaren Typizität, aus der darauf geschlossen werden könnte, dass in den Räumlichkeiten der Betriebsstätte des Klägers keine Rundfunknutzung stattfinden würde. Es ist nach Auffassung der Kammer vielmehr gerade nicht zu erwarten ist, dass in der streitgegenständlichen Betriebsstätte keine betriebsbezogene Rundfunknutzung stattfindet. Der Internetversandhandel des Klägers setzt denknotwendig den Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsgeräte voraus, die in Verbindung mit der für den Betrieb des Klägers zwingend notwendigen Internetverbindung regelmäßig dazu geeignet sind, die Angebote des öffentlichen Rundfunks zu empfangen. Es ist daher typischerweise zu erwarten, dass sich der Kläger aus dem Rundfunkangebot Informationen für seinen Betrieb beschaffen sowie das Rundfunkangebot zur Information oder Unterhaltung seiner Beschäftigten nutzen kann (vgl. zur Abgeltung des Vorteils im nicht privaten Bereich: BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, Rn. 113 juris). Es kommt nicht darauf an, ob der Kläger dieses Angebot in der streitgegenständlichen Betriebsstätte tatsächlich nutzt. Hinzu kommt, dass der Betrieb eines Internetversandhandels bei lebensnaher Betrachtungsweise regelmäßig – etwa im Rahmen des Versandes oder der Wartung und Instandhaltung der technischen Gerätschaften – die Ausübung von gewöhnlichen Berufen erfordert, die nicht der Sphäre eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses zuzurechnen sind. Auch aus diesem Grunde ist die erforderliche Grundlage für die Annahme, es werde in der Betriebsstätte des Klägers keine betriebliche Rundfunknutzung stattfinden, nicht gegeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>b) Der Beklagte hat die zu entrichtenden Rundfunkbeiträge auch hinsichtlich der Höhe rechtsfehlerfrei festgesetzt. Er durfte den Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen nach § 5 Abs. 1 Nummer 3 RBStV insbesondere als Betriebsstätte der Staffel 3 mit zwei Rundfunkbeiträgen monatlich veranlagen. Der Beklagte durfte davon ausgehen, dass die Betriebsstätte des Klägers über 21 Beschäftigte verfügte. Dies ergibt sich insbesondere aus der gegenüber dem Beklagten abgegebenen Anmeldung vom 24. Januar 2015. Diese enthielt die Angabe, dass die Betriebsstätte über 21 Beschäftigte verfüge. Dies hat der Beklagte so ausdrücklich mit Schreiben vom 29. Januar 2015 gegenüber dem Kläger bestätigt. Der Kläger hat hieraufhin keine Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser Angabe erhoben, sondern lediglich mitgeteilt, dass er die Anmeldung nicht abgegeben habe. Den Kläger trifft gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 RBStV eine Pflicht zur Anzeige jedweder Änderungen der Beschäftigtenzahl. Hiernach hat der Inhaber einer Betriebsstätte eine Änderung der Anzahl der im Jahresdurchschnitt des vorangegangenen Kalenderjahres sozialversicherungspflichtig Beschäftigten jeweils bis zum 31. März eines Jahres anzuzeigen; diese Änderung wirkt ab dem 1. April des jeweiligen Jahres. Eine derartige Anzeige erfolgte jedoch erst mit Schreiben vom 1. Juli 2016. Die Anzeige führt nach der vorgenannten Vorschrift nicht zu einer rückwirkenden Berücksichtigung der geänderten Beschäftigungszahl. Die Norm gibt vielmehr vor, dass die Änderung erst zum 1. April eines Jahres zu berücksichtigen ist. Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Mitteilung des Klägers erst ab dem 1. April 2017 von dem Beklagten zu berücksichtigen gewesen ist. Die Mitteilung hat demnach keinen Einfluss auf die streitbefangenen Festsetzungen, welche die Jahre 2013 bis 2015 betreffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>c) Die Erhebung der Säumniszuschläge unterliegt ebenfalls keinen Bedenken. Rechtsgrundlage für die Erhebung eines Säumniszuschlags ist § 11 Abs. 1 der Rundfunkbeitragssatzung, die auf § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Alt. 3 RBStV beruht. Die Rundfunkbeitragspflicht entsteht kraft Gesetzes. Diese beginnt mit dem Ersten des Monats, in dem der Beitragsschuldner erstmals die Wohnung innehat. Der Rundfunkbeitrag ist monatlich geschuldet und in der Mitte eines Dreimonatszeitraums für jeweils drei Monate zu leisten (s. § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 RBStV). Ferner wird, wenn Rundfunkbeiträge nicht innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit in voller Höhe entrichtet werden, ein Säumniszuschlag in Höhe von einem Prozent der rückständigen Beitragsschuld, mindestens aber ein Betrag von 8,00 Euro fällig (§ 11 Abs. 1 der Rundfunkbeitragssatzung). Der Kläger hat die jeweils geschuldeten Rundfunkbeiträge unstreitig im von den angefochtenen Festsetzungsbescheiden betroffenen Zeitraum nicht binnen vier Wochen entrichtet. Der Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid vom 1. Dezember 2015 Rundfunkbeiträge i.H.v. 1.180,92 Euro festgesetzt, woraus sich beim Ansatz von einem Prozent gerundet der Säumnisbetrag i.H.v. 11,81 Euro ergibt. In dem weiteren streitbefangenen Bescheid ist der Mindestsatz von 8,00 Euro rechtmäßig als Säumniszuschlag korrekt festgesetzt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>IV. Die Kostenentscheidung beruht § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
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} | 2 BvR 2459/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-16T06:58:48 | 2019-02-13T18:05:46 | Nichtannahmebeschluss | ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20181219.2bvr245918 | <h2>Tenor</h2>
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<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>Dem Beschwerdeführer wird eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 250 € (in Worten: zweihundertfünfzig Euro) auferlegt.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen die Berufung gegen ein Strafurteil verwerfenden Beschluss des Amtsgerichts Mettmann vom 4. September 2018 sowie den einen Befangenheitsantrag des Beschwerdeführers verwerfenden Beschluss desselben Gerichts vom 18. Juli 2018.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>I.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt sind. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unzulässig. Der Beschwerdeführer hat insbesondere nicht in einer den Begründungsanforderungen der § 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG genügenden Weise vorgetragen, in verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen verletzt worden zu sein. Der das Beschwerdebegehren stützende Lebenssachverhalt wird bereits nicht in einer die verfassungsgerichtliche Überprüfung ermöglichenden Weise dargelegt. Eine verfassungsrechtlich fundierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidungen findet nicht statt. Auch ist nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg ordnungsgemäß erschöpft hat.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Verfassungsbeschwerde wurde missbräuchlich im Sinne von § 34 Abs. 2 BVerfGG erhoben. Dem Beschwerdeführer war daher eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 250 € aufzuerlegen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>
Ein Missbrauch liegt vor, wenn die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und ihre Einlegung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss. Das Bundesverfassungsgericht muss es nicht hinnehmen, durch erkennbar substanzlose Verfassungsbeschwerden an der Erfüllung seiner Aufgaben gehindert zu werden, mit der Folge, dass anderen Bürgern der ihnen zukommende Grundrechtsschutz nur verzögert gewährt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. September 2005 - 2 BvR 1435/05 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. September 2017 - 2 BvR 1691/17 -, juris, Rn. 3).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers, der das Bundesverfassungsgericht wiederholt mit völlig aussichtslosen Eingaben befasst hat, ist aus den genannten Gründen offensichtlich unzulässig. In der Sache fehlt seinen Ausführungen nahezu jeder Verfahrensbezug. Der Beschwerdeführer nimmt die angegriffenen Beschlüsse zum Anlass, eine Vielzahl namentlich benannter Personen der Beteiligung an Verschwörungen und kriminellen Machenschaften zu seinen und zu Lasten Dritter zu bezichtigen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>III.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Dies gilt auch hinsichtlich des Ausspruchs über die Missbrauchsgebühr (vgl. BVerfGE 133, 163 <167 Rn. 10>).</p>
</dd>
</dl>
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"id": 910,
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} | 2 A 10112/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-08T23:46:53 | 2019-01-17T12:02:27 | Beschluss | ECLI:DE:OVGRLP:2018:1219.2A10112.18.00 | <div class="docLayoutText">
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<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 6. Dezember 2017 zuzulassen, wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Kläger hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 4.096,23 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Klage richtet sich gegen eine Rückzahlungsverpflichtung der vom Kläger einbehaltenen Gebühren, die ihm aus seiner Tätigkeit als Gerichtsvollzieher in den Jahren 2014 und 2015 zugeflossen waren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Höhe dieses prozentualen Anteils wurde bis einschließlich 2015 jährlich nach der aufgrund § 49 Bundesbesoldungsgesetz – BBesG – erlassenen Landesverordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher vom 3. Juli 1998 (GVBl. S. 227 – im Folgenden: BKE-VO) festgesetzt. Der Gebührenanteil orientierte sich an den Sach- und Personalkosten eines durchschnittlich ausgelasteten Gerichtsvollzieherbüros und wurde jeweils rückwirkend für das vergangene Jahr festgesetzt. Für das Jahr 2014 erfolgte dies mit der 17. Landesverordnung zur Änderung der BKE-VO vom 14. September 2015 (GVBl. S. 256 – im Folgenden: BKE-Änderungsverordnung), für das Jahr 2015 durch die 18. BKE-Änderungsverordnung vom 29. März 2017 (GVBl. S. 83). Bis zum Erlass der jeweiligen Änderungsverordnung galt der Gebührenanteil des Vorjahres vorläufig weiter. In Höhe dieses Prozentsatzes behielt der Gerichtsvollzieher den Anteil aus den vereinnahmten Gebühren vorläufig ein. Die endgültige Festsetzung der Gebührenanteile für ein Kalenderjahr wurde in einer sog. Jahresnachweisung nach Erlass der Änderungsverordnung für das zurückliegende Jahr durch den jeweils zuständigen Direktor des Amtsgerichts festgesetzt. Je nach Erhöhung oder Verringerung des Prozentsatzes der Gebührenanteile ergaben sich Nachforderungen für den Gerichtsvollzieher oder zu viel einbehaltene Beträge, die von ihm an den Dienstherrn auszukehren waren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Für das Jahr 2013 belief sich der Gebührenanteil der Gerichtsvollzieher nach der 16. BKE-Änderungsverordnung vom 16. September 2014 (GVBl. S. 225) auf 48,4 % der vereinnahmten Gebühren. Dieser Anteil wurde vom Kläger aus den Gebühreneinnahmen im Jahr 2014 vorläufig einbehalten. Durch die 17. BKE-Änderungverordnung sank der Prozentsatz des Gebührenanteils für das Jahr 2014 auf 41,5% ab. Vom zuständigen Direktor des Amtsgerichts Kaiserslautern wurde die Jahresnachweisung 2014 für den Kläger unter dem 10. November 2015 erstellt und darin der für 2014 vom Kläger einzuziehende Betrag auf 1.606,53 € festgesetzt. Die endgültig zustehenden und vorläufig einbehaltenen Gebührenanteile sowie der Betrag der von diesem im Jahr 2014 insgesamt vereinnahmten Gebühren waren beigefügt. Die Jahresnachweisung wurde dem Kläger ohne Rechtsmittelbelehrung formlos zugeleitet. Die Landesjustizkasse forderte mit Schreiben vom 9. Dezember 2015 den Einziehungsbetrag (einschließlich eines für das 3. Quartal 2015 gesondert festgesetzten Betrags von 389,91 €) beim Kläger zur Zahlung an. Hierauf zahlte der Kläger den festgesetzten Betrag zurück.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Am 17. Februar 2016 erstellte der Direktor des Amtsgerichts Kaiserslautern eine vorläufige Jahresnachweisung für das Jahr 2015. Dabei wurde der Gebührenanteil nach der noch geltenden 17. Änderungsverordnung errechnet und ein vom Kläger einzuziehender Betrag in Höhe von 960,12 € festgesetzt. Die entsprechende Zahlungsaufforderung der Landesjustizkasse an den Kläger erging am 2. März 2016. Auch dieser Aufforderung kam der Kläger nach und zahlte die zuvor einbehaltenen Beträge an den Beklagten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten an den Präsidenten des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 18. Mai 2016 bat der Kläger um Erläuterung der Bürokostenentschädigung und der Rechtsgrundlage für die Rückforderungen. Der Präsident des Oberlandesgerichts legte im Antwortschreiben vom 20. Juni 2016 die Rechtsgrundlagen und Berechnungen nach der BKE-VO dar und verwies im Übrigen auf den Verordnungsgeber, das Ministerium der Justiz. Unter dem 12. Juli 2016 bat die Bevollmächtigte dort um Offenlegung der Berechnungen zur Bürokostenentschädigung für die Jahre 2014 und 2015, mit Antwort vom 21. Juli 2016 kam das Ministerium dem nach.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Daraufhin rügte die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 die Rechtswidrigkeit der für 2014 und 2015 erfolgten Rückforderungen der Bürokostenentschädigung. Zugleich erhob sie „äußerst vorsorglich“ Widerspruch gegen die Rückforderungen und forderte das Ministerium auf, die Auskehrung der zu Unrecht zurückgeforderten Beträge zu veranlassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 5. Januar 2017 erläuterte das Ministerium der Justiz das Ergebnis seiner Erhebungen zu den tatsächlichen Kosten aller Gerichtsvollzieherbüros im Jahr 2015. Danach hätten sich die durchschnittlichen Personal- und Sachkosten bei voller Belastung auf 15.489,19 € belaufen. Der bei Festsetzung des Gebührenanteils unverändert in Ansatz gebrachte Jahreskostenbetrag von 20.274,00 € liege deutlich darüber.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Unter dem 22. Februar 2017 lehnte das Ministerium der Justiz sodann gegenüber dem Kläger den Antrag auf Abänderung der 17. Änderungs-VO zur BKE-VO und Rückzahlung abgelieferter Beträge für das Jahr 2014 ab. Der Antrag werde als Antrag auf Änderung der Verordnung auf das Niveau der für 2013 geltenden Beträge verstanden. Für diese Entscheidung sei das Ministerium der Justiz sachlich und funktionell zuständig. Die in der 17. Änderungsverordnung festgesetzten Gebührenanteile von 41,5 % seien aber rechtmäßig. Die Ablieferungsaufforderungen seien auch aus formellen Gründen nicht zu beanstanden. Die Ablieferungspflicht des Klägers finde ihre Rechtsgrundlage in der allgemeinen beamtenrechtlichen Dienst- und Treuepflicht. Die endgültige Abrechnung 2014 sei sachlich und rechnerisch nicht zu beanstanden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit seiner nach erfolglos durchgeführten Widerspruchsverfahren erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Rückzahlungsaufforderung sei rechtswidrig, weil diese weder eine Rechtsgrundlage enthalte noch die Berechnungsweise erläutere. Der Sach- und Personalkostenaufwand sei nicht aktuell und realitätsnah ermittelt. Die Festsetzung sei auf der Grundlage eines nicht zutreffenden Pensums erfolgt. Die Höhe der angesetzten Dokumentenpauschale sei nicht haltbar. Die Masse der Gerichtsvollzieher hätten in 2014 nicht mehr als 2.000,00 € an Dokumentenpauschalen vereinnahmt. Die in der Gesamtheit vom Justizministerium zugrunde gelegten niedrigen Bürokosten würden nur dem Umstand geschuldet sein, dass die Gerichtsvollzieher in der Regel von Familienangehörigen unentgeltlich unterstützt würden. Bei Beschäftigung einer Halbtagskraft würden dagegen zusätzliche Kosten in Höhe von jährlich 32.682,00 € anfallen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Bescheid vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2017 wird aufgehoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Beklagte zahlt an den Kläger den mit Schreiben der LJK Mainz vom 9. Dezember 2015 für das Jahr 2014 und das III. Quartal 2015 zurückgeforderten Betrag in Höhe von Euro 1.996,44 sowie den mit Schreiben der LJK Mainz vom 2. März 2016 für das Jahr 2015 zurückgeforderten Betrag in Höhe von Euro 960,12 als weitere Entschädigung und Vergütung zurück.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Hilfsweise: Unter Aufhebung der Bescheide vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2017 wird der Beklagte verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Weiter hilfsweise: Den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2017 zu verpflichten, die 17. Änderung zur Gerichtsvollziehervergütungsverordnung vom 3. Juli 1998 abzuändern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Klage abzuweisen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>und hierzu auf die getroffenen Verwaltungsentscheidungen verwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 6. Dezember 2017 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger für die Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2017, verbunden mit einem allgemeinen Leistungsantrag, das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Durch die Aufhebung dieser Bescheide könne der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die begehrte Wiederauskehrung bzw. Rückzahlung der von ihm an den Beklagten ausgekehrten Gebührenanteile erreichen. Für die Gebührenanteile aus 2015 gelte das schon deshalb, weil dieses Kalenderjahr nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids sei, was aus beiden ausdrücklich hervorgehe. Auch für eine (Wieder)Auskehrung der Gebührenanteile 2014 bestünde aufgrund einer gerichtlichen Aufhebung der angefochtenen Bescheide keine Rechtsgrundlage. Dem stehe die bestandskräftige Festsetzung der Gebührenanteile für 2014 gegenüber dem Kläger durch die Jahresnachweisung des Direktors des Amtsgerichts vom 10. November 2015 entgegen. Der Kläger habe hiergegen nämlich erst nach Ablauf eines Jahres und damit verspätet Widerspruch eingelegt. Inhaltlich müsse dieser Bescheid deshalb nicht geprüft werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung sowie wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten beantragt. Er hält die Rechtsausführungen der Vorinstanz zur Bestandskraft der Festsetzung für das Geschäftsjahr 2014 für nicht überzeugend. Sein Widerspruch sei nicht verfristet eingelegt worden, da die genaue Bekanntgabe vom Beklagten nicht nachgewiesen worden sei und dieser die Beweislast hierfür trage. Zudem habe der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden, die als feststellende Verwaltungsakte zu qualifizieren seien, über die Rechtmäßigkeit der Jahresnachweisung vom 10. November 2015 sachlich entschieden und sich gerade nicht auf eine Bestandskraft berufen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>In Bezug auf die Gebührenanteile für das Geschäftsjahr 2015 sei die Klage zu Unrecht mangels Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen worden. In dem Widerspruchsbescheid sei nämlich ausdrücklich auch auf Rückforderung der Anteile für 2015 hingewiesen worden. Zudem sei die Nachweisung vom 30. Mai 2017 kein Festsetzungsbescheid und würden darin weitere Rückforderungen ausgewiesen. Die mit dieser Klage angefochtene Festsetzung sei nicht nur vorläufig erfolgt und außerdem mangels Bestimmtheit und wegen der fehlenden Begründung nichtig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzungen und Jahresnachweisungen und damit auch die Rückforderungen seien im Übrigen auch rechtswidrig, weil sie nicht auf der Grundlage von aktuellen Erhebungen erfolgt seien. Die vom Beklagten zugrunde gelegten Bürokosten aller Gerichtsvollzieher seien lediglich fiktiv auf der Grundlage von im Jahr 1975 angestellten Vermutungen fortgeschrieben worden. Der vom Beklagten angenommene Bürokostenanteil reiche nicht aus, um eine Arbeitskraft zu bezahlen, angemessene Büroräume anzumieten, die Kosten für Büromöbel und der Büroausstattung, der Computer Hard- und Software, des sonstigen Bürobedarfs sowie laufende Kosten wie Strom, Wasser, Telefonanschluss, Versicherungen, Reinigung des Büros, Fachliteratur und Porto etc. abzudecken. Der Beklagte habe dabei die in der Erhebung 2016 ermittelten Sachkosten von insgesamt 2.664.044,57 € zu Unrecht auf 1.977.179,01 € gekürzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Auch bei ihm seien im Erhebungsjahr bei seiner Nachweisung ohne nachvollziehbare Begründung und damit willkürlich Kürzungen vorgenommen worden. Die von den Gerichtsvollziehern auszufüllenden Erhebungsbögen seien unzutreffend gestaltet, weil sie nicht geeignet seien, alle tatsächlich angefallenen Kosten zu erfassen. Bei diesen nicht angekündigten Erhebungen könnten Gerichtsvollzieher ihre Kosten regelmäßig nicht mehr nachweisen, weil sie keine Belege sammeln würden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der Rückschluss von der Erhebung 2016 auf die Festsetzungen für 2014 sei ohnehin ebenso unzulässig wie der Hinweis auf die vom Oberverwaltungsgericht für die Jahre 2002 und 2003 als rechtmäßig angesehenen Festsetzungen. Gleiches gelte für eine vom Beklagten herangezogene Erhebung aus Niedersachsen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Der vom Beklagten herangezogene Pensenschlüssel sei unzutreffend, da der Gesetzgeber im Jahr 2007 als Folge der Reform der Sachaufklärung einen Belastungsanstieg im Vergleich zum vorherigen „Bad Naunheimer Schlüssel“ von 21 % erwartet habe. Die Mehrbelastung läge in Rheinland-Pfalz sogar bei mehr als 26 %, tatsächlich sogar bei insgesamt 156,38 %, so dass die vom Beklagten angenommene Belastung von 140,38 % nicht haltbar sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Gleichfalls nicht haltbar sei die angenommene Höhe der durchschnittlichen Dokumentenpauschale, da die Masse der Gerichtsvollzieher im Jahr 2014 nicht über 2.000,00 € vereinnahmt hätten. Es gäbe nur wenige „Inseln“, in denen exorbitante Dokumentenpauschalen anfielen; diese Zahlen könnten nicht landesweit übertragen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Die vom Beklagten für eine angebliche Überzahlung zugrunde gelegte Berechnung resultiere aus dem Umstand, dass die Gerichtsvollziehertätigkeit eine Art „Familienbetrieb“ sei, bei dem seit Jahrzenten Familienangehörige die Gerichtsvollzieher unentgeltlich unterstützten, die im Übrigen mehr als 40 Wochenstunden und sogar im Krankenstand und im Urlaub arbeiteten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte tritt dem Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung entgegen. Er verteidigt das angefochtene Urteil, das er auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens für zutreffend hält und ergänzt und vertieft seine bisherigen Ausführungen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil keiner der beiden vom Kläger allein als gegeben erachteten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –) vorliegt. Nur diese geltend gemachten Zulassungsgründe sind für die Entscheidung über seinen Zulassungsantrag zu untersuchen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2010 – 1 BvR 2011/10 –, juris Rn. 19) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente Auswirkungen auf das Ergebnis der Entscheidung haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 – 7 AV 4.03 –, juris Rn. 7 ff.;BayVGH, Beschluss vom 24. Januar 2018 – 3 ZB 16.1962 –, juris). Zumindest die letztgenannte Voraussetzung liegt hier nicht vor, weil eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung in einem späteren Berufungsverfahren auch unabhängig von der Frage der Bestandskraft der Jahresnachweisung 2014, auf die sich das Verwaltungsgericht in seinem Urteil beschränkt hat, nicht zu erwarten ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>a) Für die Klage gegen die vorläufigen Festsetzungen und Kassenanordnungen des Beklagten vom 10. November 2015 (in Höhe von 389,91 € für das 3. Quartal 2015) sowie vom 17. Februar 2016 (in Höhe von 960,12 € für das 4. Quartal 2015) besteht kein Rechtsschutzbedürfnis (mehr), weil diese in den angefochtenen Festsetzungen, die als Verwaltungsakte im Sinne von § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz i.V.m. § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz zu qualifizieren sind (vgl. OVG NRW, Urteile vom 27. Januar 2006 – 1 A 4120/04 –, juris Rn. 36 und vom 26. März 2010 – 1 A 945/08 –, juris Rn. 27; SächsOVG, Urteil vom 5. Mai 2009 – 2 A 408/08 –, juris Rn. 24 f.), nur vorläufig erfolgten und die endgültige Bürokostenentschädigung mit späterem Bescheid vom 31. Mai 2017 festgesetzt wurde. Mit Erlass dieses Bescheides wurde die einen Teilbereich denselben Abrechnungszeitraum abdeckende, allerdings nur vorläufig erfolgte, Festsetzung gegenstandslos (vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. März 2010, a.a.O., Rn. 66 ff.; SächsOVG, Urteil vom 5. Mai 2009, a.a.O., Rn. 31).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Das der Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher zu Grunde liegende Entschädigungsmodell ist insofern auf eine nachträgliche rückwirkende Festsetzung des Prozentsatzes sowie eine erst danach erfolgende endgültige Festsetzung der Bürokostenentschädigung angelegt. Aus diesem Entschädigungsmodell folgt unmittelbar, dass alle vorausgehenden Berechnungen und Festsetzungen nur vorläufig sein können. Für die mit diesem Entschädigungsmodell verbundene Möglichkeit der rückwirkenden Änderung des im Verordnungswege festgesetzten Prozentsatzes, die in der Sache eine nachträgliche endgültige Festsetzung für das jeweilige Abrechnungsjahr erlaubt, gibt es auch einen sachlichen Grund. Dieser besteht darin, dass die Daten, die nach diesem Modell für die jährliche Neufestsetzung des Prozentsatzes benötigt werden, zu Beginn des jeweiligen Abrechnungsjahres noch nicht vorliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob die endgültige Festsetzung auf Grund der Daten des jeweiligen Abrechnungsjahres oder auf Grund der Vorjahresdaten erfolgt. Für die Festsetzung des jeweiligen Prozentsatzes auf Grund (möglichst) aktueller Daten besteht ebenfalls ein sachlicher Grund. Dem Charakter einer pauschalen Aufwandsentschädigung entspricht es, den pauschalierten Aufwand möglichst realitätsnah zu berechnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – 2 B 39.11 –, juris Rn. 4). Dazu sind aber möglichst aktuelle Daten erforderlich (vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 26. März 2010, a.a.O., Rn. 73 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>In Konsequenz dessen bedurfte es im Rahmen der mit der neuen Klage bereits angefochtenen Jahresnachweisung auch keiner ausdrücklichen Aufhebung der Festsetzungen und Kassenanordnungen vom 10. November 2015 (in Höhe von 389,91 € für das 3. Quartal 2015) sowie vom 17. Februar 2016 (in Höhe von 960,12 € für das 4. Quartal 2015). Denn diese wurden mit dem Bescheid vom 31. Mai 2017 ohne weitere rechtliche Zwischenschritte gegenstandslos. Der Gegenstand der vorläufigen Regelung stand wegen der noch nicht abgeschlossenen Sachverhaltsermittlung von vornherein unter dem Vorbehalt einer späteren, endgültigen Entscheidung, durch die sich der vorläufige vorherige Verwaltungsakt dann allerdings „erledigt“.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Gegen den Bescheid vom 31. Mai 2017 hat der Kläger auch (am 20. Dezember 2017) Klage erhoben (vgl. Anlage 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 21. März 2018, Bl. 417 ff. GA). Dort hat der Kläger ausweislich der vorliegenden Klageschrift auch dieselben Teilbeträge (389,91 € bzw. 960,12 €) eingeklagt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Dem lässt sich nicht erfolgreich entgegenhalten, dass wegen der Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden für den Kläger immer noch ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Richtigstellung dieser Feststellungen bestehe. Selbst wenn in diesem Verfahren die entsprechenden Festsetzungen aufgehoben und die zuvor vorläufig einbehaltenen Beträge dem Kläger zurückerstattet würden, so würde sich der in der endgültigen Festsetzung abzuführende Betrag im gleichen Umfang erhöhen. Dies zu erreichen kann aber nicht zum Gegenstand einer Klage gegen eine nur vorläufige Festsetzung gemacht werden; dies ist nur im Wege des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die endgültige Festsetzung möglich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Da die Klage insoweit unzulässig ist, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts in diesem Umfang zutreffend, ohne dass es auf die vom Kläger weiterhin aufgeworfenen Fragen nach der inhaltlichen Rechtmäßigkeit noch ankommt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>b) Der im Rahmen dieses Zulassungsverfahrens vom Kläger (für den Fall der Zulassung der Berufung) angekündigte Antrag auf Verurteilung des Beklagten zur Rückzahlung von insgesamt 4.096,23 € und damit gegenüber dem erstinstanzlichen Antrag von <span style="text-decoration:underline">weiteren</span> 1.139,67 € ist jedenfalls in dieser Höhe ohne jede Begründung dieses Anspruchs erhoben worden. Selbst auf den Hinweis des Beklagten im Schriftsatz vom 21. März 2018 erfolgte seitens des Klägers keine Richtigstellung. Soweit der Kläger – insoweit übereinstimmend mit dem erstinstanzlichen Klageantrag – die Rückzahlung der von der Landesjustizkasse von seinem Dienstkonto eingezogenen 1.606,53 € begehrt, gilt Folgendes:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>aa) Es spricht Einiges für die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, wonach der Festsetzungsbescheid vom 11. November 2015 dem Kläger schon vor dem 16. Dezember 2015 zugegangen und dieser somit wegen Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO zum Zeitpunkt des von der Bevollmächtigten des Klägers „höchst vorsorglich“ eingelegten Widerspruchs vom 20. Dezember 2016 bereits in Bestandskraft erwachsen war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Das System der Festsetzung und Einbehaltung der dem Gerichtsvollzieher nach Abzug seines Eigenanteils zustehenden Bürokostenentschädigung besteht in dieser Form seit Jahrzehnten. Danach werden von dem Direktor des Amtsgerichts, dessen Gerichtsbezirk der Amtsbezirk des Gerichtsvollziehers zugeordnet ist, die einzelnen Beträge errechnet und anschließend mit dem Gerichtsvollzieher besprochen. Wie sich aus dem Vermerk vom 5. April 2017 (Bl. 79 der Verwaltungsakte) ergibt, wurde so auch für das streitgegenständliche Jahr 2014 verfahren. Es ist nichts dafür ersichtlich und wird auch vom Kläger nicht vorgetragen, dass ausgerechnet bei ihm die am 10. November 2015 erfolgte Festsetzung und Kassenanordnung zeitlich erst nach der bereits am 9. Dezember 2015 erfolgten Anforderung von der Landesjustizkasse (die den offenen Betrag vom Dienstkonto des Klägers eingezogen hat) bekannt gegeben worden wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>bb) Die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage des Zugangs der Festsetzung für das Jahr 2014 braucht aber letztlich nicht beantwortet zu werden. Denn die Klage hat auch bei einer inhaltlichen Überprüfung der angefochtenen Bescheide offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, so dass ein Berufungsverfahren nicht durchzuführen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>cc) Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine Klage nicht schon deshalb begründet, weil es sich bei dem Widerspruchsbescheid vom 18. April 2017 um einen „feststellenden“ Verwaltungsakt handele. Hierauf käme es nur dann an, wenn der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid eine isolierte Anfechtungsklage im Sinne von § 79 Abs. 2 Satz 1 VwGO erhoben hätte und dieser eine selbständige Beschwer enthielte. Beides trifft vorliegend aber nicht zu. Es ist zudem unklar, warum in einer Berufung der zur Entscheidung durch den Senat gestellte Hilfsantrag sachdienlich sein könnte. Begründet wird dieser Antrag in der Antragsschrift vom 5. März 2018 jedenfalls nicht. Gleiches gilt für die vom Kläger nicht weiter dargelegte Nichtigkeit dieser Verfügungen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>dd) Im Übrigen sind die Bescheide offenkundig rechtmäßig. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in § 6 Abs. 4 Landesbesoldungsgesetz – LBesG – i.V.m. dem beamtenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz – GG –). Dieses wird bei den Gerichtsvollziehern seit Jahrzehnten in überkommener Weise durch eine besondere Ausgestaltung des Dienstverhältnisses geprägt: Dem Gerichtsvollzieher wird zugestanden, die Gebühren und Auslagen, die er zuvor von den Vollstreckungsschuldnern im Rahmen seiner Amtstätigkeit eingezogen hat und die aus Rechtsgründen an sich dem Dienstherrn zustehen, vollständig (in Bezug auf die den Schuldnern in Rechnung gestellten Dokumentenpauschale) bzw. anteilig (hinsichtlich der übrigen vom Gerichtsvollzieher festgesetzten Gebühren und Auslagen) für sich zu vereinnahmen und nur einen bestimmten – durch die jeweils geltenden Änderungsverordnungen festgelegten – Teil an seinen Dienstherrn abzuführen. Damit erzielt der Gerichtsvollzieher für sich selbst neben seiner Alimentation (Besoldung) weitere Einnahmen, was allen übrigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes nicht möglich ist. Diese den Gerichtsvollziehern eingeräumte Berechtigung zur Erzielung weiteren Einnahme begründet ein besonderes dienstrechtliches Verhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten, das als eine Art Treuhandverhältnis ausgestaltet ist und – wie noch zu zeigen sein wird – eigenen Regeln folgt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Auf der anderen Seite ist der Gerichtsvollzieher verpflichtet, einen Amtssitz einzurichten und zu unterhalten, dessen nähere Ausgestaltung durch weitere, nur für den Gerichtsvollzieher geltenden Rechtsverordnungen geregelt ist. Damit der Gerichtsvollzieher nach Abzug des an den Dienstherrn abzuführenden Teiles nicht mit eigenen Aufwendungen belastet bleibt, schreiben seit mehreren Jahrzehnten die besoldungsrechtlichen Regelungen (§ 49 Abs. 3 Bundesbesoldungsgesetz – BBesG – bzw. die zum 1. Juli 2013 in Kraft getretene – wortgleiche – landesrechtliche Vorschrift des § 6 Abs. 4 LBesG) vor, dass die Landesregierung bzw. die oberste Dienstbehörde durch Rechtsverordnung die Zahlung einer Vergütung für Beamte regeln darf, die im Vollstreckungsdienst tätig sind; dabei kann auch bestimmt werden, inwieweit mit der Vergütung ein besonderer Aufwand des Beamten mit abgegolten ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Die beiden vorgenannten Normen ermächtigen danach – jeweils für ihren zeitlichen Geltungsbereich – die rheinland-pfälzische Landesregierung, durch Rechtsverordnung die Abgeltung der den Gerichtsvollziehern für die Verpflichtung zur Errichtung und Unterhaltung eines Büros entstehenden Kosten zu regeln. Von dieser Ermächtigung hat der Beklagte durch die bereits genannte Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieher vom 3. Juli 1998 (GV-BKE), zuletzt geändert durch Verordnung vom 29. März 2017, Gebrauch gemacht. Für das hier inmitten stehende Jahr 2014 ist die GV-BKE in der Fassung der dieses Geschäftsjahr betreffenden 17. Änderungsverordnung vom 14. September 2015 maßgebend. Die zwischenzeitlich in Kraft getretene Gerichtsvollziehervergütungsverordnung – GVVergVO – ist gemäß der Übergangsvorschrift des § 9 GVVergVO in der Fassung vom 8. Dezember 2015 (GVBl. 2015 S. 437) nicht anzuwenden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Die Regelungen des § 49 Abs. 3 BBesG bzw. § 6 Abs. 4 LBesG sind insofern nicht nur bloße Ermächtigungsnormen, sondern sie verpflichten zugleich den Dienstherrn zum regelmäßigen Ersatz der angefallenen Bürokosten in Form einer Aufwandsentschädigung, ohne eine zusätzliche Alimentation zu begründen. Die Verpflichtung ergibt sich aus dem Gebot amtsangemessener Alimentation. Aufgrund des Alimentationsprinzips als eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG ist der Dienstherr verpflichtet, für den amtsangemessenen Unterhalt des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Dieser Verpflichtung kommt der Dienstherr nach, indem er den Gerichtsvollziehern Bezüge gewährt. Daneben benötigen Gerichtsvollzieher Mittel für die Einrichtung und Unterhaltung des von ihnen auf eigene Kosten vorzuhaltenden und dauerhaft zu führenden Büros. Da die ihnen gewährten Bezüge nur zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts gewährt werden, ergibt sich aus dem Alimentationsprinzip die zusätzliche Verpflichtung des Dienstherrn, ihnen zur Einrichtung und Unterhaltung eines Büros regelmäßig zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, so dass sie nicht gezwungen sind, diese Kosten aus ihrem Grundgehalt oder der ihnen zusätzlich gewährten Vollstreckungsvergütung zu tragen. Den Gerichtsvollziehern wird demnach nicht zugemutet, Kosten, die ihnen zwangsläufig aufgrund dienstlicher Verpflichtung entstehen, selbst zu tragen. Deshalb und weil der Dienstherr lediglich zum Kostenersatz verpflichtet ist, muss sich die Entschädigung aktuell und realitätsnah an den tatsächlich angefallenen notwendigen Sach- und Personalkosten orientieren. Der Dienstherr ist hierbei zur Pauschalierung und Typisierung, im Falle gravierender regionaler Unterschiede auch zu Staffelungen befugt oder gar verpflichtet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Ein bestimmtes Entschädigungsmodell sieht § 49 Abs. 3 BBesG allerdings nicht vor. Der Verordnungsgeber hat vielmehr einerseits darauf zu achten, dass die Aufwandsentschädigung nicht in eine regelmäßige zusätzliche Alimentation für den Gerichtsvollzieher umschlägt. Andererseits muss er berücksichtigen, dass das von ihm gewählte Entschädigungsmodell nicht zu einem zu niedrig bemessenen Kostenersatz führt, den der Gerichtsvollzieher durch unentgeltliche Büroarbeit oder Inanspruchnahme seiner Angehörigen ausgleichen muss. Eine arbeitnehmergleiche Beschäftigung von Angehörigen, die ohne Entgelt und ohne die Entrichtung von Sozialbeiträgen erfolgt, hat er bei der Auswertung seiner Erhebungen außer Betracht zu lassen (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2002 – 2 C 13.01 –, Urteil vom 19. August 2004 – 2 C 41.03 –, Beschluss vom 18. April 2006 – 2 BN 2.05 –, Beschluss vom 4. Dezember 2006 – 2 B 23.06 –, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 2 B 70.06 –, Beschluss vom 23. August 2007 – 2 BN 2.07 –, Beschluss vom 28. August 2007 – 2 BN 3.07 –, Beschluss vom 6. September 2007 – 2 BN 1.07 –, jeweils juris). Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung hat sich die obergerichtliche Rechtsprechung (z.B. OVG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8. November 2007 – OVG 4 B 18.06 –; OVG Magdeburg, Urteil vom 24. Januar 2007 – 1 K 349/05 –; OVG Weimar, Urteil vom 24. Oktober 2006 – 2 N 249/04 –; OVG Greifswald, Urteil vom 23. Mai 2006 – 4 K 6/04 –; VGH München, Beschluss vom 16. Oktober 2006 – 3 N 03.1683 – u.a., ferner Urteil vom 6. März 2006 – 3 B 04.3383 –; OVG Münster, Urteil vom 27. Januar 2006 – 1 A 4120/04 –, juris); OVG Bautzen, Urteil vom 9. Dezember 2005 – 2 D 7/04 –; OVG Lüneburg, Urteil vom 7. Juli 2005 – 5 KN 239/03 –; jeweils juris), auch der Senat, angeschlossen (Urteil vom 27. August 2007 – 2 A 10364/07.OVG –, LKRZ 2007, 432 und juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Die Regelung der Bürokostenentschädigung für Gerichtsvollzieher in Rheinland-Pfalz (ebenso die zum Teil wortgleichen Regelungen in anderen Bundesländern) beruht auf einer vom Arbeitskreis für Besoldungsfragen der Länder entwickelten und von der Finanzministerkonferenz 1975 gebilligten Modellverordnung. Die Festsetzung der Bürokostenentschädigung folgt einem bundesweit grundsätzlich einheitlichen Entschädigungsmodell, das jeweils landesspezifisch angepasst wird. Danach setzt sich die Bürokostenentschädigung aus den erhobenen Schreibauslagen, die den Gerichtsvollziehern ungeschmälert verbleiben, sowie einem Anteil der für die Erledigung der Aufträge vereinnahmten Gebühren (Gebührenanteil) zusammen. Der Gebührenanteil bemisst sich nach einem bestimmten Prozentsatz der vereinnahmten Gebühren (vgl. § 2 Satz 1 BKE-VO); zusätzlich wird ein Höchstbetrag bestimmt (vgl. § 3 Abs. 2 BKE-VO), bei dessen Überschreitung dem Gerichtsvollzieher von dem Mehrbetrag nur ein bestimmter Prozentsatz verbleibt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Der Gebührenanteil und der Höchstbetrag werden jeweils jährlich neu festgesetzt. Grundlage dieser Festsetzung ist der jährlich bundeseinheitlich aufgrund einer Empfehlung des Arbeitskreises für Besoldungsfragen durch die federführende Landesjustizverwaltung im Einvernehmen mit dem Finanzministerium des betreffenden Bundeslandes festgesetzte Jahreskostenbetrag, den ein Gerichtsvollzieher im Durchschnitt bei einem Pensum von 100 an Bürokosten aufbringen muss. Hieraus errechnen die Länder jeweils ihren sog. bereinigten Jahreskostenbetrag, der der unterschiedlichen durchschnittlichen Belastung der Gerichtsvollzieher in den einzelnen Bundesländern nach Maßgabe eines bestimmten Schlüssels (sog. Bad-Nauheimer-Schlüssel) durch Erhöhung des belastungsabhängigen Anteils des Jahreskostenbetrags (Personalkostenanteil) Rechnung trägt. Mit Hilfe des bereinigten Jahreskostenbetrages werden sodann der Gebührenanteil und der Höchstbetrag ermittelt. Der Gebührenanteil ergibt sich aus dem Verhältnis des um die Schreibauslagen gekürzten bereinigten Jahreskostenbetrages zu den tatsächlich je Gerichtsvollzieher im Landesdurchschnitt (hier: im Jahr 2014) vereinnahmten Gebühren. Der um die Schreibauslagen gekürzte bereinigte Jahreskostenbetrag bildet außerdem den Höchstbetrag. Der jeweilige Ausgangspunkt dieser Berechnungen, also der bundeseinheitlich festgelegte Jahreskostenbetrag, beruht im Ursprung nicht auf empirischen Erhebungen, sondern auf einer Vermutung zu den durchschnittlichen Kosten eines Gerichtsvollziehers im Jahr 1975 und wurde in den Folgejahren bis 2015 fortgeschrieben, und zwar jeweils aufgeschlüsselt nach Kostenblöcken, wobei ab 1997 die Personalkosten pauschal nach den Ergebnissen der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und die Sachkosten pauschal anhand des Preisindex fortgeschrieben wurden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Im Fall des Klägers stellt sich diese Verwaltungsübung für das Abrechnungsjahr 2014 wie folgt dar:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Da der Kläger im Erhebungszeitraum kein Personal entgeltlich beschäftigte, fielen bei ihm auch keine Personalkosten an. Unter diesem Aspekt konnte bei ihm deshalb von vornherein keine alimentationsrechtlich erhebliche Unterzahlung seiner Bürokostenentschädigung eintreten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich der Bürokosten durfte er – wie stets – gemäß § 2 Satz 1 BKE-VO die von den Vollstreckungsschuldnern zu zahlenden Dokumentenpauschalen in voller Höhe einbehalten. Auch unter diesem Gesichtspunkt trat keine finanzielle Benachteiligung durch die von ihm mit seiner Klage (auch) in Zweifel gezogene 17. Landesverordnung zur Änderung der BKE-VO (BKE-Änderungsverordnung) ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Der Gebührenanteil wird den Gerichtsvollziehern dagegen nur anteilig belassen. Zunächst wird dieser Gebührenanteil durch den Jahreshöchstbetrag begrenzt (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BKE-VO). Dieser stellt einen Pauschalbetrag dar, der von einem zu 100 % ausgelasteten Gerichtsvollzieher für Sach- und Personalaufwand zu erstatten ist: Dieser betrug wie im Jahr zuvor auch für das Geschäftsjahr 2014 20.274 €. Zusätzlich wird ein Prozentanteil bestimmt, der den Gerichtsvollziehern belassen bleibt und durch die jährliche BKE-Änderungsverordnung festgelegt wird; dabei wird von den durchschnittlichen Einnahmen und von der durchschnittlichen Belastung des Vorjahres ausgegangen. Der Rest wird nach Vorliegen aller relevanten Daten durch die „Festsetzung und Kassenanordnung“ an den Dienstherrn abgeführt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Nach der 16. BKE-Änderungsverordnung wurde der Jahreshöchstbetrag auf 21.150,00 € und der Gebührenanteil für 2014 vorläufig auf 48,4 % festgesetzt; nach Vorliegen aller Daten reduzierte sich der Gebührenanteil für 2014 (endgültig) auf 41,5 %. Dies führte für den Kläger für das Jahr 2014 zur einer Rückzahlungsanordnung in Höhe von 1.606,53 €.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Dies alles ergibt sich aus den entsprechenden gesetzlichen Regelungen und wurde – auch vom Kläger nicht substantiiert in Zweifel gezogen – sowohl sachlich als auch rechnerisch zutreffend festgesetzt. Die Einwände des Klägers gegen die Festsetzung richten sich in der Sache auch vornehmlich gegen die seiner Auffassung nach nicht plausible und insgesamt zu hohe Festsetzung des Gebührenanteils. Insofern greifen seine Einwände aber nicht durch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Dies gilt insbesondere für seine Rüge, die Rückzahlungsaufforderung sei rechtswidrig, weil diese weder die Rechtsgrundlage benenne noch die Berechnungsweise erläutere. Die Berechnung und anschließende Festsetzung der Bürokostenentschädigung sind vielmehr den Gerichtsvollziehern seit Jahrzehnten als dauerhaft angewandte Verwaltungspraxis des Beklagten bekannt. Sie erklären sich für diese auf der Grundlage dieses besonderen dienstrechtlichen Verhältnisses sowohl durch die zugrundeliegenden Rechtsverordnungen (die dem Gerichtsvollzieher selbstverständlich ebenso bekannt sind wie die sich daran orientierenden Rechenwerke). Wenn der Kläger dies entgegen seinem amtlichen Sonderwissen als nicht nachvollziehbar bezeichnet, so ist dies mit seinen dienstrechtlichen Pflichten als Beamter mit einer besonderen Berechtigung zur Erzielung von Einnahmen neben seiner Alimentation nur schwer vereinbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Bei diesen Festsetzungen ist nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte eine Typisierung und Pauschalierung zulässig. Wollte man demgegenüber vom Verordnungsgeber – worauf das Vorbringen des Klägers hinauszuläuft – verlangen, in jedem Jahr auf breiter Basis Erhebungen zu den den Gerichtsvollziehern des Landes tatsächlich entstandenen Bürokosten durchzuführen, so würde der Sinn einer pauschalierenden und typisierenden Regelung verfehlt. Im Übrigen spräche alles dafür, dass die Gerichtsvollzieher über kurz oder lang deutlich schlechter dastehen würden als jetzt, weil der Schluss naheliegen würde, auf der Grundlage derart ermittelter umfangreicher und vollständiger Zahlen ein Erstattungssystem zu wählen, das ausschließlich die im Einzelfall tatsächlich nachgewiesenen Aufwendungen ersetzt (vgl. hierzu OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23. Mai 2006 – 4 K 6/04 –, juris Rn. 54).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die pauschalierende und typisierende Regelung benachteiligt die Masse der Gerichtsvollzieher ohnehin nicht. Die Höhe der tatsächlichen Personal- und Sachkosten für die Einrichtung und die Unterhaltung des Büros des Gerichtsvollziehers hängt vielmehr in entscheidendem Maße von der Eigenverantwortlichkeit des betreffenden Gerichtsvollziehers ab.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Dabei ist der Sach- und Personalkostenaufwand zwar nicht im laufenden Geschäftsjahr, aber realitätsnah ermittelt worden. Außerdem kann im Einzelfall, was der Beklagte ausdrücklich zugebilligt hat, bei Nachweis unverschuldet höherer Kosten eine höhere Entschädigung festgesetzt werden (vgl. hierzu § 3 Abs. 7 BKE-VO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Zunächst reicht die Erhebung aus dem Jahre 1975 grundsätzlich als Ausgangspunkt für die Fortschreibung aus (vgl. Senatsurteil vom 27. August 2007 – 2 A 10364/07.OVG –, LKRZ 2007, 273 und juris). Hieran hält der Senat trotz der vom Kläger daran geäußerten Kritik („willkürlich, grundlos, rechtswidrig“) fest. Es handelt sich insofern um pauschale Rügen ohne Substanz.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Es besteht für den Beklagten auch keine Verpflichtung zu eigenen jährlichen Erhebungen; die Heranziehung von Erhebungen in anderen Bundesländern ist jedenfalls dann ausreichend, wenn – wie hier – durch eine anschließende Ermittlung mittels von den Gerichtsvollziehern auszufüllenden Fragebögen die entsprechenden Erkenntnisse durch aktuelle und landesspezifische Zahlenwerke bestätigt werden. Eine solche Situation liegt hier vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Wie realitätsnah der Sachkostenaufwand ermittelt worden ist, zeigt die Mitteilung des Klägers im Rahmen der im Folgejahr 2015 vom Beklagten durchgeführten Erhebungen: Ausweislich des von ihm selbst ausgefüllten und unterschriebenen Erhebungsbogens hat er für das Jahr 2015 einen Sachkostenaufwand in Höhe von rund 15.000,00 € mitgeteilt (Personalkosten hatte er auch in diesem Jahr keine). Von diesen Kosten, die nicht zu belegen waren, aber vom Beklagten auf Plausibilität geprüft wurden, wurden ihm ca. 12.000 € anerkannt. Mit seiner Klage fordert er demgegenüber vom Beklagten im Ergebnis, ihm einen wesentlich höheren Betrag, nämlich rund 27.000,00 € zu belassen. Es ist indessen nichts dafür ersichtlich und wird auch vom Kläger nicht behauptet, dass er in dem Vorjahr (also in 2014) einen über 15.000,00 € höheren Sachkostenaufwand gehabt haben könnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Ob die Festsetzung auf der Grundlage eines nicht zutreffenden Pensums erfolgt ist, kann dahinstehen. Denn in erster Linie maßgebend für die Höhe der Bürokostenentschädigung ist der vom Beklagten zuvor festgelegte Jahreskostenbetrag, der sich pauschal an den durchschnittlichen Personal- und Sachkosten eines mit 100%er Auslastung arbeitenden Gerichtsvollzieherbüro orientiert. Da die tatsächlichen Bürokosten aller Gerichtsvollzieher in Rheinland-Pfalz nach der Erhebung für das Jahr 2015 bei voller Belastung nur rund 15.500 € betrugen, ist der angesetzte Jahreskostenbetrag deutlich überhöht. Ein – vom Kläger insofern nur pauschal behauptetes – höheres Gesamtpensum aller Gerichtsvollzieher wird dadurch mehr als ausgeglichen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Gleiches gilt für die Rüge, die Höhe der angesetzten Dokumentenpauschale sei nicht haltbar, weil die Masse der Gerichtsvollzieher in 2014 nicht mehr als 2.000,00 € an Dokumentenpauschalen vereinnahmt habe. Darauf kommt es schon deshalb nicht an, weil die Gerichtsvollzieher diese Einnahmen (die an sich dem Land zustünden) <span style="text-decoration:underline">vollständig</span> einbehalten (§ 2 Satz 1 BKE-VO). Zudem sind die durchschnittlich vereinnahmten Dokumentenpauschalen nach den substantiierten und nicht im Einzelnen in Zweifel gezogenen Angaben des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 18. April 2017 von 4.895,75 € im Jahr 2013 auf 4.403,83 € im Jahr 2014 soweit gesunken, dass sie das Niveau der Jahre 2004 (4.422.07 €) bzw. 2005 (4.424,42 €) erreichten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>Zur grundsätzlichen Kritik des Klägers an der Feststellung der „Realitätsnähe“ der festgesetzten Bürokostenentschädigung gilt Folgendes: Die Auffassung des Klägers, es sei allein Sache des Beklagten, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Entschädigung methodisch richtig ermittelt und in angemessener Höhe festgesetzt sei, ist rechtsirrig. Es wären von seiner Seite vielmehr zumindest nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür zu liefern, dass und in welcher Höhe die ihm gewährte Entschädigung doch nicht auskömmlich ist; ein solcher Anhaltspunkt hätte – unabhängig von der Frage, dass unter dem Aspekt der zulässigen Typisierung und Pauschalierung dieser Umstand alleine wohl noch nicht zur Rechtswidrigkeit der Verordnung führte – darin gesehen werden können, dass jedenfalls er selbst Bürokosten aus seiner Alimentation habe decken müssen. Eine solche Darstellung ist seitens des Klägers bislang nicht erfolgt. Dann muss seine Klage aber schon als unschlüssig angesehen werden, soweit er geltend macht, die ihm gewährte bzw. belassene Dokumentenpauschale und der jeweils festgesetzte Anteil an den Gebühren würde nicht ausreichen, seine Unkosten zu decken.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Beklagte die Änderung des Gebührenanteils und des Höchstbetrages hinreichend plausibilisiert. Im Widerspruchsbescheid vom 18. April 2017 wird hierzu nachvollziehbar dargestellt, dass sich im Jahre 2014 die vom Bundesgesetzgeber beschlossene Erhöhung der Gerichtsvollziehergebühren um 30 % dergestalt ausgewirkt hat, dass der vorläufig weiter geltende relativ hohe Anteil von 48,4 % aus dem Jahre 2013 zu deutlichen Überzahlungen geführt hat, die mit der endgültigen Festsetzung für 2014 zurückzuzahlen waren. Derartige Phänomene waren auch in den Vorjahren zu verzeichnen, dort allerdings zu Gunsten der Gerichtsvollzieher. So hatte die vorläufige Weitergeltung des Prozentsatzes von 43,9 % aus dem Jahr 2012 im Jahre 2013 in Verbindung mit dem Rückgang der Einnahmen Unterzahlungen zur Folge. Dementsprechend erhielten die Gerichtsvollzieher bei der endgültigen Festsetzung für 2013 Nachzahlungen des Beklagten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>All dies ist dem Kläger, der seit mehreren Jahren als Gerichtsvollzieher tätig ist und dem die vorstehend dargestellten Abführungsmodalitäten selbstverständlich vertraut sind, bekannt. Vertrauensschutzgesichtspunkte in der von ihm behaupteten Art sind ihm deshalb nicht zuzubilligen. Hierbei berücksichtigt der Senat auch, dass der Kläger dem Beklagten nicht als außenstehender Dritter, sondern als Beamter des Landes gegenübersteht, dem aus diesem Beamtenverhältnis bereits gesetzlich erhöhte Mitwirkungspflichten auferlegt sind (§ 35 Satz 1 Beamtenstatusgesetz, vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23. Mai 2006 – 4 K 6/04 –, juris Rn. 50).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>Realitätsfern, wenn nicht sogar als Regelwidrigkeit gegenüber steuerrechtlichen Aufzeichnungspflichten muss in diesem Zusammenhang der Vortrag des Klägers gewertet werden, er habe im gesamten Jahr 2014 keine Belege gesammelt, weil er nicht mit einer Erhebung gerechnet habe. Dies ist im Übrigen aber auch unerheblich, da dies allenfalls als Verstoß gegen seine eigenen Obliegenheiten bzw. Interessen zu werten und so allein seiner Verantwortungs- und Risikosphäre zuzuordnen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Schließlich ist die damit zusammenhängende Argumentation des Klägers nicht durchgreifend, wonach die vom Ministerium der Justiz angenommenen niedrigeren tatsächlichen Kosten der Gerichtsvollzieher sich insgesamt nur aus dem Umstand ergäben, dass Familienangehörige die Gerichtsvollzieher regelmäßig unentgeltlich unterstützten, und bei einer Beschäftigung einer Halbtagskraft tatsächliche Kosten in Höhe von jährlich 32.682,00 € anfallen würden. Dass diese Argumentation nicht tragfähig sei kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt: Danach muss der Verordnungsgeber, der schließlich nur zum Kostenersatz verpflichtet ist, sich lediglich „realitätsnah“ an den regelmäßig entstehenden tatsächlichen Kosten orientieren. Dies verbietet es, auf einen wie auch immer für erforderlich gehaltenen Bedarf abzustellen. Denn der Ersatz eines fiktiven Aufwandes ist keine Abgeltung eines tatsächlich entstehenden Aufwandes. Daher ist der Rechtssatz des Klägers, ein idealtypisches, ordentlich organisiertes, an den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit ausgerichtetes Gerichtsvollzieherbüro benötige eine halbtags beschäftigte Bürohilfskraft, mit § 6 Abs. 4 LBesG bzw. (früher) § 49 Abs. 3 Satz 1 BBesG nicht vereinbar. Hierbei ist bereits der gedankliche Ausgangspunkt des Klägers, es müsse ein fiktiver Personalkostenaufwand zugrunde gelegt werden, weil seine Arbeit nur mit einer mitarbeitenden Familienangehörigen zu bewältigen sei, unzutreffend. Es mag zwar sein, dass Gerichtsvollzieher trotz Erforderlichkeit keine Bürohilfskraft beschäftigen, sondern die Büroarbeit selbst erledigen oder sich von Familienangehörigen unentgeltlich unterstützen lassen. Richtig ist auch, dass dieser Umstand wegen der anzustellenden typisierenden und pauschalierenden Durchschnittsberechnung statistisch zu einem geringeren Aufwand führt. Beschäftigt der Gerichtsvollzieher jedoch eine Bürohilfskraft oder – gegen vertraglich vereinbartes Entgelt – einen Familienangehörigen, so erhöht sich zwangsläufig der vom Beklagten realitätsnah zu ermittelnde durchschnittliche Kostenaufwand (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 19. August 2004 – 2 C 41.03 –, NVwZ-RR 2005, 214 und juris, dort Rn. 16).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_68">68</a></dt>
<dd><p>Die vom Kläger demgegenüber beabsichtigte „Gegensteuerung“ zu der von ihm unterstellten Fehlentwicklung mithilfe „fiktiver Personalkosten“ ist daher nicht nur nicht geboten – sie würde im Ergebnis eine zusätzliche Alimentation für die Gerichtsvollzieher bedeuten. Das aber ist, wie dargelegt, bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 33 Abs. 5 GG) unzulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_69">69</a></dt>
<dd><p>2. Der Zulassungsantrag des Klägers dringt auch insoweit nicht durch, als dieser gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO geltend macht, die Rechtssache weise besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Besondere Schwierigkeiten in diesem Sinne liegen nur dann vor, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers gegen das erstinstanzliche Urteil in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht Fragen von solcher Komplexität betreffen, dass sie nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren zu beantworten sind, sondern der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfen. Dies trifft hier jedoch nicht zu. Vielmehr sind die aufgeworfenen Rechtsfragen allesamt, wie aufgezeigt, im Zulassungsverfahren zu beantworten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_70">70</a></dt>
<dd><p>II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_71">71</a></dt>
<dd><p>III. Die Entscheidung über die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz – GKG –.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_72">72</a></dt>
<dd><p>IV. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div>
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142,302 | olgkobl-2018-12-19-9-u-80518 | {
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<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.) Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Koblenz vom 26. Juni 2018 dahingehend abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.) Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen hat der Kläger zu tragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>4.) Die Revision wird nicht zugelassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Bei dem Kläger handelt es sich um den […]. Er ist in der vom Bundesamt für Justiz geführten Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Sein Satzungszweck besteht darin, Verbraucherinteressen wahrzunehmen, den Verbraucherschutz zu fördern, die Stellung des Verbrauchers in der sozialen Marktwirtschaft zu stärken und zur Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beauftragt Werbeunternehmen, im Wege der Haustürwerbung Verbrauchern den Beitritt zu einer „[…] GmbH Mitgliedergemeinschaft“ anzubieten.Gegenstand dieser „Mitgliedschaft“ sind diverse Leistungen, die im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland erbracht werden sollen. Hierzu zählen unter anderem die Erstattung der Kosten für medizinisch notwendige Heilbehandlungen, die Erstattung von Kosten für notwendige Transporte, die Organisation und Durchführung entsprechender Krankentransporte sowie der Betrieb einer telefonisch erreichbaren „Alarmzentrale“. Ein etwaiger Beitritt zu der beklagtenseits angebotenen „Mitgliedergemeinschaft“ erfolgt mittels der nachfolgend abgebildeten - in Ablichtung als Anlage K1 zur Gerichtsakte gereichten - Vertragsformulare:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>[Ablichtungen]</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte unterhält für ihre Kunden eine Gruppenversicherung bei der […]-AG. Insoweit verschafft sie Versicherungsschutz im Rahmen einer Auslandsreisekrankenversicherung inklusive der Erstattung von Such-, Rettungs- und Bergungskosten, sowie einer Auslands- und Inlands-Rückholkosten-Versicherung. Versicherungsnehmerin und Beitragsschuldnerin ist die Beklagte. Die versprochenen Leistungen werden aus dem Vermögen der Beklagten direkt und über von der Beklagte an ihre Kunden abgetretene Ansprüche aus der Gruppenversicherung erbracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte ist zudem vertraglich verbunden mit einer <em>[…] AG</em>. Diese erbringt mit ihrem medizinischen Personal und ihrem Fluggerät für die Beklagte einen Teil der Versicherungsleistungen sowie die Organisation der rund um die Uhr besetzten Alarmzentrale. Die entsprechende Vergütung wird von der Beklagten gezahlt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Weder die Beklagte noch die von ihr beauftragten Werbeunternehmen verfügen über eine Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung nach § 34d GewO. Die Industrie- und Handelskammer […] hat der Beklagten mitgeteilt, bei ihrem - der Beklagten - Geschäftsmodell handele es sich nicht um eine nach § 34d GewO erlaubnispflichtige Tätigkeit. Darüber hinaus hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nach entsprechender Prüfung verneint, dass das Geschäftsmodell der Beklagten eine Vermittlung von Versicherungen und/oder den Betrieb eines Versicherungsgeschäfts bedeute.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat die Auffassung vertreten,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>die Beklagte gebe ausschließlich die von der […]-AG versprochenen Leistungen an die Verbraucher weiter. Die Durchführung von Transporten durch Kooperationspartner ändere daran nichts, weil auch insoweit die Finanzierung durch den vorbezeichneten Versicherer erfolge. Mithin betreibe die Beklagte tatsächlich eine Versicherungsvermittlung beziehungsweise lasse eine solche betreiben. Die beklagtenseits als Geschäftsmodell gewählte Konstruktion sei darauf gerichtet, die Erlaubnispflicht des § 34d GewO zu umgehen. Jedenfalls aber verstoße die Beklagte gegen das wettbewerbsrechtliche Irreführungsgebot, da sie den unzutreffenden Eindruck erwecke, selbst Erbringerin der versprochenen Versicherungsleistungen zu sein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken am Geschäftsführer, zu unterlassen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">im Rahmen geschäftlicher Handlungen Verbrauchern Verträge, wie in Anlage K1 wiedergegeben, über den Beitritt in eine Versichertengemeinschaft anzubieten bzw. anbieten zu lassen, ohne über die zur Versicherungsvermittlung erforderliche Erlaubnis zu verfügen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">hilfsweise</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">im Rahmen geschäftlicher Handlungen Verbrauchern Verträge, wie in Anlage K1 wiedergegeben, über den Beitritt in eine Versichertengemeinschaft anzubieten bzw. anbieten zu lassen und hierbei den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, selbst Erbringer der Versicherungsleistungen zu sein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Sie hat eingewandt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>das Gericht sei bereits an die behördliche Entscheidung der Industrie- und Handelskammer […] gebunden. Im Übrigen betreibe sie tatsächlich keine Versicherungsvermittlung. Es erfolge nicht ausschließlich eine „kleine Stückelung“ der Versicherungsleistung des Gruppenversicherungsvertrags. Vielmehr erbringe sie - durch die <em>[…] AG</em> - darüber hinausgehende Leistungen wie Organisation und Durchführung der versicherten Transporte sowie den Betrieb der „Alarmzentrale“. Im Übrigen sei für jeden durchschnittlichen Leser der Vertragsformulare ersichtlich, dass es sich bei den dort in Bezug genommenen Versicherungsbedingungen nicht um ihre, sondern um diejenigen der […]-AG handele.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 26. Juni 2018 im Hauptantrag stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte umgehe mit ihrem Geschäftsmodell in rechtsmissbräuchlicher Art und Weise die in § 34d GewO normierte Erlaubnispflicht für Versicherungsvermittler.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit welcher sie im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">unter Abänderung des am 22.05.2018 verkündeten Urteils des Landgerichts Koblenz, Az.: 2 HK O 67/17, die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung im Wesentlichen unter Vertiefung und Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, auf die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 22. Mai 2018 und vom 21. November 2018 Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Berufung ist vollumfänglich begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Denn die Klage ist zwar zulässig aber unbegründet. Dies gilt sowohl für den Haupt- als auch hinsichtlich des Hilfsantrages.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Dem Kläger steht der mit dem Hauptantrag der Beklagten gegenüber geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Insbesondere folgt er nicht aus §§ 8 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG, 34d Abs. 1 Satz 1 GewO. Denn die hier in Rede stehende Tätigkeit der Beklagten unterfällt nicht der in § 34d GewO normierten Erlaubnispflicht für Versicherungsvermittler.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Nach dem zur Umsetzung der Richtlinie 2002/92/EG über Versicherungsvermittlung mit Wirkung vom 22. Mai 2007 in die Gewerbeordnung eingefügten § 34 d Abs. 1 Satz 1 GewO bedarf derjenige, der als Versicherungsvermittler (Versicherungsvertreter oder Versicherungsmakler) gewerbsmäßig den Abschluss von Versicherungsverträgen vermitteln will, grundsätzlich einer Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer. Die Regelung bezweckt - ebenso wie die ihr zu Grunde liegende Richtlinie 2002/92/EG - die Schaffung eines hohen beruflichen Niveaus der Versicherungsvermittlung und die Harmonisierung des unionsweiten Vermittlermarkts durch die Beseitigung von Hindernissen für die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr sowie die Verbesserung des Verbraucherschutzes. Sie ist daher eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, die eine unionsrechtskonforme Reglementierung der Berufsausübung darstellt (vgl. zu allem Vorstehenden BGH, GRUR 2014, 794, 795, Rdnr. 16; 88, 89, Rdnr. 14, jew. m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte ist jedoch nicht als Versicherungsvermittler im Sinne von § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO zu qualifizieren. Sie ist weder Versicherungsvertreter (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GewO) noch Versicherungsmakler (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GewO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Allerdings folgt dies - worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat - nicht schon allein aus dem Umstand, dass sowohl die Industrie- und Handelskammer […] als auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eine Tätigkeit der Beklagten als Versicherungsvermittler nach sachlicher Prüfung verneint und dies der Beklagten mitgeteilt haben.Die Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens der Beklagten beurteilt sich vielmehr allein danach, ob ihre geschäftliche Tätigkeit objektiv erlaubnispflichtig ist oder nicht. Die Rechtsauffassung der zuständigen Verwaltungsbehörden ist für die Beurteilung, ob das Verhalten der Beklagten objektiv rechtswidrig und damit unlauter ist, hingegen nicht maßgeblich (vgl. BGH, GRUR 2006, 82, 84, Rdnr. 21, m.w.N.; Köhler/ Bornkamm/Feddersen-Köhler, UWG, 36. Aufl. 2018, § 3a, Rdnr. 1.44). Dies gilt umso mehr, als der streitgegenständliche Unterlassungsanspruch des § 8 Abs. 1 UWG - anders als der in § 9 UWG geregelte Schadensersatzanspruch - nicht verschuldensabhängig ausgestaltet ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen-Köhler, a.a.O., Rdnr. 1.45 und Rdnr. 1.89).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Die streitgegenständliche Tätigkeit der Beklagten unterfällt indes schon objektiv nicht dem Versicherungsvermittlerbegriff des § 34d GewO. Nach dem Willen des Gesetzgebers werden in der vorzitierten Norm als Versicherungsvermittler nämlich (nur) diejenigen bezeichnet, die kraft rechtsgeschäftlicher Geschäftsbesorgungsmacht für einen anderen Versicherungsschutz ganz oder teilweise beschaffen, ausgestalten und abwickeln, ohne selbst Versicherungsnehmer oder Versicherer zu sein (vgl. BT-Drs. 16/1935, S. 18; Landmann/Rohmer-Schönleiter, GewO, 78. EL April 2018, § 34d, Rdnr. 39 ff.; Erbs/Kohlhaas-Ambs, Strafrechtliche Nebengesetze, 220. EL Juli 2018, § 34d GewO, Rdnr. 6; Prölss/Martin-Dörner, VVG, 30. Aufl. 2018, § 34d GewO, Rdnr. 3; Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, 8. Aufl. 2011, § 34d, Rdnr. 23, m.w.N.; s. auch Langeid/Wandt-Reiff, MünchKomm-VVG, 2. Aufl. 2016, § 59, Rdnr. 3 f.). Ein Versicherungsnehmer kann mithin nicht zugleich Vermittler sein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass nach § 4 Nr. 10 b) UStG solche Leistungen steuerfrei sind, die darin bestehen, dass anderen Personen Versicherungsschutz verschafft wird.Verschaffung eines Versicherungsschutzes in diesem Sinne liegt aber nur dann vor, wenn der Unternehmer selbst Versicherungsnehmer wird (vgl. BeckOK Weymüller-Hahn, UStG, 18. Edition, Stand, 17. September 2018, § 4 Nr. 10, Rdnr. 77.1). Dass der Gesetzgeber für diese Konstellation eine eigenständige Regelung in § 4 UStG geschaffen hat, lässt ebenfalls darauf schließen, dass auch nach seinem Verständnis der Versicherungsnehmer (einer Versicherung für fremde Rechnung) nicht Versicherungsvermittler ist. Denn anderenfalls hätte es nahegelegen, die hier in Rede stehende Regelung mit in § 4 Nr. 11 UStG aufzunehmen, wonach Umsätze unter anderem aus der Tätigkeit als Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler steuerfrei sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Hier kommt der Beklagten die rechtliche Qualität eines (Mit-)Versicherungsnehmers zu. Denn bei dem hier in Rede stehenden Gruppenversicherungsvertrag zwischen der Beklagten und der […]-AG handelt es sich um eine Versicherung für fremde Rechnung gemäß §§ 43 ff, 193, 194 Abs. 3 VVG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat den betreffenden (Gruppen-)Versicherungsvertrag nämlich über ein fremdes Interesse - die vom Versicherungsumfang gedeckten Krankheitskosten der versicherten Personen - abgeschlossen (vgl. insoweit Armbrüster in: Beckmann/Matusche- Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 6, Rdnr. 91). Ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Versicherungsnehmers an der Versicherung - hier die Möglichkeit der Gewinnerzielung und die Refinanzierung etwaiger der <em>[…] AG</em> gegenüber bestehender Vergütungspflichten - schließt eine Fremdversicherung nicht aus (vgl. BVerwG, NJW 1987, 474, 476; Prölss/Martin-Klimke, VVG, 30. Aufl. 2018, § 43, Rdnr. 3). Der Vertrag kann vielmehr - wie hier - eigenes und fremdes Interesse nebeneinander decken (vgl. Prölss/Martin-Klimke, a.a.O.). Dem entsprechend sind Gruppenversicherungen auch in aller Regel als Versicherung für fremde Rechnung anzusehen (vgl. Prölss/Martin-Voit, a.a.O., § 193, Rdnr. 4).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte ist zudem unstreitig Beitragsschuldnerin der […]-AG (vgl. insoweit Armbrüster in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O.). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Versicherungsvertrag im (fremden) Namen der Interesseträger - der versicherten Personen - abgeschlossen haben könnte. Mithin ist nach der Vermutung des § 43 Abs. 2 VVG davon auszugehen dass der Vertrag beklagtenseits im eigenen Namen für fremde Rechnung geschlossen worden ist (vgl. Prölss/Martin-Klimke, a.a.O., Rdnr. 2; Armbrüster in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., Rdnr. 92).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Dass - wie sich der in Ziffer 4. Abs. 7 des Gruppenversicherungsvertrags (Vorausabtretung) entnehmen lässt - die Beklagte berechtigt ist, die Versicherungsleistung zu verlangen, steht einer Qualifikation der hier in Rede stehenden Versicherung als eine solche für fremde Rechnung ebenfalls nicht entgegen. Dies entspricht - im vorliegenden Fall einer Krankenversicherung, deren versicherte Personen dem Versicherer gegenüber nicht benannt worden sind - vielmehr der in § 194 Abs. 3 Sätze 1 und 2 VVG bezüglich der Krankenversicherung für fremde Rechnung ausdrücklich getroffenen Regelung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte ist auch - anders als der Kläger meint - nicht deshalb der Erlaubnispflicht des § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO unterworfen, weil ihr eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der Versicherungsvermittlern obliegenden Beratungs- und Dokumentationspflichten vorzuwerfen wäre (vgl. insoweit LG Erfurt, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 2 HK O 156/13 -, juris, Rdnr. 26 f.; Landmann/Rohmer-Schönleiter, GewO, 78. EL April 2018, § 34d, Rdnr. 38). Denn eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der speziell auf Versicherungsvermittler anwendbaren gesetzlichen Regelungen ist nicht festzustellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Insoweit kann nämlich nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich das hier in Rede stehende Geschäftsmodell der Beklagten auf eine Gruppenversicherung im Sinne einer Versicherung für fremde Rechnung gründet. Damit macht sich die Beklagte indes ausschließlich eine seitens des Gesetzgebers im Versicherungsvertragsgesetz ausdrücklich geschaffene und mithin gesetzgeberisch gebilligte Vertragskonstellation zu Nutze. Schon in Anbetracht dessen kann davon, dass die beklagtenseits gewählte Vertragskonstellation zu einem grob unbilligen als unerträglich empfundenen und mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führt (vgl. BSG, NJW 2010, 1485, 1486, Rdnr. 26; Jauernig-Mansel, BGB, 17. Aufl. 2018, § 242, Rdnr. 37; Staudinger-Olzen/Looschelders, BGB, Neubearb. 2015, § 242, Rdnr. 221), nicht die Rede sein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Dies gilt umso mehr, als sich das Geschäftsmodell der Beklagten keineswegs darin erschöpft, im Rahmen einer Gruppenversicherung (allein) den Versicherungsschutz in kleinen Stückelungen an die (die Prämie anteilmäßig zahlenden) Endkunden zu vermitteln (vgl. insoweit LG Erfurt, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 2 HK O 156/13 -, juris, Rdnr. 26 f.; Landmann/Rohmer-Schönleiter, GewO, 78. EL April 2018, § 34d, Rdnr. 38). Denn jedenfalls mit der tatsächlichen Organisation und Durchführung eines Rücktransports im Krankheitsfall sowie dem Bereitstellen einer „Alarmzentrale“ erbringt die Beklagte ihren Kunden gegenüber - wenn auch durch die <em>[…] AG</em> als Subunternehmerin - eigenständige, über den Leistungsumfang der Gruppenversicherung hinausgehende Leistungen. Diese können für die Kunden der Beklagten auch von einem besonderen Wert sein, besteht doch gerade im Krankheitsfall - und in besonderem Maße im Falle einer Erkrankung im Ausland - typischerweise ein großes Interesse des Erkrankten oder seiner Angehörigen, einen klaren, einheitlichen Ansprechpartner zu haben und sich nicht weiter mit organisatorischen Dingen beschäftigen zu müssen. Dem entsprechend wirbt die Beklagte auch - wie sich den Anlagen K1 und K4 entnehmen lässt - mit den Krankentransporten und deren Organisation.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Nur der Vollständigkeit halber ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die von der Beklagten bzw. ihrer Vertriebsorganisation angesprochenen Verbraucher nicht in gleichem Maße schutzwürdig sind wie solche, die von Versicherungsvermittlern kontaktiert werden. Denn anders als ein Versicherungsvermittler erweckt die Beklagte schon gar nicht den Anschein, den von ihr bzw. für sie angesprochenen Verbraucher objektiv zu beraten. Sie tritt vielmehr für jeden ohne weiteres erkennbar als potentieller Vertragspartner mit eigenen wirtschaftlichen Interessen auf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Nach alledem kommt es auf die beklagtenseits verlangten Preise und deren Verhältnis zu üblichen Versicherungsbeiträgen hier nicht an. Die Preisgestaltung der Beklagten ist im Übrigen auch nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Dem Kläger steht auch der mit dem Hilfsantrag der Beklagten gegenüber geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Insbesondere folgt er nicht aus §§ 8 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 bzw. Nr. 3 UWG. Denn durch die Anlage K1 - nur diese ist nach der hier maßgeblichen Antragsfassung Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens - wird bei einem durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, welcher ihr - der Anlage - die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt, (vgl. BGH, GRUR 2000, 619, 621; 2003, 626, 627; 2004, 244, 245; Köhler/Bornkamm/Fedder- sen-Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl. 2018, § 5, Rdnr. 1.76, m.w.N.; Spindler/Schuster-Micklitz/Namyslowska, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 5 UWG, Rdnr. 18, m.w.N.) nicht der unzutreffende Eindruck erweckt, die Beklagte sei selbst Erbringer der Versicherungsleistung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Insoweit gilt es nämlich entscheidend zu berücksichtigen, dass sich in der streitgegenständlichen „Aufnahmeerklärung“ unter der - zudem fettgedruckten - Überschrift „Nähere Informationen“ ein ausdrücklicher Hinweis findet, wonach die Beklagte nicht Versicherer ist („Versicherer: […]-AG, […], […]“). Auch anhand der nachfolgend abgedruckten „Einwilligung nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)“ - diese Überschrift ist ebenfalls durch Fettdruck hervorgehoben - ist dies für einen durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, der dem streitgegenständlichen Formular die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt, zu erkennen. Denn dort findet sich unter anderem die Formulierung „[…] die […] GmbH und die entsprechenden Versicherer“ […]. Der Text unterscheidet also klar und eindeutig zwischen der Beklagten einerseits und den Versicherern andererseits.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Dass sich diese Hinweise auf der Rückseite des Formulars befinden, schadet nicht. Denn die Aufmerksamkeit eines die „Aufnahmeerklärung“ betrachtenden Durchschnittsverbrauchers wird durch mehrere bei situationsadäquater Aufmerksamkeit deutlich wahrnehmbare Hinweise gerade (auch) auf die Rückseite des Formulars gelenkt. So heißt es auf der Vorderseite des Formulars zwischen den Feldern für die Eintragung der persönlichen Daten der versicherten Personen und dem Unterschriftsfeld - durch Fettdruck hervorgehoben - unter anderem:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„Die Einwilligungserklärung gemäß Bundesdatenschutzgesetz (<span style="text-decoration:underline">siehe Rückseite</span>) habe ich zur Kenntnis genommen.“ (Hervorhebung durch den Senat.)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Unmittelbar vor dem Unterschriftsfeld findet sich dann weiter der folgende Hinweis:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„Die rückseitige Widerrufsbelehrung habe ich zur Kenntnis genommen. […]“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Auch durch das Zusatzblatt „Unsere Leistungen für Sie“ wird bei einem durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, welcher ihr - der Anlage - die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt, nicht der unzutreffende Eindruck erweckt, die Beklagte sei selbst Erbringer der Versicherungsleistung. Denn dort wird - keinesfalls versteckt, sondern im Rahmen der den potentiellen Kunden besonders interessierenden Beschreibung des Leistungsumfangs und dort zudem im einheitlichen Schriftbild gehalten sowie innerhalb eines kurzen und übersichtlich gestalteten Textes - unter anderem darauf hingewiesen, dass in die Erfüllung der versprochenen Leistungen neben der Beklagten auch andere Unternehmen eingebunden sind. Nicht anders kann es bei verständiger Würdigung aus der hier maßgeblichen Sicht eines verständigen Durchschnittsverbrauchers verstanden werden, wenn es im letzten Gliederungspunkt der Beschreibung des Leistungsumfangs heißt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„Starke Gemeinschaft <span style="text-decoration:underline">mit starken Partnern</span> […]“ (Hervorhebung durch den Senat.)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Diese Information ist unzweideutig und geeignet, einen etwaigen beim Verbraucher zuvor erweckten Eindruck, sie Beklagte sei auch Erbringer der versprochenen Versicherungsleistung, zu beseitigen und ihn von einer auf Irrtum beruhenden geschäftlichen Entscheidung abzuhalten. Dies gilt im Übrigen umso mehr für die oben bereits geschilderten Hinweise in der streitgegenständlichen „Aufnahmeerklärung“. Dabei gilt es in besonderem Maße zu beachten, dass diese Erklärung seitens des angesprochenen Verbrauchers ausgefüllt oder doch zumindest unterzeichnet werden muss, bevor es zu einem Vertragsschluss mit der Beklagten kommt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711 Sätze 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 51 Abs. 2, 45 Sätze 2 und 3 GKG auf 20.000,-- € festgesetzt. Er errechnet sich aus Haupt- und Hilfsantrag, da über den Hilfsantrag entschieden wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Die klägerseits mit Haupt- und dem Hilfsantrag geltend gemachten Ansprüche betreffen nicht denselben Gegenstand. Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich um einen selbständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert. Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht und nicht ein wirtschaftlich identisches Interesse betroffen ist. Wirtschaftliche Identität liegt vor, wenn die in ein Eventualverhältnis gestellten Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander bestehen können, dass - die vom Kläger gesetzte Bedingung fortgedacht - allen stattgegeben werden könnte, sondern dass die Verurteilung gemäß dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge (vgl. zu allem Vorstehenden BGH, Beschluss vom 6. Juni 2013 - I ZR 190/11 -, BeckRS 2013, 11006, Rdnr. 11; Büscher, GRUR 2012, 16, 22, jew. m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Danach sind die hier von dem Kläger verfolgten Ansprüche nicht wirtschaftlich identisch. Regelmäßig ist nämlich davon auszugehen, dass bei mehreren auf verschiedene wettbewerbsrechtliche Ansprüche gestützten Streitgegenständen eine wirtschaftliche Wertehäufung eintritt (vgl. Büscher, a.a.O.; Götting/Nordemann-Albert, UWG, 3. Aufl. 2016, § 12, Rdnr. 391, m.w.N.). So liegt der Fall hier. Während der Hauptantrag auf die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung eines vermeintlich dem Rechtsbruchtatbestand unterfallenden Verhaltens gerichtet ist, betrifft der Hilfsantrag die Unterlassung einer vermeintlich irreführenden geschäftlichen Handlung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Der Höhe nach ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich der Kläger sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit dem Hilfsantrag im wirtschaftlich bedeutsamen Kern gegen das Geschäftsmodell der Beklagten als solches wendet. Dies rechtfertigt die Bewertung des Hilfsantrages mit nur einem Bruchteil des Wertes des Hauptantrages (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 6. Juni 2013 - I ZR 190/11 -, BeckRS 2013, 11006, Rdnr. 13), wobei im Streitfall 1/3 angemessen aber auch ausreichend ist. Denn der Angriffsfaktor und die Verletzungshandlung des Anbietens bzw. anbieten Lassens von Verträgen wie in der Anlage K1 wiedergegeben sind bei beiden Anträgen identisch (vgl. insoweit auch Büscher, a.a.O., 23, m.w.N., zum Markenrecht sogar nur eine Erhöhung um 10 bis 20 % vertretend).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Auch liegen die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht vor; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Insbesondere ist weder dargetan noch sonst irgendwie ersichtlich, dass die Frage, ob der gewerbliche Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung der Erlaubnispflicht des § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO unterfallen kann, von allgemeiner - über den konkreten Einzelfall hinausgehender - Bedeutung wäre (vgl. insoweit Kessal-Wulf in: BeckOK Vorwerk/Wolf, ZPO, 30. Edition, Stand: 15. September 2018, § 543, Rdnr. 19, m.w.N.; Musielak/Voit-Ball, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 543, Rdnr. 6; MünchKomm-Krüger, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 543, Rdnr. 8, m.w.N.). Das Fehlen nahezu jeglicher veröffentlichter Rechtsprechung insoweit trotz des Inkrafttretens der betreffenden Norm schon vor mehr als zehn Jahren spricht jedenfalls gegen eine derartige Bedeutung der genannten Rechtsfrage. Im Übrigen ist die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits schon ganz offensichtlich von den Besonderheiten des zugrunde liegenden Einzelfalles geprägt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div>
|
125,214 | olgd-2018-12-19-3-kart-11717-v | {
"id": 820,
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<p>Die Beschwerde gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 28.09.2017, Az.: 608-2017-13f-2, wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen der Bundesnetzagentur sowie der weiteren Beteiligten.</p>
<p>Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">                                                        <strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">                                                                                    <strong><span style="text-decoration:underline">A.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin ist ein Tochterunternehmen der A. Sie betreibt am Standort … in innerstädtischer Lage in … ein Heizkraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung. Zu dem Heizkraftwerk gehören zwei Gas- und Dampfanlagen mit einer Leistung von jeweils 75 MW, die an das 110-kV Netz der B angeschlossen sind.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligte ist der verantwortliche Übertragungsnetzbetreiber in der Regelzone, in der das streitgegenständliche Heizkraftwerk der Beschwerdeführerin liegt. Sie hatte dieses bereits in den Jahren 2013 und 2015 als systemrelevant ausgewiesen. Die Bundesnetzagentur hatte die Ausweisungen jeweils für die Dauer von 24 Monaten genehmigt.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 03.07.2017 beantragte die Beteiligte unter Bezugnahme auf die Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber vom 24.04.2017 bei der Bundesnetzagentur die Verlängerung der Ausweisung systemrelevanter Gaskraftwerke in ihrer Regelzone, u.a. auch des streitgegenständlichen Kraftwerks.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die von der Bundesnetzagentur am 24.04.2017 auf ihrer Internetseite veröffentlichte Systemanalyse gelangt zu dem Ergebnis, dass im Starkwind – Starklast - Szenario für den Winter 2017/2018 sowie den Winter 2018/2019 ein Bedarf an Netzreserve bestehe, um ausreichend Redispatch-Potential gewährleisten zu können und das Netz auch in dieser Situation n-1 sicher sowie unter Beachtung von Mehrfachfehlern betreiben zu können. Eine Starkwind – Starklast – Situation ist von einer hohen Stromproduktion im Norden bei geringer Einspeisung durch Photovoltaikanlagen und hoher Nachfrage im Süden geprägt. In einer solchen Lage kommt es zu einem hohen Lastfluss von Norden nach Süden, wofür die Transportkapazitäten des deutschen Übertragungsnetzes nicht ausreichen. Infolgedessen müssen Kraftwerke im Süden ihre Einspeisung erhöhen, während die Übertragungsnetzbetreiber im Norden Erzeugungsanlagen im Wege des Redispatch abregeln. Als Gegenmaßnahme muss die Stromerzeugung in Süddeutschland zur Begrenzung der Lastflüsse von Norden nach Süden sichergestellt sein.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">In der Systemanalyse kommen die Übertragungsnetzbetreiber zu dem Ergebnis, dass ein Wegfall von am Markt aktiven, redispatchfähigen Kraftwerken diesen Bedarf noch vergrößere. Für den Winter 2018/2019 sei sogar eine ausländische Reservekraftwerkskapazität i.H.v. 2,1 GB erforderlich. Die Bundesnetzagentur bestätigte die Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber am 28.04.2017 (Feststellung des Bedarfs an Netzreserve für den Winter 2017/2018 sowie das Jahr 2018/2019 und zugleich Bericht über die Ergebnisse der Prüfung der Systemanalyse).</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">In dem Antrag auf Ausweisung unter anderem auch des streitgegenständlichen Kraftwerks als systemrelevant machte die Beteiligte unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Systemanalyse geltend, dass es eine wesentliche Gefährdung des deutschen Energieversorgungssystems darstelle, wenn die im Antrag bezeichneten Kraftwerke nicht zur Verfügung stünden. Zugleich führte sie aus, dass Kraftwerke, die nicht im Wege des Redispatch einsetzbar seien, die kritische Situation noch verschärfen könnten, wenn ihre „Nicht-Versorgung“ zum Wegfall ihrer verbrauchsnahen Erzeugung führe.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur informierte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 17.07.2017 über diesen Antrag sowie ihre Absicht, die Genehmigung zu erteilen und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Schreiben vom 29.08.2017 schilderte die Beschwerdeführerin die für die Fahrweise der streitgegenständlichen Anlagen maßgeblichen Besonderheiten und führte aus, es sei unmöglich, diese entsprechend den Anforderungen der Beteiligten nachzurüsten oder umzubauen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mit dem angegriffenen Beschluss vom 28.09.2017 genehmigte die Bundesnetzagentur die Ausweisungsentscheidungen der Beteiligten, darunter die Ausweisung des streitgegenständlichen Heizkraftwerks als systemrelevant für die Dauer von 24 Monaten. Sie begründete diese Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der von ihr bestätigten Systemanalyse. Die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems seien gefährdet, falls infolge einer teilweisen oder vollständigen Nichtverfügbarkeit der streitgegenständlichen Anlagen den Übertragungsnetzbetreibern zu wenig Redispatch-Leistung zur Verfügung stehe. Unter Verweis auf den Gasversorgungsengpass aus dem Jahr 2012 beurteilte sie den Gefahreneintritt als hinreichend wahrscheinlich. Wegen des Ausmaßes der drohenden Schäden sei es gerechtfertigt, den Grad an Eintrittswahrscheinlichkeit niedrig anzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Mit der dagegen gerichteten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, dass die Ausweisung als systemrelevant einen schwerwiegenden Eingriff in ihre unternehmerische Tätigkeit darstelle, der nur auf Basis einer ausreichenden Rechtsgrundlage und einer vollständigen Sachverhaltsermittlung hätte erfolgen dürfen, diese Voraussetzungen jedoch nicht vorlägen. Die Bundesnetzagentur habe  nicht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage entschieden. Der diesbezügliche Ermittlungsbedarf sei normbezogen zu bestimmen. Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 13f Abs.1 S. 1 EnWG folge, dass die Systemrelevanz einzelner, spezifischer Anlagen individuell festzustellen sei. Die Ausweisungsentscheidung betreffe indes 22 Kraftwerke mehrerer Betreiber und sei einheitlich in einem insgesamt nur 14-seitigen Genehmigungsbeschluss ergangen, von denen nur fünf Seiten auf die eigentliche Begründung entfielen. Die Bundesnetzagentur habe die Ausweisung demnach unspezifisch und nicht aufgrund einer individuellen Sachverhaltsermittlung vorgenommen. Statt die Systemrelevanz der streitgegenständlichen Kraftwerksblöcke im Einzelfall darzulegen, beschränke sie sich auf pauschale Behauptungen über die Systemsicherheit, die theoretisch durch jede Schwankung auf der Erzeugerseite gefährdet werden könnte. Es fehle an einer Darlegung und Begründung, warum ausgerechnet die streitgegenständlichen Kraftwerksblöcke systemrelevant sein sollten. Insoweit hätte die Bundesnetzagentur einen Vergleich zwischen den verschiedenen in Betracht kommenden Gaskraftwerken durchführen und darlegen müssen, aus welchen Gründen sie einzelne Kraftwerke für systemrelevant halte.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Auch im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung oder Störung des Elektrizitätsversorgungssystems fehle es an einer zutreffenden Tatsachenermittlung. Die Bundesnetzagentur beschränke sich auf den Hinweis, dass die Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber bereits eine umfassende Ermittlung der für die Ausweisung von Kraftwerken als systemrelevant erheblichen Tatsachen enthalte. Weder aus der Systemanalyse noch aus dem Bericht über die Feststellung des Bedarfs an Netzreserve für den Winter 2017/2018 ergebe sich jedoch, aus welchen Gründen gerade die streitgegenständlichen Kraftwerksblöcke systemrelevant sein sollten. Im Gegenteil würden diese Einheiten dort nicht einmal erwähnt. Somit fehle die zentrale Transferleistung zwischen der Systemanalyse und der Einstufung einzelner Kraftwerke als systemrelevant.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Mangels belastbarer Feststellungen seien auch die Prognosen, die die Bundesnetzagentur im Hinblick auf eine Störung der Gasversorgung und eine Gefährdung der Sicherheit des Elektrizitätsversorgungssystems angestellt habe, fehlerhaft. Die Argumentation der Bundesnetzagentur, wonach angesichts des überragenden öffentlichen Interesses an einer funktionierenden Stromversorgung an die Wahrscheinlichkeit eines Störungseintritts nur geringe Anforderungen zu stellen seien, gehe fehl. Da jeder örtliche Leistungsabfall in einer Regelzone eine kurzfristige Lastdeckung im vorgelagerten Übertragungsnetz erforderlich mache, könne dies nicht für eine Systemrelevanz ausreichen. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber nicht die Ausweisung einzelner Kraftwerke vorgesehen, sondern alle Gaskraftwerke ab einer bestimmten Nennleistung für systemrelevant erklärt.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Für eine zutreffende Prognose fehle es bereits an einer Bestandsaufnahme des nationalen Gaskraftwerksparks. Es müsste durch die Darstellung und Auswertung der Kraftwerke ermittelt werden, inwieweit ein einzelner Ausfall zu einer Beeinträchtigung des Elektrizitätsversorgungssystems führen würde und dies durch eine gesicherte Gasversorgung des betreffenden Kraftwerks abgewendet werden könne. Diesbezüglich treffe der streitgegenständliche Beschluss keine Feststellungen. Aus den Gründen gehe nicht hervor, anhand welcher Bewertungsmethoden und aufgrund welcher Tatsachen die Einstufung der streitgegenständlichen Anlagen als systemrelevante Gaskraftwerke erforderlich gewesen sei. Dies wäre jedoch auch aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten erforderlich gewesen. Die Beschlussgründe gingen auf Einwendungen anderer Betreiber ein, während ihre Argumentation keinen Niederschlag in der Begründung des streitgegenständlichen Beschlusses gefunden habe. Die angegriffene Entscheidung erscheine somit willkürlich.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zudem müsse im Rahmen von § 13f Abs. 1 EnWG auch eine zutreffende Prognose betreffend die Wahrscheinlichkeit einer Unterbrechung der Gasversorgung angestellt werden. Es fehle jedoch an jeder nachvollziehbaren Begründung, warum ein Ausfall der Gasversorgung der streitgegenständlichen Kraftwerke drohen sollte. Insoweit könne sich die Bundesnetzagentur nicht auf einen Verweis auf die verfassungsgerichtlich festgestellte Bedeutung der Stromversorgung beschränken. Auch die Beteiligte sei in ihrem Ausweisungsantrag auf die Wahrscheinlichkeit einer Einschränkung der Gasversorgung der Anlagen der Beschwerdeführerin nicht eingegangen. Dies zeige, dass es der Bundesnetzagentur nicht auf eine ernsthafte Ermittlung angekommen sei. Vielmehr instrumentalisiere sie die gesetzliche Regelung als eine Art „Vorratshaltung“ neben den gesetzlichen Instrumenten der Netz- und Kapazitätsreserve.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Neben den Einwendungen gegen die formelle Rechtmäßigkeit hat die Beschwerdeführerin die Beschwerde auch darauf gestützt, dass die streitgegenständlichen Anlagen die Voraussetzungen für eine Ausweisung als systemrelevant auch in materieller Hinsicht nicht erfüllten. Bei Zugrundelegung der Argumentation der Beteiligten und der Bundesnetzagentur müsste die Gasversorgung der streitgegenständlichen Anlagen sichergestellt werden, damit diese im Fall einer Starkwind-Starklast-Situation Strom erzeugen könnten. Es stehe indes zu keinem Zeitpunkt im Jahr sicher fest, dass die Anlagen tatsächlich Strom erzeugten, der in das Elektrizitätsversorgungsnetz eingespeist werde. Das Heizkraftwerk werde wärmegeführt betrieben. Mangels leistungsfähiger Kühleinrichtungen könne Strom nur in dem Maße erzeugt werden, wie zugleich Wärme ins Fernwärmenetz oder in den Wärmespeicher abgeleitet werden könne. Eine Stromerzeugung komme nicht in Betracht, wenn die Ableitung nicht gesichert sei. Da sie über zusätzliche dezentrale, ölgefeuerte Spitzenheizkessel verfüge, mit denen die Wärmeversorgung ohne das Heizkraftwerk sichergestellt werden könne, könne flexibel abgeregelt, nicht dagegen spontan hochgefahren werden. Damit sei das Heizkraftwerk nicht ständig verfügbar, so dass es nicht systemrelevant sein könne.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Anlagen seien zudem nicht für eine Ausweisung als systemrelevant geeignet, weil sie für einen Brennstoffwechsel im Sinne des § 13f Abs. 2 S. 1 EnWG nicht in Betracht kämen. Mangels Möglichkeit zum Brennstoffwechsel könne das Kraftwerk im Bedarfsfalle nicht anders befeuert werden, so dass der Fortbetrieb des Kraftwerks im Falle einer Unterbrechung der Gasversorgung nicht sichergestellt werden könne.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Ferner verstoße die Dauer der Ausweisung gegen § 13f Abs. 1 S. 2 EnWG. Die Bundesnetzagentur habe den erforderlichen Umfang der Ausweisung nicht begründet. Der Ausweisungszeitraum sei willkürlich festgelegt worden. Der beantragte Zeitraum sei als erforderlich genehmigt worden, obwohl bei gleicher Datengrundlage im Rahmen von Stilllegungsanträgen für die dortige Systemrelevanz abweichende, kürzere Zeiträume als erforderlich genehmigt worden seien. Damit habe die Bundesnetzagentur sachfremde Erwägungen angestellt, da für die unterschiedlichen Zeiträume keine sachlichen Begründungen ersichtlich seien. Die streitgegenständliche Genehmigung lasse jede Prüfung und Auseinandersetzung mit der Verlängerung über weitere 24 Monate vermissen. Es sei offensichtlich, dass der Gesetzgeber wegen der mit der Ausweisung verbundenen schwerwiegenden Eingriffe keine endlose Perpetuierung der Ausweisung beabsichtigt habe.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Ausweisung als systemrelevant führe dazu, dass sie in ihren Planungen und Entscheidungen zur Fahrweise der Anlagen beschränkt und zur Aufrechterhaltung einer fossilen Stromerzeugung bei gleichzeitiger Umsetzung der Klimaziele der Energiewende gezwungen werde. Damit greife die Ausweisung in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen ein. Die Grundrechtsverletzung könne nicht nachträglich durch einen Mehrkostenausgleich kompensiert werden. Sie strebe einen Rückzug aus einer fossil befeuerten Wärmeerzeugung an, der ihr durch den streitgegenständlichen Bescheid ohne zutreffende Begründung unmöglich gemacht werde. Die Bundesnetzagentur erzwinge einen dauerhaften Betrieb der streitgegenständlichen Kraftwerksblöcke, der absehbar durch anderweitige sowie dezentrale Erzeugungsanlagen abgelöst werden solle. Dieser Zustand sei für sie auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unzumutbar.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, infolge der erheblichen Begründungsdefizite des angegriffenen Beschlusses sei nicht davon auszugehen gewesen, dass die streitgegenständlichen Anlagen tatsächlich systemrelevant seien, so dass Anlass bestanden habe, gegen die Ausweisungsentscheidung Beschwerde einzulegen. Soweit die Bundesnetzagentur zu den materiellen Voraussetzungen für die Ausweisung im Laufe des Beschwerdeverfahrens näher vorgetragen habe, seien die Begründungsmängel jedenfalls erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens behoben worden. Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung regt die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 04.12.2018 an, die Versäumnisse der Bundesnetzagentur  im Verwaltungsverfahren im Rahmen der Kostenentscheidung gemäß § 155 Abs. 4 VwGO zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">den Genehmigungsbescheid der Bundesnetzagen-tur gemäß § 13 Buchst. f Abs. 1 S. 7 EnWG über systemrelevante Gaskraftwerke vom 29.09.2017 hinsichtlich seines Tenors zu 10. und zu 11. aufzuheben.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">                                                                      die Beschwerde zurückzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Genehmigung der Ausweisung der Anlagen der Beschwerdeführerin als systemrelevant sei formell und materiell rechtmäßig. Eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes liege nicht vor. Die in der angegriffenen Entscheidung in Bezug genommene Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber enthalte eine umfassende Ermittlung der für die Ausweisung als systemrelevant erheblichen Tatsachen. Die Systemanalyse sei im Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Entscheidung öffentlich einsehbar gewesen, so dass eine Bezugnahme hierauf ausgereicht habe. Einer Wiederholung der darin ermittelten und festgestellten Tatsachen habe es nicht bedurft. Auch ein Begründungsmangel liege nicht vor. In dem angegriffenen Bescheid sei ausgeführt worden, dass der Maßstab für die Bestimmung der durch eine Unterbrechung der Gasversorgung drohenden Gefährdung der Versorgungssicherheit über den (n-1)-Standard hinaus die Beherrschung von Mehrfachfehlern sei und es daher einer ausreichenden Redispatch-Leistung bedürfe. Darüber hinaus sei ausgeführt worden, dass auch Kraftwerke mit produktionsbedingter Fahrweise systemrelevant seien, da ihr Ausfall eine mittels Redispatch nicht mehr beherrschbare Erhöhung der vertikalen Netzlast zur Folge haben könne. Diese Begründung beziehe sich auch auf das streitgegenständliche Kraftwerk.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 13f Abs. 1 S. 1, 2 und 7 EnWG für die Genehmigung der Ausweisung eines Kraftwerks als systemrelevant lägen im Hinblick auf das streitgegenständliche Kraftwerk vor. Ausweislich der Ergebnisse der Netzreservebedarfsfeststellung sowie der ihr zu Grunde liegenden Systemanalyse seien die streitgegenständlichen Anlagen zur Sicherstellung des (n-1)-Standards erforderlich. Nach der im Rahmen der Netzreservebedarfsfeststellung durchgeführten Marktsimulation speisten die streitgegenständlichen Anlagen in der bedarfs-dimensionierenden Stunde 113 jeweils 55 MW in das örtliche Verteilernetz ein. Entfiele diese Einspeisung aufgrund einer Unterbrechung der Gasversorgung, könne der (n-1)-Standard nicht eingehalten werden. Die vertikale Netzlast würde sich um 110 MB erhöhen, da der örtliche Verteilernetzbetreiber die weggefallene Leistung aus dem vorgelagerten Übertragungsnetz zur Lastdeckung beziehen müsste. In der simulierten Netzsituation, in der die Übertragungsnetzbetreiber bereits die maximal vorgehaltene Redispatch-Leistung einsetzten, um das Übertragungsnetz (n-1)-sicher zu betreiben, würde die Erhöhung der vertikalen Netzlast einen neuen Netzengpass verursachen, der wiederum durch den Einsatz von Redispatch verhindert werden müsste. Da in der betrachteten Netzsituation die gesamte verfügbare Redispatch-Leistung jedoch bereits im Einsatz und keine Leistung mehr verfügbar sei, um den zusätzlichen Bedarf abzudecken, läge im Fall der Nichtverfügbarkeit der streitgegenständlichen Anlagen eine Verletzung des (n-1)-Standards und damit eine nicht unerhebliche Gefährdung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems vor.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Dieser Bewertung stehe das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu den Besonderheiten der Fahrweise des streitgegenständlichen Kraftwerks nicht entgegen. Unabhängig davon, ob die Angaben zuträfen, sei davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen Anlagen jedenfalls in der für die Systemrelevanzausweisung entscheidenden bedarfsdimensionierenden Stunde Strom erzeugten, denn dieser Zeitpunkt falle in den Winter, wenn der Wärmebedarf typischerweise am höchsten sei.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Unerheblich für die Einstufung als systemrelevant sei, ob die Vorkehrungen für einen Brennstoffwechsel tatsächlich drei Jahre bräuchten und damit den Zeitraum der Ausweisung überschritten. Da die Anlagen bereits ab 2015 als systemrelevant ausgewiesen worden seien, hätte die Beschwerdeführerin mit den Planungen für eine weitere Brennstoffoption längst beginnen können. Im Übrigen sei die Möglichkeit zum Brennstoffwechsel kein Tatbestandsmerkmal des § 13f Abs. 1 EnWG, sondern Rechtsfolge der Ausweisung als systemrelevant.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Möglichkeit einer Gefährdung oder Störung des Elektrizitätsversorgungssystems infolge eines Ausfalls des streitgegenständlichen Kraftwerks sei hinreichend wahrscheinlich im Sinne des § 13f Abs. 1 S. 1 EnWG. Gegeneinander abzuwägen seien das Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung und des möglichen Grundrechtseingriffs. Die mit dem Eingriff in den Betrieb des Kraftwerks verbundene Beeinträchtigung sei nicht gravierend, denn die Umstellung der Brennstoffversorgung stehe unter der Bedingung der Zumutbarkeit und werde finanziell vollständig kompensiert. Demgegenüber stehe als gefährdetes Rechtsgut die Sicherheit der Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität. Im Falle einer Störung reiche das mögliche Spektrum der eintretenden Schäden von einer noch kontrollierbaren lokalen Lastabschaltung bis hin zu kaskadierenden, nicht mehr kontrollierbaren Stromausfällen über mehrere Regelzonen oder Staaten, so dass die Abwägung zu Gunsten der Versorgungssicherheit ausfallen müsse.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">§ 3 Abs. 2 S. 1 der Netzreserveverordnung (NetzResV) gebe das Prüfprogramm für die Erstellung der Prognose der Gefährdung der Versorgungssicherheit vor. Danach sei die Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber zu prüfen, die ihrerseits die gesicherten Erzeugungskapazitäten, deren wahrscheinliche Entwicklung und den eventuellen Bedarf an Netzreservekapazität zu berücksichtigen hätten. Die bestätigte und in dem angegriffenen Beschluss in Bezug genommene Systemanalyse beruhe auf aufwändigen Marktsimulationen, die ein geeignetes Instrument zur Erstellung der Gefährdungsprognose seien. Der Umstand, dass eine kritische Versorgungssituation bisher lediglich im Winter 2012 eingetreten sei, stehe der Richtigkeit der Prognose nicht entgegen. Angesichts der herausragenden Bedeutung der Versorgungssicherheit reiche für die Ausweisung als systemrelevantes Kraftwerk bereits eine niedrige Wahrscheinlichkeit aus.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Umfang und Zeitraum der Ausweisung seien gleichfalls rechtmäßig. Auch wenn die Netto-Nennleistung der streitgegenständlichen Blöcke jeweils 75 MW betrage und ausweislich der Systemanalyse beide Blöcke in der bedarfsdimensionierenden Stunde jeweils nur mit einer Teilleistung von 55 MW betrieben würden, sei es erforderlich, die Ausweisung auf die vollständige Netto-Nennleistung zu erstrecken. Die Ausweisung einer Teilleistung komme nicht in Betracht, da eine Abgrenzung zwischen einem systemrelevanten und einem nicht systemrelevanten Teil desselben Kraftwerkblocks technisch nicht möglich sei.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Der zeitliche Rahmen der Ausweisung sei gleichfalls rechtsfehlerfrei bestimmt worden. Die Ausweisung für die Dauer von 24 Monate sei nach den Ergebnissen der Netzreservebedarfsfeststellung erforderlich. Zusätzlich zum Winterhalbjahr 2017/2018 sei darin der Netzreserve- bzw. Redispatch-Bedarf auch für den Zeitraum vom 01.04.2018 bis zum 31.03.2019 nach Prüfung der entsprechenden Systemanalysen der Übertragungsnetztreiber festgestellt worden. Aus der Marktsimulation gehe hervor, dass die beiden Kraftwerksblöcke in der bedarfsdimensionierenden Stunde ebenfalls mit einer Leistung von 55 MW in Betrieb seien. Damit sei die Ausweisung als systemrelevant über den 31.03.2019 hinaus bis zum Ablauf des beantragten Ausweisungszeitraums am 21.11.2019 erforderlich. Insoweit reiche es aus, dass mittels der Netzreservebedarfsfeststellung bzw. der zu Grunde liegenden Systemanalyse der Nachweis geführt worden sei, dass die Anlage innerhalb des beantragten Ausweisungszeitraums in einer Stunde zum Einsatz kommen könne. Dieser Nachweis könne nicht gesondert für jeden Tag innerhalb des beantragten Zeitraums geführt werden, denn dies hätte einen unsachgemäßen und unverhältnismäßigen Begründungs- und Prüfungsaufwand zur Folge.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Es komme entgegen der Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin auch nicht darauf an, inwieweit eine gesicherte Gasversorgung der streitgegenständlichen Anlagen eine Beeinträchtigung des Elektrizitätsversorgungssystems abwenden könnte, sondern ob eine Einschränkung der Gasversorgung eine Gefährdung oder Störung zur Folge hätte. Rechtsfehlerhaft gehe die Beschwerdeführerin zudem davon aus, dass für die Bestätigung der Ausweisung einer Anlage als systemrelevant die Wahrscheinlichkeit einer Unterbrechung der Gasversorgung korrekt prognostiziert werden müsse. Ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Wegfall der Gasversorgung bestehe, sei nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht Gegenstand der Prüfung. Die Einschränkung der Gasversorgung werde vielmehr bei der Prüfung der Systemrelevanz vorausgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Auch die Beteiligte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">                                                        die Beschwerde zurückzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die formellen und materiellen Einwendungen der Beschwerdeführerin seien unbegründet. Die streitgegenständliche Genehmigung der Ausweisung sei formell und materiell rechtmäßig. Die Bundesnetzagentur habe den Sachverhalt ordnungsgemäß ermittelt und die Genehmigung hinreichend begründet. Sie habe auf die Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber verweisen dürfen, die vor Erlass des Bescheids öffentlich verfügbar gewesen sei.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Das streitgegenständliche Heizkraftwerk sei systemrelevant im Sinne des § 13f EnWG. Das Übertragungsnetz sei insbesondere im Winterhalbjahr erheblich belastet, da die Übertragungskapazität nicht ausreiche, um den im Norden Deutschlands erzeugten Strom aus regenerativen Energiequellen zu den Verbrauchszentren im Süden zu transportieren. Die zusätzlichen Belastungen des Übertragungsnetzes erhöhten den Bedarf an netzstabilisierenden Maßnahmen, insbesondere an Redispatch. Bei einem Ausfall des Kraftwerks infolge einer eingeschränkten Gasversorgung stünden ihr weniger Anlagen als Redispatch-Potential zur Verfügung, um Netzengpässe zu beheben. Die streitgegenständlichen Anlagen würden für die Planung des Redispatch-Bedarfs berücksichtigt. Überdies folge die Systemrelevanz auch daraus, dass sich bei einem Ausfall des streitgegenständlichen Kraftwerks die vertikale Netzlast erhöhen würde. Fiele die durch das Kraftwerk erzeugte Elektrizität weg, müssten andere Erzeugungsanlagen diesen Verlust kompensieren und würden das Übertragungsnetz zusätzlich belasten.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Betriebsweise des Heizkraftwerks stehe seiner Ausweisung als systemrelevant nicht entgegen. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, es stehe zu keiner Zeit sicher fest, dass die Anlage Strom erzeugen könne, sei zurückzuweisen. Unter Berücksichtigung der öffentlich zugänglichen Informationen sei bereits fraglich, ob die Stromerzeugung für das Kraftwerk tatsächlich von untergeordneter Bedeutung sei. Dies sei jedenfalls für die Frage der Systemrelevanz nicht maßgeblich. Entscheidend sei, dass die Anlage das Redispatchpotential grundsätzlich erhöhe und für entsprechende Planungen berücksichtigt werde. Da der Wegfall des Heizkraftwerks nachteilige netztechnische Wirkungen hervorrufen könne, sei die Anlage unabhängig von ihrem jeweiligen Betriebsmodus systemrelevant.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Unerheblich sei auch, ob ein Brennstoffwechsel in Betracht komme, denn die Pflicht zur Vornahme eines Brennstoffwechsels sei keine Voraussetzung, sondern die Rechtsfolge einer Ausweisung als systemrelevant.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Es müsse zudem berücksichtigt werden, dass die Beschwerdeführerin die früheren Ausweisungen als systemrelevant offenbar für rechtmäßig gehalten und sie jedenfalls nicht angegriffen habe. Die technische und regulatorische Situation habe sich nicht grundlegend geändert. Die Beschwerdeführerin müsse sich somit an ihrem früheren Verhalten festhalten lassen, die Anfechtung der streitgegenständlichen Genehmigung sei widersprüchlich.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Der Umfang der Ausweisung sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Im Zeitpunkt der Ausweisung habe ein Bedarf an Netzreserveanlagen zur Behebung kritischer Netzsituationen bestanden. Der in Deutschland verfügbare Kraftwerkspark habe nicht ausgereicht, um kritische Situationen zu beheben. Bei einer nur teilweisen Ausweisung des streitgegenständlichen Heizkraftwerks als systemrelevant hätte sich der Bedarf an Netzreserveanlagen im In- und Ausland nochmals erhöht und wäre die vertikale Netzlast nachteilig betroffen gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Dauer der Ausweisung sei gleichfalls rechtsfehlerfrei bestimmt worden. Die unterschiedlichen Zeiträume der Ausweisung nach § 13b und 13f EnWG seien gesetzeskonform. Die Ausweisungen verliefen nicht zeitlich parallel, sondern die unterschiedlichen Endpunkte seien im Gesetz angelegt, abhängig von dem geplanten Stilllegungstermin bzw. dem Antrag auf Ausweisung als systemrelevant. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sei die 24-Monatsfrist des § 13f EnWG nicht dadurch überschritten worden, dass sich die Ausweisung im Jahr 2017 nahtlos an die Ausweisungen der Jahre 2013 und 2015 angeschlossen habe. Zurückzuweisen sei insbesondere das Argument, dass bereits im Jahr 2015 eine Analyse hätte vorgelegt werden müssen, aus der sich hätte ergeben müssen, aus welchen Gründen das Kraftwerk länger als 24 Monate systemrelevant sein solle. Ebenso wie § 13c EnWG a.F. solle § 13f EnWG sicherstellen, dass nach jedem 24-Monatszeitraum die Systemrelevanz eines Gaskraftwerks neu geprüft werde. Diese Prüfung sei im Jahr 2017 bezogen auf die kommenden 24 Monate für das streitgegenständliche Heizkraftwerk erfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Etwaige Verfahrensfehler wären darüber hinaus nach § 46 VwVfG unbeachtlich. Selbst wenn die von der Beschwerdeführerin gerügten Verfahrensfehler vorlägen, könnten sie nicht zur Nichtigkeit der Genehmigung führen, da sie weder besonders schwerwiegend noch offensichtlich im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG wären. Zudem hätten sie sich ersichtlich nicht auf das Ergebnis der Genehmigung ausgewirkt.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze mit Anlagen, den beigezogenen Verwaltungsvorgang und das Protokoll der Senatssitzung Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">                                                                                    <strong><span style="text-decoration:underline">B.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde ist aus den mit den Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 07.11.2018 erörterten Gesichtspunkten unbegründet. Die angegriffene Genehmigung der Ausweisung des streitgegenständlichen Heizkraftwerks als systemrelevant ist formell und materiell rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">I.</span></strong> Die Bundesnetzagentur hat den Sachverhalt unter Wahrung des Amtsermittlungsgrundsatzes und Beachtung der Sachaufklärungspflicht ordnungsgemäß ermittelt und ihre Entscheidung ausreichend begründet. Die von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">1.</span></strong> Die Bundesnetzagentur ist verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Trotz des Wortlauts des § 68 EnWG, der der Behörde ein Ermittlungsermessen einzuräumen scheint, besteht aufgrund des subsidiär anzuwendenden § 24 VwVfG eine Sachaufklärungspflicht (Wende, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 78 EnWG, Rn. 3). Dabei ist der Ermittlungsbedarf normbezogen zu bestimmen, worauf die Beschwerdeführerin zu Recht hinweist. Für die Feststellung der Systemrelevanz eines Gaskraftwerks ist somit maßgeblich, ob eine Einschränkung der Gasversorgung dieser Anlage mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer nicht unerheblichen Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems führt.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Diesem Ermittlungs- und Prüfungsauftrag ist die Bundesnetzagentur hinreichend nachgekommen. Sie hat sich in dem angegriffenen Bescheid auf ihre Reservebedarfsfeststellung sowie die dieser zugrunde liegende Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber bezogen. Darin sind die für die Beurteilung der Systemrelevanz maßgeblichen Tatsachen ermittelt und bewertet worden. Insbesondere werden darin Feststellungen zu dem Bedarf an Erzeugungs- bzw. Reservekapazität getroffen, die verfügbar sein muss, um kritische Netzsituationen zu beheben. Für die streitgegenständliche Genehmigung durfte die Bundesnetzagentur auf diese Erkenntnisse zurückgreifen und war nicht gehalten, erneut dieselben Ermittlungen anzustellen. Vielmehr reichte eine Bezugnahme auf die öffentlich zugänglichen Unterlagen aus.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die von den Übertragungsnetzbetreibern durchgeführte Systemanalyse enthält entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin eine umfassende Ermittlung der für die Ausweisung von Kraftwerken als systemrelevant erheblichen Tatsachen, insbesondere eine umfangreiche Darstellung der im Winter 2017/2018 und im Winter 2018/2019 erwarteten Elektrizitätserzeugungskapazitäten sowie der zu diesen Zeitpunkten bestehenden bzw. erwarteten Situation im Übertragungsnetz. Daraus ermittelt sich der Bedarf an Erzeugungskapazität, die zur Behebung kritischer Netzsituationen und damit für die Netzstabilisierung erforderlich ist. Die Bundesnetzagentur hat die Systemanalyse nachvollzogen, die Ergebnisse plausibilisiert und sodann bestätigt. Eine erneute Feststellung der zur Beurteilung der Systemrelevanz erheblichen Tatsachen war nicht geboten.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Insbesondere war die Bundesnetzagentur nicht gehalten, weitere Ermittlungen betreffend den gesamten deutschen Kraftwerkspark vorzunehmen und entsprechende Feststellungen zu treffen. Im Hinblick auf das streitgegenständliche Heizkraftwerk hatte die Bundesnetzagentur zu entscheiden, ob die beantragte Ausweisung als systemrelevant zu genehmigen war. Insofern hatte sie die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13f EnWG zu prüfen und zu untersuchen, ob und wie sich die Nichtverfügbarkeit der GuD-Anlagen dieses Kraftwerks auf die Elektrizitätsversorgung auswirken würde. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin war die Bundesnetzagentur nicht verpflichtet, zum Zwecke dieser Ermittlung den gesamten deutschen Kraftwerkspark in den Blick zu nehmen. Gegenstand der Ermittlungen war allein, ob bei einer Versorgungsunterbrechung derjenigen Kraftwerke, deren Ausweisung als systemrelevant die Beteiligte beantragt hatte, eine Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems eintritt. Im Hinblick auf das streitgegenständliche Heizkraftwerk war somit zu untersuchen, wie sich dessen Versorgungsunterbrechung auf die Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungsystems auswirken würde. Dies hat die Bundesnetzagentur durch Bezugnahme auf die Reservebedarfsfeststellung und die Systemanalyse getan.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Soweit die Bundesnetzagentur in dem streitgegenständlichen Bescheid eine Internetadresse eingefügt hat, die nicht zur Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber führte, begründet dies keinen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz. Die Verwendung einer falschen Internetadresse stellt eine redaktionelle Unrichtigkeit dar, die jederzeit berichtigt werden kann. Der Fehler hinderte zudem nicht daran, die Systemanalyse aufzufinden. Dieses war durch geringe Rechercheleistungen ohne weiteres möglich. Es musste keine individuelle Bekanntgabe an die Beschwerdeführerin erfolgen, denn sowohl die Systemanalyse als auch ihre Bestätigung durch die Bundesnetzagentur waren im Zeitpunkt des Erlasses der hier angegriffenen Entscheidung öffentlich einsehbar.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.</span></strong> Zurückzuweisen ist auch der Einwand der Beschwerdeführerin, der Beschluss  leide an formellen Begründungsmängeln. Für den Umfang der Begründung ist § 39 VwVfG heranzuziehen (Theobald/Werk, in: Danner/Theobald, EnergieR, 98. EL 2018, § 73 Rn. 13). Danach hat die Behörde die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die ihrer Entscheidung zugrunde liegen. Dies umfasst neben den die Entscheidung tragenden Erwägungen auch die erheblichen entgegenstehenden Argumente von Betroffenen und Beteiligten (Bruhn, in Säcker: Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 73 EnWG, Rn. 6).</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung. Die Ausführungen geben die maßgeblichen rechtlichen Erwägungen zu sämtlichen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13f Abs. 1 EnWG wieder. Insbesondere wird deutlich, welchen Maßstab die Bundesnetzagentur für die Bestimmung der Gefährdung der Versorgungssicherheit anlegt und welchen Grad an Eintrittswahrscheinlichkeit sie für erforderlich hält. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin erfolge auch eine ausreichende Subsumtion unter die Genehmigungsvoraussetzungen. Unter Ziffer 2. A) legt die Bundesnetzagentur dar, dass sie hinsichtlich aller Anlagen, deren Ausweisung als systemrelevantes Kraftwerk sie genehmigt, die Systemrelevanz entweder bereits im Hinblick auf das Verfügbarkeitserfordernis für den Redispatch-Bedarf oder jedenfalls wegen der negativen Auswirkungen eines Ausfalls auf die vertikale Netzlast bejaht.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin stellt es keinen Begründungsmangel dar, dass es insoweit an einer „anlagenscharfen“ Darstellung fehlt. Vielmehr ist die einheitliche, nicht zwischen den einzelnen Anlagen differenzierende Darstellung sachlich durch den materiellen Begründungsansatz  veranlasst. Aus den Gründen ergibt sich eindeutig, dass die Systemrelevanz unterschiedslos für alle Anlagen entweder bereits aus dem erstgenannten Gesichtspunkt folgt – Anlage dient als Redispatch-Potential – oder jedenfalls wegen der netztechnischen Auswirkungen einer Versorgungsunterbrechung zu bejahen ist.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Zurückzuweisen ist auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, ihre im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Argumente seien nicht beachtet und gewürdigt worden. Die Bundesnetzagentur ist bereits nicht verpflichtet, jeden einzelnen im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gesichtspunkt im Rahmen einer Beschlussbegründung zu erörtern, sondern das Begründungserfordernis erstreckt sich nur auf die erheblichen Gegenargumente. Dass die Bundesnetzagentur Einwendungen, die sich auf die Fahrweise eines Kraftwerks oder die fehlende Möglichkeit zum Brennstoffwechsel beziehen, nicht für erheblich gehalten hat, ergibt sich aus dem gewählten Begründungsansatz. Sowohl für die Eignung eines Kraftwerks, zum Redispatch herangezogen zu werden, als auch hinsichtlich der Auswirkungen eines Versorgungsausfalls auf die vertikale Netzlast spielen beide Umstände keine Rolle. Dass die Bundesnetzagentur darauf nicht explizit eingegangen ist, stellt keinen Begründungsmangel dar.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Auch wenn eine ausführlichere Auseinandersetzung insbesondere mit den Feststellungen und Ergebnissen der Systemanalyse und deren Bedeutung für die Ausweisung als systemrelevant das Verständnis der Beschlussgründe erleichtert und gegebenenfalls die Akzeptanz der Entscheidung erhöht hätte, wird die Begründung im Ergebnis auch dem Anspruch gerecht, dass sie dem Betroffenen und dem Beschwerdegericht eine Überprüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ermöglichen soll (vgl. Hanebeck, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl., § 73, Rn. 8).Indem die Beschlussgründe sich zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13f EnWG verhielten und eine Bezugnahme auf die Systemanalyse erfolgte, war die Beschwerdeführerin – ebenso wie der Senat - in der Lage, die rechtlichen Erwägungen sowie die Feststellungen der Bundesnetzagentur zur Systemrelevanz der streitgegenständlichen Anlagen anhand der Ergebnisse der Systemanalyse nachzuvollziehen und zu bewerten.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Schließlich weist die Beteiligte zu Recht darauf hin, dass auch bei Ausführungen, die den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nicht mehr genügen, die Beschwerdeführerin gemäß § 46 VwVfG nicht allein deswegen die Aufhebung der Entscheidung nur wegen dieses Verfahrensfehlers begehren kann. Die Bundesnetzagentur hat die Entscheidung, die streitgegenständlichen Anlagen als systemrelevant auszuweisen, unabhängig von dem für erforderlich gehaltenen  Begründungsaufwand getroffen.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">II.</span></strong> Der angegriffene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Bundesnetzagentur hat die Ausweisung des streitgegenständlichen Kraftwerks als systemrelevant durch die Beteiligte zu Recht genehmigt, denn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 f Abs. 1 S. 1 und 2 EnWG sind erfüllt. Der Senat geht auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung, in der die formelle Rechtmäßigkeit des Beschlusses im Vordergrund stand, davon aus, dass die Beschwerdeführerin ihre in der Beschwerdebegründung dagegen erhobenen Einwendungen aufrecht erhält und eine Überprüfung durch den Senat begehrt.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">1.</span></strong> Die von § 13f Abs. 1 EnWG für eine Ausweisung als systemrelevant vorausgesetzte Gefährdung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems liegt gemäß § 13 Abs. 4 EnWG vor, wenn örtliche Ausfälle des Übertragungsnetzes oder kurzfristige Netzengpässe zu besorgen sind oder zu besorgen ist, dass die Haltung von Frequenz, Spannung oder Stabilität durch die Betreiber von Übertragungsnetzen nicht im erforderlichen Maße gewährleistet werden kann. Eine Gefährdung setzt nicht voraus, dass die in § 13 Abs. 4 EnWG beschriebenen Situationen tatsächlich aufgetreten sind. Vielmehr genügt es, dass eine Gefährdung einträte, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen würden. Der Annahme einer Gefährdungssituation steht zudem nicht entgegen, dass der zuständige Netzbetreiber die Situation mit dem ihm zur Verfügung stehenden Instrumentarium beherrschen kann. Die Schwelle für die Annahme einer Gefährdung ist niedrig anzusetzen. Es genügt eine hypothetische Gefährdungssituation, die nur dann tatsächlich gefährlich wäre, wenn das Instrumentarium gemäß § 13 Abs. 1 und Abs. 2 EnWG nicht zur Verfügung stünde (vgl. König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, § 13 EnWG, 4. Aufl., Rn. 122).</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Begriffe „Sicherheit und Zuverlässigkeit“ beschreiben den Systemzustand des Elektrizitätsversorgungsnetzes, in dem das Netz unter Einhaltung des so genannten (n-1)-Standards betrieben werden kann. Eine entsprechende Verpflichtung der Übertragungsnetzbetreiber, einen (-1)-sicheren Netzbetrieb zu gewährleisten, ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 35 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2017/1485 vom 02.08.2017. Dieses Sicherheitskriterium ist nur erfüllt, wenn bei Ausfall eines Betriebsmittels der Netzbetreiber mit den verbleibenden Mitteln sein Netz weiterhin innerhalb der technischen Sicherheitsgrenzwerte betreiben kann. Dies setzt voraus, dass der infolge des Ausfalls geänderte Leistungsfluss nicht zu Überlastungen und damit zum Ausfall weiterer Netzbetriebsteile führt. Gemäß § 2 Abs. 2 S. 3 NetzResV sind die Übertragungsnetzbetreiber zudem verpflichtet, über die Einhaltung des (n-1)- Standards hinaus auch Mehrfachfehler angemessen zu berücksichtigen. Der Netzbetrieb muss damit auch im Fall eines Mehrfachfehlers innerhalb der technischen Sicherheitsgrenzwerte weiterbetrieben werden können.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Systemrelevant ist eine Anlage demnach dann, wenn sie zur Gewährleistung eines diesem Standard entsprechenden, zulässigen Betriebszustands in charakteristischen Krisensituationen, d.h. zur Spannungshaltung oder Frequenzsicherung erforderlich ist und ihre zeitweise Nichtverfügbarkeit dazu führt, dass dieser Standard nicht mehr aufrechterhalten werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.</span></strong> Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf das streitgegenständliche Kraftwerk zu bejahen. Die Systemrelevanz ergibt sich zum einen daraus, dass das Kraftwerk im Rahmen des Redispatch-Potentials berücksichtigt wird, zum anderen aus der Erhöhung der vertikalen Netzlast und damit zugleich des Redispatch-Bedarfs im Falle einer Unterbrechung der Gasversorgung.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.1.</span></strong> Welche konventionellen Kraftwerke eingesetzt werden müssen, damit die Übertragungsnetzbetreiber das Übertragungsnetz nach Maßgabe der genannten Anforderungen betreiben können, ergibt sich aus dem Bericht der Bundesnetzagentur über die Feststellung des Netzreservebedarfs, dem die geprüfte und bestätigte Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber zugrunde liegt.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 3 Abs. 1 S. 4 NetzResV prüft und bestätigt die Bundesnetzagentur den Bedarf an Erzeugungskapazität für die Netzreserve. Grundlage der Prüfung ist eine von den Betreibern der Übertragungsnetze jährlich gemeinsam erstellte Analyse der verfügbaren gesicherten Erzeugungskapazitäten, ihrer wahrscheinlichen Entwicklung im Hinblick auf das jeweils folgende Winterhalbjahr sowie mindestens eines der weiteren darauf folgenden vier Betrachtungsjahre und des eventuellen Bedarfs an Netzreserve (Systemanalyse).</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der Netzreservefeststellung prüft und entscheidet die Bundesnetzagentur, ob die von den Übertragungsnetzbetreibern berechnete Leistung des vorzuhaltenden Redispatch-Bedarfs aus deutschen und ggfs. ausländischen Marktkraftwerken und nicht mehr am Markt geführten Netzreservekraftwerken zur (n-1)-sicheren Beherrschung einer kritischen Netzbelastungssituation zutreffend ermittelt wurde (vgl. Feststellung des Bedarfs an Netzreserve für den Winter 2017/2018 sowie das Jahr 2018/2019 und zugleich Bericht über die Ergebnisse der Prüfung der Systemanalyse vom 28.07.2017, Anlage BG 9, S. 9, 37,38, 52-56). Die nach den durch die Netzreservebedarfsfeststellung bestätigten Erkenntnissen und Ergebnissen der Systemanalyse mögliche Gefahrenbeurteilung ist im Rahmen der Prüfung der Systemrelevanz im Sinne des § 13f Abs. 1 S. 3 EnWG heranzuziehen (vgl. auch Begründung zum Strommarktgesetz, BT-Drs. 18/7317, S. 101).</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Die dem Verfahren der Systemanalyse zugrunde liegenden Annahmen, Parameter und Methoden stimmen die Übertragungsnetzbetreiber mit der Bundesnetzagentur ab. Hierzu gehören insbesondere auf Erfahrungswerten der Übertragungsnetzbetreiber beruhende Annahmen betreffend die Stromnachfrage in Deutschland und dem benachbarten Ausland, die installierte Leistung aus konventionellen und Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien sowie die planmäßige und ungeplante Nichtverfügbarkeit von Kraftwerken. Auf der Basis dieser Eingangsgrößen wird eine Marktsimulation über einen Zeitraum von 168 Stunden durchgeführt und dadurch ermittelt, welche Kraftwerke während des beobachteten Zeitraums marktgetrieben zur Deckung des nicht durch die Einspeisung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien abgedeckten Teils der Gesamtnachfrage einspeisen. In der sich anschließenden Netzanalyse wird untersucht, wie stark das Übertragungsnetz während jeder Stunde des beobachteten Zeitraums bei der unterstellten Einspeisung belastet wird und in welchem Umfang Redispatchmaßnahmen erforderlich wären, um das Netz in der kritischsten Netzsituation, der sog. bedarfsdimensionierenden Stunde, (n-1)-sicher zu betreiben.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Zu kritischen Situationen kommt es insbesondere, wenn hohe Leistungsflüsse von Nord- nach Süddeutschland vorherrschen. Derartige Leistungsflüsse treten vor allem im Winter und insbesondere dann auf, wenn Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie im Norden Deutschlands hohe Energiemengen einspeisen, während im Süden Deutschlands hohe Elektrizitätsmengen nachgefragt werden (Starkwind-Starklast-Szenario). Es besteht dann die Gefahr, dass Betriebsmittel im Übertragungsnetz thermisch überlastet werden. In diesen Situationen müssen die Übertragungsnetzbetreiber Ausgleichsmaßnahmen vornehmen, ohne die weiträumige Engpässe im Übertragungsnetz, insbesondere in Nord-Süd-Richtung, aufträten.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.2.</span></strong> Eine nicht unerhebliche Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems bei Einschränkungen der Gasversorgung des streitgegenständlichen Kraftwerks folgt zunächst daraus, dass ohne die Anlagen zu wenig Redispatch-Kapazität im süddeutschen Raum zur Verfügung stünde, um einen (n-1)-sicheren Netzbetrieb zu gewährleisten.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.2.1.</span></strong> Die Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber weist im Starkwind-Starklast-Szenario für den Winter 2017/2018 sowie den Winter 2018/2019 einen Bedarf an Netzreserveanlagen aus, die erforderlich sind, um ausreichend Redispatch-Potential für die Behebung kritischer Situationen gewährleisten zu können, damit das Netz auch dann (n-1)-sicher sowie unter Beachtung von Mehrfachfehlern betrieben werden kann. Für den Winter 2018/2019 weist die Systemanalyse darüber hinaus sogar eine erforderliche ausländische Reservekraftwerkskapazität i.H.v. 2,1 GW aus. Zum Zeitpunkt der Erstellung der Analyse war noch nicht absehbar, ob es gelingen würde, im Sommer 2018 ein Engpass-Management an der deutsch-österreichischen Grenze einzuführen, durch das der Bedarf an Netzreserve mit deutschen Kraftwerken gedeckt werden kann. Im Winter 2017/2018 mussten die Übertragungsnetzbetreiber ausländische Reservekraftwerke zur Netzstabilisierung heranziehen. Die Nichtverfügbarkeit von redispatchfähigen Kraftwerken, zu denen auch die streitgegenständliche Anlage gehört, würde den Bedarf an Netzreserve zusätzlich vergrößern.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Die Übertragungsnetzbetreiber haben in der Systemanalyse 2017 für das Winterhalbjahr 2017/2018 einen Redispatch-Bedarf von 13,9 GW in der bedarfsdimensionierenden Stunde 113 der Marktsimulation ausgewiesen, den die Bundesnetzagentur nach Prüfung bestätigt hat (Netzreservebedarfsfeststellung 2017/2018, S. 53). Die Kraftwerksblöcke des streitgegenständlichen Kraftwerks tragen ausweislich der von den Übertragungsnetzbetreibern ermittelten Einspeisedaten in der bedarfsdimensionierenden Stunde 113 jeweils mit einer Einspeisung von 55 MW in das örtliche Verteilernetz zur Lastdeckung bei (Abschlussbericht Systemanalyse, S. 7, 83 ff., 107 ff. (Anlage B 8) in Verbindung mit  Einspeisedaten Zeile 121 der Anlage BG 1).</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Diese Ergebnisse der Marktsimulation, die die Beschwerdeführerin nicht in Abrede stellt, belegen die Systemrelevanz des streitgegenständlichen Kraftwerks. Danach werden die redispatchfähigen Erzeugungskapazitäten in Süddeutschland <strong>einschließlich des streitgegenständlichen Kraftwerks</strong> benötigt, um kritische Netzsituationen zu beheben. Die Nichtverfügbarkeit der Anlage würde das Potential für Redispatch- Maßnahmen reduzieren, so dass die Beteiligte kritische Netzsituation nur mit zusätzlichen Maßnahmen beheben könnte.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.2.2.</span></strong> Die Systemrelevanz ergibt sich des Weiteren daraus, dass sich bei einer unterbrechungsbedingten Nichtverfügbarkeit des an das Verteilernetz der B. angeschlossenen Kraftwerks die vertikale Netzlast als Summe aller Übergaben aus dem Übertragungsnetz zu Verteilernetz und Endverbrauchern erhöhen würde. Bei einem Ausfall des Kraftwerks mangels ausreichender Brennstoffversorgung müsste die in der Anlage erzeugte Elektrizität anderweitig beschafft und hierfür das Übertragungsnetz in Anspruch genommen werden. Fiele die Einspeisung der streitgegenständlichen Kraftwerksblöcke in das Verteilernetz in Höhe von jeweils 55 MW infolge einer Versorgungsunterbrechung weg, würde sich die vertikale Netzlast entsprechend um 110 MW erhöhen, denn der örtliche Verteilernetzbetreiber müsste die Leistung aus dem Übertragungsnetz beziehen. In einer kritischen Situation, in der die Übertragungsnetzbetreiber bereits die maximal vorgehaltene Redispatch-Leistung einsetzen müssen, um das Übertragungsnetz (n-1)-sicher betreiben zu können, hätte die Erhöhung der vertikalen Netzlast einen weiteren Netzengpass zur Folge, der wiederum den Bedarf an Redispatch vergrößern würde. Bei einer vollständigen Ausreizung der zur Verfügung stehenden Redispatch-Leistung wäre keine weitere Leistung mehr verfügbar, um diesen zusätzlichen Bedarf abzudecken, so dass eine Verletzung des (n-1)-Standards und damit eine Gefährdung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems eintreten würde. Diese wäre auch nicht unerheblich, denn es kann – worauf die Bundesnetzagentur unwidersprochen hinweist - nicht nur zu lokal begrenzten und damit beherrschbaren, sondern auch zu kaskadierenden und unkontrollierten Stromausfällen kommen.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Zurückzuweisen ist die Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach jeder örtliche Leistungsabfall eine kurzfristige Lastdeckung im vorgelagerten Übertragungsnetz erforderlich mache, so dass dies für die Annahme der Systemrelevanz eines Kraftwerks nicht ausreichen könne. Insoweit verkennt sie, dass es nicht allein darauf ankommt, ob eine kurzfristige Lastdeckung im vorgelagerten Übertragungsnetz Folge eines örtlichen Leistungsabfalls ist, sondern ob die Lastdeckung im vorgelagerten Übertragungsnetz zu einer nicht unerheblichen Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems führen kann. Dies ist nicht bei jedem Gaskraftwerk der Fall, sondern betrifft in bestimmten netzkritischen Situationen die in dem streitgegenständlichen Beschluss ausgewiesenen süddeutschen Kraftwerke, zu denen die Anlagen der Beschwerdeführerin gehören.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.3.</span></strong> Der Systemrelevanz steht weder die von der Beschwerdeführerin vorgetragene Betriebsweise des streitgegenständlichen Kraftwerks noch die fehlende Möglichkeit eines Brennstoffwechsels entgegen.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.3.1.</span></strong> Auch auf der Grundlage des Vorbringens der Beschwerdeführerin, wonach die Stromerzeugung davon abhängt, dass die zugleich erzeugte Wärme in das Fernwärmenetz abgeleitet werden kann, ist davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Kraftwerk in der für die Systemrelevanzausweisung maßgeblichen bedarfsdimensionierenden Stunde Strom erzeugen würde. Das netzkritischste Szenario fällt in den Winter, da wegen des dann bestehenden Wärmebedarfs eine Starklast- und eine Starkwind-Situation zusammenfallen können. Infolge des Wärmebedarfs ist dann jedoch zugleich eine Wärmeableitung und damit eine Stromerzeugung möglich.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.3.3.</span></strong> Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kommt es für die Ausweisung als systemrelevant nicht darauf an, ob die Möglichkeit eines Brennstoffwechsels besteht. Dies ist keine tatbestandliche Voraussetzung, sondern eine Rechtsfolge der Ausweisung. Es handelt sich gemäß § 13f Abs. 2 S. 1 EnWG um eine Option, die der Anlagenbetreiber nur dann vorzunehmen hat, wenn sie technisch und rechtlich möglich sowie wirtschaftlich zumutbar ist. Ist das nicht der Fall, hat ein Brennstoffwechsel bei systemrelevanten Kraftwerken zu unterbleiben.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Unabhängig von der Möglichkeit eines Brennstoffwechsels hat die Ausweisung als systemrelevant zur Folge, dass der Übertragungsnetzbetreiber gemäß § 16 Abs. 2a EnWG anweisen kann, dass der Gasbezug der Anlage nicht durch den Fernleitungsnetzbetreiber eingeschränkt werden darf. Schon diese Maßnahme verringert die Ausfallwahrscheinlichkeit der Anlage beträchtlich. Nach der gesetzlichen Konzeption sind demnach auch Anlagen, die nicht für einen Brennstoffwechsel im Betracht kommen, geeignet, als systemrelevante Kraftwerke ausgewiesen zu werden, da der mit der Ausweisung hauptsächlich verbundene Zweck, die Gasversorgung solcher Anlagen sicherzustellen, unabhängig von der Möglichkeit eines Brennstoffwechsels erreicht werden kann. Dementsprechend sieht § 13f Abs. 2 S. 3 EnWG zwar ein Prüfprogramm für die Darlegung der technischen oder rechtlichen Unmöglichkeit bzw. der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit eines Brennstoffwechsels vor, nicht dagegen einen Ausschluss von der Ausweisung als systemrelevant, wenn ein solcher nicht möglich oder unzumutbar ist.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.4.</span></strong> Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Bundesnetzagentur habe die der Ausweisungsgenehmigung zu Grunde liegende Tatsachengrundlage nicht nur unzureichend, weil nicht anlagenspezifisch, sondern auch fehlerhaft ermittelt, ist zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Systemrelevanz des streitgegen-ständlichen Kraftwerks basiert auf den Erkenntnissen und Ergebnissen der Netzreservebedarfsfeststellung sowie der ihr zu Grunde liegenden Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber, die die Beschwerdeführerin nicht angegriffen hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Systemanalyse und die Bedarfsfeststellung methodisch mangelhaft erstellt wurden. Somit ist es nicht zu beanstanden, dass die Bundesnetzagentur die Genehmigung der Ausweisung des streitgegenständlichen Kraftwerks als systemrelevant auf der Basis dieser Tatsachengrundlage, die sie zu Recht für vollständig und zutreffend gehalten hat, erteilt hat.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Insoweit ist es unbeachtlich, ob die Beschwerdeführerin die Systemanalyse kannte. Die Bundesnetzagentur durfte sie ihrer Entscheidung zugrunde legen, ohne sie zuvor der Beschwerdeführerin gesondert bekannt zu geben, denn die Netzreservebedarfs-feststellung sowie die zugrunde liegende Systemanalyse sind am 28.04.2017 und damit vor der Anhörung der Beschwerdeführerin zu der von der Beteiligten beantragten Ausweisung auf der Internetzpräsenz der Bundesnetzagentur eingestellt worden. Die Bundesnetzagentur ist damit zugleich ihrer aus § 3 Abs. 1 S. 4 NetzResV folgenden Veröffentlichungspflicht nachgekommen. Auf den Bericht sowie dessen Veröffentlichung hat die Bundesnetzagentur zudem mit einer Pressemitteilung vom 30.04.2018  hingewiesen. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin als Kraftwerksbetreiberin, deren Anlagen schon zweifach als systemrelevant ausgewiesen worden waren, das Vorgehen der Netzreservebedarfsfeststellung bekannt war.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">3.</span></strong> Die Bundesnetzagentur hat in dem angegriffenen Beschluss auch die in § 13f EnWG für die Ausweisung als systemrelevant vorausgesetzte hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts zu Recht bejaht.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">3.1.</span></strong> Es ist hinreichend wahrscheinlich im Sinne dieser Regelung, dass eine Einschränkung der Gasversorgung des streitgegenständlichen Kraftwerks zu einer nicht unerheblichen Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems führen wird. Bezugspunkt der gemäß § 13f EnWG vorzunehmenden Gefahrenprognose ist die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass infolge einer Unterbrechung der Gasversorgung die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems gefährdet oder gestört werden. Die vorzunehmende Wahrscheinlichkeitsprognose bezieht sich schon ausweislich des Wortlauts der Vorschrift hingegen nicht auf die Einschränkung der Gasversorgung. Danach ist ein Kraftwerk systemrelevant, „soweit eine Einschränkung der Gasversorgung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit“ zu einer relevanten Gefährdung oder Störung führt. Die Einschränkung der Gasversorgung wird von der Vorschrift vorausgesetzt. Sie ist Ausgangspunkt und nicht Gegenstand der Wahrscheinlichkeitsprognose.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Für die Annahme, dass der Bezugspunkt der Prognose nicht die Wahrscheinlichkeit der Unterbrechung der Gasversorgung ist, spricht auch die Gesetzesbegründung. Dort heißt es (BT-Drucks. 17/11705, S. 52):</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">„Kriterium für die Bestimmung der Systemrelevanz eine Anlage ist, ob eine Einschränkung der Gasversorgung dieser Anlage zu einer nicht unerheblichen Gefahr für die Sicherheit des Stromversorgungssystems führen wird.“</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Dort wird gleichfalls auf die Folge einer Versorgungsunterbrechung für den Zustand des Stromversorgungssystems abgestellt, ohne dass an die Unterbrechungswahrscheinlichkeit spezifische Anforderungen gestellt werden.</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Es entspricht schließlich auch dem Normzweck, dass eine Wahrscheinlichkeits-prognose bezüglich des Eintritts einer Versorgungsunterbrechung grundsätzlich unterbleiben kann. Vor dem Hintergrund, dass seit dem Atom-Moratorium in Süddeutschland nicht genügend Stromerzeugungskapazitäten vorhanden sind, um die Versorgungssicherheit in den Wintermonaten ohne Eingriffe in den Markt gewährleisten zu können, dient § 13f EnWG wie die Vorgängervorschrift des § 13c EnWG der Gewährleistung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitäts-versorgungssystems. In den Wintermonaten sind Stromlieferungen aus dem Norden Deutschlands infolge der Netzengpässe auf den in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Trassen der deutschen Übertragungsnetze nicht immer in dem erforderlichen Umfang möglich. Unstreitig konnte die Versorgungssicherheit in den Wintern 2011/2012 und 2012/2013 nur mithilfe einer Netzreserve gewährleistet werden. Zudem kam es im Februar 2012 in Süddeutschland zu einer Krise der Gasversorgung, die den Gasbezug wichtiger Gaskraftwerke tangierte. Vor diesem Hintergrund wurde die Möglichkeit geschaffen, Gaskraftwerke als systemrelevant auszuweisen und bei der Gasversorgung zu privilegieren. In Gasversorgungskrisen soll die zeitweise knappe Erzeugungsleistung in Süddeutschland nicht durch den Ausfall von Gaskraftwerken weiter verringert werden (vgl. König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 13c EnWG, Rn. 1). Die Vorschrift dient der Identifizierung und Absicherung derjenigen Kraftwerke, deren Nichtversorgung sich im Fall einer Gasversorgungskrise nachteilig auf die Sicherheit und Stabilität des Elektrizitätsversorgungssystems auswirken würde, nicht der Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit einer Gasversorgungskrise. Soweit die Bundesnetzagentur in dem angegriffenen Beschluss auf den unstreitig im Winter 2012 eingetretenen Engpass in der Gasversorgung in Süddeutschland abgestellt hat, ist damit erkennbar keine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Versorgungsunterbrechung in der Zukunft verbunden, sondern dieser Hinweis  illustriert, dass es in der Vergangenheit infolge einer Unterbrechung der Gasversorgung bereits zur Abschaltung mehrerer Kraftwerke gekommen war und sollte demnach die Wahrscheinlichkeit einer - erneuten - Gefährdung der Sicherheit und Stabilität des Versorgungssystems im Falle einer Versorgungsunterbrechung dokumentieren. Ob die Ausweisung eines Kraftwerks als systemrelevant unterbleiben muss, wenn feststeht, dass nur eine abstrakte oder theoretische Möglichkeit der Unterbrechung der Gasversorgung in Rede steht und eine solche tatsächlich nahezu ausgeschlossen ist, kann dahinstehen. Eine Gasversorgungskrise, wie sie bereits im Winter 2012 eingetreten ist, kann weder belastbar und seriös prognostiziert noch kann sie ausgeschlossen werden.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">3.2.</span></strong> In § 13f EnWG wird der Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht definiert. Da die Vorschrift der Abwehr einer Gefährdung des Elektrizitäts-versorgungssystems dient, ist zur Ausfüllung dieses Rechtsbegriffs auf die für andere Bereiche der Gefahrenabwehr von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und Maßstäbe zurückzugreifen. Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und die zugrunde zu legende Tatsachenbasis hängen danach einerseits von der Bedeutung des beeinträchtigten Rechtsguts und andererseits von der Schwere und den Erfolgsaussichten des in der Ausweisung als systemrelevant liegenden Grundrechtseingriffs ab. Je bedeutender das bedrohte Rechtsgut und je weniger gewichtig der Grundrechtseingriff ist, desto geringer darf die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung und desto weniger fundiert die zugrunde liegende Tatsachenfeststellung sein (vgl. <a href="https://www.juris.testa-de.net/r3/?docId=KVRE362490601&${__hash__}38;docFormat=xsl&${__hash__}38;oi=NwCHPA4yxP&${__hash__}38;docPart=K">BVerfG, Beschluss vom 04.04. 2006,1 BvR 518/02</a>; BVerwG, Beschluss vom 14.09.2017, 3 C 4.16).</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">In der Wahrscheinlichkeitsprognose müssen die Schwere der zu erwartenden Schäden infolge eines teilweisen Ausfalls des Übertragungsnetzes in ein angemessenes Verhältnis zu dem Eingriff in die Rechte der Anlagenbetreiber gestellt werden. Angesichts der hohen Bedeutung des gefährdeten Rechtsgut der Versorgungssicherheit (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20.03.1984, 1 BvL 28/83, und vom 10.09.2008, 1 BvR 1914/02) und der Schwere der durch einen Netzausfall eintretenden Schäden mit Gefahren auch für Leib und Leben von Menschen genügt nach den obigen Maßgaben eine verhältnismäßig niedrige Eintrittswahrscheinlichkeit. Dass die Bundesnetzagentur in dem angefochtenen Bescheid einen niedrigen Wahrscheinlichkeitsgrad für ihre Gefahrenprognose genügen ließ, ist demnach nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Zurückzuweisen ist der pauschale Einwand der Beschwerdeführerin, die der Genehmigung der Ausweisung zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsprognose der Bundesnetzagentur beruhe nicht auf einer objektiven Methode und führe zu fehlerhaften Ergebnissen. Die Bundesnetzagentur hat das in § 3 Abs. 2 S 1 NetzResV vorgesehene Prüfprogramm, wonach die Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber zu überprüfen ist, durchgeführt. Wie bereits aufgezeigt beruht die Systemanalyse auf aufwändigen Marktsimulationen, die ihrerseits an Szenarien anknüpfen, die auf betrieblichen Erfahrungen der Übertragungsnetzbetreiber beruhen. Der Rückgriff auf betriebliche Erfahrungswerte ist ausreichend und darauf aufbauende Marktsimulationen stellen ein geeignetes Prognoseinstrument dar (vgl. König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 13c EnWG, Rn. 4). Die Argumentation der Beschwerdeführerin vermag keine Zweifel an der Sachgerechtigkeit der der Erstellung der Systemanalyse zugrunde liegenden Methodik, der Überprüfung ihrer Ergebnisse im Rahmen der Bedarfsanalyse und damit der Ermittlung der systemrelevanten Kraftwerke zu begründen.  Die Beschwerdeführerin setzt sich mit der Methodik der Systemanalyse und deren Prüfung und Bestätigung durch die Bundesnetzagentur nicht konkret und im Einzelnen auseinander. Insbesondere zeigt sie nicht auf, welche andere Vorgehensweise zu valideren Ergebnissen geführt hätte.</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">4.</span></strong> Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist der Umfang der Ausweisung weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Der Umfang der Ausweisung ist eindeutig und es fehlt nicht an einer hinreichenden Begründung der Ausweisung der gesamten Nennleistung. Vielmehr bezieht sich die Ausweisung ausweislich der Gründe des angegriffenen Bescheids auf die gesamte Nennleistung der einzelnen Kraftwerksanlagen. Dies geht unmissverständlich aus den Ausführungen unter Ziffer. 2, Bl. 11, 12 des Beschlusses hervor. Zur Begründung hat die Bundesnetzagentur darauf abgestellt, dass die Ausweisung der gesamten Nennleistung gemäß § 13f Abs. 1 S. 2 EnWG erforderlich ist, um die Gefährdung oder Störung abzuwenden. Damit ist der entscheidende, die Begründung tragende Gesichtspunkt deutlich bezeichnet.</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Die Ausweisung der gesamten Nennleistung entspricht dem Ergebnis der von der Bundesnetzagentur im Rahmen der Reservebedarfsfeststellung geprüften und bestätigten Systemanalyse, so dass die Entscheidung auch in materieller Hinsicht rechtsfehlerfrei ergangen ist. Danach bestand ein Bedarf an Netzreserveanlagen zur Behebung kritischer Netzsituationen, zu dessen Deckung die Verfügbarkeit des  streitgegenständlichen Kraftwerks sichergestellt sein muss. Dem steht nicht entgegen, dass die Netto-Nennleistung der streitgegenständlichen Kraftwerksblöcke jeweils 75 MW beträgt und ausweislich der Systemanalyse beide Blöcke in der bedarfsdimensionierenden Stunde  nur mit einer Teilleistung von 55 MW betrieben werden. Die Ausweisung einer entsprechenden Teilleistung von 55 MW kommt nicht in Betracht, da eine Abgrenzung zwischen einem systemrelevanten und einem nicht systemrelevanten Teil desselben Kraftwerksblocks technisch nicht möglich ist. Dieser bildet nach dem unbestrittenen Vorbringen der Bundesnetzagentur eine Einheit, die technisch nicht teilbar ist, so dass die in § 13f Abs.1 S. 1 EnWG vorgesehene Möglichkeit, die Teilleistung einer Anlage als systemrelevant auszuweisen, im Streitfall keine Anwendung findet. Dies kommt nur bei Sachverhalten in Betracht, bei denen die Anlagen in tatsächlicher und technischer Hinsicht teilbar sind.</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">5.</span></strong> Rechtsfehlerfrei hat die Bundesnetzagentur die beantragte Ausweisung über einen Zeitraum von 24 Monaten, beginnend ab dem 21.11.2017, genehmigt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist der Ausweisungszeitraum nicht willkürlich festgelegt worden. Weder fehlt es an einer sachlichen Begründung noch beruht die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen.</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 13f Abs. 1 S. 3 EnWG soll die Ausweisung einen Zeitraum von 24 Monaten nicht überschreiten, es sei denn, die Systemrelevanz wird durch eine Systemanalyse für einen längeren Zeitraum nachgewiesen. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber die Ausweisung für einen Zeitraum von 24 Monaten als Regelfall ansieht. Nach Ablauf dieses Zeitraums muss die Systemrelevanz erneut geprüft werden und auf Grundlage dieser neuen Prüfung können auf Antrag der Übertragungsnetzbetreiber Gaskraftwerke erneut für 24 Monate als systemrelevant ausgewiesen werden.</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Der Einwand der Beschwerdeführerin, die 24-Monatsfrist des § 13f EnWG sei durch die Ausweisung im Jahr 2017 überschritten worden, weil sich diese an die Ausweisungen der Jahre 2013 und 2015 anschließe, ist zurückzuweisen. Die für die beantragte Ausweisung maßgebliche Regelung des § 13f EnWG sieht eine regelmäßige Höchstdauer von 24 Monaten vor. Für die beantragte Ausweisung hat die Bundesnetzagentur auf den entsprechenden Antrag der Beteiligten die Systemrelevanz des streitgegenständlichen Heizkraftwerks bezogen auf den Zeitraum der folgenden, sich an die Antragstellung anschließenden 24 Monate geprüft. Für die Frage, ob Systemrelevanz für diesen Zeitraum anzunehmen ist, bleiben frühere Ausweisungen außer Betracht.</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Nach den Ergebnissen der Netzreservebedarfsfeststellung bzw. der dieser zugrundeliegenden Systemanalyse war die Ausweisung für diesen Zeitraum erforderlich. Danach kann die Nichtverfügbarkeit der streitgegenständlichen Kraftwerksblöcke während des Genehmigungszeitraums zu einer Gefährdung oder Störung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems führen. Im Entscheidungszeitpunkt bestand nach den geprüften und bestätigten Erkenntnissen der Systemanalyse ein Bedarf an Netzreserve bis zum Jahr 2019, der sich bei der Nichtverfügbarkeit des streitgegenständlichen Heizkraftwerks erhöht hätte: Die Bundesnetzagentur hat für das Winterhalbjahr 2017/2018 und darüber hinaus für den Zeitraum bis zum 31.03.2019 den Netzreservebedarf durch Prüfung und Bestätigung der Systemanalyse der Übertragungsnetzbetreiber festgestellt. Ausweislich der im Rahmen der Systemanalyse durchgeführten Marktsimulation sind die streitgegenständlichen Kraftwerksblöcke jeweils in der bedarfsdimensionierenden Stunde unstreitig mit einer Leistung von 55 MW in Betrieb. Die Notwendigkeit der Ausweisung als systemrelevant ist auch über den 31.03.2019 hinaus bis zum Ablauf des beantragten Zeitraums am 21.11.2019 zu bejahen. Die Systemanalyse bzw. die Netzreservebedarfsfeststellung belegen, dass die Anlage innerhalb des beantragten Ausweisungszeitraums in der bedarfsdimensionierenden einen Stunde zum Einsatz kommen kann. Anhaltspunkte dafür, dass in dem Zeitraum vom 31.03.2019 bis zum 21.11.2019 Umstände eintreten, die zu einer anderweitigen Bewertung der potentiellen Netzengpass-Situation und der Notwendigkeit der Verfügbarkeit des streitgegenständlichen Kraftwerks führen, sind nicht ersichtlich und werden von der Beschwerdeführerin auch nicht aufgezeigt.</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Ausweisung des streitgegenständlichen Kraftwerks als systemrelevant für 24 Monate auch nicht deswegen willkürlich, weil im Hinblick auf andere Kraftwerke kürzere Ausweisungszeiträume genehmigt worden seien. Soweit die Beschwerdeführerin hierdurch auf die unterschiedlichen Ausweisungszeiträume nach § 13b EnWG und § 13f EnWG für das Kraftwerk Irsching IV Bezug nimmt und geltend macht, es sei sachfremd, bei gleicher Datengrundlage im Rahmen von Stilllegungsanträgen nach § 13b EnWG kürzere Zeiträume als erforderlich zu genehmigen, ist ihre Argumentation zurückzuweisen. Nach der Gesetzeskonzeption müssen die Ausweisungen nach § 13b und § 13f EnWG nicht zwingend zeitlich parallel verlaufen. Gemäß § 13b Abs. 4 S. 2 EnWG können Übertragungsnetzbetreiber Kraftwerke, die der Betreiber vorläufig stilllegen will, für 24 Monate als systemrelevant ausweisen und die vorläufige Stilllegung damit verhindern. Der Beginn dieser Frist hängt notwendig von dem Termin ab, zu dem der Betreiber die Anlage stilllegen möchte bzw. an dem er die geplante Stilllegung anzeigt. Der Lauf der Frist für die Ausweisung als systemrelevant nach § 13f Abs. 1 S. 2 und 3 EnWG beginnt dagegen mit der Antragstellung. Infolgedessen können die einzelnen Ausweisungen, auch wenn sie ein- und dasselbe Kraftwerk betreffen, an unterschiedlichen Terminen enden, so dass die unterschiedliche Dauer der Genehmigungen nicht auf sachfremden Erwägungen beruht.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">6.</span></strong> Die Ausweisung als systemrelevant ist auch nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unzumutbar. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in die Grundrechte der Berufsausübung und Eigentumsfreiheit ist verhältnismäßig und damit rechtmäßig. Er ist zur Erhaltung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne. Insbesondere bestehen angesichts der damit verbundenen Rechtsfolgen keine Zweifel daran, dass mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen. So werden Betreiber systemrelevanter Anlagen zunächst bei der Gasversorgung privilegiert. Im Falle eines Brennstoffwechsels erfolgt eine finanzielle Kompensation. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, es fiele durch die Ausweisung als systemrelevant zusätzlicher Personal- und Arbeitsaufwand an, fehlt es bereits – worauf die Bundesnetzagentur zu Recht hinweist - an überprüfbarem Vortrag. Ihr Vorbringen, die Ausweisung mache den geplanten Rückzug aus der fossilen Versorgung unmöglich, rechtfertigt eine andere Bewertung nicht. Es ist bereits nicht ersichtlich, wie die Ausweisung einer Dekarbonisierung entgegenstehen sollte. Die Beschwerdeführerin ist allenfalls an der Stilllegung ihrer Anlagen gehindert.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">                                                                                    <strong><span style="text-decoration:underline">C.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 S. 1 EnWG. Angesichts der Erfolglosigkeit der Beschwerde, der aktiven Beteiligung der Beteiligten am Beschwerdeverfahren, sowie ihres erheblichen Interesses am Verfahrensausgang entspricht es der Billigkeit, der unterliegenden Beschwerdeführerin die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Aufwendungen der Bundesnetzagentur und der Beteiligten aufzuerlegen. Für die von der Beschwerdeführerin angeregte Anwendung des § 155 Abs. 4 VwGO ist kein Raum. Ihre Auffassung, die Bundesnetzagentur habe durch eine schuldhaft rechtsfehlerhafte Verfahrensführung, insbesondere durch eine unzureichende Begründung des Beschlusses, den Anlass für eine gerichtliche Überprüfung gesetzt, geht fehl.</p>
<h1><strong><span style="text-decoration:underline">D</span></strong><span style="text-decoration:underline">.</span></h1>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Der Senat hat die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die streitgegenständlichen Fragen grundsätzliche Bedeutung haben (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG).</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 546, 547 ZPO). Sie ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Die Rechtsbeschwerde kann auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts erhoben werden. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Es muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, § 55a Abs. 4 VwGO eingereicht werden. Die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen bestimmen sich nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung) vom 24.11.2017 (BGBl. I, S. 3803). Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen bei dem Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen eines Monats zu begründen. Die Frist beginnt mit der Einlegung der Beschwerde und kann auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Rechtsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Rechtsbeschwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§§ 88 Abs. 4 Satz 2, 80 Satz 2 EnWG).</p>
<span class="absatzRechts">104</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td></td>
<td></td>
<td></td>
</tr>
<tr><td></td>
<td></td>
<td></td>
</tr>
</tbody>
</table>
|
125,187 | ovgni-2018-12-19-9-la-4818 | {
"id": 601,
"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
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} | 9 LA 48/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-04T14:22:59 | 2019-02-12T11:30:54 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 10. Kammer - vom 29. Januar 2018 wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das Verfahren in beiden Rechtszügen auf jeweils 16.125,07 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses einen Bescheid des Beklagten gegen den Kläger über Wasser- und Abwassergebühren für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 sowie Vorauszahlungen für 2016 aufgehoben hat, hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte hatte den Kläger in den Jahren 2011 bis 2014 zu Wasser- und Abwassergebühren aufgrund von Schätzungen des Wasserzählerstands im Mehrfamilienhaus des Klägers herangezogen. Zuletzt schätzte er zum 31. Dezember 2014 den Wasserzählerstand auf 1.940 m³. Im Dezember 2015 las der Beklagte den Wasserzähler im Haus des Klägers ab. Der Zählerstand betrug 4.559 m³. Mit dem hier streitigen Bescheid vom 25. Januar 2016 zog der Beklagte den Kläger zu Wasser- und Abwassergebühren für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 heran und legte seiner Berechnung die Differenz zwischen dem zum 31. Dezember 2014 geschätzten Zählerstand (1.940 m³) und dem im Dezember 2015 abgelesenen Zählerstand (4.559 m³) zugrunde. Aus dem so ermittelten Gesamtverbrauch von 2.619 m³ ergab sich eine Wassergebühr von 2.018,77 EUR sowie eine Abwassergebühr von 9.732,30 EUR, mithin ein Gesamtbetrag in Höhe von 11.751,07 EUR. Auf der Grundlage dieser Abrechnungsmengen setzte der Beklagte außerdem die Abschlagsbeträge für das Folgejahr fest.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage in dem angefochtenen Urteil vom 29. Januar 2018 statt und hob den Bescheid insgesamt auf. Zur Begründung führte es aus, der Bescheid könne sich hinsichtlich der Festsetzung der Gebühr für die Wasserversorgung nicht auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen, weil in der Satzung des Beklagten über die Erhebung von Beiträgen und Entgelten für die Wasserversorgung des Wasser- und Abwasserverbandes Osterholz, Landkreis Osterholz vom 19. Dezember 2000 in der Fassung vom 10. Dezember 2013 Regelungen über den Gebührenmaßstab für die Wasserversorgungsgebühr und über die Entstehung der Gebührenschuld fehlten. Außerdem habe der Beklagte sowohl die Wasser- als auch die Abwassergebühr überhöht festgesetzt. Der Beklagte habe bei der Ermittlung des Frischwasserbezugs von dem im Dezember 2015 abgelesenen Zählerstand 2015 den am Ende des Jahres 2014 geschätzten Zählerstand subtrahiert. Damit habe der Beklagte nicht versucht, den tatsächlichen Wasserverbrauch im klägerischen Hausgrundstück im Veranlagungszeitraum abzubilden, sondern er habe auch solche Verbrauchsmengen zugeschlagen, die in Wirklichkeit schon in vorherigen Veranlagungszeiträumen angefallen seien.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die hiergegen erhobenen Einwände des Beklagten im Zulassungsverfahren vermögen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>1. Das Verwaltungsgericht hat mit seinem angegriffenen Urteil den Gebührenbescheid vom 25. Januar 2016 insgesamt aufgehoben und damit nicht nur hinsichtlich der für das Jahr 2015 festgesetzten Wasser- und Abwassergebühren, sondern auch betreffend die in dem Gebührenbescheid für das Jahr 2016 festgesetzten Abschläge (Vorauszahlungen), die nach Klageerhebung durch den Gebührenbescheid vom 24. Januar 2017 abgelöst worden sein dürften. Es kann dahinstehen, ob diese (mit dem Klageantrag übereinstimmende) uneingeschränkte Aufhebung des Gebührenbescheides ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung begründet, weil der Vortrag des Beklagten im Zulassungsverfahren insoweit keine Darlegungen enthält.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>2. Zutreffend ist allerdings der Einwand des Beklagten, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Abgabensatzung für die Wasserversorgung entspreche nicht den Anforderungen des § 2 NKAG, weil sie keine Regelungen des Gebührenmaßstabes für die Wasserversorgungsgebühr und über die Entstehung der Gebührenschuld enthalte, begegne ernstlichen Zweifeln, weil er die Satzung zwischenzeitlich mit Rückwirkung zum 1. Januar 2015 geändert und die beanstandeten Satzungsmängel behoben habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Verbandsversammlung des Beklagten hat in ihrer Sitzung am 21. Februar 2018 eine Satzung zur 7. Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Entgelten für die Wasserversorgung des Wasser- und Abwasserverbandes Osterholz, Landkreis Osterholz vom 19. Dezember 2000 in der Fassung vom 18. Oktober 2017 (im Folgenden: Abgabensatzung für die Wasserversorgung) beschlossen und die Vorschriften in den §§ 8 und 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung neugefasst. Nach Abschnitt II. der 7. Änderungssatzung ist diese Satzung rückwirkend zum 1. Januar 2015 in Kraft getreten. Die entsprechenden Vorschriften der Abgabensatzung für die Wasserversorgung in der Fassung vom 18. Oktober 2017 sind zugleich außer Kraft getreten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte hat mit dieser Neufassung die vom Verwaltungsgericht gerügten Fehler in den §§ 8 und 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung rückwirkend geheilt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Er hat nunmehr in § 8 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung eine Regelung über den Gebührenmaßstab getroffen. In § 8 Satz 2 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung ist jetzt geregelt, dass die Grundgebühr nach der Größe des eingebauten Wasserzählers bemessen wird. Nach § 8 Satz 3 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung wird das „Mengenpreisentgelt“ nach der Wassermenge bemessen, die aus der öffentlichen Wasserversorgungsanlage entnommen wird. Berechnungseinheit für das „Mengenpreisentgelt“ ist 1 cbm Wasser. Gemäß § 8 Ziffern 1.1.1 und 1.1.2 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung bestimmt sich die Höhe der Grundgebühr nach „QN“. Was unter „QN“ zu verstehen ist, wird in der Satzung zwar nicht definiert. Da aber nach § 8 Satz 2 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung die Grundgebühr nach der Größe des eingebauten Wasserzählers bemessen wird, lässt sich hieraus – anders als der Kläger meint – hinreichend entnehmen, dass damit auf den zulässigen Grundgebührenmaßstab nach der Nenngröße des Wasserzählers (QN) abgestellt wird. Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Verhältnis der Grundgebühr (§ 8 Ziffer 1.1) und der Mengenpreise (= Verbrauchsgebühr i. S. v. § 8 Ziffer 1.2) eindeutig geregelt. Denn § 8 Satz 1 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung bestimmt, dass sich das Benutzungsentgelt aus einer Grundgebühr und einem „Mengenpreisentgelt“ (Verbrauchsgebühr) zusammensetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte hat zudem in § 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung eine Regelung über das Entstehen der Gebührenschuld getroffen. In § 11 Ziffer 2 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung ist nunmehr geregelt, dass die Gebührenschuld jeweils mit dem Ende des Erhebungszeitraumes entsteht. Erlischt die Gebührenpflicht vor Ablauf des Erhebungszeitraumes, so entsteht die Gebührenschuld mit dem Ende der Gebührenpflicht. Ohne Erfolg rügt der Kläger, der Begriff „Erhebungszeitraum“ sei in     § 11 Ziffer 1 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung unklar definiert. In § 11 Ziffer 1 ist eindeutig geregelt, dass Erhebungszeitraum das Kalenderjahr ist. Weiter ist darin bestimmt, dass, wenn die Gebührenpflicht während des Kalenderjahres entsteht, der Restteil des Jahres der Erhebungszeitraum ist. Damit ist offensichtlich der Restteil des „Kalenderjahres“ gemeint (hierzu im Einzelnen: Lichtenfeld in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2018, § 6 Rn. 721a).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die rückwirkende Inkraftsetzung der Regelungen in §§ 8 und 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung zum 1. Januar 2015 begegnet im Zulassungsverfahren keinen Bedenken im Hinblick auf § 2 Abs. 2 NKAG und stellt entgegen der Auffassung des Klägers keine unzulässige echte Rückwirkung dar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Voraussetzungen für eine zulässige Rückwirkung von Abgabensatzungen nach dem niedersächsischen Landesrecht sind in § 2 Abs. 2 NKAG geregelt und in der Rechtsprechung des Senats geklärt (vgl. nur Senatsurteil vom 16.2.2016 – 9 KN 288/13 – juris Rn. 40; Senatsbeschluss vom 21.11.2006 – 9 ME 214/06 –; Lichtenfeld in: Driehaus, a. a. O., § 6 Rn. 724). Danach kann eine Gebührensatzung dann rückwirkend geändert werden, wenn dadurch Bedenken der Rechtsprechung an ihrer Wirksamkeit ausgeräumt werden sollen und dem rückwirkenden Inkraftsetzen kein schützenswertes Vertrauen der betroffenen Gebührenpflichtigen entgegensteht (vgl. Senatsurteil vom 30.11.2009 – 9 LB 415/07 – juris Rn. 29). Der Zweck der satzungsmäßigen Rückwirkungsanordnung besteht in der Regel darin, noch nicht unanfechtbar gewordenen Heranziehungen nachträglich eine sichere Rechtsgrundlage zu verschaffen (vgl. Senat, Beschluss vom 29.7.2009 – 9 ME 36/09 – n. v.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>So liegt der Fall hier. Mit der 7. Änderungssatzung zur Abgabensatzung für die Wasserversorgung hat der Beklagte rückwirkend zum 1. Januar 2015 die für den hier maßgeblichen Zeitraum vom Verwaltungsgericht gerügten Satzungsmängel behoben. Die Rückwirkungsanordnung wirkt auf den 1. Januar 2015 zurück und insoweit auf noch nicht abgeschlossene Sachverhalte. Gegen das grundsätzlich zulässige unecht rückwirkende Inkrafttreten von – Satzungsmängel behebenden – Regelungen zum Gebührenmaßstab und zum Gebührensatz bestehen keine vertrauensschutzrechtlichen Bedenken. Es gibt keinen Vertrauensschutz dahin, dass ein Abgabenpflichtiger wegen der Unwirksamkeit vorangegangener Abgabensatzungen von Abgaben mit Gegenleistungscharakter verschont bleibt, weil niemand erwarten kann, dass ihm eine ihrem Wesen nach entgeltpflichtige Leistung unentgeltlich gewährt wird (Freese in: Rosenzweig/Freese/v. Waldthausen, NKAG, Stand: März 2018, § 2 Rn. 80 m. w. N.; vgl. auch Holtbrügge in: Driehaus, a. a. O., § 2 Rn. 33).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die rückwirkende Neufassung der beiden Regelungen in § 8 und § 11 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung zum 1. Januar 2015 bewegt sich somit innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen (§ 2 Abs. 2 NKAG) und hat auch keine Schlechterstellung der Gesamtheit der Abgabepflichtigen zur Folge (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG). Es sind lediglich der Gebührenmaßstab und der Erhebungszeitraum konkretisiert worden, ohne dass sich dadurch die Gebührenhöhe für die Gebührenpflichtigen ändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>3. Der Beklagte hat aber die weitere, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts selbständig tragende Feststellung, dass die Festsetzung der Wasser- und der Abwassergebühren für 2015 überhöht und damit rechtswidrig sei, nicht mit seinem Zulassungsvorbringen entkräftet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht ist zu der Einschätzung gelangt, dass der Beklagte im Rahmen seiner Schätzung des Wasserverbrauchs keine tatsächlichen, bemessungsrelevanten Umstände berücksichtigt habe. Er habe mit seiner „Schätzung“ eines Wasserverbrauchs im Jahr 2015 von 2.619 m³ nicht versucht, den tatsächlichen Wasserverbrauch im klägerischen Hausgrundstück im Veranlagungszeitraum abzubilden. Vielmehr habe er diesem Veranlagungszeitraum zur Überzeugung des Gerichts auch solche Verbrauchsmengen zugeschlagen, die in Wirklichkeit schon in vorherigen Veranlagungszeiträumen angefallen seien.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Hiergegen wendet der Beklagte ein, dass der im vorhergehenden Abrechnungsbescheid vom 26. Januar 2015 geschätzte Zählerendstand der Wasseruhr für das Jahr 2014 zwar nicht in Bestandskraft erwachse und daher hinsichtlich der Höhe im angefochtenen Bescheid keine Bindungswirkung entfalte. Gleichwohl sei seine Schätzungsentscheidung, entsprechend dem Zählerendstand für das 2014 von einem Zähleranfangsstand für das Jahr 2015 von 1.940 m³ auszugehen, nicht zu beanstanden. Er habe sich an den durchschnittlichen abgelesenen Verbräuchen zwischen 308 und 680 m³ auf dem klägerischen Grundstück in den Jahren 2007 bis 2010 orientiert. Zudem sei der Kläger mit Schreiben vom 8. Mai 2013 und vom 4. November 2014 darüber unterrichtet worden, dass eine Schätzung durchgeführt worden sei und dass eine Ablesung der Wasseruhr ratsam sei. Dieser Mitteilung und Empfehlung sei der Kläger nicht nachgekommen, so dass auch für den streitgegenständlichen Erhebungszeitraum 2015 der Anfangswert habe geschätzt werden müssen. Offensichtlich habe sich das Nutzungsverhalten der Mietparteien des Klägers zwischenzeitlich verändert, was sich aus der Abrechnung im Bescheid vom 24. Januar 2017 für das Kalenderjahr 2016 ergebe, wenn dort ein abgelesener Verbrauch für das Kalenderjahr von 1.390 m³ festgestellt worden sei. Dieser festgestellte Verbrauch liege um mindestens 100 % höher als die abgelesenen Jahresverbräuche in den Jahren 2007 bis 2010. Die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich in diesem Zeitraum nicht verändert und seien zumindest nicht dem Beklagten bekannt gegeben worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Mit diesem Vortrag hat der Beklagte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts nicht dargetan.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Allerdings durfte der Beklagte die im Jahr 2015 entnommene Wassermenge sowohl für die Festsetzung der Wasser- als auch der Abwasserverbrauchsgebühr grundsätzlich schätzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Abgabensatzung des Beklagten für die Wasserversorgung bietet zwar keine Rechtsgrundlage für eine solche Schätzung. Die Satzung des Beklagten über die Erhebung von Beiträgen und Entgelten für die Abwasserbeseitigung des Wasser- und Abwasserverbandes Osterholz, Landkreis Osterholz vom 10. Dezember 2013 (im Folgenden: Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung) enthält in § 7 Nr. 3., 4. und 6. Schätzungsvorschriften, deren Tatbestände hier aber nicht einschlägig sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Eine Schätzung der Wassermenge ist jedoch aufgrund des § 11 Abs. 1 Nr. 4 b) Abs. 5 NKAG a. F. in Verbindung mit § 162 Abs. 1 Satz 1 AO zulässig. Danach hat die Körperschaft, der die Abgabe zusteht, die Grundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Diese Voraussetzung liegt hier vor. Gemäß § 8 Satz 3 der Abgabensatzung für die Wasserversorgung wird das „Mengenpreisentgelt“ nach der Wassermenge bemessen, die aus der öffentlichen Wasserversorgungsanlage entnommen wird. Nach § 7 Nr. 2.1 der Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung gilt „als in die öffentliche Abwasseranlage gelangt“ die dem Grundstück aus öffentlichen oder privaten Wasserversorgungsanlagen zugeführte und durch Wasserzähler ermittelte Wassermenge. Der Wasserzählerstand ist zwar am Ende des Jahres 2015 abgelesen worden, nicht jedoch der Wasserzählerstand zu Beginn des Jahres 2015. Diese Ablesung ließ sich nach Ablauf des Erhebungszeitraums für das Kalenderjahr 2015 auch nicht mehr nachholen. Da der Wasserzählerendstand im Jahr 2014 – wie der Wasserverbrauch in den Jahren 2011 bis 2014 insgesamt – ebenfalls nicht abgelesen, sondern nur geschätzt worden ist, können der Zähleranfangsstand für das Jahr 2015 und die im Jahr 2015 entnommene Wassermenge nicht mehr konkret ermittelt oder berechnet werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der Senat teilt jedoch die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Schätzung der entnommenen Wassermenge für den Erhebungszeitraum 2015 nicht fehlerfrei erfolgt ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Bei einer Schätzung sind gemäß § 162 Abs. 1 Satz 2 AO alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Die Schätzung muss von dem Bemühen getragen werden, dem wahren Sachverhalt möglichst nahe zu kommen (vgl. OVG Berl.-Bbg., Urteil vom 24.4.2013 – OVG 9 B 5.12 – juris Rn. 17 m. w. N.). Das Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Hierbei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Dabei muss ein Abgabenpflichtiger, der Veranlassung zur Schätzung gibt, hinnehmen, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen sich ausschlägt und sich die Behörde an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientiert (vgl. Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl. 2012, § 162 Rn. 36, 37, 38).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat und auch der Beklagte bestätigt, entfaltet der in dem Gebührenbescheid vom 26. Januar 2015 für das Abrechnungsjahr 2014 zum 31. Dezember 2014 geschätzte Zählerendstand von 1.940 m³ mangels entsprechender gesetzlicher Regelung keine Verbindlichkeit für andere Gebührenfestsetzungen. Denn dieser Bemessungsgrundlage kommt für die Gebührenfestsetzung im nachfolgenden Veranlagungszeitraum mangels gesonderter Feststellung im Sinne von §§ 179 ff. AO keine Bindungswirkung zu (vgl. Rüsken in Klein, a. a. O., § 157 Rn. 23 f.; VG Potsdam, Urteil vom 21.12.2011 – 8 K 1330/07 – juris Rn. 21). Mit der Bestandskraft des Bescheides vom 26. Januar 2015 hat der Kläger auch nicht den geschätzten Zählerendstand für das Abrechnungsjahr 2014 von 1.940 m³ zugleich als Zähleranfangsstand für den nächsten Veranlagungszeitraum 2015 akzeptiert und sich diesbezüglich jeglicher späterer Einwendungen begeben (siehe auch OVG Berl.-Bbg., Urteil vom 24.4.2013, a. a. O., Rn. 17).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte musste sich vielmehr für den Erhebungszeitraum vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2015 um ein möglichst wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis betreffend die entnommene Wassermenge bemühen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Dies ist hier nicht der Fall. Der Beklagte hätte bei seiner Schätzung berücksichtigen müssen, dass die für das Jahr 2015 aufgrund des geschätzten Zählerendstands für das Jahr 2014 angenommene Wassermenge in Höhe von 2.619 m³ den in den Vorjahren angenommenen Wert von (zuletzt) 500 m³ um mehr als das Fünffache übersteigt und deshalb nicht den wirklichkeitsnahen Wasserverbrauch eines Jahres abbildet. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, ist das Vorliegen eines außergewöhnlichen Verbrauchsereignisses im Jahr 2015 weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Senat teilt auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass sich die außerordentlich hohe, fünffache Steigerung des Verbrauchs im Jahr 2015 gegenüber dem Jahr 2014 nicht dadurch erklären lässt, dass im Laufe des Jahres 2015 in dem Haus des Klägers das Dachgeschoss ausgebaut und eine siebte (kleinere) Wohnung eingerichtet worden. Soweit der Beklagte meint, es liege ein offensichtlich verändertes Verbrauchsverhalten der Mietparteien des Klägers vor, das er nicht habe berücksichtigen können, vermag ein geändertes Verbrauchsverhalten eine fünffache Steigerung der Wassermenge innerhalb eines Jahres nicht zu erklären. Der Beklagte trägt selbst vor, es sei nicht erkennbar, dass sich die tatsächlichen Umstände erheblich verändert hätten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Soweit der Beklagte meint, er habe sich an den abgelesenen Jahresverbräuchen in den Jahren 2007 bis 2010 orientiert, genügt dies nicht dem Bemühen, dem wahren Sachverhalt betreffend den Wasserverbrauch im Jahr 2015 möglichst nahe zu kommen. Als Schätzmethode ist zwar u. a. der sog. Vorjahresvergleich anerkannt, mit dem die Besteuerungsgrundlagen auf der Grundlage der entsprechenden Angaben des Steuerpflichtigen für vorangegangene Zeiträume ermittelt und ggf. durch Vornahme von (Un)sicherheitszu- bzw. –abschlägen an die veränderten Verhältnisse des zu schätzenden Besteuerungsabschnitts angepasst werden (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Oktober 2018, § 162 Rn. 54). Der Beklagte hat hier aber keine Schätzung der Wasserentnahmemenge im Jahr 2015 anhand eines Vorjahresvergleichs vorgenommen. Er hat insbesondere nicht den Jahreswasserverbrauch des Jahres 2014 – den er auf 500 m³ geschätzt hatte – zugrunde gelegt und aufgrund etwaiger geänderter Umstände hochgerechnet. Er hat vielmehr lediglich den geschätzten Wasserzählerendstand für das Jahr 2014 als Zähleranfangsstand für das Jahr 2015 übernommen. Weitere Schätzungserwägungen, etwa anhand der Anzahl der im Haus lebenden Personen, hat er nicht getroffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Die auf diese Weise ermittelte, ungewöhnlich hohe Steigerung des Wasserverbrauchs lässt sich auch nach Überzeugung des Senats nur dadurch erklären, dass die Schätzungen des Beklagten für die vorhergehenden Veranlagungszeiträume offenbar zu niedrig gewesen sind und in den vergangenen Jahren jeweils höhere Verbrauchsmengen angefallen waren. Dies zeigt der Vergleich mit dem abgelesenen Wasserverbrauch im nachfolgenden Kalenderjahr 2016 gemäß Bescheid vom 24. Januar 2017 in Höhe von 1.390 m³, der damit deutlich über der jeweils in den Jahren 2011 bis 2014 geschätzten Wassermenge von 500 m³ liegt. Dieser für das Jahr 2016 ermittelte Wasserverbrauch macht überdies nur die Hälfte der für das Jahr 2015 geschätzten Wassermenge aus. Dies spricht ebenfalls dagegen, dass die für das Jahr 2015 angenommene Wassermenge einen wirklichkeitsnahen Wasserverbrauch abbildet. Außerdem beruhten bereits die angenommenen Wassermengen für die vier Jahre 2011, 2012, 2013 und 2014 nur auf Schätzungen anhand der in den Jahren 2007 bis 2010 ermittelten Wassermengen, ohne dass der Wasserzähler in den Jahren 2011 bis 2014 abgelesen worden wäre. Der Beklagte konnte schon aufgrund dieses langen Zeitraums und des Umstands, dass mehrere Parteien in dem Mehrfamilienhaus wohnen, nicht davon ausgehen, dass der jährliche Wasserverbrauch seit 2007 stets jährlich nur durchschnittlich 500 m³ betragen würde. Im Übrigen gab es schon bei den abgelesenen Wassermengen in den Jahren 2007 bis 2010 Schwankungen. Im zuletzt abgelesenen Jahr 2010 betrug die Wassermenge bereits mehr als 500 m³, nämlich 680 m³.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Ohne Erfolg wendet der Beklagte ein, die Unsicherheit und Fehlertoleranz der Schätzung gehe zu Lasten des Klägers, der als Grundstückseigentümer und Abgabepflichtiger dafür Sorge zu tragen habe, dass die Ablesewerte dem Beklagten mitgeteilt würden, und zudem durch Schreiben vom 8. Mai 2013 und 4. November 2014 darauf hingewiesen worden sei, den abgerechneten Wasserzählstand zu überprüfen. Es trifft zwar zu, dass ein Steuerpflichtiger, der Veranlassung zur Schätzung gibt, es im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung hinnehmen muss, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt (Seer in: Tipke/Kruse, a. a. O., § 162 Rn. 44). Es kann hier aber dahinstehen, ob der Kläger Veranlassung zur Schätzung gegeben hat. Wer verpflichtet ist, den Wasserzähler abzulesen, ergibt sich jedenfalls nicht aus den vorliegenden Satzungsbestimmungen (§ 7 Ziffer 4 i. V. m. Ziffer 2.2 der Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung ist hier nicht einschlägig). Hierauf kommt es vorliegend jedoch auch nicht an, weil bereits nicht festgestellt werden kann, dass sich der Beklagte um ein möglichst wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis bemüht hätte. Die dargelegten Umstände sprechen vielmehr dafür, dass der Beklagte dem Veranlagungszeitraum Verbrauchsmengen zugeschlagen hat, die tatsächlich schon in vorherigen Erhebungszeiträumen angefallen sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte rügt erfolglos, das Verwaltungsgericht hätte den streitgegenständlichen Bescheid vom 25. Januar 2016 nicht vollumfänglich aufheben, sondern hätte eine eigene Schätzung vornehmen können und müssen. Den Verwaltungsgerichten steht, anders als den Finanzgerichten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), eine eigenständige Schätzungsbefugnis nicht zu (noch offengelassen im Senatsurteil vom 28. Februar 2018 – 9 LC 217/16 – juris Rn. 87; s. a. BayVGH, Urteil vom 14.7.2016 – 20 B 15.565 – juris Rn. 14). Im Übrigen kann das Gericht zwar die gewählte Schätzungsmethode und das Ergebnis der Schätzung überprüfen und dieses bei Fehlern in der Höhe korrigieren (Senatsurteil vom 28. Februar 2018, a. a. O., Rn. 87). Eine solche Korrektur in der Höhe ist dem Gericht im vorliegenden Fall jedoch nicht möglich gewesen, weil hier – anders als in dem Fall, dem das zitierte Senatsurteil vom 28. Februar 2018 zugrunde lag – bereits die vom Beklagten vorgenommene Schätzmethode, den auf bereits einer Schätzung beruhenden Wasserzählerendstand des Vorjahres zu übernehmen, wie oben dargelegt ungeeignet ist. Weitere Schätzungserwägungen, die das Gericht hätte überprüfen und ggf. korrigieren können, hat der Beklagte nicht vorgenommen. Soweit der Beklagte darauf verweist, dem Gericht wäre eine Schätzung auf der Grundlage des Umstands möglich gewesen, dass für das Jahr 2016 auf dem Grundstück ein Frischwasserverbrauch durch Ablesung mit 1.390 m³ ermittelt worden ist, kann der Vergleich mit dem Folgejahr zwar eine geeignete Schätzungsmethode sein. Der Beklagte hat jedoch eine eigene Schätzungsentscheidung vorzunehmen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 39, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Sie berücksichtigt, dass bei der beantragten und entschiedenen vollumfänglichen Aufhebung des Gebührenbescheides die jeweiligen Festsetzungen der Wassergebühr für 2015 (2.018,77 EUR), der Abwassergebühr für 2015 (9.732,30 EUR) und der Vorauszahlungen für 2016 (6 x 729 EUR = 4.374 EUR) zu addieren sind. Gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG wird die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung entsprechend geändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerden des Antragstellers und des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 26. Oktober 2018 werden zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Beteiligten tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 14.400,00 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller wendet sich gegen die Nutzungsuntersagung für die Vermietung eines Einfamilienhauses als Arbeitnehmerunterkunft; er meint diese sei als „Wohnen“ von der bestehenden Baugenehmigung gedeckt. Der Antragsgegner verteidigt seine vom Verwaltungsgericht beanstandete Störerauswahl.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstück C. 1 in A-Stadt, in einem durch Bebauungsplan festgesetzten eingeschränkten allgemeinen Wohngebiet. Das darauf errichtete Wohnhaus verfügt über eine Baugenehmigung vom 30.9.1998 als „Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Garage“ mit einer Wohnfläche von 173,09 m² und einer Nutzfläche von 60,19 m². Im April 2018 stellte der Antragsgegner fest, dass der Antragsteller das Gebäude an insgesamt 12, zeitweise nach Meldeauskunft sogar 14 ausländische Arbeitskräfte eines nahegelegenen Betriebes vermietet habe, wozu er auch einen oberhalb der Garage gelegenen, in den genehmigten Bauvorlagen als „nicht ausgebaut“ dargestellten Raum in zwei Schlafräume und einen Flurbereich mit Küchenzeile umgebaut habe. Darauf untersagte er dem Antragsteller mit dem angegriffenen Bescheid vom 3.7.2018 unter Anordnung des Sofortvollzugs die weitere Nutzung sowie Weitervermietung des o.g. Wohnhauses zu Zwecken der Arbeitnehmerunterbringung; die Nutzung sei innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung aufzugeben. Ferner drohte er ein Zwangsgeld von 5000 € an. Die Mieter erhielten Duldungsverfügungen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Dem Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht teilweise stattgegeben. Sein fristgerecht eingelegter Widerspruch werde voraussichtlich Erfolg haben, soweit er die gegenwärtige Nutzung untersage, d.h. den Antragsteller zur Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse auffordere. Die Effektivität der Gefahrenabwehr erfordere es grundsätzlich, die Nutzungsuntersagung direkt gegenüber den Nutzern, d.h. den Mietern auszusprechen. Ein Ausnahmefall, in dem dies wegen ständig wechselnder, für die Behörde unübersichtlicher Mietverhältnisse untunlich sei, liege nicht vor; unter den Mietern habe es bisher relativ wenig Fluktuation gegeben, zudem sei es dem Antragsgegner auch möglich gewesen, allen Mietern Duldungsverfügungen zuzustellen. Voraussichtlich erfolgreich werde auch der Widerspruch gegen die Zwangsgeldandrohung sein, da diese nicht zwischen den verschiedenen untersagten Handlungen – Fortführung der bisherigen Nutzung und Weitervermietung – unterscheide. Offen, aber vermutlich zu verneinen, seien die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen das Weitervermietungsverbot. Nach den vom Senat in seinem Beschluss vom 18.9.2015 – 1 ME 126/15 – formulierten Grundsätzen seien zwar die vom Antragsgegner herangezogenen Kriterien – eine Nutzung einer entsprechend großen Wohneinheit durch bis zu fünf Personen würde stets, durch bis zu acht Personen bei Vorlage weiterer Nachweise als Wohnnutzung anerkannt, eine höhere Belegung nie – nicht geeignet, unabhängig von den Umständen des Einzelfalls das Vorliegen einer Wohnnutzung i.S.d. BauNVO zu beurteilen. Auch weise der Fall Parallelen zu dem Fall auf, in dem der Senat (a.a.O.) eine Wohnnutzung noch bejaht habe. Hier habe der Antragsteller in die Wohnnutzung aber Räume einbezogen, für die eine solche Nutzung nicht genehmigt seien. Selbst unter Berücksichtigung dieser Räume stünden jedoch für bis zu 14 Personen nur ca. 220 m², nur eine vollwertige Küche und eine kleine Küchenzeile zur Verfügung. Diese Belegung überschreite die Nutzung, die sich aus den 1989 genehmigten Bauvorlagen ergebe; dort sei das Gebäude als Einfamilienhaus bezeichnet und auch als solches konzipiert; hierauf sei auch der Stellplatzbedarf abgestimmt. Das Nutzungskonzept des Antragstellers ziele nicht auf die Bereitstellung einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit für die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises. Die Räume seien spartanisch eingerichtet und sollten möglichst jeweils doppelt belegt werden. Der Mietvertrag bezeichne nicht einmal die Zimmer, die für die einzelnen Nutzer zur Verfügung stünden. Der monatliche Mietpreis von 290,- €/Person (warm) ergebe einen Ertrag, der für eine übliche Wohnnutzung nicht erzielt werden könne. Eine Vermietung auf Dauer an eine Nutzergruppe (Wohngemeinschaft) sei offenbar nicht geplant, auch wenn einige Nutzer durch verwandtschaftliche oder sonstige Beziehungen miteinander verbunden seien. Nach den Feststellungen des Antragsgegners fehle ein Gemeinschaftsraum. Rückzugsmöglichkeiten außerhalb der Doppelzimmer bestünden nicht. Selbst wenn die Nutzung noch dem Wohnen zugeordnet sei, sei offen, ob sie noch im festgesetzten allgemeinen Wohngebiet gebietsverträglich sei. Offenkundig genehmigungsfähig sei die Nutzung nicht. Die bei offenen Erfolgsaussichten vorzunehmende Interessenabwägung gehe zu Lasten des Antragstellers aus; die ungenehmigte Nutzung der Räume oberhalb der Garage sei ohnehin nicht schutzwürdig. Im Übrigen sei das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers deshalb gering, da das Haus gegenwärtig „voll belegt“ sei und eine Neuvermietung nicht konkret in Rede stehe; sollte das Neuvermietungsverbot bis zur Hauptsacheentscheidung teilweise relevant werden, sei dies mit Blick auf die immer noch hohen Einnahmen aus den verbleibenden Mietverhältnissen vertretbar. Zu berücksichtigen sei auch, dass von der Nutzung eine unerwünschte Vorbildwirkung ausgehen könne.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Gegen den Beschluss haben beide Beteiligten fristgerecht Beschwerde erhoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>1. Die Beschwerde des Antragstellers, auf deren fristgemäß vorgetragene Gründe sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, ist unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Sein Vortrag, nach seiner aktuellen Berechnung betrage die Wohnfläche im Erdgeschoss 132,19 m², im Obergeschoss 145,82 m², insgesamt also 278,02 m² zuzüglich Nutzfläche, ist unbeachtlich; insofern bestand kein Anlass, die in der Beschwerdebegründung vom 30.11.2018 angekündigten, aber nicht vorgelegten Grundrisspläne nachzufordern. Denn das Verwaltungsgericht hat sich – selbständig tragend – auf UA S. 12 f. darauf gestützt, etwaige Erweiterungen der Wohnfläche gegenüber dem mit Bauschein vom 30.9.1998 genehmigten Bestand seien bereits formell illegal und nicht offensichtlich genehmigungsfähig, könnten bei der Beurteilung des den Mietern zur Verfügung stehenden Wohnraums mithin nicht mit berücksichtigt werden. Das hat der Antragsteller nicht mit Beschwerdegründen angegriffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Dahinstehen kann, ob bereits die formelle Illegalität der Nutzung eines Teils des Wohnhauses die Nutzungsuntersagung insgesamt rechtfertigt, oder ob die Möglichkeit hätte in Betracht gezogen werden müssen, nur die Nutzung der in den Bauvorlagen nicht als Wohnraum dargestellten Räume zu untersagen. Denn dies würde voraussetzen, dass die verbleibende Nutzung der genehmigten Wohnfläche von 173,09 m² mit zwei Bädern und einer Küche für dann freilich nur noch bis zu 10 Personen als „Wohnen“ von der Baugenehmigung gedeckt oder offenkundig genehmigungsfähig wäre. Diesbezüglich greifen die vom Verwaltungsgericht für eine unterstellte Wohnfläche von ca. 220 m² mit zwei Kochgelegenheiten bei bis zu 14 Personen angestellten Erwägungen sinngemäß. Entgegen der Auffassung des Antragstellers durfte das Verwaltungsgericht bei seiner Einschätzung, ob die vom Antragsteller bislang praktizierte und daher auch im Falle einer Neuvermietung zu erwartende Nutzungsform als „Wohnen“ gelten kann, auch die spartanische Einrichtung der Mieträume berücksichtigen. Dass die Ausstattung der Räume ein für die Beurteilung des Wohncharakters der Nutzungsform maßgeblicher Gesichtspunkt ist, hat der Senat in seinem Beschluss vom 18.9.2015 (a.a.O., juris Rn. 10) angenommen. Dies bedeutet nicht, dass der Antragsteller, wie er meint, verpflichtet wäre, die Räumlichkeiten aufwendiger als bisher auszustatten. Entscheidend ist, dass die Belegungsdichte in Verbindung mit den – für den Vermieter erkennbaren – voraussichtlichen Nutzungsmodalitäten der Mieter nicht die Einrichtung eines häuslichen Wirkungskreises erwarten lässt; hierfür dürfen die Behörde und das Verwaltungsgericht durchaus die Einrichtungsgepflogenheiten des bisherigen, im Wesentlichen gleichen, Nutzerkreises berücksichtigen. Ob die Höhe der vom Antragsteller erzielten Mieteinnahmen gegen eine Einstufung der Nutzung als „Wohnen“, jedenfalls als das nach Ansicht des Verwaltungsgerichts allein genehmigte „einfamilienhaustypische Wohnen“ sprechen, kann dahinstehen; denn auch ohne Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes rechtfertigen die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Indizien die Bewertung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs als zumindest offen. Ohne Erfolg rügt der Antragsteller schließlich, die Bewertung der Stellplatzsituation durch das Verwaltungsgericht sei rein theoretischer Natur, da nur ein Mieter ein Fahrzeug besitze. Er verkennt dabei, dass die Erwägungen des Verwaltungsgerichts das Neuvermietungsverbot und damit nicht die gegenwärtige Nutzung betreffen. Dass bei einer Vermietung an eine Vielzahl von Nutzern der Stellplatzbedarf nach anderen Kriterien zu bewerten ist als bei einer Einfamilienhausnutzung – allein darauf kam es dem Verwaltungsgericht bei Thematisierung der Stellplatzfrage auf UA S. 13 an –, ist zutreffend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die an die Einstufung der Erfolgsaussichten als offen anknüpfende Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller nicht mit Beschwerdegründen angegriffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>2. Die ausschließlich gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Nutzungsuntersagung, nicht aber gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Zwangsgeldandrohung gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat ebenfalls keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Dass, wie der Antragsgegner ausführt, der Eigentümer einer unzulässig genutzten Wohnung nach § 56 Satz 1 NBauO grundsätzlich möglicher Adressat einer bauaufsichtlichen Anordnung sein kann, verkennt das Verwaltungsgericht nicht. Zutreffend und vom Verwaltungsgericht nicht in Frage gestellt ist auch sein Ansatz, dass es im Rahmen der Störerauswahl auf Ermessensebene grundsätzlich geboten ist, denjenigen zuerst in Anspruch zu nehmen, der mit dem geringstmöglichen Aufwand baurechtmäßige Zustände herbeiführen kann. Nach der Rechtsprechung u.a. des Senats (vgl. Beschl. v. 11.9.2015 – 1 ME 118/15 -, juris Rn. 10) ist dies grundsätzlich nicht der Eigentümer, sondern der unmittelbare Nutzer. Dieser kann die Nutzung tatsächlich aufgeben, ohne (in der Regel) den Eigentümer um Erlaubnis fragen zu müssen. Der Eigentümer ist darauf angewiesen, seinerseits – etwa durch Kündigung und ggf. nachfolgende Räumungsklage – auf den Mieter dahingehend einzuwirken, dass er das vollzieht, was die Behörde auch direkt ihm gegenüber erzwingen könnte. Die Hinnahme der damit verbundenen Verdoppelung der Vollstreckungsverzögerungen und –risiken ist regelmäßig ermessensfehlerhaft. Ausnahmen erkennt die Rechtsprechung insbesondere bei der Nutzung von Räumen zu Zwecken der Prostitutionsausübung an. Mitbestimmend ist dabei neben der für die Bauaufsichtsbehörde typischerweise unübersichtlichen Fluktuation der Mietverhältnisse und der mitunter schwierigen Erreichbarkeit der unmittelbaren Nutzerinnen die Erwägung, dass im Prostitutionsmilieu Vermieter meist andere Mittel als den Weg über die Zivilgerichte haben, ein Räumungsbegehren durchzusetzen (Senatsbeschl. v. 28.8.2014 - 1 ME 91/14 -, V. n. b.). Bei der Vermietung von Unterkünften an ausländische Arbeitnehmer ist letzteres nicht ohne weiteres der Fall, jedenfalls dann nicht, wenn der Vermieter nicht gleichzeitig Arbeitgeber der unmittelbaren Nutzer ist. Angesichts dessen hat der Senat in seinem Beschluss vom 11.9.2015 (a.a.O.) die Möglichkeit, auch bei der Arbeitnehmerunterbringung den Vermieter anstelle der Mieter in Anspruch zu nehmen, auf Einzelfälle, namentlich bei einem konkret unübersichtlichen Nutzerkreis, begrenzt. Dass ein solcher hier nicht vorliegt, hat das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Dem Einwand des Antragsgegners, die Inanspruchnahme des Vermieters anstelle der unmittelbaren Nutzer rechtfertige sich jedenfalls aus dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Möglichkeit des Vermieters, durch Reduktion der Belegungszahl sich wenigstens einen Teil seiner Einkünfte - und einem Teil der Mieter ihre Unterkunft - zu erhalten, besteht unabhängig davon, ob die Beendigung der bisherigen Nutzungssituation durch Verfügung an den Vermieter oder die Mieter bewirkt wird. Auch den letzteren steht es offen, den Vollzug der Nutzungsuntersagung durch den Nachweis abzuwenden, dass sich die Unterbringungsverhältnisse durch eine Reduktion der Gesamtbelegung des Objekts entscheidend verbessert haben. Einer Absprache zwischen Vermieter und Mietern bedarf es dafür ohnehin.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 S. 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 2 Satz 1 GKG. Eine Reduktion mit Blick darauf, dass der Antragsgegner die Aufhebung der Zwangsgeldandrohung hingenommen hat, ist nicht angezeigt, da diese den erstinstanzlichen Streitwert nicht erhöht (Nr. 12 a der Streitwertannahmen des Senats, NordÖR 2002, 197 = NdsVBl. 2002, 192).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
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125,159 | vg-schleswig-holsteinisches-2018-12-19-1-b-12118 | {
"id": 1071,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht",
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<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 19.10.2018 gegen die Androhung der Ersatzvornahme des Antragsgegners vom 24.09.2018 wird angeordnet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9000 Euro festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller wehrt sich gegen eine Androhung der Ersatzvornahme in Bezug auf eine Wiederherstellungsanordnung hinsichtlich eines Knicks.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller und seine ehemalige Lebensgefährtin sind seit dem Jahre 2009 Eigentümer des Flurstücks xxx, Flur xxx, Gemeinde und Gemarkung xxx. Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob die westliche Grenze des Grundstücks in Form eines Knicks verläuft und ob dieser geschädigt wurde. Laut Auskunft des Einwohnermeldeamts lebte der Antragsteller vom 3. März 2010 bis zum 6. Juli 2016 in dem zu dem streitbefangenen Grundstück gehörenden Haus, xxx, xxx und seit dem 6. Juli 2016 in der xxx in A-Stadt (Bl. 87 d. Beiakte).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 8. November 2016 erhielt der Antragsteller eine Anhörung hinsichtlich des Vorwurfs der Schädigung eines Knicks. Dieses Schreiben adressierte der Antragsgegner an die genannte Adresse in xxx. Der Antragsteller äußerte sich im Folgenden nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 11. Januar 2017 erließ der Antragsgegner eine Wiederherstellungsanordnung gegenüber dem Antragsteller, mit der dieser verpflichtet wurde, den Knick auf dem genannten Grundstück in xxx wiederherzustellen, mit knicktypischen Gehölzen zu bepflanzen, zu pflegen und dauerhaft zu erhalten. Ablagerungen seien vollständig zu entfernen, das erstellte Heckenloch auf einer Länge von vier Metern sei zu schließen, die an der westlichen Seite des Schuppens aufgestellten Sichtschutzmaßnahmen und die Vorbaumaßnahmen auf dem Knick seien zu entfernen. Zudem seien geschädigte Gehölze und entstandene Bewuchslücken durch das Pflanzen knicktypischer Gehölze zu schließen beziehungsweise zu ersetzen. Die Fertigstellung dieser Maßnahmen sei dem Antragsgegner unter Vorlage von Bildmaterial bis spätestens 30. November 2017 zur Abnahme anzuzeigen. Zur Begründung bezog sich der Antragsgegner auf eine im Mai 2015 erhaltene Anzeige, wonach ein Knick auf dem Grundstück des Antragstellers geschädigt worden sei, was sich durch eine Ortsbesichtigung bestätigt habe. Diesen Bescheid ließ der Antragsgegner per Postzustellungsurkunde zustellen. Adressiert war er an den Antragsteller unter der Adresse xxx in xxx. Handschriftlich berichtigte der Zusteller die Adresse und ersetzte die Straße mit „xxx“. Den Bescheid legte er am 13. Januar 2017 in den zu dieser Adresse gehörenden Briefkasten, da eine Übergabe nicht möglich war (Bl. 39 d. Beiakte).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller reagierte auf diesen Bescheid nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Im Februar 2017 leitete der Kreis Dithmarschen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren im Hinblick auf eine Knickschädigung gegen den Antragsteller ein. Die Anhörung im Ordnungswidrigkeitenverfahren sendete der Kreis Dithmarschen an den Antragsteller unter der Adresse xxx in A-Stadt. Hierauf nahm der Antragsteller auch schriftlich Stellung (Bl. 42 ff. d. Beiakte).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 7. Februar 2018 (Bl. 73 d. Beiakte) forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, der Wiederherstellungsanordnung vom 11. Januar 2017 unverzüglich nachzukommen. Es wurde eine neue Frist zur Umsetzung bis zum 28. Februar 2018 gesetzt und ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro angedroht. Diesen Bescheid ließ der Antragsgegner ebenfalls per Postzustellungsurkunde zustellen. Adressiert war er an den Antragsteller unter der Adresse xxx x in xxx. Den Bescheid legte der Zusteller am 8. Februar 2018 in den zu dieser Adresse gehörenden Briefkasten, da eine Übergabe nicht möglich war (Bl. 75 d. Beiakte).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller reagierte auch auf diesen Bescheid nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 20. März 2018 (Bl. 78 d. Beiakte) setzte der Antragsgegner ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro gegen den Antragsteller fest und setzte eine erneute Frist bis zum 18. April 2018 unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1000 Euro. Auch dieser Bescheid wurde per Zustellungsurkunde an die Adresse xxx in xxx durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt (Bl. 80 d. Beiakte).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller reagierte auch auf diesen Bescheid nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 24. September 2018, zugestellt am 27. September 2018 an den Antragsteller unter der Adresse xxx in A-Stadt (Bl. 119 d. Beiakte), drohte der Antragsgegner dem Antragsteller unter Fristsetzung bis zum 1. Dezember 2018 die Durchführung des Wiederherstellungsbescheides vom 11. Januar 2017 im Wege der Ersatzvornahme an. Die Kosten hierfür seien vorläufig auf 9000 Euro veranschlagt worden. Er begründete diese damit, dass die mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Januar 2017 getroffenen Anordnungen bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht umgesetzt worden seien.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 19. Oktober 2018 (Bl. 121 d. Beiakte) legte der Antragsteller gegen diesen Bescheid Widerspruch ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller hat am 22. Oktober 2018 um einstweiligen Rechtsschutz bei dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht ersucht. Zur Begründung führt er an, der Voreigentümer des Grundstücks habe in den 50er Jahren einen sogenannten Friesenwall als Begrenzung angelegt, der beim Kauf des Grundstücks mit blühenden Gartenpflanzen versehen gewesen sei und keinen Knickcharakter besessen habe. Des Weiteren trägt er vor, weder das Anhörungsschreiben vom 8. November 2016 noch die Wiederherstellungsanordnung vom 11. Januar 2017 jemals erhalten zu haben. Er habe erst im Zuge des Ordnungswidrigkeitenverfahrens von dem Vorgang Kenntnis erlangt. Er sei seit dem Mai 2016 in A-Stadt wohnhaft und auch dort gemeldet. Die Adresse xxx in xxx sei die Adresse seiner neuen Lebensgefährtin, bei der er jedoch niemals wohnhaft gewesen sei und auch keinen Namen am Briefkasten gehabt habe. Diese Anschrift sei von seiner vorangegangenen Lebenspartnerin in den Umlauf gebracht worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller beantragt wörtlich,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">den Antrag abzulehnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Die Wiederherstellungsverfügung sei dem Antragsteller am 13. Januar 2017 mittels Postzustellung an die Adresse xxx, xxx wirksam bekanntgegeben worden und seither nicht widerrufen oder zurückgenommen worden. Sie sei vollziehbar, da sie bestandskräftig geworden sei. Gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 418 ZPO erbringe die PZU als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Ein Gegenbeweis könne nach § 418 Abs. 2 ZPO nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Der Antragsteller habe diesen Gegenbeweis gerade nicht erbracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>1. Der Antrag, den die Kammer bei verständiger Würdigung des Begehrens des Antragstellers als Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Variante 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 19. Oktober 2018 gegen die Androhung der Ersatzvornahme durch den Antragsgegner vom 24. September 2018 wertet, ist zulässig und begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ergeht regelmäßig auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs (wieder-)herzustellen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 06.08.1991 – 4 M 109/91 –, juris Rn. 5).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Nach diesem Maßstab hat das vorläufige Rechtsschutzgesuch des Antragstellers Erfolg. Das Interesse der Öffentlichkeit und des Antragsgegners an einer sofortigen Vollziehung der angedrohten Ersatzvornahme überwiegt nicht gegenüber dem Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben nicht, da sich bereits auf der Grundlage der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit ergibt, dass der eingelegte Widerspruch des Antragstellers wegen offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Androhung der Ersatzvornahme Erfolg haben wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Es liegen bereits die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung nach § 229 Abs.1 Nr. 1 LVwG i.V.m. § 238 LVwG ist unter anderem das Vorliegen eines unanfechtbaren Grundverwaltungsakts, woran es vorliegend mangelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Nach § 110 Abs. 1 LVwG ist der Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist. Dies ist im vorliegenden Fall der Antragsteller. Die Bekanntgabe ist in verschiedenen Formen möglich, so auch in der Form der Zustellung, einer nach § 110 Abs. 5 LVwG besonders formalisierten Art der Bekanntgabe. Zugestellt wird gemäß § 148 Abs 1, 2 LVwG nach den §§ 177 bis 182 der Zivilprozessordnung entsprechend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Der Bescheid vom 11. Januar 2017 ist dem Antragsteller nicht durch ordnungsgemäße Zustellung bekannt gegeben worden und damit ihm gegenüber auch nicht rechtlich existent geworden (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, Komm., 18. Aufl., § 41 Rn. 15).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Nach § 177 ZPO kann das Schriftstück der Person, der zugestellt werden soll, an jedem Ort übergeben werden, an dem sie angetroffen wird. Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung oder in dem Geschäftsraum nicht angetroffen, kann das Schriftstück gemäß § 178 Abs. 1 ZPO in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner (Ziffer 1.) oder in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person (Ziffer 2.) zugestellt werden. Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist (§ 180 Satz 1 ZPO). Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung (§ 180 Satz 3 ZPO). Nach § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist zum Nachweis der Zustellung nach § 177, § 178 und § 180 ZPO eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Im vorliegenden Fall beurkundet die Postzustellungsurkunde (Bl. 39 d. Beiakte) vom 13. Januar 2017, dass der Postbedienstete versucht hat, das Schriftstück unter der berichtigten Adresse, xxx, xxx, zu übergeben. Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung nicht möglich war, hat der Postbedienstete bescheinigt, das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt zu haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Dem kann der Antragsteller jedoch entgegenhalten, der Bescheid sei falsch adressiert und auch an eine falsche Adresse zugestellt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Der Bescheid trägt den Namen des Antragstellers und ursprünglich die Adresse xxx in xxx, was handschriftlich durch den Zusteller in xxx in xxx geändert wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Die Adresse ist unzweifelhaft nicht der Wohnort beziehungsweise die Wohnung des Antragstellers.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Zustellungsurkunden begründen nach § 418 ZPO den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Danach erstreckt sich die Beweiskraft der Zustellungsurkunde allerdings nicht auch darauf, dass der Zustellungsadressat unter der Zustellungsanschrift tatsächlich wohnt. Die tatsächlichen Voraussetzungen der Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften sind von dem Zusteller regelmäßig nicht voll zu überprüfen, so dass seine Erklärung, er habe eine Nachricht über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers abgegeben, nur ein beweiskräftiges Indiz dafür begründet, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsanschrift wohnt. Dementsprechend kann das Gericht aufgrund der Beurkundung der Ersatzzustellung im Regelfall solange davon ausgehen, dass der Zustellungsempfänger dort wohnt, als dieser die Indizwirkung nicht durch eine plausible und schlüssige Darstellung entkräftet, wozu die schlichte Behauptung, unter der Zustellungsanschrift nicht zu wohnen, noch nicht genügt (BVerfG, NJW 1992, Seite 224f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller trägt vor, seit Mai 2016 unter der Adresse xxx in A-Stadt wohnhaft und auch gemeldet zu sein. Dies wird durch eine vom Antragsgegner eingeholte Auskunft des Einwohnermeldeamtes vom 2. August 2018 (Bl. 87 d. Beiakte) bestätigt. Die Adresse xxx in xxx, an die vorliegend zugestellt wurde, ist nach Vortrag des Antragstellers niemals sein Wohnort gewesen. Hierzu kann der Antragsgegner auch nicht substantiiert darlegen, aus welchem Grund er an diese Adresse hat zustellen lassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>3. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
125,155 | vg-schleswig-holsteinisches-2018-12-19-1-b-12318 | {
"id": 1071,
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} | 1 B 123/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2019-01-04T14:22:34 | 2019-01-17T11:45:57 | Beschluss | ECLI:DE:VGSH:2018:1219.1B123.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der am 29.10.2018 bei Gericht gestellte Antrag,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Bereitstellung der in § 150 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG aufgeführten die neue Feldeinteilung nachweisende Karte zur Einsichtnahme bei der Gemeinde        Owschlag einstweilen anzuordnen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Antrag ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Soweit die Antragstellerin die Einsichtnahme in die die neue Feldeinteilung nachweisende Karte im Sinne von § 150 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG für das Flurstück xxx, Flur xxxx der Gemarkung xxx sowie der Flurstücke xxx und xxx der Flur xxx Gemarkung xxx begehrt, ist der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Antragstellerin kann keine rechtliche oder tatsächliche Besserstellung erreichen. Die Antragstellerin stützt ihren diesbezüglichen Anspruch auf § 150 Abs. 2 FlurbG. Danach kann jeder Beteiligte und jeder, der ein berechtigtes Interesse darlegt, die in § 150 Abs. 1 FlurbG aufgeführten Unterlagen einsehen. Dieser Anspruch richtet sich grundsätzlich gegen die aktenführende Behörde und kann auch noch nach Abschluss des Flurbereinigungsverfahrens geltend gemacht werden. Einsicht in die Unterlagen kann aber nur die Behörde gewähren, die die Unterlagen aufbewahrt. Der Anspruch auf Einsichtnahme kann nur realisiert werden, wenn die Unterlagen der in Anspruch genommenen Behörde vorliegen (Schwantag/Winterter, Flurbereinigungsgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2008, § 150 Rn. 2).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner hat den geltend gemachten Anspruch bereits im Verwaltungsverfahren erfüllt, soweit ihm das zur Einsicht begehrte Kartenmaterial vorliegt. So hat er mit Schreiben vom 18.04.2017 mitgeteilt, die Antragstellerin könne die bei ihm vorhandene Flurkarte zur Flurbereinigung A-Stadt, Maßstab 1:5000 während der allgemeinen Öffnungszeiten in der Verwaltungsstelle Ascheffel, einsehen (Bl. 4. d. Beiakte). Mit weiterem Schreiben vom 06.04.2018 übersandte er ihr sogar eine Abschrift dieser Karte (Bl. 20 d. Beiakte). Weitere Karten liegen bei dem Antragsgegner nicht vor. Dieser hat die Antragstellerin insoweit auf das Landesarchiv verwiesen (Bl. 26 d. Beiakte).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen, das heißt, soweit die Antragstellerin, wie sich aus dem Schriftsatz vom 24.10.2018 ergibt, begehrt, eine Zusicherung zu erteilen, dass die Karte bereitgehalten werde beziehungsweise, dass die bezeichnete Karte tatsächlich die von ihr bezeichneten Flurstücke betreffe, ist der der Antrag jedenfalls unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 123 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 VwGO, § 920 ZPO kann das Gericht auch schon vor Klagerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. In jedem Fall sind gemäß § 123 VwGO i.V.m. §§ 935, 936, 920 Abs. 2 ZPO die Dringlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung (Anordnungsgrund) und das geforderte Recht (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen. Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsanspruches in diesem Sinne ist es, dass überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen, das heißt eine in der Hauptsache erhobene Klage oder sonstiger Rechtsbehelf müsste zulässig und zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit begründet sein. Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist grundsätzlich, dass dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Gemessen an diesen Vorgaben liegt eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor. Mit dem Antrag, der Antragsgegnerin aufzugeben, eine entsprechende Zusicherung zu erteilen, begehrt die Antragstellerin keine vorläufige Maßnahme, sondern eine Vorwegnahme der in einem künftigen Hauptsacheverfahren erstrebten Entscheidung. Einem solchen Antrag ist im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise stattzugeben, nämlich dann, wenn das Abwarten in der Hauptsache für die Antragsteller unzumutbar wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1999 – 11 VR 8/98 –, Rn. 5, juris). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin hat auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage für die begehrte Zusicherung ist nicht ersichtlich. Ob und wann Ansprüche auf Erteilung von Zusicherungen bestehen, lässt sich auch § 108a LVwG nicht entnehmen, der sich auf die Normierung des Schriftformerfordernisses beschränkt. Die Entscheidung steht deshalb im Ermessen der Behörde, soweit das Fachrecht nichts anderes bestimmt. Anerkannt ist jedoch das Bestehen eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn eine Zusicherung beantragt wird (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Stelkens, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 38 Rn. 110-114a).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Ein Anordnungsanspruch liegt bereits deshalb nicht vor, weil Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Liegt dem geltend gemachten materiellen Anspruch eine Ermessensvorschrift zu Grunde, kann eine einstweilige Anordnung ohne weiteres bei einer Ermessensreduzierung auf Null erlassen werden. Nach noch h. M. bedarf es dieser Ermessensreduzierung aber auch, um die einstweilige Anordnung treffen zu können. Dies basiert auf der Annahme, dass im Eilverfahren nicht zugesprochen werden darf, was im Hauptsacheverfahren nicht erreichbar ist; außerdem wird anderenfalls die Hauptsacheentscheidung unzulässigerweise vorweggenommen (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Schoch VwGO § 123 Rn. 158, beck-online m.w.Nw.). Ein Anspruch kann aufgrund des in dieser Norm eingeräumten Ermessens nur bestehen, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, also aufgrund der konkreten Umstände des Falles nur eine einzige bestimmte Entscheidung in Betracht kommt (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 08. September 2017 – 11 B 33/17 –, Rn. 8, juris m. Verweis auf Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.04.2017 – 2 MB 3/17, Beschlussabdruck S. 3).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Unabhängig davon ist auch kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Es ist weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, weshalb die Antragstellerin nicht die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens abwarten kann, um den geltend gemachten Anspruch durchzusetzen. Sie begründet die Eilbedürftigkeit allein mit dem Erfordernis „wesentliche Nachteile abzuwenden“. Es gebe Grund zu der Annahme dass die im Zuge der Flurbereinigung festgelegten Grenzen unrichtig in das Liegenschaftskataster übernommen worden seien. Die Folge sei ein Eigentumsverlust. Die zur Einsicht beantragte Karte weise die neue Feldeinteilung nach. Es wird aber weder ersichtlich, dass und durch wen der Antragstellerin der konkrete Verlust von Eigentumspositionen droht und aufgrund welcher unmittelbar bevorstehender Maßnahmen. Im Verwaltungsverfahren verfolgte die Antragstellerin ihr Begehren bereits seit März 2017, ohne dass es trotz dieser langen Verfahrensdauer offenbar zu konkreten Beeinträchtigungen ihres Eigentums gekommen ist. Jedenfalls ist dies nicht glaubhaft gemacht worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
116,772 | ovgnrw-2018-12-19-3d-b-168018o | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
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"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 3d B 1680/18.O | 2018-12-19T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:39 | 2019-02-12T11:31:55 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1219.3D.B1680.18O.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die dem Antrag auf Aussetzung der durch seinen Bescheid vom 12. April 2018 angeordneten Einbehaltung von 15 Prozent des Ruhegehalts des Antragstellers stattgebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">I.Nach § 38 Abs. 3 LDG NRW kann die nach § 81 LDG NRW zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach Einleitung des Disziplinarverfahrens anordnen, dass bis zu 30 Prozent des Ruhegehalts einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Höchstmaßnahme (Aberkennung des Ruhegehalts) erkannt werden wird. Gemäß § 63 Abs. 2 LDG NRW ist diese Maßnahme vom Gericht auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Die Disziplinarkammer hat dies angenommen. Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 63 Abs. 4 LDG NRW, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergeben nicht, dass diese Entscheidung im Ergebnis fehlerhaft ist.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1.Erfolglos bleibt der Einwand, der Bezug des vorgeworfenen Fehlverhaltens (vorsätzlicher Besitz kinderpornografischer Schriften) sei bei einem Justizvollzugsbeamten in Bezug auf das Amt eines Regierungsamtmanns wie bei Lehrern und Polizeibeamten zu beurteilen. Nach der vom Verwaltungsgericht angeführten und vom Antragsgegner nicht geteilten Rechtsprechung des beschließenden Gerichts,</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteil vom 27.06.2018 – 3d A 2378/15.O –, juris,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">weist der außerdienstliche Besitz kinderpornografischer Schriften keinen engen sachlichen Bezug zum dienstlichen Aufgabenbereich eines Justizvollzugsbeamten auf. Ein solcher Beamter hat weder - wie etwa ein Lehrer - dienstlich Kontakt mit Kindern noch gehört die Bekämpfung von Straftaten - wie bei Polizeibeamten - zu seinen dienstlichen Tätigkeiten. Insbesondere ist einem Strafvollzugsbeamten nicht- wie einem Lehrer - eine spezifische Dienstpflicht zu Schutz und Obhut gerade von Kindern auferlegt. Sein Amt ist auch nicht mit dem eines Polizeibeamten zu vergleichen. Diese haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen. Die Stellung eines Justizvollzugsbeamten ist mit der besonderen Vertrauens- und Garantenstellung von Polizeibeamten auch unter Berücksichtigung der Anforderungen, denen Justizvollzugsbeamte im Hinblick auf ihre besonderen Dienstpflichten genügen müssen, nicht hinreichend zu vergleichen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">An dieser Einschätzung hält das Gericht nach erneuter Überprüfung unter Berücksichtigung auch der vom Antragsgegner in den Blick genommenen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes NRW fest. Die Höhe des Strafrahmens gemäß § 184b StGB ist insoweit unerheblich. Die vom Antragsgegner herangezogene Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.01.2008 – 2 BvR 313/07 –, juris,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">verlangt keine andere Beurteilung. Sie befasst sich nicht mit den in jüngerer und jüngster Zeit ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zum Disziplinarmaß in Fällen außerdienstlichen Besitzes kinderpornografischer Dateien durch Beamte. Unabhängig davon sieht diese Spruchpraxis zwar die seinerzeitige Tendenz in der Rechtsprechung, im Hinblick auf bestimmte Gruppen von Beamten die Entfernung aus dem Dienst als Regelmaßnahme anzusehen, als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden an. Zu diesem Kreis von Beamten zählten nur Lehrer und Soldaten in Vorgesetztenstellung. Für Staatsanwälte sollte ein nicht weniger strikter Maßstab gelten. Damit ist indes eine Aussage hinsichtlich der disziplinarrechtlichen Bedeutung des außerdienstlichen Besitzes kinderpornografischer Schriften im Fall von Justizvollzugsbeamten nicht getroffen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2.Die (sinngemäße) Rüge bleibt erfolglos, im Disziplinarverfahren werde voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden. Zur Begründung führt der Antragsgegner insbesondere zur Auswertung des „Sonderbands Beweismittel“ der Staatsanwaltschaft Essen – 29 Js 987/15 – aus. Auf sich beruhen kann, dass diese Auswertung nicht auch in Bildern zum Gegenstand der Beschwerdebegründung gemacht worden ist. Ausgehend namentlich von den textlichen Ausführungen in der Beschwerdebegründung, Seite 8 Mitte bis Seite 10, Ende des vorletzten Absatzes, mag die Höchstmaßnahme im Disziplinarverfahren ernsthaft in Betracht kommen. Dabei kann auch der mittlerweile auf drei Jahre erhöhte Strafrahmen des Strafdelikts eine Rolle spielen. Allerdings kann keine Rede davon sein, dies sei überwiegend wahrscheinlich. Vielmehr ist es bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Überprüfung ebenso wahrscheinlich, dass gegen den Antragsgegner (lediglich) eine Kürzung des Ruhegehalts nach § 11 LDG NRW ausgesprochen werden wird. Ob, wie der Antragsgegner geltend macht, das Dienstvergehen als besonders verwerflich und auf niedrigster Stufe angesiedelt einzustufen ist, bleibt der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten. Das gilt schon deshalb, weil insoweit voraussichtlich eine Gesamtschau (unter Einbeziehung der Auswertung der bei der Polizei aufbewahrten, sichergestellten Gegenstände des Antragstellers) anzustellen sein wird, ob das vom Antragsteller begangene Dienstvergehen zu dem Schluss führt, dieser habe das berufserforderliche Vertrauen unwiederbringlich verloren. Dies ist bei summarischer Würdigung des derzeitigen Erkenntnisstandes nicht als zumindest überwiegend wahrscheinlich anzusehen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vor dem geschilderten Hintergrund fehlt es an einer Grundlage für die Einbehaltung von Dienstbezügen gemäß § 38 Abs. 3 LDG NRW.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 152 Abs. VwGO).</p>
|
116,771 | ovgnrw-2018-12-19-1-e-87818 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 1 E 878/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:38 | 2019-02-12T11:31:54 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1219.1E878.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat es (nur) im Ergebnis zu Recht abgelehnt, dem Kläger für die Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe unter rechtsanwaltlicher Beiordnung zu bewilligen. Zwar bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO; dazu nachfolgend 1.). Es kann aber nicht zugrunde gelegt werden, dass der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, dazu nachfolgend 2.).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1. Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, aber doch fern liegt. Dabei darf der für die Bewilligung erforderliche Grad der Erfolgsaussicht nicht in einer Weise überspannt werden, dass der Zweck der Prozesskostenhilfe deutlich verfehlt wird, Unbemittelten und Bemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen. Prozesskostenhilfe ist daher immer schon dann zu bewilligen, wenn die Risikoabschätzung zur Erfolgsaussicht einer ausreichend bemittelten Person in einer vergleichbaren Situation zugunsten der Rechtsverfolgung ausfallen würde. Hängt die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechts- oder Tatfrage ab, so darf diese Frage nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern muss auch von Unbemittelten einer Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt und ggf. von dort aus in die höhere Instanz gebracht werden können.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. die Nachweise im Senatsbeschluss vom 11. September 2018 – 1 E 317/18 –, juris, Rn. 5 f.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßstäben bietet die Klage, mit welcher der Kläger sich gegen die durch die angefochtenen Bescheide erfolgte Rückforderung des ihm gezahlten Ausbildungsgeldes nach § 56 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Satz 1 Nr. 2 SG wendet, hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Verfahren dürfte, wie den nachfolgenden Gründen zu entnehmen ist, nach gegenwärtiger Erkenntnis voraussichtlich zugunsten des Klägers ausgehen; sein Ausgang ist aber jedenfalls mindestens offen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für die Rückforderung des Ausbildungsgeldes ist § 56 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Satz 1 Nr. 2 SG. Danach muss, soweit hier von Interesse, ein früherer Soldat auf Zeit in der Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes, dessen militärische Ausbildung mit einem Studium verbunden war, das ihm als Sanitäroffizier-Anwärter (im Folgenden: SanOA) gewährte Ausbildungsgeld erstatten, wenn er seine Entlassung nach § 55 Abs. 4 SG vorsätzlich oder – hier nur in Betracht kommend – grob fahrlässig herbeigeführt hat. Nach der Kopplungsvorschrift des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG kann im Wege einer Ermessensentscheidung auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn das – gerichtlich voll überprüfbare – Tatbestandsmerkmal vorliegt, dass die Erstattung für den früheren Soldaten eine besondere Härte bedeuten würde.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Zu § 56 Abs. 4 Satz 3 SG näher etwa OVG NRW, Urteil vom 20. April 2015 – 1 A 1242/12 –, juris, Rn. 34.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vorliegend unterliegt bereits die Annahme erheblichen Zweifeln, der Kläger habe seine Entlassung grob fahrlässig herbeigeführt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Grobe Fahrlässigkeit in diesem Sinne erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Sie liegt vor, wenn der frühere Soldat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, wenn er nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder wenn er die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht angestellt hat. Ob sie im Einzelfall vorliegt, muss dementsprechend stets unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles, namentlich auch der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des früheren Soldaten, geprüft und entschieden werden.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 21. Dezember 2017 – 6 ZB 17.158 –, juris, Rn. 5, und Urteil vom 18. Mai 2010 – 15 B 08.3111 –, juris, Rn. 16, jeweils m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Mit seiner Beschwerde macht der Kläger geltend, er habe seine Entlassung nicht grob fahrlässig, sondern allenfalls fahrlässig herbeigeführt. Denn der zuständige Betreuungsoffizier sei den Überwachungs- und Kontrollaufgaben, die sich aus der Weisung „Aufgaben der Betreuungsoffiziere für Sanitätsoffizier-Anwärter“ ergäben, während seines – des Klägers – zunehmend vom Nichtbestehen von Leistungsnachweisen geprägten dreisemestrigen Studiums nicht nachgekommen. Vor diesem Hintergrund habe er – der Kläger – allenfalls fahrlässig, aber jedenfalls nicht grob fahrlässig angenommen, dass die von ihm gegen Ende des dritten Semesters zum 31. März 2013 eigenmächtig vorgenommene Exmatrikulation und deren Meldung erst im Juli 2013 lediglich zu einem Laufbahnwechsel innerhalb der Bundeswehr führen werde; mit einer Entlassung habe er keinesfalls gerechnet (und auch nicht rechnen müssen).</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Es ist zweifelhaft, ob der Kläger mit diesem Vorbringen durchdringen kann.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Zwar trifft es zu, dass der Betreuungsoffizier seine Aufgaben, den Studienablaufplan und auf dieser Grundlage den Studienfortschritt der SanOA zu jedem Semesterabschluss zu prüfen und zu bewerten sowie den Studienverlauf der SanOA kontinuierlich zu überwachen (Erlass des BMVg vom 3. August 1998 – InSan II 3 – Az. 10-20-21 –, Ziffer 2.), in Bezug auf den Kläger nicht erfüllt hat. Das ergibt sich nicht nur aus dem entsprechenden, der Sache nach unbestrittenen Vortrag des Klägers, sondern auch aus weiteren Umständen. Zum einen belegt die schriftliche Stellungnahme des zuständigen Betreuungsoffiziers vom 8. November 2013, mit der dieser u. a. die Frage des Bundesamtes für Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBw) beantwortet hat, welche Maßnahmen die Betreuungsdienststelle zur Behebung evtl. vorab erkennbarer Mängel im Studium ergriffen habe, dessen Untätigkeit bis zum Juli 2013. Er hat insoweit ausgeführt, es hätten seitens der Dienststelle keine Maßnahmen zur Behebung erkennbarer Mängel im Studium eingeleitet werden können, da der Soldat nach der eigenmächtigen Exmatrikulation im März 2013 erst Wochen später im Sanitätszentrum Aachen vorstellig geworden sei und dies mitgeteilt habe. Das deutet darauf hin, dass ihm die schon im ersten Semester und – gravierend – im zweiten Semester aufgetretenen „Mängel im Studium“ erst durch die Vorsprache im Juli 2013 bekannt geworden sind. Zum anderen ist nur durch eine Nichterfüllung der Kontrollaufgaben zu erklären, dass die Beklagte nicht schon während des Studiums des Klägers Maßnahmen ergriffen hat, um die angesprochenen Mängel zu beheben oder eine sonstige Lösung zu finden.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Es ist aber fraglich, ob ein (angesichts des Vorstehenden wohl anzunehmendes) Mitverschulden geeignet sein kann, den von der Beklagten im Erstattungsverfahren in den Raum gestellten Vorwurf zu entkräften, der Kläger habe seine Entlassung deshalb vorsätzlich oder jedenfalls grob fahrlässig herbeigeführt, weil er die Exmatrikulation willentlich herbeigeführt und nicht umgehend gemeldet habe. Zum einen ist zweifelhaft und bedürfte jedenfalls näherer Prüfung, ob ein Mitverschulden im Rahmen des Erstattungsanspruchs nach § 56 Abs. 4 Satz 2, Satz 1 Nr. 2 SG mit Blick auf den Rechtscharakter dieses Anspruchs überhaupt berücksichtigungsfähig ist, sei es bei dem Tatbestandsmerkmal grob fahrlässiger Herbeiführung der Entlassung, sei es im Rahmen der Prüfung, ob die Erstattung eine besondere Härte für den früheren Soldaten bedeuten würde.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ablehnend Bay. VGH, Urteil vom 6. März 2008– 15 BV 07.1058 –, juris, Rn. 17 und 18, gerade auch unter Hinweis darauf, es handele sich nicht um einen Schadensersatzanspruch. Anders für den– ebenfalls keinen Schadensersatzanspruch darstellenden – Anspruch auf Rückforderung zuviel gezahlter Bezüge nach § 12 BBesG allerdings BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 2 C 4.11 –, juris, Rn. 17 ff. (Berücksichtigung einer überwiegenden Mitverantwortung bzw. eines überwiegenden Mitverschuldens der Behörde bei der Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Zum anderen könnte es einem solchen Mitverschulden an einem hinreichenden Bezug zu dem Vorwurf eigenmächtiger und nicht unverzüglich mitgeteilter Exmatrikulation fehlen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Bewertung, der Kläger habe seine Entlassung grob fahrlässig herbeigeführt, unterliegt aber aus anderen Gründen erheblichen Bedenken. Denn die Beklagte hat den Kläger nicht wegen der von ihm vorgenommenen und ihr verspätet mitgeteilten Exmatrikulation entlassen. Sie hat ihre prognostische Einschätzung, der Kläger werde sich nicht zum Sanitätsoffizier eignen (§ 55 Abs. 4 Satz 2 SG), in dem insoweit maßgeblichen – bestandskräftigen – Entlassungsbescheid vom 3. Dezember 2013 vielmehr auf die Erwägung gestützt, die gezeigten Leistungsdefizite ließen selbst bei einer erneuten Immatrikulation auf weitere Studienverzögerungen schließen. Dass der Kläger diesen Entlassungsgrund (mindestens) grob fahrlässig herbeigeführt haben könnte, ist aber fernliegend. Im Einzelnen gilt Folgendes:</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Nach dem Tenor des Bescheides vom 3. Dezember 2013 wird der Kläger „gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG (…) wegen mangelnder Eignung aus der Bundeswehr“ entlassen. Den weiteren Ausführungen in diesem Bescheid, die der Auslegung dieses Entscheidungssatzes dienen, ist mit großer Klarheit zu entnehmen, dass die Beklagte den Kläger allein wegen der für eine weitere Ausbildung ungünstigen zeitlichen Prognose als zum Sanitätsoffizier ungeeignet entlassen hat. Bereits bei der einleitenden Anrede führt die Beklagte aus, dass der Bescheid auf Grund des Studienverlaufs des Klägers ergehe. In den Gründen I., in denen der Sachverhalt dargestellt wird, heißt es weiter, dass sich „vor dem Hintergrund des Scheiterns in den Kernfächern (…) die Prognose zum erfolgreichen Abschluss des Studiums der Humanmedizin erheblich verschlechtert“ habe; dem Kläger sei „daher“ am 31. Oktober 2013 „die beabsichtigte Entlassung eröffnet“ worden. In der – letztlich entscheidenden – Begründung des Bescheides (Gründe II.) heißt es weiter: Der Kläger habe seine Pflicht, die Ausbildung zum Arzt innerhalb der Mindeststudienzeit abzuschließen, nicht erfüllt. Die bereits in einem sehr frühen Studienabschnitt gezeigten erheblichen und andauernden Leistungsdefizite, die ihn zu der eigenmächtigen Exmatrikulation veranlasst hätten, stellten „zusammenfassend einen bedeutsamen ungünstigen Prognosefaktor für den möglichen weiteren Verlauf bzw. das Fortführen des Medizinstudiums dar“. Dass es zu keinerlei Studienverzögerungen mehr kommen werde, sei selbst bei einer erneuten Immatrikulation nicht wahrscheinlich. Diese Erwägungen verdeutlichen, dass die im Bescheid auch erwähnte, auf die Exmatrikulation und deren verspätete Meldung zurückgeführte „enorme“ (einsemestrige) Verzögerung der Ausbildung, die der Kläger „billigend in Kauf genommen“ habe, nicht zu der tragenden Begründung des Bescheides zählt. Schon vor diesem Hintergrund kann nicht der Einschätzung des Verwaltungsgerichts gefolgt werden, Grund für die Entlassung seien nicht allein die mangelnden Studienleistungen gewesen, sondern auch die die Exmatrikulation betreffenden Vorgänge. Dies gilt umso mehr, als der Entlassungsbescheid keine – bei Zutreffen der Annahme des Verwaltungsgerichts indes zu erwartende – Ausführungen dazu enthält, dass die eigenmächtige Exmatrikulation und deren verspätete Meldung die charakterliche Eignung zum Sanitätsoffizier in Frage stellen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Bezugsobjekt der Beurteilung, ob der Kläger seine Entlassung mindestens grob fahrlässig herbeigeführt hat, sind nach alledem die im Entlassungsbescheid für die getroffene Eignungsprognose allein angeführten ungenügenden Studienleistungen des Klägers. Insoweit wird dem Kläger entgegen den nicht tragenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (BA S. 3 unten) voraussichtlich nicht mit Erfolg vorgeworfen werden können, seine Entlassung durch ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten herbeigeführt zu haben. Seinen beiden schriftlichen Stellungnahmen vom 17. August 2013 und vom 5. November 2013 ist deutlich zu entnehmen, welchen persönlichen Defiziten er seine zunehmenden Misserfolge im Studium (Nichtbestehen von Leistungsnachweisen) zuschreibt. Ihm fehle für die zeit- und arbeitsintensiven Lernphasen die Fähigkeit, sich „ausreichend zu fokussieren und (zu) konzentrieren“. In dem theoretisch geprägten Studium sei es ihm nicht über längere Zeiträume möglich gewesen, große Motivation vorzuweisen und gute Arbeit zu leisten. Das Scheitern in den Prüfungen sei hauptsächlich dadurch bedingt gewesen, dass die Vorbereitungszeit für ihn zu knapp bemessen gewesen sei. In zeitlicher Hinsicht seien als Grund die Stofffülle und seine möglicherweise wenig effektive Arbeitsweise bei der Erarbeitung des Stoffes zu nennen; auch habe er teilweise nicht ausreichend Interesse an Teilen des unterrichteten Stoffes gehabt, um sich für viele Stunden jeden Tag konzentriert damit zu beschäftigen. Nach alledem war der Kläger mit dem Grundstudium aufgrund der theoretischen und lernintensiven Ausgestaltung im Kern arbeitsökonomisch und wohl auch im Übrigen überfordert. Hieran den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu knüpfen, dürfte fernliegen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">2. Es kann aber nicht zugrunde gelegt werden, dass der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist vielmehr nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO abzulehnen. Nach der zuletzt genannten Vorschrift lehnt das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe insoweit ab, wenn der Antragsteller innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht oder bestimmte Fragen nicht oder ungenügend beantwortet hat. So liegt der Fall hier. Der Senat hat den Kläger anknüpfend an die unbeantwortet gebliebene Verfügung vom 30. Oktober 2018 mit Verfügung vom 22. November 2018, seinem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 23. November 2018, erneut gebeten, eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem hierfür vorgesehenen PKH-Vordruck nebst allen erforderlichen Belegen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 und 4 ZPO) vorzulegen. Es bedarf hier einer solchen aktuellen Erklärung. Auf die bislang nur vorliegende, inzwischen mehr als zwei Jahre alte PKH-Erklärung des Klägers vom 13. September 2016 kann nicht mehr zurückgegriffen werden, weil diese im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde nicht mehr hinreichend aktuell ist. Ferner hat der Senat mit der Verfügung vom 22. November 2018 für die erbetene Vorlage eine Frist bis zum 18. Dezember 2018 (Eingang bei Gericht) gesetzt. Diese Frist hat der Kläger nicht gewahrt. Er hat lediglich am letzten Tag der Frist deren Verlängerung um vier Wochen beantragt. Mit Blick darauf, dass er nun bereits nahezu zwei Monate ungenutzt hat verstreichen lassen und nicht gehindert sein wird, erstinstanzlich erneut einen (bei Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen wohl erfolgreichen, s. o. 1.) PKH-Antrag zu stellen, sieht der Senat keine Veranlassung, die Frist zu verlängern.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; der Ausspruch zur Nichterstattung der Kosten des Beschwerdeverfahrens gibt die Regelung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO wieder.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
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116,770 | ovgnrw-2018-12-19-6-b-48618 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 6 B 486/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:38 | 2019-02-12T11:31:54 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1219.6B486.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 19.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 6 Satz 4 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die mit der Beschwerde weiter verfolgten Anträge,</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Antragsteller vorläufig - bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache oder einer neuen Entscheidung über das Einstellungsbegehren des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts - in das Beamtenverhältnis auf Probe im gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen zu übernehmen,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">hilfsweise, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Antragsteller nicht aus den Gründen des Bescheides des Polizeipräsidiums Bielefeld vom 25. August 2017 von einer Verbeamtung auf Probe auszuschließen,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">hilfsweise, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, eine Planstelle für die Verbeamtung auf Probe im gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen frei zu halten, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgelehnt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die mit dem Hauptantrag im Wege einer Regelungsanordnung i. S. v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO begehrte Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe eine Vorwegnahme der Hauptsache beinhaltet. Mit der Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe würde dem Antragsteller bereits die Rechtsposition vermittelt, die er im Klageverfahren 4 K 8494/17 anstrebt. Darüber hinaus würden damit irreversible Verhältnisse geschaffen. Anders als für Beamte auf Widerruf, die gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">BeamtStG jederzeit entlassen werden können, existiert, worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, eine entsprechende Beendigungsmöglichkeit des Beamtenverhältnisses für Beamte auf Probe nicht (vgl. § 23 Abs. 3 BeamtStG).</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2009 - 6 B 102/09 -, juris Rn. 8 f.; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 MB 33/16 -, juris Rn. 25; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 18. März 2014 - 4 S 509/14 -, juris Rn. 2, 11; Bay. VGH, Beschluss vom 27. Juni 2012 - 3 AE 12.734 -, juris Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Dass der Antragsteller im vorliegenden Verfahren lediglich die „vorläufige“ Einstellung beantragt, ändert daran nichts. Die vorläufige Begründung eines Beamtenverhältnisses ist rechtlich unzulässig.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise aus Gründen des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) in Betracht, nämlich dann, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller schlechthin unzumutbar wäre. Dies setzt unter dem Gesichtspunkt der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs voraus, dass das Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich summarischen Prüfung bei Anlegung eines strengen Maßstabes an die Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben wird. Außerdem muss der Antragsteller - im Rahmen des Anordnungsgrundes - glaubhaft machen, dass ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">St. Rspr., vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. September 2017 - 1 WDS-VR 4.17 -, juris Rn. 15.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Antragsteller hat weder im erst-instanzlichen noch im Beschwerdeverfahren glaubhaft gemacht, dass ihm, wenn er auf das Hauptsacheverfahren verwiesen wird, schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die aus Gründen des Gebotes effektiven Rechtsschutzes eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache erfordern. Damit fehlt es zugleich an der erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (a.). Ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, ist daher nicht mehr entscheidungserheblich und kann somit dahinstehen (b).</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">a) Ein Anordnungsgrund, der den vorbeschriebenen Anforderungen genügt, ist nicht dargetan und glaubhaft gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der Umstand, dass ohne die beantragte einstweilige Anordnung ein - nach Auffassung des Antragstellers - rechtswidriger Zustand bis zur Entscheidung über die Hauptsache aufrechterhalten würde, begründet noch keinen Nachteil im oben genannten Sinne, sondern ist regelmäßige Folge des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2010</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">- 6 B 1107/10 -, juris Rn. 2.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Ein tragfähiger Anhaltspunkt dafür, dass es dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, sich bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens anderweitig beruflich zu orientieren und seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, ist seinem Vorbringen nach wie vor nicht zu entnehmen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Auch sein Argument, es sei zu befürchten, dass er bei einer erneuten mehrjährigen „Pause“ nicht in der Lage sei, sein im Rahmen der Ausbildung erlerntes Wissen vollständig vorzuhalten, verfängt nicht. Insbesondere ist insoweit nicht der Gesichtspunkt einschlägig, dass auf dieses Wissen zeitnah im Rahmen eines Prüfungsverfahrens zurückgegriffen werden soll. Denn der Antragsteller hat die II. Fachprüfung, mit der die Ausbildung für den Laufbahnabschnitt II des Polizeivollzugsdienstes endet, bereits bestanden. Im Übrigen trifft die von ihm angeführte Problematik in gleicher Weise für den vom Gesetzgeber auch für Polizeivollzugsbeamte vorgesehenen Fall einer mehrjährigen Beurlaubung etwa aus familiären Gründen zu, die, griffe das Argument des Antragstellers, einem Einsatz des betreffenden Beamten im Polizeivollzugsdienst nach Rückkehr aus der Beurlaubung entgegenstünde.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Schließlich wird das durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Recht des Antragstellers, den Beruf frei zu wählen, nicht, wie er geltend macht, „endgültig vereitelt“, wenn er auf das Hauptsacheverfahren verwiesen wird. Das Überschreiten der für eine Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe geltenden Altersgrenze (vgl. § 109 Abs. 2 LBG NRW) droht im Fall des Antragstellers nicht. Sein Einwand, es sei ihm faktisch unmöglich, erneut den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, entbehrt bei objektiver Betrachtung einer Grundlage.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">b) Vor diesem Hintergrund ist es im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich, ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat bzw. wie die Erfolgsaussichten der von ihm erhobenen Klage einzuschätzen sind.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Senat merkt lediglich Folgendes an: Die vom Dienstherrn vorzunehmende Beurteilung der für eine Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe erforderlichen charakterlichen Eignung ist ein Akt wertender Erkenntnis. Er ist als solcher vom Gericht - nur beschränkt - darauf zu überprüfen, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff verkannt, einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat. Die Beantwortung der Frage, ob die vom Antragsgegner im Bescheid vom 25. August 2017 angeführten Erwägungen die Ablehnung der Einstellung des Antragstellers in ein Beamtenverhältnis auf Probe tragen bzw. ob der Antragsgegner die Grenzen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat, setzt eine eingehende Überprüfung des tatsächlich und rechtlich schwierigen Streitstoffs voraus. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls hinsichtlich des im Klageverfahren angekündigten - auf eine Neubescheidung des Begehrens des Antragstellers auf Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe gerichteten - Hilfsantrags von offenen Erfolgsaussichten auszugehen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">2. Auch in Bezug auf die beiden Hilfsanträge fehlt es jeweils an der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">a) Bezüglich des ersten Hilfsantrags verweist der Antragsteller lediglich auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 13. Juli 2017 - 19 L 2691/17 -, juris. Er berücksichtigt indes nicht, dass dieser Entscheidung eine andere Fallkonstellation zu Grunde liegt. Der dortige Antragsteller hat sich um die Einstellung (Einstellungstermin: 1. September 2017) in den - in einem Beamtenverhältnis auf Widerruf abzuleistenden - Vorbereitungsdienst für den Laufbahnabschnitt II des Polizeivollzugsdienstes (vgl. § 11  LVOPol) beworben. Das Verwaltungsgericht hat einen Anordnungsgrund mit der Begründung bejaht, die Hauptsacheentscheidung käme zu spät, da der Vorbereitungsdienst bereits im September 2017 beginne. Vorliegend steht aber nicht die - an einen bestimmten Termin gebundene - Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf bzw. die Einstellung in den Vorbereitungsdienst für den Laufbahnabschnitt II des Polizeivollzugsdienstes in Rede. Der Antragsteller strebt vielmehr, nachdem er den Vorbereitungsdienst abgeleistet und die II. Fachprüfung bestanden hat, die Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe an.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">b) Hinsichtlich des zweiten Hilfsantrags lässt der Antragsteller außer Acht, dass es hier - anders als in einem Konkurrentenstreitverfahren - nicht darum geht, eine bestimmte Planstelle frei zu halten, damit der Anspruch des Bewerbers auf eine fehlerfreie Auswahlentscheidung (Bewerbungsverfahrensanspruch) nicht infolge einer Ernennung eines Konkurrenten und damit einhergehend der Besetzung dieser Planstelle untergeht.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Dass der Antragsgegner im Falle eines Erfolgs des Antragstellers im Klageverfahren zeitnah die für seine Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe erforderliche Planstelle zur Verfügung stellen kann, unterliegt angesichts der Größe des Personalkörpers der Polizei, des Personalbedarfs und der Personalfluktuation keinem Zweifel.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Eine Herabsetzung kommt aufgrund des Umstandes, dass der Antragsteller - wie dargestellt - mit dem Hauptantrag die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe und damit eine Vorwegnahme der Hauptsache anstrebt, nicht in Betracht.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
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<p>Der Vollzug der 5. Änderung des Bebauungsplans „H.  Weg West“ der Stadt U. wird bis zur Entscheidung über einen noch zu erhebenden Normenkontrollantrag ausgesetzt.</p>
<p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist zulässig.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Rechtsschutzinteresse für den Antrag ist nach inzwischen ständiger Rechtsprechung der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts nicht deshalb entfallen, weil für die Bebauung des Plangebiets in der Zwischenzeit eine Baugenehmigung erteilt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom am 31. Oktober 2016 – 10 B 821/16.NE –, und vom 31. März 2007  – 10 B 359/07.NE –.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Er ist auch begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO liegen vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Bebauungsplan erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig nur gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich unwirksam und seine Umsetzung beeinträchtigt den Antragsteller konkret so, dass die einstweilige Anordnung deshalb dringend geboten ist.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. April 2010 – 7 B 68/10.NE –, vom 27. April 2009 – 10 B 459/09.NE –, NVwZ-RR 2009, 799, und vom 29. April 2010 – 2 B 304/10.NE –.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller macht zu Recht einen Abwägungsfehler geltend, weil die vorgesehene Erschließung der festgesetzten Fläche für den Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung „Sozialen Zwecken dienende Gebäude und Einrichtungen“, auf der eine Kindertagesstätte errichtet werden soll, nicht nur ihn und seine Kinder, sondern auch die Allgemeinheit gefährde.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Rat hat sich zwar mit der Erschließungsproblematik unter Berücksichtigung einer im Aufstellungsverfahren eingeholten verkehrstechnischen Stellungnahme auseinandergesetzt, den erkannten planbedingten Konflikt zwischen der gewollten baulichen Nutzung des Plangebiets und dem damit zusammenhängenden Kraftfahrzeug-, Fahrrad- und Fußgängerverkehr und der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der der Erschließung des Plangebiets dienenden H1.-N.-Straße in dem Abschnitt unmittelbar vor dem Grundstück des Antragstellers nicht abwägungsgerecht gelöst.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraße (RASt 06) liefern insoweit geeignete Anhaltspunkte zur Ermittlung und Bewertung der Belange des Verkehrs. Sie enthalten zwar keine verbindlichen Rechtsnormen, doch konkretisieren sie als von Fachleuten erstellte Vorschriften allgemein anerkannte Regeln des Straßenbaus im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 StrWG NRW, wie Erschließungsstraßen im Normalfall nach ihrem Raumbedarf und zur Gewährleistung von Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu entwerfen und zu gestalten sind.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. April 2016 – 10 D 44/14.NE –, juris, Rn. 34 zur Erschließung eines Altenheims über einen Wohnweg.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Rat hat danach den im Zusammenhang mit der geplanten Kindertagesstätte zu erwartenden Verkehr wohl ausreichend ermittelt und in seine Abwägung eingestellt. Seine Einschätzung, dass dieser zusätzliche Verkehr auf der H1.-N.-Straße mit ihrer Widmung und straßenverkehrsrechtlichen Regelung als verkehrsberuhigter Bereich grundsätzlich vereinbar sei und die Anwohner nicht unzumutbar belaste, erscheint noch nachvollziehbar.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Jedoch lässt die Verwirklichung der Kindertagesstätte mit der vorgesehenen Erschließung über die H1.-N.-Straße wegen der angesprochenen Engstelle auf Höhe des Grundstücks des Antragstellers unter Berücksichtigung der konkreten Umstände mit größter Wahrscheinlichkeit eine unvertretbare Gefährdung des Anliegerverkehrs erwarten. Die besagte Engstelle in unmittelbarer Nähe der geplanten Kindertagesstätte hat eine für eine Mischverkehrsfläche deutlich zu geringe Breite von insgesamt lediglich 3 m. Es ist zwar nicht grundsätzlich abwägungsfehlerhaft, unter Umständen – etwa wenn nur wenige Wohneinheiten erschlossen werden sollen – eine geringere als die nach der RASt 06 vorgesehene Straßenbreite vorzusehen,</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2007 – 10 B 226/07.NE –,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">doch stellt sich die planungsrechtliche Situation, der hier Rechnung zu tragen ist, als wesentlich anders dar. Auch wenn die Engstelle nach der Planung auf eine Länge von circa 12 m verkürzt werden soll und der Rat in gewissem Umfang auch ein der Verkehrssituation angepasstes Verhalten der Verkehrsteilnehmer unterstellen kann, erscheint die Verkehrssicherheit im Bereich der Engstelle bei gleichzeitiger Benutzung durch mehrere Verkehrsteilnehmer vor allem für Kinder, die als Radfahrer und Fußgänger zur Kindertagesstätte fahren beziehungsweise gehen, insbesondere in der morgendlichen Spitzenstunde bei Regen und in der dunklen Jahreszeit nicht ausreichend gewährleistet. Die im Aufstellungsverfahren eingeholte Verkehrstechnische Stellungnahme und dementsprechend die Begründung des Bebauungsplans verhalten sich nur dazu, dass ein Blockieren der Fahrbahn durch zwei sich entgegenkommende Kraftfahrzeuge wegen der Übersichtlichkeit der Engstelle ausgeschlossen sei, nicht aber zu dem Aspekt der Verkehrssicherheit bei einer konkurrierenden Nutzung der Mischverkehrsfläche durch Kraftfahrer, Radfahrer und Fußgänger. Die Umsetzung des Bebauungsplans würde – was der Rat übersehen hat – letztlich einen städtebaulichen Missstand begründen, den zu vermeiden eine der vordringlichsten Aufgaben der Bauleitplanung ist.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p>
|
116,768 | vg-gelsenkirchen-2018-12-19-8-l-218418 | {
"id": 843,
"name": "Verwaltungsgericht Gelsenkirchen",
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"city": 423,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 8 L 2184/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:37 | 2019-01-18T16:06:14 | Beschluss | ECLI:DE:VGGE:2018:1219.8L2184.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<ul class="ol"><li><p>1. Unter Abänderung des Beschlusses der Kammer vom 13. Juli 2018 – 8 L 1315/18 – wird der Antrag des Antragsgegners vom 13. Juli 2018 auf Verpflichtung der Antragstellerin, ihn, den Antragsgegner, unverzüglich auf Kosten der Antragstellerin in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuholen, abgelehnt.</p>
</li>
</ul>
<p>Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<ul class="ol"><li><p>2. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog hat Erfolg. Er ist – ungeachtet einer nach § 123 Abs. 3 VwGO entsprechenden Anwendbarkeit des § 929 Abs. 2 ZPO –, aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit zulässig und begründet.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung von Beschlüssen über Anträge nach § 123 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 1995 – 2 BvR 492/95 –, juris Rn. 67; Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 123 Rn. 127 mit zahlreichen Nachweisen auch zu anderen Auffassungen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Solche veränderten entscheidungserheblichen Umstände sind vorliegend mit Erlass des Beschlusses der 7a. Kammer des Gerichts vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A – eingetreten. Nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist im vorliegenden Eilantragsverfahren auf Antrag der Antragstellerin insofern eine zum vorangegangenen Antragsverfahren – 8 L 1315/18 – abweichende Bewertung gerechtfertigt. Dies gilt sowohl hinsichtlich des ursprünglich glaubhaft gemachten Bedürfnisses für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch den sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch), § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der ursprünglich vom Antragsgegner im Verfahren der Kammer – 8 L 1315/18 – glaubhaft gemachte Anordnungsanspruch, ihn unverzüglich in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuholen, ist nachträglich mit Erlass des Beschlusses der 7a. Kammer des Gerichts vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A – entfallen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zwar bleibt die am 13. Juli 2018 erfolgte Abschiebung des Antragsgegners nach Tunesien – wie der Antragsgegner mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 16. Dezember 2018, dortige Seiten 1 f., zu Recht ausführt – evident rechts- und verfassungswidrig. Denn die Abschiebung erfolgte insbesondere unter Missachtung des Beschlusses der 7a. Kammer des Gerichts vom 12. Juli 2018 –7a L 1200/18.A –. Die Antragstellerin unterließ es insofern zum einen, die Abschiebemaßnahme abzubrechen sowie zum anderen – jedenfalls bis Ende Juli 2018 – unverzüglich alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Antragsgegner nach Erlass des Beschlusses der Kammer vom 13. Juli 2018 – 8 L 1315/18 – in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuholen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 15. August 2018 – 17 B 1029/18 –; vorausgehend Beschluss der Kammer vom 13. Juli 2018 – 8 L 1315/18 –.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Antragsgegner kann jedoch nach Erlass des Beschlusses der 7a. Kammer des Gerichts vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A – auch unter Beachtung von Art. 19 Abs. 4 GG nicht mehr die Beseitigung der dadurch eingetretenen Vollzugsfolgen verlangen. Denn der die materielle Grundlage für einen solchen Anspruch bildende allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch setzt neben dem hier – nach wie vor – gegebenen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht zusätzlich voraus, dass hierdurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde, der noch andauert.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Januar 1995 – 20 A 1518/93 –, juris Rn. 19, sowie Beschluss vom 9. März 2007 – 18 B 2533/06 –, juris Rn. 14 m. w. N.; siehe auch Armbruster, in: HTK-AuslR / Rechtsschutz / 2.5.7 (Stand: 18. November 2016), Rn. 7 f.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die letztgenannte Voraussetzung des Folgenbeseitigungsanspruchs ist vorliegend nicht mehr gegeben. Der hier zunächst geschaffene rechtswidrige Zustand durch die evident rechts- und verfassungswidrige Abschiebung des Antragsgegners dauert nach Erlass des Beschlusses der 7a. Kammer des Gerichts vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A – nach summarischer Prüfung nicht mehr an.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Zwar wurde durch die am 13. Juli 2018 durchgeführte Abschiebung des Antragsgegners nach Tunesien zunächst ein rechtswidriger Zustand geschaffen. Denn bis zu dem unanfechtbaren Beschluss der 7a. Kammer des Gerichts vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A –, mit welchem der zugunsten des Antragsgegners stattgebende Beschluss vom 12. Juli 2018 – 7a L 1200/18.A – gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO abgeändert und der Antrag des Antragsgegners abgelehnt wurde, kam der anhängigen Asylklage des Antragsgegners – 7a K 3425/18.A – gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 20. Juni 2018 aufschiebende Wirkung zu. Dies hatte zur Folge, dass für die Dauer des weiterhin anhängigen Klageverfahrens – 7a K 3425/18.A – zunächst von der Fortgeltung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in früherer Fassung (a. F.) auszugehen war, weshalb eine gleichwohl durchgeführte und abgeschlossene Abschiebung – wie hier erfolgt – rechtswidrig war. Daraus resultierte vorliegend auch ein zunächst andauernder rechtswidriger Zustand, da dem Antragsgegner nach den Feststellungen der 7a. Kammer in Tunesien – ohne verbindliche Zusicherung im Einzelfall – die Gefahr der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte. Dieser rechtswidrige Zustand ist jedoch mit dem unanfechtbaren Abänderungsbeschluss der 7a. Kammer des Gerichts vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A – entfallen. Die beschließende Kammer ist an die asylgerichtliche Entscheidung der 7a. Kammer, namentlich auch die Feststellungen zu den Folgen, die dem Antragsgegner bei einem längeren Verbleib in Tunesien drohen, gebunden (vgl. § 42 Satz 1 AsylG). Die gegen den Beschluss der 7a. Kammer des Gerichts vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A – gerichtete Anhörungsrüge ist zudem mit unanfechtbarem Beschluss der 7a. Kammer vom 17. Dezember 2018 – 7a L 2232/18.A – zurückgewiesen worden. Ein materiell-rechtlicher Anspruch des Antragsgegners, ihn in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuholen, besteht danach derzeit vor dem Hintergrund der von der 7a. Kammer aktuell getroffenen Feststellungen nicht mehr. Die beschließende Kammer hat weder die Frage einer drohenden Foltergefahr noch die Qualität der laut Vortrag vorgelegten diplomatischen Zusicherung aus eigener Anschauung zu bewerten. Die abschließende Klärung der Frage, ob die Annahme des Nichtbestehens einer konkreten Foltergefahr für den Antragsgegner in Tunesien zutrifft, welche dem durch das Bundesamt erfolgten Widerruf des zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots zu Grunde liegt, bleibt dem asylgerichtlichen Klageverfahren – 7a K 3425/18.A – vorbehalten.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Bindungswirkung der asylgerichtlichen Eilentscheidung der 7a. Kammer gilt für die hier beschließende ausländerrechtliche Kammer auch vor dem Hintergrund der von den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners angekündigten Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss der 7a. Kammer des Gerichts vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A –. Denn weder kommt einer solchen Beschwerde aufschiebende Wirkung zu, noch ist der Antragsgegner rechtsschutzlos gestellt. Insofern besteht selbstredend auch für den Antragsgegner sowohl im asylgerichtlichen als auch dem vorliegenden ausländerrechtlichen Eilverfahren jederzeit die Möglichkeit, veränderte Umstände in einem Antragsverfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO (analog) geltend zu machen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Zwar ist den Ausführungen der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2018, dortige Seite 8 oben, insoweit beizupflichten, dass das Vertrauen in das Funktionieren des Rechtsstaates und damit die Rechtssicherheit durch das zeitweilige verfassungswidrige Ignorieren gerichtlicher Entscheidungen (Art. 20 Abs. 3 GG) vorliegend massiv gefährdet wurde. Allerdings geht mit diesem verfassungswidrigen Verhalten – anders als die Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners vertreten – vorliegend keine Verwirkung des Rechts der Antragstellerin auf Geltendmachung eines Abänderungsantrags einher. Insofern handelt es sich trotz der vorab stattgefundenen Täuschung des Gerichts,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. August 2018 – 17 B 1029/18 –, amtl. Abdruck; Seiten 9 ff.,</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">auch nicht – wie die Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners ausführen – um eine sitten- und treuwidrige Ausnutzung eines von der Antragstellerin selbst herbeigeführten und aufrechterhaltenen Zustandes. Selbst für den Fall, dass das Schreiben des Bundesministers des Inneren, für Bau und Heimat persönlich an den Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10. August 2018 (Beiakte 3, Seiten 1 f.), namentlich Satz 1 des drittletzten Absatzes auf Seite 2 des Schreibens, entsprechend den Ausführungen der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2018, dortige Seite 4, in Verbindung mit dem vorgetragenen anschließenden Telefonat des Bundesinnenministers mit dem tunesischen Innenminister am 30. August 2018 dahingehend verstanden werden müsste, dass aktiv gebeten wurde, die Ausreise des Antragsgegners aus Tunesien zu verhindern bzw. die Passerteilung zu verweigern, ändert dies vorliegend rechtlich nichts daran, dass die Rückholverpflichtung auf Antrag der Antragstellerin aufzuheben ist. Denn der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB abgeleitete – Grundsatz des Verbots unzulässiger Rechtsausübung ("dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est") verbietet vorliegend gerade umgekehrt dem Antragsgegner, sich auf eine etwaig vereitelte Rückholung seitens der Antragstellerin zu berufen. Denn der bestandskräftig ausgewiesene, vollziehbar ausreisepflichtige Antragsgegner hat kein Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland,</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu Beschluss der Kammer vom 11. Juli 2018 – 8 L 1240/18 –,</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">und könnte bzw. müsste (vergleiche § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) folglich nach erfolgter Rückholung wieder – dieses Mal unter Beachtung rechtsstaatlicher Maßgaben – in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden. Etwaiges in der Vergangenheit erfolgtes Fehlverhalten einzelner Amtsinhaber mag insofern gegebenenfalls an anderer Stelle personal- und/oder disziplinarrechtlich geprüft werden.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund hat der Antragsgegner entgegen der Ausführungen seiner Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2018, dortige Seite 8 Mitte, auch keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung des Rückholbeschlusses der Kammer vom 13. Juli 2018 – 8 L 1315/18 – (nachfolgend Beschluss des OVG NRW vom 15. August 2018 – 17 B 1029/18 –) infolge der mit Schriftsatz vom 16. August 2018 im Verfahren – 8 L 1458/18 – abgegebenen Zusicherung der Antragstellerin. Denn an diese Zusicherung ist die Antragstellerin jedenfalls seit Erlass des Beschlusses der 7a. Kammer des Gerichts vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A – gemäß § 38 Abs. 3 VwVfG NRW nicht mehr gebunden. Nach dieser Norm ist eine Behörde an eine Zusicherung nicht mehr gebunden, wenn sich nach Abgabe der Zusicherung die Sach-oder Rechtslage derart ändert, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen. Die Zusicherung mit Schriftsatz der Antragstellerin vom 16. August 2018 wäre bei objektiver Betrachtungsweise nicht gegeben worden und hätte nach summarischer Prüfung auch nicht gegeben werden dürfen, wenn nicht dem Antragsgegner aufgrund der Beschlüsse der 7a. Kammer des Gerichts vom 12. Juli 2018 – 7a L 1200/18.A – und vom 10. August 2018 – 7a L 1437/18.A –, die auch für die Antragstellerin bindend waren (vgl. § 42 Satz 1 AsylG), in Tunesien – ohne verbindliche Zusicherung im Einzelfall – die Gefahr der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gedroht hätte. Diese auch für die Antragstellerin bindende Sach- und Rechtslage war als „Geschäftsgrundlage“ für die Zusicherung objektiv erheblich. Mit dieser nach den Feststellungen der 7a. Kammer des Gerichts mit Beschluss vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A – eingetretenen Änderung der relevanten Tatsachen- und Rechtslage ist auch die Bindungswirkung der Zusicherung vom 16. August 2018 entfallen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Ferner ist auch der zunächst gegebene Anordnungsgrund vorliegend entfallen, da dem Antragsgegner in Tunesien nach den Feststellungen der 7a. Kammer des Gerichts mit Beschluss vom 21. November 2018 – 7a L 1947/18.A – derzeit nicht (mehr) die Gefahr der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, an welche die beschließende Kammer ebenfalls – wie ausgeführt – gebunden ist.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Infolge der aufgezeigten Änderung der maßgeblichen Umstände wäre die Änderung des Beschlusses der Kammer vom 13. Juli 2018 – 8 L 1315/18 – auch unabhängig von dem erhobenen Einwand der Verwirkung des vorliegenden Antragsrechts durch die Antragsgegnerin – im Übrigen von Amts wegen nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO analog geboten.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Möglichkeit der Abänderung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO von Amts wegen: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 123 Rn. 129.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Es ist nicht ersichtlich, dass einer solchen Abänderung von Amts wegen tatsächliche oder rechtliche Gründe entgegenstünden. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass einer Abänderung Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Familienlebens entgegenstünden. Zwar wurde durch die am 13. Juli 2018 evident rechtswidrig erfolgte Abschiebung des Antragsgegners in die vom Antragsgegner in den vorausgegangenen Eilverfahren und im nach wie vor anhängigen Klageverfahren – 8 K 3521/18 – vorgetragene (vergleiche Schriftsatz vom 11. Juli 2018 im Klageverfahren, dortige Seiten 2 ff.) gelebte Beziehung zu seinen vier minderjährigen (4, 9, 10 und 11 jährigen) deutsch-tunesischen Kindern eingegriffen. Hieraus erwuchs und erwächst indes nach summarischer Prüfung kein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot (§ 60a Abs. 2 AufenthG).</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, in ihren Erwägungen angemessen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite die sonstigen Umstände des Einzelfalls. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Allerdings setzen sich auch gewichtige familiäre Belange nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 –, NVwZ 2006, 682.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG nicht schon bzw. allein aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2008 – 2 BvR 588/08 –, juris, mit zahlreichen weiteren Nachweisen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war und ist bei summarischer Prüfung selbst bei unterstelltem Vorliegen einer schützenswerten familiären Lebens- oder Begegnungsgemeinschaft zwischen dem Antragsgegner und seinen vier minderjährigen deutschen Kindern bis zu seiner Abschiebung am 13. Juli 2018 und damit auch nach Trennung des Antragsgegners und seiner Ehefrau und der familiengerichtlich vereinbarten Umgangsregelung ein Abschiebungsverbot nicht überwiegend wahrscheinlich. Denn die mit einem Aufenthalt des Antragsgegners außerhalb der Bundesrepublik Deutschland verbundenen Belastungen für seine Kinder und die Beziehung zu ihnen haben nach Abwägung mit den öffentlichen Belange an einer zeitweisen Fernhaltung des Antragsgegners aus dem Bundesgebiet zurückzutreten. Zu der mit der Anwesenheit des Antragsgegners im Bundesgebiet verbundenen Gefahrenlage wird auf die Ausführungen der Kammer mit Beschluss vom 11. Juli 2018 – 8 L 1240/18 –, dortige Seiten 5 ff., unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 15. April 2015 – 17 A 1245/11 –, juris, und in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts zur Prognose der Gefahr terroristischer Anschläge verwiesen. An der dort vorgenommenen Gefahrenprognose hält die Kammer nach erneuter Prüfung fest. Insofern wiegt der hier insbesondere in den Blick zu nehmende Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit derart hoch, dass die nach Art. 6 GG geschützten Interessen vorliegend – trotz der damit unweigerlich einhergehenden Belastungen für die Kinder und ihre Beziehung zu dem Antragsgegner – zurückzutreten haben. Der Kontakt ist danach vorübergehend gegebenenfalls über Ferien-/Besuchsaufenthalte der Kinder im Ausland bzw. über Fernkommunikationsmittel aufrecht zu erhalten. Die Frage der erforderlichen sowie zumutbaren zeitlichen Dauer der räumlichen Trennung des Antragsgegners von seinen vier minderjährigen Kinder wird sodann im Rahmen der im Klageverfahren – 8 K 3521/18 – streitgegenständlichen Befristungsentscheidung zu beantworten sein.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.</p>
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116,726 | ovgni-2018-12-19-10-me-39518 | {
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} | 10 ME 395/18 | 2018-12-19T00:00:00 | 2018-12-27T18:02:48 | 2019-02-12T08:37:58 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 13. Kammer – vom 9. November 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Antragsteller tragen die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich der Antragstellerinnen zu 1. und 3. in vollem Umfang und hinsichtlich des Antragstellers zu 2. größtenteils abgelehnt hat, hat keinen Erfolg. Denn das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die im November 2013 (Antragstellerin zu 1.), Oktober 2015 (Antragsteller zu 2.) und im September 2017 (Antragstellerin zu 3.) geborenen Antragsteller einen Anordnungsanspruch darauf, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen einen Betreuungsplatz im Umfange von wöchentlich 49 Stunden (Hauptantrag) bzw. wöchentlich 50 Stunden (Hilfsanträge) nachzuweisen, nicht glaubhaft gemacht haben. Die von den Antragstellern dagegen vorgebrachten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat sich nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, stellen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht in Frage.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>1) Die 5 Jahre alte Antragstellerin zu 1. hat keinen Anspruch auf Förderung in der Kindertageseinrichtung E. von Montag bis Freitag in der Zeit von 7:30 bis 17:15 Uhr (Hauptantrag), in einer anderen wohnortnahen Kindertageseinrichtung oder Tagespflegestelle in der Zeit von 7:30 bis 17:30 Uhr (1. Hilfsantrag) oder „im zeitlichen Umfang der berufsbedingten Erforderlichkeit der Eltern“ (2. Hilfsantrag), der nach dem Vorbringen der Antragsteller einer Betreuung in der Zeit von 7:30 bis 17:30 Uhr entspricht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII hat ein Kind, das das 3. Lebensjahr vollendet hat, bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Der Anspruch richtet sich nach § 12 Abs. 1 Satz 2 des Niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) auf einen Platz in einer Vormittagsgruppe eines Kindergartens. Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 KiTaG müssen die Kindertagesstätten für alle Kinder wenigstens an 5 Tagen in der Woche vormittags eine Betreuung in der Gruppe von mindestens 4 Stunden anbieten. Nach § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe allerdings darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. § 8 Abs. 2 Satz 2 KiTaG regelt diesbezüglich, dass der örtliche Träger und die Gemeinde, die die Förderung der Kinder in Tageseinrichtungen wahrnimmt, darauf hinzuwirken haben, dass je nach Bedarf in zumutbarer Entfernung Kindertagesstätten angeboten werden, die ganztags betreuen oder zumindest eine tägliche Betreuungszeit von wenigstens 6 Stunden an 5 Tagen in der Woche anbieten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Aus diesen Vorschriften ergibt sich kein Anspruch der Antragstellerin zu 1. auf Förderung im Umfang von (nahezu) 10 Stunden am Tag. Denn nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII und den genannten landesrechtlichen Vorschriften besteht lediglich ein Anspruch auf eine halbtägige Förderung (Kaiser in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, beck-online, § 24 Rn. 34; Rixen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 24 Rn. 21; Happe/Saurbier in Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., Stand: Januar 2018, § 24 SGB VIII Rn. 33; Fischer in Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 5. Aufl. 2017, § 24 Rn. 24; Struck in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 58). Entgegen der Auffassung der Antragsteller ergibt sich dies bereits eindeutig aus dem Wortlaut des § 24 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB VIII. Die Ausführungen der Antragsteller zu dem von ihnen angenommenen Zweck und der Systematik des Gesetzes, aus denen sich ein Anspruch auf eine ganztägige Betreuung ergeben soll, vermögen daher nicht zu überzeugen. Denn daraus, dass im Hinblick auf die Ganztagsbetreuung in § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII eine bloß objektiv-rechtliche Hinwirkungspflicht formuliert ist, folgt, dass sie nicht vom Rechtsanspruch des Satzes 1 umfasst ist. Die Regelung dieser Hinwirkungspflicht wäre nämlich erkennbar sinnlos, wenn auf eine Ganztagsbetreuung bereits ein subjektiver Anspruch bestünde.</p></dd>
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<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Im Hinblick auf den erforderlichen zeitlichen Umfang der halbtägigen Betreuung kann hier dahinstehen, ob wegen § 22 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII, wonach die Tageseinrichtungen den Eltern dabei helfen sollen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können, die Betreuungszeit mindestens 6 Stunden betragen muss (so Struck in Wiesner, a.a.O., § 24 Rn. 58) oder ob, was die Abgrenzung zur nicht vom Anspruch nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII umfassten Ganztagsbetreuung nahelegt, eine halbtägige Betreuung im Umfang von mindestens 4 Stunden, wie sie in § 8 Abs. 2 Satz 1 KiTaG geregelt ist, ausreichend sein kann (so Rixen in Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 24 Rn. 21), da jedenfalls die von der Antragstellerin zu 1. begehrte Betreuung im Umfang von (nahezu) 10 Stunden täglich nicht vom Anspruch gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII umfasst ist.</p></dd>
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<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen wäre selbst dann, wenn ein Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung bestünde, fraglich, ob dieser die von der Antragstellerin zu 1. begehrte Betreuung im Umfang von 10 Stunden umfassen würde. Denn orientiert an den üblichen Arbeitszeiten der Eltern (§ 22 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII) und im Hinblick auf den nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII zu berücksichtigenden sozial-emotionalen Entwicklungsstand von Kindern, die das 3. Lebensjahr vollendet haben, spricht einiges dafür, dass sich ein Ganztagesplatz in einer Kindertageseinrichtung in der Regel auf eine Betreuungszeit von 8 bis 9 Stunden bezieht (vgl. Rixen in Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 24 Rn. 21, 16).</p></dd>
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<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Soweit die Antragstellerin zu 1. mit ihrem 1. Hilfsantrag („in einer wohnortnahen Kindertageseinrichtung <em>oder</em> Tagespflegestelle“) und nach ihrer Beschwerdebegründung hilfsweise den Nachweis einer die bereits gewährte Betreuung in der Kindertageseinrichtung von 7.30 bis 15:30 Uhr ergänzenden Betreuung in einer Tagespflegestelle begehrt, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg.</p></dd>
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<dd><p></p></dd>
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<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Nach § 24 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII kann das Kind zwar bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden. Insoweit ist aber jedenfalls das Angebot eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes ausreichend (vgl. Senatsbeschluss vom 11.09.2018 - 10 LA 9/18 -, juris Rn. 23, zu § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Ein solches Angebot hat der Antragsgegner den Antragstellern unterbreitet. Denn er hat in seinem Schriftsatz vom 19. Oktober 2018 versichert, dass eine Ausweitung der Betreuung für die Antragsteller über den derzeit gewährten zeitlichen Umfang durch Kindertagespflegepersonen gewährleistet werden kann. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss ausgegangen. Es bestehen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner insoweit unwahre Angaben gemacht hat. Diese ergeben sich auch nicht aus den Angaben der Mutter der Antragsteller in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 6. November 2018, wonach sie auf ihre telefonische Nachfrage in der Familienservicestelle am 6. November 2018 lediglich die Adresse einer Tagespflegeperson erhalten habe, die jedoch nicht bereit gewesen sei, ihre Kinder bis 17.00 Uhr zu betreuen. Denn im Hinblick darauf, dass die Antragsteller (in erster Linie) ihre 10-stündige Unterbringung in der Kindertageseinrichtung E. begehren, bestand für den Antragsgegner (bislang) kein Anlass, eine Tagespflegestelle konkret zu benennen.</p></dd>
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<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Unabhängig davon hat die Antragstellerin zu 1. ohnehin keinen Anspruch auf den hilfsweise begehrten Nachweis einer Tagespflegestelle für die Anschlussbetreuung. Kinder über 3 Jahren haben nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII - wie ausgeführt - einen Rechtsanspruch auf eine halbtägige Betreuung in einer Tageseinrichtung. Dieser Anspruch umfasst jedoch nicht die Betreuung in der Kindertagespflege (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 - OVG 6 S 41.15 -, juris Leitsatz und Rn. 4). Ob darüber hinaus ergänzende Kindertagespflege gemäß § 24 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII geleistet wird, steht im Ermessen des Jugendhilfeträgers (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 22.06.2017 – 4 PA 128/17 -, juris Rn. 10; Rixen in Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 24 Rn. 8). Hier bestehen angesichts dessen, dass die Antragstellerin zu 1. bereits eine 8-stündige Betreuung (von 7.30 Uhr bis 15.30 Uhr) in der Kindertageseinrichtung erhält, keinerlei Anhaltspunkte für eine dahingehende Ermessensreduktion auf Null, die aber Voraussetzung wäre für die von ihr begehrte Verpflichtung des Antragsgegners im Wege einer einstweiligen Anordnung. Erst recht ergibt sich aus § 24 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII kein Anspruch auf Schaffung zusätzlicher Tagespflegestellen, sofern der Antragsgegner entgegen seiner Versicherung im Schriftsatz vom 19. Oktober 2018 tatsächlich nicht in der Lage wäre, den Antragstellern eine Anschlussbetreuung durch eine Tagespflegeperson im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.</p></dd>
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<dd><p></p></dd>
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<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>2) Aus den oben unter 1) genannten Gründen hat auch der dreijährige Antragsteller zu 2. keinen Anspruch auf die begehrte 10-stündige Betreuung in der Kindertagesstätte E., in einer anderen wohnortnahen Kindertageseinrichtung oder in der Form einer Anschlussbetreuung durch eine Tagespflegeperson. Dementsprechend hätten auch die Anträge des Antragstellers zu 2. im vollen Umfang abgelehnt werden müssen.</p></dd>
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<dd><p></p></dd>
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<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat gleichwohl und ohne ein erkennbares Rechtsschutzinteresse des Antragstellers zu 2., der ohnehin schon auf der Warteliste für die Kindergartengruppe in der Kindertagesstätte E. stand, den Antragsgegner verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Beigeladene ihm im Kindergartenjahr 2018/2019 einen Platz in einer Kindergartengruppe einer ortsnahen Kindertagesstätte verschafft, wobei er nach der Begründung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts keinen Anspruch auf Schaffung zusätzlicher Kindergartenplätze hat und sich deshalb im Hinblick auf die Kindertageseinrichtung E. auf deren Warteliste verweisen lassen muss. Insoweit begründen die Antragsteller ihre Beschwerde damit, dass das Verwaltungsgericht die Möglichkeit einer überkapazitären Belegung der Kindertagesstätte E. nicht hinreichend berücksichtigt habe. Auch unter diesem Gesichtspunkt hat die Beschwerde keinen Erfolg.</p></dd>
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<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Denn zum einen hat der Antragsteller zu 2. sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch im Beschwerdeverfahren mit seinen Anträgen ausschließlich eine 10-stündige Betreuung in einer Kindertageseinrichtung, ergänzend in einer Tagespflegestelle, begehrt. Der Wechsel von der bereits in der Zeit von 7:30 bis 14:30 Uhr besuchten Krippengruppe in E. in eine Kindergartengruppe mit demselben Betreuungsumfang war und ist nicht Gegenstand der Anträge des Antragstellers und ist in dem Antragsbegehren der Antragsteller auch nicht “als Minus“ enthalten. Es handelt sich vielmehr um einen anderen Verfahrensgegenstand. Auf die im vorliegenden Verfahren mit sämtlichen Anträgen begehrte 10-stündige Betreuung hat der Antragsteller zu 2. jedoch aus den oben unter 1) genannten Gründen keinen Anspruch.</p></dd>
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<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Zum anderen ist die Auffassung der Antragsteller, dass der Antragsgegner bzw. die Beigeladene verpflichtet sei, alle 5 Kindergartengruppen in E. vorübergehend über die vorhandenen Kapazitäten hinaus zu belegen, damit der Antragsteller zu 2., der auf Platz 5 der Warteliste stehe, einen dieser Plätze erhalten könne, auch unzutreffend. Denn der Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII richtet sich nicht auf die Bereitstellung eines konkreten Platzes in einer bestimmten Einrichtung. Auch das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten nach § 5 SGB VIII führt nicht dazu, dass der zuständige Jugendhilfeträger in jedem Fall freie Plätze in der von den Eltern des Kindes konkret gewünschten Einrichtung vorhalten und gegebenenfalls im Wege einer Kapazitätserweiterung schaffen muss. Denn dieses Recht findet seine Grenze, wenn keine Plätze in der gewünschten Einrichtung mehr vorhanden oder verfügbar sind (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 28.11.2014 - 4 ME 221/14 -, juris Rn. 5, und Beschluss vom 06.10.2014 - 4 ME 216/14 -, juris Rn. 2, zu § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.08.2013 - 12 B 793/13 -, juris Rn. 10; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 01.11.2000 - 2 M 32/00 -, Leitsatz und Rn. 4).</p></dd>
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<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>3) Auch die einjährige Antragstellerin zu 3. hat keinen Anspruch auf eine 10-stündige Betreuung in der Krippengruppe der Kindertagesstätte E.. Ihr diesbezüglich erhobener Einwand, dass das Verfahren zur Vergabe der in dieser Einrichtung vorhandenen Plätze fehlerhaft durchgeführt worden sei, es deshalb erneut zu erfolgen habe und ihr dann einer der Plätze in dieser Einrichtung zustehe, ist deshalb nicht entscheidungserheblich.</p></dd>
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<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Betreuungsverhältnisses gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist auf den Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes gerichtet (BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 25 ff. m.w.N.). Jedem Kind, dessen Eltern einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz wünschen, muss ein solcher Platz auch zur Verfügung gestellt werden (BVerfG, Urteil vom 21.11.2017 – 2 BvR 2177/16 -, juris Rn.134). Insoweit ist das Angebot eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes zur Erfüllung des Anspruchs gem. § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausreichend (Senatsbeschluss vom 11.09.2018 - 10 LA 9/18 -, juris Rn. 23). Sofern Plätze in der gewünschten Tageseinrichtung nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen, kann das Kind von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf die Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes in einer anderen Tageseinrichtung, wenn die Plätze in allen Tageseinrichtungen belegt sind, auch auf Plätze in der Kindertagespflege verwiesen werden, und umgekehrt (BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 37 ff.; Senatsbeschluss vom 11.09.2018 - 10 LA 9/18 -, juris Rn. 31). Denn die Pflicht des Jugendhilfeträgers, ein entsprechendes Angebot vorzuhalten (§ 79 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII), beschränkt sich auf den Gesamtbedarf an Betreuungsplätzen (BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 30, 38). Dementsprechend ermöglicht das Wunsch- und Wahlrecht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VIII dem anspruchsberechtigten Kind und seinen Erziehungsberechtigten auch nur, innerhalb des tatsächlich vorhandenen Angebots einen Betreuungsplatz auszuwählen (BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 38, 40; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 06.10.2014 - 4 ME 216/14 -, juris Rn. 2, und Senatsbeschluss vom 11.09.2018 - 10 LA 9/18 -, juris Rn. 23; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.08.2013 - 12 B 793/13 -, juris Rn. 10; Struck in Wiesner, a.a.O., § 24 Rn. 23).</p></dd>
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<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Vorliegend steht ein Betreuungsplatz in der Kindertagesstätte E. für die Antragstellerin zu 3. jedoch gerade nicht zur Verfügung. Sie steht vielmehr auf Platz 13 der Warteliste. Der Antragsgegner bzw. die beigeladene Gemeinde als Trägerin des Kindergartens ist nach den obigen Maßgaben unter keinem Gesichtspunkt verpflichtet, das Verfahren zur Vergabe der Plätze in dieser Einrichtung nochmals durchzuführen mit der eventuellen Konsequenz, dass andere Kinder ihren bereits zugewiesenen Platz in dieser Einrichtung verlieren würden. Denn der Anspruch der Antragstellerin zu 3. gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII umfasst nicht die Bereitstellung eines Platzes in einer bestimmten Einrichtung. Auch bezieht sich ihr Wunsch- und Wahlrecht nur auf das tatsächlich noch vorhandene und verfügbare Angebot.</p></dd>
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<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Soweit die Antragstellerin zu 3. „betont, dass sie sich hilfsweise einem Wechsel zu einer weiteren Tagesmutter nicht verschließen würde“, und weiter ausführt, allerdings müsse „ihr tatsächlich eine solche Tagesmutter auch angeboten werden“, verkennt sie, dass der Antragsgegner ihr ein solches Angebot, das zur Erfüllung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausreichend ist (vgl. Senatsbeschluss vom 11.09.2018 - 10 LA 9/18 -, juris Rn. 23), bereits unterbreitet hat. Denn er hat in seinem Schriftsatz vom 19. Oktober 2018 versichert, dass eine Ausweitung der Betreuung für die Antragsteller über den derzeit gewährten zeitlichen Umfang durch Kindertagespflegepersonen gewährleistet werden kann. Wie bereits oben unter 1) ausgeführt, bestehen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner insoweit unwahre Angaben gemacht hat.</p></dd>
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<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen bestehen bezüglich der erst 1 Jahr alten Antragstellerin zu 3. Zweifel, ob eine 10-stündige Betreuung mit dem nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII zu berücksichtigenden Kindeswohl zu vereinbaren und ob daher eine Betreuung in diesem Umfang - auch bei entsprechendem Bedarf der Eltern (§ 22 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII) - von dem Anspruch nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII umfasst ist. Insoweit ist zu beachten, dass negative Auswirkungen auf das sozial-emotionale Verhalten von ein- bis dreijährigen Kindern bei einer außerfamiliären Betreuung von mehr als 45 Stunden in der Woche angenommen werden (Rixen in Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 24 Rn. 16 m.w.N.). Letztlich kommt es insoweit aber gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 SGB VIII auf den individuellen Bedarf, d. h. auf die konkreten Verhältnisse in der Familie der Antragstellerin zu 3. und auf ihren eigenen sozial-emotionalen Entwicklungsstand an.</p></dd>
</dl>
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<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
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188,444 | bgh-2018-12-18-vi-zb-218 | {
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<p>Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 9. Januar 2018 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.</p>
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<p>Der Beschwerdewert beträgt bis zu 1.000 €.</p>
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<h2>Gründe</h2>
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<p>I.</p>
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<p>Der Kläger wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss. Er hat am 27. Januar 2017 bei dem Amtsgericht Klage erhoben. Mit bei dem Amtsgericht am 2. Februar 2017 eingegangenem Schriftsatz hat er die Klage zurückgenommen. Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2017 hat sich ein Rechtsanwalt für den Beklagten bestellt und den von ihm gestellten Klageabweisungsantrag am 8. Februar 2017 begründet. Am 13. Februar 2017 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Kenntnis von der Klagerücknahme erlangt.</p>
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<a name="rd_2">2</a>
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<p>Nachdem die Kosten dem Kläger auferlegt worden waren, hat der Rechtspfleger mit Beschluss vom 31. März 2017 die von dem Kläger dem Beklagten zu erstattenden Kosten auf Antrag des Beklagten in Höhe von 638,54 € festgesetzt (1,3-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV-RVG aus einem Gebührenwert von 4.800 €, Pauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG, zzgl. USt. sowie 146 € verauslagte Gerichtskosten/Zustellungskosten).</p>
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<a name="rd_3">3</a>
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<p>Das Beschwerdegericht - Einzelrichter - hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Rechtsbeschwerdeführers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Rechtsbeschwerdeführer gegen die Kostenfestsetzung zugunsten des Beklagten.</p>
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<p>II.</p>
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<p>1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, ein Kostenerstattungsanspruch bestehe auch dann, wenn der Rechtsanwalt des Beklagten nach Zustellung der Klage und in Unkenntnis der Klagerücknahme tätig geworden sei. Die Kosten seien notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dem Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, sich innerhalb der ihm gesetzten Fristen gegen die Klage verteidigt zu haben. Anderenfalls müsse er Rechtsnachteile befürchten. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Februar 2016 (III ZB 66/15) könne nicht auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen werden.</p>
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<a name="rd_5">5</a>
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<p>2. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 575 ZPO) ist begründet. Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist.</p>
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<a name="rd_6">6</a>
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<p>Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. Bejaht er - wie hier - mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. September 2018 - VI ZB 34/17, juris Rn. 5 mwN).</p>
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<p>3. Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat auf folgendes hin:</p>
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<a name="rd_8">8</a>
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<dd>
<p>a) Das Beschwerdegericht ist zu Recht von der (grundsätzlichen) Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Kosten ausgegangen, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. Senatsbeschluss vom 10. April 2018 - VI ZB 70/16, VersR 2018, 1469; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2018 - XII ZB 112/17, NJW 2018, 1403 Rn. 22 ff.).</p>
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<a name="rd_9">9</a>
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<p>b) Nach der Zurückverweisung wird das Beschwerdegericht auch Gelegenheit haben, die Rüge des Klägers in Bezug auf den Ansatz der verauslagten Gerichtskosten in Höhe von 146 € in dem Kostenfestsetzungsbeschluss zu überprüfen. Die Zahlung von Gerichtskosten durch den Beklagten ist nicht ersichtlich.</p>
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<p style="text-align:left">von Pentz     </p>
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<p style="text-align:left">Wellner     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
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<p style="text-align:left">Offenloch</p>
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<p style="text-align:left">      </p>
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<p style="text-align:left">Roloff     </p>
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<p style="text-align:left">Allgayer     </p>
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188,437 | bverwg-2018-12-18-8-b-718 | {
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<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>Das Ministerium der Finanzen des Beklagten erteilte dem Kläger am 10. November 2014 eine Erlaubnis zur Veranstaltung einer Fernsehlotterie und zu deren Eigenvertrieb im Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2019 und setzte für die Erteilung der Erlaubnis für das Jahr 2015 eine Gebühr in Höhe von 173 930 € fest. Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger angefochtene Gebührenfestsetzung mit Urteil vom 26. Januar 2017 aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die Gebühr sei von einer sachlich unzuständigen Behörde festgesetzt worden. Die Geschäftsverteilungsanordnung der Landesregierung Rheinland-Pfalz dürfe das Ministerium der Finanzen nicht als zuständige Behörde bestimmen, weil einer solchen Regelung § 9 Abs. 7 GlüStV entgegenstehe. Die sachliche Zuständigkeit dieses Ministeriums folge auch nicht aus § 15 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 und 7 Landesglücksspielgesetz Rheinland-Pfalz - LGlüG -.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Fragen,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob § 9 Abs. 7 GlüStV auch dann anwendbar ist, wenn ein Interessenkonflikt zwischen dem Veranstalter von Lotterien mit geringerem Gefährdungspotential und einer Erlaubnisbehörde, die ansonsten für die Finanzen des Landes zuständig ist, gar nicht entstehen kann,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob die Anwendung des § 9 Abs. 7 GlüStV ausgeschlossen ist, wenn es um die Erlaubniserteilung einschließlich der Festsetzung von Gebühren für eine Lotterie mit geringerem Gefährdungspotential durch eine oberste Finanzbehörde geht, wenn nach den Feststellungen eines Berufungsgerichts gar kein Interessenkonflikt zwischen dieser obersten Landesbehörde und dem Erlaubnisbewerber bei dieser Glücksspielart ersichtlich ist und</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob es als wesentliche Begründung für eine restriktive Anwendung des § 9 Abs. 7 GlüStV und dem Ausschluss einer Anwendbarkeit für die Erlaubniserteilung für Lotterien mit geringerem Gefährdungspotential ausreicht, wenn bereits andere effektive Kontroll- und Begleitinstanzen beim Handeln einer obersten Finanzbehörde eingeschaltet sind,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>bedürfen keiner revisionsgerichtlichen Klärung. Sie lassen sich ohne Weiteres auf Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten (BVerwG, Beschluss vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>). § 9 Abs. 7 des Glücksspielstaatsvertrages in der Fassung des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland - GlüStV - vom 15. Dezember 2011 verbietet seinem eindeutigen Wortlaut nach ausnahmslos die Ausübung der Glücksspielaufsicht durch eine Behörde, die für die Finanzen des Landes zuständig ist. Die Entstehungsgeschichte und der daraus abzuleitende Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten keine Einschränkung ihres Anwendungsbereichs in Fällen, in denen ein Interessenkonflikt zwischen dem Veranstalter einer Lotterie mit geringerem Gefährdungspotential und der Behörde, die für die Finanzen des Landes zuständig ist, nicht ersichtlich ist. Die Vorschrift zielt entgegen der Ansicht des Beklagten nicht auf die Vermeidung von konkreten Interessenkonflikten, die daraus folgen können, dass die für Glücksspielaufsicht zuständige Behörde zugleich für die Aufsicht über staatlich organisiertes Glücksspiel und für die Erteilung von Erlaubnissen für die Konkurrenten dieses Glücksspiels zuständig ist. Sie will vielmehr sicherstellen, dass die für die Einhaltung der Anforderungen des Spielerschutzes und der Suchtbekämpfung bei der Veranstaltung, der Vermarktung und dem Vertrieb von Glücksspielen zuständigen Behörden ausnahmslos eine ausreichende Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates aufweisen. Das ergibt sich aus der Erläuterung zur entsprechenden Regelung im Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages vom 1. Januar 2008 vom 6. Dezember 2006 (vgl. etwa LT-Drs. BW 14/1930, S. 39). Zu § 9 Abs. 6, dessen Formulierung, soweit hier von Bedeutung, § 9 Abs. 7 des Glücksspielstaatsvertrages in der Fassung des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland entspricht, wird dort ausgeführt, die Glücksspielaufsicht dürfe nicht durch eine Behörde ausgeübt werden, die für die Finanzen des Landes zuständig sei. Damit werde einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, wonach der Gesetzgeber die Einhaltung der Anforderungen des Spielerschutzes und der Suchtbekämpfung durch geeignete Kontrollinstanzen sicherzustellen habe, die eine ausreichende Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates aufweisen müssten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Parteien des Staatsvertrages wollten mit der Vorschrift also sicherstellen, dass stets eine organisatorische Distanz zwischen der Behörde, die die Aufgabe der Glücksspielaufsicht wahrnimmt, und der Behörde, die für die fiskalischen Interessen des Staates zuständig ist, besteht. Das gilt unabhängig davon, ob die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine solche Distanz nur in Fallgestaltungen fordert, in denen Interessenkonflikte tatsächlich auch entstehen können, weil die für Glücksspielaufsicht zuständige Behörde gleichzeitig für die Betreuung staatlich organisierten Glücksspiels und für die Beaufsichtigung damit konkurrierender privater Angebote zuständig ist. Die Vertragsparteien des Glücksspielstaatsvertrages haben die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den zitierten Erläuterungen zufolge ersichtlich weiter verstanden, nämlich im Sinne einer ausnahmslosen Distanz zwischen der jeweils für Glücksspielaufsicht zuständigen Behörde und der Behörde, die für die Wahrung der fiskalischen Interessen eines Landes zuständig ist. Ein Wille, die durch § 9 Abs. 7 GlüStV normierten organisatorischen Inkompatibilitäten nicht über das verfassungsrechtlich Gebotene hinaus zu erstrecken, lässt sich den Erläuterungen dagegen nicht entnehmen. Für eine einschränkende Auslegung des Anwendungsbereichs des § 9 Abs. 7 GlüStV im Sinne der Argumentation des Beklagten ist danach kein Raum.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>Sie wäre selbst nach dem vom Beklagten angenommenen Normzweck nicht erforderlich. Soweit keine konkreten Interessenkonflikte bestehen sollten, wäre die Anwendung der ausnahmslosen Inkompatibilitätsregelung zwar nicht durch den Normzweck geboten, aber auch nicht zweckwidrig. Außerdem widerspräche eine teleologische Reduktion des § 9 Abs. 7 GlüStV, deren Umfang sich erst aus der Prüfung möglicher Interessenkonflikte im konkreten Fall ergäbe, dem rechtsstaatlichen Erfordernis einer eindeutig bestimmten, für jeden Betroffenen erkennbaren Regelung der sachlichen Zuständigkeit für außenwirksame Maßnahmen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Mit der Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob die Regelung des § 9 Abs. 7 GlüStV nicht aufgrund der landesrechtlichen Regelungen über die Zuständigkeitszuweisung betreffend die Erlaubniserteilung für Lotterien mit geringerem Gefährdungspotenzial an das für Lotteriewesen zuständige Ministerium nach § 15 Abs. 1 LGlüG zu einer einschränkenden Interpretation des § 9 Abs. 7 GlüStV führt, wobei hier eine Kollisionslage bezüglich von genuinem Landesrecht (LGlüG) und dem Zustimmungsgesetz zum GlüStV vorliegt und ein Vorrang des Landesrechts aus § 15 Abs. 1 GlüStV besteht. Hat damit die Zuständigkeitsregelung in § 15 Abs. 1 GlüStV oder gegebenenfalls auch eine Zuständigkeitseröffnung durch Art. 105 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz in Verbindung mit der Zuständigkeitsübertragung durch die Landesregierung einen Vorrang gegenüber der Regelung des § 9 Abs. 7 GlüStV?</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>möchte der Beklagte nach den Erläuterungen seiner Beschwerdebegründung geklärt wissen, ob die Regelung des § 9 Abs. 7 GlüStV eine Sperrwirkung gegenüber der auf Art. 105 Abs. 2 Satz 1 der Landesverfassung Rheinland-Pfalz gestützten Anordnung über die Geschäftsverteilung der Landesregierung Rheinland-Pfalz vom 12. November 2014 (GVBl. S. 295) entfalten kann. Der damit skizzierte Normkonflikt führt nicht auf eine das revisible Recht betreffende Rechtsfrage. Ob die genannte Anordnung sich gegenüber § 9 Abs. 7 GlüStV durchsetzen kann, wäre vielmehr durch Auslegung von Art. 105 Abs. 2 Satz 1 der Landesverfassung Rheinland-Pfalz - einer nicht revisiblen Norm - zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2000 - 6 BN 2.99 - NVwZ-RR 2000, 339 f., juris Rn. 8 f.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Die weitere Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob die Frage der Klärung der sachlichen Zuständigkeit bei der Anwendung des § 15 LGlüG, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den Normen des GlüStV steht, zu dem revisiblen, also vom BVerwG zu überprüfenden Recht gehört und insoweit das BVerwG auf der Grundlage des § 33 GlüStV auch Landesrecht auslegen und anwenden kann,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>kann ohne Weiteres auf Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantwortet werden. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO können nur solche Rechtsfragen zur Zulassung der Revision führen, die revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO betreffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. August 2002 - 9 B 35.02 - NVwZ-2002, 1505). Dazu gehört § 15 LGlüG nicht. Klärungsbedürftige Fragen zu § 33 GlüStV werden nicht aufgeworfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Die Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob ein offensichtlicher Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Gesetzesauslegung vorliegt, wenn ein Gericht den klaren Wortlaut einer Zuständigkeitsnorm (Begriff des "für das Lotteriewesen zuständigen Ministeriums") in einer Weise versteht, dass es ja noch einer zusätzlichen gesetzlichen Zuständigkeitsnorm bedarf,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>führt noch nicht auf eine revisible Rechtsfrage. Die (angeblich) unrichtige Anwendung allgemeiner Auslegungsgrundsätze auf eine irrevisible Norm würde für sich genommen noch keinen Verstoß gegen revisibles Recht begründen. Voraussetzung dafür wäre vielmehr, dass das Auslegungsergebnis mit revisiblem Recht unvereinbar wäre.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>Die darauf zielende weitere Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob die Auslegung des § 15 Abs. 1 LGlüG, die die Verneinung einer Norm über die sachliche Zuständigkeit zur Folge hat, zu einer Verletzung des Art. 20 Abs. 3 GG und des Art. 3 GG in der Weise geführt hat, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Anwendung von irrevisiblem Landesrecht sich so weit vom zugrunde gelegten Gesetz entfernt hat, dass die Begründung der Entscheidung den Zusammenhang mit der Norm nicht mehr hinreichend erkennen lässt und damit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt, auch nicht als richterliche Rechtsfortbildung, verständlich ist,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>geht davon aus, dass die Auslegung des irrevisiblen § 15 Abs. 1 LGlüG durch das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Einzelfall mit dem Willkürverbot und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar sei. Sie legt jedoch keinen revisionsrechtlichen Klärungsbedarf bezüglich der genannten Vorschriften des Grundgesetzes dar und kann daher nicht zur Zulassung der Revision führen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>5. Der Beklagte möchte sinngemäß weiter wissen,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob sich aus dem Grundgedanken des § 3 Abs. 3 VwVfG eine Fortführungsbefugnis der bisher zuständigen Behörde ableiten lässt, die in der Annahme ihrer Zuständigkeit von Anfang an dem Bürger gegenüber mit dessen Einverständnis auch die Interessen aller Bundesländer bei der Erteilung glücksspielrechtlicher Erlaubnisse einschließlich der Zusatzentscheidung wahrgenommen hat?</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Frage könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Das Oberverwaltungsgericht hat weder festgestellt, dass das Ministerium der Finanzen für die Entscheidung des vorliegenden Falles ursprünglich zuständig gewesen ist, noch dass es von Anfang an im Einverständnis des Klägers die Interessen aller Bundesländer gegenüber diesem wahrgenommen hat.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>Die von dem Beklagten aufgeworfene Frage lässt sich zudem ohne Weiteres auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten. § 3 Abs. 3 VwVfG ist auf den vorliegenden Fall weder unmittelbar noch entsprechend - auch nicht dem Grundgedanken nach - anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die nur die örtliche Zuständigkeit betreffende Vorschrift schon nicht entsprechend auf Fälle angewendet werden, in denen eine einmal begründete sachliche Zuständigkeit einer Behörde entfällt. Das Verwaltungsverfahrensgesetz enthält sich einer Normierung von Fragen der sachlichen Zuständigkeit zugunsten anderweitiger Regelungen im Zusammenhang mit dem materiellen Recht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1989 - 6 C 38.88 - BVerwGE 84, 3 <8 f.>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>6. Die vom Beklagten als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Kann ein oberstes Landesgericht, nachdem es in einem früheren Verfahren die sachliche Zuständigkeit einer obersten Landesbehörde bejaht hat, was einer über Jahre hinweg geltenden Rechtslage entsprach, nach Ablauf von mehreren Jahren nunmehr einen gegenteiligen Standpunkt vertreten? Ist es nicht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und damit aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips (vgl. nur BVerfGE 74, 129 <152> m.w.N., auch BFH, Großer Senat, Beschluss vom 17.12.2007, Drs. 2/04 - BFHE 220, 129 - juris Rn. 98 f.) geboten, für einen Übergangszeitraum an der alten, die Zuständigkeit bejahenden Rechtsprechung festzuhalten, so dass erst nach einem Übergangszeitraum, auf den sich die Beteiligen einrichten können, die neue Bewertung durch die Rechtsprechung mit Wirkung für die Zukunft gilt?</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Sie würde sich in einem Revisionsverfahren schon nicht stellen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat eine solche Fallgestaltung gerade nicht festgestellt, sondern ausgeführt, dass sich aus seiner von dem Beklagten zitierten Entscheidung vom 21. November 2014 - 6 A 10562/14.OVG - nichts für die sachliche Zuständigkeit des Ministeriums der Finanzen entnehmen lasse. Die formulierte Frage reicht zudem nicht über den vorliegenden Einzelfall hinaus, denn sie möchte der Sache nach lediglich geklärt wissen, ob das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die Zuständigkeit des Ministeriums der Finanzen für einen Übergangszeitraum aus dem Rechtsstaatsprinzip hätte ableiten müssen. Klärungsbedürftige Fragen zu diesem Prinzip wirft sie nicht auf.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>7. Die schließlich aufgeworfene Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob es treuwidrig ist und damit kein Rechtsschutzinteresse eines Klägers vorliegen kann, wenn dieser erst nach Jahren, nachdem er über Jahre ständig mit der betreffenden Erlaubnisbehörde in Kontakt getreten ist, mit ihr verhandelt hat und positive Erlaubnisbescheide erhalten hat, später die fehlende sachliche Zuständigkeit rügt, wenn es um die Überprüfung eines im Annexwege folgenden Gebührenbescheides geht?,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>hat ebenfalls keine fallübergreifende Bedeutung. Der Beklagte möchte damit geklärt wissen, ob das Oberverwaltungsgericht - aus Gründen, die es zudem nicht festgestellt hat - das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers hätte verneinen müssen. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist damit nicht dargetan.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 GKG.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
188,436 | bverwg-2018-12-18-8-b-818 | {
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<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Das Ministerium der Finanzen des Beklagten erteilte dem Kläger am 10. November 2014 eine Erlaubnis zur Veranstaltung einer Fernsehlotterie und zu deren Eigenvertrieb im Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2019. Mit Bescheid vom 4. Januar 2016 setzte es für die Erteilung der Erlaubnis für das Jahr 2016 eine Gebühr in Höhe von 159 507 € fest. Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger angefochtene Gebührenfestsetzung mit Urteil vom 26. Januar 2017 aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die Gebühr sei von einer sachlich unzuständigen Behörde festgesetzt worden. Die Geschäftsverteilungsanordnung der Landesregierung Rheinland-Pfalz dürfe das Ministerium der Finanzen nicht als zuständige Behörde bestimmen, weil einer solchen Regelung § 9 Abs. 7 GlüStV entgegenstehe. Die sachliche Zuständigkeit dieses Ministeriums folge auch nicht aus § 15 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 und 7 Landesglücksspielgesetz Rheinland-Pfalz - LGlüG -.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
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<dd>
<p>
1. Die Fragen,</p>
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</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>ob § 9 Abs. 7 GlüStV auch dann anwendbar ist, wenn ein Interessenkonflikt zwischen dem Veranstalter von Lotterien mit geringerem Gefährdungspotential und einer Erlaubnisbehörde, die ansonsten für die Finanzen des Landes zuständig ist, gar nicht entstehen kann,</p>
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</dl>
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<dd>
<p>ob die Anwendung des § 9 Abs. 7 GlüStV ausgeschlossen ist, wenn es um die Erlaubniserteilung einschließlich der Festsetzung von Gebühren für eine Lotterie mit geringerem Gefährdungspotential durch eine oberste Finanzbehörde geht, wenn nach den Feststellungen eines Berufungsgerichts gar kein Interessenkonflikt zwischen dieser obersten Landesbehörde und dem Erlaubnisbewerber bei dieser Glücksspielart ersichtlich ist und</p>
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<p>ob es als wesentliche Begründung für eine restriktive Anwendung des § 9 Abs. 7 GlüStV und dem Ausschluss einer Anwendbarkeit für die Erlaubniserteilung für Lotterien mit geringerem Gefährdungspotential ausreicht, wenn bereits andere effektive Kontroll- und Begleitinstanzen beim Handeln einer obersten Finanzbehörde eingeschaltet sind,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>bedürfen keiner revisionsgerichtlichen Klärung. Sie lassen sich ohne Weiteres auf Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten (BVerwG, Beschluss vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>). § 9 Abs. 7 des Glücksspielstaatsvertrages in der Fassung des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland - GlüStV - vom 15. Dezember 2011 verbietet seinem eindeutigen Wortlaut nach ausnahmslos die Ausübung der Glücksspielaufsicht durch eine Behörde, die für die Finanzen des Landes zuständig ist. Die Entstehungsgeschichte und der daraus abzuleitende Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten keine Einschränkung ihres Anwendungsbereichs in Fällen, in denen ein Interessenkonflikt zwischen dem Veranstalter einer Lotterie mit geringerem Gefährdungspotential und der Behörde, die für die Finanzen des Landes zuständig ist, nicht ersichtlich ist. Die Vorschrift zielt entgegen der Ansicht des Beklagten nicht auf die Vermeidung von konkreten Interessenkonflikten, die daraus folgen können, dass die für Glücksspielaufsicht zuständige Behörde zugleich für die Aufsicht über staatlich organisiertes Glücksspiel und für die Erteilung von Erlaubnissen für die Konkurrenten dieses Glücksspiels zuständig ist. Sie will vielmehr sicherstellen, dass die für die Einhaltung der Anforderungen des Spielerschutzes und der Suchtbekämpfung bei der Veranstaltung, der Vermarktung und dem Vertrieb von Glücksspielen zuständigen Behörden ausnahmslos eine ausreichende Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates aufweisen. Das ergibt sich aus der Erläuterung zur entsprechenden Regelung im Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages vom 1. Januar 2008 vom 6. Dezember 2006 (vgl. etwa LT-Drs. BW 14/1930, S. 39). Zu § 9 Abs. 6, dessen Formulierung, soweit hier von Bedeutung, § 9 Abs. 7 des Glücksspielstaatsvertrages in der Fassung des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland entspricht, wird dort ausgeführt, die Glücksspielaufsicht dürfe nicht durch eine Behörde ausgeübt werden, die für die Finanzen des Landes zuständig sei. Damit werde einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, wonach der Gesetzgeber die Einhaltung der Anforderungen des Spielerschutzes und der Suchtbekämpfung durch geeignete Kontrollinstanzen sicherzustellen habe, die eine ausreichende Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates aufweisen müssten.</p>
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<a name="rd_4">4</a>
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<dd>
<p>
Die Parteien des Staatsvertrages wollten mit der Vorschrift also sicherstellen, dass stets eine organisatorische Distanz zwischen der Behörde, die die Aufgabe der Glücksspielaufsicht wahrnimmt, und der Behörde, die für die fiskalischen Interessen des Staates zuständig ist, besteht. Das gilt unabhängig davon, ob die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine solche Distanz nur in Fallgestaltungen fordert, in denen Interessenkonflikte tatsächlich auch entstehen können, weil die für Glücksspielaufsicht zuständige Behörde gleichzeitig für die Betreuung staatlich organisierten Glücksspiels und für die Beaufsichtigung damit konkurrierender privater Angebote zuständig ist. Die Vertragsparteien des Glücksspielstaatsvertrages haben die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den zitierten Erläuterungen zufolge ersichtlich weiter verstanden, nämlich im Sinne einer ausnahmslosen Distanz zwischen der jeweils für Glücksspielaufsicht zuständigen Behörde und der Behörde, die für die Wahrung der fiskalischen Interessen eines Landes zuständig ist. Ein Wille, die durch § 9 Abs. 7 GlüStV normierten organisatorischen Inkompatibilitäten nicht über das verfassungsrechtlich Gebotene hinaus zu erstrecken, lässt sich den Erläuterungen dagegen nicht entnehmen. Für eine einschränkende Auslegung des Anwendungsbereichs des § 9 Abs. 7 GlüStV im Sinne der Argumentation des Beklagten ist danach kein Raum.</p>
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<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
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<dd>
<p>
Sie wäre selbst nach dem vom Beklagten angenommenen Normzweck nicht erforderlich. Soweit keine konkreten Interessenkonflikte bestehen sollten, wäre die Anwendung der ausnahmslosen Inkompatibilitätsregelung zwar nicht durch den Normzweck geboten, aber auch nicht zweckwidrig. Außerdem widerspräche eine teleologische Reduktion des § 9 Abs. 7 GlüStV, deren Umfang sich erst aus der Prüfung möglicher Interessenkonflikte im konkreten Fall ergäbe, dem rechtsstaatlichen Erfordernis einer eindeutig bestimmten, für jeden Betroffenen erkennbaren Regelung der sachlichen Zuständigkeit für außenwirksame Maßnahmen.</p>
</dd>
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<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
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<p>
2. Mit der Frage,</p>
</dd>
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<dd>
<p>ob die Regelung des § 9 Abs. 7 GlüStV nicht aufgrund der landesrechtlichen Regelungen über die Zuständigkeitszuweisung betreffend die Erlaubniserteilung für Lotterien mit geringerem Gefährdungspotenzial an das für Lotteriewesen zuständige Ministerium nach § 15 Abs. 1 LGlüG zu einer einschränkenden Interpretation des § 9 Abs. 7 GlüStV führt, wobei hier eine Kollisionslage bezüglich von genuinem Landesrecht (LGlüG) und dem Zustimmungsgesetz zum GlüStV vorliegt und ein Vorrang des Landesrechts aus § 15 Abs. 1 GlüStV besteht. Hat damit die Zuständigkeitsregelung in § 15 Abs. 1 GlüStV oder gegebenenfalls auch eine Zuständigkeitseröffnung durch Art. 105 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz in Verbindung mit der Zuständigkeitsübertragung durch die Landesregierung einen Vorrang gegenüber der Regelung des § 9 Abs. 7 GlüStV?</p>
</dd>
</dl>
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<dt/>
<dd>
<p>möchte der Beklagte nach den Erläuterungen seiner Beschwerdebegründung geklärt wissen, ob die Regelung des § 9 Abs. 7 GlüStV eine Sperrwirkung gegenüber der auf Art. 105 Abs. 2 Satz 1 der Landesverfassung Rheinland-Pfalz gestützten Anordnung über die Geschäftsverteilung der Landesregierung Rheinland-Pfalz vom 12. November 2014 (GVBl. S. 295) entfalten kann. Der damit skizzierte Normkonflikt führt nicht auf eine das revisible Recht betreffende Rechtsfrage. Ob die genannte Anordnung sich gegenüber § 9 Abs. 7 GlüStV durchsetzen kann, wäre vielmehr durch Auslegung von Art. 105 Abs. 2 Satz 1 der Landesverfassung Rheinland-Pfalz - einer nicht revisiblen Norm - zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2000 - 6 BN 2.99 - NVwZ-RR 2000, 339 f., juris Rn. 8 f.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
3. Die weitere Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob die Frage der Klärung der sachlichen Zuständigkeit bei der Anwendung des § 15 LGlüG, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den Normen des GlüStV steht, zu dem revisiblen, also vom BVerwG zu überprüfenden Recht gehört und insoweit das BVerwG auf der Grundlage des § 33 GlüStV auch Landesrecht auslegen und anwenden kann,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>kann ohne Weiteres auf Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantwortet werden. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO können nur solche Rechtsfragen zur Zulassung der Revision führen, die revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO betreffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. August 2002 - 9 B 35.02 - NVwZ-2002, 1505). Dazu gehört § 15 LGlüG nicht. Klärungsbedürftige Fragen zu § 33 GlüStV werden nicht aufgeworfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>
4. Die Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob ein offensichtlicher Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Gesetzesauslegung vorliegt, wenn ein Gericht den klaren Wortlaut einer Zuständigkeitsnorm (Begriff des "für das Lotteriewesen zuständigen Ministeriums") in einer Weise versteht, dass es ja noch einer zusätzlichen gesetzlichen Zuständigkeitsnorm bedarf,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>führt noch nicht auf eine revisible Rechtsfrage. Die (angeblich) unrichtige Anwendung allgemeiner Auslegungsgrundsätze auf eine irrevisible Norm würde für sich genommen noch keinen Verstoß gegen revisibles Recht begründen. Voraussetzung dafür wäre vielmehr, dass das Auslegungsergebnis mit revisiblem Recht unvereinbar wäre.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die darauf zielende weitere Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob die Auslegung des § 15 Abs. 1 LGlüG, die die Verneinung einer Norm über die sachliche Zuständigkeit zur Folge hat, zu einer Verletzung des Art. 20 Abs. 3 GG und des Art. 3 GG in der Weise geführt hat, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Anwendung von irrevisiblem Landesrecht sich so weit vom zugrunde gelegten Gesetz entfernt hat, dass die Begründung der Entscheidung den Zusammenhang mit der Norm nicht mehr hinreichend erkennen lässt und damit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt, auch nicht als richterliche Rechtsfortbildung, verständlich ist,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>geht davon aus, dass die Auslegung des irrevisiblen § 15 Abs. 1 LGlüG durch das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Einzelfall mit dem Willkürverbot und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar sei. Sie legt jedoch keinen revisionsrechtlichen Klärungsbedarf bezüglich der genannten Vorschriften des Grundgesetzes dar und kann daher nicht zur Zulassung der Revision führen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>
5. Der Beklagte möchte sinngemäß weiter wissen,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob sich aus dem Grundgedanken des § 3 Abs. 3 VwVfG eine Fortführungsbefugnis der bisher zuständigen Behörde ableiten lässt, die in der Annahme ihrer Zuständigkeit von Anfang an dem Bürger gegenüber mit dessen Einverständnis auch die Interessen aller Bundesländer bei der Erteilung glücksspielrechtlicher Erlaubnisse einschließlich der Zusatzentscheidung wahrgenommen hat?</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Frage könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Das Oberverwaltungsgericht hat weder festgestellt, dass das Ministerium der Finanzen für die Entscheidung des vorliegenden Falles ursprünglich zuständig gewesen ist, noch dass es von Anfang an im Einverständnis des Klägers die Interessen aller Bundesländer gegenüber diesem wahrgenommen hat.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die von dem Beklagten aufgeworfene Frage lässt sich zudem ohne Weiteres auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten. § 3 Abs. 3 VwVfG ist auf den vorliegenden Fall weder unmittelbar noch entsprechend - auch nicht dem Grundgedanken nach - anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die nur die örtliche Zuständigkeit betreffende Vorschrift schon nicht entsprechend auf Fälle angewendet werden, in denen eine einmal begründete sachliche Zuständigkeit einer Behörde entfällt. Das Verwaltungsverfahrensgesetz enthält sich einer Normierung von Fragen der sachlichen Zuständigkeit zugunsten anderweitiger Regelungen im Zusammenhang mit dem materiellen Recht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1989 - 6 C 38.88 - BVerwGE 84, 3 <8 f.>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>
6. Die vom Beklagten als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Kann ein oberstes Landesgericht, nachdem es in einem früheren Verfahren die sachliche Zuständigkeit einer obersten Landesbehörde bejaht hat, was einer über Jahre hinweg geltenden Rechtslage entsprach, nach Ablauf von mehreren Jahren nunmehr einen gegenteiligen Standpunkt vertreten? Ist es nicht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und damit aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips (vgl. nur BVerfGE 74, 129 <152> m.w.N., auch BFH, Großer Senat, Beschluss vom 17.12.2007, Drs. 2/04 - BFHE 220, 129 - juris Rn. 98 f.) geboten, für einen Übergangszeitraum an der alten, die Zuständigkeit bejahenden Rechtsprechung festzuhalten, so dass erst nach einem Übergangszeitraum, auf den sich die Beteiligen einrichten können, die neue Bewertung durch die Rechtsprechung mit Wirkung für die Zukunft gilt?</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Sie würde sich in einem Revisionsverfahren schon nicht stellen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat eine solche Fallgestaltung gerade nicht festgestellt, sondern ausgeführt, dass sich aus seiner von dem Beklagten zitierten Entscheidung vom 21. November 2014 - 6 A 10562/14.OVG - nichts für die sachliche Zuständigkeit des Ministeriums der Finanzen entnehmen lasse. Die formulierte Frage reicht zudem nicht über den vorliegenden Einzelfall hinaus, denn sie möchte der Sache nach lediglich geklärt wissen, ob das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die Zuständigkeit des Ministeriums der Finanzen für einen Übergangszeitraum aus dem Rechtsstaatsprinzip hätte ableiten müssen. Klärungsbedürftige Fragen zu diesem Prinzip wirft sie nicht auf.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>
7. Die schließlich aufgeworfene Frage,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>ob es treuwidrig ist und damit kein Rechtsschutzinteresse eines Klägers vorliegen kann, wenn dieser erst nach Jahren, nachdem er über Jahre ständig mit der betreffenden Erlaubnisbehörde in Kontakt getreten ist, mit ihr verhandelt hat und positive Erlaubnisbescheide erhalten hat, später die fehlende sachliche Zuständigkeit rügt, wenn es um die Überprüfung eines im Annexwege folgenden Gebührenbescheides geht?,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>hat ebenfalls keine fallübergreifende Bedeutung. Der Beklagte möchte damit geklärt wissen, ob das Oberverwaltungsgericht - aus Gründen, die es zudem nicht festgestellt hat - das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers hätte verneinen müssen. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist damit nicht dargetan.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 GKG.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Bewertung der mündlichen Ergänzungsprüfung im Modul „Strömungslehre“ vom 24. April 2017, der Bescheid vom 13. November 2017, der Bescheid vom 29. November 2017 und der Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2018 werden aufgehoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine weitere mündliche Ergänzungsprüfung im Fach „Strömungslehre“ zu gewähren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Tatbestand</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Kläger wendet sich gegen die Bewertung einer mündlichen Ergänzungsprüfung in einem Modul seines Bachelorstudiums mit „nicht bestanden“, gegen einen Bescheid über das endgültige Nichtbestehen des Bachelorstudiengangs sowie gegen seine Exmatrikulation.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der im Jahr 1991 geborene Kläger nahm zum Sommersemester 2014 das Bachelorstudium Produktionstechnik und Management an der beklagten Hochschule auf. In diesem Studiengang ist das Modul „Strömungslehre 1“ als Pflichtmodul zu absolvieren. Der Kläger legte in diesem Modul drei schriftliche Prüfungsversuche ohne Erfolg ab, und zwar am 21. August 2015, am 9. Dezember 2015 sowie am 22. März 2017. Im Anschluss an den nicht bestandenen 3. Prüfungsversuch fand auf Antrag des Klägers am 24. April 2017 eine mündliche Ergänzungsprüfung durch den vom Prüfungsausschuss zuvor bestellten Prüfer Prof. A statt. Der Prüfer zog seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Frau B als Beisitzerin hinzu, ohne dass der Prüfungsausschuss zuvor eine Entscheidung darüber getroffen hatte. Unmittelbar nach der Prüfung erfuhr der Kläger mündlich vom Prüfer, dass er die mündliche Ergänzungsprüfung nicht bestanden habe. Kurz darauf – zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt – wurde das endgültige Nichtbestehen des Moduls „Strömungslehre 1“ im Onlineportal der Hochschule in der für den Kläger zugänglichen Leistungsübersicht veröffentlicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>In einer E-Mail vom 25. April 2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nunmehr seine Exmatrikulation eingeleitet werde, da er sein Studium endgültig nicht bestanden habe. Die Beklagte exmatrikulierte den Kläger mit Bescheid vom 9. Mai 2017 ohne zuvor einen rechtsmittelfähigen prüfungsrechtlichen Bescheid zu erlassen. Am 13. Juni 2017 nahm der Prüfer Prof. Dr. A zum Ablauf der mündlichen Ergänzungsprüfung Stellung, dasselbe tat die Frau B am 16. Juni 2017. Am 23. Juni 2017 und erneut am 28. September 2017 beschloss der Prüfungsausschuss nachträglich die Bestellung von Frau B als Beisitzerin. Die Beklagte hob die Exmatrikulation im Rahmen des später anhängig gewordenen Klageverfahrens 2 K 8012/17 wieder auf, nachdem das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass eine Exmatrikulation ohne vorherige oder gleichzeitige prüfungsrechtliche Bescheidung rechtswidrig sein dürfte. Der Kläger begehrte zudem in einem gerichtlichen Eilverfahren (2 E 9047/17), weiterhin zur Lehrveranstaltung CAD zugelassen zu werden sowie Prüfungsleistungen erbringen zu können und vorläufig eine Immatrikulationsbescheinigung für das Wintersemester 2017/2018 zu erhalten. Diesen Antrag lehnte die Kammer mit Beschluss vom 23. November 2017 ab, da er die Anmeldefrist versäumt hatte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 13. November 2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er seinen Bachelorstudiengang endgültig nicht bestanden habe. Der Kläger habe im Modulfach Strömungslehre 1 den letzten Prüfungsversuch nicht bestanden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 29. November 2017 exmatrikulierte die beklagte Hochschule den Kläger zum 24. April 2017 und begründete dies mit der Beendigung des Studiums nach endgültig nicht bestandener Prüfung. Mit Widerspruch vom 1. Dezember 2017 wandte sich der Kläger gegen die Exmatrikulation, mit weiterem Widerspruch vom 13. Dezember 2017 begehrte er die Aufhebung des prüfungsrechtlichen Bescheides über das endgültige Nichtbestehen seines Studiums. Der Kläger machte geltend, die mündliche Prüfung sei verfahrensfehlerhaft abgelaufen. Insbesondere sei die Beisitzerin nicht ordnungsgemäß bestellt worden und habe als Zweitvotantin agiert. Zum Teil seien die gestellten Fragen unklar gewesen bzw. seien seine Antworten nicht hinreichend gewürdigt worden. Die Beisitzerin sei auch sehr stark mit ihrem Smartphone beschäftigt gewesen und habe daher der Prüfung nicht folgen können. Am 22. Februar 2018 entschied der Prüfungsausschuss, dem Widerspruch nicht abzuhelfen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Am 23. Februar 2018 sandte die Beklagte einen Widerspruchsbescheid ab, der vom 21. Februar 2018 datiert. Mit diesem Widerspruchsbescheid wies die Beklagte beide Widersprüche zurück. Sie führte aus, beide Widersprüche seien unbegründet. Der Bescheid über das endgültige Nichtbestehen des Studiengangs sei rechtmäßig, da der Kläger nicht innerhalb der Modulfrist einen erfolgreichen Prüfungsversuch im Modul „Strömungslehre 1“ absolviert habe. Die Bewertung der mündlichen Ergänzungsprüfung sei rechtmäßig erfolgt. Das Smartphone sei von der Beisitzerin lediglich genutzt worden, um die Einhaltung der Prüfungszeit zu überwachen. Darüber hinaus habe der Kläger die vermeintliche Störung durch die Beisitzerin nicht rechtzeitig gerügt. Die nachträgliche Bestellung von Frau B zur Beisitzerin sei zulässig. Die Note der mündlichen Ergänzungsprüfung sei rechtmäßig zustande gekommen. Auch der Exmatrikulationsbescheid vom 29. November 2017 sei rechtmäßig. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 der Immatrikulationsordnung der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg vom 18. Mai 2017 (ImmaO) seien Studierende zu exmatrikulieren, die eine Prüfung im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes nach §§ 44, 65 HmbHG endgültig nicht bestanden hätten und den Studiengang nicht nach § 8 wechseln könnten oder wechselten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der am 27. Februar 2018 bei Gericht eingegangenen Klage weiter. Er kritisiert insbesondere, dass eine rückwirkende Bestellung eines Beisitzers nach der Prüfungsordnung nicht zulässig sei. Erneut betont der Kläger, dass die Beisitzerin durch die Beschäftigung mit ihrem Smartphone vom Prüfungsgeschehen abgelenkt worden sei und sich als Zweitvotantin zu erkennen gegeben habe, was die Prüfungsordnung nicht vorsehe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Kläger beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">1. die Bewertung der mündlichen Ergänzungsprüfung im Modul Strömungslehre 1 vom 24. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2018 aufzuheben und ihm einen weiteren Prüfungsversuch zu gewähren,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">2. den Bescheid über das endgültige Nichtbestehen des Bachelorstudiengangs vom 13. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2018 aufzuheben sowie</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">3. den Exmatrikulationsbescheid vom 29. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2018 aufzuheben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Sie führt insbesondere aus, die nachgeholte Bestellung der Beisitzerin habe sich nicht auf die Notenumgebung ausgewirkt. Die Beisitzerin sei nicht als Prüferin während der mündlichen Ergänzungsprüfung tätig geworden. Die Gesamtnotenbildung sei nicht zu beanstanden. Der Kläger habe nicht substantiiert begründet, welche Fragen er zumindest vertretbar beantwortet habe und inwiefern ein Bewertungsfehler vorliege.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Vorsitzende einverstanden erklärt. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung neben der Sachakten der Beklagten die Gerichtsakten 2 K 8012/17 und 2 E 9047/17 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung die Zeugen Prof. Dr. A sowie Frau B vernommen. Hinsichtlich ihrer Angaben sowie des weiteren Beteiligtenvorbringens wird auf das Sitzungsprotokoll und den Inhalt der Gerichts- und Sachakten verwiesen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>A.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Die Klage ist hinsichtlich aller drei gestellten Anträge zulässig (I.) und begründet (II.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Die erhobene Klage wird hinsichtlich aller Anträge zulässigerweise als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO erhoben, da jeweils Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 HmbVwVfG angegriffen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Auch die Bewertung der mündlichen Ergänzungsprüfung - d.h. des dritten Prüfungsversuchs im Modul „Strömungslehre 1“ - mit „nicht bestanden“ stellt einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 HmbVwVfG dar. Denn es handelt sich bei dieser Bewertung um eine hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Nicht jede Bewertung einer einzelnen Prüfungsleistung ist zwangsläufig als Verwaltungsakt anzusehen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 16.3.1994, 6 C 5.93, juris Rn. 21 zu schriftlichen Prüfungsarbeiten im juristischen Examen). Jedenfalls dann, wenn in einem modularisierten Studiengang die Bewertung einer Modulprüfung mit „nicht bestanden“ zur Folge hat, dass dieser Prüfungsteil wiederholt werden muss, um die Gesamtprüfung zu bestehen (d.h. insbesondere bei Pflichtmodulen), liegt eine rechtsverbindliche Gestaltung des Prüfungsrechtsverhältnisses vor (ebenso OVG Münster, Urt. v. 21.3.2017, 14 A 1689/16, juris Rn. 31 m. ausf. Begründung; VGH München, Beschl. v. 4.1.2017, 22 C 16.2279, juris Rn. 10 f.). In einem solchen Fall stellt die Bewertung einen Verwaltungsakt dar, der fristgerecht mit dem Widerspruch angegriffen werden kann und muss. Die nach §§ 43 Abs. 1, 41 HmbVwVfG erforderliche Bekanntgabe des Verwaltungsakts, d.h. der Bewertung einer Modulprüfung mit „nicht bestanden“, kann zulässigerweise auch über das Onlineportal einer Hochschule erfolgen, wenn dies der normativ geregelte bzw. übliche Weg der Kommunikation zwischen der Hochschule und den Studierenden ist (vgl. ausführlich zu einer ähnlichen Konstellation OVG Münster, Urt. v. 21.3.2017, a.a.O., juris Rn. 45 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Diese Vorgaben sind erfüllt: Im vorliegenden Fall sieht § 5 Abs. 3 der maßgeblichen studiengangsspezifischen Prüfungs- und Studienordnung für die Bachelorstudiengänge Maschinenbau/Energie und Anlagensysteme, Maschinenbau/Entwicklung und Konstruktion, sowie Produktionstechnik und Management am Department Maschinenbau und Produktion der Fakultät Technik und Informatik (Faculty of Engineering and Computer Science) der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (Hamburg University of Applied Sciences) vom 24. Mai 2012 (PO) vor, dass das Modul „Strömungslehre 1“ im Rahmen des Kernstudiums zu erbringen ist. Nach § 30 Abs. 1 der Allgemeinen Prüfungs- und Studienordnung für Bachelor- und Masterstudiengänge der Ingenieur-, Natur- und Geisteswissenschaften sowie der Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (APSO-INGI) vom 21. Juni 2012 ist die Bachelor- oder Masterprüfung bestanden, wenn alle in den studiengangsspezifischen Prüfungs- und Studienordnungen vorgeschriebenen Leistungen sowie die dazu gehörende Bachelor- oder Masterarbeit erfolgreich erbracht und die sonstigen in den studiengangsspezifischen Prüfungs- und Studienordnungen vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind. § 23 APSO-INGI regelt die Möglichkeiten, nicht bestandene Leistungen zu wiederholen sowie ausweislich seiner Überschrift das endgültige Nichtbestehen des Studiengangs. Die Prüfungsentscheidung wurde dem Kläger mündlich und gemäß § 12 Abs. 8 Satz 2 APSO-INGI im Internet, d. h. über das Onlineportal der beklagten Hochschule bekannt gegeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Das nach §§ 68 ff. VwGO erforderliche Widerspruchsverfahren wurde auch hinsichtlich der Bewertung der Modulprüfung ordnungsgemäß durchgeführt. Der Widerspruch des Klägers, der sich ausdrücklich zwar nur gegen die Bescheide über das endgültige Nichtbestehen des Studiums und die Exmatrikulation richtet, bezieht sich inhaltlich auch auf die Bewertung der Modulprüfung, sodass er auch als Widerspruch gegen diesen Verwaltungsakt auszulegen ist. Auch im Widerspruchsbescheid geht die Beklagte ausdrücklich auf die Rügen des Klägers hinsichtlich der mündlichen Modulprüfung ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Im Klageantrag zu 1. ist darüber hinaus in zulässiger Weise ein Leistungsannex nach § 113 Abs. 4 VwGO beantragt worden, da der Kläger einen Wiederholungsversuch der mündlichen Prüfung begehrt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Die Anfechtungsklage ist hinsichtlich aller Klageanträge begründet. Die Benotung des Moduls „Strömungslehre 1“ mit (endgültig) „nicht bestanden“ ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er kann die Wiederholung der mündlichen Prüfung beanspruchen (hierzu unter 1 a. und b.). Ebenso sind der Bescheid über das endgültige Nichtbestehen des Bachelorstudiengangs (hierzu unter 2.) und letztlich der Exmatrikulationsbescheid (hierzu unter 3.) rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>1. Die Benotung des letzten Prüfungsversuchs vom 24. April 2017 des Moduls Strömungslehre 1 mit (endgültig) „nicht bestanden“ erfolgte in rechtswidriger Weise (a.) und führt zu einem Anspruch auf Wiederholung der mündlichen Prüfung (b.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>a. Das endgültige Nichtbestehen einer Modulprüfung ist in § 23 Abs. 2 und 5 APSO-INGI geregelt. Nach § 23 Abs. 2 Satz 1 APSO-INGI kann jede erstmals nicht bestandene Leistung zweimal wiederholt werden und nach Satz 3 dieser Vorschrift ist die entsprechende Prüfungsleistung endgültig nicht bestanden, wenn alle Wiederholungsmöglichkeiten erfolglos ausgeschöpft wurden. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger drei schriftliche Prüfungsversuche in diesem Modul nicht bestanden hat, nämlich am 21. August 2015, am 9. Dezember 2015 und am 22. März 2017. Diese Bewertungen hat er nicht angegriffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Nach § 23 Abs. 5 Satz 1 APSO-INGI kann die oder der betroffene Studierende jedoch zusätzlich 3-malig pro Studium im jeweiligen Studiengang, aber nur einmalig pro Prüfungsleistung einen Antrag auf eine mündliche Überprüfung stellen, wenn eine schriftliche Leistung mit nicht ausreichend bewertet worden ist. Gemäß § 23 Abs. 5 Satz 4 APSO-INGI entscheidet die mündliche Überprüfung über „nicht bestanden“ oder „bestanden“. Die mündliche Überprüfung stellt nach § 23 Abs. 5 Satz 5 APSO-INGI keinen weiteren Prüfungsversuch dar, sondern bietet lediglich die Möglichkeit einer Verbesserung innerhalb eines Prüfungsversuchs.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat zu Recht gerügt, dass aufgrund der hier streitigen mündlichen Ergänzungsprüfung vom 24. April 2017 in fehlerhafter Weise das (endgültige) Nichtbestehen der Modulprüfung im Fach Strömungslehre 1 festgestellt wurde. Denn diese Prüfung, d.h. die Leistungserhebung, erfolgte mindestens verfahrensfehlerhaft, ohne dass eine Heilung dieses Fehlers möglich ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Die als Beisitzerin eingesetzte wissenschaftliche Mitarbeiterin Frau B wurde nicht vor der Prüfung ordnungsgemäß als Beisitzerin bestellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 und 2 APSO-INGI werden Beisitzerinnen und Beisitzer nur für mündliche Prüfungen eingesetzt ohne jedoch selbst Prüfungen abhalten zu dürfen. Sie nehmen lediglich an mündlichen Prüfungen teil, um die Prüferin oder den Prüfer bei der Durchführung der mündlichen Prüfung zu unterstützen. Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 3 APSO-INGI werden sie vom Prüfungsausschuss bestellt und müssen mindestens über einen Hochschulabschluss in einem Ingenieur-, Natur- oder Gesundheitswissenschaftlichen bzw. Informatikstudiengang verfügen. Hierfür ist ein formeller Beschluss erforderlich (vgl. zur Prüferbestellung VG Gelsenkirchen, Urt. v. 17.10.2012, 4 K 1737/11, juris). Eine nachgeholte, rückwirkende Bestellung auch des Beisitzers ist als unzulässig zu bewerten, da der Prüfungsausschuss auf diese Weise eine verfahrensfehlerhaft getroffene Entscheidung nachträglich (unter Berücksichtigung des bereits festgestellten Ergebnisses) heilen könnte (VG Berlin, Urt. v. 27.9.2016, 12 K 333/15, juris Rn. 37).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Aus der Aktenlage ergibt sich – wie auch die Beklagte einräumt –, dass die Beisitzerin nicht vor der am 24. April 2017 durchgeführten mündlichen Prüfung durch den Prüfungsausschuss berufen wurde. Dies geschah erst nachträglich. Ohne vorherige Bestellung nach § 13 Abs. 4 APSO-INGI durfte Frau B somit nicht als Beisitzerin tätig werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Fehler auch nicht im Sinne des § 46 HmbVwVfG unerheblich. Bei der Abnahme einer Prüfung hat ein Verfahrensfehler grundsätzlich nur dann die Aufhebung der Prüfungsentscheidung (und einen Anspruch auf eine neue Prüfung) zur Folge, wenn sein Einfluss auf das Prüfungsergebnis nicht ausgeschlossen werden kann. Dieser in der Rechtsprechung anerkannte Grundsatz kommt durch § 46 VwVfG und die entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder (vgl. VG Braunschweig, Urt. v. 23.6.2015, 6 A 405/14, juris Rn. 26 zu § 2 Abs. 3 Nr. 2 Nds. VwVfG) zum Ausdruck. Ein Verfahrensfehler ist z. B. dann unerheblich, wenn die Prüfungsentscheidung zwar auf dem Fehler beruht, jedoch feststeht, dass das Ergebnis der Prüfung auch ohne diesen Fehler nicht anders ausgefallen wäre (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl.2018, Rn. 488 ff.; VG Köln, Urt. v. 2.5.2013, 6 K 3905/12, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Eine fehlerhafte Auswahl eines Beisitzes kann sich dann auf das Ergebnis auswirken, wenn dieser nach der Prüfungsordnung anzuhören ist (so OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28.4.2004, 4 S 14.04, juris Rn. 10) oder - auch ohne Anhörungsvorgabe - wenn der Beisitzer oder die Beisitzerin sich zur Qualität der Leistungserbringung gegenüber dem Prüfer geäußert hat und nicht auszuschließen ist, dass diese Einschätzung in die Bewertung der Prüfungsleistung eingeflossen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass Frau B entgegen der Vorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 1 und 2 APSO-INGI nicht lediglich auf die Einhaltung der formalen Vorgaben für die Abhaltung einer mündlichen Prüfung geachtet, sondern dass sie ihre eigene Einschätzung in der Prüfung geäußert hat. Diesen Eindruck hatte bereits der Kläger, er hat sich durch die Beweisaufnahme aufgrund der Aussagen beider Zeugen bestätigt. Der Zeuge Prof. Dr. A gab zwar in der mündlichen Verhandlung an, ausschließlich er selbst habe die Leistungen des Klägers bewertet. Er habe Frau B jedoch nach der Prüfung gefragt, was sie für einen Eindruck habe. Sie sei als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Lage zu beurteilen, ob Fragen zu schwer oder zu einfach seien. Insofern hat bereits der Prüfer erklärt, dass ein Gespräch über den Inhalt der gestellten Fragen stattgefunden habe. Frau B selbst betonte ebenfalls zunächst, sie habe die Uhr auf ihrem Mobiltelefon im Blick gehabt, um zu überprüfen, ob die Prüfungszeit eingehalten werde. Sie erklärte jedoch darüber hinaus ohne Aufforderung und glaubhaft, sie habe das Mobiltelefon dabei nicht in der Hand gehabt, da sie selbst ein zweites Protokoll geführt habe. Sie mache sich während der Prüfung auch Kreuzchen, denn hinterher gebe es eine Besprechung. Ihre Wahrnehmung gehe jedoch nicht in die Bewertung ein. Aufgrund dieser von der Zeugin geschilderten Vorgehensweise ist das Gericht davon überzeugt, dass die Zeugin B trotz ihrer Eigenschaft als bloße Beisitzerin dem Prüfer ihre eigene Leistungsbewertung mitgeteilt hat, was unzulässig ist. Für diese gemeinsame Absprache über die Leistungsbewertung spricht darüber hinaus das vom Prüfer verfasste Protokoll, in dem er zu jeder Frage Kreuzchen innerhalb einer Notenskala gesetzt hat. Bis auf 2 Fragen waren diese Kreuzchen alle nachgezogen worden, so als hätte der Protokollant (hier Prof. Dr. A selbst) seine zuvor getroffene Bewertung noch einmal bestätigt. Es hätte für die Beisitzerin auch keinen Sinn gemacht, ein solches zweites Protokoll mit eigenen Bewertungen zu führen, wenn nicht im Anschluss an die Prüfung ein entsprechender Austausch stattgefunden hätte, den die Zeugin auch eingeräumt hat. Ob und in welchem Umfang der Prüfer Prof. Dr. A die Bewertung der Leistungen des Klägers allein aufgrund seiner eigenen Eindrücke oder aufgrund der gemeinsamen Bewertung vorgenommen hat, lässt sich nicht mehr aufklären und kann auch dahinstehen. Denn für die Fehlerhaftigkeit eines solchen Vorgehens genügt allein der Umstand, dass nicht auszuschließen ist, dass die Bewertung der Beisitzerin vom Prüfer zur Kenntnis genommen wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>In Betracht kommt zwar, dass eine nachträgliche Bestellung bei Alternativlosigkeit unschädlich ist, d.h. immer dann, wenn der Prüfungsausschuss ohnehin nur diese eine Person hätte bestellen können (vgl. dazu VG Düsseldorf, Urt. v. 24.6.2016, 15 K 4465/15, juris Rn. 37, 38).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Eine solche Konstellation ist jedoch nicht gegeben. Zwar ist Frau B ausweislich der Homepage der Beklagten (https://www.haw-hamburg.de/ti-mp/institute/ti-mpiee/ansprech-partner.html, Abruf vom 21.1.2019) die einzige wissenschaftliche Mitarbeiterin im Strömungsmaschinenlabor. Da jedoch die Prüfungsordnung nicht voraussetzt, dass der wissenschaftliche Mitarbeiter bzw. die wissenschaftliche Mitarbeiterin, der bzw. die als Beisitzer/in infrage kommt, genau in diesem Bereich tätig ist, hätten mehrere andere wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für erneuerbare Energien und energieeffiziente Anlagen eingesetzt werden können, die ebenfalls einen Abschluss als Diplom-Ingenieur/in aufweisen konnten, nämlich D, C, E, F oder G.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Der Kläger war auch nicht verpflichtet, diesen Mangel unverzüglich zu rügen, da der Fehler in der Sphäre der Prüfungsbehörde lag und es ihm weder möglich noch zumutbar war, aufzuklären, was im Prüfungsraum in seiner Abwesenheit besprochen wurde (vgl. VG Berlin, Urt. v. 27.9.2016, a.a.O., juris Rn. 32).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Bereits dieser Verfahrensfehler führt zur Rechtswidrigkeit der Prüfung und zur Aufhebung der angegriffenen Prüfungsbescheide. Es bedarf keiner gerichtlichen Entscheidung mehr, ob weitere gerügte Fehler vorliegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>b. Der Kläger kann eine Wiederholung der mündlichen Prüfung beanspruchen. Dieser Anspruch ergibt sich unmittelbar aus § 23 Abs. 5 Satz 1 APSO-INGI. Denn die Leistungserhebung im Prüfungsversuch vom 24. April 2017 wurde aufgrund des Verfahrensfehlers erfolgreich angegriffen, so dass die Leistung neu erbracht werden darf, wenn der Prüfling dies wünscht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>2. Auch der Bescheid über das endgültige Nichtbestehen des Bachelorstudiengangs vom 13. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Zwar findet sich in der APSO-INGI keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für den feststellenden Verwaltungsakt über das endgültige Nichtbestehen eines Studiengangs. Die APSO-INGI nennt in § 30 Abs. 1 jedoch ausdrücklich die Bestehensvoraussetzungen, indem sie formuliert: „Die Bachelor- oder Masterprüfung ist bestanden, wenn alle in den studiengangsspezifischen Prüfung und Studienordnungen vorgeschriebenen Leistungen sowie die dazu gehörende Bachelor oder Masterarbeit erfolgreich erbracht und die sonstigen in den Studiengang spezifischen Prüfungs- und Studienordnungen vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind.“ Das endgültige Nichtbestehen des Studiengangs kann somit festgestellt werden, wenn der Prüfling eine nach dieser Vorschrift erforderliche Prüfungsleistung auch in ihrer letzten Wiederholung nicht erfolgreich erbracht hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 21. Februar 2018 wies die Leistungsübersicht des Klägers lediglich ein Modul auf, das der Kläger endgültig nicht bestanden haben soll, nämlich das bereits oben genannte Modul „Strömungslehre 1“. Zur Begründung des Bescheides über das endgültige Nichtbestehen des Studienganges hat sich die Beklagte auch ausschließlich auf dieses Modul bezogen, das - wie bereits dargestellt - nach § 5 Abs. 3 der studiengangspezifischen PO ein Pflichtmodul ist. Dieses Modul wäre nur dann endgültig nicht bestanden, wenn die Bewertung der mündlichen Ergänzungsprüfung vom 24. April 2017 nicht im vorliegenden Verfahren mit Erfolg angefochten worden wäre. Da der Kläger, wie oben unter 1. dargestellt, einen Anspruch auf Wiederholung dieser Prüfung besitzt, ist der Bescheid über das endgültige Nichtbestehen des Studiengangs rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>3. Ebenso erfolgreich ist die Klage gegen die Exmatrikulation im Bescheid vom 29. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2018. Auch dieser Verwaltungsakt ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat sich auf die Ermächtigungsgrundlage des § 10 Abs. 2 Nr. 3 der Immatrikulationsordnung der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (vom 25.11.2004 mit Änderungen vom 29.6.2006, vom 29.3.2007 und vom 24.1.2008 - ImmaO) gestützt. Danach sind Studierende zu exmatrikulieren, wenn sie eine Prüfung im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes in demselben Studiengang oder in einem verwandten Studiengang nach §§ 44, 65 HmbHG endgültig nicht bestanden haben und den Studiengang nicht nach § 10 wechseln können oder wechseln. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Wie bereits dargestellt fehlt es am endgültigen Nichtbestehen einer Modulprüfung im Rahmen des Bachelorstudiengangs des Klägers.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>B.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a>
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|
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180,203 | bverfg-2018-12-18-1-bvr-14215 | {
"id": 3,
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<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1. a) Artikel 33 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 13 Absatz 1 Nummer 5 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz) in der Fassung der Verordnung zur Anpassung des Landesrechts an die geltende Geschäftsverteilung vom 22. Juli 2014 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Seite 286) sowie dessen Neufassung Artikel 39 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 13 Absatz 1 Nummer 5 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz) vom 18. Mai 2018 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Seite 301) sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes aufgrund des Verstoßes gegen Artikel 71, Artikel 73 Absatz 1 Nummer 5 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, soweit sie die Kraftfahrzeugkennzeichenerfassung zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze vorsehen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>b) Artikel 13 Absatz 1 Nummer 5 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes in der Fassung vom 22. Juli 2014 ist in dieser und den nachfolgenden Fassungen mit Artikel 71, Artikel 73 Absatz 1 Nummer 5 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, soweit er die Identitätsfeststellung zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze vorsieht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>2. a) Artikel 33 Absatz 2 Satz 2 bis 5 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes in der Fassung vom 22. Juli 2014 sowie dessen Neufassung Artikel 39 Absatz 1 in der Fassung vom 18. Mai 2018 sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit sie</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>- die Kennzeichenerfassung nach Maßgabe des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 1 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes in der Fassung vom 22. Juli 2014 und den nachfolgenden Fassungen nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht beschränken,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>- die Kennzeichenerfassung nach Maßgabe des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 5 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes in der Fassung vom 22. Juli 2014 und den nachfolgenden Fassungen uneingeschränkt für "Durchgangsstraßen ([…] andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr)" vorsehen und</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>- keine Pflicht zur Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen für die Durchführung der Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen vorsehen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>b) Artikel 38 Absatz 3 Satz 2 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes in der Fassung vom 22. Juli 2014 und dessen Neufassung Artikel 39 Absatz 3 Satz 2 in der Fassung vom 18. Mai 2018 sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit sie die Verarbeitung der Kennzeichen zu weiteren Zwecken nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse beschränken.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>3. Die unter 2. angeführten Vorschriften bleiben in ihrer Fassung vom 18. Mai 2018 bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Dezember 2019, nach Maßgabe der Gründe weiter anwendbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>4. Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2014 - BVerwG 6 C 7.13 -, des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Dezember 2012 - 10 BV 09.2641 - und des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 23. September 2009 - M 7 K 08.3052 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird aufgehoben und die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>5. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.</p>
</dd>
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<dd>
<p>6. Die Bundesrepublik Deutschland und der Freistaat Bayern haben je zu gleichen Teilen dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
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<dd>
<h1>A.</h1>
</dd>
</dl>
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<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die seinen gegen den Freistaat Bayern gerichteten Antrag abwiesen, automatisierte Kennzeichenkontrollen nach bayerischem Polizeirecht zu unterlassen. Mittelbar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die diesbezüglichen Rechtsgrundlagen selbst.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<h2>I.</h2>
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<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>1. In Bayern ist die Polizei dazu ermächtigt, im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung automatisierte Kennzeichenkontrollen durchzuführen. Zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2014 wurden solche Kontrollen auf Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie auf Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (BayGVBl S. 397), zuletzt geändert durch Verordnung zur Anpassung des Landesrechts an die geltende Geschäftsverteilung vom 22. Juli 2014 (BayGVBl S. 286) - im Folgenden: BayPAG -, gestützt. Sie lauteten:</p>
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<p style="margin-left:18pt">Art. 33</p>
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<p style="margin-left:18pt">Besondere Mittel der Datenerhebung</p>
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<p style="margin-left:18pt">(1) …</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">(2) …<sup>2</sup>Darüber hinaus kann die Polizei unbeschadet des Art. 30 Abs. 3 Satz 2 durch den verdeckten Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme bei Vorliegen entsprechender Lageerkenntnisse in den Fällen des Art. 13 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfassen. <sup>3</sup>Zulässig ist der Abgleich der Kennzeichen mit polizeilichen Fahndungsbeständen, die erstellt wurden</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">1. über Kraftfahrzeuge oder Kennzeichen, die durch Straftaten oder sonst abhanden gekommen sind,</p>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">2. über Personen, die ausgeschrieben sind</p>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">a) zur polizeilichen Beobachtung, gezielten Kontrolle oder verdeckten Registrierung,</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">b) aus Gründen der Strafverfolgung, Strafvollstreckung, Auslieferung oder Überstellung,</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">c) zum Zweck der Durchführung ausländerrechtlicher Maßnahmen,</p>
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<p style="margin-left:18pt">d) wegen gegen sie veranlasster polizeilicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">
<sup>4</sup>Ein Abgleich mit polizeilichen Dateien, die zur Abwehr von im Einzelfall oder im Hinblick auf bestimmte Ereignisse allgemein bestehenden Gefahren errichtet wurden, ist nur zulässig, wenn dies zur Abwehr einer solchen Gefahr erforderlich ist und diese Gefahr Anlass für die Kennzeichenerfassung war. <sup>5</sup>Die Kennzeichenerfassung darf nicht flächendeckend eingesetzt werden.</p>
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<p style="margin-left:18pt">(3) - (7) …</p>
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<p style="margin-left:18pt">Art. 38</p>
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<p style="margin-left:18pt">Speicherung, Veränderung und Nutzung von Daten</p>
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<p style="margin-left:18pt">(1) - (2) …</p>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">(3) <sup>1</sup>Die nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2 erfassten Kennzeichen sind nach Durchführung des Datenabgleichs unverzüglich zu löschen. <sup>2</sup>Soweit ein Kennzeichen in den abgeglichenen Fahndungsbeständen oder Dateien enthalten und seine Speicherung oder Nutzung im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr oder für Zwecke, zu denen die Fahndungsbestände erstellt oder die Dateien errichtet wurden, erforderlich ist, gelten abweichend hiervon Abs. 1 und 2 sowie die Vorschriften der Strafprozessordnung. <sup>3</sup>Außer in den Fällen des Art. 33 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Buchst. a dürfen Einzelerfassungen nicht zu einem Bewegungsbild verbunden werden.</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">(4) - (5) …</p>
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<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayPAG verwies als Voraussetzung für die Zulässigkeit von Maßnahmen der Kennzeichenkontrolle auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG, der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts lautete:</p>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">Art. 13</p>
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<p style="margin-left:18pt">Identitätsfeststellung und Prüfung von Berechtigungsscheinen</p>
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<p style="margin-left:18pt">(1) Die Polizei kann die Identität einer Person feststellen</p>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">1. zur Abwehr einer Gefahr,</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">2. wenn die Person sich an einem Ort aufhält,</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">a) von dem auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass dort</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">aa) Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben,</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">bb) sich Personen ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen, oder</p>
</dd>
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<p style="margin-left:18pt">cc) sich Straftäter verbergen, oder</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">b) an dem Personen der Prostitution nachgehen,</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">3. wenn sie sich in einer Verkehrs- oder Versorgungsanlage oder -einrichtung, einem öffentlichen Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder einem anderen besonders gefährdeten Objekt oder in unmittelbarer Nähe hiervon aufhält und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass in oder an Objekten dieser Art Straftaten begangen werden sollen, durch die in oder an diesen Objekten befindliche Personen oder diese Objekte selbst unmittelbar gefährdet sind,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">4. an einer Kontrollstelle, die von der Polizei eingerichtet worden ist, um Straftaten im Sinn von § 100a der Strafprozessordnung (StPO) oder Art. 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, Abs. 2 Nr. 5 oder Ordnungswidrigkeiten im Sinn von Art. 21 Abs. 1 Nrn. 8 und 9 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) zu verhindern,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">5. im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km sowie auf Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr) und in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze oder des unerlaubten Aufenthalts und zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität oder</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">6. …</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">(2) - (3) …</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG wurde durch eine spätere Gesetzesänderung redaktionell einer Änderung des bayerischen Versammlungsrechts angepasst (Gesetz zur Änderung des Bayerischen Versammlungsgesetzes und des Polizeiaufgabengesetzes vom 23. November 2015, BayGVBl S. 410). Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG wurde durch das Bayerische Integrationsgesetz (BayIntG) vom 13. Dezember 2016 (BayGVBl S. 335) und Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 durch das Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 (BayGVBl S. 388) erweitert. Diese Änderungen sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG und Art. 38 Abs. 3 BayPAG wurden durch das Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz) vom 18. Mai 2018 (BayGVBl S. 301) in einem neuen Art. 39 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 bis 3 BayPAG n.F. bei geringfügigen redaktionellen Änderungen im Wesentlichen wortlautidentisch zusammengeführt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Nach den fachgerichtlichen Feststellungen zur praktischen Durchführung der Kennzeichenkontrolle setzt die bayerische Polizei sowohl fest installierte als auch mobile Kennzeichenlesegeräte zur automatisierten Kennzeichenkontrolle ein. Die Geräte erfassen das an vorbeifahrenden Fahrzeugen angebrachte Kraftfahrzeugkennzeichen als Bild. Dieses wird mit einem speziellen Programm in einen Datensatz, bestehend aus den Buchstaben und Ziffern des Kennzeichens, umgewandelt. Der Datensatz wird an einen in der Regel am Fahrbahnrand untergebrachten Computer weitergeleitet. Dort wird der Datensatz mit anderen Daten-sätzen abgeglichen, die anderweitig begründeten Fahndungsbeständen entnommen sind. Der Abgleich beruht auf einer für den Einzelfall zweckbezogenen Auswahl der Fahndungsbestände. Die dafür herangezogenen Datensätze werden dabei jeweils bezogen auf die in Frage stehende Kennzeichenkontrolle in einer eigenen Abgleichdatei zusammengeführt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>Das im Kennzeichenlesegerät gespeicherte Bild des Kraftfahrzeugkennzeichens wird nach dem Datenbankabgleich unverzüglich gelöscht. Vom Computer, der zum Datenbankabgleich genutzt wird, wird der Datensatz ebenfalls automatisch und unverzüglich gelöscht, wenn der Datenbankabgleich keinen Treffer ergibt (Nichttrefferfall). Sofern das Programm hingegen einen Treffer meldet, wird das aufgenommene Bild temporär in einer Datenbank auf dem Computer gespeichert und entweder an die Einsatzzentrale übermittelt oder auf dem Computer direkt angezeigt. Polizeibeamte überprüfen visuell, ob das aufgenommene Bild des Kraftfahrzeugkennzeichens und das im Fahndungsbestand gespeicherte Kraftfahrzeugkennzeichen übereinstimmen. Bestätigt die visuelle Überprüfung die vom Computer gemeldete Übereinstimmung nicht (unechter Trefferfall), gibt ein Polizeibeamter durch Betätigen der Taste "Entfernen" den Befehl, den gesamten Vorgang zu löschen. Sofern die Überprüfung einen Treffer bestätigt (Trefferfall), werden diese Daten gespeichert und gegebenenfalls weitere polizeiliche Maßnahmen in die Wege geleitet. Weder Fahrzeugführer noch Fahrzeughalter werden über die automatisierte Kennzeichenkontrolle informiert.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>Nach den vom Bundesverwaltungsgericht zugrunde gelegten Feststellungen betrieb der Freistaat Bayern zum Zeitpunkt der Entscheidung insgesamt 25 automatisierte Kennzeichenerkennungssysteme, davon 22 stationäre Systeme, die insgesamt 30 Fahrspuren abdeckten, und drei mobile Systeme. Die stationären Systeme seien auf zwölf Standorte verteilt und befänden sich insbesondere an Bundesautobahnen. Die mobilen Systeme würden anlassbezogen eingesetzt, beispielsweise bei internationalen Fußballturnieren oder ähnlichen Großereignissen. Der jeweilige Standort werde gemäß jährlich aktualisierter Lageerkenntnisse durch das Landeskriminalamt bestimmt. Die Lagebeurteilung werde im Innenministerium dokumentiert und der Landesbeauftragte für Datenschutz jährlich hierüber informiert. Im Zeitraum Juni bis September 2011 seien monatlich etwa acht Millionen Kennzeichen erfasst worden, von denen 40.000 bis 50.000 Treffermeldungen (Trefferfälle und unechte Trefferfälle) und 500 bis 600 Trefferfälle gewesen seien.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>Vorwiegender Einsatzzweck der automatisierten Kennzeichenkontrolle ist nach Angaben der Bayerischen Staatsregierung zu diesem Verfahren die Schleierfahndung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG. Für einen der anderen in Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BayPAG genannten Zwecke sei die Kennzeichenkontrolle nur vereinzelt eigenständig zum Einsatz gekommen. Allerdings werde die Kennzeichenkontrolle zumeist doppelfunktional für die Zwecke des Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG und für den situationsbedingt hinzutretenden jeweils einschlägigen anderen Zweck des Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BayPAG eingesetzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>Hinsichtlich der Einrichtung von polizeilichen Kontrollstellen im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG hat die Bayerische Staatsregierung mitgeteilt, dass solche Kontrollstellen im Zeitraum zwischen 2012 und 2016 in insgesamt 28 Fällen von der bayerischen Polizei eingerichtet worden seien, wobei die weit überwiegende Mehrzahl der Verhütung versammlungsrechtlicher Straftaten gedient habe. In diesen Fällen seien bisher noch keine Kennzeichenlesegeräte zum Einsatz gekommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Der Beschwerdeführer, der seinen Hauptwohnsitz in Bayern und einen weiteren Wohnsitz in Österreich hat, ist Halter eines auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeugs, mit dem er regelmäßig zwischen seinen Wohnsitzen pendelt und auf Bundesautobahnen in Bayern unterwegs ist. Er nimmt ferner an Demonstrationen teil. Im Jahr 2008 beantragte der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht, den Freistaat Bayern zu verurteilen, es zu unterlassen, durch den verdeckten Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme Kennzeichen von Kraftfahrzeugen, die auf den Beschwerdeführer zugelassen sind, zu erfassen und mit polizeilichen Dateien abzugleichen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>2. a) Das Verwaltungsgericht hielt die Klage für zulässig, aber unbegründet. Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassene Berufung wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zurück.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Klage sei als allgemeine Unterlassungsklage zulässig. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner zahlreichen Fahrten auf Autobahnen in Bayern mit großer Wahrscheinlichkeit bereits mehrfach von einer Kennzeichenerfassung mit anschließendem Abgleich betroffen gewesen. Sein Begehren sei darauf gerichtet, gleichartige künftige Maßnahmen abzuwehren. Die erforderliche Wiederholungsgefahr liege vor, da der Beschwerdeführer häufig auf Autobahnen in Bayern unterwegs sei. Zudem erfolge die Maßnahme heimlich, so dass er ihr nicht ausweichen könne.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Klage sei aber unbegründet. Kennzeichenerfassung und -abgleich griffen zwar in den Schutzbereich des Grundrechts des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieser Eingriff beruhe jedoch auf einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage. Bei Heranziehung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe fehle es beim sogenannten Nichttreffer schon an einem Grundrechtseingriff (Verweis auf BVerfGE 120, 378 <399>). Es sei nämlich rechtlich und technisch sichergestellt, dass bei negativem Ergebnis eines unverzüglich nach der Erfassung vorgenommenen Abgleichs die erfassten Kennzeichen anonym blieben und sofort spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Bezug zum Fahrer, Beifahrer oder Halter des Fahrzeugs herzustellen, gelöscht würden. Zu einem Grundrechtseingriff komme es hingegen, wenn ein erfasstes Kennzeichen gespeichert werde und Grundlage weiterer Maßnahmen werden könne. Das sei nicht nur beim echten Treffer der Fall, sondern bereits beim sogenannten unechten Treffer, wenn sich nur infolge einer fehlerhaften Kennzeichenerfassung beim Abgleich mit dem Fahndungsbestand eine Übereinstimmung ergebe. Der Grundrechtseingriff liege nicht in der Speicherung des Kennzeichens, sondern darin, dass der bearbeitende Polizeibeamte das Kennzeichen ablesen könne, da hierdurch die Anonymität des ansonsten vollständig automatisierten Vorgangs aufgehoben werde.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>Dieser Grundrechtseingriff finde in Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie Art. 38 Abs. 3 BayPAG (in der zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Fassung) eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage. Diese Normen seien formell und materiell verfassungskonform. Der Landesgesetzgeber sei für deren Verabschiedung zuständig, denn Zweck der automatisierten Kennzeichenerfassung sei die präventive polizeiliche Tätigkeit der Gefahrenabwehr, die auch die Gefahrenvorsorge umfasse. Auch wenn der praktische Einsatz Ergebnisse bringe, die auch der Strafverfolgung zugutekommen könnten, etwa wenn sie zur Festnahme eines gesuchten Straftäters beitrügen, sei die Maßnahme im Kern präventiv zweckbestimmt und eben nicht der Strafverfolgung zuzuordnen. Kompetenzrechtliche Zweifel bestünden, soweit Art. 38 Abs. 3 Satz 2BayPAG bestimme, dass ein Kennzeichen, das in den abgeglichenen Fahndungsbeständen und Dateien enthalten ist, auch für Zwecke gespeichert oder genutzt werden könne, zu denen die Fahndungsbestände erstellt oder die Dateien errichtet worden seien, und damit auch für Zwecke der Strafverfolgung. Darauf komme es jedoch nicht an. Entweder richte sich die Klage des Beschwerdeführers lediglich gegen die Erfassung und den Datenabgleich, nicht aber gegen die auf einer anderen, zweiten Ebene erfolgende Speicherung oder Nutzung der Daten. Oder eine eventuelle Teilnichtigkeit des Art. 38 Abs. 3 Satz 2 BayPAG im Hinblick auf den Strafverfolgungszweck ließe Maßnahmen zum Zwecke der Gefahrenabwehr weiterhin zu.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>In materieller Hinsicht genüge das Gesetz den Bestimmtheitsanforderungen ebenso wie dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Mit dem Ziel der Abwehr von Gefahren verfolgten die Regelungen insbesondere einen legitimen Zweck. Die Eignung der Kennzeichenkontrolle scheitere nicht an der großen Streubreite der Kennzeichenerfassung, da es ausreiche, wenn die Maßnahme nur teilweise Erfolg habe. Nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers sei die Einführung der Kennzeichenerfassung aufgrund aktueller Entwicklungen im Bereich der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus sowie zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit erforderlich gewesen. Denn der Einsatz von Streifenpolizisten oder die Kontrolle einzelner Kraftfahrzeuge in Form von Stichproben an herkömmlichen Kontrollstellen erreiche nicht die gleiche Effizienz wie die automatisierte Kennzeichenerfassung. Es sei auch erforderlich, die Kennzeichenerfassung verdeckt vorzunehmen, da die betreffenden Personen ansonsten andere Routen wählten. Die Vorschriften zur automatisierten Kennzeichenerfassung würden bei verfassungskonformer Auslegung trotz Bedenken beziehungsweise Zweifeln hinsichtlich einzelner Gesichtspunkte den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne noch gerecht. Denn bei einer umfassenden Gegenüberstellung der Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Erfassung und den Datenabgleich von Kraftfahrzeugkennzeichen und dem damit verfolgten gesetzlichen Ziel der Gefahrenprävention überwiege das öffentliche Schutzinteresse die grundrechtlich geschützten privaten Belange der betroffenen Bürger.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Das Bundesverwaltungsgericht wies die hiergegen gerichtete Revision des Beschwerdeführers zurück. Der Kläger könne sein Begehren in Form der vorbeugenden Unterlassungsklage zwar zulässig geltend machen, die Klage sei jedoch unbegründet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>Die erhobene Unterlassungsklage setze voraus, dass dem Beschwerdeführer durch die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über die automatisierte Kennzeichenerfassung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in sein grundrechtlich geschütztes Recht auf informationelle Selbstbestimmung drohe. Das sei nicht der Fall. Ausgehend von den durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben sei für den Fall des Nichttreffers die Eingriffsqualität von Erfassung und Abgleich eines Kraftfahrzeugkennzeichens zu verneinen (Verweis auf BVerfGE 120, 378 <399>). Erfassung und Abgleich vollzögen sich in dieser Konstellation ohne zeitlichen Verzug in vollständig automatisierter Weise. Es sei ferner gesichert, dass die Daten einer menschlichen Kenntnisnahme unzugänglich blieben. Auch der unechte Treffer sei kein Eingriff. Zwar werde das erfasste Kennzeichen in dieser Konstellation durch den Polizeibeamten, der mit dem visuellen Abgleich betraut sei, zur Kenntnis genommen. Der Polizeibeamte beschränke sich jedoch auf die Vornahme dieses Abgleichs und lösche den Vorgang umgehend, wenn der Abgleich negativ ausfalle. In diesem Stadium sei das behördliche Interesse an den betroffenen Daten nicht bereits derart verdichtet, dass der Inhaber des Kraftfahrzeugkennzeichens in einer Qualität betroffen sei, die einen Grundrechtseingriff bewirke. Das behördliche Interesse sei hier nur ein systembezogenes Korrekturinteresse. Mithilfe des visuellen Abgleichs solle lediglich ausgeschlossen werden, dass aufgrund des unvollkommenen Lesemodus des Systems polizeiliche Maßnahmen zu Kennzeichen eingeleitet würden, die zwar im Fahndungsbestand notiert seien, tatsächlich aber die Erfassungsstelle gar nicht passiert hätten. Es werde lediglich der unvollkommene Lesemodus des Systems korrigiert. Der Inhaber des tatsächlich erfassten Kennzeichens habe insoweit nicht mehr hinzunehmen als eine lediglich kurzzeitige Wahrnehmung der Buchstaben-Zahlen-Kombination durch den Polizeibeamten, der seinerseits nicht über die Befugnis verfüge und auch der Sache nach keinen Anlass habe, eine Abfrage aus dem Fahrzeugregister vorzunehmen. Die Anonymität des Inhabers bleibe in diesen Fällen gewahrt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>In einem echten Trefferfall werde hingegen die Eingriffsschwelle überschritten. Habe der abgleichende Polizeibeamte die vom System gegebene Treffermeldung verifiziert, verdichte sich das behördliche Interesse an den Daten. Durch die vorgesehene manuelle Abfrage aus der Fahndungsdatei werde die Identität des Kennzeicheninhabers offenbart. Durch die weiter vorgesehene Speicherung des Vorgangs würden die gewonnenen Daten über Zeitpunkt und Ort der Erfassung für den Staat verfügbar gemacht. Dieser sei hierdurch in die Lage versetzt, weitere Maßnahmen gegen den Betroffenen einleiten zu können. Betroffene seien hierdurch in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität berührt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>Im vorliegenden Fall könne es hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers jedoch nach dem damaligen Sachstand nicht zu einem echten Treffer kommen, da nach den vorinstanzlichen Feststellungen sein Kraftfahrzeugkennzeichen nicht im Fahndungsbestand gespeichert sei. Die bloße Eventualität einer künftigen Speicherung müsse außer Betracht bleiben. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch biete keine Handhabe, um behördliches Handeln abzuwehren, dem nur bei künftigem Hinzutreten außergewöhnlicher Umstände Eingriffsqualität gegenüber dem Beschwerdeführer zukomme.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>III.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof hätten den Umfang des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verkannt, da sie bei Nichttrefferfällen keinen Grundrechtseingriff angenommen hätten. Das Bundesverwaltungsgericht habe den Umfang des Schutzbereichs sogar für unechte Treffer verkannt. Es seien nicht nur die tatsächlich drohenden Nachteile zu berücksichtigen, sondern auch der Umstand, dass Betroffene der Kennzeichenkontrolle damit rechnen müssten, dass ihr Fahrverhalten aufgezeichnet und nachvollzogen werden könne. Das könne dazu führen, dass sie ihr Bewegungsverhalten anpassten. Es sei nicht erkennbar, was mit den erfassten Daten geschehe. Bei der automatisierten Kennzeichenkontrolle würden personenbezogene Daten nicht nur ungezielt und allein technikbedingt miterfasst, sondern es sei gerade das Ziel, die Kennzeichen für die staatliche Datenverarbeitung verfügbar zu machen. Die Löschung erfolge nicht unmittelbar nach der Erfassung, sondern erst nach dem Abgleich mit dem Fahndungsbestand. Es bleibe zudem auch nach der Löschung die Information erhalten, dass die abgeglichenen Kennzeichen am Ort der Kennzeichenerfassung nicht festgestellt worden seien, wodurch beispielsweise bestimmte Fluchtrouten ausgeschlossen werden könnten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_23">23</a>
</dt>
<dd>
<p>Die von den Fachgerichten als Rechtsgrundlage für die Kennzeichenkontrolle herangezogenen Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie Art. 38 Abs. 3 BayPAG seien formell verfassungswidrig. Es seien Regelungen in einem Bereich, in dem der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG abschließend Gebrauch gemacht habe. Die Maßnahmen dienten zum Teil repressiven Zwecken. Zentraler Zweck der Kennzeichenkontrolle sei das Auffinden von Kraftfahrzeugen oder Kennzeichen, die durch eine Straftat abhandengekommen sind, was dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und damit der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuzuordnen sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_24">24</a>
</dt>
<dd>
<p>Es liege ferner ein Verstoß gegen die Gebote der Bestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit vor. Die Normen regelten den Zweck der Kennzeichenkontrolle nicht bereichsspezifisch und präzise. Es bestehe zudem die Gefahr einer laufenden und nicht vorhersehbaren Ausweitung der zum Abgleich herangezogenen Datenbestände, da diese nicht aufgeführt würden. Auch der weitere Umgang mit den erhobenen Daten in Art. 38 Abs. 3 Satz 2 BayPAG sei nicht bereichsspezifisch und präzise geregelt. Die Unverhältnismäßigkeit der automatisierten Kennzeichenkontrolle folge aus der hohen Eingriffsintensität, denn sie betreffe eine Vielzahl von Personen, ohne dass ein konkreter Verdacht gegen diese vorliege, lasse Rückschlüsse auf das Bewegungsverhalten zu und gefährde die Wahrnehmung weiterer Grundrechte wie der Versammlungsfreiheit, während zugleich nur wenige Treffer festgestellt würden, die sich zudem vorwiegend im Bereich der Kraftfahrzeugdiebstähle befänden, die der Alltagskriminalität zuzuordnen seien und keinen Totalabgleich aller Verkehrsteilnehmer rechtfertigen könnten. Die Kennzeichenkontrolle sei ein Präzedenzfall für einen automatisierten Massenabgleich der Bevölkerung mit Fahndungsdatenbanken. Es bestehe auch ein erhebliches Missbrauchspotential hinsichtlich der erhobenen Daten. Die Voraussetzungen für die Kennzeichenkontrolle würden diese Umstände nicht berücksichtigen, da sie auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Identitätsfeststellung verwiesen, deren Eingriffsgewicht geringer sei, da massenhafte Identitätskontrollen - anders als bei der Kennzeichenkontrolle - nicht vorgesehen seien. Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayPAG enthalte keine tatbestandlichen Voraussetzungen, welche die Weite des Art. 13 BayPAG im Hinblick auf die Kennzeichenkontrolle ausreichend einschränkten. Unabhängig davon bestünden bereits Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Art. 13 BayPAG. Mittels der automatisierten Kennzeichenkontrolle würden Verkehrsteilnehmer generell und anlassunabhängig überprüft. Die Kennzeichenkontrolle nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayPAG sei nicht auf erhebliche Gefahren für wichtige Rechtsgüter beschränkt. In den Fällen des Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BayPAG könne den an den genannten Orten auftretenden Gefahren nicht mittels der Kennzeichenkontrolle begegnet werden, da im Fahndungsbestand im Wesentlichen nur gestohlene und unversicherte Kraftfahrzeuge enthalten seien. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG überwiege die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit das Interesse an der Verhinderung von Straftaten, die lediglich mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht seien. Im Fall der Schleierfahndung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG folge die Unverhältnismäßigkeit unter anderem daraus, dass Kennzeichenkontrollen an Durchgangsstraßen und Verkehrseinrichtungen im gesamten Land zugelassen seien. Die angegriffenen Normen beschränkten zudem den zum Abgleich herangezogenen Datenbestand nicht auf die zur Erreichung des Zwecks der jeweiligen Kontrolle erforderlichen Daten. Des Weiteren binde Art. 38 Abs. 3 Satz 2 BayPAG die Verwendung der erhobenen Daten nicht klar an den Zweck, zu dem sie erhoben wurden. Ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG liege zudem darin, dass die automatisierte Kennzeichenkontrolle verdeckt erfolge und die Betroffenen hierüber nicht informiert würden.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<h2>IV.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_25">25</a>
</dt>
<dd>
<p>Zu der Verfassungsbeschwerde hat die Bayerische Staatsregierung Stellung genommen. Sie ist der Auffassung, dass die Fälle der Nichttreffer und der unechten Treffer schon keine Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG darstellten. Dies habe das Bundesverfassungsgericht bereits grundsätzlich im Hinblick auf Nichttreffer und das Bundesverwaltungsgericht für die angegriffenen Normen im Hinblick auf Nichttreffer und unechte Treffer entschieden. Insbesondere der vollautomatische Abgleichvorgang und die sofortige Löschung der Daten, wenn kein Trefferfall vorliege, schlössen danach einen Grundrechtseingriff aus. In Fällen der unechten Treffer sei mangels einer Halterabfrage die Anonymität des Kraftfahrzeugführers noch nicht aufgehoben. Da nur bei echten Trefferfällen ein Grundrechtseingriff anzunehmen sei, erweise sich die Maßnahme in ihren grundrechtlichen Wirkungen als in hohem Maße treffgenau, so dass ihre Streubreite eng sei. Der Eingriff bei echten Trefferfällen sei von geringer Intensität, da er unter anderem mit dem Kraftfahrzeugkennzeichen ein personenbezogenes Datum betreffe, das für jedermann wahrnehmbar und von geringer Persönlichkeitsrelevanz sei. Zudem erfolge ein Grundrechtseingriff nur, wenn aufgrund der Speicherung des Kennzeichens in den Fahndungsbeständen ein Anlass für eine Überprüfung bestehe. Für die echten Trefferfälle liege mit Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 38 Abs. 3 BayPAG eine formell und materiell verfassungskonforme Rechtsgrundlage vor.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_26">26</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Kennzeichenkontrolle verfolge mit der Gefahrenabwehr und der Straftatenverhütung in den angegriffenen Normen eindeutig als präventiv ausgestaltete Zwecke. Der Verfolgungsvorsorge würde keinerlei eingriffslegitimierende Wirkung beigemessen. Dass die zum Abgleich herangezogenen Fahndungsbestände auch Ausschreibungen zu repressiven Zwecken enthielten, nehme der Kennzeichenkontrolle nicht die präventive Zweckrichtung, da Ausschreibungen häufig sowohl repressiven wie präventiven Zwecken dienten. Der Ausschreibungsgrund bestimme jedoch nicht den Zugriffszweck. Die tatbestandlichen Voraussetzungen seien ausreichend bestimmt, insbesondere durch den Verweis auf die Voraussetzungen in Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG. Aufgrund der Konkretisierung des Begriffs des Fahndungsbestands mittels der Auflistung der Ausschreibungsgründe in Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG sei auch der zum Abgleich eröffnete Datenbestand hinreichend konkretisiert. Gleiches gelte für die Verwendungsregelungen in Art. 38 Abs. 3 BayPAG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_27">27</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Regelungen seien insgesamt verhältnismäßig. Sie dienten dem präventiven Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, was in Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG näher ausdifferenziert und spezifiziert werde. Hierzu sei die Kennzeichenkontrolle geeignet und erforderlich. Sie sei auch angemessen. Der Grundrechtseingriff in Trefferfällen erfolge treffgenau und sei nur von geringer Intensität, wohingegen den verfolgten Zwecken ein hohes verfassungsrechtliches Gewicht zukomme. Auf allen Ebenen der Datenverarbeitung (Kennzeichenerfassung, Kennzeichenabgleich, Verwendung in Trefferfällen) enthielten die angegriffenen Regelungen dem Zweck der Maßnahme angepasste Begrenzungen. Die Bindung der Kennzeichenerfassung an die Voraussetzungen der Identitätsfeststellung in Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG sei sachgerecht, da die Kennzeichenkontrolle ein Hilfsmittel zur Ermittlung der Identität sei. Ferner finde eine Begrenzung durch das Erfordernis entsprechender Lageerkenntnisse und das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip aus Art. 4 BayPAG statt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_28">28</a>
</dt>
<dd>
<p>Die zum Abgleich herangezogenen Datenbestände würden, soweit dies technisch möglich sei, auf den jeweiligen Einsatzzweck zugeschnitten aus den Fahndungsbeständen erstellt und in einer separaten, für den Einsatzzweck erstellten Abgleichdatei gespeichert. Art. 38 Abs. 3 BayPAG regele in abgestufter Weise die Verwendung in Nichtreffer-, unechten Treffer- und Trefferfällen. In Trefferfällen erfolge eine Verwendung der Daten nur nach einer Erforderlichkeitsprüfung. Zur Erstellung von Bewegungsbildern dürften die Daten nur in speziell geregelten Fällen verwendet werden. Eine nachträgliche Benachrichtigung der von einer Kennzeichenkontrolle Betroffenen sei bei Nichttreffern und unechten Treffern mangels eines Grundrechtseingriffs nicht erforderlich und würde aufgrund der zwingend vorzunehmenden Datenspeicherung für die Benachrichtigung erst - kontraproduktiv - zu einem Grundrechtseingriff führen. In Trefferfällen würden Betroffene zumeist durch sich anschließende polizeiliche Maßnahmen informiert. Zudem bestehe der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch nach Art. 48 BayPAG.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<h1>B.</h1>
</dd>
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<a name="rd_29">29</a>
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<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.</p>
</dd>
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<h2>I.</h2>
</dd>
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<dl class="RspDL">
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<a name="rd_30">30</a>
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<dd>
<p>Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer zulässigerweise gegen die klageabweisenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, letztinstanzlich des Bundesverwaltungsgerichts, mit denen sein Unterlassungsbegehren gegenüber ihn möglicherweise erfassenden Kennzeichenkontrollen abgewiesen wurde. Mittelbar wendet er sich dabei gegen Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie gegen Art. 38 Abs. 3 BayPAG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_31">31</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Beschwerdeführer ist beschwerdebefugt. Er macht geltend, durch automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen, denen er als Verkehrsteilnehmer in Bayern ausgesetzt sei, und durch die ihm hiergegen Rechtsschutz verweigernden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt zu sein. Die Frage, ob eine Kennzeichenkontrolle gegenüber dem Beschwerdeführer tatsächlich einen Grundrechtseingriff begründet, ist wesentlicher Gegenstand des vorliegenden Verfahrens und wurde von den Fachgerichten nicht einheitlich beurteilt. Insoweit ist eine Grundrechtsverletzung jedenfalls möglich.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_32">32</a>
</dt>
<dd>
<p>Für die Verfassungsbeschwerde ist durch die Änderung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes zum 25. Mai 2018 nicht das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Durch diese Änderung wurde der Regelungsgehalt der angegriffenen Vorschriften nicht verändert. Die Vorschriften wurden lediglich zusammengeführt, an eine andere Stelle des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes verschoben und redaktionell geringfügig neu gefasst. Da der Beschwerdeführer auch hinsichtlich der nunmehr geltenden Gesetzeslage nicht mit einem Erfolg seines Begehrens im fachgerichtlichen Verfahren rechnen kann, ist sein Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen (vgl. BVerfGE 56, 363 <379>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_33">33</a>
</dt>
<dd>
<p>Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die Vorschriften in ihrer alten Fassung, die Grundlage und Prüfungsgegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2014 waren. Soweit die Befugnisse zur Kennzeichenkontrolle im Rahmen der genannten Gesetzesänderung - wie durch Gesetzesänderungen des Art. 13 Abs. 1 BayPAG zuvor - erweitert wurden, sind diese Änderungen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die im Folgenden zugrunde gelegte und zitierte Fassung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes bezieht sich dementsprechend auf dessen Stand zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h1>C.</h1>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_34">34</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Die von ihm mittelbar angegriffenen Vorschriften greifen in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein und genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen zum Teil nicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>I.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_35">35</a>
</dt>
<dd>
<p>In der Durchführung einer Kennzeichenkontrolle zur gezielten Suche nach bestimmten Personen oder Sachen liegt gegenüber dem Beschwerdeführer ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_36">36</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Durchführung einer Kennzeichenkontrolle berührt den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_37">37</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich für den einzelnen, insbesondere unter den Bedingungen moderner Datenverarbeitung, aus informationsbezogenen Maßnahmen ergeben. Dieses Recht flankiert und erweitert den grundrechtlichen Schutz von Verhaltensfreiheit und Privatheit; es lässt ihn schon auf der Stufe der Gefährdung des Persönlichkeitsrechts beginnen. Eine derartige Gefährdungslage kann bereits im Vorfeld konkreter Bedrohungen von Rechtsgütern entstehen. Mittels elektronischer Datenverarbeitung sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer Person unbegrenzt speicherbar und jederzeit und ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar. Sie können darüber hinaus mit anderen Datensammlungen zusammengefügt werden, wodurch vielfältige Nutzungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten entstehen. Dadurch können weitere Informationen erzeugt und so Schlüsse gezogen werden, die sowohl die grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen beeinträchtigen als auch anschließende Eingriffe in seine Verhaltensfreiheit nach sich ziehen können. Eine weitere Besonderheit des Eingriffspotentials von Maßnahmen der elektronischen Datenverarbeitung liegt in der Menge der verarbeitbaren Daten, die auf konventionellem Wege gar nicht bewältigt werden könnte. Der mit solchen technischen Möglichkeiten einhergehenden gesteigerten Gefährdungslage entspricht der hierauf bezogene Grundrechtsschutz (BVerfGE 120, 378 <397 f.> m.w.N.; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_38">38</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden. Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach seinem Ziel und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben. Insofern gibt es unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin, also ungeachtet des Verwendungskontextes, belangloses personenbezogenes Datum mehr (BVerfGE 120, 378 <398 f.> m.w.N.; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_39">39</a>
</dt>
<dd>
<p>Auch entfällt der grundrechtliche Schutz nicht schon deshalb, weil die betroffene Information öffentlich zugänglich ist. Auch wenn der Einzelne sich in die Öffentlichkeit begibt, schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dessen Interesse, dass die damit verbundenen personenbezogenen Informationen nicht im Zuge automatisierter Informationserhebung zur Speicherung mit der Möglichkeit der Weiterverwertung erfasst werden (vgl. BVerfGE 120, 378 <399>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_40">40</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Danach fällt die Durchführung einer Kennzeichenkontrolle nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Mit ihr werden einzelne, jeweils einem Fahrzeug und über dieses dem jeweiligen Halter zuordenbare Kraftfahrzeugkennzeichen erfasst und zur öffentlichen Aufgabenwahrnehmung mit weiteren Daten abgeglichen. Insoweit handelt es sich um die Verarbeitung personenbezogener Daten. Die Kennzeichen sind den jeweiligen Haltern individuell zugeordnet. Mit ihnen lassen sich deren Name, Anschrift sowie weitere Informationen ermitteln. Dass die Kennzeichen öffentlich sichtbar sind, ändert hieran ebenso wenig wie der Umstand, dass sie selbst den Namen des Fahrzeughalters nicht anzeigen. Maßgeblich ist allein, dass sich das Kennzeichen eindeutig einer bestimmten Person zuordnen lässt und damit personenbezogene Informationen vermitteln kann (vgl. BVerfGE 65, 1 <42>; 118, 168 <184 ff.>; 120, 378 <400 f.>; 128, 1 <42 ff.>; 130, 151 <184>). Die Kennzeichenkontrolle erfasst Kraftfahrzeugkennzeichen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung des Kraftfahrzeugs; diese Informationen können mittels einer Halterabfrage einer bestimmten Person zugeordnet werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_41">41</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Eine Kennzeichenkontrolle gegenüber dem Beschwerdeführer greift in dessen Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_42">42</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Vorschriften, die zum Umgang mit personenbezogenen Daten durch staatliche Behörden ermächtigen, begründen in der Regel verschiedene, aufeinander aufbauende Eingriffe. Insbesondere ist insoweit zwischen der Erhebung, Speicherung und Verwendung von Daten zu unterscheiden (BVerfGE 130, 151 <184> m.w.N.; stRspr). Soweit dabei zu einem Datenabgleich ermächtigt wird, bilden die Erfassung und der Abgleich der Daten grundsätzlich je eigene Grundrechtseingriffe.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_43">43</a>
</dt>
<dd>
<p>Ein Eingriff liegt insoweit grundsätzlich zunächst in der Erfassung personenbezogener Daten. Sie macht die Daten für die Behörden verfügbar und bildet die Basis für einen nachfolgenden Abgleich mit Suchbegriffen. An der Eingriffsqualität fehlt es lediglich, sofern Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Behörden ausgesondert werden (vgl. BVerfGE 100, 313 <366>; 115, 320 <343>). Demgegenüber kann auch dann, wenn die Erfassung eines größeren Datenbestands letztlich nur Mittel zum Zweck für eine weitere Verkleinerung der Treffermenge bildet, in der Datenerhebung als solcher bereits ein Eingriff liegen. Maßgeblich ist, ob sich bei einer Gesamtbetrachtung mit Blick auf den durch den Überwachungs- und Verwendungszweck bestimmten Zusammenhang das behördliche Interesse an den betroffenen Daten bereits derart verdichtet hat, dass ein Betroffensein in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist (vgl. BVerfGE 115, 320 <343>; 120, 378 <398>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_44">44</a>
</dt>
<dd>
<p>Ein weiterer Eingriff liegt in dem Abgleich der Daten sowie in der folgenden Verwendung der gefilterten Daten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_45">45</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Die Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG begründet danach gegenüber dem Beschwerdeführer Grundrechtseingriffe. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich als Ergebnis seiner Kontrolle ein Trefferfall ergibt oder nicht. Auch soweit die Kontrolle hinsichtlich des Beschwerdeführers zu einem Nichttreffer führt, liegen in der Erfassung und dem Abgleich seines Kraftfahrzeugkennzeichens Eingriffe in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Soweit dem die Entscheidung des Senats vom 11. März 2008 (BVerfGE 120, 378) entgegensteht, wird daran nicht festgehalten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_46">46</a>
</dt>
<dd>
<p>aa) Eine automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG besteht aus zwei Schritten der Datenverarbeitung, nämlich der Kennzeichenerfassung nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG sowie dem Kennzeichenabgleich nach Art. 33 Abs. 2 Satz 3 und 4 BayPAG. Beide sind unmittelbar aufeinander bezogen: Die Kennzeichenerfassung dient unmittelbar dem Abgleich mit den in der Vorschrift genannten Fahndungsbeständen; in der Verbindung beider sollen Informationen herausgefiltert werden, die für die weitere Aufgabenwahrnehmung der Polizei von Bedeutung sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_47">47</a>
</dt>
<dd>
<p>bb) Die Erfassung der Kennzeichen und der sich anschließende Abgleich stellen sich in diesem Zusammenhang als Grundrechtseingriffe gegenüber allen Personen dar, deren Kennzeichen in die Kontrolle einbezogen werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_48">48</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Allerdings entspricht es der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass ein Grundrechtseingriff in der Regel nicht anzunehmen ist, wenn personenbezogene Daten Dritter im Rahmen von elektronischen Datenverarbeitungsprozessen nur zufällig am Rande miterfasst werden und unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Behörden gelöscht werden. Wie maßstäblich ausgeführt, ist daran festzuhalten, dass ein Grundrechtseingriff insoweit nur anzunehmen ist, wenn sich das behördliche Interesse an den betroffenen Daten spezifisch verdichtet hat (oben Rn. 43).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_49">49</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Unter den Bedingungen der modernen Informationstechnik, die den Abgleich von Kennziffern oder persönlichen Merkmalen mit großen Datenmengen in kürzester Zeit erlauben, ist bei Kontrollvorgängen wie vorliegend der Kennzeichenkontrolle eine solche Verdichtung gegeben. Wenn gezielt mittels Datenabgleich Personen im öffentlichen Raum daraufhin überprüft werden, ob sie oder die von ihnen mitgeführten Sachen polizeilich gesucht werden, besteht an deren Daten auch dann ein verdichtetes behördliches Interesse, wenn diese Daten im Anschluss an die Überprüfung unmittelbar wieder gelöscht werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_50">50</a>
</dt>
<dd>
<p>Maßgeblich ist hierfür, dass Erfassung und Abgleich der Daten einen Kontrollvorgang begründen, der sich bewusst auf alle in die Kennzeichenkontrolle einbezogenen Personen erstreckt und erstrecken soll. Die Einbeziehung der Daten auch von Personen, deren Abgleich letztlich zu Nichttreffern führt, erfolgt nicht ungezielt und allein technikbedingt, sondern ist notwendiger und gewollter Teil der Kontrolle und gibt ihr als Fahndungsmaßnahme erst ihren Sinn. In der ex ante-Perspektive der Behörde, die für die Einrichtung einer Kennzeichenkontrolle maßgeblich ist, besteht ein spezifisch verdichtetes Interesse daran, die Kennzeichen aller an der Kennzeichenerfassungsanlage vorbeifahrenden oder sonst in die Kontrolle einbezogenen Fahrzeuge zu erfassen, weil es gerade um deren Kontrolle selbst geht. Zu diesem Zweck werden die Daten gezielt erhoben und kommt es auch auf deren Zuordenbarkeit zu den jeweiligen Personen an. Dass deren Auswertung automatisiert erfolgt, stellt dies nicht in Frage; vielmehr werden damit die Kontrollmöglichkeiten der Polizei wesentlich erweitert.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_51">51</a>
</dt>
<dd>
<p>Dem steht auch nicht entgegen, dass den Betroffenen im Nichttrefferfall wegen der sofortigen Löschung aller Daten weder Unannehmlichkeiten noch Konsequenzen erwachsen. Denn das ändert nichts daran, dass sie durch die Kennzeichenkontrolle einer staatlichen Maßnahme unterzogen werden, mit der sich ihnen gegenüber ein spezifisches Fahndungsinteresse zur Geltung bringt. Mit ihr werden die Betroffenen daraufhin überprüft, ob sie oder die von ihnen mitgeführten Sachen behördlich gesucht werden. Zugleich wird ihre ungehinderte Weiterfahrt unter den Vorbehalt gestellt, dass Erkenntnisse gegen sie nicht vorliegen. Eine solche Maßnahme ist nicht erst hinsichtlich ihrer Folgen, sondern als solche freiheitsbeeinträchtigend. Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein (vgl. BVerfGE 107, 299 <328>; 115, 320 <354 f.>; 120, 378 <402>; 122, 342 <370 f.>; 125, 260 <335>). Jederzeit an jeder Stelle unbemerkt registriert und darauf überprüft werden zu können, ob man auf irgendeiner Fahndungsliste steht oder sonst in einem Datenbestand erfasst ist, wäre damit unvereinbar. Vielmehr bedürfen solche Maßnahmen vor der Freiheit des Einzelnen eines spezifischen Grundes und sind als Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigungsbedürftig.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_52">52</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Indem sich die Kennzeichenkontrolle mit den Kraftfahrzeugkennzeichen auf personenbezogene Daten erstreckt, unterscheidet sie sich von Kontrollen, die gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen ohne Erfassung personenbezogener Daten durchgeführt werden und erst im Fall eines Treffers Daten zu einzelnen Personen erfassen. Dies ist etwa bei Geschwindigkeits- oder Rotlichtkontrollen im Straßenverkehr der Fall. Dort wird das Fahrverhalten zunächst ohne Erfassen des Kennzeichens und damit unabhängig von einer persönlichen Zuordenbarkeit der Kraftfahrzeuge kontrolliert. Personenbezogene Daten werden erst dann erhoben, wenn eine Übertretung gemessen und hierdurch ausgelöst ein Lichtbild erstellt wird. Dass dort ein Grundrechtseingriff nur im Trefferfall anzunehmen ist, lässt sich auf die Kennzeichenkontrolle nicht übertragen. Im Übrigen lassen sich Verkehrskontrollen auch deshalb nicht mit Kennzeichenkontrollen vergleichen, weil sie an risikobehaftetes Tun anknüpfen und damit materiell in anderem Umfang gerechtfertigt sind (unten Rn. 94).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_53">53</a>
</dt>
<dd>
<p>(4) Wie andere Überwachungsmaßnahmen auch ist die Kennzeichenkontrolle einheitlich und unabhängig davon zu beurteilen, zu welchem Ergebnis sie im Einzelfall führt. Dass die Kontrolle nicht an höchstpersönliche Merkmale wie etwa das Gesicht anknüpft, sondern an öffentliche Kennzeichen, die nur mittelbar auf einige begrenzte Halterdaten hinweisen, und dass nachteilige Folgen für diejenigen, für die kein Treffer angezeigt wird, ausgeschlossen werden können, ist bei der materiellen Gewichtung des Eingriffs im Rahmen einer Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen - ebenso wie umgekehrt die Streuweite der Kontrollmaßnahme, ihre Heimlichkeit sowie Art und Bedeutung der in den Abgleich einbezogenen Datenbestände (unten Rn. 97 f.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_54">54</a>
</dt>
<dd>
<p>Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 38 Abs. 3 BayPAG sind in formeller Hinsicht überwiegend mit der Verfassung vereinbar. Allerdings fehlt es dem Freistaat Bayern an der Gesetzgebungskompetenz, soweit er durch Verweis auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG Kennzeichenkontrollen zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze erlaubt und damit Fragen des Grenzschutzes regelt. Im Übrigen steht dem Freistaat Bayern die Gesetzgebungskompetenz für die Regelungen zu.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_55">55</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Soweit Kennzeichenkontrollen zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze geregelt werden, verstößt Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG gegen die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Grenzschutz aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_56">56</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG eröffnet Kennzeichenkontrollen - neben anderen Tatbestandsvarianten - zu den in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG genannten Zwecken. Ein Einsatzfeld, für das die Kennzeichenkontrollen danach bereitgestellt werden, ist die Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze. Eine solche Befugnis unmittelbar zum Schutz der Bundesgrenze ist jedoch eine Regelung des Grenzschutzes (vgl. BVerfGE 97, 198 <214 und 218>). Hierfür liegt nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz beim Bund. Der Freistaat Bayern kann dies nur regeln, wenn und soweit er hierzu nach Art. 71 GG in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt wird.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_57">57</a>
</dt>
<dd>
<p>Eine solche Ermächtigung besteht nicht. Sie ergibt sich insbesondere nicht aus § 2 Abs. 4 Bundespolizeigesetz (BPolG). Nach dieser Vorschrift richtet sich in Fällen, in denen die Polizei eines Landes im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, die Durchführung der Aufgaben nach dem für die Polizei des Landes geltenden Recht. Hierin liegt schon vom Wortlaut her keine Ermächtigung zur Gesetzgebung, sondern nur eine Entscheidung dazu, welches Recht anwendbar ist, und insoweit der Verweis auf das allgemein geltende Landesrecht. Dass in Abweichung von Art. 73 Abs. 1 GG den Ländern Gesetzgebungsbefugnisse eingeräumt werden sollen, ist aus der Vorschrift nicht ersichtlich - schon der Sache nach nicht, und jedenfalls nicht ausdrücklich, wie Art. 71 GG verlangt. Das bestätigt auch die Gesetzgebungsgeschichte. Danach hat der Bundesgesetzgeber für den Fall, dass nach § 2 Abs. 1 und 3 BPolG bestimmte Aufgaben des Grenzschutzes auf Länder übertragen werden, keine Notwendigkeit dafür gesehen, dass die Landespolizei bei der Durchführung der übertragenen Grenzschutzaufgaben das spezifische Grenzschutzrecht des Bundes anwendet. Vielmehr hat er hierfür eine Verweisung auf das auch sonst für die Wahrnehmung allgemeinpolizeilicher Aufgaben geltende Landesrecht als ausreichend erachtet (vgl. Deutscher Bundestag, Schriftlicher Bericht des Innenausschusses vom 20. Juni 1972, zu BTDrucks VI/3569, S. 5). Somit bestanden aus Sicht des Bundesgesetzgebers kein Anlass und keine Notwendigkeit, die Länder zur Schaffung von spezifischem Grenzschutzrecht zu ermächtigen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_58">58</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Keinen kompetenzrechtlichen Bedenken unterliegt im Hinblick auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG hingegen, dass durch Verweis auf die weiteren in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG genannten Zwecke eine Befugnis zu Kennzeichenkontrollen zur Verhütung oder Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität eingeräumt wird. Dass mit solchen Kontrollen Zwecke verfolgt werden, die einen Grenzbezug haben, macht sie nicht ohne weiteres zur Regelung des Grenzschutzes im Sinne des Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG. Vielmehr handelt es sich um Regelungen zur Gefahrenabwehr, die zwar an die Offenheit der Grenzen und damit einhergehende Gefahren anknüpfen, jedoch nicht unmittelbar dem Schutz der Bundesgrenze dienen. Dies gilt insbesondere auch für die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Denn hierunter sind nicht Verstöße speziell gegen Strafvorschriften zum Schutz der Grenze selbst zu verstehen, sondern allgemein Straftaten, die die tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten der Grenzsituation oder Grenznähe, insbesondere die Erschwerungen grenzüberschreitender Fahndung und Strafverfolgung, ausnutzen (vgl. SächsVerfGH, Urteil vom 10. Juli 2003 - Vf. 43-II-00 -, juris, Rn. 187 f.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_59">59</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Im Übrigen bestehen gegen die Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Bayern keine Bedenken. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis verleiht. Eine die Landeszuständigkeit ausschließende Bundeskompetenz besteht hinsichtlich der weiteren angegriffenen Vorschriften nicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_60">60</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Der Kompetenz der Länder, Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen zur Fahndung nach Personen und Sachen gesetzlich zu regeln, steht nicht die Kompetenz des Bundes zur Regelung des Straßenverkehrs aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG entgegen. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG betrifft das Straßenverkehrsrecht als sachlich begrenztes Ordnungsrecht und dient allein dem Zweck, die spezifischen Gefahren, Behinderungen und Belästigungen auszuschalten oder wenigstens zu mindern, die mit der Straßennutzung unter den Bedingungen des modernen Verkehrs verbunden sind (vgl. BVerfGE 40, 371 <380>). Darum geht es bei der Kennzeichenkontrolle gemäß Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG nicht. Das Straßenverkehrsgesetz und insbesondere auch die bundesrechtliche Regelung der Straßenverkehrskontrollen in § 36 Abs. 5 StVO stellen folglich die Kompetenz des Freistaates Bayern zum Erlass dieser Vorschrift nicht in Frage.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_61">61</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ("gerichtliches Verfahren") und die auf dieser Grundlage erlassenen Bundesvorschriften zum Strafverfahrensrecht stehen der Gesetzgebungskompetenz gleichfalls nicht entgegen. Eine Sperrwirkung dieser Vorschriften käme nur in Betracht, wenn die angegriffenen Vorschriften als Regelungen des strafgerichtlichen Verfahrens zu beurteilen wären. Das ist nicht der Fall.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_62">62</a>
</dt>
<dd>
<p>Maßgeblich für die kompetenzrechtliche Zuordnung der Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 und des Art. 38 Abs. 3 BayPAG ist eine Abgrenzung zwischen der dem Bund zugewiesenen Materie der Strafverfolgung und der den Ländern grundsätzlich belassenen Materie der Gefahrenabwehr, für die maßgeblich auf den Zweck der Regelungen abzustellen ist (aa). Danach unterfallen diese nicht der Strafverfolgung, sondern der Gefahrenabwehr (bb).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_63">63</a>
</dt>
<dd>
<p>aa) Regelungen zur Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr liegen oft nahe zusammen und überschneiden sich in ihren Wirkungen. Abzugrenzen sind sie nach dem sich aus der Norm ergebenden Zweck.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_64">64</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG weist dem Bund unter dem Gesichtspunkt des "gerichtlichen Verfahrens" die Kompetenz zur Regelung des Strafverfahrens zu. Dieser hat hiervon insbesondere mit der Strafprozessordnung Gebrauch gemacht. Soweit sich Vorschriften als Regelungen des Strafverfahrens darstellen, kommt eine Kompetenz der Länder nur insoweit in Betracht, als die Regelungen des Bundes hierfür nicht abschließend sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_65">65</a>
</dt>
<dd>
<p>Demgegenüber liegt die Gesetzgebungskompetenz für die hiermit eng verbundene Materie der Gefahrenabwehr grundsätzlich bei den Ländern. Diesbezüglich können die Länder eigenständig Regelungen treffen. Wie weit dies reicht, bestimmt sich wiederum negativ in Abgrenzung zu den dem Bund zugewiesenen Kompetenzen, vorliegend in Abgrenzung zu der Kompetenz für das Strafverfahren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_66">66</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Ob eine Vorschrift die Strafverfolgung oder die Gefahrenabwehr regelt, richtet sich nach deren Zielsetzung, wie sie sich in objektivierter Sicht aus ihrer Ausgestaltung ergibt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_67">67</a>
</dt>
<dd>
<p>(a) Die Kompetenzmaterie "gerichtliches Verfahren" im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 GG ist weit zu verstehen. Sie reicht von der Einleitung des Verfahrens bis zur Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidung. Umfasst ist das eigentliche gerichtliche und das vorgelagerte behördliche Verfahren, sofern es - wie vom Grundsatz her das in der Strafprozessordnung geregelte polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren - mit dem gerichtlichen Verfahren in einem untrennbaren funktionalen Zusammenhang steht (vgl. BVerfGE 30, 1 <29>). Die Kompetenz erstreckt sich auf das Strafverfahrensrecht als das Recht der Aufklärung und Aburteilung von Straftaten, die in der Vergangenheit begangen wurden; hierzu gehören die Ermittlung und Verfolgung von Straftätern einschließlich der Fahndung nach ihnen. Gegenstand der Regelungen ist die repressive Polizeitätigkeit, also diejenige, welche in Reaktion auf den Verdacht der Beteiligung einer Person an einer geschehenen oder unmittelbar bevorstehenden strafbaren Handlung vorgenommen wird (vgl. LVerfG MV, Urteil vom 21. Oktober 1999 - 2/98 -, juris, Rn. 57).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_68">68</a>
</dt>
<dd>
<p>Unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 GG fällt auch die Vorsorge für die spätere Verfolgung von Straftaten, die sogenannte Strafverfolgungsvorsorge (vgl. BVerfGE 103, 21 <30>; 113, 348 <370 f.>). Hierzu werden Maßnahmen gerechnet, welche die Ahndung von Straftaten ermöglichen oder erleichtern sollen, die erst in Zukunft erwartet werden. Sie knüpfen nicht an eine bereits begangene Straftat oder einen Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO an, sondern zielen auf die Verfolgung noch nicht begangener, sondern in ungewisser Zukunft möglicherweise bevorstehender Straftaten. Die Strafverfolgungsvorsorge geschieht mithin in zeitlicher Hinsicht präventiv, betrifft aber gegenständlich das repressiv ausgerichtete Strafverfahren (vgl. BVerfGE 113, 348 <370>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_69">69</a>
</dt>
<dd>
<p>(b) Demgegenüber richtet sich die Gefahrenabwehr auf die Beseitigung und Verhinderung von Gefahren und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Sie ist nicht repressiv-personenbezogen auf die Verfolgung von Straftätern ausgerichtet, sondern präventiv-objektiv unmittelbar auf den Schutz der Integrität der Rechtsordnung und der durch sie geschützten Rechtsgüter. Hierzu gehört auch die Verhinderung von Straftaten (vgl. BVerfGE 100, 313 <394>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_70">70</a>
</dt>
<dd>
<p>Kompetenzrechtlich den Ländern zugewiesen sind auch Maßnahmen der Gefahrenvorsorge. Bei dieser wird der Staat bereits im Vorfeld konkreter Gefahren aktiv, die zwar zum Zeitpunkt des Handelns noch nicht konkret drohen, aber später entstehen können. Durch das polizeiliche Handeln soll entweder das spätere Entstehen einer Gefahr verhindert oder zumindest deren wirksame Bekämpfung ermöglicht werden (so BVerwGE 141, 329 <335 Rn. 29>). Zur Gefahrenvorsorge gehört als Unterfall auch die Verhütung von Straftaten, die noch nicht konkret drohen, die sogenannte Straftatenverhütung. Sie umfasst Maßnahmen, die in einen antizipierten Geschehensablauf eingreifen oder die Entstehungsbedingungen bestimmter Faktoren oder Ursachenketten beeinflussen sollen, sodass sich der Eintritt der Gefahr einer Straftat bereits im Vorfeld verhüten lässt. Wie weit der Gesetzgeber Maßnahmen in dieser Weise in das Vorfeld künftiger Rechtsgutverletzungen verlegen darf, ist eine Frage des materiellen Rechts, berührt aber nicht die Gesetzgebungskompetenz des Landes (vgl. BVerfGE 113, 348 <368>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_71">71</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Gefahrenabwehr und Strafverfolgung liegen oft nahe beieinander. Die Regelungsbefugnisse von Bund und Ländern können sich insoweit überschneiden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_72">72</a>
</dt>
<dd>
<p>Die repressive Verfolgung von Straftätern dient zwangsläufig auch präventiv dem Schutz der Sicherheit, ebenso wie umgekehrt präventive Maßnahmen zum Schutz der Rechtsordnung und damit zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger die Ergreifung von Straftätern und anschließende repressive Maßnahmen befördern können. Insoweit gehen die Regelungsbefugnisse von Bund und Ländern Hand in Hand und sind in ihren Wirkungen miteinander eng verwoben. Dabei ist auch möglich, dass Regelungen doppelfunktional ausgerichtet sind und sowohl der Strafverfolgung als auch der Gefahrenabwehr - und entsprechend sowohl der Strafverfolgungsvorsorge als auch der Gefahrenvorsorge - dienen. Für die Abgrenzung maßgeblich ist hier zunächst der Schwerpunkt des verfolgten Zweckes. Bei doppelfunktionalen Maßnahmen, bei denen sich ein eindeutiger Schwerpunkt weder im präventiven noch im repressiven Bereich ausmachen lässt, steht dem Gesetzgeber ein Entscheidungsspielraum für die Zuordnung zu und können entsprechende Befugnisse unter Umständen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene geregelt werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_73">73</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Landesgesetzgeber ist folglich nicht an dem Erlass einer der Gefahrenabwehr dienenden Regelung gehindert, weil diese ihren tatsächlichen Wirkungen nach auch Interessen der Strafverfolgung dient und damit Regelungsbereiche des Bundes berührt. Maßnahmen können vielmehr auch als Landespolizeirecht zulässig sein, wenn sie präventiv und repressiv zugleich wirken. Ein solches Verständnis der Länderkompetenzen im Polizeirecht folgt aus der Entscheidung der Verfassung, die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr trotz ihrer inhaltlichen Nähe kompetenziell unterschiedlich zu behandeln. Wenn danach ähnliche oder auch gleiche Maßnahmen aus verschiedenen, aber sachlich eng zusammenliegenden Gesichtspunkten einerseits vom Bund und andererseits von den Ländern geregelt werden können, kann und muss eine sachliche Überschneidung der Regelungen nicht völlig ausgeschlossen sein. Genauso wie der Bund Maßnahmen zur Strafverfolgung regeln darf, die sich ihrer Wirkung nach zugleich förderlich für die Gefahrenabwehr auswirken, dürfen die Länder Regelungen zur Gefahrenabwehr treffen, die sich zugleich förderlich für die Strafverfolgung auswirken.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_74">74</a>
</dt>
<dd>
<p>(4) Das stellt nicht in Frage, dass die Kompetenzen sorgfältig zu unterscheiden sind und die Ausgestaltung der Regelungen strikt von der Zwecksetzung her bestimmt sein muss, für die jeweils die Kompetenz besteht. Für die Beurteilung, ob eine Norm eine verfassungsrechtliche Kompetenzgrundlage hat, kommt es auf eine genaue Bestimmung der ihr bei objektivierter Sicht unterliegenden Zweckrichtung an. Die Schaffung oder selbständige Erweiterung von Eingriffsbefugnissen zur Verfolgung von Zwecken, die durch die jeweilige Kompetenz nicht gedeckt sind, kann durch die inhaltliche Nähe der Regelungsbereiche nicht gerechtfertigt werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_75">75</a>
</dt>
<dd>
<p>bb) Ausgehend von diesen Maßstäben handelt es sich bei den angegriffenen Normen um Regelungen der Gefahrenabwehr.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_76">76</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Die Zweckrichtung der Kennzeichenkontrolle ergibt sich aus dem Verweis des Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayPAG auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG. Danach wird die Kennzeichenerfassung als erster und grundlegender Schritt der Kennzeichenkontrolle nur für die Fälle erlaubt, in denen auch eine Identitätsfeststellung zulässig ist. Mit dem Verweis auf die Identitätsfeststellung wird zugleich auf deren Zwecke verwiesen. Diese haben aber zumindest in ihrem Schwerpunkt alle eine präventive Zielrichtung, nämlich die Unterstützung der Polizei bei ihren Aufgaben der Gefahrenabwehr nach dem Polizeigesetz. Genauer sind dies für die Kennzeichenerfassung die Abwehr von bestimmten Gefahren im Einzelfall, die Bekämpfung der Herausbildung und Verfestigung gefährlicher Orte, der Schutz von gefährdeten Orten, die Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen zur Verhinderung schwerer Straftaten oder zum Schutz von Versammlungen sowie die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität oder die Verhütung oder Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts mittels der Schleierfahndung. Dass einige dieser Zwecke - wie insbesondere die Kennzeichenkontrolle an gefährlichen Orten oder im Rahmen der Schleierfahndung - bei objektivierter Betrachtung im Ergebnis zugleich die Strafverfolgung befördern, ist nach den oben entwickelten Maßstäben unschädlich.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_77">77</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Auf diese präventiven Zwecke ausgerichtet ist auch der sich anschließende Datenabgleich mit den in Art. 33 Abs. 2 Satz 3 und 4 BayPAG genannten Datenbeständen. Er dient dazu, durch das Auffinden der gesuchten Personen die Erreichung der sich aus Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG ergebenden Zwecke zu unterstützen. Dass der Gesetzgeber dabei auch Datenbestände einbezogen hat, die auf strafrechtlichen Ausschreibungen beruhen, ändert nichts daran, dass der diesbezügliche Abgleich den zuvor genannten präventiven Zwecken dient.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_78">78</a>
</dt>
<dd>
<p>Anders wäre dies zu beurteilen, wenn die angegriffenen Vorschriften dahingehend verstanden werden müssten, dass mit der Kennzeichenkontrolle neben den sich aus Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG ergebenden Zwecken zugleich eigens und hiervon unabhängig allgemein die Fahndung nach allen im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 3 und 4 BayPAG ausgeschriebenen Personen erstrebt und erlaubt werde. Das Ziel des Aufgreifens strafrechtlich ausgeschriebener Personen (vgl. Art. 33 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Buchstabe b BayPAG) gehört zur Strafverfolgung und berechtigt den Landesgesetzgeber jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr nicht dazu, hierfür eigene Befugnisse zu schaffen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_79">79</a>
</dt>
<dd>
<p>In diesem Sinne muss und darf die Vorschrift jedoch schon aus materiellen Gründen nicht verstanden werden. Art. 33 Abs. 2 Satz 3 und 4 BayPAG erlaubt einen Abgleich nur für die jeweils die Kennzeichenerfassung rechtfertigenden präventiven Zwecke im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG und ist dahin auszulegen, dass jeweils nur solche Datenbestände in den Abgleich einbezogen werden dürfen, die potentiell hierfür geeignet, erforderlich und angemessen sind (unten Rn. 107 ff.). In diesem Verständnis aber handelt es sich um Vorschriften des Gefahrenabwehrrechts. Dass bei deren Anwendung dann als faktische Nebenwirkung auch anderweitig und insbesondere strafrechtlich gesuchte Personen identifiziert werden können, stellt die Zuordnung der Vorschrift zum Gefahrenabwehrrecht nicht in Frage.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_80">80</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Kompetenzwidrig ist auch nicht, dass der Gesetzgeber nach Art. 38 Abs. 3 Satz 2 BayPAG eine Verwendung solch zufällig angefallener Erkenntnisse im Wege der Zweckänderung unabhängig von den Zwecken des Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG für die Zwecke öffnet, die den Ausschreibungen zur Fahndung unterliegen. Denn hierin liegt - nach dem Bild der Doppeltür (vgl. BVerfGE 130, 151 <184>; 141, 220 <333 f. Rn. 305>) - lediglich die Öffnung der ersten Tür für die weitere Datennutzung, nicht aber schon die abschließende Ermächtigung zu einer weiteren Nutzung. Für sie ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz aus dem Sachzusammenhang der Regelungsbefugnis für die präventive Kennzeichenkontrolle und der sich hieraus ergebenden Verantwortung für die datenschutzrechtlichen Anforderungen in Blick auf den weiteren Umgang mit den hierbei gewonnenen Daten (vgl. BVerfGE 125, 260 <314 f.>; 130, 151 <184 und 185 f.>). Die Öffnung der zweiten Tür und damit die letztlich maßgebliche Entscheidung über die nähere Nutzung dieser Erkenntnisse zu weiteren Zwecken bedarf eigener Vorschriften nach Maßgabe der hierfür geltenden Kompetenzen (vgl. BVerfGE 113, 348 <368>; 125, 260 <314 f.>; 130, 151 <185 f.>; 141, 220 <333 f. Rn. 305>). Soweit es um die Nutzung der Erkenntnisse zur Strafverfolgung geht, ist hierfür der Bund zuständig. Entsprechend verweist Art. 38 Abs. 3 Satz 2 BayPAG diesbezüglich auf die Vorschriften der Strafprozessordnung, die selbst nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>III.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_81">81</a>
</dt>
<dd>
<p>Die angegriffenen Vorschriften sind bei verfassungskonformer Auslegung auch materiell weithin, aber nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_82">82</a>
</dt>
<dd>
<p>Als Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind Ermächtigungen zur automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Sie müssen danach einen legitimen Zweck verfolgen, zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein (vgl. BVerfGE 67, 157 <173>; 120, 378 <427>; 141, 220 <265 Rn. 93>; stRspr). Dabei müssen sie insbesondere im Bereich der Datenverarbeitung zugleich den Grundsätzen der Normenklarheit und Bestimmtheit genügen (vgl. BVerfGE 113, 348 <375 ff.>; 120, 378 <407 f.>; 141, 220 <265 Rn. 94>; stRspr). Diesen Anforderungen genügen Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 und Art. 38 Abs. 3 BayPAG teilweise nicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_83">83</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 und Art. 38 Abs. 3 BayPAG dienen legitimen Zwecken.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_84">84</a>
</dt>
<dd>
<p>Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG eröffnet Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen in Anknüpfung an Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG. Der Gesetzgeber bestimmt damit die Zwecke der Kontrollen. Sie sollen der Abwehr von Gefahren im Einzelfall, der Eindämmung von Orten, die Rückzugs- und Ausgangspunkt für Kriminalität und Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht sind, und dem Schutz von gefährdeten Orten mit Bedeutung für das Gemeinwesen dienen. Weiter dienen sie - in Unterstützung polizeilicher Kontrollstellen - dem Schutz vor schweren Straftaten und der friedlichen Durchführung von Versammlungen sowie dem Schutz vor grenzüberschreitender Kriminalität oder der Verhinderung von Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht mittels der Schleierfahndung. Der Gesetzgeber verfolgt hiermit legitime Zwecke. Dies gilt auch für Art. 38 Abs. 3 BayPAG, der neben der zweckbezogenen Nutzung der Informationen eine Öffnung für deren Nutzung zu weiteren Zwecken nach Maßgabe weiterer Vorschriften regelt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_85">85</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Die Ermächtigung zu Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen ist zur Erreichung dieser Zwecke grundsätzlich geeignet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_86">86</a>
</dt>
<dd>
<p>Automatisierte Kennzeichenkontrollen, wie sie durch Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG ermöglicht werden, tragen zu diesen Zwecken bei, indem sie zur Fahndung ausgeschriebene Personen oder Sachen identifizieren. Da sie damit helfen, Personen oder Sachen zu finden, deren Aufgreifen zur Erreichung der in Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG genannten Zwecke beitragen kann, sind solche Kontrollen hierzu grundsätzlich geeignet. Dass der Abgleich unmittelbar allein Kraftfahrzeugkennzeichen zum Gegenstand hat, damit Trefferfälle nur mittelbar den Fahrzeughalter identifizieren und auch dieser nicht zwangsläufig die gesuchte Person selbst ist, ändert hieran nichts. Denn die Wahrscheinlichkeit, auf diesem Weg auch die zur Erreichung des jeweiligen Zwecks der Kontrolle gesuchten Personen oder Sachen zu finden, wird damit jedenfalls erhöht. Dies genügt, um eine Maßnahme für geeignet zu halten, einen legitimen Zweck zu erreichen (vgl. BVerfGE 67, 157 <175>; 125, 260 <317 f.>; 141, 220 <266 Rn. 97>; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_87">87</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Anforderungen der Geeignetheit müssen freilich auch bei der Ausgestaltung der Kennzeichenkontrolle hinsichtlich der jeweiligen Zwecke im einzelnen beachtet werden. Sie betreffen hierbei insbesondere auch das Verhältnis dieser Zwecke zu den bei dem Abgleich zu berücksichtigenden Fahndungsbeständen (unten Rn. 107 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_88">88</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Für die Erreichung dieser Zwecke sind automatisierte Kennzeichenkontrollen auch erforderlich. Es ist nicht ersichtlich, dass andere Maßnahmen mit geringerem Eingriffsgewicht diesen Zweck vergleichbar effektiv erreichen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_89">89</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne sind automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen nur vereinbar, wenn die Ermächtigung zu den Kontrollen hinreichend begrenzt ist und übergreifende Anforderungen an Kontrolle und Datennutzung beachtet sind (a). Diesen Anforderungen genügen die angegriffenen Vorschriften nicht vollständig (b).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_90">90</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne als Übermaßverbot genügen die Kennzeichenkontrollen nur, wenn der mit ihnen verfolgte Zweck zu dem in ihnen liegenden Eingriffsgewicht nicht außer Verhältnis steht. Erforderlich ist danach, dass die Kontrollen grundsätzlich jeweils durch einen hinreichend konkreten, objektiv bestimmten Grund veranlasst sind (aa) und dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse dienen (bb). Dabei muss sich die gesetzliche Ausgestaltung der Kennzeichenkontrolle in einer Gesamtabwägung der sie kennzeichnenden Umstände als im Blick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zumutbar und damit verfassungsrechtlich tragfähig erweisen (cc). Im Übrigen gehören zu den Verhältnismäßigkeitsanforderungen übergreifend für alle Einzeltatbestände Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle sowie Regelungen zur Datennutzung und Löschung (dd).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_91">91</a>
</dt>
<dd>
<p>aa) Polizeiliche Kontrollen zur gezielten Suche nach Personen oder Sachen im öffentlichen Raum, wie sie Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG ermöglichen, setzen als Grundrechtseingriffe grundsätzlich einen objektiv bestimmten und begrenzten Anlass voraus. Der Gesetzgeber hat eine Eingriffsschwelle vorzugeben, durch die das staatliche Handeln an vorhersehbare und kontrollierbare Voraussetzungen gebunden wird (vgl. BVerfGE 141, 220 <271 ff. Rn. 109 ff.> m.w.N.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_92">92</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Allein das allgemeine Interesse, zur Fahndung ausgeschriebene Personen oder Sachen zu identifizieren und aufzugreifen, reicht zur Rechtfertigung solcher Kontrollen noch nicht. Zwar ist ein auch für sich bestehendes legitimes staatliches Interesse anzuerkennen, solche Personen oder Sachen aufzufinden. Dies rechtfertigt jedoch nicht schon für sich die Durchführung beliebiger Kontrollen gegenüber jedermann. Auch wenn die Fahndungsausschreibung auf eigenen Rechtsgrundlagen beruht, besagt das nicht, dass zur Fahndung jede Maßnahme eingesetzt werden darf. Vielmehr bedürfen diese jeweils eines eigenen Anlasses. Die Durchführung von Kontrollen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein ist mit dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich unvereinbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_93">93</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Verhältnismäßig ist eine Ermächtigung zu einer Kontrolle nur, wenn hierfür ein Anlass bestimmt ist, der das polizeiliche Handeln vorhersehbar und kontrollierbar macht. Insoweit kann der Gesetzgeber etwa auf das Bestehen einzelner Gefahren abstellen. Der Gesetzgeber kann aber auch unabhängig von einer konkreten Gefahr als rechtfertigende Anlässe schon Gefahrenlagen bestimmen, die nur typisiert umschrieben sind. Im Übrigen kann er Kontrollen etwa auch dann erlauben, wenn im Einzelfall oder typischerweise eine spezifisch gesteigerte Wahrscheinlichkeit besteht, gesuchte Personen oder Sachen aufzufinden; in diesem Sinne steht es ihm nach Maßgabe der Kompetenzordnung frei, auch ohne den Bezug auf weitere Zwecke unmittelbar dem öffentlichen Fahndungsinteresse Rechnung zu tragen. Es bedarf jedoch jeweils eines die konkrete Kontrolle rechtfertigenden Grundes, der auf einer hinreichenden Tatsachenbasis beruht und dem staatlichen Handeln nachprüfbare Grenzen setzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_94">94</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Anlasslose Kontrollen sind damit nicht generell ausgeschlossen. Wenn polizeiliche Kontrollen an ein gefährliches oder risikobehaftetes Tun beziehungsweise an die Beherrschung besonderer Gefahrenquellen anknüpfen, kann schon darin ein dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügender Grund liegen. Die Rechtfertigung für Kontrollen kann dort bereits an der besonderen Verantwortung der Betroffenen gegenüber der Allgemeinheit anknüpfen und bedarf deshalb eines darüberhinausgehenden Anlasses grundsätzlich nicht. Für automatisierte Kennzeichenkontrollen kommt das etwa in Betracht, wenn mit ihnen Gefahren bekämpft werden, die sich gerade aus dem Betrieb der Kraftfahrzeuge ergeben, etwa die Durchsetzung der Versicherungspflicht durch Kontrollen zum Auffinden unversicherter Fahrzeuge. Die Lage ist insoweit nicht anders als bei zahlreichen anderen, hier nicht streitgegenständlichen Arten polizeilicher Kontrollmaßnahmen wie bei anlasslos stichprobenhaft durchgeführten Straßenverkehrskontrollen oder anlasslosen Kontrollen in weiten Bereichen etwa des Umwelt- oder Wirtschaftsverwaltungsrechts.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_95">95</a>
</dt>
<dd>
<p>bb) Zu den Anforderungen des Übermaßverbots gehört es weiter, dass die Kennzeichenkontrollen durch einen im Verhältnis zum Grundrechtseingriff hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz gerechtfertigt sein müssen. Angesichts ihres Eingriffsgewichts müssen automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen danach dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse dienen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_96">96</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen zur Fahndung nach Personen oder Sachen sind bei Gesamtsicht Eingriffe von erheblichem Gewicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_97">97</a>
</dt>
<dd>
<p>Das Eingriffsgewicht mindernd ist einzustellen, dass die Kennzeichenkontrolle im öffentlichen Verkehrsraum stattfindet. Sowohl die Kraftfahrzeugkennzeichen als auch das erfasste Bewegungsverhalten sind ohne weiteres für alle erkennbar. Dabei bezieht sich die Kontrolle allein auf Kennzeichen, nicht aber unmittelbar auf persönliche Merkmale oder Eigenschaften einer Person; der Personenbezug lässt sich nur mittelbar herstellen. Insoweit aber dient das Kennzeichen seiner Zweckbestimmung nach gerade der Identifizierung (vgl. BVerfGE 120, 378 <404>). Bedeutsam ist dabei auch, dass nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayPAG nur Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfasst werden, nicht aber die Personen oder die Kraftfahrzeuge. Zu berücksichtigen ist weiterhin insbesondere, dass die Kontrolle gegenüber der ganz überwiegenden Zahl der Betroffenen mit keinerlei unmittelbar beeinträchtigenden Folgen verbunden ist und keine Spuren hinterlässt. Dass der Datenabgleich in Sekundenschnelle durchgeführt wird und die erfassten Daten im Nichttrefferfall sofort vollständig wieder gelöscht werden, ohne einer Person bekannt zu werden, nimmt dem Eingriff erheblich an Gewicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_98">98</a>
</dt>
<dd>
<p>Das Eingriffsgewicht erhöhend zeichnen sich solche Kontrollen dadurch aus, dass sie sich schon ihrem Prinzip nach nicht auf Personen beschränken, die objektiv in einer Gefahrenlage verfangen sind, sondern sich auf eine unbestimmte Vielzahl von Personen erstrecken, die von vornherein hierzu keinerlei Anlass gegeben haben. Sie können praktisch jede und jeden treffen. Solche Informationserhebungen haben grundsätzlich eine erhöhte Eingriffsintensität. Weiter fällt belastend ins Gewicht, dass die Maßnahmen verdeckt durchgeführt werden. Gerade bei Ermittlungsmaßnahmen mit großer Streubreite wie hier der im öffentlichen Raum stattfindenden seriellen Kontrolle von Personen in großer Zahl zu Fahndungszwecken kann dadurch ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen. Dass die von der Kennzeichenkontrolle erfassten Personen dies außerhalb des Trefferfalls nicht bemerken, hebt das hierin liegende Eingriffsgewicht nicht auf. Denn dadurch entfällt zwar die Lästigkeit solcher Maßnahmen, nicht aber ihr Kontrollcharakter und die darin liegende Beeinträchtigung der individuellen Freiheit, die zugleich die Freiheitlichkeit der Gesellschaft insgesamt betrifft (vgl. BVerfGE 120, 378 <402 f.> m.w.N.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_99">99</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Dem erheblichen Eingriffsgewicht automatisierter Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen entspricht es, dass sie zu ihrer Rechtfertigung jeweils auf Gründe gestützt werden müssen, die dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse dienen. Zu diesen Rechtsgütern zählen zunächst die besonders schutzwürdigen Rechtsgüter wie Leib, Leben und Freiheit der Person und der Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder (vgl. BVerfGE 120, 274 <328>; 125, 260 <330>; 141, 220 <270 Rn. 108>). Darüber hinaus kommen aber auch Rechtsgüter in Betracht, die unterhalb dieser für besonders eingriffsintensive Überwachungsmaßnahmen geltenden Schwelle liegen wie etwa der Schutz von nicht unerheblichen Sachwerten. Der Gesetzgeber kann diese Schwelle im einzelnen näher konkretisieren und die Kennzeichenkontrolle etwa auch zur Verhinderung hinreichend gewichtiger Delikte zulassen, für deren Bekämpfung eine Kennzeichenkontrolle von besonderer Bedeutung ist, was gewichtige Ordnungswidrigkeiten einschließen kann. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung kommt es auf die Ausgestaltung der Ermächtigung insgesamt an. Insoweit bedarf es sowohl einer Würdigung der vom Gesetzgeber bestimmten Zwecke, die sich aus den Bestimmungen für die Kennzeichenerfassung ergeben, als auch des Umfangs und Inhalts der Fahndungsbestände, die der Gesetzgeber für den Datenabgleich vorsieht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_100">100</a>
</dt>
<dd>
<p>cc) Schließlich muss sich die Ausgestaltung solcher Kontrollen unter Berücksichtigung aller sie kennzeichnenden Umstände auch in einer Gesamtabwägung als verhältnismäßig erweisen. Dabei hat der Gesetzgeber die Ausgewogenheit zwischen der Art und Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung einerseits und den zum Eingriff berechtigenden Anlässen andererseits, etwa durch Vorgaben zu Einschreitschwelle, der geforderten Tatsachenbasis oder dem Gewicht der geschützten Rechtsgüter, zu wahren (vgl. BVerfGE 120, 378 <429>). Daraus folgt auch, dass Maßnahmen nicht flächendeckend durchgeführt werden dürfen. Die Anforderungen an eine räumliche Konkretisierung des Anlasses von Kontrollen sind insoweit aber umso geringer, je schwerwiegender und dringlicher die abzuwehrende Gefahr im Einzelfall ist.Ohnehin ist die Verhältnismäßigkeit der Kontrollen nach allgemeinen Grundsätzen im Rahmen der Anwendung sicherzustellen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_101">101</a>
</dt>
<dd>
<p>dd) Im Übrigen folgen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung gewisse übergreifende Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 65, 1 <44 ff.>; 125, 260 <334 ff.>; 141, 220 <282 Rn. 134>; stRspr). Diese bemessen sich im Einzelnen nach dem Eingriffsgewicht der Kennzeichenkontrolle und reichen daher nicht so weit wie für heimliche Überwachungsmaßnahmen, die eine besonders hohe Eingriffsintensität haben. Verfassungsrechtlich geboten sind weiterhin tragfähige Regelungen zur Nutzung der Daten wie zur Datenlöschung (vgl. BVerfGE 65, 1 <46>; 133, 277 <366 Rn. 206>; 141, 220 <285 Rn. 144>; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_102">102</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Die angegriffenen Vorschriften genügen den vorgenannten Anforderungen in der Ausgestaltung ihrer einzelnen Tatbestände nicht in jeder Hinsicht. Auch ist den übergreifenden Anforderungen nicht vollständig Genüge getan.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_103">103</a>
</dt>
<dd>
<p>aa) In der ersten Variante sieht das Gesetz Kennzeichenkontrollen zur Abwehr einer Gefahr vor (Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayPAG). Dies genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen insoweit nicht, als die Kontrollen nicht auf einen der Verhältnismäßigkeit genügenden Rechtsgüterschutz beschränkt werden. Im Übrigen ist die Vorschrift bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_104">104</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Die uneingeschränkte Eröffnung der Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen zur Abwehr jeder Gefahr ist mit dem Übermaßverbot nicht vereinbar. Geboten ist eine Beschränkung solcher Kontrollen auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_105">105</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Gesetzgeber eröffnet durch Verweis auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayPAG Kennzeichenkontrollen zur Abwehr einer Gefahr. Dies verlangt nach Art. 11 Abs. 1 BayPAG zunächst eine im einzelnen Fall bestehende und somit "konkrete Gefahr" (vgl. BayVerfGH, Urteil vom 28. März 2003 - Vf. 7-VII-00 u.a. -, juris, Rn. 119; allgemein zum Begriff der konkreten Gefahr vgl. BVerfGE 115, 320 <364>; 141, 220 <271 Rn. 111>; BVerwGE 116, 347 <351>). Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber stellt so auf die im Sicherheitsrecht übliche Eingriffsschwelle ab und bindet die Kontrollen an einen hinreichend konkreten Anlass (oben Rn. 91). Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist demgegenüber die Frage, ob insoweit auch auf eine "drohende" Gefahr (vgl. Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b BayPAG in der Fassung vom 24. Juli 2017) abgestellt werden kann.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_106">106</a>
</dt>
<dd>
<p>Allerdings eröffnet die Vorschrift die Möglichkeit von Kennzeichenkontrollen zur Abwehr jeder Gefahr und damit allgemein zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. In Bezug genommen ist so die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung insgesamt, ohne hinsichtlich der in Frage stehenden Rechtsgüter Gewichtungen vorzunehmen. Dies genügt den dargelegten Anforderungen an einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz nicht. Angesichts des Eingriffsgewichts von automatisierten Kennzeichenkontrollen verlangt das Übermaßverbot, diese auf die Abwehr von Gefahren für Rechtsgüter von zumindest erheblichem Gewicht zu beschränken. Allein der Verweis auf die Integrität der Rechtsordnung insgesamt, wie er dem Gefahrbegriff der polizeilichen Generalklausel zugrunde liegt, reicht dafür nicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_107">107</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Die Regelung des Datenabgleichs ist bei verfassungskonformer Auslegung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_108">108</a>
</dt>
<dd>
<p>Art. 33 Abs. 2 Satz 3 und 4 BayPAG ermächtigt dazu, die erfassten Kraftfahrzeugkennzeichen mit den in diesen Vorschriften genannten Fahndungsbeständen automatisiert abzugleichen. Dieser Abgleich genügt Verhältnismäßigkeitsanforderungen nur, wenn die einzubeziehenden Fahndungsbestände auf solche ausgeschriebenen Personen und Sachen beschränkt werden, die für den jeweiligen Zweck der Kennzeichenkontrolle Bedeutung haben können. Bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift ist dies jedoch sichergestellt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_109">109</a>
</dt>
<dd>
<p>(a) Die Reichweite des durch Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG eröffneten Datenabgleichs ergibt sich aus der Vorschrift nicht eindeutig. Sie lässt sich aber so auslegen, dass die Abgleichdateien anlassbezogen auszuwählen sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_110">110</a>
</dt>
<dd>
<p>Allerdings enthält die Vorschrift in Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die Polizei für den Abgleich eine auf den jeweiligen Zweck der Kennzeichenerfassung bezogene Auswahl der Fahndungsbestände vorzunehmen hat. Daher liegt es nicht fern, die Vorschrift so zu verstehen, dass sie jeweils einen Abgleich mit allen dort genannten Fahndungsbeständen erlaubt (vgl. auch Bayerischer Landtag, Drucks 15/10522, S. 2 f.), wofür auch Satz 4 der Vorschrift spricht. Zwingend ist eine solche Auslegung jedoch nicht. Vielmehr lässt sich Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG auch so verstehen, dass die dort aufgeführten Fahndungsbestände nur den Rahmen der für den Abgleich überhaupt eröffneten Daten bilden. Sie können insoweit als der Datenfundus verstanden werden, aus dem je nach Anlass die zweckbezogen zu bestimmenden Daten nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen sind. Art. 33 Abs. 2 Satz 4 BayPAG, der das für die dort genannten Dateien ausdrücklich vorsieht, ist insoweit nicht als Sonderregelung, sondern als Ausdruck eines die Regelung insgesamt anleitenden Verständnisses zu verstehen. Angesichts dessen, dass zur Durchführung einer Kennzeichenkontrolle aus den Fahndungsbeständen für die praktische Umsetzung jeweils eine eigene Abgleichdatei erstellt werden muss, wird dieses Verständnis durch die tatsächlichen Umstände gestützt. Die Bayerische Staatsregierung hat in ihren Stellungnahmen klargestellt, dass sie Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG dieses Verständnis zugrunde legt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_111">111</a>
</dt>
<dd>
<p>(b) Verfassungsrechtlich ist dieses Verständnis auch geboten. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich, dass Eingriffe in Grundrechte nur insoweit gerechtfertigt sein können, als sie zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet und erforderlich sind. Wenn eine Kennzeichenkontrolle zur Abwehr einer bestimmten Gefahr erlaubt wird, muss auch der Abgleich von diesem Zweck her seine Begrenzung finden. Sollen Fahndungsbestände in den Abgleich einbezogen werden, die mit diesem Zweck nichts zu tun haben, so bedarf dies eines eigenen tragfähigen Grundes. Ohne einen solchen Grund ist ein Abgleich, der Fahndungsbestände einbezieht, die von vornherein zu dem Zweck der Kennzeichenkontrolle nicht beitragen können, unverhältnismäßig. Dass der Gesetzgeber mit Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG die von ihm durch den Verweis auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG genau begrenzten Zwecke in dieser Weise unterlaufen und diese Begrenzung zur Durchsetzung eines hiervon abgelösten allgemeinen Fahndungsinteresses konterkarieren wollte, ist vor diesem Hintergrund nicht anzunehmen. Die weite Fassung der in Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG aufgeführten Fahndungsbestände muss verfassungskonform vielmehr dahin verstanden werden, dass sie in Blick auf die Gesamtheit der verschiedenen Varianten der Kennzeichenkontrolle die zum Abgleich eröffneten Fahndungsbestände insgesamt umschreibt und die Polizei die jeweils relevanten Daten anlassbezogen auszuwählen hat. In diesem Verständnis ist gegen die Reichweite der von Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG erfassten Fahndungsbestände verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_112">112</a>
</dt>
<dd>
<p>(c) Die Regelung genügt auch den Bestimmtheitsanforderungen. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist insbesondere, dass Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG die zum Abgleich eröffneten Fahndungsbestände nur abstrakt, nicht aber unter Verweis auf konkrete Dateien umschreibt. Hierin liegt weder eine unzulässige dynamische Verweisung, noch widerspricht das dem Bestimmtheitsgebot. Vielmehr hat der Gesetzgeber damit eine hinreichend klare Entscheidung getroffen, deren Gehalt sich durch Auslegung ermitteln lässt und die den Zugriff auf die nicht speziell auf die Kennzeichenkontrolle hin angelegten Fahndungsbestände sachbezogen eingrenzt. Auf ihrer Grundlage darf die nähere Auswahl aus den genannten Fahndungsbeständen den Behörden überlassen werden, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen und unter der Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorzunehmen haben. Dass ihnen hierbei eine gewisse Einschätzungsprärogative eingeräumt wird, ist verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_113">113</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Im Übrigen ist die Verhältnismäßigkeit der Kennzeichenkontrolle nach der ersten Variante der Regelung - vorbehaltlich der für alle Varianten geltenden verfahrensmäßigen Anforderungen an eine Dokumentation (unten Rn. 156 f.) - hinreichend gewährleistet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_114">114</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Gesetzgeber verlangt, dass für die Durchführung einer solchen Kennzeichenkontrolle entsprechende Lageerkenntnisse vorliegen müssen (vgl. bereits BayVerfGH, Urteil vom 28. März 2003 - Vf. 7-VII-00 u.a. -, juris, Rn. 115). Dies unterstreicht die Notwendigkeit belastbarer tatsächlicher Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit der Kontrollen; für das Tatbestandsmerkmal der konkreten Gefahr verstärkt dies freilich nur die Anforderungen, die sich bereits aus dem Gefahrenbegriff ergeben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_115">115</a>
</dt>
<dd>
<p>Zum Schutz vor einer übermäßig weiten Erstreckung der Befugnisse begrenzt der Gesetzgeber die Durchführung solcher Maßnahmen weiter dahingehend, dass sie nicht flächendeckend eingesetzt werden dürfen (Art. 33 Abs. 2 Satz 5 BayPAG). Dieses Merkmal ist zwar nicht sehr bedeutungsscharf und bedarf der Auslegung. Gemeint ist hiermit, dass die Kontrollen nur an einzelnen erfolgversprechenden Stellen, das heißt punktuell örtlich begrenzt durchgeführt werden dürfen, nicht aber zu dem Zweck, kontrollfreie Bewegungen möglichst weiträumig oder gar im gesamten Zuständigkeitsbereich der Behörde auszuschließen. In diesem Sinne grenzt das Merkmal die Durchführung solcher Maßnahmen im Einklang mit dem Übermaßverbot weiter ein und ist als Ergänzung der weiteren Tatbestandsmerkmale auch unter Bestimmtheitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_116">116</a>
</dt>
<dd>
<p>Keine Vorgaben enthält die Vorschrift dazu, ob die Kennzeichenerfassung mobil oder statisch und ob sie dauerhaft oder zeitlich begrenzt durchgeführt wird. Damit stellt sie die Entscheidung hierzu in das Ermessen der Polizei. Das ist weder unter Bestimmtheitsgesichtspunkten noch in der Sache zu beanstanden. Das Ermessen ist dabei unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszuüben. Für die Abwehr von bestimmten einzelnen Gefahren kommt eine dauerhafte Einrichtung einer Kennzeichenkontrolle von vornherein nicht in Betracht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_117">117</a>
</dt>
<dd>
<p>bb) Als zweite Variante regelt das Gesetz Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen an "gefährlichen Orten" (Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG). Bei sachgerechter Auslegung und Anwendung der Bestimmung im Einzelfall ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_118">118</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Die Vorschrift erlaubt die Kennzeichenkontrolle an Orten, von denen auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass dort Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich Personen ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen, sich Straftäter verbergen oder Personen der Prostitution nachgehen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_119">119</a>
</dt>
<dd>
<p>Bei verständiger Auslegung der Vorschrift im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bestehen gegen die Vorschrift keine durchgreifenden Bedenken. Gerechtfertigt ist diese Vorschrift durch das Ziel, zur Sicherheit an diesen Orten beizutragen, und zu verhindern, dass sie zum schutzbietenden Ausgangspunkt für die Verübung von Straftaten werden. Soweit hierbei auf Orte abgestellt wird, an denen Personen der Prostitution nachgehen, richtet sich dies nicht gegen Prostituierte, sondern auf den Schutz vor mit der Prostitution einhergehender Kriminalität - und damit nicht zuletzt auf den Schutz der Prostituierten selbst. Das Ziel, der Gefahr entgegenzuwirken, dass solche Orte zum Sammelpunkt von Straftätern und Personen ohne Aufenthaltsrecht werden, knüpft - unabhängig von dem Einzelgewicht der Rechtsverstöße - an ein strukturell erhöhtes Gefahrenpotential an und dient damit einem öffentlichen Interesse von erheblichem Gewicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_120">120</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Regelung knüpft dabei nicht an eine bloß abstrakte Gefährlichkeit bestimmter Orte an, sondern begrenzt die Kontrollen auf Orte, für die tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass sie von den in der Vorschrift genannten Personen maßgeblich frequentiert werden. Sie enthält damit nicht etwa eine Generalermächtigung für Kennzeichenkontrollen an praktisch allen wichtigen Verkehrsknotenpunkten oder Orten größerer Zusammenkünfte von Menschen. Vielmehr muss es sich um Orte handeln, für die in diesem Sinne konkrete Erkenntnisse der Polizei vorliegen. Das gilt auch für die nähere Bestimmung der jeweils tatsächlichen Durchführung einer Kontrolle. Diese ist nicht etwa beliebig im weiteren Umfeld dieser Orte erlaubt, sondern nur dort, wo die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen tatsächlich unmittelbar erfüllt sind. Durch das alle Varianten übergreifende Erfordernis entsprechender Lageerkenntnisse in Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayPAG wird das weiter abgesichert. Dabei muss der nach polizeilichen Erkenntnissen gefährliche Ort gerade mit Kraftfahrzeugen aufgesucht werden (vgl. Bayerischer Landtag, Drucks 15/10522, S. 2).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_121">121</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist wiederum auch die Reichweite des nach Art. 33 Abs. 2 Satz 3 und 4 BayPAG eröffneten Datenabgleichs. Die Vorschrift ist dabei auch hier so auszulegen, dass nur solche Fahndungsbestände in den Abgleich einbezogen werden dürfen, die für die Erreichung der sich aus Art. 13 Abs. 1 BayPAG (hier: Nr. 2) ergebenden Zwecke der Kennzeichenerfassung anlassbezogen relevant sein können (oben Rn. 107 ff.). Danach muss die Auswahl der Fahndungsbestände bei Erstellung der Abgleichdatei strikt darauf beschränkt bleiben, solche Personen oder Sachen aufzufinden, hinsichtlich derer jeweils tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass sie an den betreffenden Orten gerade unter den in der Vorschrift genannten Gesichtspunkten anzutreffen sind. Fahndungsbestände, denen für die Erreichung des in Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG gesetzten Zwecks keine erhebliche Bedeutung zukommt, dürfen in die Abgleichdatei nicht aufgenommen werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_122">122</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Bei Gesamtabwägung ist damit Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG tatbestandlich verfassungsrechtlich tragfähig ausgestaltet. Wägt man das öffentliche Interesse an der Durchführung solcher Kontrollen an den in der Vorschrift genannten Orten mit der Beeinträchtigung der durch die Kennzeichenkontrollen betroffenen Personen unter der Berücksichtigung der weiteren in die Vorschrift eingezogenen Maßgaben, zu denen insbesondere auch das Verbot einer flächendeckenden Überwachung gehört, gegeneinander ab (oben Rn. 100), steht die Durchführung solcher Maßnahmen bei einer Auslegung der Regelung im Lichte der Verfassung nicht außer Verhältnis.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_123">123</a>
</dt>
<dd>
<p>cc) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Norm gleichfalls hinsichtlich ihrer dritten Variante, die zu Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen an "gefährdeten Orten" ermächtigt (Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_124">124</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Die Vorschrift erlaubt Kennzeichenkontrollen in Verkehrs- oder Versorgungsanlagen oder -einrichtungen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Amtsgebäuden oder anderen besonders gefährdeten Objekten oder in unmittelbarer Nähe hiervon. Die Begründung des Gesetzesentwurfs nennt als Beispiele Flughäfen, Bahnhöfe, öffentliche Verkehrsmittel, militärische Einrichtungen, Kernkraftwerke oder sonstige gefährdete Objekte wie Konsulate ausländischer Staaten, die auf Grund der aktuellen Gefährdungseinschätzung besonderen Schutzes bedürfen (vgl. Bayerischer Landtag, Drucks 15/2096, S. 16). Sie zielt damit auf einen Schutz sowohl dieser Objekte selbst und ihrer Funktion für das öffentliche Leben sowie der in ihnen befindlichen Personen. Dies sind Schutzgüter von zumindest erheblichem Gewicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_125">125</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Gesetzgeber hat für die Durchführung der Kontrollen auch eine verfassungsrechtlich hinreichende Eingriffsschwelle eingezogen. Erlaubt sind diese nur, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass in oder an Objekten dieser Art Straftaten begangen werden sollen, durch die in oder an diesen Objekten befindliche Personen oder die Objekte selbst unmittelbar gefährdet sind. Flankiert ist dies durch das für die Norm insgesamt geltende Erfordernis des Vorliegens entsprechender Lageerkenntnisse aus Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayPAG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_126">126</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Bei dem gebotenen Verständnis als konkretisierungsbedürftiger Rahmen (oben Rn. 107 ff.) ist die Reichweite der Fahndungsbestände des Art. 33 Abs. 2 Satz 3 und 4 BayPAG auch hier nicht zu beanstanden. Da für die Erstellung der Abgleichdatei aus dem Gesamtumfang dieser Fahndungsbestände im Einzelfall diejenigen ausgewählt werden müssen, die zur Gewährleistung der Sicherheit in oder an den gefährdeten Objekten nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG erheblich sein können, ist sowohl eine hinreichende Begrenzung als auch ihre Ausrichtung auf ein hinreichend gewichtiges Rechtsgut gewährleistet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_127">127</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Die tatbestandliche Ausgestaltung der Vorschrift ist auch in der Gesamtabwägung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eingebettet in die allgemeinen Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG und bei einer Einzelfallanwendung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wie es allgemeinen Grundsätzen entspricht, sind gegen die Vorschrift verfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_128">128</a>
</dt>
<dd>
<p>dd) Als vierte Variante sieht das Gesetz Kennzeichenkontrollen an polizeilichen Kontrollstellen vor (Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG). Bei einer Auslegung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG nach den Grundsätzen des allgemeinen Sicherheitsrechts, nach der die Einrichtung solcher Kontrollstellen eine konkrete Gefahr voraussetzt, steht auch diese Bestimmung mit Verfassungsrecht in Einklang.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_129">129</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Die Vorschrift eröffnet Kennzeichenkontrollen zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen, soweit diese einerseits zur Verhinderung schwerer Straftaten sowie anderseits zur Verhinderung versammlungsrechtlicher Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten eingerichtet sind. Der Schutz vor diesen Straftaten ebenso wie der Schutz von Versammlungen betrifft Rechtsgüter von erheblichem Gewicht, die die Kennzeichenkontrolle rechtfertigen. Bei verständiger Auslegung der Vorschrift ist die Durchführung der Kennzeichenkontrollen auch auf hinreichend eingegrenzte Anlässe beschränkt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_130">130</a>
</dt>
<dd>
<p>(a) Das Ziel der Kennzeichenkontrollen nach der ersten Alternative der Vorschrift liegt - entsprechend dem Ziel der polizeilichen Kontrollstellen selbst - in der Verhinderung von Straftaten im Sinne des § 100a StPO und damit in dem Schutz vor schweren Straftaten. Damit geht es um Rechtsgüter von zumindest erheblichem Gewicht. Nichts anderes gilt aber auch für die in der Vorschrift genannten versammlungsrechtlichen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Zwar dienen die insoweit aufgeführten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nicht alle je für sich dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht, jedoch geht es bei diesen Kontrollen nicht allein um die Verhinderung der einzelnen Delikte, sondern um den Schutz der Versammlungen als solchen. Hierin liegt ein Schutzzweck von erheblichem Gewicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_131">131</a>
</dt>
<dd>
<p>(b) Die Durchführung solcher Kontrollen ist bei einer verständigen Auslegung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG nach den Grundsätzen des allgemeinen Sicherheitsrechts auf hinreichend eingegrenzte Fälle beschränkt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_132">132</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Durchführung von automatisierten Kennzeichenkontrollen nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG setzt das Bestehen einer polizeilichen Kontrollstelle voraus und soll sie entlasten. Wann polizeiliche Kontrollstellen ihrerseits eingerichtet werden dürfen, richtet sich nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG. Auch dieser regelt die Einrichtung der Kontrollstellen allerdings nicht explizit. Vielmehr setzt er diese dem Wortlaut nach als Grundlage für eine Identitätsfeststellung voraus. Ersichtlich wollte der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift die Einrichtung von Kontrollstellen zur Identitätsfeststellung in einem Zusammenhang regeln.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_133">133</a>
</dt>
<dd>
<p>Angesichts fehlender weiterer Maßgaben ist Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG nach den üblichen Grundsätzen des allgemeinen Sicherheitsrechts auszulegen. Als Befugnis zur Gefahrenabwehr setzt er danach eine im Einzelfall bestehende Gefahr voraus (vgl. Art. 11 Abs. 1 BayPAG), dass Straftaten, wie sie mit der Kontrollstelle verhindert werden sollen, tatsächlich bevorstehen. Angesichts der tatbestandlichen Offenheit der Vorschrift kann nur darin eine verfassungsrechtlich tragfähige Auslegung liegen. Zwar beschränkt die Verfassung die Einrichtung von polizeilichen Kontrollstellen nicht auf Situationen, in denen eine konkrete Gefahr vorliegt. Vielmehr kann der Gesetzgeber Kontrollstellen auch unterhalb dieser Schwelle erlauben, etwa zum Schutz von gefahrenträchtigen Großereignissen oder eingebunden in spezifische polizeiliche Ermittlungsstrategien. Solche Fälle muss er dann aber in hinreichend klarer und begrenzter Form regeln. Soweit er diesbezüglich keine weiteren Maßgaben schafft, ist davon auszugehen, dass die Vorschrift durch das Erfordernis einer konkreten Gefahr in das allgemeine Sicherheitsrecht eingebunden bleiben sollte und hierdurch ihre verfassungsrechtlich erforderliche Begrenzung erhält. Ein solches Verständnis bringt die Vorschrift auch nicht um ihren Gehalt, sondern fügt sich in die Zielrichtung des Art. 13 Abs. 1 BayPAG insgesamt ein: Dessen primärer Zweck liegt darin, Identitätsfeststellungen unabhängig von einer Störereigenschaft zu ermöglichen; das objektive Vorliegen einer konkreten Gefahr setzt er dabei auch sonst zum Teil voraus (vgl. Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BayPAG).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_134">134</a>
</dt>
<dd>
<p>Bei diesem Verständnis bestehen auch gegen die Ermächtigung zur Durchführung von Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen an solchen Stellen in Hinsicht auf das Erfordernis eines hinreichend bestimmten Anlasses keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Eine Kennzeichenkontrolle ist danach nur erlaubt, wenn konkrete Hinweise auf schwere Straftaten oder auf erhebliche Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten in Bezug auf eine konkrete Versammlung vorliegen und in örtlichem Bezug hierzu eine polizeiliche Kontrollstelle eingerichtet wurde. Hierin liegt ein den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügender Anlass.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_135">135</a>
</dt>
<dd>
<p>(c) Die Ermächtigung zu automatisierten Kennzeichenkontrollen an polizeilichen Kontrollstellen zur Verhinderung von versammlungsrechtlichen Straftaten oder zum Schutz von Versammlungen ist auch mit Art. 8 GG vereinbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_136">136</a>
</dt>
<dd>
<p>Allerdings liegt in der Kennzeichenkontrolle an einer polizeilichen Kontrollstelle, die den Zugang zu einer Versammlung kontrolliert, ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 84, 203 <209>; Trurnit, NVwZ 2012, S. 1079 <1080>; Hong, in: Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2015, Kap. B Rn. 54; Enders, in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2016, § 2 Rn. 35). Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt. Insbesondere genügt er auch in Blick auf den besonderen Schutz der Versammlungsfreiheit den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Danach sind solche Kontrollen nicht auf Situationen einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr zu beschränken (a.A. Hong, a.a.O., Rn. 94; Enders, a.a.O., Rn. 35). Die Eingriffsschwelle der unmittelbar bevorstehenden Gefahr wurde von der Rechtsprechung für Verbote und Auflösungen von Versammlungen entwickelt (vgl. BVerfGE 69, 315 <353 f.>). Auf die hier in Frage stehenden Vorfeldkontrollen muss sie nicht übertragen werden. Gegenüber Verboten und Auflösungen haben solche Kontrollen ein geringeres Gewicht, da sie die selbstbestimmte Durchführung der Versammlung als solche nicht beeinträchtigen und diese insbesondere auch schützen. Für die Rechtfertigung von solchen Kontrollen im Vorfeld genügt es daher, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es bezogen auf eine bestimmte Versammlung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu versammlungsrechtlichen Straftaten oder den in der Vorschrift genannten Ordnungswidrigkeiten kommen wird. Das aber deckt sich mit der nach Maßgabe einer Wahrscheinlichkeitsprognose zu bestimmenden Frage des Vorliegens einer konkreten Gefahr, wie sie für die Auslegung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG maßgeblich ist und damit auch die Voraussetzungen einer entsprechenden Kennzeichenkontrolle bestimmt. Für den Eingriff in Art. 8 GG ist in formeller Hinsicht auch das Zitiergebot beachtet (vgl. Art. 74 BayPAG).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_137">137</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Ausgehend von dem oben dargelegten Verständnis des Art. 33 Abs. 2 Satz 3 BayPAG ist auch die Reichweite der Fahndungsbestände nicht unverhältnismäßig. Da aus den in der Vorschrift genannten Fahndungsbeständen konkret diejenigen ausgewählt werden müssen, die zum Erreichen des durch die Kontrolle erstrebten Zwecks erheblich sein können, ist sowohl eine hinreichende Begrenzung als auch die Ausrichtung auf den Schutz eines Rechtsguts von zumindest erheblichem Gewicht gewährleistet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_138">138</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Bei dargelegtem Verständnis der Norm ist die tatbestandliche Ausgestaltung auch in der Gesamtsicht verfassungsgemäß. Für die im Rahmen der Gesamtabwägung zu berücksichtigenden allgemeinen Maßgaben des Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG kann auf oben verwiesen werden (oben Rn. 113 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_139">139</a>
</dt>
<dd>
<p>ee) Als fünfte Variante sieht die Vorschrift automatisierte Kennzeichenkontrollen als Mittel der Schleierfahndung vor (Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG). Sie genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vollständig.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_140">140</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Die Vorschrift ist verfassungsrechtlich durch das Ziel gerechtfertigt, als Ausgleich für den Wegfall von Grenzkontrollen einer hierdurch erleichterten Begehung bestimmter Straftaten entgegenzutreten. Erforderlich ist dafür aber eine hieran orientierte konsequente und klare Begrenzung der Zwecke und Orte solcher Kontrollen. Dem genügt die Regelung nicht in jeder Hinsicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_141">141</a>
</dt>
<dd>
<p>(a) Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG ermächtigt zu Kennzeichenkontrollen im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km, auf Durchgangsstraßen sowie in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs. Erlaubt sind diese bei Vorliegen entsprechender Lageerkenntnisse zur Verhütung oder Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_142">142</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Regelung reicht damit weit. Ihr Zweck liegt allgemein in der Bekämpfung von Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht und der grenzüberschreitenden Kriminalität, ohne die Kontrollen auf die Verhütung von erheblichen Straftaten oder sonst auf den Schutz von Rechtsgütern von irgendeinem spezifizierten Gewicht zu begrenzen. Auch beschränkt sie die Kontrollen nicht auf objektiv bestimmte Anlässe. Zwar wird für die Kennzeichenkontrolle generell auf entsprechende Lageerkenntnisse verwiesen, jedoch bleibt damit offen, nach welchen Kriterien diese die Kontrollen rechtfertigen sollen. Letztlich handelt es sich um eine Befugnis, die allein final durch eine weit gefasste Zwecksetzung definiert ist. Eine solche Befugnis zu praktisch anlasslosen, nur final angeleiteten Maßnahmen ist - soweit sie nicht an eine spezifische Verantwortlichkeit der Betroffenen anknüpft (oben Rn. 94) - grundsätzlich mit verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar. Eine Rechtfertigung kommt daher nur unter besonderen Bedingungen in Betracht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_143">143</a>
</dt>
<dd>
<p>(b) Eine solche Rechtfertigung findet die Regelung als Ausgleich für den Wegfall der innereuropäischen Grenzkontrollen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_144">144</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Schleierfahndung wurde vom Gesetzgeber eingeführt, um den unionsrechtlich bedingten Wegfall der innereuropäischen Grenzkontrollen zu kompensieren (vgl. Bayerischer Landtag, Drucks 13/36, S. 4). Für diese war nach innerstaatlichem Recht anerkannt, dass sie ohne weiteren Anlass durchgeführt werden dürfen. Dass der Staat an seinen Grenzen ohne weitere Voraussetzungen Kontrollen vornehmen darf, um zu entscheiden, wer ein- und ausreist, gehört zum überlieferten Instrumentarium zur Sicherung der Territorialhoheit und zur Gewährleistung von Recht und Sicherheit auf dem jeweiligen Staatsgebiet. Wenn die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des Unionsrechts die Grenzen öffnet und auf Grenzkontrollen verzichtet, ist es im Grundsatz gerechtfertigt, wenn als Ausgleich hierfür zur Gewährleistung der Sicherheit die allgemeinen Gefahrenabwehrbefugnisse spezifisch erweitert werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_145">145</a>
</dt>
<dd>
<p>Dem steht nicht entgegen, dass die Kontrollen nicht auf Grenzgänger begrenzt sind und damit auch Personen betreffen, die die Grenze nicht überschritten haben. Sie sollen und können nur ein die Sicherheit betreffender Ausgleich, nicht aber eine andere Form der Grenzkontrolle sein. Dies ergibt sich bereits aus dem Unionsrecht, das in Art. 67 Abs. 2, Art. 77 Abs. 1 Buchstabe a AEUV die Abschaffung der Grenzkontrollen bestimmt (vgl. näher Art. 20 und 21 der Verordnung [EG] Nr. 562/2006 vom 15. März 2006 [Schengener Grenzkodex], ABl L 105 vom 13. April 2006, S. 1; heute: Art. 22 und 23 der Verordnung [EU] Nr. 2016/399 vom 9. März 2016 [Schengener Grenzkodex], ABl L 77 vom 23. März 2016, S. 1). Der Europäische Gerichtshof hat hierzu wiederholt entschieden, dass verdachtsunabhängige Kontrollen in Grenznähe nicht den Charakter von Grenzkontrollen annehmen dürften (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C-188/10 und C-189/10, EU:C:2010:363, Rn. 69 f. und 74 f.; Urteil vom 21. Juni 2017, A., C-9/16, EU:C:2017:483, Rn. 34 ff. und 63). Damit darf ein Ausgleich für den Wegfall der Grenzkontrollen aus Gründen des Unionsrechts nur in Maßnahmen gesucht werden, die nicht speziell auf Grenzgänger beschränkt sind, sondern auch Dritte erfassen können.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_146">146</a>
</dt>
<dd>
<p>Das ist nicht unverhältnismäßig. Es liegt in der politischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die punktuellen Beeinträchtigungen durch anlasslose Kennzeichenkontrollen zur Bekämpfung von durch die Grenzöffnung beförderten Gefahren als durch den in dieser Grenzöffnung liegenden Freiheitsgewinn aufgewogen anzusehen. Diese Grenzöffnung kommt auch allen zugute. Bei Personen im Grenzgebiet ist zudem anzunehmen, dass sie häufiger die Grenze überschreiten werden als Personen im Landesinneren. Dass Personen im Grenzgebiet dann gelegentlich auch in Kontrollen geraten können, wenn sie die Grenze nicht übertreten haben, macht die Maßnahmen ihnen gegenüber nicht unzumutbar im Sinne des Übermaßverbots.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_147">147</a>
</dt>
<dd>
<p>(c) Verhältnismäßig sind automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen freilich nur in dem Umfang, in dem sie einen konsequenten Grenzbezug haben und dieser gesetzlich in einer den Bestimmtheitsanforderungen genügenden Weise gesichert ist. Dem genügt die Regelung weithin, aber nicht vollständig.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_148">148</a>
</dt>
<dd>
<p>Nicht zu beanstanden ist insoweit der mit den Kennzeichenkontrollen verfolgte Rechtsgüterschutz. Er hat eine klar grenzbezogene Ausrichtung. Die Kontrollen dienen der Unterbindung von Aufenthaltsverstößen und der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und damit der Bekämpfung von Gefahren, die durch die Grenzöffnung eine besondere Dringlichkeit erfahren. Der Begriff der grenzüberschreitenden Kriminalität ist dabei auch auslegungsfähig und hinreichend bestimmt. Er erfasst diejenige Kriminalität, die die tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten der Grenzsituation oder Grenznähe, insbesondere die Erschwerungen grenzüberschreitender Fahndung und Strafverfolgung, ausnutzt (vgl. SächsVerfGH, Urteil vom 10. Juli 2003 - Vf. 43-II-00 -, juris, Rn. 212).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_149">149</a>
</dt>
<dd>
<p>Nur zum Teil verfassungsrechtlich tragfähig ist demgegenüber die Bestimmung der Orte, an denen die Kennzeichenkontrollen durchgeführt werden dürfen. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich sicherzustellen, dass nur Orte mit einem klaren Grenzbezug in Betracht kommen. Unklare Regelungen, die dazu führen können, dass sich der Grenzbezug in der Praxis verliert und sich Kontrollen weithin allgemein in das Landesinnere verschieben, sind damit unvereinbar. Unbedenklich ist danach, dass Kennzeichenkontrollen in einem Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km durchgeführt werden dürfen. Keine Bedenken bestehen auch gegen die Ermächtigung zu Kennzeichenkontrollen an öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs. Diese haben ersichtlich einen örtlichen Grenzbezug. Auch handelt es sich hierbei um einen auslegungsfähigen Begriff (vgl. BayVerfGH, Urteil vom 28. März 2003 - Vf. 7-VII-00 u.a. -, juris, Rn. 103; ebenso SächsVerfGH, Urteil vom 10. Juli 2003 - Vf. 43-II-00 -, juris, Rn. 196). Nicht hinreichend bestimmt und begrenzt sind die Kennzeichenkontrollen demgegenüber für Orte, die außerhalb des 30 km-Gürtels vorgenommen werden dürfen. Eine Befugnis zu Kontrollen allgemein auf Durchgangsstraßen im ganzen Land ist mit Bestimmtheitsanforderungen nicht vereinbar und reicht zu weit. Daran ändert die gesetzliche Erläuterung des Begriffs der Durchgangsstraße in der nachfolgenden Klammer nichts: Indem dort nicht nur Bundesautobahnen und Europastraßen, sondern auch "andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr" genannt sind, ist eine hinreichend klare Beschränkung solcher Kontrollen nicht sichergestellt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_150">150</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Auch für diese Tatbestandsvariante ist der Kennzeichenabgleich mit den Datenbeständen der zur Fahndung ausgeschriebenen Personen und Sachen nach Art. 33 Abs. 2 Satz 3 und 4 BayPAG auf den Zweck des Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG hin auszurichten. In die Abgleichdatei sind nur solche Fahndungsbestände einzustellen, die für die Verhütung oder Unterbindung von Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht oder die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität Bedeutung haben können. Wie dargelegt kann und muss Art. 33 Abs. 2 Satz 3 und 4 BayPAG in diesem Sinne ausgelegt werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_151">151</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Vorbehaltlich einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Begrenzung der außerhalb des 30 km-Gürtels liegenden Orte, an denen Kennzeichenkontrollen als Mittel der Schleierfahndung eingesetzt werden dürfen, ist gegen deren tatbestandliche Ausgestaltung im Übrigen auch bei Gesamtsicht verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Zwar sind die Kontrollmöglichkeiten hier besonders weit und objektiv wenig eingegrenzt. Zum Ausgleich der Öffnung der Grenzen und des Wegfalls der Grenzkontrollen ist das bei einer Abwägung aller sich gegenüberstehenden Gesichtspunkte unter Berücksichtigung der allgemeinen Maßgaben des Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG, zu denen auch das Verbot einer flächendeckenden Kontrolle gehört (oben Rn. 113 ff.), jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_152">152</a>
</dt>
<dd>
<p>Ins Gewicht fällt hierbei, dass die Schleierfahndung durch die Maßgaben des Unionsrechts rechtsstaatlich weiter abgefedert wird. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs steht das Unionsrecht Regelungen wie der Schleierfahndung nur dann nicht entgegen, wenn mit ihnen ein Rechtsrahmen vorgegeben wird, der gewährleistet, dass deren praktische Anwendung nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben kann. Es ist insbesondere dann, wenn Indizien darauf hindeuten, dass eine gleiche Wirkung wie bei Grenzübertrittskontrollen besteht, durch Konkretisierungen und Einschränkungen sicherzustellen, dass die praktische Ausübung der Schleierfahndung so eingefasst wird, dass eine gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen vermieden wird. Der Rechtsrahmen muss schließlich hinreichend genau und detailliert sein, damit sowohl die Notwendigkeit der Kontrollen als auch die konkret gestatteten Kontrollmaßnahmen selbst Kontrollen unterzogen werden können (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 2017, A., C-9/16, EU:C:2017:483, Rn. 37 ff.). Nach dem Stand der fachgerichtlichen Rechtsprechung, die das deutsche Recht an diesen Anforderungen zu messen hat, genügen Regelungen wie die angegriffenen Vorschriften diesen unionsrechtlichen Maßgaben nicht und dürfen ohne konkretisierende verbindliche und transparente Regelung zur Lenkung der Intensität, der Häufigkeit und der Selektivität der Kontrollen in dieser Form nicht angewendet werden; sie bedürfen insoweit der Nachbesserung (vgl. VGH BW, Urteil vom 13. Februar 2018 - 1 S 1468/17 -, juris, Rn. 76 ff. und 86; Urteil vom 13. Februar 2018 - 1 S 1469/17 -, juris, Rn. 38 ff. und 43 - dort zu entsprechenden Fragen nach dem Bundespolizeigesetz). Insoweit wird durch die unionsrechtlichen Maßgaben die Handhabung der Kontrollbefugnisse weiteren Anforderungen unterworfen, die zu deren Verhältnismäßigkeit beitragen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_153">153</a>
</dt>
<dd>
<p>ff) Die angegriffenen Vorschriften genügen im Wesentlichen auch den aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden übergreifenden Maßgaben an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist allerdings, dass den Behörden gesetzlich keine Dokumentationspflichten vorgeschrieben sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_154">154</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es, dass die Kennzeichenkontrollen grundsätzlich verdeckt durchgeführt werden (vgl. Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayPAG). Dies ist zur Erreichung der erstrebten Zwecke geeignet und erforderlich und durch sie gerechtfertigt. Anders als für heimliche Überwachungsmaßnahmen von höherer Eingriffsintensität (vgl. BVerfGE 141, 220 <269 Rn. 105 und 282 f. Rn. 134 ff.>) bedarf es insoweit keiner Benachrichtigungspflicht. Das gilt auch im Trefferfall. Vielmehr reicht es unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, wenn die Betroffenen von den Kontrollen nur im Rahmen von ihnen gegenüber ergriffenen Folgemaßnahmen erfahren und deren Rechtmäßigkeit dann fachgerichtlich überprüfen lassen können. Zu berücksichtigen ist ergänzend, dass - auch wenn für die Kennzeichenerfassung in der Praxis wohl nur ausnahmsweise zielführend - darüber hinaus auch der allgemeine datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch besteht (vgl. Art. 48 BayPAG).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_155">155</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Eine aufsichtliche Kontrolle ist - wie verfassungsrechtlich geboten (vgl. BVerfGE 65, 1 <46>; 67, 157 <185>; 133, 277 <369 f. Rn. 214 f.>; 141, 220 <284 Rn. 141>; stRspr) - vorgesehen. Neben der Fachaufsicht ist eine datenschutzrechtliche Kontrolle durch den Bayerischen Datenschutzbeauftragten gewährleistet (Art. 49 BayPAG i.V.m. Art. 30 BayDSG).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_156">156</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Demgegenüber ist mit den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht vereinbar, dass das Gesetz keine Pflicht zur Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen für den Einsatz von automatisierten Kennzeichenkontrollen vorsieht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_157">157</a>
</dt>
<dd>
<p>Maßgeblich ist hierfür, dass die Entscheidungen über die Einrichtung einer solchen Kennzeichenkontrolle - anders als zu begründende Verwaltungsakte - den Betroffenen in keiner Weise mitgeteilt werden und mitgeteilt werden können. Als verdeckte Maßnahmen werden sie überhaupt nur in den Trefferfällen bekannt und auch dann grundsätzlich nicht begründet. In der Regel vollzieht sich die Entscheidung über die Kennzeichenerfassung allein im Inneren der Behörde. Angesichts dieser Umstände kann die Ermächtigung zur Kennzeichenerfassung nur dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn die Entscheidungsgrundlagen für die Durchführung einer solchen Maßnahme nachvollziehbar und überprüfbar dokumentiert werden (vgl. BVerfGE 133, 277 <370 Rn. 215>; 141, 220 <284 f. Rn. 141>; SächsVerfGH, Urteil vom 10. Juli 2013 - Vf. 43-II-00 -, juris, Rn. 218 ff.). Das betrifft insbesondere das in allen Tatbestandsvarianten geltende Erfordernis der "entsprechenden Lageerkenntnisse", das erst durch eine behördliche Konkretisierung nähere Konturen erhält, sowie die Auswahl der einbezogenen Fahndungsbestände. Für die Verhältnismäßigkeit ist dies - bezogen auf alle Fälle der Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle - von dreifacher Bedeutung: Zum einen rationalisiert und mäßigt es die Entscheidung der Behörde selbst, wenn diese sich über ihre Entscheidungsgrundlagen Rechenschaft ablegen muss. Zum anderen ermöglicht die Dokumentation erst eine aufsichtliche Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten, der in Fällen eingeschränkter individualrechtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten wie hier gesteigerte Bedeutung zukommt. Schließlich wird damit die verwaltungsgerichtliche Kontrolle erleichtert, wenn solche Maßnahmen bekannt werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_158">158</a>
</dt>
<dd>
<p>gg) Das Gesetz sieht im Grundsatz auch verfassungsrechtlich tragfähige Regelungen zur Nutzung der Daten wie zur Datenlöschung vor. Nicht hinreichend eingegrenzt ist allerdings die Verwendung der Daten für weitere Zwecke.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_159">159</a>
</dt>
<dd>
<p>(1) Art. 33 Abs. 2 BayPAG regelt in Satz 2 die Erhebung der Daten und in den Sätzen 3 und 4 als Regelung zu deren Verwendung die Befugnis, diese im genannten Umfang mit dem Ziel abzugleichen, Aufschlüsse zu den gesuchten Personen oder Sachen in Verfolgung der oben geprüften Zwecke zu erhalten. Dass dieser Abgleich unverzüglich zu erfolgen hat, wird bei verständiger Auslegung der Vorschrift vorausgesetzt und entspricht der Praxis. Kennzeichenerfassung und Kennzeichenabgleich erfolgen innerhalb des Bruchteils einer Sekunde.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_160">160</a>
</dt>
<dd>
<p>Art. 38 Abs. 3 Satz 1 BayPAG stellt des Weiteren sicher, dass die erfassten Kraftfahrzeugkennzeichen nach dem Abgleich unverzüglich zu löschen sind. Dies entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfGE 120, 378 <397, 399>). Von der Löschungsregelung sind auch die unechten Treffer erfasst, sobald geklärt ist, dass es sich insoweit nicht um die ausgeschriebenen Kennzeichen handelt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_161">161</a>
</dt>
<dd>
<p>Dem Zweck der Kennzeichenkontrollen entsprechend hat die Löschung nach Art. 38 Abs. 3 Satz 2 BayPAG demgegenüber zu unterbleiben, soweit ein Trefferfall vorliegt und die Daten zur Abwehr einer Gefahr benötigt werden. Soweit hierdurch auf die Gefahren verwiesen wird, zu deren Abwehr die Kennzeichenerfassung durchgeführt wird, ergibt sich die Unbedenklichkeit dieser Bestimmung aus der Rechtfertigung der Kennzeichenkontrolle selbst und erfüllt sich hierin ihre Zweckbestimmung. Für die weitere Nutzung der Daten verweist die Vorschrift auf Art. 38 Abs. 1 und 2 BayPAG, die nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_162">162</a>
</dt>
<dd>
<p>(2) Soweit Art. 38 Abs. 3 Satz 2 BayPAG demgegenüber eine Nutzung der Daten über den Zweck der jeweiligen Kennzeichenkontrolle hinaus für weitere Aufgaben erlaubt, liegt hierin eine Zweckänderung, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vollständig genügt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_163">163</a>
</dt>
<dd>
<p>Eine solche Zweckänderung liegt jedenfalls darin, dass die Nutzung der Informationen allgemein für alle Zwecke erlaubt wird, zu denen die Fahndungsbestände erstellt oder die Dateien errichtet wurden. Die Polizei soll so auch Zufallserkenntnisse aus den Kennzeichenkontrollen nutzen können, das heißt, sie soll auch in Bezug auf solche Personen oder Sachen Maßnahmen ergreifen können, deren Identifizierung zu dem ursprünglichen Zweck der Kontrolle nichts beiträgt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_164">164</a>
</dt>
<dd>
<p>Gegen eine solche Öffnung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nichts zu erinnern. In ihr liegt ein eigener Eingriff durch die Erweiterung der Datennutzung für neue Zwecke, der gerechtfertigt sein kann und durch die Fahndungszwecke vom Grundsatz her auch gerechtfertigt ist. Dabei steht die Verfassung einer solchen Regelung auch insoweit nicht entgegen, als es sich bei den Fahndungszwecken um solche der Strafverfolgung handelt, die unter die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt. Denn es handelt sich hierbei um eine Öffnung, die die Nutzung der Informationen für weitere Zwecke lediglich ermöglicht, nicht aber endgültig regelt; endgültig entscheidet im Rahmen dieser Öffnung dann gegebenenfalls das Bundesrecht über die Nutzung der Daten zu neuen Zwecken (oben Rn. 80).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_165">165</a>
</dt>
<dd>
<p>Verfassungsrechtlich setzt eine Zweckänderung jedoch voraus, dass die entsprechenden Daten nach verfassungsrechtlichen Maßstäben neu auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Ermittlungsmaßnahmen erhoben werden dürften (vgl. BVerfGE 141, 220 <327 f. Rn. 286 f.> m.w.N.; stRspr). Verhältnismäßig ist danach vorliegend eine weitere Nutzung nur, wenn sie dem Schutz von Rechtsgütern dient, die auch die Durchführung einer Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle rechtfertigen könnten. Nach den oben entwickelten Kriterien ist dies grundsätzlich nur zum Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse der Fall (oben Rn. 99), das heißt für das Strafrecht zur Verfolgung von Straftaten von zumindest erheblicher Bedeutung. Da dies für Art. 38 Abs. 3 Satz 2 BayPAG, soweit er eine Nutzung für weitere Zwecke vorsieht, nicht sichergestellt ist, ist die Vorschrift mit der Verfassung insoweit nicht vereinbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_166">166</a>
</dt>
<dd>
<p>(3) Keinen Einwänden unterliegt demgegenüber Art. 38 Abs. 3 Satz 3 BayPAG, soweit er klarstellt, dass die Einzelerfassungen von Daten nicht mit anderen Daten zu einem Bewegungsbild verbunden werden dürfen, wenn nicht ein Fall des Art. 33 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Buchstabe a BayPAG gegeben ist. Der Abgleich mit Dateien nach dieser letztgenannten Vorschrift zielt bewusst auf eine längerfristige punktuelle Observation und damit in begrenztem Sinne auch auf die Erstellung eines - begrenzten - Bewegungsbildes. Dies kann unter den insoweit maßgeblichen Voraussetzungen grundsätzlich verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 120, 378 <416 ff.>). Art. 38 Abs. 3 Satz 3 BayPAG nimmt insoweit auf die Vorschriften zur polizeilichen Beobachtung, gezielten Kontrolle und verdeckten Registrierung lediglich bestätigend Bezug. Diese selbst sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>D.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>I.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_167">167</a>
</dt>
<dd>
<p>Die angegriffenen Vorschriften sind teilweise für nichtig und im Übrigen für mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar zu erklären.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_168">168</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Feststellung einer Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften führt grundsätzlich zu deren Nichtigkeit. Allerdings kann sich das Bundesverfassungsgericht, wie sich aus § 31 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG ergibt, auch darauf beschränken, eine verfassungswidrige Norm für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären (BVerfGE 109, 190 <235>). Es verbleibt dann bei einer bloßen Beanstandung der Verfassungswidrigkeit ohne den Ausspruch der Nichtigkeit. Die Unvereinbarkeitserklärung kann das Bundesverfassungsgericht dabei zugleich mit der Anordnung einer befristeten Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung verbinden. Dies kommt in Betracht, wenn die sofortige Ungültigkeit der zu beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die Grundlage entziehen würde und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist (vgl. BVerfGE 33, 1 <13>; 109, 190 <235 f.>; 141, 220 <351 Rn. 355>; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_169">169</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Danach ist Art. 33 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG insoweit, als dieser zu Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze ermächtigt, für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig zu erklären. Da die Vorschrift insoweit gegen Art. 71, Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG verstößt und eine ausdrückliche Ermächtigung im Sinne des Art. 71 GG nicht besteht, kann der Landesgesetzgeber eine solche Regelung im Wege der Nachbesserung nicht herbeiführen. Nach § 78 Satz 2 BVerfGG, der auch im Verfahren der Verfassungsbeschwerde gilt (vgl. BVerfGE 18, 288 <300>; 133, 377 <423 Rn. 106>; stRspr), wird im Interesse der Rechtsklarheit in demselben Umfang auch die Neufassung nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG (in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts [PAG-Neuordnungsgesetz] vom 18. Mai 2018, BayGVBl S. 301) sowie Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG selbst in der dem vorliegenden Verfahren zugrundeliegenden Fassung und den nachfolgenden Fassungen für mit der Verfassung unvereinbar und nichtig erklärt. Die Vorschriften verstoßen gegen Art. 71, Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG und damit, weil es in formeller Hinsicht an der Rechtfertigung des in ihnen liegenden Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung fehlt, auch gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_170">170</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären ist demgegenüber Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG, soweit er auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayPAG verweist und dabei die automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht beschränkt. Nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären ist Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG auch insoweit, als er auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG verweist und dabei die Kontrollen über die Bundesautobahnen und Europastraßen hinaus auf Durchgangsstraßen, einschließend allgemein Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr, zulässt. Weiterhin gilt dies auch insoweit, als keine Pflicht zur Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen für den Einsatz von Kennzeichenkontrollen vorgesehen ist. Für verfassungswidrig zu erklären ist schließlich Art. 38 Abs. 3 Satz 2 BayPAG, soweit er eine Verwendung der Daten für andere Zwecke als die, für die die Kennzeichenkontrolle nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BayPAG durchgeführt werden kann, erlaubt und dies nicht auf Verarbeitungen beschränkt, die dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse dienen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_171">171</a>
</dt>
<dd>
<p>Im Interesse der Rechtsklarheit sind nach § 78 Satz 2 BVerfGG in demselben Umfang auch die insoweit inhaltlich unveränderten Nachfolgeregelungen der Kennzeichenkontrolle in Art. 39 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 und Art. 39 Abs. 3 Satz 2 BayPAG (in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts [PAG-Neuordnungsgesetz] vom 18. Mai 2018, BayGVBl S. 301) lediglich für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Die Unvereinbarkeitserklärung wird mit der Anordnung ihrer vorübergehenden Fortgeltung bis zum Ablauf des 31. Dezember 2019 verbunden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_172">172</a>
</dt>
<dd>
<p>Insoweit sind diese Vorschriften nicht für nichtig zu erklären. Die Gründe für die Verfassungswidrigkeit betreffen hier nicht den Kern der mit ihnen eingeräumten Befugnisse, sondern nur einzelne Aspekte ihrer rechtsstaatlichen Ausgestaltung. Der Gesetzgeber kann die Vorschriften insoweit ohne weiteres nachbessern und damit den Kern der mit ihnen verfolgten Ziele auf verfassungsmäßige Weise verwirklichen. Angesichts der Bedeutung, die der Gesetzgeber der Kennzeichenkontrolle für eine wirksame Gefahrenabwehr beimessen darf, ist unter diesen Umständen deren vorübergehende Fortgeltung eher hinzunehmen als deren Nich-tigerklärung.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_173">173</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Im Übrigen sind die Vorschriften nach Maßgabe der Gründe verfassungskonform auszulegen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_174">174</a>
</dt>
<dd>
<p>Da die angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen auf den teilweise verfassungswidrigen Vorschriften beruhen, verletzen sie den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist als letztinstanzliche Entscheidung aufzuheben und zur Entscheidung über die Kosten zurückzuverweisen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<h2>III.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_175">175</a>
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<dd>
<p>Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<h2>IV.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_176">176</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Entscheidung ist hinsichtlich der Entscheidung, dass Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen auch im Nichttrefferfall einen Grundrechtseingriff begründen (oben Rn. 45 bis 53), mit 5 : 2 Stimmen, sowie daran anschließend hinsichtlich der allgemeinen Ausführungen zum Erfordernis eines konkreten Anlasses für polizeiliche Kontrollen der vorliegenden Art (oben Rn. 91 bis 94) mit 6 : 1 Stimmen, im Übrigen einstimmig ergangen.</p>
</dd>
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<dd>
<p>1. § 26 Absatz 1 Nummer 4 und Nummer 5 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes vom 18. November 2008 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg Seite 390) und § 22a Absatz 1 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg, soweit er auf § 26 Absatz 1 Nummer 4 und Nummer 5 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg verweist, sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes aufgrund des Verstoßes gegen Artikel 72 Absatz 1, Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>2. a) § 18 Absatz 2 Nummer 5 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und anderer Gesetze vom 14. Dezember 2009 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, Teil I, Seite 635), soweit er polizeiliche Kontrollstellen zur Verhütung von versammlungsrechtlichen Straftaten vorsieht, und § 14a Absatz 1 Satz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, soweit er auf diesen verweist, sind mit Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes unvereinbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>b) § 22a Absatz 1 Satz 1 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg, soweit mit ihm auf § 26 Absatz 1 Nummer 1 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg verwiesen wird, und § 14a Absatz 1 Satz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, soweit mit ihm auf § 18 Absatz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung verwiesen wird, sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit sie die Kennzeichenkontrollen nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht beschränken.</p>
</dd>
</dl>
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<dt/>
<dd>
<p>c) § 22a Absatz 1 Satz 1 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg, soweit mit ihm auf § 26 Absatz 1 Nummer 6 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg verwiesen wird, und § 14a Absatz 1 Satz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, soweit mit ihm auf § 18 Absatz 2 Nummer 6 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung verwiesen wird, sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit die Orte für die Durchführung der Kontrollen in Hinblick auf deren Grenzbezug nicht hinreichend bestimmt beschränkt werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>d) § 22a Absatz 4 Satz 4 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg und § 14a Absatz 4 Satz 4 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit sie die Verarbeitung der Kennzeichen zu weiteren Zwecken nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse beschränken.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>3. Die unter 2. angeführten Vorschriften bleiben bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Dezember 2019, nach Maßgabe der Gründe weiter anwendbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>4. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>5. Das Land Baden-Württemberg hat den Beschwerdeführern zu I., das Land Hessen dem Beschwerdeführer zu II. die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
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<dd>
<h1>A.</h1>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen polizeirechtliche Vorschriften in Baden-Württemberg und Hessen, die zur automatisierten Kontrolle der Kennzeichen von Kraftfahrzeugen ermächtigen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>I.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Polizei in Baden-Württemberg und in Hessen ist durch die angegriffenen Vorschriften ermächtigt, mittels des Einsatzes von Lesegeräten die Kennzeichen von Kraftfahrzeugen zu erfassen und diese mit ausgeschriebenen Kennzeichen abzugleichen. Zur Funktionsweise der Lesegeräte und zum für den Abgleich heranziehbaren Fahndungsbestand haben sowohl die Landesregierung von Baden-Württemberg als auch die Hessische Staatskanzlei Stellung genommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Nach Angaben der Landesregierung von Baden-Württemberg verfügt das Land über ein Gerät zur Kennzeichenkontrolle, das mobil oder temporär stationär eingesetzt werden könne. Die bis zu zwei Kameras des Kennzeichenlesesystems und ein Laptop seien mit einem Kabel über ein zentrales Steuerelement miteinander verbunden. Vor Einsatzbeginn müssten die Kennzeichendaten des polizeilichen Fahndungsbestands tagesaktuell manuell auf den Laptop übertragen werden. Die Kennzeichenerfassung erfolge mittels der Kameras, der Abgleich offline mit dem auf dem Laptop eingespielten Kennzeichenbestand. Auf dem Bildschirm des Laptops würden die erfassten Kennzeichenbilder zur Funktionskontrolle kurzzeitig dargestellt (in der Regel für weniger als eine Sekunde). Im Nichttrefferfall finde keine Speicherung statt. Wenn das System einen Treffer melde, werde der Datensatz auf dem Bildschirm des Laptops dargestellt, sodass das Bild der Kennzeichenkamera mit dem Kennzeichen des Fahndungsbestands visuell verglichen werden könne. Die Speicherung eines Trefferbildes erfolge nur im Arbeitsspeicher des Laptops. Treffer würden mit dem Ausschalten des Geräts für den Anwender gelöscht. Es sei vorgesehen, dass der angezeigte Treffer durch eine nachfolgende abschließende Abfrage im zentralen polizeilichen Fahndungsbestand überprüft werde, um zu gewährleisten, dass zwischenzeitlich erfolgte Änderungen des Fahndungsbestands vor der Einleitung weiterer polizeilicher Maßnahmen berücksichtigt würden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>Der zum Abgleich herangezogene Datenbestand variiere nicht je nach Zweck der Aufstellung des Kennzeichenlesesystems im konkreten Einsatzfall. Der Abgleich beschränke sich jedoch immer auf die in § 22a Abs. 2 Satz 3 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg vorgesehenen Zwecke. Datengrundlage seien die im Schengener Informationssystem (SIS) und im Polizeilichen Informationssystem (INPOL) zur Fahndung ausgeschriebenen Kennzeichen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Nach Angaben der Hessischen Staatskanzlei wird im Kennzeichenfahndungsbestand nicht nach Zweck und Anlass der Kennzeichenerfassung unterschieden. Er bestehe aus täglich aktualisierten Sachfahndungsdaten des Schengener Informationssystems und dem hessischen Kennzeichenfahndungsbestand. Sobald das Kennzeichenlesesystem einen Treffer anzeige, erfolge ein visueller Abgleich zwischen dem Kennzeichenbild und der Trefferanzeige.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG durch die angegriffenen Bestimmungen. Der Beschwerdeführer zu II. rügt zudem eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 10 und Art. 13 GG durch die Datenübermittlung zwischen Polizeibehörden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>1. a) Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer in dem Verfahren 1 BvR 2795/09 greifen § 22a in Verbindung mit § 26 Abs. 1 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg (PolG BW) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes vom 18. November 2008 (GBl.BW S. 390) an. § 22a PolG BW lautet:</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">§ 22a</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">Einsatz automatischer Kennzeichenlesesysteme</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">(1) <sup>1</sup>Der Polizeivollzugsdienst kann zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bei Kontrollen nach § 26 Abs. 1 durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel automatisch Bilder von Fahrzeugen aufzeichnen und deren Kennzeichen erfassen. <sup>2</sup>Die Bildaufzeichnung nach Satz 1 darf auch erfolgen, wenn die Insassen der Fahrzeuge unvermeidbar betroffen werden. <sup>3</sup>Datenerhebungen nach Satz 1 und 2 dürfen</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">1. nicht flächendeckend,</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">2. in den Fällen des § 26 Abs. 1 Nr. 2 und 3 nicht dauerhaft,</p>
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</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">3. in den Fällen des § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5, wenn polizeiliche Erkenntnisse vorliegen, dass an der Kontrollstelle Straftaten oder im Kontrollbereich Straftaten nach § 100a der Strafprozessordnung stattfinden oder verhütet werden können, und</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">4. in den Fällen des § 26 Abs. 1 Nr. 6 nicht längerfristig</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">durchgeführt werden. <sup>4</sup>Der Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 ist in geeigneter Weise für Kontrollzwecke zu dokumentieren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">(2) <sup>1</sup>Die ermittelten Kennzeichen dürfen automatisch mit dem Fahndungsbestand der Sachfahndungsdateien des beim Bundeskriminalamt nach den Vorschriften des Bundeskriminalamtgesetzes in der jeweils geltenden Fassung geführten polizeilichen Informationssystems abgeglichen werden. <sup>2</sup>Die Sachfahndungsdateien des polizeilichen Informationssystems umfassen auch die nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens zulässigen Ausschreibungen von Fahrzeugkennzeichen im Schengener Informationssystem. <sup>3</sup>Der Abgleich nach Satz 1 beschränkt sich auf Kennzeichen von Fahrzeugen, die</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">1. zur polizeilichen Beobachtung, verdeckten Registrierung oder gezielten Kontrolle nach § 25 dieses Gesetzes, §§ 163e und 463a der Strafprozessordnung, Artikel 99 des Schengener Durchführungsübereinkommens oder § 17 Abs. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">2. auf Grund einer erheblichen Gefahr zur Abwehr einer Gefahr,</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">3. auf Grund des Verdachts einer Straftat für Zwecke der Strafverfolgung oder</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">4. aus Gründen der Strafvollstreckung</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">ausgeschrieben sind. <sup>4</sup>Der Abgleich darf nur mit vollständigen Kennzeichen des Fahndungsbestands erfolgen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">(3) <sup>1</sup>Die nach Absatz 1 Satz 1 erhobenen Daten sind, sofern die erfassten Kennzeichen nicht im Fahndungsbestand enthalten sind, unverzüglich nach Durchführung des Datenabgleichs automatisch zu löschen. <sup>2</sup>Die Datenerhebung und der Datenabgleich im Falle des Satzes 1 dürfen nicht protokolliert werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">(4) <sup>1</sup>Ist das ermittelte Kennzeichen im Fahndungsbestand enthalten (Trefferfall), dürfen das Kennzeichen, die Bildaufzeichnung des Fahrzeugs sowie Angaben zu Ort, Fahrtrichtung, Datum und Uhrzeit gespeichert werden. <sup>2</sup>Das Fahrzeug und die Insassen dürfen im Trefferfall angehalten werden. <sup>3</sup>Weitere Maßnahmen dürfen erst nach Überprüfung des Trefferfalls anhand des aktuellen Fahndungsbestands erfolgen. <sup>4</sup>Die nach Satz 1 gespeicherten sowie durch weitere Maßnahmen erlangten personenbezogenen Daten sind zu löschen, soweit sie nicht erforderlich sind</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">1. zu dem Zweck, für den das Kennzeichen in den Fahndungs- bestand aufgenommen wurde,</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">2. zur Verfolgung von Straftaten oder</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">3. zur Abwehr einer Gefahr.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>§ 26 Abs. 1 PolG BW, auf den § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW verweist, lautet:</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">§ 26</p>
</dd>
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<p style="margin-left:18pt">Personenfeststellung</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">(1) Die Polizei kann die Identität einer Person feststellen,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">1. um im einzelnen Falle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren oder eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">2. wenn sie an einem Ort angetroffen wird, an dem erfahrungsgemäß Straftäter sich verbergen, Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich ohne erforderlichen Aufenthaltstitel oder ausländerrechtliche Duldung treffen oder der Prostitution nachgehen,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">3. wenn sie in einer Verkehrs- oder Versorgungsanlage oder -einrichtung, einem öffentlichen Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder einem anderen besonders gefährdeten Objekt oder in unmittelbarer Nähe hiervon angetroffen wird und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß in oder an Objekten dieser Art Straftaten begangen werden sollen,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">4. wenn sie an einer Kontrollstelle angetroffen wird, die von der Polizei zum Zwecke der Fahndung nach Straftätern eingerichtet worden ist,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">5. wenn sie innerhalb eines Kontrollbereichs angetroffen wird, der von der Polizei eingerichtet worden ist zum Zwecke der Fahndung nach Personen, die als Täter oder Teilnehmer eine der in § 100a der Strafprozeßordnung genannten Straftaten begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht oder durch eine Straftat vorbereitet haben. Der Kontrollbereich kann, außer bei Gefahr im Verzug, nur vom Innenministerium oder von einem Regierungspräsidium oder dem Polizeipräsidium Stuttgart mit Zustimmung des Innenministeriums eingerichtet werden, oder</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">6. zum Zwecke der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs sowie auf Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">(2) - (3) …</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Der Beschwerdeführer in dem Verfahren 1 BvR 3187/10 greift § 14a in Verbindung mit § 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 3 bis 6 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und anderer Gesetze vom 14. Dezember 2009 (GVBl I S. 635) an. § 14a HSOG lautet:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">§ 14a</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">Automatische Kennzeichenlesesysteme</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">(1) <sup>1</sup>Die Polizeibehörden können unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 3 bis 6 zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten durch den Einsatz technischer Mittel automatisch Bilder von Fahrzeugen aufzeichnen und deren Kennzeichen erfassen. <sup>2</sup>Die Bildaufzeichnung nach Satz 1 kann auch erfolgen, wenn die Insassen der Fahrzeuge unvermeidbar betroffen werden. <sup>3</sup>Datenerhebungen nach Satz 1 und 2 dürfen</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">1. nicht flächendeckend,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">2. in den Fällen des § 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 nicht dauer- haft und</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">3. in den Fällen des § 18 Abs. 2 Nr. 5 und 6 nicht längerfristig</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">durchgeführt werden. <sup>4</sup>Der Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 ist in geeigneter Weise für Kontrollzwecke zu dokumentieren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">(2) <sup>1</sup>Die ermittelten Kennzeichen können automatisch mit dem Fahndungsbestand der Sachfahndungsdateien des beim Bundeskriminalamt nach den Vorschriften des Bundeskriminalamtgesetzes vom 7. Juli 1997 (BGBl. I S. 1650), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Juni 2009 (BGBl. I S. 1226), und des beim Hessischen Landeskriminalamt nach den Vorschriften dieses Gesetzes geführten polizeilichen Informationssystems abgeglichen werden. <sup>2</sup>Die Sachfahndungsdateien des polizeilichen Informationssystems umfassen auch die nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens zulässigen Ausschreibungen von Fahrzeugkennzeichen im Schengener Informationssystem. <sup>3</sup>Der Abgleich nach Satz 1 beschränkt sich auf Kennzeichen von Fahrzeugen, die</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">1. nach den §§ 163e und 463a der Strafprozessordnung, Art. 99 des Schengener Durchführungsübereinkommens, § 17 Abs. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, § 20i des Bundeskriminalamtgesetzes, § 17 oder einer vergleichbaren Rechtsvorschrift eines anderen Bundeslandes,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">2. aufgrund einer Gefahr zur Abwehr einer Gefahr,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">3. aufgrund des Verdachts einer Straftat für Zwecke der Strafverfolgung oder</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">4. aus Gründen der Strafvollstreckung</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">ausgeschrieben sind. <sup>4</sup>Der Abgleich hat sofort nach der Erhebung der Daten nach Abs. 1 Satz 1 stattzufinden und darf nur mit vollständigen Kennzeichen des Fahndungsbestands erfolgen. <sup>5</sup>Bewegungsbilder dürfen nicht erstellt werden; Satz 3 Nr. 1 bleibt unberührt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">(3) <sup>1</sup>Die nach Abs. 1 Satz 1 erhobenen Daten sind, sofern die erfassten Kennzeichen nicht im Fahndungsbestand enthalten sind, sofort automatisiert zu löschen. <sup>2</sup>Die Datenerhebung und der Datenabgleich im Falle des Satzes 1 dürfen nicht protokolliert werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">(4) <sup>1</sup>Ist das ermittelte Kennzeichen im Fahndungsbestand enthalten (Trefferfall), können das Kennzeichen, die Bildaufzeichnung des Fahrzeugs sowie Angaben zu Ort, Fahrtrichtung, Datum und Uhrzeit gespeichert werden. <sup>2</sup>Das Fahrzeug und die Insassen können im Trefferfall angehalten werden. <sup>3</sup>Weitere Maßnahmen dürfen erst nach Überprüfung des Trefferfalls anhand des aktuellen Fahndungsbestands erfolgen. <sup>4</sup>Die nach Satz 1 gespeicherten sowie durch weitere Maßnahmen erlangten personenbezogenen Daten können weiterverarbeitet werden, soweit dies für Zwecke der Gefahrenabwehr erforderlich ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>§ 18 HSOG, auf den § 14a Abs. 1 HSOG verweist, lautet:</p>
</dd>
</dl>
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<p style="margin-left:18pt">§ 18</p>
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<p style="margin-left:18pt">Identitätsfeststellung und Prüfung von Berechtigungsscheinen</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">(1) Die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden können die Identität einer Person feststellen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr, zur Erfüllung der ihnen durch andere Rechtsvorschriften zugewiesenen weiteren Aufgaben (§ 1 Abs. 2) oder zum Schutz privater Rechte (§ 1 Abs. 3) erforderlich ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">(2) Die Polizeibehörden können die Identität einer Person feststellen, wenn</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">1. die Person sich an einem Ort aufhält,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">a) von dem aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass dort</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">aa) Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben,</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">bb) sich Personen ohne erforderlichen Aufenthaltstitel treffen oder</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">cc) sich Straftäterinnen oder Straftäter verbergen, oder</p>
</dd>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">b) an dem Personen der Prostitution nachgehen,</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">2. dies zur Leistung von Vollzugshilfe (§ 1 Abs. 5) erforderlich ist,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">3. die Person sich in einer Verkehrs- oder Versorgungsanlage oder -einrichtung, einem öffentlichen Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder einem anderen besonders gefährdeten Objekt oder in dessen unmittelbarer Nähe aufhält und tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass in oder an diesen Objekten Straftaten begangen werden sollen, durch die in oder an diesen Objekten befindliche Personen oder diese Objekte selbst unmittelbar gefährdet sind, und dies aufgrund der Gefährdungslage oder auf die Person bezogener Anhaltspunkte erforderlich ist,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">4. die Person sich im räumlichen Umfeld einer Person aufhält, die in besonderem Maße als gefährdet erscheint, und tatsächliche Anhaltspunkte die Maßnahme zum Schutz der Personen rechtfertigen,</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">5. die Person an einer Kontrollstelle angetroffen wird, die von der Polizeibehörde auf öffentlichen Straßen oder Plätzen oder an anderen öffentlich zugänglichen Orten eingerichtet worden ist, um eine der in § 100a der Strafprozessordnung bezeichneten Straftaten oder eine Straftat nach § 27 des Versammlungsgesetzes zu verhüten. Die Einrichtung von Kontrollstellen ist nur mit Zustimmung des für die Polizei zuständigen Ministeriums oder von ihm benannter Stellen zulässig, es sei denn, dass Gefahr im Verzug vorliegt, oder</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">6. die Person in Einrichtungen des internationalen Verkehrs, auf Straßen oder auf Bundeswasserstraßen, soweit aufgrund von Lageerkenntnissen oder polizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, dass diese von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität sind, angetroffen wird zur vorbeugenden Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p style="margin-left:18pt">(3) - (7) …</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>Der von dem Beschwerdeführer außerdem angegriffene § 22 Abs. 1 Satz 2 HSOG regelt in der vom 23. Dezember 2009 bis 24. Mai 2018 geltenden Fassung die Übermittlung von Daten an Polizeibehörden des Bundes und anderer Länder sowie der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der am Schengen-Besitzstand teilhabenden assoziierten Staaten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>2. a) Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer sehen sich durch diese Regelungen selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen. Sie seien eingetragene Halter von Personenkraftwagen, mit denen sie regelmäßig auf den Straßen des jeweiligen Bundeslandes unterwegs seien, und würden mit erheblicher Wahrscheinlichkeit in nach den angegriffenen Vorschriften durchgeführte Kennzeichenkontrollen geraten. Eine gerichtliche Überprüfung der Kennzeichenkontrollen sei aufgrund der verdeckten Durchführung und der nicht vorgesehenen Benachrichtigung nicht gewährleistet. Dies rügt der Beschwerdeführer zu II. auch für die Übermittlung von Daten nach § 22 Abs. 1 Satz 2 HSOG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Die Kennzeichenkontrolle greife in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Die Kennzeichenerfassung verfolge das Ziel, die erhobenen Daten für die staatlichen Datenverarbeitungssysteme verfügbar zu machen, um sie mit dem Fahndungsbestand abgleichen zu können. Die Löschung in Nichttrefferfällen und unechten Trefferfällen erfolge erst nach dem Abgleich, sodass ein Grundrechtseingriff vorliege.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Die gesetzlichen Grundlagen der Kennzeichenkontrolle seien formell verfassungswidrig. Die Länder verfügten für den Erlass der Regelungen nicht über die entsprechende Gesetzgebungskompetenz. Zweck der Kennzeichenkontrolle sei der Abgleich mit den im Fahndungsbestand enthaltenen Ausschreibungen, die auch repressive Zwecke verfolgten. Maßnahmen zum Zwecke der Strafverfolgung unterfielen jedoch der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Dieser habe von seiner Kompetenz abschließend Gebrauch gemacht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>Zudem verstießen die angegriffenen Normen gegen die Grundsätze der Bestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit. Sowohl der zum Abgleich herangezogene Fahndungsbestand als auch die Verwendung der erhobenen Daten seien nicht hinreichend bestimmt geregelt. Angesichts der hohen Eingriffstiefe seien die Regelungen zur Kennzeichenkontrolle auch unverhältnismäßig ausgestaltet. Es fehlten spezifisch auf die Maßnahme der automatisierten Kennzeichenkontrolle abgestimmte Voraussetzungen, da lediglich auf die weiten Tatbestandsvoraussetzungen der Identitätsfeststellung verwiesen werde. Des Weiteren sei der abzugleichende Fahndungsbestand nicht auf die Zwecke der Kennzeichenkontrolle abgestimmt. Die angegriffenen Normen enthielten zudem keine ausreichende Zweckbindung der erhobenen Daten für Fälle der Verwendung zu anderen Zwecken.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>d) Weiterhin verlange Art. 19 Abs. 4 GG, dass die von einer Kennzeichenkontrolle Betroffenen hierüber in Kenntnis gesetzt würden. Dazu könnten Hinweisschilder nach der Kontrollstelle aufgestellt werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>e) Hinsichtlich der Datenübermittlung an ausländische Stellen in § 22 Abs. 1 Satz 2 HSOG macht der Beschwerdeführer zu II. geltend, dass die Regelung angesichts der zur Übermittlung vorgesehenen Daten in seine Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 10 und Art. 13 GG eingreife. Die Norm sei nicht bestimmt genug. Zudem enthalte die Vorschrift kaum Voraussetzungen und Grenzen für die Datenübermittlung, was die Unverhältnismäßigkeit der Regelung begründe.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>III.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>Zu den Verfassungsbeschwerden Stellung genommen haben die Landesregierung von Baden-Württemberg, die Hessische Staatskanzlei, das Bundesverwaltungsgericht, der Landesbeauftragte für den Datenschutz Baden-Württemberg, der Hessische Datenschutzbeauftragte, der Sächsische Datenschutzbeauftragte und das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Landesregierung von Baden-Württemberg hält die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2795/09 für nicht begründet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Der Einsatz automatischer Kennzeichensysteme greife nur dann in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ein, wenn das Kennzeichen nicht unverzüglich mit dem Fahndungsbestand abgeglichen und ohne weitere Auswertung sofort wieder gelöscht werde. Das vom Land Baden-Württemberg beschaffte Gerät sichere bei Nichttreffern die Spurenlosigkeit und Anonymität des Verfahrens. § 22a Abs. 3 Satz 1 PolG BW sichere, dass der Abgleich unverzüglich nach der Erfassung und die Löschung unverzüglich nach dem Abgleich erfolge.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Im Falle eines Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sei dieser durch die Regelungen in § 22a PolG BW gerechtfertigt. Diese Norm sei formell und materiell mit der Verfassung vereinbar. Das Land besitze die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung der automatisierten Kennzeichenkontrolle, da diese nach ihrem Schwerpunkt der Abwehr allgemeiner Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung diene. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Regelung. Im Übrigen mache die Bezugnahme auf § 26 Abs. 1 PolG BW die präventive Ausrichtung deutlich. Dass die Fahndungsdateien auch Ausschreibungen zu repressiven Zwecken enthielten, stehe dem nicht entgegen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Die angegriffenen Regelungen seien auch materiell verfassungskonform. Die Voraussetzungen für die Erfassung der Kennzeichen seien in § 22a Abs. 1 PolG BW und § 26 Abs. 1 PolG BW tatbestandlich hinreichend handlungsbegrenzend geregelt. Der zum Abgleich heranziehbare Datenbestand und der Zweck des Abgleichs würden in § 22a Abs. 2 PolG BW hinreichend bestimmt aufgeführt. Die Regelung der Kennzeichenkontrolle wahre auch die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Die Verknüpfung von § 22a PolG BW mit § 26 Abs. 1 PolG BW sichere, dass die Kennzeichenkontrolle nur unter engen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zulässig sei. Es seien zudem verschiedene gesetzliche Beschränkungen der Kennzeichenkontrolle in § 22a Abs. 1 Satz 3 PolG BW vorgesehen. Dass im Rahmen des Abgleichs auch auf Mischdateien zugegriffen werde, führe nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Regelung, da die Zugriffszwecke hinreichend gesetzlich bestimmt seien.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_23">23</a>
</dt>
<dd>
<p>d) Es liege auch kein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG vor. Die Kennzeichenerfassung dürfe verdeckt erfolgen. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folge keine Pflicht, Betroffene zu benachrichtigen. Vielmehr bestehe nach § 45 PolG BW ein Auskunftsanspruch.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_24">24</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 3187/10 für unzulässig und unbegründet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_25">25</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Die Verfassungsbeschwerde missachte den Grundsatz der Subsidiarität, da ein Fahrzeughalter im Wege der vorbeugenden Unterlassungsklage vor den Verwaltungsgerichten gegen die ihn möglicherweise betreffende Kennzeichenerfassung vorgehen könne. Dies gelte auch für eine mögliche Datenübermittlung. Fachgerichtlichen Rechtsschutz habe der Beschwerdeführer jedoch nicht gesucht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_26">26</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Die Regelungen zur Kennzeichenkontrolle hielten sich im Rahmen der dem Land zustehenden Gesetzgebungskompetenz. Die Kennzeichenkontrolle diene der Gefahrenabwehr und der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Zwar habe die Verfolgungsvorsorge repressiven Charakter, sie sei allerdings bundesrechtlich nicht erschöpfend geregelt. Die Aufgabe der Gefahrenabwehr werde durch den Wortlaut der angegriffenen Regelungen deutlich. Die Zuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG sei nicht betroffen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_27">27</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Der Beschwerdeführer könne durch die Regelungen zur Kennzeichenkontrolle nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt sein. Er könne allenfalls zum Gegenstand eines unechten Treffers werden, da sein Kennzeichen nicht im Fahndungsbestand enthalten sei. Bei unechten Treffern liege jedoch kein Grundrechtseingriff vor, da sich das behördliche Interesse in einem solchen Fall darauf beschränke, den Fehler zu erkennen und die Darstellung des unrichtig erkannten Kennzeichens umgehend zu löschen. Auch in Nichttrefferfällen sei ein Eingriff in den Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts ausgeschlossen. Ob die angegriffenen Regelungen auch bei Trefferfällen mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar seien, könne dahinstehen, da der Beschwerdeführer nicht ausreichend vorgetragen habe, dass sein Fahrzeugkennzeichen in dem für den Abgleich heranzuziehenden Fahndungsbestand erfasst sein könne.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_28">28</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Nach Auffassung des Landesbeauftragten für den Datenschutz Baden-Württemberg liegt in der automatischen Kennzeichenerfassung ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Es sei überprüfungsbedürftig, ob der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht berührt sei, wenn nach dem Abgleich eine unverzügliche Löschung erfolge. Die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Einschränkung des Schutzbereichs führe in der Praxis immer wieder zu Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Löschung könne ausreichend als Frage der Eingriffstiefe berücksichtigt werden. Ferner müsse beachtet werden, dass die Information, dass ein das Kennzeichenlesegerät durchfahrendes Kraftfahrzeug nicht im Datenbestand enthalten ist (Nichttrefferfall), ein personenbezogenes Datum sei, dessen Erhebung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreife. Im Falle des unechten Treffers sowie des Treffers liege ohne Zweifel ein Grundrechtseingriff vor. Die Regelungen der Kennzeichenkontrolle in Baden-Württemberg stießen im Hinblick auf die Bestimmtheit und die Verhältnismäßigkeit auf Bedenken.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_29">29</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Nach Auffassung des Hessischen Datenschutzbeauftragten ist eine allgemeine Aussage, dass eine Datenerhebung nur vorliege, wenn mehr als eine rein technische Verarbeitung von Informationen erfolgt, nicht mehr sachdienlich. Dies hänge vielmehr von der konkreten technischen Ausgestaltung, aber auch vom Zweck und den besonderen Umständen der Informationsverarbeitung ab. Hinsichtlich der hessischen Regelungen zur Kennzeichenkontrolle sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt, da die Eingriffsschwelle zu niedrig sei. Zudem enthielten die Normen keine ausreichende Differenzierung der bei dem jeweiligen Einsatz zu verwendenden Abgleichdatenbestände. Der zum Abgleich heranziehbare Datenbestand enthalte in nicht unerheblicher Menge Daten, die im Zusammenhang mit strafprozessualen Maßnahmen eingestellt worden seien.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_30">30</a>
</dt>
<dd>
<p>5. Zu den Verfassungsbeschwerden hat sich auch der Sächsische Datenschutzbeauftragte geäußert. Er erläutert die Funktionsweise der in Sachsen eingesetzten Kennzeichenlesegeräte und teilt statistische Zahlen zum Einsatz dieser Systeme mit. Nach Auffassung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein bedarf es angesichts der zunehmenden Möglichkeit der automatisierten Auswertung von Daten einer erneuten Prüfung, ob die im Urteil zu den Regelungen der Kennzeichenkontrolle in Hessen und Schleswig-Holstein (vgl. BVerfGE 120, 378) aufgestellten Maßstäbe zutreffend und ausreichend seien, um dem im Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts formulierten Schutzgedanken des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung zu tragen. Das für Kennzeichenkontrollen herangezogene Eingriffskriterium der Interessenverdichtung der Behörde könne dazu führen, dass anlasslos sämtliches Verhalten der Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld von Gefahren oder Straftaten automatisiert erfasst und auf bestimmte gefahren- oder verdachtsbegründende Kriterien ausgewertet werde.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h1>B.</h1>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_31">31</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerden sind im Wesentlichen zulässig.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>I.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_32">32</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer sind beschwerdebefugt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_33">33</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Sie machen geltend, durch Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen auf der Grundlage der von ihnen angegriffenen Vorschriften in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Weil solche Kontrollen in den Schutzbereich dieses Grundrechts fallen und gegenüber den von ihnen erfassten Personen auch einen Eingriff begründen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 35 ff.), ist eine Verletzung dieses Grundrechts möglich.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_34">34</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer sind durch die angegriffenen Vorschriften unmittelbar, selbst und gegenwärtig in ihren Grundrechten betroffen. Ihre Verfassungsbeschwerden erfüllen damit die spezifischen Anforderungen für Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen ein Gesetz.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_35">35</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Es fehlt nicht an einer unmittelbaren Betroffenheit. Zwar bedürfen die angegriffenen Regelungen der Umsetzung durch weitere Vollzugsakte. Von einer unmittelbaren Betroffenheit durch ein vollziehungsbedürftiges Gesetz ist jedoch auch dann auszugehen, wenn ein Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht beschreiten kann, weil er keine Kenntnis von der Maßnahme erlangt oder wenn eine nachträgliche Bekanntgabe zwar vorgesehen ist, von ihr aber aufgrund weitreichender Ausnahmetatbestände auch langfristig abgesehen werden kann (vgl. BVerfGE 109, 279 <306 f.>; 120, 378 <394>; 141, 220 <261 f. Rn. 82>; stRspr). So liegt es hier.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_36">36</a>
</dt>
<dd>
<p>Nach § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW werden Kennzeichenkontrollen in Baden-Württemberg grundsätzlich verdeckt durchgeführt. Dass die Beschwerdeführer die Möglichkeit haben, auf Antrag Auskunft über die Speicherung der Daten zu erhalten (vgl. § 45 PolG BW) und gegen die Speicherung und Übermittlung die Gerichte anzurufen, ändert hieran nichts. Denn die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz zu erheben, das zu heimlichen Maßnahmen berechtigt, entfällt unter dem Gesichtspunkt der Unmittelbarkeit jedenfalls in der Regel nur, wenn die spätere Kenntniserlangung des Betroffenen durch eine aktive Informationspflicht des Staates rechtlich gesichert ist (vgl. BVerfGE 133, 277 <312 Rn. 84>). Eine solche Informationspflicht ist für die Kennzeichenkontrolle systemimmanent schon deshalb nicht vorgesehen, weil in Nichttrefferfällen eine sofortige Löschung erfolgt; darüber hinausgehende Benachrichtigungspflichten sind weder vorgesehen noch verfassungsrechtlich geboten (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 154).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_37">37</a>
</dt>
<dd>
<p>Nicht anders liegt dies im Ergebnis in Hessen. Zwar gelten dort auch für die Kennzeichenerfassung der Grundsatz der offenen Datenerhebung (§ 13 Abs. 7 Satz 1 HSOG) sowie - zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde - auch allgemeine Regelungen zu nachträglichen Benachrichtigungspflichten (§ 29 Abs. 6 HSOG a.F.). Jedoch sind in diesen Vorschriften zahlreiche Ausnahmen vorgesehen, die im Falle von Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen regelmäßig dazu führen werden, dass keine Benachrichtigung erfolgt (vgl. § 13 Abs. 7 Satz 2 HSOG, § 29 Abs. 6 Satz 3, 4 HSOG a.F.). Daher ist eine zeitnahe Kenntnis von der Maßnahme nicht gesichert. Insoweit ist auch hier eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die gesetzliche Regelung für zulässig zu erachten (vgl. BVerfGE 120, 378 <395 f.>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_38">38</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer sind durch die angegriffenen Vorschriften auch selbst und gegenwärtig betroffen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_39">39</a>
</dt>
<dd>
<p>Ergibt sich die konkrete Beeinträchtigung erst durch die Vollziehung des angegriffenen Gesetzes und erlangen die Betroffenen in der Regel keine Kenntnis von den Vollzugsakten, besteht jedenfalls die Möglichkeit der eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit, wenn der Beschwerdeführer darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die auf den angegriffenen Rechtsnormen beruhenden Maßnahmen in seinen Grundrechten berührt wird. Hier tragen die Beschwerdeführer vor, eingetragene Halter ihrer Personenkraftwagen zu sein und mit ihnen regelmäßig auf Straßen in dem jeweiligen Bundesland unterwegs zu sein. Dies reicht für die Annahme einer eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit aus (vgl. BVerfGE 120, 378 <396 f.>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_40">40</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerden genügen den Anforderungen der Subsidiarität.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_41">41</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Auch vor der Erhebung von Rechtssatzverfassungsbeschwerden sind nach dem Grundsatz der Subsidiarität grundsätzlich alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_42">42</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Unmittelbar gegen Gesetze steht der fachgerichtliche Rechtsweg in der Regel nicht offen. Die Anforderungen der Subsidiarität beschränken sich jedoch nicht darauf, nur die zur Erreichung des unmittelbaren Prozessziels förmlich eröffneten Rechtsmittel zu ergreifen, sondern verlangen, alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können. Damit soll erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen treffen muss, sondern zunächst die für die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts primär zuständigen Fachgerichte die Sach- und Rechtslage vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts aufgearbeitet haben (vgl. BVerfGE 79, 1 <20>; 123, 148 <172>; 143, 246 <321 Rn. 209>; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_43">43</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert deshalb grundsätzlich, vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. Das gilt auch, wenn zweifelhaft ist, ob ein entsprechender Rechtsbehelf statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. BVerfGE 16, 1 <2 f.>; 145, 20 <54 Rn. 85> m.w.N.; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_44">44</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Wenn sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz wendet, kann daher gegebenenfalls auch die Erhebung einer Feststellungs- oder Unterlassungsklage zu den zuvor zu ergreifenden Rechtsbehelfen gehören. Das ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die Vorschriften abschließend gefasst sind und die fachgerichtliche Prüfung für den Beschwerdeführer günstigstenfalls dazu führen kann, dass das angegriffene Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Entscheidend ist, ob die fachgerichtliche Klärung erforderlich ist, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage trifft. Ein solcher Fall wird in der Regel dann gegeben sein, wenn die angegriffenen Vorschriften auslegungsbedürftige und -fähige Rechtsbegriffe enthalten, von deren Auslegung und Anwendung es maßgeblich abhängt, inwieweit ein Beschwerdeführer durch die angegriffenen Vorschriften tatsächlich und rechtlich beschwert ist (vgl. BVerfGE 145, 20 <54 f. Rn. 86>). Anders liegt das, soweit es allein um die sich unmittelbar aus der Verfassung ergebenden Grenzen für die Auslegung der Normen geht. Soweit die Beurteilung einer Norm allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das Bundesverfassungsgericht zu beantworten hat, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären, bedarf es einer vorangehenden fachgerichtlichen Entscheidung nicht (vgl. BVerfGE 123, 148 <172 f.>; 138, 261 <271 f. Rn. 23>; 143, 246 <322 Rn. 211>; stRspr). Insoweit bleibt es dabei, dass Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen ein Gesetz weithin auch ohne vorherige Anrufung der Fachgerichte zulässig sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_45">45</a>
</dt>
<dd>
<p>Eine Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht des Weiteren nicht, wenn die angegriffene Regelung die Beschwerdeführer zu gewichtigen Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 43, 291 <386>; 60, 360 <372>), wenn die Anrufung der Fachgerichte offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>; 65, 1 <37 f.>; 102, 197 <208>) oder sie sonst nicht zumutbar ist. Dies gilt - vorbehaltlich der Möglichkeit vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 145, 20 <54 f. Rn. 86>) - grundsätzlich auch dann, wenn Beschwerdeführer zunächst ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen sich ergehen lassen müssten und sie erst in diesem Rahmen die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend machen könnten (vgl. BVerfGE 81, 70 <82 f.>; 97, 157 <165>; 138, 261 <271 f. Rn. 23>; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_46">46</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Die Pflicht zur vorherigen Anrufung der Fachgerichte darf Beschwerdeführer nicht vor unabsehbare Risiken hinsichtlich der ihnen zu Gebote stehenden Handlungsmöglichkeiten und der hierbei zu beachtenden Fristen stellen. Im Hinblick auf die Subsidiaritätsanforderungen sind die gesetzlichen Fristen deshalb rechtsschutzfreundlich auszulegen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_47">47</a>
</dt>
<dd>
<p>§ 93 Abs. 3 BVerfGG bindet die Erhebung von Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen ein Gesetz, gegen das ein Rechtsweg nicht offensteht, an eine Frist von einem Jahr seit seinem Inkrafttreten. Die vorstehenden Subsidiaritätsanforderungen (oben Rn. 42 ff.) bringen einen Beschwerdeführer nicht in die Gefahr, diese Frist zu versäumen. Soweit ein Beschwerdeführer gegenüber Wirkungen eines Gesetzes - etwa im Rahmen einer Feststellungsklage oder einer Unterlassungsklage - in zulässiger Weise fachgerichtlichen Rechtsschutz erwirkt und ein Sachurteil erstreitet, steht ihm hiergegen schon nach allgemeinen Grundsätzen die Verfassungsbeschwerde in Form einer Urteilsverfassungsbeschwerde offen, in deren Rahmen er mittelbar auch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes geltend machen kann. Insoweit gilt - unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem der fachgerichtliche Rechtsstreit anhängig gemacht wird und unabhängig von der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG - die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_48">48</a>
</dt>
<dd>
<p>Einer rechtsschutzfreundlichen Auslegung bedarf es aber dann, wenn ein Beschwerdeführer in Rücksicht auf die genannten Subsidiaritätsanforderungen gegenüber den unmittelbaren Wirkungen eines Gesetzes zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz gegenüber den von ihm gerügten Grundrechtsverletzungen sucht, dieses Begehren dann aber von den Fachgerichten letztlich als unstatthaft oder aus anderen Gründen als unzulässig beurteilt wird. Einer Verfassungsbeschwerde derselben Person, die diese anschließend unmittelbar gegen das Gesetz erhebt, kann dann die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht entgegengehalten werden. Sofern die Person den fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen das Gesetz innerhalb eines Jahres nach dessen Inkrafttreten anhängig gemacht hat, gilt vielmehr - bezogen auf die abschließende fachgerichtliche Entscheidung - die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für die Einlegung der Rechtssatzverfassungsbeschwerde entsprechend. Dem kann nur in Fällen der Offensichtlichkeit entgegengehalten werden, dass der Beschwerdeführer hätte erkennen müssen, dass das fachgerichtliche Verfahren keine Aussicht auf Erfolg hatte.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_49">49</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Danach genügen die Verfassungsbeschwerden den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_50">50</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Zwar haben die Beschwerdeführer gegenüber den von ihnen angegriffenen Vorschriften nicht zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz in Form einer Unterlassungsklage erhoben. Nach dem derzeitigen Stand der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wäre diesbezüglich Rechtsschutz auch nicht von vornherein unerreichbar gewesen (vgl. dazu nur den Verfahrensgang in BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 11 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_51">51</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Den Beschwerdeführern war vorliegend die Beschreitung des fachgerichtlichen Rechtswegs jedoch nicht zumutbar. Sie haben ihre Verfassungsbeschwerden nur ein beziehungsweise zwei Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dem gleichen Thema und mit gleicher verfassungsprozessualer Ausgangslage (vgl. BVerfGE 120, 378) eingereicht. In dem Verfahren 1 BvR 3187/10 betrifft die Verfassungsbeschwerde sogar unmittelbar die Nachfolgeregelung der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung. Das Bundesverfassungsgericht hatte in jener Entscheidung die Zulässigkeit der Rechtssatzverfassungsbeschwerde ohne vorherige Anrufung der Fachgerichte einschränkungslos für zulässig erachtet und die Möglichkeit einer Unterlassungsklage noch nicht einmal in Erwägung gezogen. Unter diesen Umständen kann den Beschwerdeführern nicht vorgehalten werden, sie hätten gegen die Vorschriften nunmehr zunächst vor den Fachgerichten Rechtsschutz suchen müssen. Dazu kommt, dass nach dem heutigen Stand, auf den es für die Beurteilung der Zulässigkeit ankommt, inzwischen über den Kern des Beschwerdevorbringens von den Fachgerichten bis hin zum Bundesverwaltungsgericht entschieden wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 6 C 7/13 -, juris; dazu BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -). Die Verweisung der Beschwerdeführer auf den Rechtsweg könnte die Entscheidungsgrundlagen für die Beurteilung der Vorschriften heute daher nicht mehr verbreitern.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>III.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_52">52</a>
</dt>
<dd>
<p>Soweit der Beschwerdeführer zu II. auch die Datenübermittlung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 HSOG zum Gegenstand seiner Verfassungsbeschwerde macht, mangelt es an einer den Substantiierungsanforderungen genügenden Darlegung der Beschwerdebefugnis. Der Beschwerdeführer zu II. hat eine spezifische Wahrscheinlichkeit, von der Datenübermittlung betroffen zu sein, nicht nachvollziehbar aufgezeigt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h1>C.</h1>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_53">53</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise begründet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>I.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_54">54</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen, zu denen die angegriffenen Vorschriften ermächtigen, greifen in Grundrechte der Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer ein. Indem bei solchen Kontrollen die Kennzeichen der betroffenen Fahrzeuge als den Haltern zuordenbare und damit personenbezogene Daten erhoben und dann mit Datenbeständen von zur Fahndung ausgeschriebenen Personen oder Sachen abgeglichen werden, liegen in ihnen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Eine Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle begründet dabei Grundrechtseingriffe gegenüber allen von ihr erfassten Personen und muss ihnen gegenüber verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 35 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_55">55</a>
</dt>
<dd>
<p>Die angegriffenen Vorschriften genügen, soweit sie Kennzeichenkontrollen an polizeilichen Kontrollstellen regeln, teilweise nicht den formellen Anforderungen der Verfassung. Hinsichtlich der anderen Tatbestandsvarianten sind sie mit den formellen Anforderungen der Verfassung vereinbar und insbesondere von den Gesetzgebungskompetenzen der Länder gedeckt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_56">56</a>
</dt>
<dd>
<p>1. § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW unmittelbar sowie § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW, soweit er auf diese Vorschrift verweist, sind aus formellen Gründen mit der Verfassung nicht vereinbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_57">57</a>
</dt>
<dd>
<p>§ 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW erlaubt die Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle bei Kontrollen nach § 26 Abs. 1 PolG BW. Er nimmt auf die dort genannten konkreten Zwecke und Voraussetzungen Bezug und bezieht aus ihnen die Rechtfertigung und Begrenzung auch für die Durchführung der Kennzeichenkontrollen. § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW ermächtigt insoweit zu Kennzeichenkontrollen an Kontrollstellen und in Kontrollbereichen, die von der Polizei zur Fahndung nach Straftätern eingerichtet sind. Da § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW damit nicht nur auf die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW verweist, sondern zunächst eine eigenständige und wirksame Einrichtung solcher Kontrollstellen oder -bereiche voraussetzt, muss sich die verfassungsrechtliche Prüfung inzident auch auf die Vereinbarkeit der Regelung über die Einrichtung solcher Kontrollstellen selbst mit dem Grundgesetz beziehen. Diese Prüfung ergibt, dass § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW durch die Gesetzgebungskompetenz des Landes nicht gedeckt ist. Damit wird auch der hierauf bezogenen Ermächtigung zur Kennzeichenkontrolle die verfassungsrechtliche Grundlage entzogen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_58">58</a>
</dt>
<dd>
<p>a) § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW ist mit der grundgesetzlichen Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen nicht vereinbar. Anders etwa als § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG regelt die Vorschrift ihrem klaren Wortlaut nach nicht die Verhütung von Straftaten, sondern die Fahndung nach Straftätern. Eine Ermächtigung zur Fahndung nach Straftätern kann jedoch nicht als Regelung verstanden werden, die ihrem Schwerpunkt nach präventiven Zwecken dient. Zwar liegen strafprozessuale und präventive Zwecke oft nahe beieinander und bestehen für die Regelung von Ermittlungsmaßnahmen kompetenzrechtlich erhebliche Überschneidungsbereiche (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 71 ff.). Wenn jedoch eine Norm ihrer objektiven Fassung nach allein auf das Strafrecht bezogen ist, kann sie kompetenzrechtlich nicht bereits deshalb der Gefahrenabwehr zugeordnet werden, weil das Strafrecht immer auch präventiv der Sicherheit dient. Die Fahndung nach Straftätern gehört vielmehr unzweifelhaft zur Strafverfolgung.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_59">59</a>
</dt>
<dd>
<p>Danach ist das Land nicht befugt, die Einrichtung solcher Kontrollstellen und -bereiche zu regeln. Die Regelung der Einrichtung von Kontrollstellen zur Strafverfolgung gehört zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ("gerichtliches Verfahren"). Von dieser Kompetenz hat der Bund mit § 111 StPO auch Gebrauch gemacht. Maßnahmen zur Identitätsfeststellung gegenüber jedermann bei der Fahndung zur Verfolgung von Straftaten sind hier abschließend geregelt. Die insoweit bewusst eng gefasste Regelung kann damit gemäß Art. 72 Abs. 1 GG nicht durch Landesrecht ergänzt werden (vgl. bereits SächsVerfGH, Urteil vom 10. Juli 2003 - Vf. 43-II-00 -, juris, Rn. 261 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_60">60</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Die formelle Verfassungswidrigkeit des § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW erfasst auch die Ermächtigung zur Kennzeichenkontrolle nach § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW, soweit sie auf § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW verweist. Der Verweis des § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW auf § 26 Abs. 1 PolG BW dient dazu, die Kennzeichenkontrolle zu begrenzen, indem er sie an die dort festgelegten Zwecke und Voraussetzungen bindet. Wenn dieser Anknüpfungspunkt hier wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz für die Regelung leerläuft, dann fehlt es insoweit an einer hinreichend bestimmten und begrenzenden Anknüpfung für die Kennzeichenerfassung und ist diesbezüglich auch die Ermächtigung zu einer hierauf gestützten Kennzeichenkontrolle verfassungsrechtlich nicht tragfähig. Die nur allgemeine Ausrichtung der Kontrollen auf präventive polizeiliche Aufgaben nach § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW und die Umschreibung bestimmter Anlässe für Kennzeichenkontrollen in § 22a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 PolG BW können das nicht kompensieren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_61">61</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Desgleichen sind § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG unmittelbar, soweit er polizeiliche Kontrollstellen zur Verhütung von versammlungsrechtlichen Straftaten vorsieht, sowie § 14a Abs. 1 Satz 1 HSOG, soweit er auf diese Vorschrift verweist, aus formellen Gründen mit der Verfassung nicht vereinbar. Sie verstoßen als Eingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG gegen das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_62">62</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Regelung der Identitätsfeststellung an polizeilichen Kontrollstellen zur Verhütung von versammlungsrechtlichen Straftaten sowie der Unterstützung solcher Kontrollen durch eine automatisierte Kennzeichenkontrolle setzt materiell voraus, dass konkrete Hinweise auf erhebliche Straftaten in Bezug auf eine konkrete Versammlung vorliegen und in örtlichem Bezug hierzu eine polizeiliche Kontrollstelle eingerichtet wurde. Da die Vorschrift folglich dazu ermächtigt, den Zugang zu Versammlungen zu kontrollieren, liegt in ihr ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 136). Ein solcher Eingriff unterliegt nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG in formeller Hinsicht dem Zitiergebot, dem das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht genügt (vgl. § 10 HSOG, der Art. 8 GG nicht aufführt).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_63">63</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Im Übrigen sind Bedenken gegen die angegriffenen Vorschriften in formeller Hinsicht nicht ersichtlich. Insbesondere fehlt es im Hinblick auf die weiteren angegriffenen Vorschriften nicht an der Gesetzgebungskompetenz der Länder.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_64">64</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Den Vorschriften steht nicht die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Strafverfolgung nach Art. 72, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ("gerichtliches Verfahren") entgegen. Es handelt sich nicht um Regelungen zur Strafverfolgung, sondern um Regelungen zur Gefahrenabwehr, für die die Gesetzgebungszuständigkeit bei den Ländern liegt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_65">65</a>
</dt>
<dd>
<p>aa) Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Regeln zur Strafverfolgung und Regeln der Gefahrenabwehr ist die Zielsetzung der betreffenden Normen, wie sie sich in objektivierter Sicht aus ihrer Ausgestaltung ergibt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 66 ff.). Danach dienen sowohl die Kennzeichenkontrolle nach § 22a Abs. 1 Satz 1, § 26 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 6 PolG BW als auch nach § 14a Abs. 1 Satz 1, § 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 3 bis 6 HSOG präventiven Zwecken. Die Vorschriften erlauben die Kennzeichenerfassung als Grundlage für eine Kennzeichenkontrolle in beiden Ländern nur für die Zwecke, für die auch eine Identitätsfeststellung zulässig ist. Diese haben - außer dem oben genannten § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW - ihrem Schwerpunkt nach alle eine präventive Zielrichtung, nämlich die Unterstützung der Polizei bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben der Gefahrenabwehr nach dem Polizeigesetz. Genauer sind dies nach dem Recht beider Länder die Abwehr von einzelnen Gefahren, die Gefahrenabwehr in Bezug auf gefährliche Orte, der Schutz von gefährdeten Orten sowie der Schutz vor grenzüberschreitender Kriminalität. In Hessen kommen einige weitere präventive Zwecke hinzu wie insbesondere der Schutz gefährdeter Personen sowie die Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen zum Schutz vor schweren Straftaten. Dass einige dieser Zwecke bei objektivierter Betrachtung im Ergebnis zugleich der Strafverfolgung dienen, stellt die präventive Ausrichtung der Normen nicht in Frage (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 71 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_66">66</a>
</dt>
<dd>
<p>bb) Auf diese präventiven Zwecke ausgerichtet ist auch der Datenabgleich nach § 22a Abs. 2 PolG BW und § 14a Abs. 2 HSOG. Er dient dazu, durch das Auffinden der zur Fahndung ausgeschriebenen Personen oder Sachen die Erreichung der sich aus § 26 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 6 PolG BW oder aus § 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 3 bis 6 HSOG ergebenden Zwecke zu unterstützen. Dass der Gesetzgeber dabei auch Datenbestände einbezogen hat, die auf strafrechtlichen Ausschreibungen beruhen, ändert nichts daran, dass der diesbezügliche Abgleich der Verfolgung der genannten präventiven Zwecke dient.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_67">67</a>
</dt>
<dd>
<p>In der weiten Fassung der für den Abgleich eröffneten Datenbestände liegt auch nicht die Ermächtigung zu einem von den präventiven Zwecken abgelösten, unbegrenzten Fahndungsabgleich, der der Strafverfolgung zuzurechnen wäre. Vielmehr müssen § 22a Abs. 2 PolG BW und § 14a Abs. 2 HSOG schon aus materiellen Gründen verfassungskonform so ausgelegt werden, dass in den Datenabgleich nur solche Fahndungsbestände einbezogen werden dürfen, die zur Erreichung des jeweiligen Zwecks der Kennzeichenkontrolle beitragen können (unten Rn. 83 ff.). Eine Ermächtigung zur Kennzeichenkontrolle als allgemeine Maßnahme der Straffahndung liegt in den einschlägigen Vorschriften folglich nicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_68">68</a>
</dt>
<dd>
<p>cc) Kompetenzwidrig ist auch nicht, dass § 22a Abs. 4 Satz 4 Nr. 1 und 2 PolG BW eine Verwendung von zufällig angefallenen Informationen im Wege der Zweckänderung unabhängig von den Zwecken des § 26 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 6 PolG BW für die Zwecke öffnet, die den Ausschreibungen zur Straffahndung unterliegen oder allgemein der Strafverfolgung dienen. Denn hierin liegt - nach dem Bild der Doppeltür (vgl. BVerfGE 130, 151 <184>; 141, 220 <333 f. Rn. 305>) - lediglich die dem Land obliegende Öffnung der ersten Tür für die weitere Datennutzung; die abschließende Entscheidung über die Ermächtigung zu einer solchen Nutzung bleibt als Öffnung der zweiten Tür dem Bund vorbehalten (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 80).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_69">69</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Der Gesetzgebungskompetenz der Länder stehen auch keine anderen Kompetenztitel des Bundes entgegen. Insbesondere handelt es sich bei den angegriffenen Vorschriften nicht um Regelungen des Straßenverkehrs im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 60). Kompetenzrechtlich unbedenklich ist gleichfalls, dass die Vorschriften auch eine Ermächtigung für Kennzeichenkontrollen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität schaffen (§ 22a Abs. 1 Satz 1, § 26 Abs. 1 Nr. 6 PolG BW und § 14a Abs. 1 Satz 1, § 18 Abs. 2 Nr. 6 HSOG). Eine Regelung des Grenzschutzes liegt hierin nicht (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 58).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>III.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_70">70</a>
</dt>
<dd>
<p>Die angegriffenen Vorschriften genügen in materieller Hinsicht nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_71">71</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Nicht in allen Tatbestandsvarianten hinreichend begrenzt sind die Voraussetzungen für die Kennzeichenerfassung und damit die - für die Verhältnismäßigkeit ausschlaggebenden - Zwecke der Kennzeichenkontrolle, die sich aus dem Verweis auf die Regelung zur Identitätsfeststellung ergeben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_72">72</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Mit den Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht vereinbar sind die angegriffenen Vorschriften, soweit sie Kennzeichenkontrollen - in Hessen - zur Abwehr einer Gefahr, zur Erfüllung der den Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden durch andere Rechtsvorschriften zugewiesenen weiteren Aufgaben oder zum Schutz privater Rechte eröffnen (§ 14a Abs. 1, Abs. 2, § 18 Abs. 1 HSOG), oder - in Baden-Württemberg - erlauben, um im einzelnen Falle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren oder eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen (§ 22a Abs. 1, Abs. 2, § 26 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_73">73</a>
</dt>
<dd>
<p>Automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen zur Fahndung nach Personen oder Sachen sind Eingriffe von erheblichem Gewicht. Ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung setzt demnach voraus, dass sie auf Gründe gestützt werden, die dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse dienen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 95 ff.). Die uneingeschränkte Ermächtigung zu Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen zur Abwehr konkreter Gefahren oder noch weiter auch zum Schutz privater Rechte und sonstiger nicht näher benannter Aufgaben der Polizei genügt dem nicht. Indem solche Kontrollen durch die angegriffenen Vorschriften allgemein zum Schutz der Rechtsordnung insgesamt erlaubt werden, fehlt es ihnen an einer hinreichenden Begrenzung auf einen Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügenden Rechtsgüterschutz (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 104 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_74">74</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Nicht hinreichend begrenzt sind auch die Regelungen zur Kennzeichenkontrolle als Mittel der Schleierfahndung. Zwar ist verfassungsrechtlich nicht schon grundsätzlich zu beanstanden, dass die Vorschrift von ihrer Zielrichtung her weit gefasst ist und die Kennzeichenkontrollen nicht auf objektiv umgrenzte Anlassfälle begrenzt. Als Ausgleich für den Wegfall von Grenzkontrollen und getragen von dem Ziel, einer hierdurch erleichterten Durchführung bestimmter Straftaten entgegenzutreten, ist das verfassungsrechtlich ausnahmsweise gerechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 143 ff.). Das gilt freilich nur insoweit, als für die Orte solcher Kontrollen in einer den Bestimmtheitsanforderungen genügenden Weise ein konsequenter Grenzbezug sichergestellt ist. Dem entsprechen die Vorschriften zum Teil nicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_75">75</a>
</dt>
<dd>
<p>Nicht hinreichend begrenzt ist unter diesem Gesichtspunkt § 22a Abs. 1, Abs. 2, § 26 Abs. 1 Nr. 6 PolG BW, der Kennzeichenkontrollen allgemein auf Durchgangsstraßen im ganzen Land eröffnet. Indem er sie ohne weitere Einschränkung - etwa auf Bundesautobahnen und Europastraßen - allgemein auf allen Straßen von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität für zulässig erklärt, fehlt es an einer hinreichend klaren örtlich grenzbezogenen Beschränkung solcher Kontrollen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 147 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_76">76</a>
</dt>
<dd>
<p>Dies gilt erst recht für Hessen, wo § 14a Abs. 1, Abs. 2, § 18 Abs. 2 Nr. 6 HSOG Kennzeichenkontrollen schon ohne Beschränkung auf Durchgangsstraßen auf allen Straßen insgesamt eröffnet, soweit aufgrund von Lageerkenntnissen oder polizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, dass diese von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität sind. Dadurch werden Kontrollen im ganzen Land eröffnet, soweit es nur um die Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität als solcher geht. Dies stellt einen örtlichen Bezug solcher Kontrollen zur Grenze als Ausgleich für die Abschaffung der Grenzkontrollen nicht hinreichend sicher. Im Ergebnis führte dies - zumal angesichts des weitreichenden Begriffs der grenzüberschreitenden Kriminalität - zu einer kaum mehr auf konkrete Anlässe beschränkten und nach objektiven Kriterien kontrollierbaren Befugnis zur Durchführung von Kennzeichenkontrollen im ganzen Land. Dies ist mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar. Der weder verfahrensrechtlich noch inhaltlich näher bestimmte Verweis auf Lageerkenntnisse oder schon die durch nichts objektiv nachvollziehbare polizeiliche Erfahrung ändert hieran nichts.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_77">77</a>
</dt>
<dd>
<p>Keine Bedenken bestehen, soweit die angegriffenen Vorschriften beider Länder zu Kennzeichenkontrollen in Einrichtungen des internationalen Verkehrs ermächtigen. Der Verweis auf solche Einrichtungen hat örtlich einen klaren Grenzbezug (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 149).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_78">78</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Im Übrigen sind die Voraussetzungen für die Durchführung der Kennzeichenkontrolle, wie sie sich aus dem Verweis in § 22a Abs. 1 PolG BW und § 14a Abs. 1 HSOG auf die jeweilige Regelung zur Identitätskontrolle ergeben, verfassungsrechtlich weder hinsichtlich der Anforderungen an einen hinreichend bestimmten konkreten Anlass noch hinsichtlich der Anforderungen an einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz zu beanstanden. Dies gilt sowohl für die Ermächtigung zu Kennzeichenkontrollen an gefährlichen Orten nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG BW und § 18 Abs. 2 Nr. 1 HSOG als auch an gefährdeten Orten nach § 26 Abs. 1 Nr. 3 PolG BW und § 18 Abs. 2 Nr. 3 HSOG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 117 ff.). Verfassungsrechtlich unbedenklich sind auch Kennzeichenkontrollen, die aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zum Schutz besonders gefährdeter Personen durchgeführt werden (§ 14a Abs. 1, Abs. 2, § 18 Abs. 2 Nr. 4 HSOG). Nichts anderes gilt auch für die Kennzeichenkontrollen zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen zur Verhütung von den in § 100a StPO bezeichneten Straftaten nach § 14a Abs. 1, Abs. 2, § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG, soweit die Ermächtigung in § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG zur Einrichtung solcher Kontrollstellen nach den Grundsätzen des allgemeinen Sicherheitsrechts dahingehend ausgelegt wird, dass sie eine konkrete Gefahr voraussetzt. Bei diesem Verständnis ist sichergestellt, dass eine Kennzeichenkontrolle nur erlaubt ist, wenn konkrete Hinweise auf schwere Straftaten vorliegen und in örtlichem Bezug hierzu eine polizeiliche Kontrollstelle eingerichtet wurde. Dies ist verfassungsrechtlich tragfähig (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 131 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_79">79</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Kennzeichenkontrollen sind auch durch übergreifende allgemeine Maßgaben in einer den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügenden Weise eingehegt. So regeln die Vorschriften beider Länder, dass die Kontrollen nicht flächendeckend durchgeführt werden dürfen und zeitlich zum Teil zu begrenzen sind. Es handelt sich hierbei um hinreichend bestimmte Kriterien, die als übergreifend ergänzende Anforderungen die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen unberührt lassen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 113 ff.). Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch, dass § 22a Abs. 1 PolG BW und § 14a Abs. 1 HSOG den Einsatz der Kennzeichenkontrolle nicht ausdrücklich vom Vorliegen polizeilicher Lageerkenntnisse abhängig machen, denn ein solches Erfordernis wird vom Gesetzgeber ersichtlich vorausgesetzt und lässt sich auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung in die Vorschrift hineinlesen (vgl. bereits BayVerfGH, Urteil vom 28. März 2003 - Vf. 7-VII-00 u.a. -, juris, Rn. 115). Insoweit bedarf es weiterer übergreifender Maßgaben von Verfassungs wegen nicht. Davon bleibt unberührt, dass die Vorschriften nach allgemeinen Grundsätzen im Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_80">80</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Die Regelungen zum Datenabgleich sind verfassungsrechtlich gleichfalls nicht zu beanstanden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_81">81</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Die gesetzliche Umschreibung der für den Datenabgleich berücksichtigungsfähigen Fahndungsbestände genügt den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_82">82</a>
</dt>
<dd>
<p>Allerdings verweisen die angegriffenen Vorschriften zunächst nur pauschal auf die Sachfahndungsdateien des beim Bundeskriminalamt nach den Vorschriften des Bundeskriminalamtgesetzes geführten polizeilichen Informationssystems sowie in Hessen außerdem auf die Sachfahndungsdateien des beim Hessischen Landeskriminalamt geführten polizeilichen Informationssystems (vgl. § 22a Abs. 2 Satz 1 und 2 PolG BW, § 14a Abs. 2 Satz 1 und 2 HSOG). Dies allein bestimmt die zum Abgleich eröffneten Datenbestände noch nicht in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise (vgl. BVerfGE 120, 378 <409 ff.>). Jedoch schränken im Folgenden sowohl § 22a Abs. 2 Satz 3 PolG BW als auch § 14a Abs. 2 Satz 3 HSOG die für den Abgleich berücksichtigungsfähigen Datenbestände nach im einzelnen aufgeführten Sachkriterien weiter ein und verpflichten damit die Polizeibehörden, die aus dem jeweiligen polizeilichen Informationssystem übernommenen Datensätze näher einzuengen. Damit erhalten die für den Abgleich insgesamt eröffneten Fahndungsbestände Konturen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit genügen. Eine Benennung der einzelnen Dateien, die für den Abgleich herangezogen werden dürfen, ist auch angesichts der ständigen Fortschreibung solcher Bestände verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 112).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_83">83</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Die gesetzliche Umschreibung der für den Datenabgleich berücksichtigungsfähigen Fahndungsbestände ist auch inhaltlich hinreichend begrenzt. Um den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu genügen, muss die Regelung allerdings - anders als nach derzeitiger Praxis - verfassungskonform ausgelegt werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_84">84</a>
</dt>
<dd>
<p>§ 22a Abs. 2 PolG BW und § 14a Abs. 2 HSOG ermächtigen dazu, die erfassten Kraftfahrzeugkennzeichen mit den dort genannten Fahndungsbeständen automatisiert abzugleichen. Die Bedeutung dieser Regelungen lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht eindeutig entnehmen. Versteht man sie weit, ermächtigen sie dazu, bei jeder Kennzeichenkontrolle einen Abgleich mit allen genannten Fahndungsbeständen vorzunehmen. Eine solche Auslegung ist jedoch nicht zwingend. Vielmehr stehen die Regelungen ebenso einer engeren Auslegung offen, wonach die in den Vorschriften genannten Fahndungsbestände nur den Rahmen der für den Abgleich überhaupt eröffneten Daten bilden, aus denen je nach Anlass die zweckbezogen zu bestimmenden Daten nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen sind. Ein solches enges Verständnis der Regelung ist verfassungsrechtlich auch geboten. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich, dass der jeweilige Zweck einer Maßnahme auch deren verfassungsrechtlich gerechtfertigten Umfang bestimmt. Soweit der Gesetzgeber den Zweck der Kennzeichenerfassung in Anknüpfung an die Identitätsfeststellung bestimmt, müssen diese Zwecke auch jeweils für den Umfang des Datenabgleichs maßgeblich sein. Ohne einen eigenen rechtfertigenden Anlass ist die allgemeine Fahndung nach allen in den Vorschriften genannten Personen oder Sachen mit Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht vereinbar (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 107 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_85">85</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Die angegriffenen Vorschriften bedürfen demnach einer verfassungskonformen Auslegung, wonach bei Erstellung der Abgleichdatei ein Selektionsprozess hinsichtlich der in den Datenabgleich einzubeziehenden Fahndungsbestände vorzunehmen ist. Dabei sind die gemäß § 22a Abs. 2 Satz 1 PolG BW oder § 14a Abs. 2 Satz 1 HSOG zum Ausgangspunkt zu nehmenden Sachfahndungsdateien des Bundes- oder Landeskriminalamtes zum einen nach Maßgabe der Kriterien des § 22a Abs. 2 Satz 3 PolG BW oder § 14a Abs. 2 Satz 3 HSOG einzugrenzen sowie zum anderen aus ihnen jeweils die Datenbestände auszuwählen, die für den konkreten Zweck der Kennzeichenkontrolle von Bedeutung sind. Die in den Stellungnahmen der Landesregierung von Baden-Württemberg und der Hessischen Staatskanzlei mitgeteilte Praxis, nach der die vom Bundeskriminalamt bereitgestellten Sachfahndungsdaten automatisiert in den Kennzeichenfahndungsbestand des Landes übernommen und bei allen Kennzeichenkontrollen dieselben Abgleichdateien genutzt würden, ohne nach Zweck oder Anlass der Kennzeichenerfassung zu differenzieren, genügt diesen Anforderungen nicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_86">86</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Die angegriffenen Vorschriften tragen den aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden übergreifenden Maßgaben an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle hinreichend Rechnung.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_87">87</a>
</dt>
<dd>
<p>Keinen Bedenken unterliegt es verfassungsrechtlich, dass die Kennzeichenkontrolle in Baden-Württemberg nach § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW ausdrücklich - und nach § 13 Abs. 7 Satz 2 HSOG im Ergebnis letztlich ähnlich auch in Hessen - grundsätzlich verdeckt durchgeführt wird. Das ist zur Erreichung der Zwecke der Kennzeichenkontrolle gerechtfertigt. Dabei bedarf es auch keiner anschließenden Benachrichtigungspflicht (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 154).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_88">88</a>
</dt>
<dd>
<p>Wie verfassungsrechtlich erforderlich, wird sowohl in Hessen als auch in Baden-Württemberg neben der Fachaufsicht eine datenschutzrechtliche Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten gewährleistet (vgl. § 24 Abs. 1 des Hessischen Datenschutzgesetzes [HDSG] a.F., jetzt: § 13 Abs. 1 des Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetzes [HDSIG]; § 48 PolG BW i.V.m. § 28 des Datenschutzgesetzes des Landes Baden-Württemberg [LDSG BW] a.F., jetzt: § 48 PolG BW i.V.m. § 28 LDSG BW a.F., der über § 30 Abs. 1 LDSG BW n.F. weiterhin anwendbar ist). In beiden Ländern sind auch Dokumentationspflichten vorgesehen (vgl. § 22a Abs. 1 Satz 4 PolG BW, § 14a Abs. 1 Satz 4 HSOG). Die Vorschriften sind dahingehend auszulegen, dass nach ihnen alle maßgeblichen Entscheidungen und deren Grundlagen für die Durchführung einer Kennzeichenkontrolle, einschließlich der Entscheidung über die für den Abgleich zu berücksichtigenden Fahndungsbestände, nachvollziehbar festzuhalten sind, und damit, wie verfassungsrechtlich geboten, eine wirksame Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten und die Gerichte ermöglicht wird (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 157).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_89">89</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Nicht hinreichend eingegrenzt ist allerdings in beiden Ländern die Regelung zur Verwendung der Daten für weitere Zwecke.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_90">90</a>
</dt>
<dd>
<p>§ 22a Abs. 4 Satz 4 PolG BW und § 14a Abs. 4 Satz 4 HSOG regeln eine Ausnahme von der Löschungspflicht in Hinblick auf eine weitere Verarbeitung von aus der Kennzeichenkontrolle gewonnenen Informationen für andere Zwecke, als sie der Kennzeichenkontrolle zugrunde lagen. Es handelt sich somit um Regelungen zur datenschutzrechtlichen Zweckänderung, die einen eigenständigen Eingriff begründen. Vom Grundsatz her ist gegen eine solche Regelung verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Das gilt auch, soweit § 22a Abs. 4 Satz 4 PolG BW auf Aufgaben der Strafverfolgung abstellt, denn die Vorschrift regelt allein die weitere Speicherung der Informationen und damit nur eine Öffnung, die deren Nutzung für weitere Zwecke ermöglicht; endgültig und genauer entscheidet über die weitere Nutzung der Daten im Rahmen dieser Öffnung dann jedoch Bundesrecht (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 164 f.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_91">91</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Vorschriften genügen jedoch nicht dem Erfordernis eines hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutzes nach dem Kriterium der Datenneuerhebung. Danach ist die Verwendung der Informationen zu neuen Zwecken nur dann mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, wenn diese nach verfassungsrechtlichen Maßstäben auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln neu erhoben werden dürften (vgl. BVerfGE 141, 220 <327 f. Rn. 286 f.> m.w.N.). Vorliegend kommt eine Nutzung der Daten zu weiteren Zwecken daher nur zum Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse in Betracht, das heißt für das Strafrecht zur Verfolgung von Straftaten von zumindest erheblicher Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 165). Das stellen weder § 22a Abs. 4 Satz 4 PolG BW noch § 14a Abs. 4 Satz 4 HSOG sicher.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_92">92</a>
</dt>
<dd>
<p>5. Demgegenüber bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Gewährleistung von Löschungsregelungen. § 22a Abs. 3 PolG BW und § 14a Abs. 3 HSOG sehen eine strikt an den Zwecken orientierte Regelung zur Löschung der erhobenen Daten vor (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom selben Tag - 1 BvR 142/15 -, Rn. 160).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<h1>D.</h1>
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<h2>I.</h2>
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<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_93">93</a>
</dt>
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<p>Die angegriffenen Vorschriften sind teilweise für nichtig und im Übrigen für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären.</p>
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<dl class="RspDL">
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<a name="rd_94">94</a>
</dt>
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<p>1. Die Feststellung einer Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften führt grundsätzlich zu deren Nichtigkeit. Allerdings kann sich das Bundesverfassungsgericht, wie sich aus § 31 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG ergibt, auch darauf beschränken, eine verfassungswidrige Norm nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären (vgl. BVerfGE 109, 190 <235>). Es verbleibt dann bei einer bloßen Beanstandung der Verfassungswidrigkeit ohne den Ausspruch der Nichtigkeit. Die Unvereinbarkeitserklärung kann das Bundesverfassungsgericht dabei zugleich mit der Anordnung einer befristeten Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung verbinden. Dies kommt in Betracht, wenn die sofortige Ungültigkeit der zu beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die Grundlage entziehen würde und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist (vgl. BVerfGE 33, 1 <13>; 109, 190 <235 f.>; 141, 220 <351 Rn. 355>; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_95">95</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Danach sind § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW unmittelbar und § 22a Abs. 1 PolG BW, soweit er auf diesen verweist, für mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar und nichtig zu erklären. Da dem Landesgesetzgeber für die Regelung des § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PolG BW die Kompetenz fehlt, kommt eine Nachbesserung nicht in Betracht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_96">96</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären sind demgegenüber § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG, soweit polizeiliche Kontrollstellen zur Verhütung von versammlungsrechtlichen Straftaten geregelt sind und dabei dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht genügt wird, sowie § 14a Abs. 1 Satz 1 HSOG, soweit er auf diesen verweist. Dies gilt auch für § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW, soweit mit ihm auf § 26 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW, und für § 14a Abs. 1 Satz 1 HSOG, soweit mit ihm auf § 18 Abs. 1 HSOG verwiesen wird, und dabei die Einrichtung der automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht beschränkt wird. Ebenfalls nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären sind § 22a Abs. 1 Satz 1 PolG BW, soweit mit ihm auf § 26 Abs. 1 Nr. 6 PolG BW, und § 14a Abs. 1 Satz 1 HSOG, soweit mit ihm auf § 18 Abs. 2 Nr. 6 HSOG verwiesen wird, und dabei die Orte für die Durchführung der Kontrollen in Hinblick auf deren Grenzbezug nicht hinreichend bestimmt beschränkt sind. Weiterhin gilt dies auch für § 22a Abs. 4 Satz 4 PolG BW und § 14a Abs. 4 Satz 4 HSOG, soweit diese eine weitere Verarbeitung der Informationen nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse begrenzen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_97">97</a>
</dt>
<dd>
<p>All diese Vorschriften sind nicht für nichtig, sondern nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären. Die Gründe für die Verfassungswidrigkeit betreffen hier nicht den Kern der mit ihnen eingeräumten Befugnisse, sondern nur einzelne Aspekte ihrer rechtsstaatlichen Ausgestaltung, die der Gesetzgeber nachbessern kann. Er kann damit den Kern der mit den Vorschriften verfolgten Ziele auf verfassungsmäßige Weise verwirklichen. Angesichts der Bedeutung, die der Gesetzgeber der Kennzeichenkontrolle für eine wirksame Gefahrenabwehr beimessen darf, ist unter diesen Umständen deren vorübergehende Fortgeltung eher hinzunehmen als deren Nichtigkeitserklärung.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_98">98</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Die Unvereinbarkeitserklärung wird mit der Anordnung ihrer vorübergehenden Fortgeltung bis zum Ablauf des 31. Dezember 2019 verbunden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_99">99</a>
</dt>
<dd>
<p>5. Im Übrigen sind die Vorschriften nach Maßgabe der Gründe verfassungskonform auszulegen.</p>
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<p style="margin-left:18pt">…</p>
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<h2>II.</h2>
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</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_100">100</a>
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<p>Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.</p>
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171,328 | lagham-2018-12-18-14-ta-55218 | {
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<p>Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 31. Juli 2018 aufgehoben.</p>
<p>Es verbleibt – vorbehaltlich einer Entscheidung des Arbeitsgerichts über den Abänderungsantrag des Klägers vom 8. September 2018 – bei der durch Beschluss vom 15. Januar 2018 bewilligten Prozesskostenhilfe.</p>
<p>Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Sein Rückstand mit der Zahlung der Raten seit dem Monat April 2018 ist nicht verschuldet, was eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ausschließt.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">1.              Nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate in Rückstand ist. Nach ihrem Wortlaut setzt die Vorschrift nur einen „Rückstand“ voraus. Zwar ist streitig, ob damit ein – schuldhafter – Verzug gemeint ist oder das Gericht lediglich im Rahmen der von ihm zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen hat, ob der Rückstand unverschuldet ist (vgl. Nachweise bei BGH 9. Januar 1997 – IX ZR 61/94 – II. 2. a) der Gründe). Nach übereinstimmender Meinung darf aber die Prozesskostenhilfebewilligung nicht aufgehoben werden, wenn die unterbliebene Ratenzahlung nicht auf einem Verschulden der bedürftigen Partei beruht (vgl. BGH 9. Januar 1997 – a. a. O.; LAG Hamm 19. Januar 2015 – 5 Ta 395/15 – II. 1. der Gründe; 3. März 2010 – 14 Ta 649/09 – 1. der Gründe; 19. März 2003 – 18 Ta 60/03 – II. der Gründe; Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 8. Auflage, 2016, Rn. 1019; Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Auflage, 2018, § 124 ZPO Rn. 24; Zimmermann, Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe, 5. Auflage, 2016, Rn. 481; Zöller/Geimer, ZPO, 32. Auflage, 2018, § 124 Rn. 18). Wenn die festgesetzten Raten der Leistungsfähigkeit der Partei nicht (mehr) entsprechen, kommt eine Aufhebung nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO wegen der in diesen Zeitraum fallenden rückständigen Beträge nicht in Betracht (vgl. LAG Hamm 3. März 2010 – a. a. O.; 22. September 2005 – 4 Ta 395/04 – II. 1.2 der Gründe).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Bereits zum ursprünglichen Bewilligungszeitpunkt bestehende, bislang von der bedürftigen Partei jedoch nicht angegebene Belastungen sind vor der Entscheidung über eine Aufhebung nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO bei der Prüfung, ob der Rückstand mit der Zahlung einer Monatsrate oder eines sonstigen Betrags verschuldet ist, zu berücksichtigen. Das Gericht ist nicht an die Feststellungen und Bewertungen im Rahmen des ursprünglichen Bewilligungsbeschlusses gebunden. So wie generell die eine Prozesskostenhilfe ganz oder durch die Anordnung von Ratenzahlungen teilweise versagenden Entscheidungen nicht der materiellen Rechtskraft fähig sind (vgl. BGH 3. März 2004 – IV ZB 43/03 – II. 1. b) der Gründe; LAG Hamm 5. Mai 2018 – 5 Ta 117/18 – II. 1. b) bb) der Gründe; LSG NRW 8. Juli 2009 – L 7 B 77/09 AS – juris, Rn. 4), erwachsen für die Prüfung des Verschuldens die der früheren Zahlungsanordnung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht in Rechtskraft (vgl. BGH 9. Januar 1997 – IX ZR 61/94 – II. 2. a) der Gründe). Im Rahmen der Entscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO hat vielmehr eine nochmalige Prüfung der Leistungsfähigkeit der Partei zu erfolgen (vgl. Dürbeck/Gottschalk, a. a. O, Rn. 1020; Groß, a. a. O., § 124 Rn. 25). Das Ausbleiben der Zahlungen ist demnach unverschuldet, wenn das Einkommen der Partei so gering ist, dass ihr Prozesskostenhilfe ohne Raten gewährt werden müsste, wenn sie diese erneut beantragen würde (vgl. Zöller/Geimer, a. a. O., § 124 ZPO Rn. 18).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Verschulden fehlt auch dann, wenn die Ratenzahlung von Anfang an zu hoch festgesetzt wurde. Es handelt sich nicht um eine Kontrolle der Richtigkeit der ursprünglichen Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, sondern um die Prüfung der Aufhebungsvoraussetzung „verschuldeter Rückstand“. Es verbleibt zwar, wenn eine Beschwerde nicht erhoben wurde, bei den ursprünglich festgesetzten Raten, die auch weiterhin eingezogen werden können. Mangels Verschuldens kommt es aber nicht zu einer Aufhebung der Bewilligung mit der Folge, dass die Vergünstigungen insgesamt entfallen würden (vgl. Dürbeck/Gottschalk, a. a. O., Rn. 1020; Zimmermann, a. a. O., Rn. 481). Das Gericht darf die Bewilligung nicht allein mit der Begründung aufheben, die Partei habe keine nachträgliche Änderung der Verhältnisse dargetan. Vielmehr hat es grundsätzlich auch ihren neuen Vortrag darüber zu berücksichtigen, dass ihre wirtschaftlichen Verhältnisse von Anfang an ungünstiger waren als von ihm angenommen (vgl. BGH 9. Januar 1997 – IX ZR 61/94 – II. 2. a) der Gründe; LAG Hamm 3. März 2010 – 14 Ta 649/09 – 1. der Gründe).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">2.              Bei Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall war der Kläger schon nicht verpflichtet, eine monatliche Rate in Höhe von 179,00 Euro beginnend ab 3. April 2018 zu zahlen. Die im Bewilligungsbeschluss vom 15. Januar 2018 erfolgte Ratenfestsetzung ist entgegen der Berechnung des Arbeitsgerichts nicht auf der Grundlage der Angaben des Klägers in seiner am 1. Dezember 2017 eingegangen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der Ergänzungen mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 gerechtfertigt.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">a)              Das Arbeitsgericht hat im Rahmen seiner Berechnung vom 12. Januar 2018 von dem mitgeteilten Nettoeinkommen des Klägers (1.626,72 Euro) zunächst zu Recht die ab 1. Januar 2018 geltenden Freibeträge für Erwerbstätige in Höhe von 219,00 Euro sowie für die Partei selbst in Höhe von 481,00 Euro gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b) und Nr. 2 a) ZPO abgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">b)              Nicht gefolgt werden kann dem Arbeitsgericht jedoch bei seiner – nicht weiter begründeten – Annahme, dass das an die Lebensgefährtin des Klägers für das gemeinsame Kind gezahlte Kindergeld diesem als eigenes Einkommen anzurechnen und vom dem für dieses Kind dem Kläger zustehenden Freibetrag abzuziehen sei. Nach der Rechtsprechung des Beschwerdegerichts (vgl. LAG Hamm 9. Februar 2016 – 14 Ta 370/15 – II. 2. c) der Gründe) ist dem Einkommen der Partei, welche Prozesskostenhilfe beantragt hat, das Kindergeld stets in voller Höhe hinzuzurechnen, wenn es an diese ausgezahlt wird. Nur die in § 62 EStG genannten Anspruchsberechtigten und nicht die Kinder haben Anspruch auf Kindergeld. Dementsprechend ist es nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sozialhilferechtlich grundsätzlich eine Einnahme dessen, an den es ausgezahlt wird (vgl. LAG Hamm – a. a. O. – II. 2. c) bb) (2) der Gründe). Das Kindergeld wird an die Lebensgefährtin des Klägers ausgezahlt, es handelt sich um ihr Einkommen. Ein Abzug von dem Freibetrag, welcher dem Kläger für das gemeinsame Kind in Höhe von 275,00 Euro gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 b) ZPO zusteht, ist nicht gerechtfertigt, weil es kein nach § 115 Abs. 1 Satz 7 ZPO anrechenbares Einkommen des Kindes ist.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">c)              Des Weiteren hat das Arbeitsgericht zu Unrecht die vom Kläger gezahlten Beiträge zur Glasversicherung nicht vom Einkommen abgesetzt. Entgegen der – ausdrücklich weder in der Berechnung vom 12. Januar 2018 noch in der Begründung des Beschlusses vom 15. Januar 2018 offengelegten – Ansicht des Arbeitsgerichts sind die Beiträge für eine Glasversicherung berücksichtigungsfähig. Nicht gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen können gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a) ZPO in Verbindung mit § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII berücksichtigt werden, soweit sie angemessen sind. Die Kriterien für die Bewertung der Angemessenheit sind einmal die objektiven Verhältnisse, d. h. die von einem durchschnittlichen Bedarf ausgehenden üblichen und notwendigen Vorkehrungen gegen Risiken des täglichen Lebens bezogen auf eine durchschnittliche Familie bzw. einen vergleichbaren durchschnittlichen Antragsteller; subjektiv ist die konkrete Lebenssituation des Antragstellers zu sehen. Damit sind im Regelfall Ausgaben für die üblichen Kranken-, Unfall-, Sterbe-, Sach- und Haftpflichtversicherungen absetzbar (vgl. Dürbeck/Gottschalk, a. a. O., Rn. 297; Groß, a. a. O., § 115 ZPO Rn. 36 f.; Zöller/Geimer, a. a. O., § 115 ZPO Rn. 23). Dazu gehören auch Prämien, die für eine Glasbruchversicherung zu zahlen sind (vgl. OLG Bremen 16. Mai 2011 – 4 WF 71/11 – II. 2. der Gründe; OVG NRW 5. Januar 2011 – 2 E 1451/10 – juris, Rn. 57; OLG Hamm 24. Februar 2005 – 4 WF 5/05 – juris, Rn. 65; 11. Februar 2005 – 11 WF 25/05 – 2. d) der Gründe; Zimmermann, a. a. O., Rn. 83).</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Danach war ein weiterer Betrag von 8,33 Euro bei den abzugsfähigen Versicherungen zu berücksichtigen, die monatlich insgesamt 51,16 Euro betragen. Das Arbeitsgericht hat hier lediglich die Hälfte berücksichtigt, offenbar im Hinblick darauf, dass der Kläger bei anderen Abzugsposten (Unterkunftskosten, Kinderbetreuungskosten) angegeben hatte, lediglich die Hälfte zu zahlen. Das ist zwar zweifelhaft, weil der Kläger den vollen Betrag geltend gemacht hatte. Dementsprechend hätte das Arbeitsgericht diesen Punkt zunächst aufklären müssen, bevor die angegebenen Ausgaben nur zur Hälfte absetzt. Für die Frage, ob der Kläger bereits bei der Festsetzung der Raten nicht leistungsfähig war und der Rückstand deswegen unverschuldet ist, bedarf dies mangels Erheblichkeit keiner weiteren Aufklärung. Auf der Grundlage der Annahme des Arbeitsgerichts ist jedenfalls ein Betrag von 25,58 Euro statt lediglich von 21,42 Euro vom Einkommen des Klägers abzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">d)              Für die Unterkunftskosten ist der vom Kläger in seiner der Bewilligungsentscheidung zugrundeliegenden, undatierten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse als tatsächlich gezahlt angegebene und vom Arbeitsgericht abgesetzte Betrag von 425,00 Euro (hälftige Miet- und Heizkosten) zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">e)              Entgegen der im Schreiben des Arbeitsgerichts vom 4. Dezember 2017 geäußerten Auffassung sind die Beiträge des Klägers für die Betreuung und Verpflegung im Kindergarten als besondere Belastung zu berücksichtigen. Der von ihm zitierten abweichenden Rechtsprechung (LAG Schleswig-Holstein 20. Oktober 2009 – 3 Ta 179/09; OLG Stuttgart 26. Oktober 2005 – 8 WF 140/05) ist nicht zu folgen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">aa)              Betreuungskosten, die durch die Unterbringung des Kindes in einer Kindertagesstätte entstehen, gehören nicht zu den Kosten des allgemeinen Lebensbedarfes und sind nicht vom Freibetrag des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 b) ZPO abgedeckt. In den sozialhilferechtlichen Regelsätzen ist für die Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten kein Betrag hinterlegt, weil gemäß § 90 Abs. 3 SGB VIII für Sozialhilfeempfänger und Leistungsempfänger nach dem SGB II die Kinderbetreuung regelmäßig kostenfrei ist. Entsprechendes gilt für die auf diesen Regelsätzen beruhenden Freibeträge nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO. Für Nichtleistungsempfänger muss dies im Rahmen der Prozesskostenhilfe aber dazu führen, dass notwendige Kinderbetreuungskosten einkommensmindernd berücksichtigt werden, und zwar dann, wenn ein Betreuungsanspruch oder eine Förderungsfähigkeit für die Betreuung nach § 24 SGB VIII besteht (vgl. LAG Baden-Württemberg 27. Juni 2013 – 4 Ta 11/13 – II. 2. b), e) der Gründe).</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">(1)              Dieser Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg wird von der erkennenden Beschwerdekammer gefolgt, allerdings mit der Maßgabe, dass Grundlage hierfür nicht die Regelung des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO sein kann. Dort wird lediglich die Berücksichtigungsfähigkeit von Mehrbedarfen nach § 21 SGB II bzw. § 30 SGB XII geregelt. Ausweislich dieser gesetzlichen Bestimmungen sind Mehrbedarfe für Kinderbetreuung nur für Alleinerziehende vorgesehen, nicht aber für zusammenlebende, gemeinsam erziehende Eltern. Die fehlende Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten in Kindertagesstätten rechtfertigt sich jedoch aus den vorgenannten Gründen unter dem Gesichtspunkt der besonderen Belastung nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">(2)              Ein Kind, welches das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt gemäß § 24 Abs. 3 SGB VIII Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung, wobei ein Kind bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in der Kindertagespflege gefördert werden kann. Diese Voraussetzungen sind bei dem Sohn des Klägers erfüllt, weil dieser am 16. Februar 2014 geboren wurde und damit bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung das dritte Lebensjahr vollendet hatte. Die Kosten für die Unterbringung in der Kindertagesstätte sind daher abzugsfähig. Diese betrugen bei Antragstellung 81,17 Euro, der Kläger hat angegeben, hiervon die Hälfte zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">bb)              Die Kosten des Mittagessens in der Kindertagesstätte sind als besondere Belastung gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO einkommensmindernd zu berücksichtigen. Diese Kosten sind ebenfalls nicht bereits im Regelsatz und damit auch nicht im Freibetrag enthalten. Gemäß § 34 Abs. 6 Nr. 2 SGB XII bzw. § 28 Abs. 6 Nr. 2 SGB II sind die Kosten einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in Kindertageseinrichtungen als Mehrbedarfe für Bildung und Teilhabe anerkannt, wobei gemäß § 9 RBEG ein Eigenanteil von 1,00 Euro je Mittagessen in Abzug zu bringen ist (vgl. LAG Baden-Württemberg – a. a. O. – II. 3. a) der Gründe). Ausweislich des vorgelegten Belegs betragen die Kosten für das Mittagessen 3,00 Euro pro Tag. Nach Abzug des Eigenanteils verbleiben 2,00 Euro. Bei einer durchschnittlichen monatlichen Besuchszeit von 20 Tagen sind danach 40,00 Euro als Kosten für das Mittagessen abzugsfähig. Auch hier hat der Kläger bei Antragstellung angegeben, die Hälfte zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">f)              Das einzusetzende Einkommen des Klägers zum Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidung über sein Prozesskostenhilfegesuch errechnet sich demnach wie folgt:</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Nettoeinkommen              1.626,72 Euro</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">- Erwerbstätigenfreibetrag              -219,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">- persönlicher Freibetrag              -481,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">- Freibetrag Kind              -275,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">- Versicherungen              -25,58 Euro</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">- Geförderte Altersvorsorge              -40,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">- Miet-, Heiz- und Nebenkosten              -425,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">- Kosten Kindergarten              -40,59 Euro</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">- Kosten Verpflegung des Kindes              -20,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">einzusetzendes Einkommen              100,55 Euro</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Das einzusetzende Einkommen rechtfertigte gemäß § 115 Abs. 2 ZPO zum Zeitpunkt der Berechnung maximal eine Rate von 50,00 Euro. Der Kläger war danach bereits zum Zeitpunkt der Festsetzung der Raten auf 179,00 Euro nicht entsprechend leistungsfähig, was ein Verschulden an dem Ratenrückstand ausschließt.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">3.              Das gilt auch unter Berücksichtigung der aus der aktuellen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ersichtlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse, welche der Kläger mit Schriftsatz vom 8. September 2018 überreicht hat. Daraus ergibt sich zwar, dass seine Lebensgefährtin nunmehr seit dem 1. Januar 2018 Arbeitseinkommen bezieht. Dies führt jedoch nicht zu einem einzusetzenden Einkommen beim Kläger. Wegen der Einzelheiten zur Ermittlung des einzusetzenden Einkommens wird zunächst auf die diesem Beschluss als Anlage beigefügte Berechnung Bezug genommen. Erläuternd ist hierzu Folgendes auszuführen:</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">a)              Der Kläger verfügt nunmehr über ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 1.922,82 Euro. Dies ergibt sich aus der von ihm vorgelegten Abrechnung für den Monat Juli 2018. Auf Grundlage der dort ausgewiesenen Gesamtbeträge für Bruttoeinkommen, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen errechnet sich das genannte durchschnittliche Nettoeinkommen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">b)              Von diesem Einkommen sind für den Kläger persönlich dessen Freibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO in Höhe von 481,00 Euro, der Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b) ZPO in Höhe von 219,00 Euro sowie die Arbeitsmittelpauschale in Höhe von 5,20 Euro abzusetzen. Darüber hinaus beträgt der berücksichtigungsfähige Freibetrag für sein Kind weiterhin 275,00 Euro.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">c)              Unterkunftskosten, Versicherungen und Kinderbetreuungskosten sind als gemeinsam vom Kläger und seiner Lebensgefährtin getragene Kosten zwischen diesen aufzuteilen, nachdem Letztere seit dem 1. Januar 2018 auch über Arbeitseinkommen verfügt</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">aa)              Sowohl bei den gemeinsam getragenen besonderen Belastungen im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO als auch bei den Kosten der gemeinsamen Unterkunft ist für die Berechnung des von dem Einkommen der antragstellenden Partei abzusetzenden Betrages auf das Verhältnis der „unbereinigten“, d. h. ohne weitere Abzüge nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b) bis 5 ZPO zur Verfügung stehenden Nettoeinkommen der im gemeinsamen Haushalt lebenden, verdienenden Bewohner abzustellen (vgl. LAG Hamm 6. März 2012 – 14 Ta 629/11 – 3. d) cc) der Gründe; LAG Düsseldorf 23. März 2010 – 3 Ta 163/10 – 3. der Gründe, jeweils m. w. N.).</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">bb)              Die Lebensgefährtin des Klägers verdient seit Januar 2018 ausweislich der vorgelegten Abrechnung für den Monat Juli 2018 durchschnittlich 706,61 Euro netto monatlich. Dieser Betrag ergibt sich aus den in der Abrechnung ausgewiesenen Gesamtbeträgen aus Bruttoeinkommen, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen für das laufende Jahr. Hinzuzurechnen ist das Kindergeld in Höhe von 194,00 Euro, was zu einem monatlichen Einkommen von 900,61 Euro führt.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">cc)              Die gemeinsam mit der Lebensgefährtin zu tragenden Belastungen ergeben sich zum einen aus den Unterkunftskosten, die nunmehr 950,00 Euro betragen. Aus dem vorgelegten Beleg ergibt sich, dass diese Kosten für die Wohnung von dem gemeinsamen Konto des Klägers und seiner Lebensgefährtin gezahlt werden. Darüber hinaus sind die nunmehr noch nachgewiesene Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 87,41 Euro (Haftpflichtversicherung 12,06 Euro, Hausratversicherung 24,78 Euro, Glasversicherung 9,40 Euro, Kraftfahrzeugversicherung 41,17 Euro) sowie die Kinderbetreuungskosten für die Unterbringung des gemeinsamen Kindes in einer Kindertagesstätte in Höhe von insgesamt 122,39 Euro (82,39 Euro Beitrag Kreis X, 40,00 Euro Essensgeld) entsprechend als Abzugsposten zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">dd)              Die Gesamtbelastungen in Höhe von 1.163,80 Euro sind im Verhältnis der Einkommen des Klägers (in Höhe von 1.922,82 Euro) und seiner Lebensgefährtin (in Höhe von insgesamt 900,61 Euro) aufzuteilen. Danach trägt der Kläger von den Versicherungsbeiträgen 59,53 Euro, von der Miete 646,97 Euro und von den Kinderbetreuungskosten 83,35 Euro.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">d)              Schließlich steht dem Kläger als weitere gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO zu berücksichtigende besondere Belastung für die Unterhaltslasten, die er für seine Lebensgefährtin erbringt, ein Abzugsbetrag zu, welcher sich hinsichtlich der Höhe nach dem Freibetrag für Ehegatten bzw. eingetragene Lebenspartner gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO richtet.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">aa)              Zwar kann für nichteheliche Lebensgefährten dieser Freibetrag grundsätzlich nicht gewährt werden, denn ihnen gegenüber besteht keine gesetzliche Unterhaltspflicht. Laufende Unterhaltsleistungen können aber besonderen Belastungen im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO sein, soweit sie einer sittlichen Pflicht oder einer Rücksichtnahme auf den Anstand entsprechen (vgl. Dürbeck/Gottschalk, a. a. O., Rn. 298; Zöller/Geimer, a. a. O., § 115 ZPO Rn. 40 jeweils m. w. N.). Lebt z. B. der Bezieher von Prozesskostenhilfe mit der Mutter seines nichtehelichen Kindes in einem gemeinsamen Haushalt zusammen, dessen Aufwendungen er zumindest im Wesentlichen allein bestreitet, so sind diese Aufwendungen als besondere Belastungen zu berücksichtigen, weil er sich diesen Aufwendungen aus moralischen und sittlichen Gründen nicht entziehen kann (vgl. LAG Hamm 31. März 1992 – 7 Ta 115/92; OLG Stuttgart 15. Oktober 2004 – 8 WF 112/04 – II. 2. der Gründe).</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">bb)              Entsprechendes gilt, wenn die Partei, welche Prozesskostenhilfe beantragt hat, mit einer weiteren Person, ohne mit dieser verheiratet zu sein oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zu leben, in einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II lebt (vgl. LAG Hamm 16. September 2018 – 5 Ta 11/18 – II. 1. b) der Gründe; LAG Berlin-Brandenburg 20. Dezember 2010 – 26 Ta 2314/10 – II. 2. b) der Gründe; OLG Karlsruhe 15. Dezember 2015 – 16 WF 258/15 – II. 6. c) der Gründe). Nach dieser Bestimmung erhalten auch Personen Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Hierzu gehört auch diejenige, welche mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Dies ist nach § 7 Abs. 3a SGB II dann anzunehmen, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben, mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Ausreichend ist das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft, die so ausgestaltet ist, dass sich eine gewisse Ausschließlichkeit der Beziehung ergibt, die keine vergleichbare Beziehung daneben zulässt (vgl. BSG 23. August 2012 – B 4 AS 34/12 R – Rn. 20; LAG Hamm – a. a. O.). Im vorliegenden Fall waren und sind die Voraussetzungen einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II beim Kläger, der mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn in einem gemeinsamen Haushalt lebt, offensichtlich erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Folge der Bedarfsgemeinschaft ist, dass gemäß § 9 Abs. 2 SGB II die Einkünfte des Antragstellers bei einer von seiner Lebensgefährtin beantragten Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bei der Prüfung der Bedürftigkeit heranzuziehen wären. Sind Einkommen oder Vermögen bei weiteren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft vorhanden, wird erwartet, dass jedes Mitglied dieses zur Deckung des Gesamtbedarfes aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einsetzt, weshalb eine eigene Bedürftigkeit des grundsätzlich Leistungsberechtigten unter Umständen nicht mehr besteht, weil sein Bedarf durch den Lebenspartner gedeckt werden kann (vgl. LAG Hamm 16. September 2018 – 5 Ta 11/18 – II. 1. b) der Gründe).</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">cc)              Bei Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ist anerkannt, das Unterhaltsleistungen zu Gunsten der Lebensgefährtin bzw. des Lebensgefährten im Rahmen der besonderen Belastungen nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO Berücksichtigung finden (vgl. LAG Hamm 16. September 2018 – 5 Ta 11/18 – II. 1. b) der Gründe; LAG Berlin-Brandenburg 20. Dezember 2010 – 26 Ta 2314/10 – II. 2. b) aa) der Gründe; OLG Karlsruhe 7. November 2007 – 16 WF 164/07 – 2. d) bb) der Gründe). Das Einkommen der bedürftigen Partei kann nicht ungeschmälert als einzusetzendes Einkommen im Rahmen der Prozesskostenhilfe in Ansatz gebracht werden, wenn aus Sicht des SGB II es ihr nicht in vollem Umfang für den eigenen Lebensbedarf zur Verfügung steht, sondern auch für weitere Personen einer Bedarfsgemeinschaft einzusetzen ist (vgl. OLG Karlsruhe 15. Dezember 2015 – 16 WF 258/15 – II. 6. c) der Gründe; OLG Frankfurt 28. April 2015 – 5 WF 107/15 – juris, Rn. 2; KG Berlin – 30. März 2006 – 3 WF 42/06 – juris, Rn. 5). Sehen gesetzliche Regelungen unabhängig von einer ausdrücklichen Anerkennung einer Lebensgemeinschaft gleichwohl eine gesetzliche Einstandspflicht zweier Personen füreinander vor, kann dem schlechterdings im Rahmen einer anderen sozialrechtlich ausgeprägten Regelung nicht entgegengehalten werden, dass es sich um eine freiwillige Unterhaltsleistung handelt, die nicht berücksichtigt werden kann. Faktisch ist diese Pflicht aufgrund der Regelungen des SGB II vorhanden (vgl. LAG Hamm – a. a. O.). Dieser faktischen Unterhaltslast könnte die Partei nur entgehen, wenn sie die Lebens- und Bedarfsgemeinschaft beendet. Es ist ihr jedoch nicht zuzumuten, ihre Lebensgemeinschaft zu beenden, um freiwerdende Mittel für die Prozesskosten einsetzen zu können (vgl. OLG Düsseldorf 7. September 2009 – 8 WF 63/09 – juris, Rn. 3; OLG Dresden 2. März 2009 – 24 WF 116/09 – juris, Rn. 7).</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">dd)              Grundlage für die Anrechnung tatsächlicher Unterhaltsleistungen in einer Bedarfsgemeinschaft zweier eheähnlich zusammen lebender Menschen ist der Freibetrag des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">(1)              Teilweise wird vertreten, dass eine Berücksichtigung nur in der Höhe erfolgen kann, soweit die Einkünfte der Partei, die Prozesskostenhilfe begehrt, bei der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an die Lebensgefährtin bzw. den Lebensgefährten im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft herangezogen bzw. diesen Personen als Unterhalt von ihrer Sozialleistung abgezogen wurden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 20. Dezember 2010 – 26 Ta 2314/10 – II. 2. b) aa) der Gründe; KG Berlin – 30. März 2006 – 3 WF 42/06 – juris Rn. 6; OLG Frankfurt 28. April 2015 – 5 WF 107/15 – Rn. 3; OLG Dresden 2. März 2009 – 24 WF 116/09 – Rn. 7; Zöller/Geimer, a. a. O., § 115 ZPO Rn. 40). Als besondere Belastung anzurechnen seien Beträge bis zur Höhe des Regelbedarfs (vgl. OLG Düsseldorf 7. September 2009 – 8 WF 63/09 – juris, Rn. 4). Nur insoweit werde die Partei im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft herangezogen und nur insoweit könne deshalb ihr einzusetzende Einkommen vermindert werden (KG Berlin – a. a. O.). Mangels gesetzlicher Unterhaltspflicht könne der Freibetrag des § 115 Abs. 2 Satz Nr. 2 a) ZPO weder unmittelbar noch analog Anwendung finden (vgl. OLG Frankfurt – a. a. O. – Rn. 2; OLG Dresden – a. a. O. – Rn. 5).</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">(2)              Zutreffend ist es jedoch, im Falle von Unterhaltsleistungen in der Bedarfsgemeinschaft einer eheähnlichen Gemeinschaft auf die gesetzlichen Freibeträge nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO abzustellen. Maßgeblich sind prozesskostenhilferechtliche, nicht sozial(hilfe)rechtliche Kriterien (vgl. OLG Karlsruhe 7. November 2007 – 16 WF 164/07 – 2. d) cc) der Gründe). Schon aus Vereinfachungsgründen, insbesondere wenn im Hinblick auf die bestehende Bedarfsgemeinschaft erst gar kein Leistungsantrag gestellt wurde, können Unterhaltsleistungen bis zu den sich aus § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO ergebenden Beträgen als besondere Belastung Berücksichtigung finden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg – 20. Dezember 2010 – 26 Ta 2314/10 – II. 2. b) aa) der Gründe). Ebenso wenig bedarf es bei erwerbstätigen Partnern einer Berechnung des Unterhaltsbedarfs anhand der teilweise andere Wertungen beinhaltenden Regelungen des SGB II oder des SGB XII (vgl. OLG Karlsruhe – a. a. O. – 2. d) cc) bbb) der Gründe). Schließlich ist es im Prozesskostenhilferecht sachlich naheliegend, dessen spezifische Wertungen zur – pauschalen (vgl. OLG Karlsruhe – a. a. O. – 2. d) cc) aaa) der Gründe) – Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen anzuwenden, selbst wenn der Anknüpfungstatbestand die sozialrechtliche Regelung der Bedarfsgemeinschaft ist.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Zwar kommt die Partei dadurch in den Genuss von Entlastungen, die über dem Regelbedarf nach § 28 SGB II für ihren Partner bzw. Partnerin hinausgehen. Der in den Freibeträgen des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO enthaltene Sicherheitszuschlag von 10 % auf den Regelsatz soll berücksichtigen, dass dem Leistungsberechtigten nach den Vorschriften des SGB XII über den monatlichen Regelsatz hinaus Leistungen durch Einmalzahlungen, etwa nach § 31 SGB XII, zufließen können, und dass bei einer künftigen Erhöhung der Regelsätze im Laufe einer mehrjährigen Ratenzahlungsverpflichtung Prozesskostenhilfe nicht aus einem Einkommen zurückgezahlt werden muss, das der Sicherung des Existenzminimums dient (Zöller/Geimer, a. a. O., § 115 ZPO Rn. 28). Dies gilt auch für Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft. Selbst wenn es sich bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe um eine Sozialleistung handelt, ist § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO eine Härteklausel, die verhindern soll, dass sich eine Partei in ihrer Lebensführung wegen des Prozesses wesentlich einschränken muss (vgl. LAG Hamm 30. August 2017 – 5 Ta 419/17 – II. der Gründe; 6. März 2012 – 14 Ta 48/12 – 1. b) der Gründe; LAG Rheinland-Pfalz 28. Dezember 2011 – 6 Ta 241/11 – II. der Gründe). Dies rechtfertigt es, tatsächliche Unterhaltslasten in einer eheähnlichen Gemeinschaft im Rahmen einer pauschalierten Berücksichtigung entsprechend den gesetzlichen Unterhaltspflichten als besondere Belastung zu behandeln.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">(3)              Im Übrigen genügt für die Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen der bloße Bestand der Bedarfsgemeinschaft. Es ist nicht erforderlich, dass die Einkünfte der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei im Rahmen einer Beantragung von Leistungen nach dem SGB II durch die Lebensgefährtin bzw. den Lebensgefährten tatsächlich angerechnet wurden. Ausreichend ist es, wenn das Einkommen der Partei berücksichtigt werden könnte. Die tatsächliche Unterhaltslast richtet sich nicht nach der faktischen Notwendigkeit eines Antrages auf Leistungen nach dem SGB II für ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">(4)              Ist danach grundsätzlich der Höhe nach ein Freibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO zu Gunsten der Lebensgefährtin zu berücksichtigen, so gilt für diesen ebenfalls, dass eigene Einkünfte gemäß § 115 Abs. 1 Satz 7 ZPO den abzusetzenden Betrag mindern. Das gemäß dieser Bestimmung anzurechnende Einkommen ist dabei grundsätzlich wie das Einkommen der antragstellenden Partei selbst nach § 115 ZPO zu berechnen, mit Ausnahme des Freibetrages zugunsten des gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kindes (vgl. näher LAG Hamm 6. März 2012 – 14 Ta 629/11 – 3. c) aa) der Gründe, <em>unzutreffend</em> OLG Karlsruhe 7. November 2007 – 16 WF 164/07 – 2. d) cc) ccc) der Gründe, welches das volle Einkommen anrechnen will).</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">ee)              Die Summe der Abzüge der Lebensgefährtin beträgt unter Berücksichtigung des Erwerbstätigenfreibetrages 219,00 Euro, der Werbungskostenpauschale von 5,20 Euro, der gemeinsam zu tragenden Mietkosten in Höhe von 303,03 Euro und den weiteren gemeinsamen Belastungen in Höhe von 66,92 Euro insgesamt 595,43 Euro, so dass ein gemäß § 115 Abs. 1 Satz 7 ZPO anzurechnendes Einkommen von 306,46 Euro verbleibt. Die vom Einkommen des Klägers abzusetzende besondere Belastung nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO beträgt noch 174,54 Euro.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">e)              Unter Berücksichtigung sämtlicher vorgenannter abzugsfähiger Beträge ergibt sich ein negatives Einkommen von 21,77 Euro. Der Kläger ist auch seit dem 1. Januar 2018 trotz seines im Verlaufe des Jahres höheren eigenen und des zusätzlichen Einkommens seiner Lebensgefährtin und ihres höheren Anteils an den gemeinsam zu tragenden Kosten nicht leistungsfähig gewesen, so dass ihn weiterhin kein Verschulden an dem Ratenrückstand trifft.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">4.              Das Arbeitsgericht wird nunmehr über den ausdrücklich gestellten Abänderungsantrag des Klägers vom 8. September 2018 zu entscheiden haben. Entgegen seiner im Schreiben vom 17. Oktober 2018 geäußerten Auffassung liegt sehr wohl eine Veränderung allein deswegen vor, weil der Kläger über ein höheres Einkommen verfügt als zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch am 15. Januar 2018. Es wird darüber hinaus zu berücksichtigen haben, dass nach dem Bewilligungsbeschluss vom 15. Januar 2018 weitere Änderungen durch die Erhöhung der Miete sowie die mit dem Kreis T im Februar 2018 vereinbarten Ratenzahlungen ab 15. März 2018 eingetreten sind. Eine Berücksichtigungsfähigkeit der zuletzt genannten Verbindlichkeit scheidet nicht von vornherein aus, selbst wenn diese erst nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe entstanden ist (vgl. LAG Hamm 3. März 2010 – 14 Ta 649/09 – 3. der Gründe; zu den Voraussetzungen einer Berücksichtigung vgl. LAG Hamm 30. April 2012 – 4 Ta 662/11 – II. der Gründe; 31. Mai 2010 – 14 Ta 98/10 – juris, Rn. 2).</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Dabei ist darauf hinzuweisen, dass eine Abänderung der Prozesskostenhilfeentscheidung nach Eintritt einer wesentlichen Veränderung nicht isoliert nach dieser Veränderung vorgenommen werden kann, sondern nach den dann bestehenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu überprüfen ist, ob und in welcher Höhe die Anordnung von Ratenzahlungen gerechtfertigt ist. Das erfordert die Berücksichtigung von ursprünglich bei Bewilligung bereits bestehenden, aber bislang nicht geltend gemachten Belastungen (vgl. LAG Hamm 3. März 2010 – 14 Ta 649/09 – 3. der Gründe). Entsprechendes gilt für Belastungen, die zu Unrecht nicht berücksichtigt wurden.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass maßgeblich für den Zeitpunkt der Abänderung nicht die Mitteilung an das Gericht, sondern der Eintritt der Veränderung ist. Die ursprüngliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlungsanordnung kann bei einem Antrag auf Abänderung nach § 120a Abs. 1 ZPO rückwirkend bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem die Veränderung eingetreten ist, abgeändert werden. Bei der ursprünglich festgesetzten Ratenzahlungsordnung hat es nur bis zu diesem Zeitpunkt zu verbleiben (vgl. dazu näher LAG Hamm 19. Oktober 2015 – 5 Ta 395/15 – II. 2. der Gründe; 20. September 2013 – 14 Ta 448/13 – juris, Rn. 3).</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">5.              Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.</p>
|
171,327 | olgham-2018-12-18-4-ws-190-192-225 | {
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<p>1. Auf die Beschwerden der Staatsanwaltschaft werden die Beschlüsse des Landgerichts Detmold vom 31.08.2018 (23 Qs 114 und 116/18) aufgehoben.</p>
<p>Die Kosten dieser Beschwerdeverfahren trägt der Beschuldigte.</p>
<p>2. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Detmold vom 27.08.2018 (23 Qs 115/18) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 10.09.2018 wird als unbegründet verworfen.</p>
<p>Die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten darin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.</p>
<p>3. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Landgerichts Detmold vom 27.08.2018 (23 Qs 115/18) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 10.09.2018 wird auf Kosten des Beschuldigten als unbegründet verworfen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Staatsanwaltschaft Detmold führt gegen den Beschuldigten B sowie weitere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren u. a. wegen des Vorwurfs des Betruges. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens hat das Amtsgericht Detmold auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschlüssen vom 15.05.2018 den Arrest in Höhe von 675.201,65 Euro in das Vermögen des Beschuldigten B (2 Qs 1054/18), den Arrest in Höhe von 95.485 Euro in das Vermögen der B Services UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG (2 Qs 1055/18) und mit Beschluss vom 11.06.2018 den Arrest in Höhe von 408.427,43 Euro in das Vermögen der B UG (haftungsbeschränkt) (2 Gs 1251/18), welche vormals B Verwaltungs UG (haftungsbeschränkt) hieß, angeordnet. Geschäftsführer der B UG (haftungsbeschränkt) ist der Beschuldigte.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">In den Beschlussgründen der im Wesentlichen gleichlautenden Beschlüsse heißt es:</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">„Bei dem Beschuldigten B handelt es sich um den Geschäftsführer der B Verwaltungs UG, welche ihrerseits die Komplementärin der B Services UG & Co. KG ist. Der Beschuldigte B ist nach den bisherigen Ermittlungen verdächtigt, mit Hilfe seiner Mitarbeiter, den Mitbeschuldigten D und H, mit mindestens 330 Personen, darunter mit dem Mitbeschuldigten M1, Datennutzungsverträge abgeschlossen zu haben. In diesen Verträgen verpflichteten sich die Datengeber, dem Beschuldigten B ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Dafür erhielten die Datengeber eine einmalige „Wettgewinnbeteiligung“ von bis zu 250 €. Mit diesen Daten errichtete der Beschuldigte B für mindestens 330 Personen Spielerkonten auf der Sportwettenplattform c der Betreiberin S GmbH sowie weiteren Online-Wettanbietern. Da er in jedem einzelnen Fall unterschiedliche Personendaten angab und vermutlich für jede einzelne Registrierung eine andere virtuelle Windows-Maschine nutzte, erweckte er so bei jeder neuen Registrierung den Eindruck, dass es sich bei ihm um einen Neukunden handeln würde. Nach Abschluss der jeweiligen Registrierung zahlte er auf die jeweiligen Spielerkonten Beträge von 100 € bzw. 110 € ein. Daraufhin erhielt er jeweils den ihm nicht zustehenden Neukundenbonus in Höhe von jeweils 100 €.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Da auch nach der zuletzt im Oktober 2017 in dieser Sache erfolgten Durchsuchung weiterhin Wetteingänge verzeichnet sind, ist davon auszugehen, dass die Beschuldigten weiterhin gleich gelagerte Straftaten begehen und möglicherweise auch neue Datengeber angeworben haben. Darüber hinaus konnte ermittelt werden, dass die Beschuldigten auch zum Nachteil von anderen Wettanbietern als der S GmbH nach dem oben beschriebenen System vorgegangen sind.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Es besteht folglich der dringende Verdacht des gemeinschaftlichen besonders schweren Falls des Computerbetruges gem. §§ 263a Abs. 1, Abs. 2, 263 Abs. 3 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB (gewerbsmäßig) sowie der Fälschung beweiserheblicher Daten gem. § 269 StGB.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Es bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen des § 111e StPO i. V. m. § 73 Abs. 1, § 73c StGB vorliegen und dass gegen den Beschuldigten die Einziehung des genannten Geldbetrages angeordnet werden wird. Der Beschuldigte hat durch die Begehung der genannten Taten hohe Geldbeträge erlangt. Gemäß § 73c StGB ist daher die Einziehung eines Geldbetrages anzuordnen, der dem Wert des Erlangten entspricht. Das aus der Tat Erlangte umfasst die jeweils betrügerisch erlangten Neukundenboni. Die jeweils selbst eingesetzten Zahlungen, um erst die Neukundenboni erhalten zu können, sind nicht abzugsfähig, da diese gem. § 73d Abs. 1 S. 2 StGB für die Begehung der Taten aufgewendet worden sind. Darüber hinaus unterliegen auch die Gewinne der Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB. Diese Gewinne hat der Beschuldigte zwar nicht direkt aus der Tat erlangt. Der Gesetzgeber hat jedoch dieses strenge Erfordernis gerade aufweichen wollen und daher die Formulierung von „aus“ zu „durch die Tat erlangt“ geändert. Zwar ist der Kommentierung bei Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Aufl. 2018, § 73 Rn. 33, zu entnehmen, dass die Abschöpfung mittelbaren Gewinns auch nach der neuen Gesetzesfassung nicht möglich sei. Hierbei ist jedoch zu sehen, dass es sich bei den dort zitierten Urteilen ausschließlich um solche handelt, die nach der alten Rechtslage ergangen sind. Die Tragweite dieser Änderung ist hingegen direkt der Gesetzesbegründung zu entnehmen (Bt-Drs. 18/9525, S. 55). Demnach sollen nicht nur „direkt“, sondern auch „indirekt“ durch eine Straftat erlangte wirtschaftliche Vorteile einzuziehen sein. Mit der Begriffsänderung wurde auch auf das vom 5. Strafsenat des BGH entwickelten ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit reagiert, welches nunmehr nicht mehr Voraussetzung ist (so auch Köhler, NStZ 2017, 497). Der hiesigen Auslegung steht auch nicht entgegen, dass bei einer derart weiten Auslegung des § 73 Abs. 1 StGB die Regelung in § 73 Abs. 3 StGB überflüssig erscheint. Denn letztere bezieht sich lediglich auf Surrogate, bei Gewinnen aus Glücksspielen handelt es sich aber gerade nicht um Surrogate.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Gewinne sind sowohl auf Konten des Beschuldigten B selbst sowie auf den Geschäftskonten der oben genannten UG und der KG eingegangen. Der Beschuldigte ist jedoch Verfügungsberechtigter dieser Geschäftskonten und hat die Firmen ausschließlich zur Durchführung der zuvor beschriebenen Taten gegründet. Folglich hat er selbst sämtliche Gewinne erlangt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Vermögensarrest ist zur Sicherung der Vollstreckung einer zukünftigen Einziehungsentscheidung erforderlich, da zu befürchten ist, dass der Beschuldigte nunmehr bei Kenntnis der Sach- und Rechtslage alles tun wird, um sein Vermögen dem staatlichen Zugriff zu entziehen. Der Beschuldigte ist gelernter Bankkaufmann, sodass es ihm ein Leichtes ist, die erlangten Beträge zu verschieben und die Herkunft zu verschleiern – dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass er bereits ein kompliziertes System von Hin- und Herüberweisungen ersonnen hat, das nur schwer zu durchschauen ist.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Anordnung des Vermögensarrestes ist trotz seiner für den Beschuldigten nachteiligen Folgen angesichts der Schwere und Bedeutung der Straftat sowie des staatlichen Interesses an der Abschöpfung inkriminierten Vermögens und den Interessen der durch die Straftat Verletzten verhältnismäßig.“</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Gegen diese Beschlüsse hat der Beschuldigte mit drei gesonderten Schriftsätzen seines Verteidigers Rechtsanwalt M, dieser vertreten durch Rechtsanwalt Q1, Beschwerde eingelegt. In der Beschwerdebegründung führt er aus, dass die „angeblichen Gewinne aus Wetten“ nicht der Einziehung unterlägen und daher auch nicht arretiert werden dürften. Es handele sich nur um mittelbare Gewinne. Auch die Neukundenboni seien nicht vom Anwendungsbereich des § 73 Abs. 1 StGB erfasst. Das Bonusgeld sei nicht auszahlungsfähig, sondern unterliege einer Sperre, solange es nicht mindestens fünfmal auf Einzel –oder Kombinationswetten von einer Quote von jeweils mindestens 1,80 eingesetzt worden sei. Es fehle an einer faktischen Verfügungsgewalt über das Bonusgeld, welche aber Voraussetzung für die Anwendung von § 73 Abs. 1 StGB sei.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Mit den nunmehr angefochtenen Beschlüssen hat das Landgericht Detmold den Beschluss des Amtsgerichts Detmold vom 11.06.2018 (2 Gs 1251/18) und den Beschluss des Amtsgerichts Detmold vom 15.05.2018 (2 Gs 1055/18) – also die Beschlüsse, welche die Arreste in das Vermögen der Gesellschaften betrafen – aufgehoben und den Arrestbeschluss betreffend den Beschuldigten B selbst dahin abgeändert, dass der Arrestbetrag nur 33.000 Euro beträgt (der ursprünglich auf 330.000 Euro festgesetzte Arrestbetrag wurde mit Berichtigungsbeschluss vom 10.09.2018 auf 33.000 Euro korrigiert).</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">In den im Wesentlichen gleichlautenden Beschlüssen heißt es u. a.:</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">„1.1.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass vorliegend aufgrund des oben dargestellten Sachverhaltes der dringende Verdacht einer rechtswidrigen Tat, nämlich jedenfalls des gemeinschaftlichen Betruges in einem besonders schweren Fall gemäß §§ 263, Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB zu Lasten des Beschuldigten B besteht.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">1.2.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Beschuldigte B hat durch diese Tat etwas im Sinne des § 73 StGB erlangt. Der Begriff „Etwas“ umfasst alle tatsächlich erlangten wirtschaftlichen Werte, welche nach dem Bruttoprinzip zu bestimmen sind.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">1.2.1.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Beschuldigte B hat durch seine betrügerische Vorgehensweise in mindestens 330 Fällen Neukundenboni in Höhe von jeweils 100,00 Euro, also insgesamt einen Betrag in Höhe von jedenfalls 330.000,00 Euro erhalten. Dass ihm dieser Vermögenswert nicht in bar zugegangen ist, sondern in Form von Spielgeld auf einem Bonuskonto gutgeschrieben wurde, ist unerheblich [vgl. Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 73 Rn. 27].</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Der Annahme eines geldwerten Vorteils steht insofern nicht entgegen, dass die Einzahlung von jeweils 100 Euro „Echtgeld“ zur Aktivierung des Neukundenbonus erforderlich war und die Auszahlung des Bonus eine bestimmte Anzahl von Wetten und gewisse Wettumsätzen erforderte. Denn Vermögenswerte sind nicht nur dann aus einer Tat erlangt, wenn sie dem Täter ohne weitere (Zwischen)Schritte zufließen [vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 1 StR 336/11 -, juris]. Es genügt, dass der Tatbeteiligte zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand erlangt hat. Dies ist der Fall, wenn er im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen konnte [vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 – 5 StR 623/17 -, juris]. So lag es hier. Mit der Gutschrift auf dem jeweiligen Spielerkonto erhielt der Beschuldigte B die faktische Verfügungsgewalt über die generierten Neukundenboni. Es lag allein in seiner Hand, die weiteren Voraussetzungen für die Auszahlung der Boni zu schaffen.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Soweit es in diesem Zusammenhang später zu Hin- und Herüberweisungen auf verschiedene Konten des Beschuldigten B sowie der Beschwerdeführerin bzw. der B Services UG & Co. KG und in dessen Folgen zu der Vermischung der Neukundenboni mit dem sonstigen Vermögen des Beschuldigten B kam, ist dies ebenfalls unbeachtlich [vgl. Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 73 Rn. 27].</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Das vom Beschuldigten B zur Aktivierung des Neukundenbonus jeweils gezahlte „Echtgeld“ ist nach § 73 d Abs. 1 S. 2 HS 1 StGB nicht abzugsfähig, denn der Beschuldigte hat diese Beträge bewusst und gewollt für die Taten aufgewendet.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">1.2.2.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Anders als das Amtsgericht ist die Kammer allerdings zunächst der Ansicht, dass die durch den Einsatz der Neukundenboni erzielten Gewinne nicht der Einziehung nach § 73 StGB unterliegen. Denn diese hat der Beschuldigte B nicht durch die Tat selbst erlangt, sondern erst in deren Anschluss durch den Einsatz der durch die Tat erlangten Neukundenboni.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Dabei verkennt die Kammer nicht, dass mit der Neufassung des § 73 StGB durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 das „Bruttoprinzip“ gestärkt und die rechtlichen Möglichkeiten der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung erheblich ausgeweitet wurden. Erlangt sind nach der Gesetzesbegründung alle Vermögenswerte in ihrer Gesamtheit, die einem Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten aus der Verwirklichung des Tatbestandes zugeflossen sind. Auf eine unmittelbare Kausalbeziehung zwischen Tat und Bereicherung kommt es nicht an, vielmehr sind auch „indirekt“ durch eine Straftat erlangte wirtschaftliche Vorteile einzuziehen [vgl. BT-Drs. 18/9525]. Erforderlich ist indes weiterhin, dass die Vermögensvorteile dem Tatbeteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs zufließen [vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2010 – 4 StR 277/10 -juris]. Demzufolge erstreckt sich die Einziehung nach § 73 StGB nicht auf Vorteile, welche der Tatbeteiligte erst durch Verwendung des ursprünglich durch die Tat Erlangten erzielt [vgl. BGH, Urteil vom 03. November 2005 -3 StR 183/05 -, juris; Fischer, aaO., § 73 Rn. 33]. Eine Vermögensabschöpfung über das aus der Tat selbst erlangte hinaus ist vielmehr nur unter den Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB möglich. Um Nutzungen im Sinne des § 100 BGB oder aber Surrogate (§ 818 Abs. 1 BGB) handelt es sich bei den hier verfahrensgegenständlichen Wettgewinnen indes nicht.“</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Bzgl. der Arrestanordnungen in das Vermögen der Gesellschaften führt das Landgericht aus:</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">„Allerdings kann die Kammer anhand der bisherigen Aktenlage keine konkreten Feststellungen dazu treffen, ob und in welcher Höhe unrechtmäßig erlangte Neukundenboni auf die Konten der Beschwerdeführerin geflossen sind. Insofern ist der grundsätzlich zulässiger Vermögensarrest derzeit weder bezifferbar noch schätzbar (§ 73d Abs. 2 StPO). Der amtsgerichtliche Beschluss konnte insofern keinen Bestand haben.“</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Gegen die Beschlüsse haben die Staatsanwaltschaft Detmold und der Beschuldigte (dieser nur betreffend den Beschluss über die Arrestanordnung in sein eigenes Vermögen) weitere Beschwerde eingelegt.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Staatsanwaltschaft meint, dass der Beschuldigte die Wettgewinne erst durch den Einsatz der rechtswidrig erlangten Neukundenboni habe erlangen können. Ohne den Einsatz derselben und die widerrechtliche Nutzung zahlreicher weiterer Wettkonten im Rahmen des sog. Sure-Bets-Systems hätte er keine Gewinne in Höhe von 675.201,65 Euro machen können.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Der Beschuldigte bemängelt, dass eine rechtswidrige Tat nicht hinreichend konkretisiert sei. Es sei auch nicht näher geprüft worden, dass dem Beschuldigten in 330 Fällen die Neukundenboni tatsächlich zugeflossen seien.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">33</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">1. „auf die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Detmold den Beschluss des Landgerichtes Detmold vom 27.08.2018 in der Fassung des Beschlusses vom 10.09.2018 - 23 Qs 115/18 - aufzuheben und den Vermögensarrest in das Vermögen des Beschuldigten B wie folgt anzuordnen:</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">1.              Gemäß §§ 111e Abs. 1, 111j Absatz 1 StPO in Verbindung mit §§ 73, 73c StGB sowie §§ 263a Absatz 1, 2 in Verbindung mit § 263 Absatz 3 Satz 1, 2 Nummer 1 1. Alternative, 269 Absatz 1, 3 in Verbindung mit §§ 267 Absatz 3 Satz 1, 2 Nummer 1 1. Alternative, 270, 53 StGB wird zur Sicherung der Vollstreckung des Anspruchs auf Einziehung des Wertes von Taterträgen fürdas Land Nordrhein-Westfalenvertreten durch den Leitenden Oberstaatsanwalt in Detmold- Gläubiger -der Vermögensarrest in Höhe von 972.851,48  Euro in das bewegliche und unbewegliche Vermögen desB, geboren XX.XX.19XX</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">H-Straße XX, XXXXX E- Schuldner -angeordnet.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Der Schuldner haftet hinsichtlich der Teilbeträge in Höhe von 745.504,99 Euro und 49.376,12 Euro als Gesamtschuldner.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">2.              Durch Hinterlegung des oben genannten Geldbetrages kann derSchuldner die Vollziehung des Arrestes abwenden und die Aufhebung der Vollziehung des Arrestes beantragen (§ 111e Abs. 4 StPO).</p>
<span class="absatzRechts">39</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">2. auf die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Detmold den Beschluss des Landgerichtes Detmold vom 31.08.2018 23 Qs 114/18  aufzuheben und den Vermögensarrest in das Vermögen der Drittbeteiligten zu 1) wie folgt anzuordnen:</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">1. Gemäß §§ 111e Abs. 1, 111j Absatz 1 StPO in Verbindung mit §§ 73, 73b Absatz 1 Nummer 1, 73c StGB sowie §§ 263a Absatz 1, 2 in Verbindung mit § 263 Absatz 3 Satz 1, 2 Nummer 1 1. Alternative, 269 Absatz 1, 3 in Verbindung mit §§ 267 Absatz 3 Satz 1, 2 Nummer 1 1. Alternative, 270, 53 StGB wird zur Sicherung der Vollstreckung des Anspruchs auf Einziehung des Wertes von Taterträgen für</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">das Land Nordrhein-Westfalen</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">vertreten durch den Leitenden Oberstaatsanwalt in Detmold</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">- Gläubiger -</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">der Vermögensarrest in Höhe von 745.504,99 Euro in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">B UG (haftungsbeschränkt),</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">H-Straße XX, XXXXX E,</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">gesetzlich vertreten durch ihren Geschäftsführer B</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">- Schuldnerin -</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">angeordnet.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Schuldnerin haftet als Gesamtschuldnerin.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">2.              Durch Hinterlegung des oben genannten Geldbetrages kann die Schuldnerin die Vollziehung des Arrestes abwenden und die Aufhebung der Vollziehung des Arrestes beantragen (§ 111e Abs. 4 StPO).</p>
<span class="absatzRechts">53</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">3. auf die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Detmold den Beschluss des Landgerichtes Detmold vom 31.08.2018 - 23 Qs 114/18 aufzuheben und - unter Verwerfung der weiteren Beschwerde im Übrigen - den Vermögensarrest in das Vermögen der Drittbeteiligten zu 2) wie folgt anzuordnen:</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">1. Gemäß §§ 111e Abs. 1, 111j Absatz 1 StPO in Verbindung mit §§ 73, 73b Absatz 1 Nummer 1, 73c StGB sowie §§ §§ 263a Absatz 1, 2 in Verbindung mit § 263 Absatz 3 Satz 1, 2 Nummer 1 1. Alternative, 269 Absatz 1, 3 in Verbindung mit §§ 267 Absatz 3 Satz 1, 2 Nummer 1 1. Alternative, 270, 53 StGB wird zur Sicherung der Vollstreckung des Anspruchs auf Einziehung des Wertes von Taterträgen für</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">das Land Nordrhein-Westfalen</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">vertreten durch den Leitenden Oberstaatsanwalt in Detmold</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">- Gläubiger -</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">der Vermögensarrest in Höhe von 49.376,12 Euro in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">B Services UG (haftungsbeschränkt) und Co. KG,</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">H-Straße XX, XXXXX E,</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">vertreten durch die B UG (haftungsbeschränkt),</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">diese vertreten durch ihren Geschäftsführer B</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">- Schuldnerin -</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">angeordnet.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Die Schuldnerin haftet als Gesamtschuldnerin.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">2.              Durch Hinterlegung des oben genannten Geldbetrages kann die Schuldnerin die Vollziehung des Arrestes abwenden und die Aufhebung der Vollziehung des Arrestes beantragen (§ 111e Abs. 4 StPO).</p>
<span class="absatzRechts">68</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">4. die weitere Beschwerde des Beschuldigten B als unbegründet zu verwerfen,</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">70</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">5. Rechtsanwalt M als Vertreter der Drittbeteiligten zu 1)  zurückzuweisen,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">6. Rechtsanwalt M als Vertreter der Drittbeteiligten zu 2) zurückzuweisen.“</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Die Generalstaatsanwaltschaft hält den dringenden Verdacht des gewerbsmäßigen  Computerbetruges in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Fälschung beweiserheblicher Daten in mindestens 330 Fällen für gegeben. Sie meint, dass sowohl die Neukundenboni als auch die unter deren Nutzung erzielten weiteren Wettgewinne, die den jeweiligen Konten gutgeschrieben und später in Form von Überweisungen ausgekehrt worden seien, unmittelbar durch die Taten erlangte Vermögensvorteile darstellten, da die weiteren Wetten die Voraussetzungen des § 269 StGB erfüllten.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Die weiteren Beschwerden der Staatsanwaltschaft sind statthaft (§ 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 310 Rdn. 9; vgl. auch schon: Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. April 2011 – 1 Ws 129/11 –, juris) und auch im Übrigen zulässig. Soweit sie sich gegen die Aufhebung der Arrestanordnungen gegen die B Verwaltungs UG (haftungsbeschränkt) und die B Service UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG richten, sind sie begründet, im Übrigen unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">1.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Die Staatsanwaltschaft dringt mit ihren weiteren Beschwerden betreffend die Aufhebung der Arrestanordnungen gegen die B Verwaltungs UG (haftungsbeschränkt) und die B Service UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG durch, da das Landgericht verkannt hat, dass die von dem Beschuldigten insoweit eingereichten Rechtsmittel unzulässig waren. Der Beschuldigte ist durch die Arrestanordnungen in das Vermögen dieser Gesellschaft nicht unmittelbar beschwert, was aber Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels wäre (vgl. nur: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., Vor § 296 Rdn. 8 f). Die betroffene UG bzw. UG & Co. KG sind eigenständige Rechtspersönlichkeiten. Der Arrest in ihr Vermögen betrifft nicht unmittelbar auch die Rechtssphäre des Beschuldigten.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Allein der Beschuldigte – und nicht etwa der Beschuldigte als Vertreter für die Gesellschaften - hat aber Rechtsmittel gegen die Arrestanordnungen eingelegt. Dies ergibt sich aus Folgendem: Der die Rechtsmittel einlegende Rechtsanwalt M ist nicht von den Gesellschaften bevollmächtigt worden. Es befindet sich für ihn eine „Strafprozessvollmacht“, erteilt von „B“ zu „ meiner (unserer) Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen“, bei den Akten. Schon daraus ist erkennbar, dass der Beschuldigte allein eine Verteidigungs- und Vertretungsvollmacht im Strafverfahren für sich selbst, nicht aber für die Gesellschaften, die dort nicht genannt sind, erteilt hat. Auch die Beschwerdeeinlegungsschriftsätze lassen nicht erkennen, dass die Rechtsmittel für jemand anderes als den Beschuldigten eingelegt worden wären. Sie werden alle eingeleitet mit „In dem Ermittlungsverfahren gegen B u.a.“ und den jeweiligen Aktenzeichen, gefolgt von „lege ich …. Beschwerde ein“. Die Beschwerdebegründungen enden jeweils damit, dass „weder für den Beschuldigten noch für seinen Verteidiger“ die Grundlagen für den Arrest nachvollziehbar seien. Es wird also auch in den Beschwerden betreffend die Arrestanordnungen in das Vermögen der Gesellschaften nicht auf diese, sondern auf den Beschuldigten und seinen Verteidiger abgestellt. Allein der Umstand, dass in den Beschwerden betreffend die Gesellschaften auf die Existenzgefährdung für diese, bei der Beschwerde betreffend den Beschuldigten auf die Existenzgefährdung für ihn hingewiesen wird, reicht angesichts der geschilderten Umstände nicht aus, um annehmen zu können, dass Rechtsanwalt M auch die Gesellschaften im Beschwerdeverfahren vertritt, zumal er in diesem Falle zurückzuweisen wäre (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 04.01.2018 – III – 4 Ws 196/17 u.a. – juris). Auf einen entsprechenden gerichtlichen Hinweis hat der Verteidiger des Beschuldigten mit Schriftsatz vom 14.12.2018 bestätigt, dass die Ausgangsbeschwerden für den Beschuldigten eingelegt worden seien.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Angesichts dieser Umstände bedarf die beantragte Zurückweisung von Rechtsanwalt M als Vertreter der Drittbeteiligten keiner Bescheidung mehr. Er ist nicht für diese tätig geworden.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">2.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Unbegründet ist die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft, soweit sie sich gegen den landgerichtlichen Beschluss bzgl. des Beschuldigten B selbst wendet.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Es liegen (dringende) Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen (§ 111e Abs. 1 StPO), nur in Höhe einer Arrestsumme von 33.000 Euro vor, darüber hinaus hingegen nicht. Anwendbar sind § 111e Abs. 1 StPO sowie §§ 73, 73c StGB in ihrer aktuellen Fassung gem. Art. 316h EGStGB, auch wenn die Taten, derer der Beschuldigte verdächtig ist, vor dem 01.07.2017 begangen worden sein mögen.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Die Einziehung von Wertersatz setzt voraus, dass der Täter durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt hat (§ 73 Abs. 1 StGB) und die Einziehung des Gegenstands wegen dessen Beschaffenheit oder aus einem anderen Grund nicht möglich ist (§ 73c S. 1 StGB).</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">a) Hier besteht der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte in mindestens 330 Fällen gewerbsmäßig betrogen (§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB) oder einen gewerbsmäßigen Computerbetrug (§§ 263a Abs. 1, Abs. 2, 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB) begangen hat. Ob auch der dringende Verdacht der Begehung eines banden- und gewerbsmäßigen Betruges in 330 Fällen gem. § 263 Abs. 5 StGB besteht, kann der Senat in vorliegendem Zusammenhang dahinstehen lassen.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Aus der Strafanzeige der S GmbH ergibt sich, dass diese eine Online-Sportwettenplattform mit entsprechender Lizenz betreibt. Nach ihren (seinerzeit geltenden) AGB darf jeder Spieler nur ein Spielerkonto eröffnen und dies nur in eigenem Namen (C.I.1.). Aus „jugendschutz- und geldwäscherechtlichen Gründen“ ist der „Buchmacher“ verpflichtet, die Identität des Spielers bei Eröffnung des Spielerkontos zu verifizieren (C.IV.1.). Der Buchmacher kann das Spielerkonto sperren, wenn der Verdacht besteht, dass der Spieler unrechtmäßige Gewinne erworben oder gegen gesetzliche Bestimmungen oder Bedingungen für das Spielerkonto verstoßen hat (G.II.1.).</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Zu den Bonusbedingungen heißt es:</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">„L. Bonusbedingungen</p>
<span class="absatzRechts">88</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">I. Präambel</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">90</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">1. Der Buchmacher behält sich vor, Bonusaktionen durchzuführen. Die Aktionen können sich an alle Kunden oder an eine ausgewählte Kundengruppe richten.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">2. Grundlage für alle Bonusaktionen sind die im folgenden Abschnitt aufgeführten allgemeinen Bonusbedingungen. Daneben gibt es für jede Aktion besondere Bonusbedingungen, über die der Buchmacher auf seiner Webseite/in der App oder per E-Mail informiert.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">93</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">II. Allgemeine Bonusbedingungen</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">95</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">1. Alle Bonusangebote richten sich ausschließlich an den jeweiligen Inhaber des Spielerkontos und sind durch diesen nur einmalig verwendbar. Entsprechend sind Angabe und Verifizierung der persönlichen Daten erforderlich, um einen Bonus in Anspruch nehmen zu können.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">2. Die Bonusangebote des Buchmachers unterliegen der zeitlichen Beschränkung. Der jeweilige Geltungszeitraum bestimmt sich nach den besonderen Bonusbedingungen zu den einzelnen Bonusangeboten. Die Anteile des Bonusguthabens, die nicht innerhalb der jeweiligen Laufzeit eingesetzt werden, verfallen.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">3. Boni stehen grundsätzlich nur einmal pro Kunde, Wettkonto, Haushalt, gemeinsam benutztem Endgerät (Computer/Tablet/Smartphone etc.) und IP-Adresse zur Verfügung.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">4. In den besonderen Bonusbedingungen kann unter anderem festgelegt werden, dass das Bonusguthaben vor einer Auszahlung in Höhe eines bestimmten Vielfachen des Bonusbetrags umgesetzt werden muss.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">In diesem Fall wird – solange der Mindestumsatz noch nicht erreicht ist – bei Gewinnen aus Wetten, die ganz oder teilweise mit Bonusguthaben bezahlt wurden, der Bonusanteil des Wetteinsatzes wieder als Bonus gebucht. Der verbleibende Gewinnanteil ist auszahlbar.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Einsätze auf Wetten, die storniert werden, werden dem Mindestumsatz nicht zugerechnet.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">5. Der Buchmacher behält sich das Recht vor, bestimmte Kunden oder Kundengruppen ganz oder teilweise von seinem Bonusangebot auszuschließen.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">6. Der Missbrauch von Bonuscodes z. B. durch den Versuch des Anlegens mehrerer Wettkonten oder den Verstoß gegen Ziffer 3 führt zur Stornierung sämtlicher Wetten, die mit den zu Unrecht erlangten Boni bezahlt wurden. Darüber hinaus werden die restlichen Anteile des Bonusguthabens (umfasst sämtliche Boni) und die aus den Boni resultierenden Gewinne eingezogen.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">7. Das Bonusguthaben darf nicht auf gegensätzliche Ergebnisse derselben Wette eingesetzt werden (Beispiel: Beim Basketballspiel C-B darf nicht auf Sieg C UND auf Sieg B gewettet werden). In diesem Fall ist der gesamte Bonus ungültig; das Bonusguthaben und die daraus resultierenden Gewinne werden storniert.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">8. Bonusaktionen sind grundsätzlich nicht mit anderen Aktionen kombinierbar.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">9. Der Buchmacher behält sich das Recht vor, die Bonusbedingungen jederzeit auch ohne Vorankündigung anzupassen, abzuändern oder zu beenden. Insbesondere umfasst ist die Beendigung aufgrund technischer Fehler oder (versuchter) Manipulation.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">10. Sollte der Kunde gegen die allgemeinen oder besonderen Bonusbedingungen verstoßen, kann der Buchmacher den Bonus und den aus ihm resultierenden Gewinn zurückfordern. In diesem Zusammenhang ist der Buchmacher des Weiteren berechtigt, Wetten zu stornieren, die mit Bonusguthaben oder mit aus ihm resultierenden Gewinnen abgeschlossen wurden.“</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Den Erstbetrag, den ein Neukunde auf sein Spielerkonto einzahlt, verdoppelt die Anzeigeerstatterin bis zu einem Betrag von 100 Euro.</p>
<span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der Anmeldung eines neuen Spielerkontos durch einen M1 und der dabei erfolgenden Identitätsprüfung wurde der Anzeigeerstatterin ein Nutzungsvertrag zwischen der B UG und dem M1 übersandt (von letzterem unterschrieben). Dieser lautet (auszugsweise):</p>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">„<strong>Nutzungsvertrag</strong></p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">zwischen</p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks"><strong>B UG, H-Straße XX, XXXXX E</strong></p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">-nachfolgend Datennutzer genannt-</p>
<span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">und</p>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">              Herrn</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">              M1</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">              M-straße XXX</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">              XXXXX Q</p>
<span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">-nachfolgend Datengeber genannt-</p>
<span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks"><strong>Präambel</strong></p>
<span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Der Datennutzer führt für den Datengeber Tätigkeiten im Zusammenhang mit Sportwetten aus. Der Datennutzer meldet den Datengeber bei Wettanbietern an, um die Möglichkeit zu erlangen, Wettgewinne unter Einbeziehung sog. Wettboni der einzelnen Wettanbieter zu generieren. Die diesbezüglich erforderlichen Einzahlungsbeträge zwecks Generierung von Wettboni werden vom Datennutzer für die Dauer des Vertrages zur Verfügung gestellt. Mit dem eingezahlten Betrag und den sodann generierten Wettboni werden durch den Datennutzer Sportwetten namens und in Vollmacht des Datengebers abgeschlossen bis die Bonusbedingungen des Wettanbieters erfüllt sind oder das Wettkontoguthaben 0 € beträgt. Der Datengeber trägt kein wirtschaftliches Risiko.</p>
<span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 1 Vertragsgegenstand</strong></p>
<span class="absatzRechts">124</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">1. Gegenstand dieses Vertrages ist die Gestattung der Nutzung des nachfolgenden Datensatzes durch den Datennutzer zur Ausübung der gewerblichen Sportwetten.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Vor-/Zuname M1</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Straße/Hausnummer siehe oben</p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">PLZ/Wohnort siehe oben</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Ablichtung des Personalausweises oder Reisepasses</p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Aktuelle Adressbestätigung (z.B.: Meldebestätigung, an Datengeber gerichtete  Rechnung etc.)</p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Ablichtung des Datengebers mit dessen Personalausweis oder Reisepass vor dessen Gesicht</p>
<span class="absatzRechts">132</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">2. Der Datennutzer erhält vom Datengeber den in Absatz 1 genannten Datensatz nach Vertragsschluss. Bei Bedarf erklärt sich der Datengeber bereit einen beglaubigten Ausweis zu Verfügung zu stellen.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">3. Der Datengeber erklärt sich bereit den in Absatz 1 genannten Datensatz im Laufe der Nutzungsdauer (§ 7 Abs. 1) zu aktualisieren, wenn dieser seine Gültigkeit verliert oder den Anforderungen der Wettanbieter nicht genügt.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">4. Dem Datengeber ist bewusst, dass ihm selbst das Generieren von Wettboni unter Verwendung seines eigenen Namens nicht mehr möglich ist, da Wettboni seitens der Wettanbieter nur einmal angeboten werden. Es handelt sich insoweit um Neukundenboni.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">5. Der Datengeber bestätigt, dass mit seinem Datensatz bis heute (Datum der Vertragsunterzeichnung) keine Sportwetten bei Onlinewettanbietern abgeschlossen wurden, bzw. Neukundenboni generiert wurden.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">6. Der Datennutzer übernimmt keine Haftung für eventuelle Forderungen oder Kürzungen seitens eines Amtes in Zusammenhang mit Grundsicherungsleistungen (u.a. Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Grundsicherung im Alter oder ähnliches) aufgrund von Guthaben auf unter § 2 beschriebenen Benutzerkonten.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 2 Benutzerkonten</strong></p>
<span class="absatzRechts">139</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">1. Der Datengeber eröffnet ein (Online-)Bank-/Girokonto zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs, welcher sich aus den auf den Datengeber lautenden Sportwetten ergibt. Die Verwendung dieses durch den Datengeber eröffneten Bank-/Girokontos wird dem Datennutzer für die Dauer dieses Vertrages überlassen. Kredite sind in jeglicher Art untersagt. Das Konto darf ausschließlich auf Guthabenbasis geführt werden. Entsprechende Zugangsdaten werden dem Datennutzer durch den Datengeber unmittelbar nach der Eröffnung des (Online-)Bank-/Girokontos übergeben.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">2. Der Datennutzer ist zur Eröffnung eines auf den Datengeber lautenden Kontos des Online-Banking-Dienstleister namens O Group zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs mit verschiedenen Wettanbietern berechtigt.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">3. Der Datennutzer ist zur Eröffnung von auf den Datengeber lautenden Wettkonten bei verschiedenen Wettanbietern berechtigt.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 3 Nutzungsbedingungen</strong></p>
<span class="absatzRechts">144</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">1. Die überlassenen Datensätze sind ausschließlich für die Führung von Sportwetten zu nutzen.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">2. Die Weitergabe des/der überlassenen Datensätze an Dritte ist unzulässig. Das vertraglich –zugesicherte Nutzungsrecht des Nutzungsgebers ist <span style="text-decoration:underline">nicht</span> übertragbar.</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">3. Der Datengeber tritt hiermit sämtliche ihm zustehenden Gewinne/Erträge, resultierend aus den Wetteinsätzen ggü. eines jeden Wettanbieters, welche ausschließlich aus den seitens des Datennutzers generierten Wettboni bestehen, an den Datennutzer ab.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 4 Gewinnbeteiligung</strong></p>
<span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Für die Bereitstellung des Datensatzes (§ 1) erhält der Datengeber einmalig eine Wettgewinnbeteiligung i.H.v. 200,00 € spätestens 4 Wochen nach Übergabe der Zugangsdaten des Bankkontos (§ 2 Ziffer 1). Es handelt sich hierbei um eine Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EstG, die ab einem Betrag von 256,00 € im Jahr einkommenssteuerpflichtig sein kann und ab diesem Betrag in der Einkommensteuerklärung zu erfassen ist.“</p>
<span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen einer Durchsuchung bei dem Beschuldigten B wurden 192 Datennutzungsverträge in „Hartkopie“ gefunden. Ferner wurde eine erste Seite eines offenbaren Entwurfs eines Nutzungsvertrages aufgefunden. Auf diesem findet sich handschriftlich (u.a.) die Anmerkung: „Problem: AGB der Wettanbieter!: Schadensersatz-Gefahr: § 263 StGB?“.</p>
<span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks">Auf einem bei dem Beschuldigten sichergestellten Computer befindet sich eine Datei „Geschäftsidee“, in der als Gegenstand einer Dienstleistung beschrieben wird, „Bonuszahlungen für Interessenten, die selbst keine Ambitionen haben, Sportwetten abzuschließen, zu vereinnahmen“ (Bl. 121). Auf diese Bonuszahlungen wolle er sich bei seiner Geschäftsidee konzentrieren. Ein möglicher „Arbitragegewinn“ im Wege von „Surebets“ sei zweitrangig.</p>
<span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">Die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durchgeführte Auswertung der verschiedenen Konten des Beschuldigten und der Gesellschaften ergab Zahlungstransaktionen mit insgesamt 329 weiteren Beteiligten im Zusammenhang mit Wettgeschäften.</p>
<span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks">Allein von dem Konto der UG bei der Volksbank Q (Konto Nr. XXXX XXX 300) sind zwischen März 2016 und November 2017 insgesamt 150.786 Euro auf ein Konto des Beschuldigten B abgeflossen.</p>
<span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">Unter Zugrundelegung dieses gegenwärtigen Stands der Ermittlungen besteht der dringende Tatverdacht der Begehung entweder einer rechtswidrigen Tat des gewerbsmäßigen Betruges oder des gewerbsmäßigen Computerbetruges. Je nachdem, ob bei der Anzeigeerstatterin eine Prüfung der Neukundeneröffnung und Zahlung von Neukundenboni noch durch einen Mitarbeiter erfolgte oder dies automatisiert im Rahmen eines Datenverarbeitungsvorgangs erfolgte, liegt entweder der dringende Verdacht für den einen oder den anderen Straftatbestand vor.</p>
<span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Wie sich aus den Bonusbedingungen ergibt, sollte ein Bonus jedem Kunden, Wettkonto, Haushalt, gemeinsam benutzten Endgerät bzw. IP-Adresse nur einmal zustehen. Dadurch, dass der Beschuldigte als für die Gesellschaften handelnde Person die jeweiligen Vertragspartner seiner Nutzungsverträge dazu veranlasst hat, Spielerkonten zu eröffnen und er sodann über die UG Erstzahlungen auf die Spielerkonten veranlasst hat (entweder selbst vorgenommen oder durch einen seiner beiden Mitarbeiter), woraufhin die Kundenboni den jeweiligen Konten gutgeschrieben wurden, hat er falsche Tatsachen vorgespiegelt. Die Eröffnung eines Spielerkontos mit der entsprechenden Identifikation eines Dritten, statt des Beschuldigten selbst oder eine seiner Gesellschaften, enthält die konkludente Erklärung, der Spieler handele in eigenem Namen und im eigenen wirtschaftlichen Interesse. Nach C.I.1. dürfen Spielerkonten nämlich nur in eigenem Namen eröffnet werden, was – wie der spätere Verweis auf geldwäscherechtlichen Vorschriften (u. a. C.IV.1.) zeigt –, dazu dient, den wirtschaftlich Berechtigten (§ 3 GwG) zu identifizieren. Tatsächlich waren aber hier der Beschuldigte bzw. die von ihm geführte UG tatsächlich wirtschaftlich Berechtigter. Das ergibt sich aus dem Nutzungsvertrag, wonach der Datengeber  kein wirtschaftliches Risiko tragen sollte, dieser sämtliche Gewinne und Erträge an die UG abtritt und die Verwendung des eröffneten Bank-/Girokontos, über welches die Wettgeschäfte abgeschlossen werden sollten, dem Datennutzer, also der UG, überlassen wurde. Im Falle einer Prüfung durch einen Mitarbeiter der Anzeigeerstatterin ist naheliegend, dass dieser über die Voraussetzungen für eine Bonusgutschrift irrte und in Folge dessen eine entsprechende Gutschrift auf dem Spielerkonto vornahm. Damit wurde das Vermögen der Anzeigeerstatterin mit einer Forderung, die gerichtet war auf Teilnahme an einem Wettspiel unter Verwendung des 100-Euro-Bonusses, belastet, mithin beschädigt. Die Absicht des Beschuldigten - ein entsprechender dringender Verdacht ergibt sich nicht zuletzt aus der handschriftlichen Kommentierung des Nutzungsvertragsentwurfs, der bei der Durchsuchung gefunden war - war darauf gerichtet, unter Verwendung des ihm eigentlich nicht zustehenden Bonuseinsatzes durch die UG am Wettspiel teilzunehmen.</p>
<span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Im Falle der Annahme eines automatisierten Datenverarbeitungsvorgangs (§ 263a StGB) würde hingegen die Verwendung unrichtiger bzw. unvollständiger Daten anzunehmen sein.</p>
<span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Angesichts der bei dem Beschuldigten aufgefundenen Unterlagen (Datei „Geschäftsidee“; zahlreiche Datennutzungsverträge) besteht auch der dringende Verdacht, dass er sich durch die fortlaufende Begehung entsprechender Taten schon von Anfang an eine dauerhafte Einnahmequelle von nicht unerheblichem Umfang schaffen wollte, er also gewerbsmäßig handelte.</p>
<span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Durch die rechtswidrigen Taten hat der Beschuldigte für sich bzw. seine Gesellschaft die Forderung erlangt, unter Verwendung auch der jeweiligen Boni an Wettspielen teilzunehmen. Diese Forderungen befanden sich angesichts des Konstrukts des Nutzungsvertrages auch in seiner Verfügungsgewalt. Es kann hier zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in den angefochtenen Beschlüssen verwiesen werden. Diese Forderungen sind aufgrund ihrer Beschaffenheit oder aus anderen Gründen nicht (mehr) einziehbar. Abzugsfähige Aufwendungen sind nicht ersichtlich (§ 73d StGB).</p>
<span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">b) Über die Boni in Höhe von 33.000 Euro hinaus hat der Beschuldigte hingegen nichts erlangt.</p>
<span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">aa) Mittelbare durch den Einsatz des erlangten Bonus erzielte Glücksspielgewinne (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., Rdn. 33) fallen nicht unter § 73 StGB. Der Bundesgerichtshof hat zur Problematik der mittelbaren Gewinne ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">„Die Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB nF ersetzt die Vorschrift über den Verfall nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB aF, wobei die Formulierung "aus" der Tat erlangt durch die Worte "durch eine rechtswidrige Tat" erlangt ersetzt wurde. Abzuschöpfen ist damit jeder Vermögenswert, den der Tatbeteiligte durch die rechtswidrige Tat erlangt hat, also alles, was in irgendeiner Phase des Tatablaufs in seine Verfügungsgewalt übergegangen und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist (BT-Drucks. 18/9525, S. 62; vgl. auch Köhler NStZ 2017, 497, 503). Allerdings erstreckt sich die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB nF - wie der frühere Verfall - nach seinem Umfang grundsätzlich nur auf das unmittelbar erlangte Etwas (vgl. LK/Schmidt, StGB, 12. Aufl., § 73 Rn. 17). Mittelbar durch die Verwertung der Tatbeute erlangte Vermögenszuwächse können weiterhin nur als Surrogat aufgrund einer Anordnung nach § 73 Abs. 3 Nr. 1 StGB nF (früher § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB aF) eingezogen werden. Die vom Gesetz getroffene Unterscheidung zwischen der Einziehung des Erlangten nach § 73 Abs. 1 StGB nF und der Einziehung des Surrogats nach § 73 Abs. 3 Nr. 1 StGB nF ergäbe keinen Sinn, wenn - wie die Staatsanwaltschaft meint - der mittelbar durch die Verwertung der Tatbeute erzielte Gewinn ebenfalls "durch die Tat" erlangt und damit Gegenstand einer Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB nF wäre. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit dem Wortlaut der Regelung des § 73 Abs. 3 Nr. 1 StGB nF klarstellen, dass die Anordnung der Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB nF sich nicht ohne weiteres auf die Surrogate "erstreckt" (BT-Drucks. 18/9525, S. 62). Einer Auslegung des § 73 Abs. 1 StGB nF, wonach neben der Einziehung des unmittelbar Erlangten bzw. des Wertersatzes auch eine solche des Surrogats aus der Verwertung der Beute anzuordnen wäre, steht zudem der unmissverständliche Wortlaut des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB nF entgegen, wonach der Wert des Erlangten (nur) einzuziehen ist, wenn entweder die Einziehung des Erlangten nicht möglich ist oder aber von der Einziehung des Surrogats abgesehen wird“.</p>
<span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">(BGH, Urteil vom 08. Februar 2018 – 3 StR 560/17 –, Rn. 10, juris; vgl. auch: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 09. August 2018 – 1 OLG 2 Ss 23/18 – juris)</p>
<span class="absatzRechts">163</span><p class="absatzLinks">bb) Ein Surrogat i.S.v. § 73 Abs. 3 Nr. 2 StGB liegt bei den Gewinnen aus Glücksspielen nicht vor. Sie sind nicht aufgrund eines erlangten Rechts erworben. Das erlangte Recht ist hier die Teilnahme an Wetten unter Verwendung des gutgeschriebenen Bonus. Vielmehr wäre das Surrogat nur die Teilnahme an dem Wettspiel unter Verwendung des Bonus selbst.</p>
<span class="absatzRechts">164</span><p class="absatzLinks">cc) Nutzungen i.S.v. §§ 99, 100 BGB liegen hier mit den Wettgewinnen ebenfalls nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">165</span><p class="absatzLinks">dd) Anders als die Generalstaatsanwaltschaft meint, sind die Glücksspielgewinne auch nicht aus nachfolgenden Taten nach § 269 StGB durch Nutzung des Glücksspielkontos für weitere Wetten erlangt. Die Generalstaatsanwaltschaft sieht in jedem erneuten Einloggen in das Spielerkonto ein Gebrauchmachen veränderter beweiserheblicher Daten i.S.v. § 269 StGB. Dem ist nicht so.</p>
<span class="absatzRechts">166</span><p class="absatzLinks">Durch das Speichern oder Verändern der beweiserheblichen Daten muss ein Falsifikat entstehen, das – von der Wahrnehmbarkeit abgesehen – die Merkmale einer falschen Urkunde aufweist (Fischer a.a.O. § 269 Rdn. 7). Durch das Login mittels (hier) E-Mail-Adresse und frei gewähltem Passwort entsteht kein solches Falsifikat, auch nicht in Verbindung mit der nachfolgenden Eingabe zum Wettgeschäft.</p>
<span class="absatzRechts">167</span><p class="absatzLinks">Der Erklärungswert einer entsprechenden Urkunde wäre zwar, dass der unter den Logindaten handelnde Berechtigte, also der Datengeber des Nutzungsvertrages, nicht der Datennehmer (also die UG), das entsprechende Wettgeschäft tätigt.</p>
<span class="absatzRechts">168</span><p class="absatzLinks">Wer aber eine urkundliche Erklärung für einen anderen abgibt und mit dessen Namen zeichnet, stellt dann keine unechte, sondern eine echte Urkunde her, wenn er den Namensträger vertreten will, wenn dieser sich vertreten lassen und wenn der Unterzeichnende den Namensträger rechtlich vertreten darf (OLG Düsseldorf NJW 1993, 1872). So verhält es sich hier. Rechtlich liegt hier ein Fall der Stellvertretung vor, der in dem Nutzungsvertrag geregelt wurde. Es handelt sich demnach um einen Fall eines unwahren Inhalts einer – im Falle der Wahrnehmbarkeit – gegebenen Urkunde. Unwahr ist nämlich die konkludente Erklärung, auch der wirtschaftlich Berechtigte sei der Datengeber (s.o.). Der Fall liegt hier anders als der, der der Entscheidung des KG NStZ 2010, 576 zu Grunde lag. Dort lag kein Fall der Stellvertretung vor, vielmehr hatte der Täter ein Ebay-Konto unter dem Namen einer verstorbenen Person eröffnet.</p>
<span class="absatzRechts">169</span><p class="absatzLinks">dd) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Wetten in dem oben erwähnten „sure-bets-system“ auch den Tatbestand des § 263 StGB bzw. § 263a StGB erfüllen kann, was womöglich dann auch zu der Annahme, dass die Wettgewinne durch rechtswidrige Taten des Beschuldigten erlangt wurden, führen könnte. Dabei erscheint allerdings schon zweifelhaft, ob generell mit dem Anbringen der Wette auf den Ausgang eines Ereignisses gleichzeitig die konkludente Erklärung verbunden ist, nicht auch auf einen anderen Ausgang des Ereignisses zu wetten oder gewettet zu haben. Nach den AGB der Anzeigeerstatterin könnte dies allenfalls für den Einsatz des Neukundenbonus angenommen werden, da nach L.II.10 ihrer AGB ein solches Wettverhalten nicht zulässig ist. Im Übrigen finden sich in ihren AGB hingegen keine Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht zulässig sein soll. Jedenfalls ergeben die bisherigen Ermittlungen nicht hinreichend, dass solche Wetten – auch bzgl. der Neukundenboni – überhaupt stattgefunden haben. Das Hauptaugenmerk des Beschuldigten lag – ausweislich der Datei über seine Geschäftsidee – nicht hierauf, sondern auf der Generierung der Neukundenboni. Auch die übrigen Ermittlungsergebnisse ergeben nicht, dass ein solcher Fall vorgekommen ist.</p>
<span class="absatzRechts">170</span><p class="absatzLinks">III.</p>
<span class="absatzRechts">171</span><p class="absatzLinks">Die zulässige weitere Beschwerde des Beschuldigten, die sich nach dem Gesamtzusammenhang der Beschwerdebegründung nur gegen die verbleibende Arrestanordnung richtet, ist aus den oben genannten Gründen unbegründet. Die Arrestanordnung in Höhe von 33.000 Euro ist rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">172</span><p class="absatzLinks">Gegen die Verhältnismäßigkeit gibt es derzeit keine durchgreifenden Bedenken. Der Arrestbetrag ist mit 33.000 Euro wesentlich abgesenkt worden und es ist – wenn auch die letzten Monate im Wesentlichen der Durchführung der Beschwerdeverfahren gegolten haben – insgesamt noch eine hinreichende, der Dringlichkeit des Arrestes genügende Verfahrensförderung gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">173</span><p class="absatzLinks">IV.</p>
<span class="absatzRechts">174</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidungen folgen aus § 473 Abs. 1 StPO bzw. ergehen entsprechend § 467, 473 Abs. 3 StPO.</p>
|
171,326 | olgham-2018-12-18-4-rvs-16218 | {
"id": 821,
"name": "Oberlandesgericht Hamm",
"slug": "olgham",
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} | 4 RVs 162/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:55 | 2019-02-12T13:44:41 | Beschluss | ECLI:DE:OLGHAM:2018:1218.4RVS162.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Das angefochtene Urteil wird im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben, und zwar mit der Maßgabe, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.</p>
<p>Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).</p>
<p>Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift Folgendes ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">„I.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht - Strafrichter - Lemgo hat den Angeklagten am 11.01.2018 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen  (Bl. 67 - 70 d.A.).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Seine hiergegen rechtzeitig eingelegte und auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkte Berufung (Bl. 66 d.A.) hat das Landgericht Detmold mit Urteil vom 23.08.2018 verworfen  (Bl. 103 - 108<sup>R</sup> d.A.).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses in Anwesenheit des Angeklagten verkündete (Bl. 93, 93<sup>R</sup>, 94  d.A.) und - auf Anordnung der Vorsitzenden vom 19.09.2018 (Bl. 109 d.A.) - seinem Pflichtverteidiger am 21.09.2018 (Bl. 112 d.A.) und seinem Wahlverteidiger am 24.09.2018 (Bl. 118 d.A.) zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit am 24.08.2018 bei dem Landgericht Detmold eingegangenem Telefax-Schreiben seines Pflichtverteidigers vom selben Tag (Bl. 99 d.A.) bzw. mit am 29.08.2018 bei dem Landgericht Detmold eingegangenem Schreiben seines Wahlverteidigers vom 27.08.2018 (Bl. 100 d.A.) Revision eingelegt und diese mit am 26.09.2018 bei dem Landgericht Detmold eingegangenem Telefax-Schreiben seines Pflichtverteidigers vom selben Tag (Bl. 115, 116 d.A.) sowie mit am 24.10.2018 bei dem Landgericht Detmold eingegangenem Telefax-Schreiben seines Wahlverteidigers vom selben Tag (Bl. 119 d.A.) jeweils mit der allgemeinen Sachrüge begründet.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Revision des Angeklagten ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden. Ihr bleibt jedoch in der Sache ein Erfolg versagt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Weil die Feststellungen des Amtsgerichts Lemgo den Schuldspruch tragen und die Berufung wirksam beschränkt worden ist, hat das Landgericht zutreffend seine Bindung an diese Feststellungen angenommen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der Revision ist daher auf die allein erhobene Sachrüge allein der Rechtsfolgenausspruch zu prüfen, der im Hinblick auf die ausgeurteilten Einzelstrafen rechtlicher Nachprüfung standhält.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dabei ist die Strafzumessung im Wesentlichen der Beurteilung des Tatrichters überlassen und im Revisionsverfahren nur eingeschränkt überprüfbar. Dem Revisionsgericht ist nur die Prüfung, ob der Beurteilung des Tatrichters ein Rechtsfehler zugrunde liegt, möglich. Dies ist lediglich dann der Fall, wenn die Entscheidung des Tatrichters sachlich nicht nachvollziehbar ist (zu vgl. Fischer, 65. Auflage 2018, § 46 Rn. 146 m. w. N.). Hieran gemessen weisen die ausgeurteilten (Einzel-)Freiheitsstrafen keine Rechtsfehler auf.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Auch die Ausurteilung und Bemessung einer Sperrfrist gemäß § 69 a StGB begegnet keinen Bedenken.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Allerdings kann das Urteil im Gesamtstrafenausspruch keinen Bestand haben, da das Landgericht - wie es im schriftlichen Urteil zutreffend selbst festgestellt hat - versehentlich die gemäß § 55 StPO vorzunehmende Bildung einer Gesamtstrafe mit den Urteil des Landgerichts Detmold vom 02.03.2017 - 25 Ns 99/16 - ausgeurteilten Einzelstrafen unter Berücksichtigung der dort ausgeurteilten Maßregel des § 69a StGB unterlassen hat.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Eine solche hätte das Landgericht allerdings treffen müssen, wenngleich alleine der Angeklagte Berufung eingelegt hatte und das Amtsgericht Lemgo in seiner Entscheidung keine Einbeziehung vorgenommen hatte. Denn das Berufungsgericht ist zwar an einer Einbeziehung gemäß § 55 StPO gehindert, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Entscheidung über eine solche Einbeziehung getroffen hat, und sei es, dass es hiervon abgesehen hat. Fehlt es an einer solchen Entscheidung entweder, weil dem erstinstanzlichen Tatrichter die gesamtstrafenfähige anderweitige Verurteilung unbekannt geblieben ist, insoweit zu prüfenden Unterlagen trotz sachgerechter Terminsvorbereitung nicht vollständig vorgelegen haben oder er aber die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung fehlerhaft nicht erkannt hat, so ist die Entscheidung durch das Berufungsgericht zu treffen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06.03.2008 - 3 Ss 68/08 -, m.w.N., zitiert nach juris). So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht Lemgo hat ausweislich der Urteilsgründe die Entscheidung des Landgerichts Detmold vom 02.03.2018 gekannt, die Möglichkeit einer Einbeziehung ersichtlich übersehen und deshalb nicht geprüft hat oder diese rechtsfehlerhaft verkannt hat.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Da jedoch die Taten und die jeweiligen Einzelstrafen feststehen und nicht ersichtlich ist, dass eine neue tatrichterliche Hauptverhandlung insoweit neue, für den Angeklagten günstige Erkenntnisse ergeben könnte, bedarf die vorzunehmende Gesamtstrafenbildung keiner Entscheidung aufgrund neuer Hauptverhandlung, sodass nach § 354 Absatz 1 b StPO verfahren werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Revision bleibt daher der Erfolg versagt.“</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Angekl. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kostenentscheidung muss nicht – was möglich wäre - dem Nachverfahren gem. §§ 460, 462 StPO vorbehalten bleiben, weil sicher abzusehen ist, dass das Rechtsmittel des Angeklagten, der den Rechtsfolgenausspruch insgesamt angegriffen hat, keinen über die gesetzliche gebotene nachträgliche Gesamtstrafenbildung hinaus gehenden Erfolg haben kann, so dass der Senat die Kostenentscheidung gemäß § 473 Abs. 1 und 4 StPO selbst treffen kann (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 306).</p>
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171,325 | olgd-2018-12-18-24-u-1318 | {
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} | 24 U 13/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:55 | 2019-02-12T13:44:40 | Urteil | ECLI:DE:OLGD:2018:1218.24U13.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf die Berufung des Beklagten wird das am 17.11.2017 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal - Einzelrichterin - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:</p>
<p>Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 4.021,25 nebst Zinsen iHvon fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.06.2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p>
<p>Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 91% und die Beklagte zu 9%. Die Kosten der Berufung tragen der Kläger zu 23% und die Beklagte zu 77%.</p>
<p>Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung des Klägers gegen das am 17.11.2017 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal - Einzelrichterin - ist zulässig und hat teilweise, namentlich iHvon € 1.200,34 nebst Zinsen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Berufung wendet sich im Ergebnis ohne Erfolg gegen die Feststellung des Landgerichts, dass das dem Kläger aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung zustehende Widerspruchsrecht im Zeitpunkt der Ausübung am 30.10.2012 <em>nicht</em> verwirkt war.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (st. Rspr., vgl. BGH v. 12.07.2016, XI ZR 564/15, Rn. 60 mwN, juris).</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Noch zutreffend weist die Berufung darauf hin, dass auch im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung eine Verwirkung in Betracht kommen kann (vgl. BGH v. 27.01.2016, IV ZR 130/15, Rn. 14 + 16, juris). Nach der Rechtsprechung kann der Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Versicherungsvertrages dann nicht in Anspruch nehmen, wenn er die Situation durch eine nicht ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung herbeigeführt hat, indem er dem Versicherungsnehmer keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (so in BGH v. 23.03.2016, IV ZR 329/15, Rn. 23, juris; v. 01.06.2016, IV ZR 482/14, Rn. 22, juris; v. 11.11.2015, IV ZR 513/14, Rn. 27, juris; v. 29.07.2015, IV ZR 448/14, Rn. 29, juris; v. 29.07.2014, IV ZR 384/14, Rn. 31, juris; v. 07.05.2014, IV ZR 76/11, Rn. 39f, juris). Allerdings hat der BGH auch ausgeführt, dass es der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten bleibt, ob ausnahmsweise ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers angenommen werden kann, wenn besonders gravierende Umstände hinzutreten, etwa wenn sich das Verhalten des Versicherungsnehmers als widersprüchlich darstellt und bei dem Versicherer - für den Versicherungsnehmer erkennbar - ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrages begründet; dann ist die Ausübung des zeitlich unbefristeten Widerspruchsrechts rechtsmissbräuchlich und ein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch ausgeschlossen (vgl. BGH v. 01.06.2016, IV ZR 482/14, Rn. 24; v. 27.01.2016, IV ZR 130/15, Rn. 16, juris). Derartige besonders gravierende Umstände können im vorliegenden Fall jedoch nicht festgestellt werden.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Besonders gravierende Umstände in diesem Sinne liegen nach Auffassung des BGH vor in einem Fall, in welchem der Versicherungsnehmer bereits <em>zwei Monate</em> nach Erhalt des Versicherungsscheins seine Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag als Sicherheit für ein Darlehn an eine Bank abgetreten und nach Prämienzahlung über mehr als acht Jahre ein weiteres Mal an eine Bank zur Sicherung der Ansprüche aus einem Kreditvertrag abgetreten hatte; die Abtretung umfasste jeweils auch die Todesfallleistung; aufgrund des dort bestehenden engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung sowie die Abtretung auch der Todesfallleistung wurde nach den Ausführungen des BGH bei dem Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrages begründet, wobei die vertrauensbegründende Wirkung für den Versicherungsnehmer auch erkennbar war (vgl. BGH v. 27.01.2016, IV ZR 130/15, Rn. 16 mwN, juris). Nach Auffassung des 4. Zivilsenats des OLG Düsseldorf ist dem Versicherungsnehmer in aller Regel auch dann, wenn die Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag lediglich <em>einmalig zeitnah</em> zum Abschluss des Lebensversicherungsvertrages abgetreten wurden und der Vertrag über viele Jahre bedient wurde, gemäß § 242 BGB die Rückabwicklung des Vertrages verwehrt (vgl. OLG Düsseldorf v. 28.11.2016, 4 U 150/16). Der 24. Zivilsenat des OLG Düsseldorf hat einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz als Kreditsicherungsmittel bejaht in einem Fall, in dem die Versicherungsnehmerin ihre Ansprüche aus den Versicherungsverträgen <em>noch am Tag der jeweiligen Antragsstellung</em> als Sicherheit für ein Darlehen abgetreten hatte, wobei die Abtretung ausdrücklich die Todesfallleistung umfasste (OLG Düsseldorf, v. 09.10.2018, 24 U 10/18). Ferner hat er einen engen zeitlichen Zusammenhang bei einem Zeitablauf von bis zu einem Jahr, zumindest jedoch von <em>bis zu 6 Monaten</em> angenommen, da es allgemeiner Lebenserfahrung entspreche, dass der Vorlauf bei Aufnahme eines größeren Darlehensbetrages einen Zeitraum von bis zu einem Jahr umfasse, so dass unterstellt werden könne, dass ein (zukünftiger) Kreditnehmer, welcher sich in diesem Zeitfenster zum Abschluss eines Versicherungsvertrages entschließt, bereits bei Abschluss des Vertrages die Absicht habe, diesen bei Darlehensaufnahme als Kreditsicherungsmittel einzusetzen (OLG Düsseldorf Hinweisbeschluss v. 03.07.2018, 24 U 5/18).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Inanspruchnahme eines Policendarlehens einmalig <em>fünf Jahre</em> nach Vertragsschluss hat der BGH hingegen nicht als besonders gravierenden Umstand gewertet. Dabei handele es sich um eine Vorauszahlung auf die künftige Versicherungsleistung, die der Versicherer entsprechend nach der Kündigung des Versicherungsvertrages mit dem Rückkaufswert verrechnet habe. Die Inanspruchnahme dieser Vorauszahlung ließe nach den Ausführungen des BGH mit Rücksicht darauf, dass der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt worden war, keinen Schluss darauf zu, der Versicherungsnehmer hätte auch bei Kenntnis des Widerspruchsrechts an dem Versicherungsvertrag festgehalten und werde von dem ihm zustehenden Widerspruchsrecht keinen Gebrauch machen (vgl. BGH v. 23.03.2016, IV ZR 329/15, Rn. 26, juris). Entsprechendes gilt auch für den Einsatz der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zur Sicherung der Rechte eines Dritten aus einem Darlehensvertrag ca. <em>zwei Jahre</em> nach Versicherungsbeginn (vgl. BGH v. 01.06.2016, IV ZR 482/14, Rn. 24, juris) bzw. ca. <em>viereinhalb Jahre</em> nach Versicherungsbeginn (vgl. BGH v. 11.05.2016, IV ZR 334/15, Rn. 16, juris).</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">In Ansehung des bereits im Jahr 2002 geschlossenen Versicherungsvertrages begründen die vom Kläger im Jahr 2006 vorgenommene Risikozwischenfinanzierung aus dem Kapital mit der Folge einer Beitragssenkung von € 412,59 auf € 159,09 und die zum 01.10.2012 vorgenommene Beitragsfreistellung <em>keine</em> besonders gravierenden Umstände, die ein Rückabwicklung als rechtsmissbräuchlich darstellen könnten. Es kann nicht festgestellt werden, dass hierdurch - für den Kläger erkennbar - ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten in den unbedingten Bestand des Vertrages begründet wurde. Es gibt keine Umstände, die den Rückschluss darauf zulassen, dass der Kläger auch bei Kenntnis seines Widerrufsrechts hiervon nicht Gebrauch gemacht und am Versicherungsvertrag festgehalten hätte, die mithin seinen unbedingten Fortführungswillen belegen. Der erstmalige Einsatz der fraglichen Lebensversicherung als Sicherung für ein zur Zwischenfinanzierung aufgenommenes Darlehen erfolgte hier <em>vier Jahre</em> nach Vertragsbeginn, die Beitragsfreistellung über zehn Jahre nach Vertragsbeginn, und stehen daher nicht mehr in einem engen zeitlichen Zusammenhang zum Vertragsschluss.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung der Beklagten führt die Parallelbewertung zu § 124 Abs. 3 BGB (GA 548ff) nicht dazu, dass dem Kläger die Ausübung des Widerspruchs verwehrt wäre. Zwar wurde der Widerspruch hier erst mit Schreiben vom 30.10.2012 und damit   mehr als zehn Jahre nach Abgabe der Willenserklärung am 19.02.2002 (GA 82) bzw. Vertragsbeginn (01.04.2002) erklärt. Nach dieser Zeit wäre selbst eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht mehr möglich, § 124 Abs. 3 BGB.  Allerdings führt eine Zeitspanne von mehr als zehn Jahren zwischen Vertragsschluss und Widerspruch allein nicht zur Annahme einer Verwirkung (vgl. BGH v. 01.06.2016, IV ZR 482/14, juris: Versicherungsbeginn 2000, Widerspruch 2013; BGH v. 11.11.2015, IV ZR 513/14, Rn. 27, juris: Versicherungsbeginn 1999, Widerspruch 2013; v. 29.07.2015, IV ZR 448/14, 29, juris: Versicherungsbeginn 1999, Widerspruch 2010). Soweit dies in der Rechtsprechung teilweise anders gesehen wird (wohl OLG Dresden v. 03.01.2018, 4 U 1235/17, Rn. 11, juris, zu § 8 VVG: „bei der Wertung zu berücksichtigen“, in der Entscheidung wurde allerdings  ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung angenommen; KG Berlin v. 17.11.2017, 26 U 88/17, Rn. 8f, juris: „aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit“), kann dem nach Auffassung des Senats nicht gefolgt werden. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass ein die Verwirkung begründender Vertrauenstatbestand nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden kann, sondern das Hinzutreten weiterer Umstände voraussetzt (vgl. BGH v. 12.07.2016, XI ZR 564/15, Rn. 60 mwN, juris). Schon deshalb kann nicht mit Erfolg darauf verwiesen werden, dass selbst die Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung nach § 123 BGB gemäß § 124 Abs. 3 BGB ausgeschlossen ist, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind. Es bliebe auch unberücksichtigt, dass die Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB nur zum Tragen kommt, wenn nicht zuvor die kürzere kenntnisabhängige Frist des § 124 Abs. 2 BGB abgelaufen ist. Der Beginn der Widerrufsfrist ist hingegen kenntnisunabhängig, es kommt allein auf eine ordnungsgemäße Belehrung an. Bereits dieser unterschiedliche Ansatz steht einer Übertragung des der Ausschlussfrist zu Grunde liegenden Rechtsgedankens auf die Widerrufsfrist entgegen (vgl. OLG Brandenburg v. 22.11.2017, 4 U 205/16, Rn. 50, juris, zu § 355 BGB; OLG Stuttgart v. 21.12.2017, 7 U 80/17, Rn. 60, juris: „analoge Anwendung des § 124 Abs. 3 BGB scheidet insoweit aus“).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">2.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Erfolgreich ist allerdings der Einwand der Berufung, das Landgericht habe die aus der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung folgenden Ansprüche falsch berechnet. Im Ergebnis hat der Kläger noch einen Anspruch auf Zahlung von € 4.021,25, statt wie vom Landgericht errechnet € 5.221,59.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">a.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Geschuldet war nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts die Herausgabe von Prämienzahlungen wie folgt:</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">   gesamte Beiträge                                           € 53.409,39</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">-                      Beiträge BUZ                                                         € 18.129,39</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">-                      Risikoanteil Hauptversicherung                            €   2.733,27</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">-                      Kapitalertragssteuer                             €   1.283,98</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">-                      Solidaritätszuschlag                          <span style="text-decoration:underline">   €        70,62</span></p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">=                                                              € 31.192,13</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung der Berufung hat das Landgericht den geltend gemachten, vermeintlich auf die Abdeckung der biometrischen Risiken bezogenen Kostenanteil iHvon € 563,87 zu Recht <em>nicht</em> bereicherungsmindernd in Abzug gebracht. Die von der Beklagten angeführten, auf die Risikobeiträge anteilig entfallenden Gesamtkosten iHvon € 7.279,16 (GA 551) setzen sich ausweislich ihres anwaltlichen Schriftsatzes v. 29.01.2016, S. 2 (GA 409) zusammen aus:</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">- Verwaltungskosten iHvon € 2.563,13 (streitig, vgl. GA 62, 472, 479),</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">-                      Abschlusskosten iHvon € 3.853,48 (unstreitig, vgl. GA 63, 472, 479) und</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">-                      Ratenzahlungszuschlägen iHvon € 862,55 (streitig, vgl. GA 64, 472, 479).</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Zutreffend ist, dass der BGH in seinen Entscheidungen v. 29.07.2015 (IV ZR 448/14, Rn. 36, juris, und IV ZR 384/14, Rn. 39, juris) geprüft hat, ob neben dem bereicherungsrechtlich nicht auszugleichenden Risikoanteil der Prämien auch ein darauf entfallender Kostenanteil in Abzug zu bringen ist, wenn der Versicherer geltend macht, dass die Verwaltung des übernommenen Risikos mit Kosten verbunden sei, die nicht durch die Risikokosten gedeckt seien, sondern separat in die Prämie einkalkuliert würden. In den dort zu entscheidenden Fällen konnte dies nicht festgestellt werden, weil der Versicherer zu dem Kostenanteil nicht hinreichend vorgetragen hatte. Vorliegend teilt die Beklagte die insgesamt angefallenen Kosten anteilmäßig nach dem Verhältnis der Gesamtkosten zu den Gesamtprämien der Hauptversicherung auf (GA 453, 551). Dies ersetzt indes keinen hinreichenden Vortrag zu etwaigem tatsächlich auf die Verwaltung der Risikoanteile entfallenden Kostenaufwand. Ein solcher Vortrag wäre jedoch erforderlich gewesen, da grundsätzlich gilt: <span style="text-decoration:underline">Verwaltungskosten</span> sind nicht bereicherungsmindernd zu berücksichtigen, weil sie nicht adäquat-kausal auf der Bereicherung des Versicherers durch die Prämienzahlungen beruhen (vgl. BGH v. 24.02.2016, IV ZR 512/14, Rn. 33, juris; v. 29.07.2015, IV ZR 448/14, Rn. 47, juris, und IV ZR 384/14, Rn. 42, juris). <span style="text-decoration:underline">Abschlusskosten</span> sind nicht bereicherungsmindernd anzuerkennen, weil insoweit nach den maßgeblichen Wertungsgesichtspunkten das Entreicherungsrisiko dem Versicherer zugewiesen ist (vgl. BGH v. 24.02.2016, IV ZR 512/14, Rn. 34, juris; v. 29.07.2015, IV ZR 448/14, Rn. 48, juris, und IV ZR 384/14, Rn. 43, juris). Hinsichtlich der <span style="text-decoration:underline">Ratenzahlungszuschläge</span> ist zu differenzieren: Dienen sie dem Ausgleich für einen Zinsausfall und ein besonderes Beitragszahlungsrisiko, ist eine Wegfall der Bereicherung nicht ersichtlich; anders kann es dann sein, wenn sie einen Verwaltungsaufwand kompensieren sollen (vgl. BGH v. 29.07.2015, IV ZR 448/14, Rn. 49, juris, und IV ZR 384/14, Rn. 44, juris; BGH v. 24.02.2016, IV ZR 512/14, Rn. 35, juris; OLG Stuttgart v. 23.10.2014, 7 U 54/14, Rn. 90, juris: mit einem Anteil von durchschnittlich 2,87 Prozent allerdings im Rahmen der Schätzung zu vernachlässigen). Zu letzterem aber fehlt hier jeglicher Vortrag. Dieser kann auch nicht durch die von der Beklagten zum Beweis angebotene Auskunft der BaFin oder ein versicherungsmathematisches Sachverständigengutachten (GA 453) ersetzt werden.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">b.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Berufung beanstandet zu Recht, die Nutzungsberechnung im erstinstanzlichen Urteil sei rechtsfehlerhaft. Die Beklagte hat lediglich Nutzungen herauszugeben iHvon € 7.136,66, statt wie vom Landgericht angenommen € 8.186,35.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">aa.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Der vom Landgericht für die Berechnung der gezogenen Nutzungen errechnete <strong>Grundwert</strong> von € 26.298,60 für die Zeit vom 01.04.2002 (Vertragsbeginn) bis 31.12.2012 (Abrechnung) ist letztlich nur geringfügig zu korrigieren. Auszugehen ist von einem Grundwert von € 26.476,10,-, mithin von einem Anteil von 49,57% der Gesamtprämien. Insoweit hatte der Senat gem. Verfügung des Vorsitzenden v. 25.09.2018 (GA 587) zunächst einen Grundbetrag von € 24.944,- genannt, in der Sitzung am 23.10.2018 jedoch im Rahmen der Erörterung des Beratungsergebnisses darauf hingewiesen, dass richtigerweise - ohne Abzug der Verwaltungskosten - von einem Grundwert von € 26.476,10 auszugehen ist.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hatte nach den obigen Ausführungen unter Pkt. a) Prämienzahlungen iHvon € 31.192,13 herauszugeben. Es muss aber unterschieden werden zwischen der rechtlichen Verteilung des Entreicherungsrisikos (s.o.) und dem tatsächlich zur Ziehung von Nutzungen zur Verfügung stehenden Vermögen (vgl. BGH v. 11.11.2015, IV ZR 513/14, Rn. 44, juris). Hier hat das Landgericht zu Recht berücksichtigt, dass hinsichtlich des auf die Abschlusskosten entfallenden Prämienanteils keine Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzungen besteht. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die beklagte Versicherung Prämienanteile, welche sie für Abschlusskosten aufwandte, nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte (BGH v. 11.11.2015, IV ZR 513/14, Rn. 45, juris). Hinsichtlich des Verwaltungskostenanteils der Prämien ist jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts mangels anderweitiger Anhaltspunkte anzunehmen, dass die Beklagte, wenn sie diesen Prämienanteil zur Bestreitung von Verwaltungskosten aufwandte, auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel ersparte, die sie zur Ziehung von Nutzungen verwenden konnte (BGH aaO, Rn. 47, juris; v. 29.07.2015, IV ZR 384/14, Rn. 42, juris; IV ZR 448/14, Rn. 47, juris). Mithin sind beim Grundwert für die Berechnung der Nutzungen lediglich folgende Positionen abzusetzen</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">herauszugebende Prämienanteile (a)      € 31.192,13</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">-                      Abschlusskosten                                    €   3.853,48</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">-                      Ratenzuschläge                                    <span style="text-decoration:underline">€      862,55</span></p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">=                                                                € 26.476,10,-.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte schuldet die Herausgabe von Nutzungen (hier: Zinsen) - wie das Landgericht zutreffend angenommen hat - für die Zeit v. 01.04.2002 (Vertragsbeginn) bis zum 31.12.2012 (Abrechnung). Für die Zeit ab dem 01.01.2013 schuldet sie hingegen keine Nutzungsherausgabe. Die Beklagte hatte nach den obigen Ausführungen unter Pkt. a) Prämienzahlungen iHvon € 31.192,13 herauszugeben. Sie hat gem. Schreiben v. 18.12.2012 noch im Dezember 2012 einen Betrag iHvon gesamt € 31.831,45 (GA 57, BLD 7, GA 106f, GA 593) an den Kläger ausgezahlt, so dass der Herausgabeanspruch hinsichtlich der Prämienzahlungen Ende 2012 (ohne Nutzungen) vollständig erfüllt war, die Beklagte ab dem 01.01.2013 aus den herauszugebenden Prämienanteilen mithin keine weiteren Nutzungen (Zinsen) mehr gezogen hat.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">bb.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Berufung wendet mit Erfolg ein, der Vortrag des Klägers genüge hinsichtlich des für die Berechnung der Nutzungen maßgeblichen <strong>Zinswertes</strong> nicht den Anforderungen, die der BGH an die Schlüssigkeit des Vortrags zur konkreten Ertragslage des betroffenen Versicherers stelle.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Zutreffend ist, dass die Darlegungs- und Beweislast für die nach § 818 Abs. 1 S. 1 BGB herauszugebenden tatsächlich gezogenen Nutzungen dem Versicherungsnehmer obliegt; dies verlangt einen Tatsachenvortrag, der nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe - etwa anhand von Informationsunterlagen</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">(BGH v. 29.07.2015, IV ZR 448/14, Rn. 51, juris) oder der Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (BGH v. 29.07.2015, IV ZR 384/14, Rn. 46, juris) - gestützt werden kann (vgl. BGH v. 11.11.2015, IV ZR 513/14, Rn. 48, juris). Erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer einen aus der Ertragslage des Versicherers abgeleiteten Gewinn darlegt und nicht nur pauschal durchschnittliche Zinsgewinne behauptet. Eine tatsächliche Vermutung, dass ein Versicherer Nutzungen iHdes gesetzlichen Verzugszinses gezogen hat - wie hier der Kläger noch erstinstanzlich unter Verweis auf die Entscheidung des OLG Bamberg v. 20.11.2014, 1 U 45/14, geltend gemacht hat (GA 364) - gibt es nicht. Ist nicht erkennbar, dass dem Versicherungsnehmer entsprechender Vortrag, etwa auf der Grundlage veröffentlichter Geschäftsberichte nicht möglich gewesen wäre, greifen auch die Grundsätze der sekundären Darlegungslast nicht ein (vgl. BGH v. 11.11.2015, IV ZR 513/14, Rn. 49f, juris).</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Hier hat der Kläger gem. Verfügung des Senatsvorsitzenden v. 25.09.2018 (GA 582) mit Schriftsatz v. 22.10.2018 eine Neuberechnung der Nutzungen unter Zugrundelegung des Reinzinses gem. des mit Schriftsatz v. 23.11.2015, S. 10 (GA 364) vorgelegten Ausschnitts der BaFin Anl. K4 = GA 384ff, ergänzt um die Angaben für 2002 bis 2004 vorgenommen (vgl. BK3 = GA 589ff). Diese Berechnung basiert zwar auf gezahlten Prämienanteilen iHvon gesamt € 24.936,65 (Grundwert), kann aber auf den gem. Pkt. aa) maßgeblichen Grundwert von € 26.476,10,- hochgerechnet werden, indem man die errechneten Nutzungen für die Zeit bis 31.12.2012 (gesamt € 6.721,70) im selben Verhältnis erhöht (Faktor 1,0617344). Danach ergeben sich für die Zeit v. 01.04.2002 bis zum 31.12.2012 Nutzungen iHvon € 6.721,70 x 1,0617344 = € 7.136,66.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">cc.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Im Ergebnis hat der Kläger mithin einen Anspruch auf Zahlung iHvon</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">   € 31.192,13 Prämien</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">+                     €   7.136,66 Nutzungen (Zinsen)</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">-                      € 31.831,45 Zahlung am 27.12.2012</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">-                      €   2.325,44 Zahlung am 15.10.2013</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">-                      <span style="text-decoration:underline">€        87,65</span> Zahlung am 06.11.2013 (vgl. Berechnung des Klägers BK3, S. 5).</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">   €   4.021,25</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Wert der Berufung: € 5.221,59.</p>
|
171,324 | lsgnrw-2018-12-18-l-5-p-1418-b-er | {
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} | L 5 P 14/18 B ER | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:54 | 2019-02-12T13:44:40 | Beschluss | ECLI:DE:LSGNRW:2018:1218.L5P14.18B.ER.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 10.000 EUR und für das Beschwerdeverfahren auf 15.000 EUR festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Gründe:</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Es ist der Streitwert für ein zwischenzeitlich abgeschlossenes Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz festzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Am 11. und 12.07.2011 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) bei dem Ambulanten Pflegeservice L GmbH, L (im Folgenden Pflegeheim), die über einen Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI mit den Antragsgegnern verfügte, eine Qualitätsprüfung nach § 114 SGB XI durch.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Im Juli 2017 hörten die Antragsgegner das Pflegeheim zu dem Prüfbericht und zu dem Erlass eines Bescheides nach § 115 Abs. 2 SGB XI an, woraufhin das Pflegeheim Einwendungen erhob. Die Antragsgegner erklärten sich in der Folgezeit bereit, die Veröffentlichung des Transparenzberichtes bis zum 12.01.2018 (später bis zum 20.02.2018) zu sperren.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Am 03.01.2018 hat sich die B-heim Senioren-Residenzen T (im Folgenden: Antragstellerin), die Kommanditistin der Beschwerdeführerin ist, mit einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Düsseldorf gewandt. Dabei hat sie geltend gemacht, Trägerin des Pflegeheimes zu sein. In der Sache hat sie schriftsätzlich beantragt:</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">"Die Antragsgegner werden im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorläufig verpflichtet, die Veröffentlichung des Transparenzberichtes zu den Ergebnissen der Qualitätsprüfung vom 11.07.2017 und 12.07.2017 über den ambulanten Pflegedienst der Antragstellerin im Internet oder in sonstiger Weise sowie dessen Freigabe an Dritte zum Zwecke der Veröffentlichung zu unterlassen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird den Antragsgegnern ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten mit der Maßgabe angedroht, dass die Haft an einem vertretungsberechtigten Vorstandsmitglied der Antragsgegner zu vollziehen ist." Und</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">"Festzustellen, dass die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht verpflichtet ist, den Transparenzbericht zu den Ergebnissen der Qualitätsprüfung vom 11.07.2017 und 12.07.2017 über den ambulanten Pflegedienst der Antragstellerin in ihren Geschäftsräumen auszuhängen."</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Das Sozialgericht hat den Eilantrag abgelehnt (Beschluss vom 14.02.2018). Mit Beschluss vom 15.02.2018 hat es den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren unter Hinweis auf einen Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 02.05.2012 - L 10 P 5/12 B ER auf 25.000 EUR festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Ebenfalls am 15.02.2018 haben die Antragsgegner den Transparenzbericht im Internet veröffentlicht.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Am 16.02.2018 hat die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 14.02.2018 eingelegt, die mangels formeller Beschwer bzw. Prozessführungsbefugnis erfolglos geblieben ist (Beschluss des erkennenden Senats vom 01.06.2018).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin hat im Beschwerdeverfahren zusätzlich zu den bereits erstinstanzlich gestellten Sachanträgen schriftsätzlich beantragt:</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">"Die Antragsgegner und Beschwerdegegner werden unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.02.2018 mit dem Aktenzeichen S 39 P 341/17 ER im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorläufig verpflichtet, die Veröffentlichung des Transparenzberichtes zu den Ergebnissen der Qualitätsprüfung vom 11.07.2017 und 12.07.2017 über den ambulanten Pflegedienst der Antragstellerin und Beschwerdeführerin im Internet unverzüglich zu beseitigen."</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegner sind (ausgehend von dem Beschluss des erkennenden Senats vom 21.09.2016 - L 5 P 61/16 B ER) der Ansicht, dass der Streitwert mangels besonderer Anhaltspunkte für das wirtschaftliche Interesse in Bezug auf die Veröffentlichung des streitbefangenen Transparenzberichts auf den Auffangstreitwert i.H.v. 5.000 EUR festzusetzen ist.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Obwohl die Streitwertfestsetzung des Sozialgerichts nicht angegriffen wurde, kann hier eine Entscheidung über den Streitwert für beide Instanzen ergehen (vgl. § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerseite für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach dem Ermessen des Gerichts festzulegen (vgl. § 52 Abs. 1 GKG). Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs. 1 S. 1 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, ist nach § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Grundsätzen ist der Streitwert im vorliegenden Fall, in dem es um den Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG) aufgrund mehrerer Teilanträge ging, für die erste Instanz auf 10.000 EUR und für die zweite Instanz auf 15.000 EUR festzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dabei geht der Senat in Fortführung seiner Rechtsprechung zur Streitwertfestsetzung bei Streitigkeit um sog. Maßnahmenbescheide nach § 115 Abs. 2 SGB XI (vgl. dazu Beschlüsse vom 01.03.2018 - L 5 P 46/17 B, vom 12.04.2018 - L 5 P 88/17 B ER und vom 03.07.2018 - L 5 P 104/17 B ER) davon aus, dass sich die Streitwertfestsetzung zunächst an der Anzahl der Streitgegenstände zu orientieren hat und auf dieser Grundlage Einzelstreitwerte zu bilden sind, die schließlich zur Bildung des Gesamtstreitwertes zu summieren sind (vgl. § 39 Abs. 1 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde legend ist für die hier vorzunehmende Festsetzung unter Berücksichtigung der gestellten Anträge und des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs (vgl. dazu B. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., 12. Auflage 2017, § 95 Rn. 5) maßgebend, dass in der ersten Instanz zwei Streitgegenstände, nämlich zum einen der Erlass eines (einstweiligen) Verbotes gegenüber den Antragstellern, den Transparenzbericht zu den Ergebnissen der Qualitätsprüfung vom 11.07.2017 und vom 12.07.2017 zu veröffentlichen, und zum anderen die Feststellung, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet war, den Transparenzbericht in ihren Geschäftsräumen auszuhängen, in Rede standen. In der zweiten Instanz wurde ergänzend hierzu der Antrag gestellt, die Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, die Veröffentlichung des Transparenzberichts im Internet unverzüglich zu beseitigen, wobei es sich um einen dritten Streitgegenstand handelt.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte dafür, welche konkrete, d.h. bezifferbare, wirtschaftliche Bedeutung die jeweiligen Anträge für die Antragstellerin bzw. die Beschwerdeführerin hatten, waren weder vorgetragen noch sind solche sonst aus den Akten ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Der Senat legt für jeden der genannten Streitgegenstände den Auffangstreitwert von 5.000 EUR zu Grunde (ebenso in einem vergleichbaren Fall LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 02.08.2012 - L 27 P 39/12 B ER Rn. 38).</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Eine Reduzierung der einzelnen Auffangstreitwerte unter dem Gesichtspunkt, dass es (jeweils) nur um die Regelung eines vorläufigen Zustandes (im Rahmen von § 86b Abs. 2 S. 2 SGG) ging, kommt im Hinblick auf die ausdrückliche Verweisung in § 53 Abs. 3 Nr. 4 GKG auf § 52 Abs. 2 GKG nicht in Betracht (so bereits Beschluss des erkennenden Senats vom 03.07.2018 - L 5 P 104/17 B ER sowie LSG Berlin Brandenburg a.a.O. - beide m.w.N.).</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (in dem Beschluss vom 02.05.2012 - L 10 P 5/12 B ER Rn. 28; anders noch Beschluss vom 05.07.2010 - L 10 P 10/10 B ER) kommt eine Erhöhung der einzelnen Auffangstreitwerte mit Blick auf eine - wie auch immer zu bemessende - höhere Bedeutung des jeweiligen Gegenstandes im Vergleich zum Regelstreitwert nicht in Betracht. Denn der Regelstreitwert trägt dem Umstand Rechnung, dass es an tragfähigen Anhaltspunkten für die Bemessung eines konkreten Streitwertes gerade mangelt (so etwa zu Auskunftsansprüchen oder Überleitungsanzeigen im SGB XII z.B. BSG, Beschlüsse vom 14.05.2012 - B 8 SO 78/11 B Rn. 12 und vom 25.04.2013 - B 8 SO 104/12 B Rn. 11).</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Nach alledem ist die Festsetzung des Streitwertes für das erstinstanzliche Verfahren auf 10.000 EUR (2 Streitgegenstände) bzw. 15.000 EUR für das Beschwerdeverfahren (3 Streitgegenstände) sach- und ermessensgerecht. Sie widerspricht insbesondere nicht der von den Antragsgegnern genannten Entscheidung des erkennenden Senats vom 21.09.2016, in dem es um einen Streitgegenstand ging.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).</p>
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171,215 | ovgrlp-2018-12-18-8-a-1104918 | {
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} | 8 A 11049/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:07 | 2019-02-12T13:44:22 | Beschluss | ECLI:DE:OVGRLP:2018:1218.8A11049.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 18. Juni 2018 wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Kläger haben die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Berufungszulassungsantrag hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Kläger begehren ein bauaufsichtsbehördliches Einschreiten gegen die Nutzung des ihrem Hausgrundstück benachbarten Gebäudes des Beigeladenen durch die „Wohngemeinschaft P.“.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Beide Häuser, die zueinander jeweils nur einen Bauwich von 3 m einhalten, liegen in einem 1983 durch Bebauungsplan festgesetzten reinen Wohngebiet. Die „Wohngemeinschaft P.“ besteht aus 9 älteren, überwiegend pflegebedürftigen Personen, die sich zu einer Wohngemeinschaft zusammengeschlossen haben. Durch einen Betreuungsvertrag hat die Wohngemeinschaft die Ökumenische Sozialstation L. e.V. (im Folgenden: Sozialstation) mit der 24-stündigen Betreuung beauftragt, die von wechselnden Mitarbeitern im Schichtdicht wahrgenommen wird. Die Betreuungsleistungen umfassen u.a. hauswirtschaftliche Unterstützungsleistungen, die Förderung des Gemeinschaftslebens sowie organisatorische Tätigkeiten unter Einbindung der Angehörigen und ehrenamtlicher Helfer. Daneben haben die einzelnen Bewohner separat ebenfalls die Sozialstation mit unterschiedlichen Pflegeleistungen beauftragt. Hierzu zählen etwa die Morgen-und Abendtoilette, Hilfen bei Ausscheidungen, Reinigung der Wohnung, Zubereitung von Mahlzeiten und Betreuungsleistungen für Demenzkranke.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mitte 2015 beantragten die Kläger, dem Beigeladenen die Nutzung des Hauses durch die „Wohngemeinschaft P.“ zu untersagen, weil dies mit der Gebietsfestsetzung im Bebauungsplan unvereinbar sei. Bei den Bewohnern des Hauses handele es sich sämtlich um verwirrte Personen, die zu einem selbstbestimmten Wohnen nicht mehr in der Lage seien. Besonders beeinträchtigend sei die Nutzung der Außenwohnbereiche, vor allem wegen der zum Teil unartikulierten Rufe und Laute der Bewohner.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Dieses Begehren lehnte die Bauaufsichtsbehörde mit Bescheid vom Juli 2016 ab. Das Widerspruchsverfahren blieb ebenfalls erfolglos (Bescheid vom 12. April 2017). Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils vom 18. Juni 2018 im Wesentlichen ausgeführt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Die Kläger hätten keinen Anspruch auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten nach § 81 Satz 1 LBauO. Denn die von ihnen beanstandete Nutzung des Hauses des Beigeladenen verletzte sie nicht in ihren Nachbarrechten. Zunächst könnten die Kläger sich nicht auf den Gebietsbewahrungsanspruch berufen. Denn die Nutzung des Hauses des Beigeladenen sei mit der Festsetzung des reinen Wohngebiets vereinbar. Hinsichtlich des Inhalts dieser Festsetzung sei auf den Wohnbegriff im Sinne der BauNVO 1977 abzustellen, ohne Anwendung der Regelung in § 3 Abs. 4 BauNVO 1990. Nach diesem Festsetzungsinhalt seien zwar Altenwohnheime und Altenheime in einem reinen Wohngebiet zulässig, nicht aber Altenpflegeheime, bei denen der Versorgungs-, Pflege- und Betreuungscharakter im Vordergrund stehe. Von der letztgenannten Einrichtung unterscheide sich allerdings die selbst organisierte Wohngemeinschaft im Haus des Beigeladenen. Die Mitglieder der Gemeinschaft lebten freiwillig in dem Haus, wobei es unschädlich sei, dass der freie Wille zum Teil nur mit Hilfe eines Betreuers umgesetzt werde. Ferner sei die für den Wohnbegriff geforderte selbstbestimmte Häuslichkeit hinreichend erfüllt. Jeder Bewohner habe ein eigenes Zimmer, das er mit eigenen Möbeln und mit persönlichen Dingen ausstatten könne. Eine Mehrfachbelegung der Zimmer finde nicht statt. Es gebe keine vorgegebenen Schlaf- oder Ruhezeiten. Spezielle Pflege- oder Funktionsräume seien nicht vorhanden. Die Nutzung der Gemeinschaftsküche stehe jedem Bewohner offen. Feste Essenszeiten oder vorgegebene Speisepläne existierten nicht. Über die Aufnahme neuer Bewohner entschieden die Mitglieder der Wohngemeinschaft selbstständig durch Mehrheitsbeschluss. Auch unter Berücksichtigung der Pflegebedürftigkeit der einzelnen Bewohner (vier Bewohner mit Pflegegrad 5, drei leichte und drei schwere Fälle von Demenz) überwiege das Wohnelement deutlich. Die Wohngemeinschaft sei nach ihrem Nutzungskonzept und auch dessen tatsächlicher Umsetzung nicht auf solche Personen ausgerichtet, die überhaupt nicht mehr zu eigener Gestaltung der Haushaltsführung in der Lage seien. Die Wohngemeinschaft unterscheide sich deutlich von Pflegeeinrichtungen, die funktionsbedingt die Lebensführung der jeweiligen Bewohner vorgäben und denen sich die Bewohner unterzuordnen hätten. Eine Unzulässigkeit der beanstandeten Nutzung ergebe sich auch nicht aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Denn sie stelle auch von ihrer Intensität her keine gegenüber der üblichen Nutzung von Einfamilienhäusern deutlich andersartige Nutzung dar. Auch die intensivere Wohnnutzung eines Einfamilienhauses durch mehrere Personen wahre ohne Weiteres die Eigenart des reinen Wohngebiets. Die von den Klägern geschilderten Immissionen der Wohngemeinschaft seien grundsätzlich sozialadäquat und auch in einem reinen Wohngebiet hinzunehmen. Von einer Erhöhung des Kraftfahrzeugverkehrs durch die Betreuungspersonen oder durch Angehörige würden die Kläger, deren Haus über die Nachbarstraße erschlossen sei, schon nicht betroffen. Im Übrigen halte sich dieser Verkehr in einem verträglichen Rahmen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die von den Klägern geltend gemachten Berufungszulassungsgründe liegen nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>1. Zunächst begründen die von den Klägern vorgebrachten, für die Prüfung des Berufungszulassungsantrags nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO maßgeblichen Gründe, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben die Kläger keinen Anspruch auf das begehrte bauaufsichtsbehördliche Einschreiten. Denn durch die beanstandete Nutzung des Wohnhauses des Beigeladenen werden sie nicht in ihren Rechten verletzt. Zur Begründung kann zunächst auf die ausführliche Begründung im angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts verwiesen werden (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren führt der Senat ergänzend aus:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>a) Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich die Kläger nicht mit Erfolg auf den Gebietsbewahrungsanspruch berufen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a class="Overl" name="rd_11" title="zum Orientierungssatz">11</a></dt>
<dd><p>Denn die beanstandete Nutzung ist mit der Festsetzung eines reinen Wohngebiets vereinbar. Für den Inhalt dieser Festsetzung ist die zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses über den Bebauungsplan im Jahr 1983 gültige Vorschrift in § 3 BauNVO 1977 maßgeblich. Danach diente das reine Wohngebiet „ausschließlich dem Wohnen“; neben Anlagen zur Kinderbetreuung waren lediglich Wohngebäude zulässig. § 3 Abs. 4 BauNVO 1990, wonach zum reinen Wohngebiet auch Wohngebäude gehören, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen, verändert den Inhalt eines unter der Geltung der BauNVO 1977 zustande gekommenen Bebauungsplans nicht. Diese Vorschrift kann daher nur als Auslegungshilfe für den Begriff des Wohngebäudes i.S.v. § 3 BauNVO 1977 Bedeutung erlangen (vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996 – 4 B 302.95 – [ausgelagerte Wohngruppe eines Kinderheims mit 9 Kindern und Jugendlichen], ZfBR 1996, 228 und juris, Rn. 11; Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 4 B 49.16 – [psychotherapeutische Jugendgruppe mit 7 Kindern und Jugendlichen], ZfBR 2017, 269 und Rn. 9). Der Begriff des Wohnens i.S.v. § 3 Abs. 1 BauNVO 1977 ist durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2016, a.a.O., juris, Rn. 7 m.w.N.). Der Wohnbegriff ist abzugrenzen von anderen Nutzungsformen, die bloß der Unterbringung, des Verwahrens unter gleichzeitiger Betreuung oder als Schlafstätte dienen und daher als soziale Einrichtungen einzustufen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996, a.a.O., juris, Rn. 12; Külpmann, jurisPr-BVerwG, 13/2017 Anm. 2, B.). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wurde der Begriff des Wohngebäudes unter Geltung des § 3 BauNVO 1977 nach der allgemeinen Rechtsauffassung so verstanden, dass ihm Altenpflegeheime wegen des im Vordergrund stehenden Betreuungszwecks nicht mehr zugeordnet wurden (vgl. VGH BW, Urteil vom 17. Mai 1989 – 3 S 3650/88 –, NJW 1989, 2278 und juris, Rn. 23; Uechtritz, BauR 1989, 519 [526]; OVG Nds., Urteil vom 21. August 2002 – 1 LB 140/02 –, juris, Rn. 20).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a class="Overl" name="rd_12" title="zum Orientierungssatz">12</a></dt>
<dd><p>Die heute anzutreffenden Wohnformen älterer Menschen, die ihren Haushalt nicht mehr uneingeschränkt eigenständig führen können, weisen eine große Bandbreite auf. Es beginnt mit dem Verbleib der Menschen in ihrer bisherigen häuslichen Umgebung unter Inanspruchnahme von mehr oder weniger umfangreichen Pflege- und Betreuungsleistungen. Solche Betreuungsleistungen – von Familienangehörigen oder von professionellen Hilfsdiensten – gehören seit jeher zum Begriff des Wohnens (vgl. Determann/Stühler, in: Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 3, Rn. 21.1; auch: BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996, a.a.O., juris, Rn. 13). Ferner ist an den Wechsel des angestammten Umfelds in eine „betreute Wohnung“ zu denken, gegebenenfalls wieder unter Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen und/oder der Mahlzeiten in einem benachbarten Altenheim. Schließlich wechseln ältere Menschen vollständig in ein Altenwohnheim, bei denen es allerdings wiederum eine große Formenvielfalt gibt und die nicht selten über ergänzende Pflegeeinrichtungen bzw. Pflegeabteilungen verfügen (vgl. Determann/Stühler, a.a.O., BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 3, Rn. 11.3; OVG RP, Beschluss vom 22. Juni 2016 – 8 B 10411/16.OVG – [Zulässigkeit von Alten- und Pflegewohnheim aufgrund § 3 BauNVO 1990], BauR 2016, 1732 und juris, Rn. 15).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a class="Overl" name="rd_13" title="zum Orientierungssatz">13</a></dt>
<dd><p>Bei der hier zu beurteilenden ambulant betreuten Wohngemeinschaft handelt es sich um eine neue Form des Aufenthalts älterer Menschen, auf die der Gesetzgeber im Jahr 2012 mit der Einführung eines Wohngruppenzuschlags in der Pflegeversicherung reagiert hat (vgl. § 38a SGB XI, eingeführt durch Gesetz vom 23. Oktober 2012 [BGBl. I S. 2246]). Für die städtebauliche Zuordnung einer solchen Nutzungsform zu einem festgesetzten reinen Wohngebiet, d.h. hier für die Frage, ob die im Haus des Beigeladenen praktizierte Nutzung noch dem Wohngebäudebegriff i.S.v. § 3 BauNVO 1977 unterfällt, kommt es darauf an, ob und inwieweit die konkrete Wohngruppe die Kriterien des Wohnbegriffs erfüllt. Maßgeblich dafür ist das „Nutzungskonzept und seine grundsätzliche Verwirklichung, nicht das individuelle und mehr oder weniger spontane Verhalten einzelner Bewohner“ (so: BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996, a.a.O., juris, Rn. 12). Hierbei kommt es auf den Nutzungsschwerpunkt der Einrichtung und darauf an, ob die für das Wohnen konstituierenden Merkmale zumindest noch in einem Mindestmaß erfüllt sind oder ob die bloße Unterbringung und fremdbestimmte Verwahrung und Behandlung überwiegen (vgl. VGH BW, Urteil vom 17. Mai 1989, a.a.O. [Unzulässigkeit von Altenpflegeheimen nach § 3 BauNVO 1968], juris, Rn. 22; BayVGH, Beschluss vom 25. August 2009 – 1 CS 09.287 – [Zulässigkeit von Einrichtung für sozialpsychiatrisch betreute Wohnung gemäß § 3 BauNVO 1990], juris, Rn. 33; auch: BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996, a.a.O., juris, Rn. 13; ferner: OVG RP, Urteil vom 22. Juni 2016, a.a.O., juris, Rn. 15 bis 18).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Gemessen hieran teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei der von den Klägern beanstandeten Nutzung im Haus des Beigeladenen um eine Wohnnutzung i.S.v. § 3 Abs. 1 BauNVO 1977 handelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>(1) Hierfür spricht zunächst das Nutzungskonzept.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Gemeinschaft der 9 Bewohner ist selbst organisiert. Sie ist durch freiwilligen Zusammenschluss der Bewohner zustande gekommen und in ihrer Existenz nicht durch einen externen Träger bestimmt und gesteuert. Dass einzelne Bewohner bei dem Zusammenschluss von ihren Angehörigen oder sonstigen Betreuern unterstützt wurden, ändert nichts an der Freiwilligkeit des Eintritts in diese Wohnform (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 1 ZR 99.2460 –, juris, Rn. 7; OVG Hamburg, Beschluss vom 27. April 2004 – 2 Bs 108/04 –, BauR 2004, 1571 und juris, Rn. 4; OVG RP, Beschluss vom 22. Juni 2016, a.a.O., juris, Rn. 15). Auch schließt eine Betreuung nicht aus, dass der Betreute – wenn auch eventuell eingeschränkt – zu einer eigenständigen Gestaltung seines Lebensbereichs noch in der Lage ist. Vielmehr zielt die Betreuung gerade darauf ab, dem Betreuten eine im Rahmen seiner Fähigkeiten eigenständige Gestaltung seines Lebens entsprechend seinen Wünschen und Vorstellungen zu ermöglichen (§ 1901 Abs. 2 BGB).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Auch der Fortbestand der „Wohngemeinschaft P.“ ist selbst organisiert, stimmen die Bewohner (eventuell mit Hilfe ihrer Betreuer) doch durch Mehrheitsentscheidung über die zukünftige Zusammensetzung der Gruppe ab. Dies hat nach der vom Verwaltungsgericht angeforderten Stellungnahme der Sozialstation etwa dazu geführt, dass die Gemeinschaft nach dem Freiwerden eines der Zimmer einen ersten Bewerber um die Aufnahme abgelehnt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Dass die Bewohner der Gruppe Leistungen eines Betreuungs- und Pflegedienstes in Anspruch nehmen, stellt das Konzept einer primär auf (gemeinsames) Wohnen ausgerichteten Nutzung nicht in Frage. Denn auch insofern handelt es sich um unterstützende Leistungen, die – ähnlich wie bei dem pflegebedürftig gewordenen Menschen in seiner angestammten Wohnung – einen Verbleib in einem Wohnumfeld erst ermöglichen sollen. Eine solche Unterstützungsleistung kann auch beim Verbleib in der angestammten Wohnung in Form einer 24-Stunden-Anwesenheit erfolgen, etwa durch die Aufnahme einer Betreuungsperson in den Haushalt des älteren Menschen oder in der Einrichtung einer 24-Stunden-Betreuung im Schichtdienst, wie die Sozialstation ausgeführt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>(2) Die Zuordnung der „Wohngemeinschaft P.“ zu einer eigengestalteten Wohnform im Sinne des § 3 BauNVO 1977 und nicht zu einer überwiegend fremdbestimmten Pflegeeinrichtung eines Sozialträgers wird auch durch die „grundsätzliche Verwirklichung des Nutzungskonzepts“ (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996, a.a.O., Rn. 12) im Haus des Beigeladenen nicht in Frage gestellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Dies lässt sich aufgrund der zahlreich in den Behörden- und Gerichtsakten vorhandenen Pläne, Grundrisszeichnungen, Fotos und Beschreibungen und nicht zuletzt aufgrund der gerichtsbekannten Kenntnis vom Zustand älterer, auch mehr oder weniger pflegebedürftiger und auch mehr oder weniger dementer Menschen ohne Weiteres beurteilen. Wie das Bundesverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es für die städtebauliche Beurteilung nicht auf die momentane Situation der Gruppe und den aktuellen Zustand der Menschen an, sondern darauf, ob das auf gemeinsames selbstorganisiertes Wohnen ausgerichtete Nutzungskonzept durch die tatsächliche Nutzungspraxis „grundsätzlich“ verwirklicht und nicht in Frage gestellt wird. Auch insofern teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass im Anwesen des Beigeladenen das auf ein gemeinsames Wohnen ausgerichtete Nutzungskonzept grundsätzlich verwirklicht wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Nach den ausführlichen Darlegungen der Sozialstation zu Art und Umfang der erbrachten Unterstützungs-, Betreuungs- und Pflegeleistungen wurden in dem durch Vorlage sämtlicher Rechnungen belegten Referenzmonat Juli 2017 zwar durchaus in großem Umfang Hilfen geleistet. So wurden insbesondere für die damals 4 Personen mit einem Pflegegrad 5 umfangreiche Hilfen etwa bei der Morgen- und Abendtoilette, bei Ausscheidungen sowie bei der Zubereitung von Mahlzeiten erbracht. Insgesamt handelte es sich indes sämtlich um ambulante Dienstleistungen, wie sie auch für ältere Menschen in anderen Privatwohnungen erbracht werden. Das auf ein selbstorganisiertes Wohnen ausgerichtete Nutzungskonzept wird auch durch einen aktuell erhöhten Pflegebedarf infolge der Verschlechterung des Gesundheitszustandes einzelner Bewohner nicht grundsätzlich in Frage gestellt. So ist denn auch mittlerweile nach dem Oktober 2017 eine Person neu in die Wohngemeinschaft aufgenommen worden, die kein Pflegefall ist, wie die Sozialstation ausgeführt hat. Nach der Stellungnahme dieser Station steht in der täglichen Praxis ihrer Arbeit das Ziel im Vordergrund, die Bewohner mit Hilfe der ambulanten Unterstützungsleistungen in die Lage zu versetzen, im Rahmen ihrer Fähigkeiten und unterstützt durch ihre Angehörigen ein möglichst eigenständiges Leben zu führen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>(3) Insgesamt ist der Senat daher mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass die „Wohngemeinschaft P.“ auch in ihrer tatsächlichen Ausgestaltung auf ein gemeinschaftliches Wohnen ausgerichtet ist und sich von Pflege- und Betreuungseinrichtungen unterscheidet, bei denen der fremdbestimmte Versorgungscharakter im Vordergrund steht. Diese Einschätzung wird durch die Feststellung des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung vom 27. September 2016 (Bl. 300 der Behördenakte) bestätigt. Darin heißt es:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„Nach eingehender Prüfung der uns vorliegenden Unterlagen Mietvertrag, Betreuungsvertrag, Vereinbarung/Prinzipien der Mieter und Mieterinnen in der Wohngemeinschaft „P.“ und unserem Besuch in der benannten Wohngemeinschaft stellen wir fest, dass [es sich bei der Wohngemeinschaft weiterhin um] eine selbst organisierte Wohngemeinschaft für volljährige Menschen mit Behinderung oder pflegebedürftige volljährige Menschen [i.S.v. § 3 Abs. 2 des Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe – LWTG – handelt].“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>b. Wenn auch im Berufungszulassungsantrag nicht angesprochen, sei ergänzend bemerkt, dass der Senat die derzeit praktizierte Nutzung im Haus des Beigeladenen auch im Hinblick auf § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht als bauplanungsrechtlich unzulässig bewertet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets (vgl. hierzu: BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2002 – 4 B 86/01 –, NVwZ 2002, 1384 – Leitsatz –; OVG Hamburg, Beschluss vom 13. August 2009 – 2 Bs 102/09 –, BauR 2009, 1867) dann in Betracht, wenn ein Bauvorhaben, das der Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung entspricht – wie hier –, sich im Einzelfall deshalb als unzulässig erweist, weil es nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Die Vorschrift geht davon aus, dass im Einzelfall – ausnahmsweise – „Quantität in Qualität umschlagen“ kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 1995 – 4 C 3.94 –, NVwZ 1995, 899, juris Rn. 1 f.; OVG NDS, Beschluss vom 28. Mai 2014 – 1 ME 47/14 –, BauR 2014, 1910 und juris Rn. 13).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Anzahl der Bewohner insofern ein maßgebliches Kriterium für den Nutzungsumfang sein kann oder ob § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht vielmehr nur auf Faktoren für das Maß der baulichen Nutzung abstellt. Denn weil es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift handelt, ist ein Widerspruch zur Eigenart der baulichen Nutzung nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der im Baugebiet hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das Neubauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung „im Einklang steht“, genügt dafür nicht (vgl. OVG RP, Beschluss vom 8. Dezember 2016 – 8 A 10680/16.OVG –, juris Rn. 11; Determann/Stühler, in: Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 15 Rn. 9.1). Eine derart auffällige Unverträglichkeit liegt hier auch im Hinblick auf die Zahl der Bewohner im Wohnhaus des Beigeladenen nicht vor (vgl. zu diesem Aspekt auch: OVG RP, Beschluss vom 8. Dezember 2016 – 8 A 10680/16.OVG – [studentische Wohngemeinschaft mit 11 Personen im reinen Wohngebiet], juris, Rn. 12).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>c. Auch im Hinblick auf die Beachtung des Rücksichtnahmegebots gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO finden sich im Berufungszulassungsbegehren der Kläger keine weiteren Ausführungen. Auch insofern kann daher auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts verwiesen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>2. Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Der geltend gemachte Aufklärungsmangel ist nicht gegeben. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachaufklärung grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter - wie hier - nicht ausdrücklich beantragt hat. Der Beweisantrag ist förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 4 B 20.12 –, BRS 79 Nr. 73, Rn. 6 m.w.N.). Eine lediglich schriftsätzliche Beweisanregung (wie hier im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Kläger vom 26. September 2017, Bl. 57 der GA) genügt insofern nicht (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 124, Rn. 191).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen war eine weitere Aufklärung der Nutzungsverhältnisse im Haus des Beigeladenen auch nicht entscheidungserheblich. Der Sachverhalt ist aufgrund der zahlreich vorhandenen Pläne und Fotos sowie gerade durch die vom Verwaltungsgericht veranlasste ergänzende, in ihrem Inhalt nicht bestrittene Stellungnahme der Sozialstation gut aufgeklärt. Wie oben bereits ausgeführt, ist der Zustand älterer Menschen mit mehr oder weniger großem Pflegebedarf und mit oder weniger fortgeschrittener Demenz im Allgemeinen gerichtsbekannt. Auf den konkreten und aktuellen Zustand der Bewohner im Haus des Beigeladenen kommt es nach den obigen Ausführungen nicht an. Denn danach ist für die städtebauliche Beurteilung maßgeblich auf das „Nutzungskonzept und seine grundsätzliche Verwirklichung, nicht aber auf das individuelle und mehr oder weniger spontane Verhalten einzelner Bewohner [abzustellen]“ (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996, a.a.O., juris, Rn. 12).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gründe dafür, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, liegen nicht vor, da der Beigeladene mangels eigener Antragstellung seinerseits kein Kostenrisiko getragen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47, 52 GKG.</p></dd>
</dl>
</div></div>
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<br><div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
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<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Trier zuzulassen, wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 7.955,35 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
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<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>1. Die vom Kläger geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen eine Berufungszulassung nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>a) Die Antragsbegründung stellt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das veranlagte Grundstück des Klägers werde durch die abgerechnete Erschließungsanlage zweiterschlossen, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, 1163).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Anders als der Kläger meint, schließt der Bebauungsplan „A...“ aus dem Jahr 1983 eine Zweiterschließung seines Wohngrundstücks nicht aus. Zwar wird mit diesem Bebauungsplan eine Ausfahrtsbeschränkung zu der abgerechneten Erschließungsanlage, der damals ein Wirtschaftsweg war, und ein Baufenster auf dem gegenüber davon liegenden Grundstücksteil festgesetzt. Das Verwaltungsgericht hat allerdings bereits zutreffend ausgeführt, dass sich dem nicht entnehmen lässt, dieser frühere Wirtschaftsweg könne auch dann keine Erschließungsfunktion für das Grundstück des Klägers erlangen, wenn er aufgrund einer Jahrzehnte später erfolgenden Planungsentscheidung der Beklagten als Gemeindestraße erstmals hergestellt wird. Gegen die Auffassung des Klägers, im Jahr 1983 habe die planerische Konzeption der Beklagten eine (Zweit-)Erschließung seines Grundstücks ausgeschlossen, spricht zudem, dass dem Kläger seinerzeit eine Eckgrundstücksvergünstigung bei der Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen gewährt wurde, wie die Beklagte durch Vorlage einer Kopie des seinerzeit ergangenen (Teil-)Beitragsbescheids belegt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>b) Wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt wurde, ist nach dem auch in der Antragsbegründung erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Mai 2002 (– 9 C 5.01 –, NVwZ-RR 2002, 770) maßgebend, ob für ein Grundstück im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten gerade im Hinblick auf die abzurechnende Straße "aktuell" eine Baugenehmigung erteilt werden müsste. Dies trifft auf das veranlagte Grundstück des Klägers zu, auch wenn man sich die „Ersterschließung“ dieses Grundstücks hinwegdenkt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Die dafür ausreichende Zugangsmöglichkeit, auf der abgerechneten Erschließungsanlage mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen an die Grenze des Grundstücks heranzufahren und es von da – ggf. über einen zu dieser öffentlichen Straße gehörenden Gehweg und/oder Radweg bzw. Grünstreifen – zu betreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 1991 – 8 C 59.89 –, BVerwGE 88, 70), besteht unabhängig davon, ob die Böschung, durch die die Grenze zwischen der gewidmeten Erschließungsanlage und dem Grundstück des Klägers verläuft, bereits mit einer Treppe als Zugang versehen wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a class="Overl" name="rd_7" title="zum Leitsatz">7</a></dt>
<dd><p>Hängt die Beseitigung eines Zugangshindernisses – wie hier – von einem Zusammenwirken der Gemeinde und des Eigentümers des Anliegergrundstücks ab, ist das Grundstück im Sinne des § 133 Abs. 1 BauGB erschlossen, wenn die Gemeinde sich verpflichtet, die auf der Straßenparzelle erforderlichen Voraussetzungen für einen Zugang zu schaffen, der Eigentümer des in der Erreichbarkeit behinderten Grundstücks es an seiner erforderlichen Mitwirkung aber fehlen lässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1991 – 8 C 67.89 –, BVerwGE 88, 248; OVG RP, Urteil vom 20. Januar 2004 – 6 A 11601/03.OVG –; OVG RP, Beschluss vom 19. September 2017 – 6 A 11198/16.OVG –). Denn es ist unsinnig, zwei oder drei Treppenstufen auf dem Grundeigentum der Beklagten im Randbereich der gewidmeten Straße zu errichten, solange der Kläger nicht bereit ist, seinerseits im Böschungsbereich seines Grundstücks die weiteren Stufen anzulegen, die insgesamt erst den Zugang schaffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Dabei ist auf Seiten des Grundstückseigentümers bereits dann von einer fehlenden Mitwirkung auszugehen, wenn er mit seinem Gesamtverhalten dokumentiert, er habe kein Interesse an der Beseitigung des Hindernisses (vgl. VGH BW, Urteil vom 1. September 1997 – 2 S 661/96 –, juris). Wie in dem angefochtenen Urteil bereits erwähnt wurde, hat der Kläger von einer „ziemlich sinnlose[n] Zufahrt“ (Schriftsatz vom 9. Oktober 2017) und einer Zweiterschließung gesprochen, mit der „nur Nachteile verbunden“ seien. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger keine Erklärung zu der Zusage der Beklagten, ihren Beitrag zur Schaffung eines Zugangs zu leisten, abgegeben. Daraus kann auf das Bestehen seiner Mitwirkungsbereitschaft nicht geschlossen werden. Vielmehr hat er auch damit erkennen lassen, dass er kein Interesse an der Errichtung eines Zugangs hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Anders als der Kläger meint, kommt es insoweit nicht darauf an, ob er als Grundstückseigentümer seine Mitwirkung nachdrücklich und ernsthaft verweigert hat. Danach ist nämlich (nur) dann zu fragen, wenn die Beseitigung des Zugangshindernisses allein in der Verfügungsmacht der Gemeinde steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1991 – 8 C 67.89 –, BVerwGE 88, 248;). So liegen die Dinge hier − wie ausgeführt − jedoch nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>c) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sich ferner nicht aus dem Vorbringen, das erschließungsrechtliche Planerfordernis (hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1994 − 8 C 2.93 − BVerwGE 97, 62) sei nicht erfüllt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a class="Overl" name="rd_11" title="zum Orientierungssatz">11</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 125 Abs. 2 BauGB dürfen Erschließungsanlagen, wenn ein Bebauungsplan nicht vorliegt, nur hergestellt werden, wenn sie den in § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen. In dem angefochtenen Urteil ist zutreffend ausgeführt worden, dass die wichtigste materiell-rechtliche Bindung, in deren Rahmen sich jede planende Gemeinde bei der Ausübung ihrer Gestaltungsfreiheit und damit auch bei der bebauungsplanersetzenden Planung einer Erschließungsanlage nach § 125 Abs. 2 BauGB halten muss, das Gebot ist, alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dieser Abwägungsvorgang kann – wie hier – durch die Erläuterung der Straßenplanung in Bezug auf Breite, Aufteilung in Teileinrichtungen, Gestaltung und technische Ausführung sowie deren Erörterung in dem zuständigen Gremium erfolgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 2003 – 9 C 2.03 –, NVwZ 2004, 483). Das Abwägungsergebnis kann nur dann zur Rechtswidrigkeit der Herstellung der Erschließungsanlage führen, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass diese planerische Entscheidung ohne den Mangel im Ergebnis anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 1981 – 4 C 57.80 –, BVerwGE 64, 33 <39 f.>). Davon kann im Hinblick auf die abgerechnete Erschließungsanlage und die Einzelheiten ihrer Ausführung nicht die Rede sein. Anhaltspunkte für eine Verfehlung der Anforderungen an eine alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange berücksichtigende Abwägung legt der Zulassungsantrag nicht dar; sie sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Durchgreifende Richtigkeitszweifel wirft die Antragsbegründung auch nicht mit dem Hinweis auf, die Hauptsatzung der Beklagten übertrage dem Ortsbeirat H. lediglich die Befugnis, über die „Ausbauart“, also das Bauprogramm, zu entscheiden, nicht aber die Befugnis, eine planerische Entscheidung nach § 125 Abs. 2 BauGB zu treffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a class="Overl" name="rd_13" title="zum Orientierungssatz">13</a></dt>
<dd><p>Da der Gesetzgeber mit dem erschließungsrechtlichen Planerfordernis sicherstellen wollte, dass insbesondere die Anbaustraßen in Übereinstimmung mit der übrigen städtebaulichen Struktur der Gemeinde angelegt werden (BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1997 – 8 C 6.96 –, NVwZ-RR 1998, 64), kann die planerische Entschließung nach § 125 Abs. 2 BauGB im Einzelfall auch zusammen mit der Festlegung des sog. Bauprogramms (Ausbaupläne in technischer und räumlicher Sicht) erfolgen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 18. Dezember 2007 – 2 S 1657/06 –, NVwZ-RR 2008, 444). Denn die Entscheidung über die „Ausbauart“, also in welcher Breite, Aufteilung in Teileinrichtungen, Gestaltung und technischen Ausführung eine Erschließungsanlage vor dem Hintergrund der gewünschten städtebaulichen Entwicklung und unter Berücksichtigung insbesondere der Belange der Anlieger, des Verkehrs, der Wirtschaft und des Umweltschutzes hergestellt werden soll, fällt mit der Abwägung dieser Gesichtspunkte gegeneinander und untereinander zusammen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>2. Soweit mit dem Zulassungsantrag gerügt wird, das Verwaltungsgericht habe „in verfahrensfehlerhafter Weise“ angenommen, der Kläger habe sich „nachträglich und ernsthaft“ gegen die Anlegung eines Zugangs ausgesprochen, werden weder Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch ein Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) dargelegt. Denn eine solche Annahme kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht aus dem (prozessualen) Gesamtverhalten des Klägers geschlossen, dass er kein tatsächliches Interesse an einer Beseitigung des bestehenden Hindernisses für das Betretenkönnen seines Grundstücks habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>3. Der Antrag war nach alledem mit der sich aus § 154 Abs. 2 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 und 3 GKG.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div>
|
171,150 | ovghh-2018-12-18-1-bf-14517az | {
"id": 378,
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} | 1 Bf 145/17.AZ | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:33 | 2019-02-12T13:44:12 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2017 zuzulassen, wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Kläger begehrt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung weiter die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes, weiter hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der nach seinen Angaben 21 Jahre alte Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im Oktober 2015 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) machte er u.a. geltend, dass die Taliban versucht hätten, ihn für Kampfhandlungen zu rekrutieren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 6. September 2016 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den Antrag auf Asylanerkennung und die Zuerkennung subsidiären Schutzes ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen und erließ eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die daraufhin von dem Kläger erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2017 abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 AsylG. Das Gericht habe sich nicht davon überzeugen können, dass er in Afghanistan von den Taliban verfolgt worden sei, denn sein diesbezügliches Vorbringen habe verschiedene Steigerungen, Widersprüche und Ungereimtheiten aufgewiesen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch darauf, dass ihm subsidiärer Schutz i.S.v. § 4 AsylG gewährt werde. Insbesondere sei es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu befürchten habe. Es sei nicht anzunehmen, dass in der Provinz Herat, in die der Kläger voraussichtlich zurückkehren werde, praktisch für jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit eine ernsthafte individuelle Bedrohung bestehe. Schließlich habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG. Trotz der schlechten Versorgungslage und der unzureichenden medizinischen Versorgung in Afghanistan sei er mangels besonderen Schutzbedarfs in der Lage, dort seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Gegen das dem Kläger am 24. Mai 2017 zugestellte Urteil hat er am 26. Juni 2017 – einem Montag – einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt und diesen Antrag begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die im Zulassungsantrag dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Gericht vorliegend beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen (hierzu 1.). Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 VwGO zuzulassen (hierzu 2.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Berufungsentscheidung erhebliche tatsächliche oder rechtliche Frage aufwirft, die bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist und daher im Interesse der Einheit, der Fortbildung oder der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Rechts der Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedarf. Dementsprechend verlangt das Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass der Rechtsmittelführer – erstens – eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, dass er – zweitens – ausführt, warum diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, dass er – drittens – erläutert, weshalb sie klärungsbedürftig ist, und dass er – viertens – darlegt, inwieweit ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 2.2.2015, 1 Bf 208/14.AZ, AuAS 2015, 103, juris Rn. 8, m.w.N.). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechts- oder Tatsachenfrage kann nur dann zu einer Zulassung der Berufung führen, wenn die gestellte Frage nach Maßgabe der nicht mit beachtlichen Zulassungsgründen angegriffenen Rechtsansicht und tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich wäre (vgl. VGH München, Beschl. v. 31.8.2018, 8 ZB 17.31813, juris Rn. 28; Beschl. v. 9.3.2017, 20 ZB 17.30213, juris Rn. 4; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 78 AsylG Rn. 16; Berlit, in: GK-AsylG, Loseblatt, Stand: September 2018, § 78 Rn. 153 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Der Kläger wirft mit der Begründung seines Zulassungsantrags die Frage auf,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„ob in Anbetracht der konkreten Sicherheitslage in der Region um die Großstadt Herat im Besonderen oder in anderen Großstadtregionen Afghanistans angesichts der allgemeinen Sicherheitslage hinreichende Erwerbsmöglichkeiten für alleinstehende, gesunde junge, aus dem Ausland nach längerer Abwesenheit zurückkehrende Männer ohne familiäre oder soziale Strukturen und ohne Zugang zu (legalen) Flüchtlingslagern bestehen, die ein Leben wenigstens am Rande des Existenzminimums einschließlich Nahrung, Unterkunft, Kleidung und Zugang zu rudimentärer Versorgung zu sichern geeignet sind“.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Darlegungen des Klägers zu dieser Frage rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>a) Der Kläger setzt die o.g. Frage zunächst in Beziehung zu den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, mit denen es einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG verneint hat. Insoweit legt er aber nicht i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dar, dass die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist. Namentlich legt er nicht dar, inwieweit die Zuerkennung subsidiären Schutzes i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG davon abhängt, dass für eine nach Afghanistan zurückkehrende Person hinreichende, d.h. existenzsichernde Erwerbsmöglichkeiten vorhanden sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat bei der Prüfung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG einzig auf die Sicherheitslage (in der potentiellen Rückkehrregion des Klägers) sowie die Wahrscheinlichkeit, dort Opfer einer Gewalttat zu werden, abgestellt und sich hierbei, was den zugrunde gelegten Maßstab anbelangt, auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gestützt. Diesen Prüfungsmaßstab greift der Kläger in der Begründung seines Zulassungsantrags nicht mit beachtlichen Erwägungen an. Im Gegenteil verweist er in seinem ergänzenden Schriftsatz vom 28. Juli 2017 darauf, er beanstande nicht, dass das Verwaltungsgericht „die allgemeine Sicherheitssituation im Sinne der body count Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verkannt“ habe. Dann aber ist nicht erkennbar, welche Relevanz die Frage nach dem Vorhandensein von Erwerbsmöglichkeiten und die in diesem Zusammenhang stehenden Ausführungen zur Arbeitslosigkeit in Afghanistan und zur großen Zahl von Rückkehrern, die auf den Arbeitsmarkt in Afghanistan drängen, für die Zuerkennung subsidiären Schutzes i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Etwas anderes gilt nicht mit Blick auf den Verweis des Klägers darauf, dass „bei absoluter Armut bei prekärer Sicherheitslage (...) nicht zwingend die Schwelle zum innerstaatlichen Konflikt (body count) überschritten sein (muss), wenn § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK in Rede stehen kann“. Damit bezieht der Kläger die eingangs dargestellte Frage (auch) auf einen etwaigen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Auch insoweit legt er die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage indes nicht hinreichend i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht ist nicht davon ausgegangen, dass auch in Fällen „absoluter Armut“ bzw. unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Betracht gezogen werden kann. Vielmehr ist es, wie die Bezugnahme auf seine Ausführungen zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers deutlich machen und wie dies auch der ganz überwiegend in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung entspricht (vgl. i.E. VGH Mannheim, Urt. v. 12.10.2018, A 11 S 316/17, juris Rn. 54 ff., m.w.N.), davon ausgegangen, dass es für § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG eines individuellen Bezugs im Sinne einer Verursachung durch einen bestimmten Akteur bedarf. Der Kläger zieht diesen von dem Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Prüfungsmaßstab durch den nicht näher begründeten Verweis darauf, dass „§ 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK in Rede stehen kann“, nicht durchgreifend in Zweifel. Vor diesem Hintergrund gehen seine Ausführungen zu den Lebensumständen in Afghanistan auch im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ins Leere.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Soweit der Kläger schließlich – im Rahmen der von ihm aufgeworfenen Frage und wiederholt im Zuge seiner weiteren Ausführungen – auch auf die Verschlechterung der Sicherheitslage verweist, bezieht er sich zwar auf einen für § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG grundsätzlich relevanten Aspekt. Seine Ausführungen gehen aber nicht über die allgemeine und nicht weiter konkretisierte Feststellung hinaus, die Sicherheitslage habe sich verschlechtert. Insbesondere legt der Kläger nicht im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dar, dass die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Stadt Herat habe im Vergleich mit anderen Städten in Afghanistan mit die wenigsten zivilen Opfer zu beklagen, inhaltlich unzutreffend ist. Weder führt der Kläger gegenteilige gerichtliche Entscheidungen an, noch bezieht er sich insoweit auf (erhebliche) fachliche Gutachten, die zu einem anderen Ergebnis als das Verwaltungsgericht kommen. Insoweit greift auch die vom Kläger hiergegen vorgebrachte Verletzung rechtlichen Gehörs nicht durch (hierzu nachfolgend 2.). Da der Kläger diese Aussage des Verwaltungsgerichts nicht mit beachtlichen Zulassungsgründen angegriffen hat, hat der beschließende Senat sie im Weiteren seiner Prüfung zugrunde zu legen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>b) Der Kläger legt auch nicht hinreichend i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dar, dass die o.g. Frage für die Prüfung, ob ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots i.S.v. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht, von grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ist. Weder legt er insoweit ihre Entscheidungserheblichkeit, noch legt er ihre Klärungsbedürftigkeit dar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Soweit der Kläger im Rahmen der von ihm als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Frage und wiederholt im Zuge seiner weiteren Darlegungen (auch) auf die konkrete bzw. allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan abstellt, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Das Verwaltungsgericht hat sich bei seiner Prüfung eines Anspruchs des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (in verfassungskonformer Auslegung) wegen Vorliegens einer Extremgefahr auf die Versorgungslage und in diesem Zusammenhang auf allgemeine Gefahren aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche bezogen (UA S. 14). Diesen Prüfungsansatz zieht der Kläger nicht mit beachtlichen Erwägungen in Zweifel. Weder legt er dar, dass es sich bei einer angespannten Sicherheitslage ebenfalls um eine allgemeine Gefahr in dem vorstehenden Sinne handeln kann, noch legt er dar, dass bzw. aus welchen Gründen eine angespannte Sicherheitslage stets Auswirkungen auf die Möglichkeiten eines Rückkehrers nach Afghanistan hat, seine Existenz (durch Erwerbstätigkeit) zu sichern. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, mit welcher er gerade darauf abstellt, dass in Anbetracht der schlechten Sicherheitslage auch in Herat – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei Herat nicht sicher – ein Erschließen von Einkommensmöglichkeiten für ihn eben gerade nicht möglich sei, ist aber auch deshalb nicht entscheidungserheblich, weil – wie ausgeführt – der Kläger die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Stadt Herat habe im Vergleich mit anderen Städten in Afghanistan mit die wenigsten zivilen Opfer zu beklagen, nicht mit beachtlichen Zulassungsgründen angegriffen und der beschließende Senat diese daher bei seiner weiteren Prüfung zugrunde zu legen hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen hat der Kläger nicht hinreichend i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, dass die von ihm aufgeworfene Frage klärungsbedürftig ist. Hierfür genügt es nicht, lediglich Zweifel an der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils zu äußern oder lediglich zu behaupten, dass sich die entscheidungserheblichen Tatsachen anders darstellen als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es der Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen und über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Tatsachen, etwa mit Blick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Stellungnahmen von Sachverständigen oder wegen des Gewichts einer abweichenden Meinung, einer unterschiedlichen Würdigung und damit einer Klärung im Berufungsverfahren zugänglich sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 21.3.2007, 15 A 750/07.A, juris Rn. 6; vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 15.2.2018, 1 Bf 111/17.AZ, BA S. 4, n.v., m.w.N.). Auch diesen Anforderungen wird die Begründung des Zulassungsantrags nicht gerecht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Der Kläger leitet, ausgehend von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs München (Beschl. v. 15.6.2016, 13a ZB 16.30083, juris), die er als „nahezu flächendeckend“ bezeichnet und die das Verwaltungsgericht als (sekundäre) Erkenntnisquelle in das Verfahren eingeführt hat, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage daraus ab, dass die bisherige Rechtsprechung unter Berücksichtigung der sich immer weiter verschärfenden Sicherheitslage keinen Bestand haben könne, weil in jüngerer Zeit eine große Zahl von Menschen aus dem (benachbarten) Ausland nach Afghanistan zurückkehre und auf den Arbeitsmarkt dränge. Hierzu bezieht er sich auf Berichte über die Anzahl von Menschen, die insbesondere in den Jahren 2016 und 2017 nach Afghanistan zurückgekehrt seien, sowie auf Berichte über den Zustand des Arbeitsmarkts in Afghanistan und die dortige (hohe) Arbeitslosenquote.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Mit diesen Ausführungen legt der Kläger nicht dar, dass die aufgezeigten Gesichtspunkte es erforderlich machen, die aufgeworfene und auch nach der Darstellung des Klägers in der obergerichtlichen Rechtsprechung vielfach behandelte Frage einer (neuerlichen) Klärung im Rahmen des vorliegenden Berufungsverfahren zuzuführen. Zum einen legt der Kläger nicht dar, es lasse sich etwa der (neueren) Erkenntnislage entnehmen, dass Rückkehrer nach Afghanistan in relevanter Zahl in derartiger Armut lebten, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Extremgefahr (s.o.) erfüllt sind. Auch auf (neuere) Rechtsprechung, die das Vorliegen der Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (in verfassungskonformer Auslegung) angesichts der großen Anzahl von Rückkehrern und wegen fehlender Erwerbsmöglichkeiten nunmehr bejaht, bezieht sich der Kläger nicht. Zum anderen rechtfertigen die aufgezeigten Gesichtspunkte nicht den Schluss, dass – ausgehend von dem von dem Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Maßstab (UA S. 13), den der Kläger nicht angreift – jeder Rückkehrer alsbald nach der Rückkehr „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tode oder vergleichbaren Verletzungen ausgeliefert würde“. Es mag zwar sein, dass der Konkurrenzdruck auf dem afghanischen Arbeitsmarkt aufgrund der Vielzahl junger Menschen, die auf der Suche nach Arbeit sind, steigt und damit relativ weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Es ist aber nicht erkennbar, dass ein zwingender Zusammenhang zwischen der Lage und dem Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt und einer Situation besteht, in der jeder Rückkehrer einer Extremgefahr in dem o.g. Sinne ausgesetzt wird. Insoweit legt der Kläger nämlich nicht dar, dass Rückkehrer nach Afghanistan auch keine Gelegenheits- oder Aushilfsjobs abseits des „regulären“ Arbeitsmarkts finden könnten, mit denen – ggf. in Verbindung mit humanitärer Unterstützung, die der Kläger bei seinen Erwägungen weitgehend ausklammert – zumindest eine bescheidene Existenzsicherung ermöglicht wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>2. Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensmangels i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>a) Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht sei nicht i.S.v. § 138 Nr. 1 VwGO vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil „der erkennende Einzelrichter nicht als Einzelrichter hätte entscheiden dürfen“, greift der Einwand nicht durch. Zum einen hat das Verwaltungsgericht nicht durch den Einzelrichter i.S.v. § 76 AsylG, sondern durch den Berichterstatter anstelle der Kammer gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO entschieden. Dazu hatte der Kläger in dem Schriftsatz vom 27. Oktober 2016 sein Einverständnis erteilt. Zum anderen war – ohne dass es hierauf ankommt – der Richter, der das angefochtene Urteil als Berichterstatter anstelle der Kammer gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO erlassen hat, entgegen der Annahme des Klägers im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits seit eineinhalb Jahren ernannt und damit einzelrichterfähig i.S.v. § 76 Abs. 5 AsylG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>b) Es liegt auch kein Gehörsverstoß i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO vor, weil das Verwaltungsgericht die seiner Entscheidung zugrunde gelegten Erkenntnismittel nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt habe. Der Kläger macht hierzu geltend, das Verwaltungsgericht habe sich für seine Annahme, „die Stadt Herat (habe) im Vergleich mit anderen Städten in Afghanistan mit die wenigsten zivilen Opfer zu beklagen“ (UA S. 12), auf eine nicht veröffentlichte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg (Beschl. v. 14.11.2016, 14 A 3303/14) gestützt, die in der mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung versendeten Liste der Erkenntnisquellen zur Lage in Afghanistan nicht genannt gewesen sei. Diese Rüge greift im Ergebnis nicht durch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Allerdings beanstandet der Kläger zu Recht, dass das Verwaltungsgericht die vorstehend genannte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg – dass auch die weitere von dem Verwaltungsgericht als sekundäre Erkenntnisquellen angeführte Rechtsprechung zur Sicherheitslage in Herat nicht ordnungsgemäß eingeführt worden ist, macht der Kläger in der Begründung seines Zulassungsantrags nicht geltend – weder im Rahmen der vorab mitgeteilten Erkenntnisquellenliste, noch gesondert in der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO gebieten, dass ein Urteil nur auf solche Tatsachen und Beweismittel (einschließlich Presseberichte und Behördenauskünfte) gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Nur bei einer Offenlegung der Erkenntnisquellen über die der Entscheidungsfindung zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände wird den Beteiligten eine effektive Prozessführung ermöglicht und die Gelegenheit eröffnet, durch Vortrag und Anträge auf die Zusammensetzung des Quellenmaterials Einfluss zu nehmen. Hieraus folgt im gerichtlichen Asylverfahren grundsätzlich die Pflicht des Gerichts, die Erkenntnismittel, auf die es seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt, in einer Weise zu bezeichnen und in das Verfahren einzuführen, die es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht, diese zur Kenntnis zu nehmen und sich zu ihnen zu äußern. Lediglich auf offenkundige Tatsachen, die allen Beteiligten gegenwärtig sind und von denen sie wissen, dass sie für die Entscheidung erheblich sein können, darf die Entscheidung auch ohne ausdrücklichen Hinweis gestützt werden. Für eine Einführung in das Verfahren reicht es dabei grundsätzlich aus, dass das Gericht den Beteiligten eine Liste der betreffenden Erkenntnismittel übersendet. Zu den ordnungsgemäß in das Verfahren einzuführenden Erkenntnismittel sind auch andere Gerichtsentscheidungen zu rechnen, sofern sie nicht allein wegen ihrer rechtlichen Schlussfolgerungen, sondern (auch) im Hinblick auf ihre tatsächlichen Feststellungen zur Begründung herangezogen werden (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 18.9.2017, A 11 S 2067/17, juris Rn. 19; OVG Lüneburg, Beschl. v. 5.1.2016, 2 LA 285/15, juris Rn. 3; Beschl. v. 8.7.2014, 13 LA 16/14, AuAS 2014, 174, juris Rn. 4, alle m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Indes führt allein die unterbliebene Einführung von entscheidungserheblich herangezogenen Erkenntnismitteln nicht automatisch zur Annahme eines relevanten, d.h. zur Zulassung der Berufung führenden Verfahrensfehlers i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO. Denn die Verletzung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die angegriffene Entscheidung auf dem Fehlen des rechtlichen Gehörs beruht. Das ist nur dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung des Beteiligten zu einer anderen und für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 103 Rn. 12, m.w.N.). Demzufolge ist auch in einem derartigen Fall substantiiert darzulegen, was bei ordnungsgemäßer Einführung des Erkenntnismittels vorgetragen worden und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.2.1998, 4 B 2.98, NVwZ 1998, 1066, juris Rn. 9; Beschl. v. 19.8.1997, 7 B 261.97, NJW 1997, 3328, juris Rn. 4; Beschl. v. 19.3.1991, 9 B 56.91, NVwZ-RR 1991, 587, juris Rn. 7; VGH Mannheim, Beschl. v. 18.9.2017, A 11 S 2067/17, juris Rn. 20). Wird die Verletzung rechtlichen Gehörs darauf gestützt, dass ein die angegriffene Entscheidung tragendes Erkenntnismittel nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden ist, so ist deshalb darzulegen, in welchem Zusammenhang das Verwaltungsgericht dieses Erkenntnismittel herangezogen hat, inwieweit die in dem Erkenntnismittel enthaltenen Tatsachen oder die hieraus von dem Verwaltungsgericht gezogenen Schlüsse unzutreffend sind und was – bei ordnungsgemäßer Einführung – in Bezug auf die in diesem Erkenntnismittel enthaltenen Tatsachen vorgetragen worden wäre. Denn nur auf der Grundlage eines solchen Vortrages kann geprüft und entschieden werden, ob auszuschließen ist, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für den Kläger günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 1.3.2005, 9 LA 46/05, juris Rn. 7; VGH Kassel, Beschl. v. 2.7.1997, 13 UZ 1216/97.A, juris Rn. 5; OVG Münster, Beschl. v. 3.7.1996, 25 A 2968/96.A, AuAS 1996, 263, juris Rn. 6; zum Ganzen zusammenfassend Berlit, in: GK-AsylG, Loseblatt, Stand: September 2018, § 78 Rn. 646, m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>An diesen Voraussetzungen mangelt es vorliegend. Der Kläger verweist mit der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung darauf, er habe sich mit den relevanten Erkenntnisquellen nicht auseinandersetzen und nicht „entsprechende Beweisanträge“ stellen können. Dieser Beweisantrag „hätte (...) ergeben, dass in Anbetracht der schlechten Sicherheitslage auch in Herat ein Erschließen von Einkommensmöglichkeiten für den Kläger eben gerade nicht gegeben ist“. Abgesehen davon, dass es nicht ausreichend ist, lediglich darauf hinzuweisen, es hätte die Möglichkeit bestanden, zu einzelnen Erkenntnissen Stellung zu nehmen oder Beweisanträge zu stellen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 3.7.1996, 25 A 2968/96.A, AuAS 1996, 263, juris Rn. 8), geht aus dem Vorbringen des Klägers schon nicht hervor, dass er die von dem Verwaltungsgericht auf der Grundlage der nicht eingeführten Erkenntnisquelle zugrunde gelegte Tatsache – Herat habe im Vergleich mit anderen Städten in Afghanistan mit die wenigsten zivilen Opfer zu beklagen – für unzutreffend hält. Auch lässt sich seinen Darlegungen nicht entnehmen, welchen Beweisantrag er bei ordnungsgemäßer Einführung der vorenthaltenen Erkenntnisquelle gestellt hätte. Dafür, dass er dann einen Beweisantrag gestellt hätte, der die von dem Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Erkenntnis zu widerlegen geeignet gewesen wäre, enthalten seine Darlegungen keine Anhaltspunkte. Seine Ausführungen deuten vielmehr darauf hin, er hätte den in der mündlichen Verhandlung gestellten (Hilfs-) Beweisantrag – der auf die Klärung von (fehlenden) Erwerbsmöglichkeiten für junge Männer gerichtet war – auch auf Herat (und nicht nur auf [den Großraum] Kabul) bezogen. Insoweit ist aber nicht die Nichteinführung der vorenthaltenen Erkenntnisquelle zur Sicherheitslage in Herat ursächlich, sondern der – von dem Kläger auch beanstandete (dazu sogleich unter c]) – unterbliebene Hinweis des Gerichts darauf, dass es auf Herat als potentielle Rückkehrregion des Klägers abzustellen beabsichtige.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Mangelt es danach an der hinreichenden Darlegung dessen, was bei ordnungsgemäßer Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre, so kommt es nicht darauf an, ob das Vorliegen eines zur Berufungszulassung führenden Verfahrensfehlers i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO auch aus anderen Gründen zu verneinen ist. Dies kommt vorliegend deshalb in Betracht, weil sich die vorenthaltene (sekundäre) Erkenntnisquelle für die darin enthaltene Aussage, Herat habe im Vergleich mit anderen Städten in Afghanistan mit die wenigsten zivilen Opfer zu beklagen, ihrerseits auf eine (primäre) Erkenntnisquelle stützt, die das Verwaltungsgericht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt hatte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Kläger zusätzlich hätte darlegen müssen, aus welchem Grund gerade das Vorenthalten der sekundären Erkenntnisquelle seine Möglichkeit, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen, beeinträchtigt hat (vgl. Berlit, in: GK-AsylG, Loseblatt, Stand: September 2018, § 78 Rn. 647, m.w.N.). Dies kann aber im Ergebnis auf sich beruhen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>c) Schließlich liegt auch kein Gehörsverstoß i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO darin, dass das Verwaltungsgericht nicht darauf hingewiesen hat, dass es auf Herat als potentielle Rückkehrregion des Klägers abzustellen beabsichtige. Der Kläger beanstandet insoweit, dass Verwaltungsgericht habe eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen. Das greift nicht durch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Ein Überraschungsurteil liegt nur vor, wenn das Gericht, das auf den Inhalt der beabsichtigten Entscheidung regelmäßig nicht vorab hinweisen muss, auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.12.2017, 6 B 52.17, juris Rn. 6, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15.12, ZAR 2013, 297, juris Rn. 13; Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9.08, BVerwGE 134, 188, juris Rn. 17), dass es für die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen (und damit jedenfalls im Ergebnis ebenso für die Frage, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt, vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, a.a.O., juris Rn. 38), in der Regel auf die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird, ankommt. Vor diesem Hintergrund musste der anwaltlich vertretene Kläger damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht auf der Grundlage dieser Rechtsprechung maßgeblich auf Herat als seine Heimatregion abstellen würde. Dafür, dass der insoweit von dem Verwaltungsgericht zugrunde gelegte rechtliche Ansatz aus Sicht des Klägers als fernliegend erscheinen musste, bestehen keine Anhaltspunkte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Mit seiner Rüge macht der Kläger in der Sache wohl auch weniger geltend, das Verwaltungsgericht habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, sondern vielmehr, es habe seine Hinweispflicht verletzt, indem es nicht darauf hingewiesen habe, dass der Hilfsbeweisantrag so, wie er sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt, nicht erheblich sein würde. Indes führt auch der so verstandene Einwand nicht zur Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG. Eine etwaige Verletzung des § 86 Abs. 3 VwGO begründet für sich genommen schon keinen Verfahrensmangel i.S.v. § 138 VwGO. Für eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG fehlen durchgreifende Anhaltspunkte: Der Anspruch auf rechtliches Gehör begründet keine generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen. Die Beweiswürdigung, das daraus folgende Beweisergebnis und die hieraus zu ziehenden Schlussfolgerungen bleiben in aller Regel der abschließenden Urteilsfindung des Gerichts vorbehalten und entziehen sich deshalb einer Voraberörterung mit den Beteiligten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.11.2001, 1 B 347.01, juris Rn. 5; VGH München, Beschl. v. 9.11.2017, 21 ZB 17.30468, juris Rn. 4; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 4.12.2012, 2 BvR 2954/09, NVwZ 2013, 500, juris). Dann aber musste das Gericht auch nicht darauf hinweisen, dass der gestellte Hilfsbeweisantrag voraussichtlich unergiebig sein würde. Alles andere liefe auf eine Pflicht des Gerichts hinaus, seine Rechtsauffassung vorab mitzuteilen, obwohl hierzu aus prozessualen Gründen keine Notwendigkeit bestand, weil der Beweisantrag nicht unbedingt gestellt war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a>
</div>
|
|
171,122 | bverfg-2018-12-18-1-bvr-62618 | {
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} | 1 BvR 626/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:10 | 2019-01-29T12:49:10 | Nichtannahmebeschluss | ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20181218.1bvr062618 | <h2>Tenor</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Verfassungsbeschwerde ist verfristet (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg (§ 93 Abs. 2 BVerfGG).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die letztinstanzliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ging dem Beschwerdeführer nach eigenen Angaben am 13. Januar 2018 zu. Gemäß § 93 Abs. 1 Sätze 1, 2 BVerfGG, § 188 Abs. 2 BGB analog endete damit die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde am 13. Februar 2018. Am 13. und 14. Februar 2018 wurden zwar mehrere Faxe am Bundesverfassungsgericht empfangen, die nachträglich dem Beschwerdeführer zugeordnet werden konnten. Die Seiten waren jedoch leer. Ein lesbares Schreiben des Beschwerdeführers ging erstmals am 19. Februar 2018 per Post ein; zu diesem Zeitpunkt war die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde jedoch schon verstrichen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist mangels Wiedereinsetzungsgrunds abzulehnen (§ 93 Abs. 2 BVerfGG). Ein Fall der unverschuldeten Fristversäumnis ist den Schilderungen des Beschwerdeführers zu den Umständen der Absendung der Faxe nicht zu entnehmen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
171,121 | bverfg-2018-12-18-1-bvr-124018 | {
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} | 1 BvR 1240/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:10 | 2019-01-29T12:49:10 | Nichtannahmebeschluss | ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20181218.1bvr124018 | <h2>Tenor</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Beschwerdeführerin wendet sich in ihren Verfassungsbeschwerden gegen drei Beweisbeschlüsse, die in einem Umgangsverfahren nach § 1686a BGB sukzessive ergangen sind. Diese griffen bereits in irreversibler Weise in ihre Grundrechte ein, so dass ihr ein Zuwarten bis zu einer anfechtbaren Endentscheidung nicht zuzumuten sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unzulässig sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
1. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die am 3. Januar 2018 und 28. Februar 2018 ergangenen Beweisbeschlüsse wendet, sind ihre Verfassungsbeschwerden mangels Rechtschutzbedürfnis unzulässig. Mit Beweisbeschluss vom 30. Mai 2018 hat das Amtsgericht das Beweisthema in der Sache vollständig neu gefasst, so dass die zunächst ergangenen Beschlüsse prozessual überholt sind und für die Beschwerdeführerin keine belastenden Wirkungen mehr entfalten können.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>
2. Soweit die Beschwerdeführerin den Beweisbeschluss vom 30. Mai 2018 angreift, wahrt diese Verfassungsbeschwerde nicht das Gebot der Rechtswegerschöpfung gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>
a) Diese Bestimmung ist Ausdruck des im Verfassungsrecht (Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG) verankerten Grundsatzes der Subsidiarität. Es entspricht der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen selbst gewähren und etwaige im Instanzenzug auftretende Fehler durch Selbstkontrolle beheben. Ausnahmen vom Gebot der Rechtswegerschöpfung über die in § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG hinaus vorgesehene Möglichkeit, vorab über eine Verfassungsbeschwerde zu entscheiden, sind eng zu begrenzen; sie kommen nur in Betracht, wenn die Erschöpfung des Rechtswegs objektiv nicht geboten und dem Beschwerdeführer subjektiv nicht zuzumuten ist. Erscheint es hingegen nicht offensichtlich ausgeschlossen, Grundrechtsschutz bereits durch die Fachgerichte zu erlangen, ist es dem Beschwerdeführer regelmäßig zuzumuten, den nach einfachem Recht vorgesehenen Rechtsweg zu beschreiten und auszuschöpfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>
Nichts Anderes kann gelten, wenn die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels nach dem aktuellen Stand von Rechtsprechung und Lehre umstritten und deshalb zweifelhaft ist, ob der in der Sache begehrte Rechtsschutz von dem angerufenen Gericht gewährt wird. In derartigen Fällen ist es grundsätzlich die Aufgabe der Fachgerichte, über die streitige Zulässigkeitsfrage nach einfachem Recht unter Berücksichtigung der hierzu vertretenen Rechtsansichten zu entscheiden. Der Funktion der Verfassungsbeschwerde würde es zuwiderlaufen, sie anstelle oder gleichsam wahlweise neben einem möglicherweise statthaften Rechtsmittel zuzulassen (vgl. BVerfGE 68, 376 <379 ff.>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
b) In Rechtsprechung und Lehre wird seit geraumer Zeit die - wenn auch nicht unumstrittene - Ansicht vertreten, dass eine Beschwerdemöglichkeit gegen an sich gemäß § 58 Abs. 1 FamFG isoliert nicht anfechtbare Zwischenentscheidungen dann eröffnet sein soll, wenn diese Zwischenentscheidung bereits zu einem solchen Eingriff in die Grundrechte eines Beteiligten führt, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann (etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2012 - 26 W 19/12 -, FGPrax 2013, S. 89; OLG Nürnberg, Beschluss vom 16. August 2013 - 11 WF 1071/13 -, NJOZ 2014, S. 333; OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Dezember 2015 - 4 WF 244/15 -, FamRZ 2016, S. 1799, 1800).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>
Eine mit der Endentscheidung nicht mehr korrigierbare Beeinträchtigung aufgrund der im Rahmen des angeordneten Sachverständigenbeweises gegenüber dem betroffenen Kind möglicherweise zu offenbarenden leiblichen Vaterschaft eines anderen Mannes als des Ehemannes der Beschwerdeführerin macht diese gerade geltend.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>
c) Es war daher geboten und der Beschwerdeführerin auch zumutbar, vor der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde die Statthaftigkeit einer einfachrechtlichen Beschwerde sorgfältig zu prüfen und von ihr auch Gebrauch zu machen, da diese jedenfalls nicht offensichtlich unzulässig ist. Wird eine eingelegte Beschwerde von der Fachgerichtsbarkeit als unzulässig verworfen, weil diese die umstrittene Zulässigkeitsfrage zuungunsten eines Beschwerdeführers beurteilt, bleibt es diesem unbenommen, nach Ergehen einer letztinstanzlichen Entscheidung innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde einzulegen und etwaige Grundrechtsverletzungen durch eine vorangegangene Sachentscheidung zu rügen (vgl. BVerfG 68, 376 <381>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
171,116 | bverfg-2018-12-18-2-bvr-126518 | {
"id": 3,
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"slug": "bverfg",
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"state": 2,
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} | 2 BvR 1265/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:08 | 2019-01-29T12:49:08 | Nichtannahmebeschluss | ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20181218.2bvr126518 | <h2>Tenor</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter Huber und die Richterinnen Kessal-Wulf und König wird verworfen, ohne dass es einer dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter bedürfte und diese von der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ausgeschlossen wären (vgl. BVerfGE 131, 239 <252 f.>; BVerfGK 8, 59 <60>). Denn es ist offensichtlich unzulässig. Das Vorbringen des Beschwerdeführers enthält lediglich Ausführungen, die zur Begründung einer Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind. Die Mitwirkung an einem vorangegangenen Verfassungsbeschwerdeverfahren desselben Beschwerdeführers kann die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG offensichtlich ebenso wenig begründen, wie der Umstand, dass in dem vorangegangenen Verfassungsbeschwerdeverfahren von der in § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden ist, von einer Begründung der Nichtannahmeentscheidung abzusehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Oktober 2017 - 1 BvR 2116/17 -, juris, Rn. 3 m.w.N.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
171,096 | bverwg-2018-12-18-6-b-15918 | {
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} | 6 B 159/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:48:53 | 2019-01-29T12:48:53 | Beschluss | ECLI:DE:BVerwG:2018:181218B6B159.18.0 | <h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die mit ihrer Klage die Erstattung von im ersten Quartal 2013 gezahlten Rundfunkbeiträgen für ihre Betriebsstätte sowie einen Verzicht des Beklagten auf die Erhebung dieses Rundfunkbeitrags begehrt und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben ist, kann keinen Erfolg haben. Der geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:270115B6B43.14.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht für eine bundesgerichtlich bereits beantwortete Rechtsfrage nur, wenn die Beschwerde neue rechtliche Gesichtspunkte aufzeigt, die ein Überdenken der bisherigen Rechtsprechung erforderlich machen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. November 1992 - 6 B 27.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 306 S. 224).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, da die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich bedeutsam erachtete Frage der Verfassungsmäßigkeit der Erhebung des Rundfunkbeitrags im nicht privaten Bereich von dem Inhaber einer Betriebsstätte in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geklärt und bejaht worden ist (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2016 - 6 C 49.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:071216U6C49.15.0] - BVerwGE 156, 358 Rn. 24 ff.; BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u.a. - NJW 2018, 3223 Rn. 50 ff., 112 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>Bei dem Rundfunkbeitrag handelt es sich nicht um eine Steuer im Sinne von Art. 105 Abs. 2 GG, sondern um eine rundfunkspezifische nichtsteuerliche Abgabe in Gestalt einer Vorzugslast, die in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fällt. Der Rundfunkbeitrag wird nicht voraussetzungslos erhoben und das Beitragsaufkommen wird nicht in die Landeshaushalte eingestellt. Der Rundfunkbeitrag wird ebenso wie die frühere Rundfunkgebühr für die konkrete Gegenleistung der Rundfunkempfangsmöglichkeit erhoben, um die staatsferne bedarfsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherzustellen. Die Rundfunkempfangsmöglichkeit ist ein Vorteil, der den Inhabern von Betriebsstätten individuell zugerechnet werden kann, weil die Betriebsstätten aufgrund ihres Ausstattungsgrades mit Empfangsgeräten als typische Orte der Rundfunknutzung anzusehen sind und der Gesetzgeber hieran hat anknüpfen dürfen. Die konkrete Ausgestaltung der Beitragspflicht für Betriebsstätten verstößt nicht gegen das Gebot der Belastungsgleichheit; ihre Bemessung ist vorteilsgerecht und nicht willkürlich (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2016 - 6 C 49.15 - BVerwGE 156, 358 Rn. 24 ff.; BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u.a. - NJW 2018, 3223 Rn. 50 ff., 112 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>Ebenso ist in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass der Wechsel von der Rundfunkgebühr zum Rundfunkbeitrag keine Umgestaltung einer Beihilfe im Sinne von Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV darstellt und die Beurteilung auf einer vom Europäischen Gerichtshof geklärten Rechtslage beruht, sodass sich im Wege der Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zu klärende Fragen nicht stellen. Die Umgestaltung einer Beihilfe setzt voraus, dass sie von der in der Genehmigungsentscheidung zugelassenen Regelung wesentlich abweicht, die Änderung also die ursprüngliche Regelung in ihrem Kern betrifft. Dies ist hier nicht der Fall, weil der Rundfunkbeitrag ebenso wie die Rundfunkgebühr als Gegenleistung für das Rundfunkprogrammangebot erhoben wird, um die staatsferne bedarfsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherzustellen. Dem steht der Umstand, dass nun auch weitere Personen abgabepflichtig sind, obwohl sie kein Empfangsgerät besitzen, wegen ihres geringen Anteils am Gesamtaufkommen nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Dezember 2016 - 6 C 49.15 - BVerwGE 156, 358 Rn. 90 und vom 18. März 2016 - 6 C 6.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:180316U6C6.15.0] - BVerwGE 154, 275 Rn. 51 f.; BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u.a. - NJW 2018, 3223 Rn. 137 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Klägerin setzt mit der Beschwerdebegründung dieser Rechtsprechung ihre eigene Rechtsauffassung gegenüber, ohne einen weitergehenden Klärungsbedarf aufzuzeigen. Sie kritisiert im Wesentlichen die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dessen Urteil vom 18. Juli 2018 als rechtsfehlerhaft, welches ihrer Auffassung nach auf Verstöße gegen die Bindungswirkung des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an seine früheren Entscheidungen und gegen das in Art. 6 EMRK verankerte Willkürverbot beruhe. Der Umstand, dass die Klägerin mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden ist, ist nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung ihrer Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>Lediglich der Vollständigkeit halber weist das Gericht darauf hin, dass zum einen die in § 31 Abs. 1 BVerfGG normierte Bindungswirkung nicht für das Bundesverfassungsgericht selbst besteht; es kann seine in einer früheren Entscheidung vertretenen Rechtsauffassungen aufgeben, auch soweit sie für die damalige Entscheidung tragend waren (stRspr, vgl. BVerfG, Urteile vom 11. August 1954 - 2 BvK 2/54 - BVerfGE 4, 31 <38> und vom 22. November 2001 - 2 BvE 6/99 - BVerfGE 104, 151 <197>; Beschluss vom 15. Juni 1988 - 1 BvR 1301/86 - BVerfGE 78, 320 <328>). Zum anderen hat zwischenzeitlich auch der Europäische Gerichtshof in dem Übergang von der Rundfunkgebühr auf den Rundfunkbeitrag keine Änderung einer bestehenden Beihilfe im Sinne von Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV gesehen (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2018 - C-492/17 [ECLI:EU:C:2018:1019], Rittinger u.a. - Rn. 67).</p>
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<a name="rd_8">8</a>
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<p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich für das Aufhebungs- und das Verzichtsbegehren aus § 47 Abs. 1, § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und 3 Satz 1 GKG.</p>
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} | 3 B 41/17, 3 B 41/17 (3 C 21/18) | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:48:52 | 2019-01-29T12:48:52 | Beschluss | ECLI:DE:BVerwG:2018:181218B3B41.17.0 | <h2>Gründe</h2>
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<a name="rd_1">1</a>
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<dd>
<p>Die Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Der Rechtssache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu. Das Revisionsverfahren wird dem Bundesverwaltungsgericht voraussichtlich Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, ob die für inländische Apotheken geltende Preisbindung für Arzneimittel (§ 78 Abs. 1 und 2 AMG, § 3 AMPreisV) in Folge des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Oktober 2016 - C-148/15 [ECLI:EU:C:2016:776], Deutsche Parkinson Vereinigung - (NVwZ 2016, 1793) wegen "Inländerdiskriminierung" mit Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist.</p>
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<p>Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.</p>
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} | 3 B 40/17, 3 B 40/17 (3 C 20/18) | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:48:52 | 2019-01-29T12:48:52 | Beschluss | ECLI:DE:BVerwG:2018:181218B3B40.17.0 | <h2>Gründe</h2>
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<p>Die Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Der Rechtssache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu. Das Revisionsverfahren wird dem Bundesverwaltungsgericht voraussichtlich Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, ob die für inländische Apotheken geltende Preisbindung für Arzneimittel (§ 78 Abs. 1 und 2 AMG, § 3 AMPreisV) in Folge des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Oktober 2016 - C-148/15 [ECLI:EU:C:2016:776], Deutsche Parkinson Vereinigung - (NVwZ 2016, 1793) wegen "Inländerdiskriminierung" mit Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist.</p>
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<p>Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.</p>
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} | I ZB 72/17 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-29T12:48:17 | 2019-01-29T12:48:17 | Beschluss | ECLI:DE:BGH:2018:181218BIZB72.17.0 | <h2>Tenor</h2>
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<p>Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart - 2. Zivilsenat - vom 1. August 2017 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Haftverschonung aus den Ordnungsmittelbeschlüssen des Landgerichts Stuttgart - 35. Kammer für Handelssachen - vom 11. Dezember 2014 und vom 24. Februar 2015 zurückgewiesen hat.</p>
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<p>Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Stuttgart - 35. Kammer für Handelssachen - vom 20. Dezember 2016 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:</p>
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<p style="margin-left:36pt">Es wird festgestellt, dass der Ordnungsmittelbeschluss des Landgerichts Stuttgart - 35. Kammer für Handelssachen - vom 24. Februar 2015 nicht mehr vollstreckbar ist.</p>
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<p style="margin-left:36pt">Die Dauer der gegen den Betroffenen durch Beschluss des Landgerichts Stuttgart - 35. Kammer für Handelssachen - vom 20. April 2015 verhängten Ordnungshaft wird auf 60 Tage herabgesetzt. Hiervon entfällt je ein Tag für 250 €, die auf die Ordnungsgeldforderung gegen die Schuldnerin bezahlt werden. Zahlungen auf das Ordnungsgeld kommen vorrangig dem Betroffenen zugute.</p>
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<p>Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.</p>
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<p>Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 42.500 €</p>
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<h2>Gründe</h2>
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<p>I. Der Schuldnerin, deren Vorstand der Betroffene war und über deren Vermögen am 29. Januar 2016 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, ist auf Antrag der Gläubigerin durch einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 23. Mai 2014 unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und im Falle seiner Uneinbringlichkeit Ordnungshaft verboten worden, ihre Beteiligung an der Planung und Entwicklung eines Oldtimer-Zentrums unter der Bezeichnung "M.    " am Standort B.   zu bewerben. Nachdem die einstweilige Verfügung auf den Widerspruch der Schuldnerin durch Urteil des Landgerichts vom 25. November 2014 bestätigt worden war, haben sich die Parteien im Berufungsverfahren durch Vergleich vom 7. Mai 2015 auf eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungserklärung geeinigt und das Verfügungsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt.</p>
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<p>Das Landgericht hat gegen die Schuldnerin wegen einer Zuwiderhandlung gegen die einstweilige Verfügung vom 23. Mai 2014 am 11. Dezember 2014 ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 €, ersatzweise je 250 € einen Tag Ordnungshaft (insgesamt 20 Tage) festgesetzt. Am 24. Februar 2015 hat es gegen die Schuldnerin wegen erneuter Zuwiderhandlung gegen die einstweilige Verfügung vom 23. Mai 2014 ein Ordnungsgeld in Höhe von 50.000 €, ersatzweise je 250 € einen Tag Ordnungshaft (insgesamt 200 Tage) verhängt. Wegen einer weiteren Zuwiderhandlung gegen die einstweilige Verfügung vom 23. Mai 2014 hat das Landgericht gegen die Schuldnerin am 20. April 2015 ein Ordnungsgeld in Höhe von 30.000 €, ersatzweise je 250 € einen Tag Ordnungshaft (insgesamt 120 Tage) festgesetzt. Die von der Schuldnerin gegen diese drei Beschlüsse jeweils eingelegten Beschwerden sind in allen Fällen ohne Erfolg geblieben.</p>
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<p>Mitte des Jahres 2015 ist die Schuldnerin erfolglos zur Zahlung der Ordnungsgelder aus den Ordnungsgeldbeschlüssen vom 11. Dezember 2014 und vom 24. Februar 2015 aufgefordert worden. Die Ladung des Betroffenen zum Antritt der Ordnungshaft aus sämtlichen Ordnungsmittelbeschlüssen ist mehrfach abgeändert und zuletzt auf den 31. Januar 2017 festgesetzt worden.</p>
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<p>Der Betroffene hat am 25. August 2016 beim Landgericht einen Antrag auf Haftverschonung nach Art. 8 Abs. 2 EGStGB gestellt. Hilfsweise hat er die Herabsetzung des Ordnungsgelds beantragt. Das Landgericht hat diese Anträge mit Beschluss vom 20. Dezember 2016 zurückgewiesen.</p>
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<p>Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht die Ordnungshaft unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels auf 170 Tage herabgesetzt.</p>
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<p>Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene die Feststellung, dass die Ordnungsgeldbeschlüsse des Landgerichts vom 11. Dezember 2014, vom 24. Februar 2015 und vom 20. April 2015 nicht mehr vollstreckbar sind.</p>
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<p>II. Das Beschwerdegericht ist im angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass kein Fall einer unbilligen Härte im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EGStGB vorliegt. Zur Begründung hat es sich auf seinen in einer Parallelsache ergangenen Beschluss vom 25. Januar 2017 - 2 W 74/16, juris und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Mai 2017 - 2 BvR 335/17, NJW-RR 2017, 957 bezogen, mit dem die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss vom 25. Januar 2017 nicht zur Entscheidung angenommen worden ist. Wegen der nach der Festsetzung des Ordnungsmittels eingetretenen Insolvenz sowohl der Schuldnerin als auch des Betroffenen selbst sei aber eine Halbierung der Ordnungshaft angemessen. Hinsichtlich der danach verbleibenden insgesamt 170 Tage Ordnungshaft sei allerdings keine Vollstreckungsverjährung eingetreten. Dazu hat es ausgeführt:</p>
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<p>Die Vollstreckung von festgesetzten zivilprozessualen Ordnungsmitteln setze die Rechtskraft des Vollstreckungstitels nicht voraus und verjähre nach zwei Jahren. Die Vollstreckungsverjährung beginne mit der Vollstreckbarkeit des Ordnungsmittels, wobei eine einheitliche Frist für das Ordnungsgeld und die zugehörige Ersatzordnungshaft gelte. Bei dem Ordnungsmittelbeschluss des Landgerichts vom 11. Dezember 2014 sei die Frist von zwei Jahren noch nicht abgelaufen, weil die Verjährung dort jedenfalls in der Zeit vom 22. Dezember 2014 bis zum 7. April 2015, dann nochmals in der Zeit vom 25. August bis zum 27. Dezember 2016 und schließlich in der Zeit vom 23. März bis zum 9. Mai 2017 geruht habe. Dasselbe gelte für den Ordnungsmittelbeschluss des Landgerichts vom 24. Februar 2015, bei dem die Verjährung in der Zeit vom 17. März 2015 bis zum 26. Mai 2015 und dann ebenso wie bei dem Ordnungsmittelbeschluss vom 11. Dezember 2014 in der Zeit vom 25. August 2016 bis zum 27. Dezember 2016 und dann nochmals in der Zeit vom 23. März 2017 bis zum 9. Mai 2017 geruht habe, sowie für den Ordnungsmittelbeschluss des Landgerichts vom 20. April 2015, bei dem die Verjährung zunächst in der Zeit vom 29. April 2015 bis zum 22. März 2016 und dann ebenso wie bei den beiden anderen Beschlüssen nochmals in der Zeit vom 25. August 2016 bis zum 27. Dezember 2016 und in der Zeit vom 23. März 2017 bis zum 9. Mai 2017 geruht habe.</p>
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<p>III. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen hat zu keiner Unterbrechung des vorliegenden, gegen den Betroffenen gerichteten Vollstreckungsverfahrens geführt. Die Parteien streiten hier nicht über eine Pflicht des Betroffenen zur Zahlung von Ordnungsgeld, bei der es um die Befriedigung einer - wenngleich gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur nachrangig zu befriedigenden - Insolvenzforderung ginge und das Verfahren daher mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen worden wäre (Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., § 240 Rn. 5). Vielmehr steht vorliegend die Vollstreckung von ersatzweise angeordneter Ordnungshaft in Rede. Eine solche Vollstreckung ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nicht gehindert (vgl. - zur Anordnung und Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 459e Abs. 2 StPO - BVerfG, NJW 2006, 3626, 3627 [juris Rn. 5 bis 9]; Braun/Bäuerle, InsO, 7. Aufl., § 39 Rn. 13; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl., § 39 Rn. 22; Hirte in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, InsO, 14. Aufl., § 39 Rn. 23).</p>
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<p>IV. Die gegen die Beurteilung des Beschwerdegerichts gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist aufgrund ihrer Zulassung gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache wendet sie sich nicht gegen die Beurteilung, es liege kein Fall einer unbilligen Härte im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EGStGB vor. Die Ausführungen in dem in einer Parallelsache ergangenen Beschluss vom 25. Januar 2017, auf die sich das Beschwerdegericht zur Begründung der vorliegend zu überprüfenden Entscheidung bezogen hat, lassen auch keinen Rechtsfehler erkennen. Erfolg hat die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Vollstreckung aus dem Beschluss des Landgerichts vom 11. Dezember 2014 (dazu unter IV 1) und aus dem Beschluss des Landgerichts vom 24. Februar 2015 wendet (dazu unter IV 2). Nicht begründet ist die Rechtsbeschwerde dagegen, soweit sie sich gegen die Vollstreckung aus dem Beschluss des Landgerichts vom 20. April 2015 richtet (dazu unter IV 3).</p>
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<p>1. Vollstreckung aus dem Beschluss vom 11. Dezember 2014</p>
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<p>a) Das Beschwerdegericht ist bei diesem Beschluss und ebenso bei den anderen beiden Beschlüssen mit Recht und von der Rechtsbeschwerde auch unangegriffen davon ausgegangen, dass für die Verjährung des dort festgesetzten Ordnungsmittels gemäß § 890 ZPO die Regelung des Art. 9 EGStGB gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2004 - IXa ZB 18/04, BGHZ 161, 60, 63 f. [juris Rn. 10]; Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 20/11, GRUR 2012, 427 Rn. 7 = NJW 2011, 3791 - Aufschiebende Wirkung). Ebenfalls zutreffend ist die Beurteilung des Beschwerdegerichts, nach der Festsetzung eines Ordnungsmittels könne keine Verfolgungsverjährung mehr eintreten, so dass ab diesem Zeitpunkt allein noch die Vollstreckungsverjährung gemäß Art. 9 Abs. 2 EGStGB in Betracht komme (vgl. BGHZ 161, 60, 64 bis 66 [juris Rn. 11 bis 19]; BGH, GRUR 2012, 427 Rn. 7 f. - Aufschiebende Wirkung; BGH, Urteil vom 7. Mai 2013 - IX ZR 123/12, WM 2013, 711 Rn. 23).</p>
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<p>b) Das Beschwerdegericht hat weiterhin mit Recht und auch insoweit von der Rechtsbeschwerde unangegriffen angenommen, dass die Frist für die Vollstreckungsverjährung, die gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 2 EGStGB zwei Jahre beträgt, bei dem Beschluss vom 11. Dezember 2014 mit dessen Zustellung an die Schuldnerin am 18. Dezember 2014 zu laufen begonnen hat, da damit das in dem Beschluss enthaltene Ordnungsmittel vollstreckbar geworden ist (vgl. Art. 9 Abs. 2 Satz 3 EGStGB; BGHZ 161, 60, 65 [juris Rn. 14]; BGH, WM 2013, 711 Rn. 28). Ebenfalls zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen worden ist die Beurteilung des Beschwerdegerichts, die Verjährung habe nachfolgend gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB in der Zeit zwischen der Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen diesen Beschluss am 22. Dezember 2014 und der Zustellung der hierauf ergangenen Entscheidung des Beschwerdegerichts am 7. April 2015 geruht (vgl. BGH, GRUR 2012, 427 Rn. 8 bis 10 - Aufschiebende Wirkung). Dasselbe gilt für die Annahme des Beschwerdegerichts, die Vollstreckungsverjährung habe in der Zeit vom 23. März bis zum 9. Mai 2017 in Bezug auf alle verfahrensgegenständlichen Ordnungsmittel gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 EGStGB geruht, weil das Beschwerdegericht die Vollstreckung aus diesen Beschlüssen mit Beschluss vom 23. März 2017 für die Dauer von fünf Monaten, längstens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen in dem Parallelverfahren vor dem Beschwerdegericht mit dem Aktenzeichen 2 W 74/16 ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung am 9. Mai 2017 (vgl. BVerfG, NJW-RR 2017, 957) getroffen habe.</p>
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<p>c) Die nach den vorstehenden Ausführungen im Dezember 2014 angelaufene und danach insgesamt rund fünf Monate lang ruhende Vollstreckungsverjährung wäre im Mai 2017 und damit vor der Einlegung der vorliegenden Rechtsbeschwerde am 4. August 2017, die als solche wiederum gemäß § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 1 ZPO aufschiebende Wirkung gehabt und damit die Verjährung zum Ruhen gebracht hätte, nicht abgelaufen gewesen, wenn die Vollstreckungsverjährung auch seit dem vom Betroffenen am 25. August 2016 beim Landgericht gestellten Antrag auf Haftverschonung gemäß Art. 8 Abs. 2 EGBGB in Verbindung mit § 765a ZPO bis zur Ablehnung dieses Antrags mit dem dem Betroffenen am 27. Dezember 2016 zugestellten Beschluss des Landgerichts vom 20. Dezember 2016 erneut gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB zum Ruhen gebracht worden wäre. Das Beschwerdegericht ist von einem solchen weiteren Ruhen der Vollstreckungsverjährung ausgegangen. Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Die Vollstreckbarkeit des im Beschluss des Landgerichts vom 11. Dezember 2014 festgesetzten Ordnungsmittels kann daher nicht mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung bejaht werden.</p>
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<p>aa) Das Beschwerdegericht hat zu dem von ihm im Hinblick auf den Antrag des Betroffenen auf Haftverschonung auch für die Zeit vom 25. August bis zum 27. Dezember 2016 angenommenen Ruhen der Vollstreckungsverjährung ausgeführt, das Vollstreckungshindernis, das zum Ruhen der Verjährung führe, könne sich auch aus einem anderen Gesetz als der Zivilprozessordnung und daher im Lichte der neueren Rechtsprechung zur Bedeutung der Grundrechte wie insbesondere des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit unmittelbar aus dem materiellen Verfassungsrecht ergeben. Zwar hindere ein verfahrensbezogener Antrag wie der vom Betroffenen hier gestellte Antrag auf Haftverschonung die Vollstreckung nicht, weil das Gesetz bei einem solchen Antrag anders als in § 570 Abs. 1 ZPO für die Beschwerde gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln und Zwangsmitteln keine aufschiebende Wirkung anordne. Bei einer mit einem solchen Antrag substantiiert geltend gemachten Gefahr für Leib und Leben im Falle der Fortsetzung der Vollstreckung könne aber das auch von den Vollstreckungsgerichten bei der Auslegung und Anwendung der vollstreckungsrechtlichen Verfahrensvorschriften zu berücksichtigende Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG jedenfalls dann die zeitweise Einstellung der Zwangsvollstreckung gebieten, wenn ein schwerwiegender Eingriff in dieses Grundrecht konkret zu besorgen sei und eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Interessen der an der Vollstreckung Beteiligten zu einem Vorrang der Belange des Schuldners führe. In entsprechenden Fällen bestehe unabhängig davon, ob ein förmlicher Beschluss über die Einstellung der Zwangsvollstreckung oder die Aussetzung der Vollziehung ergehe, ein Vollstreckungshindernis aus dem Grundrecht und damit "nach dem Gesetz", das die Vollstreckungsverjährung nach Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB ruhen lasse.</p>
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<p>bb) Dieser Sichtweise kann nicht zugestimmt werden. Die Vollstreckungsverjährung von Ordnungsmitteln kann aus Gründen der Rechtssicherheit nur in den in Art. 9 Abs. 2 Satz 4 EGStGB - abschließend - geregelten Fällen ruhen, dass die Vollstreckung nach dem Gesetz nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann (Nr. 1), dass die Vollstreckung ausgesetzt worden ist (Nr. 2) oder dass dem Schuldner eine Zahlungserleichterung bewilligt (Nr. 3) worden ist. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts kann die Vollstreckung nur dann im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB "nach dem Gesetz" nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden, wenn diese Rechtsfolge im Gesetz ausdrücklich angeordnet ist. So bestimmt etwa § 570 Abs. 1 ZPO, dass die Beschwerde gegen die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels aufschiebende Wirkung hat. Soweit das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die zeitweise Einstellung der Zwangsvollstreckung gebietet, ergibt sich das Vollstreckungshindernis nicht ausdrücklich aus dem Grundrecht und damit nicht aus dem Gesetz. Die Vollstreckung ist in derartigen Fällen allerdings auf Antrag des Betroffenen durch förmlichen Beschluss auszusetzen. Die Vollstreckungsverjährung ruht dann nach Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 EGStGB. Gegen die vom Beschwerdegericht vertretene Ansicht spricht, dass sich die Auslegung von Vorschriften über die Verjährung - wie hier über das Ruhen der Verjährung - im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich eng an den Wortlaut des Gesetzes anlehnen muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1994 - XII ZR 150/93, BGHZ 128, 74, 80 [juris Rn. 25] mwN). Würde die Vollstreckung nach Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB auch in gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Fällen ruhen, wäre es für den Schuldner - anders als bei einem nach dem Gesetz ausdrücklich bestimmten oder in einem Beschluss ausdrücklich angeordneten Vollstreckungshindernis - nicht klar erkennbar, ob und gegebenenfalls für welchen Zeitraum die Vollstreckungsverjährung geruht hat und ob das Ordnungsmittel noch gegen ihn vollstreckt werden kann oder bereits Vollstreckungsverjährung eingetreten ist. Das widerspräche seinem berechtigten Interesse an Rechtssicherheit.</p>
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<p>d) Danach kommt es für die Vollstreckung aus dem Beschluss vom 11. Dezember 2014 entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts darauf an, ob und gegebenenfalls wie lange die Verjährung der Vollstreckung aus diesem Beschluss durch den Vergleich, den die Parteien am 7. Mai 2015 im Berufungsverfahren geschlossen haben, oder durch die nachfolgende Verfügung des Landgerichts vom 18. Mai 2015 oder auch durch die sofortige Beschwerde zum Ruhen gebracht worden ist, die der Betroffene am 10. Januar 2017 gegen den Beschluss des Landgerichts vom 20. Dezember 2016 eingelegt hat. Das Beschwerdegericht hat diese Fragen ausdrücklich offen gelassen. Die für deren Beurteilung erforderlichen Feststellungen lassen sich in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht nachholen.</p>
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<p>2. Vollstreckung aus dem Beschluss vom 24. Februar 2015</p>
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<p>Nach den vorstehend unter IV 1 dargestellten Grundsätzen ist die zweijährige Frist für die Vollstreckungsverjährung gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 2 EGStGB bei dem im Beschluss des Landgerichts vom 24. Februar 2015 enthaltenen Ordnungsmittel mit der Zustellung dieses Beschlusses am 2. März 2015 angelaufen und hat nachfolgend gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 und 2 EGStGB in der Zeit vom 17. März 2015 bis zum 26. Mai 2015 und dann nochmals in der Zeit vom 23. März 2017 bis zum 9. Mai 2017, das heißt insgesamt knapp vier Monate lang geruht. Sie ist daher spätestens im Juli 2017 abgelaufen. Damit ist die Vollstreckung des in dem Beschluss des Landgerichts vom 24. Februar 2015 festgesetzten Ordnungsmittels nicht mehr möglich.</p>
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<p>3. Vollstreckung aus dem Beschluss vom 20. April 2015</p>
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<p>Die Vollstreckung aus dem der Schuldnerin am 27. April 2015 zugestellten Ordnungsmittelbeschluss des Landgerichts vom 20. April 2015 hat in der Zeit vom 29. April 2015 bis zum 22. März 2016 und dann nochmals in der Zeit vom 23. März bis zum 9. Mai 2017 und damit insgesamt rund ein Jahr lang geruht. Die Frist für die Vollstreckungsverjährung von zwei Jahren gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 2 EGStGB war daher in diesem Fall im Zeitpunkt der Einlegung der Rechtsbeschwerde am 4. August 2017, mit der diese Frist nunmehr erneut zum Ruhen gebracht worden ist, noch nicht abgelaufen gewesen. Dementsprechend hat das Rechtsmittel des Betroffenen in dieser Hinsicht keinen Erfolg und ist deshalb die vom Beschwerdegericht insoweit getroffene Entscheidung zu bestätigen.</p>
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<p>V. Danach ist der mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Beschluss unter Zurückweisung des gegen die Vollstreckung aus dem Beschluss vom 20. April 2015 gerichteten Rechtsmittels (vgl. vorstehend unter IV 3) aufzuheben, soweit er die Vollstreckung aus den Ordnungsmittelbeschlüssen des Landgerichts vom 11. Dezember 2014 und vom 24. Februar 2015 betrifft. Im Hinblick auf den letzteren Beschluss ist festzustellen, dass dieser nicht mehr vollstreckbar ist (vgl. vorstehend unter IV 2). Der vom Betroffenen insoweit gestellte Antrag ist zulässig (vgl. BGH, WM 2013, 711 Rn. 20 in Verbindung mit 18 f.) und aus den vorstehend unter IV 2 dargestellten Gründen auch begründet. In Bezug auf den Beschluss vom 11. Dezember 2014 hat das Beschwerdegericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu für die Frage der Vollstreckungsverjährung möglicherweise weiterhin relevanten Hemmungstatbeständen getroffen (vgl. vorstehend unter IV 1 d). Da die entsprechenden Feststellungen im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht nachgeholt werden können, ist die Sache insoweit nicht zur Endentscheidung reif und deshalb an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).</p>
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<p>VI. Die Festsetzung des Werts des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf 42.500 € trägt dem Umstand Rechnung, dass nach dem angefochtenen Beschluss die Dauer der gegen den Betroffenen verhängten Ordnungshaft 170 Tage betragen sollte und für jeden Tag 250 € in Ansatz gebracht worden sind.</p>
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<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Koch     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Schaffert     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Kirchhoff</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Löffler     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Schwonke     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
</tr>
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171,066 | bgh-2018-12-18-xi-zb-1618 | {
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<p>Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. April 2018 wird auf seine Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass seine Berufung gegen das Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. Mai 2017 auch insoweit als unbegründet zurückgewiesen wird.</p>
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<p>Der Gegenstandswert beträgt 17.631,64 €.</p>
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<h2>Gründe</h2>
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<p>I.</p>
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<p>Der Kläger begehrt die Rückabwicklung von zwei Verbraucherdarlehensverträgen nach Widerruf. Gemeinsam mit seiner am Rechtsstreit nicht mehr beteiligten Ehefrau (ehemals Klägerin zu 1) schloss der Kläger am 10. September 2009 einen Darlehensvertrag über 70.000 € ab. In dem Vertrag findet sich auf den ersten zwei Seiten unten rechts im Fettdruck die Angabe der Beklagten zu 2). Auf S. 4 des Vertrags wird unter "Stempel und Unterschrift Darlehensgeber" ebenfalls die Beklagte zu 2) angegeben. Sodann folgt ein Stempel mit der Firma der Beklagten zu 1). Auf S. 3 des Vertrags befindet sich unter der Überschrift "Allgemeine Bedingungen für Bausparverträge/Darlehensbedingungen/Schriftformerfordernis" unter anderem folgender Satz: "Die D.            AG/D.           P.                      AG kann diesen Darlehensvertrag im Namen und für Rechnung der D.             B.      AG unterzeichnen." Daneben schloss der Kläger, ebenfalls gemeinsam mit seiner Ehefrau, am 10./11. September 2009 einen weiteren Darlehensvertrag über 50.000 € mit der Beklagten zu 1) ab.</p>
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<p>Beide Darlehensverträge enthielten eine - mit Ausnahme der Angaben zum Widerrufsadressaten - gleichlautende Widerrufsbelehrung, die folgende Angabe zum Fristlauf enthielt:</p>
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<p style="margin-left:36pt">"Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag, nachdem dem Darlehensnehmer</p>
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<p style="margin-left:36pt">- ein Exemplar dieser Widerrufsbelehrung und</p>
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<p style="margin-left:36pt">- die Vertragsurkunde oder eine Abschrift der Vertragsurkunde zur Verfügung gestellt wurden. …"</p>
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<p>Die Darlehen wurden im Jahr 2014 vollständig getilgt. Mit Schreiben vom 11. August 2015 erklärten der Kläger und seine Ehefrau den Widerruf ihrer auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Auf den Darlehensvertrag über 70.000 € hatten sie Zinsen in Höhe von insgesamt 16.588,95 €, eine Abschlussgebühr von 700 € und eine Darlehensgebühr von 342,69 € geleistet, insgesamt also 17.631,64 €. Auf den weiteren Darlehensvertrag über 50.000 € hatten sie Zinsen in einer Gesamthöhe von 4.322,98 € und eine Zinsbegrenzungsprämie von 1.000 € gezahlt.</p>
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<p>Die auf Rückzahlung dieser Beträge gerichtete Klage haben der Kläger und seine Ehefrau zunächst nur gegen die Beklagte zu 1) erhoben und sodann nach einem gerichtlichen Hinweis auf die Beklagte zu 2) erweitert, indem sie von der Beklagten zu 1) die Zahlung von 22.954,62 € und von der Beklagten zu 2) die Zahlung von 17.631,64 €, jeweils nebst Zinsen und - insoweit als Gesamtschuldner - außergerichtlichen Anwaltskosten begehrt haben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil für Ansprüche aus dem Darlehensvertrag über 70.000 € die Beklagte zu 1) nicht passivlegitimiert sei und im Übrigen keine Rückgewähransprüche der Kläger bestünden, weil die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß sei und die Widerrufserklärungen daher verfristet seien.</p>
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<p>Mit der dagegen nur noch vom Kläger eingelegten Berufung, die er innerhalb der Berufungsfrist namentlich nur gegen die Beklagte zu 1) gerichtet hat, verlangt er von der Beklagten zu 1) die Zahlung von 5.322,98 € und von der Beklagten zu 2) die Zahlung von 17.631,64 €, jeweils an sich und seine Ehefrau sowie nebst Zinsen, ferner von beiden Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung von außergerichtlichen Anwaltskosten. Das Berufungsgericht hat die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Berufung als unzulässig verworfen und die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Berufung nach einem entsprechenden Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:</p>
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<p>Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Berufung sei unzulässig, weil sie nicht binnen der Frist des § 517 ZPO eingelegt worden sei. In der fristgerecht eingelegten Berufungsschrift sei lediglich die Beklagte zu 1) aufgeführt gewesen. Aus der Berufungsschrift und den mit ihr eingereichten Unterlagen habe sich nicht ergeben, dass die Berufung auch gegen die Beklagte zu 2) gerichtet gewesen sei. Zwar seien an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners weniger strenge Anforderungen zu stellen als an die Bezeichnung des Rechtsmittelklägers. Im Zweifel richte sich ein Rechtsmittel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und gegen alle gegnerischen Streitgenossen. Eine Ausnahme sei aber dann zu machen, wenn die Rechtsmittelschrift eine Beschränkung der Anfechtung erkennen lasse. Dies sei hier der Fall. Streitgegenständlich seien die Widerrufserklärungen zu zwei verschiedenen Vertragsverhältnissen mit verschiedenen Vertragspartnern. Die Berufungsschrift habe nur die Beklagte zu 1) mit voller Anschrift genannt, ohne dass es sich erkennbar um eine abgekürzte Version des Passivrubrums gehandelt hätte. Eine Beschränkung des Rechtsmittels sei in rechtlicher Hinsicht ohne weiteres möglich und denkbar gewesen. Aufgrund dessen sei bis zum Ablauf der Berufungsfrist von einer Beschränkung der Berufung auf die Beklagte zu 1) auszugehen. Die Erweiterung der Berufung auf die Beklagte zu 2) sei verfristet erfolgt.</p>
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<p>Die Berufung sei allerdings auch insgesamt unbegründet. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger und seiner Ehefrau habe im August 2015 ein Widerrufsrecht nicht mehr zugestanden, weil die ihnen erteilten Widerrufsbelehrungen ordnungsgemäß gewesen seien. Die Belehrung über den Fristbeginn habe den Vorgaben des § 355 BGB aF entsprochen. Der Begriff der "Vertragsurkunde" beinhalte auch die Vertragserklärung des Verbrauchers und sei auch im Übrigen für einen verständigen Verbraucher hinreichend deutlich. Dass nicht auch alternativ auf die Zurverfügungstellung des schriftlichen Vertragsantrags des Darlehensnehmers abgestellt werde, begünstige den Verbraucher und sei deshalb unschädlich. Auch die Formulierung "einen Tag, nachdem" sei sachlich zutreffend und entspreche § 187 BGB. Schließlich habe auch keine Verpflichtung bestanden, über die Rechtsfolgen des Widerrufs zu belehren.</p>
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<p>Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.</p>
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<p>Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet; die Sache ist zur Endentscheidung reif.</p>
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<p>1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Durch die Zurückweisung seiner gegen die Beklagte zu 2) gerichteten Berufung als unzulässig ist der Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, weil er die Berufung form- und fristgerecht bei dem Berufungsgericht eingelegt und begründet hat.</p>
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<p>a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 18/09, NJW-RR 2011, 359 Rn. 10; Beschlüsse vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09, NJW-RR 2011, 281 Rn. 9 und vom 24. September 2013 - II ZR 291/11, juris Rn. 8 mwN) gehört zu dem notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO die Angabe, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird. Die Rechtsmittelschrift muss entweder für sich allein betrachtet oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig erkennen lassen, wer Rechtsmittelführer und wer Rechtsmittelgegner sein soll.</p>
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<p>Dabei sind an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners weniger strenge Anforderungen zu stellen. Besteht der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen, es sei denn, die Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung der Anfechtung erkennen (BGH, Beschlüsse vom 9. September 2008 - VI ZB 53/07, NJW-RR 2009, 208 Rn. 5 und vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09, NJW-RR 2011, 281 Rn. 11). Eine solche Beschränkung kann sich daraus ergeben, dass in der Rechtsmittelschrift nur einige der auf der Gegenseite stehenden Streitgenossen angegeben werden (BGH, Urteil vom 29. Juni 1987 - II ZR 173/86, ZIP 1987, 1316, 1317; Beschluss vom 24. September 2013 - II ZR 291/11, juris Rn. 9 mwN). Dies ist jedoch nicht zwingend. So hat der Bundesgerichtshof eine unbeschränkte Berufungseinlegung auch in Fällen bejaht, in denen als Rechtsmittelgegner nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der im Urteilsrubrum an erster Stelle Stehende, genannt wurde (vgl. BGH, Urteile vom 21. Juni 1983 - VI ZR 245/81, NJW 1984, 58 f., vom 8. November 2001 - VII ZR 65/01, NJW 2002, 831, 832 und vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 18/09, NJW-RR 2011, 359 Rn. 12). Werden in der Rechtsmittelschrift nur einige der gegnerischen Streitgenossen als Rechtsmittelbeklagte bezeichnet, so lässt dies nicht stets und unabhängig von den Umständen des einzelnen Falles eine entsprechende Beschränkung des Rechtsmittels erkennen (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 21. Juni 1983 aaO, vom 20. Januar 1988 - VIII ZR 296/86, NJW 1988, 1204, 1205, vom 8. November 2001 aaO, vom 11. Juli 2003 - V ZR 233/01, NJW 2003, 3203, 3204 und vom 14. Februar 2008 - III ZR 73/07, juris Rn. 6 f.).</p>
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<p>Da auch die Bezeichnung einer Partei als Teil einer Prozesshandlung auslegungsfähig ist, kommt es für die Frage, ob eine Beschränkung der Anfechtung gewollt ist, letztlich auf eine vollständige Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist an. Dabei können sich aus einer beigefügten Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des angefochtenen Urteils oder aus sonstigen beigefügten Unterlagen entscheidende Hinweise auf den Umfang der Anfechtung ergeben. Besondere Bedeutung kommt der Frage zu, ob eine Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf einen Teil der bisherigen Prozessgegner in Anbetracht des der Vorinstanz unterbreiteten Streitstoffs ungewöhnlich oder gar fernliegend erscheint (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 18/09, NJW-RR 2011, 359 Rn. 13 mwN).</p>
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<p>b) Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, dass die rechtzeitig eingegangene Berufung nicht auch gegen die Beklagte zu 2) gerichtet war.</p>
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<p>Zwar ist in der Berufungsschrift des Klägers ausdrücklich nur die Beklagte zu 1) als Berufungsbeklagte aufgeführt. Die Berufung ist aber ohne Einschränkung gegen das "Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 09.05.2017 … zugestellt am 15.05.2017" eingelegt worden. Dem rechtzeitig eingegangenen Berufungsschriftsatz war außerdem eine beglaubigte Abschrift dieses Urteils beigefügt. Daraus geht unzweifelhaft hervor, dass die Klage gegen beide Beklagte abgewiesen worden ist, der Kläger seinen vermeintlichen Rückgewähranspruch aus dem Darlehen über 70.000 € gegen beide Beklagte geltend gemacht hatte und bei den beiden streitgegenständlichen Darlehensverträgen die Ordnungsgemäßheit einer inhaltsgleichen Widerrufsbelehrung im Streit stand. Da der Kläger gegen dieses Urteil ohne Einschränkungen Berufung eingelegt und die Anträge sowie die Begründung einem weiteren Schriftsatz vorbehalten hatte, musste das Berufungsgericht von einer zulässigen Berufung auch gegen die Beklagte zu 2) ausgehen. Dafür spricht schon der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgestellte Grundsatz, wonach sich die Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung richtet, wenn der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht. Hinzu kommt, dass in Anbetracht der - bis auf die Frage der Passivlegitimation bei einem Darlehen - identischen Streitfragen zur Ordnungsgemäßheit der beiden Widerrufsbelehrungen eine Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf einen Teil der bisherigen Prozessgegner ungewöhnlich oder gar fernliegend erscheinen musste.</p>
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<p>2. Die angefochtene Entscheidung erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO), weil die Berufung des Klägers unbegründet ist.</p>
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<a name="rd_17">17</a>
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<p>a) Das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelführers steht einer Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch zu seinen Ungunsten in Fällen wie dem vorliegenden nicht entgegen. Im Fall der Zurückverweisung wäre das Berufungsgericht zur Zurückweisung der Berufung als unbegründet in der Lage. Die Prozessökonomie erfordert, dass bereits das Rechtsbeschwerdegericht selbst eine solche Sachentscheidung treffen kann, vorausgesetzt, das Rechtsmittel kann aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben und die Sache ist in diesem Sinne zur Endentscheidung reif. In diesem Falle beruht die Beschwerdeentscheidung nicht auf der in der Beurteilung des Rechtsmittels als unzulässig liegenden Gesetzesverletzung (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2017 - IX ZB 73/16, WM 2017, 1614 Rn. 21; für das Revisionsverfahren BGH, Urteile vom 25. November 1966 - V ZR 30/64, BGHZ 46, 281, 283 f. und vom 2. Oktober 2015 - V ZR 5/15, NJW 2015, 3713 Rn. 14 f.).</p>
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<a name="rd_18">18</a>
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<p>b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Berufungsgericht hat - wenngleich für das Prozessrechtsverhältnis des Klägers zur Beklagten zu 2) nur als Hilfserwägung - angenommen, dass die Widerrufsbelehrung rechtlich nicht zu beanstanden ist und deshalb die Widerrufserklärungen des Klägers und seiner Ehefrau verfristet waren. Weiterer tatsächlicher Feststellungen in der Sache bedarf es nicht; anderes wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Es ist lediglich darüber zu entscheiden, ob die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zutreffend ist. Dies ist der Fall.</p>
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<a name="rd_19">19</a>
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<p>Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Widerrufsbelehrung der Beklagten zu 2) den gesetzlichen Anforderungen des § 355 BGB in der hier nach Art. 229 § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) entsprochen hat.</p>
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<p>Die von dem Kläger beanstandete Formulierung "einen Tag, nachdem" hat der Senat bereits mehrfach gebilligt (vgl. nur Senatsurteile vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 22, 26 und vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 47; Senatsbeschluss vom 26. Juni 2018 - XI ZR 141/17, juris Rn. 13). Sie erweckt insbesondere nicht den Eindruck, die nach § 187 Abs. 1 BGB zu berechnende Widerrufsfrist beginne einen weiteren Tag später. Der Begriff "Vertragsurkunde", den auch der Gesetzgeber in § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF verwendet hat, ist für sich nicht undeutlich. § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF bezeichnet mit dem Begriff "Vertragsurkunde" das von beiden Vertragsparteien unterzeichnete schriftliche Original des Vertrags. Entsprechend kann der Begriff "Vertragsurkunde" objektiv auch nicht anders und insbesondere nicht dahin ausgelegt werden, er meine in einem bestimmten Kontext den schriftlichen Vertragsantrag des Darlehensgebers (Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 381/16, WM 2017, 806 Rn. 14). Soweit die Belehrung für den Fristbeginn entgegen dem Wortlaut des § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF nicht auch auf die Zurverfügungstellung des schriftlichen Vertragsantrags des Darlehensnehmers abstellt, handelt es sich dabei allenfalls um ein den Verbraucher begünstigendes und damit unschädliches Hinausschieben der Widerrufsfrist (vgl. dazu Senatsurteile vom 13. Januar 2009 - XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn. 17 und vom 26. Mai 2009 - XI ZR 242/08, juris Rn. 16). Angaben zu den Widerrufsfolgen waren hier nach § 355 Abs. 2 BGB aF entbehrlich (vgl. Senatsurteil vom 28. November 2017 - XI ZR 432/16, WM 2018, 50 Rn. 9).</p>
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<p style="text-align:justify">Menges     </p>
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<p style="text-align:justify">Derstadt     </p>
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161,503 | vg-munchen-2018-12-18-m-8-m-185440 | {
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"level_of_appeal": null
} | M 8 M 18.5440 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:52 | 2019-01-17T12:06:29 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>Die Erinnerung gegen die Kostenrechnung vom 11. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p>I.</p>
<p><rd nr="1"/>Mit ihrer Erinnerung begehrt die Erinnerungsführerin die Änderung der Kostenrechnung vom 11. Oktober 2018.</p>
<p><rd nr="2"/>Im Verfahren M 8 K 17.4072 begehrte die Erinnerungsführerin als Klägerin die teilweise Aufhebung des Gebührenbescheids der dortigen Beklagten vom 26. Juli 2017, soweit eine Verwaltungsgebühr in Höhe von mehr als 799,50 € festgesetzt worden sei.</p>
<p><rd nr="3"/>Mit Kostenrechnung vom 4. September 2017 wurde die Erinnerungsführerin aufgefordert, Gebühren in Höhe von 159 € gemäß KV 5110 Verfahrensgebühr I. Instanz 3-facher Satz aus einem Streitwert von 799,50 € zu entrichten.</p>
<p><rd nr="4"/>Die Verwaltungsstreitsache wurde am 8. Oktober 2018 mündlich verhandelt. Das Gericht wies darauf hin, dass es sich vorliegend um einen besonderen Einzelfall handele. Es werde daher eine vergleichsweise Einigung dahingehend vorgeschlagen, dass von den nur noch streitgegenständlichen Baugenehmigungsgebühren in Höhe von 799,50 € die Klägerin 399,75 € zahle und die Beklagte auf die Zahlung der verbleibenden 399,75 € verzichte. Die Beteiligten erklärten sich hiermit einverstanden, wobei klargestellt wurde, dass die Vorgehensweise keinerlei Aussagekraft für zukünftige Baugenehmigungsgebühren habe. Daraufhin wurde das Verfahren nach übereinstimmender Erledigungserklärung eingestellt und die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben. Der Streitwert wurde auf 799,50 € festgesetzt.</p>
<p><rd nr="5"/>Mit Kostenrechnung vom 11. Oktober 2018 stellte die Kostenbeamtin fest, dass von den anfallenden Gebühren ein Anteil von ½, also 79,50 €, gemäß KV 5110 Verfahrensgebühr I. Instanz 3-facher Satz aus einem Streitwert von 799,50 € auf die Erinnerungsführerin entfielen. Davon seien bereits 159,00 € entrichtet, sodass 79,50 € zurückerstattet würden.</p>
<p><rd nr="6"/>Gemäß Kostenrechnung der Beklagten im Verfahren M 8 K 17.4072 vom 23. Oktober 2018 wurde der Gesamtbetrag von 1.620,90 € (Kostenrechnung vom 3.5.2016) um 399,75 € auf 1.221,15 € reduziert. Als Grund wurde angegeben: „Vergleich vor dem Verwaltungsgericht München“.</p>
<p><rd nr="7"/>Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2018, beim Verwaltungsgericht München am 29. Oktober 2018 eingegangen, legte der Bevollmächtigte der Erinnerungsführerin Erinnerung gegen die Kostenrechnung vom 11. Oktober 2018 ein.</p>
<p><rd nr="8"/>Zur Begründung führte er aus, dass sich die Parteien im Verfahren M 8 K 17.4072 verglichen hätten und sich deshalb die Gerichtsgebühren auf eine Gebühr in Höhe von EUR 53,- reduzierten. Er verwies auf den Inhalt des Protokolls.</p>
<p><rd nr="9"/>Er beantragte diesbezüglich die Einholung einer dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden.</p>
<p><rd nr="10"/>Die Tatsache, dass sich die Parteien verglichen hätten, ergebe sich auch aus der geänderten Kostenrechnung der Beklagten vom 23. Oktober 2018.</p>
<p><rd nr="11"/>Letztlich beantragte er, den Gerichtskostenausgleich vorzunehmen.</p>
<p><rd nr="12"/>Nach Rechtsauffassung der Erinnerungsführerin sei lediglich eine Gerichtsgebühr in Höhe von EUR 53,- angefallen, so dass zugunsten der Klägerin EUR 26,50 festzusetzen seien.</p>
<p><rd nr="13"/>Die Kostenbeamtin half der Erinnerung nicht ab, da ein Ermäßigungstatbestand hinsichtlich der Verfahrensgebühr wie in KV-Nr. 5111 aufgeführt (Anlage 1 zum GKG) der Niederschrift vom 8. Oktober 2018 nicht zu entnehmen sei, und legte dem Gericht die Akten zur Entscheidung vor.</p>
<p><rd nr="14"/>Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur (weiteren) Stellungnahme eingeräumt.</p>
<p><rd nr="15"/>Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im Verfahren M 8 K 17.4072 Bezug genommen.</p>
<p>II.</p>
<p><rd nr="16"/>Über die Erinnerung hat vorliegend die Kammer und nicht der Berichterstatter zu entscheiden, da das vorbereitende Verfahren im Sinne des <verweis.norm>§ 87a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 <v.abk ersatz="Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO">Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO</v.abk></verweis.norm>) abgeschlossen ist (vgl. BVerwG, B.v. 29.12.2004 - 9 KSt 6/04 - juris Rn. 3).</p>
<p><rd nr="17"/>Die Entscheidung ergeht nach vorheriger Anhörung der Beteiligten und ohne mündliche Verhandlung (vgl. Zimmermann in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 4. Aufl. 2019, <verweis.norm>§ 66 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> Rn. 39).</p>
<p><rd nr="18"/>Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.</p>
<p><rd nr="19"/>1. Die Erinnerung ist zulässig.</p>
<p><rd nr="20"/>Die Erinnerungsführerin hat gegen die Kostenrechnung vom 11. Oktober 2018 Erinnerung eingelegt und beantragt, den Gerichtskostenausgleich vorzunehmen. Dies ist als Erinnerung gemäß <verweis.norm>§ 66 Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="Gerichtskostengesetz (GKG">Gerichtskostengesetz (GKG</v.abk></verweis.norm>) gegen den Kostenansatz in der Kostenrechnung auszulegen (vgl. <verweis.norm>§§ 86 Abs. 3, 88 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>; vgl. Zimmermann in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, a.a.O., <verweis.norm>§ 66 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> Rn. 3).</p>
<p><rd nr="21"/>Die Erinnerung ist weder frist- noch wertgebunden (vgl. Zimmermann in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, a.a.O., <verweis.norm>§ 66 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> Rn. 26 und 28). Die erforderliche Beschwer (vgl. Zimmermann in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, a.a.O., <verweis.norm>§ 66 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> Rn. 29) ist darin zu sehen, dass die Erinnerungsführerin eine höhere Erstattung begehrt; der zu hohe Kostenansatz sei für sie nachteilig.</p>
<p><rd nr="22"/>2. Die Erinnerung ist jedoch unbegründet.</p>
<p><rd nr="23"/>Mit der Erinnerung gemäß <verweis.norm>§ 66 Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> kann die Verletzung des Kostenrechts, also die Entstehung und Höhe von Gebühren und Auslagen nach Anlage 1 des GKG angegriffen werden (vgl. Zimmermann in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, a.a.O., <verweis.norm>§ 66 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> Rn. 12). Der Kostenansatz durch die Kostenbeamtin ist jedoch nicht zu beanstanden.</p>
<p><rd nr="24"/>2.1 Gemäß <verweis.norm>§ 1 Abs. 2 Nr. 1 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> werden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Kosten erhoben. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach dem Streitwert (vgl. <verweis.norm>§ 3 Abs. 1 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm>); nach <verweis.norm>§ 3 Abs. 2 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> werden die Kosten nach dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 zu <verweis.norm>§ 3 Abs. 2 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> erhoben. Die Gebühren werden gemäß <verweis.norm>§ 6 Abs. 2 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm>, soweit die Gebühr eine Entscheidung oder sonstige gerichtliche Handlung voraussetzt, mit dieser fällig. Die Kosten werden mit dem Kostenansatz in der Kostenrechnung der Kostenbeamtin (vgl. <verweis.norm>§ 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und § 24 der <v.abk ersatz="Kostenverfügung vom 6">Kostenverfügung vom 6</v.abk></verweis.norm>.3.2014) gemäß <verweis.norm>§ 19 Abs. 1 Nr. 1 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> geltend gemacht.</p>
<p><rd nr="25"/>Gemäß Kostenverzeichnis-Nr. 5110 der Anlage 1 des GKG ist für Verfahren im Allgemeinen in Prozessverfahren des ersten Rechtszugs vor den Verwaltungsgerichten ein Satz der Gebühr nach § 34 GKG von 3,0 anzusetzen. Bei Beendigung des gesamten Verfahrens durch gerichtlichen Vergleich oder Erledigungserklärung nach § 161 Abs. 1 VwGO, wenn keine Entscheidung über die Kosten ergeht oder die Entscheidung einer zuvor mitgeteilten Einigung der Beteiligten über die Kostentragung oder der Kostenübernahmeerklärung eines Beteiligten folgt, ermäßigt sich die Gebühr 5110 auf 1,0, wenn nicht bereits ein anderes Urteil als ein Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil oder ein Gerichtsbescheid vorausgegangen ist, Kostenverzeichnis-Nr. 5111 Nr. 3 und 4 der Anlage 1 des GKG.</p>
<p><rd nr="26"/>Kostenverzeichnis-Nr. 5111 Nr. 3 der Anlage 1 des GKG erfasst dabei nur den gerichtlichen Vergleich gemäß <verweis.norm>§ 106 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> (vgl. Zünkler in BeckOK KostR, 23. Edition, Stand: 1.9.2018, GKG KV 5111 Rn. 6).</p>
<p><rd nr="27"/>2.2 Vorliegend haben die Beteiligten im Verfahren M 8 K 17.4072 keinen gerichtlichen Vergleich im Sinne des <verweis.norm>§ 106 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> geschlossen.</p>
<p><rd nr="28"/>Hiernach können die Beteiligten, um den Rechtsstreit vollständig oder zum Teil zu erledigen, zu Protokoll des Gerichts oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand des Vergleichs verfügen können. Ein gerichtlicher Vergleich kann auch dadurch geschlossen werden, dass die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich gegenüber dem Gericht annehmen.</p>
<p><rd nr="29"/>Ein Vergleich setzt dabei immer eine Einigung in Form gegenseitigen Nachgebens voraus (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 106 Rn. 8). Gibt eine Partei - in der Regel der Beklagte - lediglich eine bestimmte Absichtserklärung zu Protokoll, insbesondere die Verpflichtung zum Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts, und wird die andere Partei damit zufriedengestellt, liegt kein Vergleich vor, weil es an einer Gegenleistung fehlt, also kein gegenseitiges Nachgeben vorliegt. Vielmehr handelt es sich insoweit um eine Erledigung des Rechtsstreits auf sonstige Weise; die prozessuale Beendigung muss durch Abgabe gesonderter Erklärungen herbeigeführt werden (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 106 Rn. 2).</p>
<p><rd nr="30"/>Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 2018 hat das Gericht im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage lediglich eine „vergleichsweise Einigung“ vorgeschlagen. Damit sollte kein Vergleichsvorschlag gemäß <verweis.norm>§ 106 Satz 2 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> unterbreitet werden, weshalb das Gericht entsprechend des Protokolls seine Ausführungen auch nicht vorlesen und genehmigen ließ (vgl. <verweis.norm>§ 162 Abs. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>), was jedoch zur Wirksamkeit jedenfalls eines Prozessvergleichs erforderlich gewesen wäre (vgl. <verweis.norm>§ 160 Abs. 3 Nr. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>; Brüning in BeckOK VwGO, 47. Edition, Stand: 1.4.2017, § 106 Rn. 7f. m.w.N.).</p>
<p><rd nr="31"/>Zudem liegt kein gegenseitiges Nachgeben vor. Die Erinnerungsführerin hat auf die Erklärung der Beklagten hin, sie werde auf die Erhebung von Kosten in Höhe von 399,75 € verzichten, lediglich mitgeteilt, dass bekannt sei, dass das Verfahren keine Auswirkungen auf zukünftige Kostenerhebungen durch die Beklagte habe. Eine Gegenleistung ist in dieser Kenntnisnahme der Rechtslage nicht zu sehen.</p>
<p><rd nr="32"/>Vor diesem Hintergrund ist nicht maßgeblich und erst recht nicht für das Gericht bindend, welche Begrifflichkeiten die Beklagte in ihren Bescheiden bzw. Kostenrechnungen verwendet.</p>
<p><rd nr="33"/>2.3 Zwar liegen übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten im Sinne des <verweis.norm>§ 161 Abs. 2 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> vor, unter Ziffer II. des Beschluss vom 8. Oktober 2018 erging jedoch eine Kostenentscheidung und diese folgte auch keiner Einigung der Beteiligten oder einer Kostenübernahmeerklärung eines Beteiligten. Somit sind die Voraussetzung einer Kostenreduzierung gemäß Kostenverzeichnis-Nr. 5111 Nr. 4 der Anlage 1 des GKG nicht einschlägig.</p>
<p><rd nr="34"/>2.4 Folglich bleibt es beim Ansatz der dreifachen Gebühr gemäß Kostenverzeichnis-Nr. 5110 der Anlage 1 des GKG. Diese beträgt - wie von der Kostenbeamtin angesetzt - 159 € (3 x 53 €, der Gebühr aus einem Streitwert von 799,50 €, vgl. Anlage 2 zum GKG).</p>
<p><rd nr="35"/>Der Kostenansatz ist auch im Übrigen rechnerisch richtig. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last, <verweis.norm>§ 155 Abs. 1 Satz 2 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>. Von den bereits gezahlten 159 € erhält die Klägerin also die Hälfte (79,50 €) zurückerstattet, wie es in der Kostenrechnung vom 11. Oktober 2018 zutreffend ausgeführt ist.</p>
<p><rd nr="36"/>2.5 Die Einholung einer dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden ist weder von Gesetzes wegen vorgesehen noch erforderlich. Die zur Entscheidung erforderlichen Feststellungen ergeben sich aus der Sitzungsniederschrift und dem Akteninhalt.</p>
<p><rd nr="37"/>3. Eine Verletzung des Kostenrechts ist aus oben genannten Gründen nicht gegeben. Die Kostenerinnerung war damit zurückzuweisen.</p>
<p><rd nr="38"/>Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 151 Rn. 6), weil das Verfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (<verweis.norm>§ 66 Abs. 8 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm>).</p>
</div>
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161,471 | lg-koln-2018-12-18-5-o-28618 | {
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} | 5 O 286/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:27 | 2019-01-17T12:06:27 | Urteil | ECLI:DE:LGK:2018:1218.5O286.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</p>
<p>Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin bietet Serviceleistungen für Bestattungsunternehmen für internationale Überführungen von Verstorbenen und damit zusammenhängende Transportleistungen an.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz aufgrund des Vorwurfs einer von der internistischen Intensivstation der Beklagten zu 1) in Bezug auf die Infektionsgefahr erstellten unzutreffenden Todesbescheinigung (Anl. K1, K2) und einer von dem Institut für Pathologie der Beklagten  zu 1) erstellten unrichtigen Unbedenklichkeitsbescheinigung (Anl. K4) über den Leichnam des im Hause der Beklagten zu 1) verstorbenen Patienten L.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der amerikanische Staatsbürger L, geboren 15.09.1969 wurde auf seiner Flugreise von Togo (Westafrika) über Deutschland in die USA am 26.2.2016 in die internistische Intensivstation 4B der Klinik I für Innere Medizin der Beklagten mit der Verdachtsdiagnose einer schwer verlaufenden Malaria-Erkrankung eingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Patient verstarb am 26.2.2016 in der Klinik der Beklagten zu 1). Noch vor dem Eintritt des Todes beauftragte die Beklagte zu 1) das Hamburger Institut für Tropenkrankheiten mit der Abklärung der differenzialdiagnostischen Krankheitsursache.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Auf der im Hause der Beklagten zu 1) ausgestellten Todesbescheinigung vom 26.02.2016 wurde unter <em>„Ziffer 4. Warnhinweise“</em> (Z. 15) die Frage, ob Hinweise für eine übertragbare Krankheit nach § 6 oder § 7 des Infektionsschutzgesetzes vorläge, mit <em>„ja“</em> angekreuzt. Die Frage, ob besondere Verhaltensmaßnahmen bei der Aufbewahrung, Beförderung oder Bestattung zu beachten seien, wurde mit <em>„Nein“</em> beantwortet. Auf einer vom Institut für Pathologie der Beklagten ausgestellten Bescheinigung vom 29.2.2016 (Anl. K4) wurde bescheinigt, dass bei dem Verstorbenen nach erfolgter innerer Leichenschau (Obduktion) kein Infektionsrisiko bestehe.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Ehefrau des Verstorbenen beauftragte in der Folgezeit die Firma Bestattungen T GmbH, die den Leichnam von der Uniklinik  zur Rechtsmedizin der Beklagten zu 1) für die Durchführung der zweiten Leichenschau zwecks Ausstellung des Leichenpasses für internationale Leichenbeförderung und sodann in den Klimaraum des städtischen Friedhofs Köln-G überführte.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Firma Bestattungen T GmbH beauftragte wiederum die Klägerin mit der Überführung des Verstorbenen von Deutschland nach Togo. Am 02.03.2016 übernahm eine Mitarbeiterin der Klägerin den Verstorbenen im Beisein von zwei Mitarbeitern des beauftragten Bestattungsinstituts und überführte den Leichnam in den Behandlungsraum der Klägerin in B, wo er bis zum 09.03.2016 zur Vorbereitung für die Flugüberführung und die notwendigen thanatopraktischen Behandlungen aufbewahrt wurde. Am Abend des 9. März um 22:00 Uhr erhielt die Klägerin vom Gesundheitsamt Düsseldorf die Mitteilung, dass die Ursache des Todes des Verstorbenen das Lassa-Fieber sei, nachdem das von der Beklagten zu 1) beauftragte Hamburger Institut für die Feststellung der Todesursache die erforderlichen Untersuchungen durchgeführt hatte. Der Verstorbene wurde sodann unter Einhaltung der entsprechenden Schutzmaßnahmen von einer Spezialeinheit des Arbeiter Samariterbundes in dem vorsorglich hermetisch abgeschlossenen Container der Klägerin geborgen und auf Anordnung des zuständigen Gesundheitsamts im nächst gelegenen Krematorium eingeäschert. Die sterblichen Überreste wurden sodann nach Togo überführt und dort bestattet.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte zu 1) die Todesbescheinigung und Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht habe ausstellen dürfen, solange die Ergebnisse des Instituts für Tropenmedizin nicht vorlagen. Jedenfalls hätte die Beklagte zu 1) den Leichnam als ansteckungsverdächtigen Leichnam behandeln müssen, der dann entsprechend dem speziellen Leitfaden für die gerichtliche Leichenöffnung der deutschen Akkreditierungsstelle hätte anders gelagert bzw. transportiert werden müssen. Auch hätten die Mitarbeiter der Beklagten zu 1) die Verdachtsdiagnose Lassa-Fieber schon vor Bekanntgabe der Ergebnisse des Instituts stellen müssen. Eine rechtzeitige differentialdiagnostische Abklärung der Krankheitsursache durch die Beklage zu 1) sei unterblieben.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Klägerin sei durch das Verhalten der Beklagten zu 1) ein erheblicher Schaden entstanden. Nach der zwischenzeitlich erfolgten Teilklagerücknahme behauptet die Klägerin noch folgende Schadenspositionen:</p>
<span class="absatzRechts">11</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Kosten im Zusammenhang mit der Vorhaltung, Unterhaltung und Reinigung eines Spezialcontainers in Höhe von insgesamt 5.192,70 EUR (Bl. 88 bis 91 d.A., Bl. 176 bis 178 d.A., Bl. 182 und 183 d.A.);</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">13</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Kosten im Zusammenhang mit dem Ausfall eines Bestattungskraftwagens in Höhe von insgesamt 4.564,58 EUR (Bl. 91 bis 93 d.A., Bl. 178 und 179 d.A, Bl. 183 d.A.);</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">15</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">sowie Kosten für den Ausfall einer in Quarantäne genommenen Mitarbeiterin der Klägerin in Höhe von insgesamt 735,00 EUR (Bl. 93 und 94 d.A., Bl. 179 und 180 d.A.).</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Schadensberechnung im Einzelnen wird auf die zitierten schriftsätzlichen Ausführungen der Klägerin Bezug genommen. Die Klägerin behauptet, dass ihr  diese Kosten nicht entstanden wären, wenn sich die Mitarbeiter der Beklagten zu 1) nicht pflichtwidrig verhalten hätten. Der Verstorbene wäre dann nicht in Köln abgeholt, nach B überführt und für die Verbringung von Frankfurt am Main nach Togo behandelt worden.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich eine Haftung der Beklagten zu 1) unter dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter ergebe. Die Todesbescheinigung vom 26.02.2016 sei eine von der Ehefrau des Verstorbenen bei der Beklagten zu 1) in Auftrag gegebene Leistung. Bereits diese Abrede sei als Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, mithin der Klägerin, zu würdigen. Dies gelte sinngemäß auch für die Bescheinigung des Instituts für Pathologie der Beklagten zu 1) vom 19.02.2016, welche die totenfürsorgeberechtigte Ehefrau für die Durchführung der internationalen Leichenbeförderung von Deutschland nach Togo benötigte. Auch die Abrede zwischen der Ehefrau des Verstorbenen und der Beklagten zu 1) zum Zwecke der Erstellung der Bescheinigung stelle einen Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter dar, aus dem die Klägerin ihre Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter vertraglicher Pflichtverletzung gegen die Beklagte zu 1) herleiten könne.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus hafte die Beklagte zu 1) wegen der von ihr begangenen Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz und das Bestattungsgesetz NRW auch aus diesen Vorschriften in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB. Es handle sich bei den einschlägigen Normen des Infektionsschutzgesetzes und des Bestattungsgesetzes um Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Eine Haftung des beklagten Landes ergebe sich aufgrund der von der Beklagten zu 1) begangenen Pflichtverletzungen sowohl aus § 39 OBG NRW als auch aus § 839 BGB.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat zunächst beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">1.) die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin 26.591,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.10.2016 zu zahlen;</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">2.) die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin 1.141,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 24.07.2018 (Bl. 83 d.A.) hat die Klägerin die Klage auf das beklagte Land erweitert und der Höhe nach teilweise zurückgenommen. Sie beantragt nunmehr,</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">1.) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 10.493,17 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu Lasten des Beklagten zu 1) seit dem 26.10.2016 und zu Lasten der Beklagten zu 2) seit Rechtshängigkeit zu zahlen;</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">2.) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 865,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu Lasten des Beklagten zu 1) seit Rechtshängigkeit der Klageschrift vom 05.09.2017 und zu Lasten der Beklagten zu 2) seit Zustellung dieser Klageerweiterung.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Beklagten beantragen,</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten der Teilklagerücknahme aufzuerlegen.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 1) behauptete, dass Togo nicht zum Endemiegebiet gehöre, in dem der das Lassa-Fieber verursachende Virus auftrete. Aus Togo sei kein einziger Fall des Lassa-Fiebers bekannt.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 1) ist der Ansicht, dass sich die Ausstellung der Todesbescheinigung und die pathologische „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ deshalb jeglicher Kritik entziehe. Eine Stellungnahme zu den medizinischen und behandlungstechnischen Behauptungen der Klägerin sei der Beklagten zu 1) aufgrund der fehlenden Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht möglich.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land ist der Ansicht, dass ein Schadensersatzanspruch aus § 39 OBG NRW ausscheide, da die Beklagte zu 1) nicht als Ordnungsbehörde im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe. Ein Amtshaftungsanspruch gegen das beklagte Land komme ebenfalls nicht in Betracht, da das Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten zu 1) ordnungsgemäß gewesen sei. Zumindest hätten diese nicht schuldhaft gehandelt. Darüber hinaus fehle es an der Drittgerichtetheit der angeblich verletzten Amtspflichten.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die gegen die Beklagten geltend gemachten Ansprüche unter keinem erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt zu.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks"><strong>1.)</strong> Die Klage gegen die Beklagte zu 1) scheitert bereits an deren fehlender Passivlegitimation.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks"><strong>1.1)</strong> Die Beklagte zu 1) wurde im Rahmen der Ausstellung der Todesbescheinigung NRW (siehe Anlagen K 1,2) nach §§ 9, 13 Bestattungsgesetz NRW in Ausübung eines öffentlichen Amtes tätig, so dass bei einer Pflichtverletzung der Beklagten zu 1) nur Ansprüche aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegen das Bundesland in Betracht kämen, das dem Arzt bzw. der Einrichtung der Beklagten zu 1) die amtliche Anerkennung erteilt hat (so entschieden für den TÜV, der im Rahmen der Zulassungsvorschriften tätig wird:  BGH NJW 1993, 1784; OLG Hamm BeckRS 2010, 02015, OLG Hamm, NVwZ-RR 2007,315).</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Ähnlich einem Durchgangsarzt, dessen zu treffende Entscheidung, ob die allgemeine oder die besondere Heilbehandlung erforderlich ist, als hoheitlich im Sinne von § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu qualifizieren ist (BGH NJW 2017, 1745), stellen auch die in der Todesbescheinigung zu dokumentierenden Angaben über Feststellungen des Todes, Todesart und Warnhinweise auf der Todesbescheinigung, im Nichtvertraulichen Teil (Anlage K 1) und im Vertraulichen Teil (Anlage K 2) hoheitliches Handeln dar.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Entsprechend handelt es sich bei den im Hause der Beklagten zu 1) ausgefüllten Formularen auch um vorgefertigte Todesbescheinigungen der unteren Gesundheitsbehörde, die gemäß § 6 des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen (ÖGDG NRW), unter anderem auch an der Gesundheitsförderung, der Prävention und dem Gesundheitsschutz mitwirkt. Auch bei einer geplanten Beförderung der Leiche über die Grenze der Bundesrepublik Deutschland hinaus sind gemäß § 17 Abs. 1 und 2 Bestattungsgesetz NRW die Bestattungsunterlagen (§ 13 Abs. 1 Bestattungsgesetz NRW) auszustellen und eine weitere ärztliche Leichenschau vorzunehmen und entsprechend zu bescheinigen (§ 15 Abs. 1 Bestattungsgesetz NRW). Insoweit ist die Beklagte zu 1) hier nicht im Auftrag der Ehefrau des Verstorbenen, sondern in öffentlichem Auftrag tätig gewesen. Gleiches gilt auch im Hinblick auf die durchgeführte Obduktion (innere Leichenschau) und deren aufgeführtes Ergebnis in der von dem Institut für Pathologie der Beklagten zu 1) ausgeführten Bescheinigung.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Nach dem geltenden Erlass über die Todesbescheinigung des Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie vom 25.7.2003 ist die Todesbescheinigung (für den nicht vertraulichen Teil über das Standesamt) zur Weiterleitung an die untere Gesundheitsbehörde bestimmt.  Auch die vorgenommenen Untersuchungen zur Diagnosestellung im Rahmen der Obduktion oder ein ggfs. versäumtes Abwarten der Ergebnisse des Tropeninstituts Hamburg sind demnach als öffentlich –rechtliches Handeln einzuordnen.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><strong>1.2)</strong> Die Erfüllung dieser öffentlich-rechtlichen Aufgaben schließt die gleichzeitige Begründung eines zivilrechtlichen Vertrags, noch dazu mit Schutzwirkung für die Klägerin als Dritten, aus. Mangels vertraglicher Ansprüche kämen - auch wenn man eine zivilrechtliche Haftung annehmen wollte - nur deliktsrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) in Betracht. Diese sind gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ausgeschlossen.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks"><strong>2.)</strong> Die von der Klägerin gegen das beklagte Land geltend gemachten Ansprüche ergeben sich weder aus § 39 Abs. 1 lit. b) OBG NRW noch aus § 839 BGB.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><strong>2.1)</strong> Eine Haftung des beklagten Landes aus § 39 Abs. 1 lit. b) OBG NRW besteht nicht. Gemäߠ39 Abs. 1 lit. b) OBG NRW ist ein Schaden zu ersetzen, den jemand durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden erleidet,  wenn er durch rechtswidrige Maßnahmen, gleichgültig, ob die Ordnungsbehörden ein Verschulden trifft oder nicht, entstanden ist.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Erforderlich für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist, dass der Ordnungsbehörde eine Aufgabe als solche der Gefahrenabwehr übertragen ist. Der Kreis der Ordnungsbehörden ist in § 3 OBG NRW geregelt. Die Beklagte zu 1) unterfällt als Anstalt des öffentlichen Rechts nicht dem dort normierten Katalog.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 1) ist auch keine Sonderordnungsbehörde i.S.v. § 12 OBG NRW. Erforderlich ist in diesem Fall eine ausdrückliche Kennzeichnung der schadensbegründenden Behördentätigkeit als Tätigkeit einer Sonderordnungsbehörde. 39 Abs. 1 lit. b) OBG NRW findet nur auf die Maßnahme derjenigen Behörden Anwendung, die durch Rechtssetzungsakt des Landes Nordrhein-Westfalen als Ordnungsbehörden bezeichnet werden, auf den materiellen Polizeibegriff kommt es hier nicht an (OLG Düsseldorf, Urteil vom 31. Oktober 1990 – 18 U 103/90 –, juris).</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Eine solche ausdrückliche Zuweisung der streitbefangenen Tätigkeiten der Beklagten zu 1) als Ordnungs- bzw. Sonderordnungsbehörde ist nicht erfolgt. Es fehlt an einem entsprechenden Rechtssetzungsakt.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"><strong>2.2)</strong> Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen das beklagte Land aus § 839 BGB besteht mangels Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht nicht.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Ob eine Amtspflicht gegenüber einem geschädigten Dritten besteht, bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach, ob die Amtspflicht - wenn auch nicht notwendig allein, so doch gegebenenfalls neben der Erfüllung allgemeiner Interessen und öffentlicher Zwecke auch - den Sinn hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen (BGH, Urteil vom 06. Juni 2013 – III ZR 196/12 –, Rn. 14, juris).</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts muss sich ergeben, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen; darüber hinaus kommt es darauf an, ob in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen. Hierfür ist die unmittelbare Beteiligung am Amtsgeschäft freilich ebenso wenig notwendige Voraussetzung wie ein Rechtsanspruch des Betroffenen auf die streitgegenständliche Amtshandlung. Andererseits genügt es nicht allein, dass sich die Verletzung der Amtspflicht für den Geschädigten nachteilig ausgewirkt hat. Da im Übrigen eine Person, der gegenüber eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen ihren Belangen immer als Dritter anzusehen sein muss, ist jeweils zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt sein soll (BGH, Urteil vom 06. Juni 2013 – III ZR 196/12 –, Rn. 14, juris).</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks"><strong>2.2.1)</strong> Aus dem Infektionsschutzgesetz lassen sich unter Berücksichtigung der Kriterien des Bundesgerichtshofs keine drittbezogenen Amtspflichten zum Schutz des Vermögens der Klägerin ableiten.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Zweck des Gesetzes ist gemäß § 1 Abs. 1 IfSG, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Dieser Zweck betrifft zunächst die Vorbeugung vor übertragbaren Krankheiten. Deren Prävention ist der Leitgedanke des gesamten Infektionsschutzgesetzes. Daneben dient das IfSG der Verhinderung der Weiterverbreitung von Krankheiten und Infektionen (vgl. Bales/Baumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, § 1 Rn. 2 bis 4). Der Schutz privater Vermögensinteressen lässt sich dem Infektionsschutzgesetz hingegen nicht als allgemeiner Rechtsgedanke entnehmen.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Das Infektionsschutzgesetz enthält lediglich in § 65 einen für zwei konkrete Sonderfälle normierten Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden. Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist gemäß § 65 IfSG eine Entschädigung in Geld zu leisten; eine Entschädigung erhält jedoch nicht derjenige, dessen Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit Gesundheitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher Krankheitserreger behaftet oder dessen verdächtig sind. Verpflichtet zur Zahlung der Entschädigung nach § 65 IfSG ist nach § 66 Abs. 1 IfSG das Land, in dem der Schaden verursacht worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn man einen Teil der von der Klägerin behaupteten Schadenspositionen unter § 65 IfSG subsumieren wollte, bestünde ein solcher Anspruch nicht gegen die Beklagten. Etwaige Maßnahmen nach §§ 16 und 17 IfSG erfolgten durch den Landkreis B, mithin in Rheinland-Pfalz. Ein Anspruch gegen das beklagte Land kommt somit nach § 66 Abs. 1 IfSG nicht in Betracht.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Aus den von der Klägerin zitierten verwaltungsgerichtlichen Urteilen ergibt sich keine abweichende rechtliche Beurteilung. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 02.05.2002 (Az. M3K 01.6310) betrifft Ansprüche nach dem Gentechnikgesetz. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14.03.2018 (Az. 14 K 65.15) umfasst Ansprüche aus einem im Infektionsschutzgesetz selbst geregelten Entschädigungsanspruch (§ 69 Abs. 1 Nr. 10 IfSG). Beiden Urteilen lässt sich zu der Frage, ob sich aus §§ 6, 8 IfSG drittschützende Amtspflichten zu Gunsten eines Bestattungsunternehmens ergeben, nichts entnehmen.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 05.10.2017 zu dem streitbefangenen Fall (Az. 1 K 1430/16. MZ) betrifft zum einen nur die nach der Teilklagerücknahme nicht mehr streitgegenständlichen Schadenspositionen und triff zum anderen nur Aussagen zur polizei- und ordnungsrechtlichen Beurteilung einer etwaigen Pflichtverletzung der Universitätsklinik. Ausführungen zur Drittbezogenheit einer etwaigen Amtspflicht aus §§ 6, 8 IfSG oder der Einordnung dieser Vorschriften als Schutzgesetze i.S.v. § 823 BGB enthält das Urteils nicht. Ob und inwiefern ein schuldhaftes Verhalten der jeweiligen Mitarbeiter der Beklagten zu 1) vorlag, lässt das Urteil ebenfalls ausdrücklich offen.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks"><strong>2.2.2)</strong> § 9 Abs. 1 bis 3 des Bestattungsgesetzes NRW enthalten ebenfalls keine drittbezogene Amtspflicht zur Vermeidung von Vermögensschäden des Bestattungsunternehmens.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 Bestattungsgesetz NRW handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig, wer entgegen § 9 Abs. 1 bis 3 Bestattungsgesetz NRW nicht unverzüglich die Leichenschau veranlasst, sie nicht unverzüglich oder nicht sorgfältig vornimmt oder die Todesbescheinigung nicht unverzüglich aushändigt oder die Auskünfte über Befunde verweigert,</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Zu der sorgfältigen Vornahme der Leichenschau gehört auch die korrekte Ausfüllung der Todesbescheinigung unter Einbeziehung der Warnhinweise, die zwar in Bezug auf die Hinweise zur möglichen Infektion der Leiche (§§ 6,7 InfSG) zutreffend angekreuzt wurden, aber zum einen falsch in Bezug auf die notwendigen besonderen Verhaltensweisen in Bezug auf die Aufbewahrung, Beförderung und Bestattung waren, zum anderen auch von der Pathologie der Beklagten zu 1) zu Unrecht eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt wurde.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Hieraus folgt jedoch nicht, dass § 9 Abs. 3 Bestattungsgesetz NRW auch als drittbezogene Amtspflicht zur Verhinderung von Vermögensschäden zu verstehen ist. Selbst wenn man in der Vorschrift eine Regelung sieht, die gerade dem Schutz der Angehörigen und Bestatter im Besonderen dient, so dient diese Vorschrift jedenfalls ganz sicher allenfalls dem Schutz der Gesundheit der ggfs. mit der Bestattung oder Beförderung der Leiche Beauftragten, nicht aber dem Schutz des Vermögens oder dem durch die Infektion bzw. dessen Beseitigung entstandenen Schaden an den zur Beförderung genutzten Gegenständen (Särge, Container usw).</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vielmehr war die Beklagte zu 1) nach § 9 Abs. 2 und 3 BestG NRW als Krankenhaus nach Eintritt des Todes unmittelbar verpflichtet, die Durchführung der Leichenschau zu veranlassen und die notwendigen Untersuchungen durchzuführen und die Todesbescheinigungen auszustellen und auszuhändigen.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die von der Klägerin vorgelegten Literatur- und Rechtsprechungsfundstellen beschäftigen sich mit der Frage der Aktivlegitimation bezüglich eines Anspruchs auf Erstattung der durch die pflichtwidrig verzögerte Aushändigung  der Todesbescheinigung an die die Leichenschau veranlassende Person entstandenen Kosten und werfen die Frage auf, ob auch der Bestatter selbst einen Anspruch im eigenen Namen gegen den Arzt geltend machen kann, da er ein „Geschäft des Arztes“ führe, wenn er für die Organisation und Beibringung der Todesbescheinigung sorge. Zur Frage einer drittbezogenen Amtspflicht verhalten sich die zitierten Urteile und Literaturfundstellen nicht.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks"><strong>2.3)</strong> Die Frage, ob die Mitarbeiter der Beklagten zu 1) schuldhaft gegen die einschlägigen Normen des Infektionsschutzgesetzes und des Bestattungsgesetzes verstoßen haben, kann mangels Drittbezogenheit der jeweiligen Amtspflichten dahinstehen.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks"><strong>3.)</strong> Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz  2, 709 Satz 1 und 2 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Der Streitwert wird auf 26.591,24 EUR festgesetzt.</p>
|
161,469 | vg-dusseldorf-2018-12-18-15-nc-7318 | {
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} | 15 Nc 73/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:25 | 2019-01-17T12:06:27 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2018:1218.15NC73.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Der Antrag wird abgelehnt.</strong></p>
<p><strong>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p>
<p><strong>Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Das vorläufige Rechtsschutzgesuch hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Unbeschadet etwaiger Bedenken gegen seine Zulässigkeit, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung jedenfalls unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Diese Voraussetzungen sind hier schon mangels eines glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs nicht erfüllt (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>A.</strong> Der geltend gemachte Anspruch auf vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin (ggfls. beschränkt auf den vorklinischen Studienabschnitt) bzw. auf Beteiligung an einem gerichtlich anzuordnenden Losverfahren zur Verteilung solcher Studienplätze, der auf Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Sozialstaatsprinzip beruht, ist nicht gegeben; die für den Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) festgesetzten Zulassungszahlen erschöpfen die Ausbildungskapazität der Antragsgegnerin.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Wissenschaftsverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen hat die Zahl der Studienplätze für den Studiengang Humanmedizin an der Antragsgegnerin durch die Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen im ersten Fachsemester für das Wintersemester 2018/2019 vom 26. Juni 2018 (GV. NRW. S. 338), geändert durch Verordnung vom 22. November 2018 (GV.NRW. S. 593) für das 1. Fachsemester auf 411 festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der zu dieser Festsetzung führenden Kapazitätsberechnung für das Studienjahr 2018/2019 für den Studiengang Humanmedizin, dessen Plätze in einem zentralen Vergabeverfahren vergeben werden, hat die Antragsgegnerin gemäß § 12 der Verordnung zur Ermittlung der Aufnahmekapazität an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen für Studiengänge außerhalb des zentralen Vergabeverfahrens (Kapazitätsverordnung NRW 2017) vom 8. Mai 2017 (GV. NRW. S. 591) weiterhin die Vorschriften der zuletzt durch die Verordnung vom 12. August 2003 (GV. NRW. S. 544) geänderten Fassung der Verordnung über die Kapazitätsermittlung, die Curricularnormwerte und die Festsetzung von Zulassungszahlen (KapVO) vom 25. August 1994 (GV. NRW. S. 732) zu Grunde gelegt und damit auch die nach § 5 Abs. 1 und Abs. 3 KapVO gemäß den Kapazitätserlassen der Wissenschaftsverwaltung vom 22. Januar 2018 und von August 2018 zum Berechnungsstichtag 1. März 2018 erhobenen und zum 15. September 2018 überprüften Daten.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Dies begegnet keinen Bedenken. Zwar wird das Medizinstudium an der Antragsgegnerin für Studierende, die sich seit dem Wintersemester 2013/2014 für den Studiengang Humanmedizin mit dem Abschluss Staatsexamen für das 1. Fachsemester eingeschrieben haben bzw. einschreiben, nicht mehr als Regelstudiengang mit der klassischen Aufteilung in vorklinischen und klinischen Studienabschnitt, sondern als Modellstudiengang durchgeführt (§§ 1 ff., 40 der Studien- und Prüfungsordnung für den Modellstudiengang Medizin an der Antragsgegnerin vom 7. Oktober 2013, Amtl. Bekanntmachungen Nr. 24/2013 vom 21. Oktober 2013, in der Fassung der Ersten Ordnung zur Änderung der Studien- und Prüfungsordnung vom 11. April 2016, Amtl. Bekanntmachungen Nr. 13/2016 vom 28. April 2016, verfügbar auf www.hhu.de). Die Ausbildung im Modellstudiengang unterscheidet sich in Struktur, Ausbildungsinhalten, Ausbildungsformen (Veranstaltungsarten) und Dauer grundlegend vom Regelstudiengang (§ 41 der Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002 (BGBl. I S. 2405), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 17 Juli 2017 (BGBl. I S. 2581), – nachfolgend: ÄApprO –).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Gemäß §§ 1 Abs. 2 Satz 1, 21 KapVO, Art. 6 Abs. 2 Satz 2 StV 2008 (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 StV a. F.), § 41 ÄApprO darf bei der Erprobung eines neuen Studiengangs die Ausbildungskapazität jedoch losgelöst von den Regelungen des Zweiten Abschnitts der Kapazitätsverordnung festgesetzt werden. Das danach bestehende Ermessen muss die Wissenschaftsverwaltung unter Berücksichtigung der Grundrechte der Hochschule und der Hochschullehrer aus Art. 5 Abs. 3 GG, der Grundrechte der Studienbewerber aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und der eingeschriebenen Studierenden aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie des öffentlichen Interesses an der Reform der ärztlichen Ausbildung ausüben. Hiervon ausgehend ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn in der Umstellungs- und Erprobungsphase des Modellstudiengangs die Kapazität nach dem früheren Regelstudiengang berechnet wird, um dem Orientierungs- und Neuordnungsprozess Zeit zu geben. Etwas anderes müsste nur dann gelten, wenn diese Art der Kapazitätsberechnung die wahre Ausbildungskapazität erkennbar verfehlte. Dafür fehlen aber jegliche Anhaltspunkte; im Gegenteil gibt es Erkenntnisse, dass die fiktive Berechnung kapazitätsfreundlich ist.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 12. September 2014 – 13 B 776/14 –, NRWE = juris Rdnr. 5, und Beschlüsse vom 31. März 2004 - 13 C 20/04 - und vom 28. Mai 2004 - 13 C 20/04 -, jeweils juris.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Modellstudiengang an der Antragsgegnerin befindet sich nach wie vor in der Erprobungsphase (vgl. §§ 4, 5 Abs. 1 der Studienordnung für den Modellstudiengang Humanmedizin). Er ist mit Verfügung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 2017 unter der Bedingung laufender wie auch abschließender Evaluation bis zum 30. September 2023 verlängert worden.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nach den Vorschriften der KapVO ist die Ausbildungskapazität der Lehreinheit durch eine Gegenüberstellung von Lehrangebot (I.) und Lehrnachfrage (II.) festzustellen sowie die abschließende Überprüfung des Berechnungsergebnisses nach den Bestimmungen des 3. Abschnitts der Kapazitätsverordnung (III.) vorzunehmen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><strong>I. <span style="text-decoration:underline">Lehrangebot</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Nach Ziffer I. 1. der Anlage 1 zur KapVO ergibt sich das Angebot einer Lehreinheit an Deputatstunden aus dem Lehrdeputat der verfügbaren Stellen einschließlich des Lehrdeputats der an die Hochschule abgeordneten Personen und dem durch Lehraufträge zusätzlich zur Verfügung stehenden Deputat, abzüglich der Verminderungen des Lehrdeputats nach § 9 Abs. 2 KapVO.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">1. <span style="text-decoration:underline">Unbereinigtes Lehrdeputat</span></p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Das in Deputatstunden (DS) gemessene (unbereinigte) Lehrangebot einer Lehreinheit ist gemäß §§ 8, 9 KapVO anhand der für die verschiedenen Stellengruppen jeweils geltenden Regellehrverpflichtungen zu ermitteln, unabhängig davon, ob die Stelle besetzt ist oder nicht, welche individuelle Qualifikation der jeweilige Stelleninhaber hat und welchen Umfang an Lehre er tatsächlich erbringt oder erbringen könnte. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 KapVO werden für die Berechnung des Lehrangebotes die Stellen des Lehrpersonals Lehreinheiten zugeordnet. Bei der Ermittlung des Lehrangebotes einer Lehreinheit ist somit von der Zahl der der Lehreinheit zugewiesenen Stellen und der auf diese Stellen entfallenden Regellehrverpflichtungen auszugehen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der Studiengang Humanmedizin (Medizin) wird gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 KapVO für Berechnungszwecke in einen vorklinischen und einen klinischen Teil untergliedert, wobei der vorklinische Teil den Studienabschnitt bis zum Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ÄApprO und der klinische Teil den Studienabschnitt zwischen dem Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung und dem Beginn des Praktischen Jahres nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄApprO umfasst. Zur Berechnung der jährlichen Aufnahmekapazität für den Studiengang Medizin sind die Lehreinheiten Vorklinische Medizin, Klinisch-theoretische Medizin und Klinisch-praktische Medizin zu bilden (§ 7 Abs. 3 S. 2 KapVO). Der vorklinische Teil des Studiengangs wird der Lehreinheit Vorklinische Medizin, der klinische Teil des Studiengangs der Lehreinheit Klinisch-praktische Medizin zugeordnet; die Lehreinheit Klinisch-theoretische Medizin erbringt für den Studiengang Medizin Dienstleistungen (§ 7 Abs. 3 S. 3 KapVO). Das 1. Fachsemester, auf das sich die streitige Kapazitätsüberprüfung hier beschränkt, wird im Rahmen des Regelstudiengangs der Lehreinheit Vorklinische Medizin zugeordnet (§ 7 Abs. 3 S. 3 KapVO).</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Berechnung der vorklinischen Kapazität nach den Berechnungsmodalitäten des Regelstudiengangs ergibt danach Folgendes:</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Auf die Lehreinheit Vorklinische Medizin entfallen von den Stellen, die der Haushaltsplan des Landes Nordrhein Westfalen für das Jahr 2018 in Kapitel 06 107 ("Fachbereich Medizin der I.        -I1.     -Universität E.          und Universitätsklinikum E.          ") vorsieht, nach dem Beschluss des Dekanats der Medizinischen Fakultät vom 28. August 2017 nebst zugehörigem Stellenplan – wie bereits im vorhergehenden Berechnungszeitraum – für Lehrpersonal 50 Stellen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dass die in dem Stellenplan der Lehreinheit Vorklinische Medizin ausgewiesenen Stellen für Lehrpersonal nach Zahl und Gruppenzugehörigkeit letztmals im Haushaltsplan des Landes für das Jahr 2000 festgelegt waren und seither nicht mehr unmittelbar durch den Landeshaushaltsplan und damit normativ vorgegeben sind, begegnet mit Blick auf die notwendige normative Absicherung dieser Berechnungsparameter jedenfalls keinen im Ergebnis rechtlich durchgreifenden Bedenken.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Februar 2011 – 13 C 1/11 bis 13 C 5/11 –, NRWE = juris, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Senats.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Über die aus Haushaltsmitteln finanzierten Stellen hinaus sind seit dem Studienjahr 2011/2012 weitere sechs zeitlich befristete Stellen für wissenschaftliche Angestellte finanziert aus Hochschulpaktmitteln,</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu die „Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern gemäß Artikel 91b des Grundgesetzes über den Hochschulpakt 2020“ (Hochschulpakt III, Laufzeit 2016 - 2020), http://www.bmbf.de/de/hochschulpakt-2020-506.html,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">geschaffen und in die Lehrangebotsberechnung eingestellt worden.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Zur Kapazitätsrelevanz dieser Stellen vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. März 2015 – 13 C 1/15 –, NRWE = juris Rdnr. 3 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Rechtlich ohne Bedeutung für die Berechnung des Lehrangebots ‑ und auch die Bemessung der im Weiteren in die Kapazitätsberechnung einzustellenden Parameter ‑ sind etwaige weitere der Antragsgegnerin nach dem Gesetz zur Verbesserung der Qualität in Lehre und Studium an nordrhein-westfälischen Hochschulen (Studiumsqualitätsgesetz) vom 1. März 2011 (GV. NRW. S. 165) und aus den Hochschulpakten zur Verfügung stehenden oder zu stellenden finanziellen Ressourcen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Es ist nicht zu beanstanden, dass Mittel, die nach dem Willen des Gesetzgebers allein der Verbesserung der Qualität des Studiums dienen sollen, nicht zum Zwecke der Ausweitung der Kapazitäten und damit sachfremd Berücksichtigung finden (§ 1 Satz 3 des Dritten Gesetzes über die Zulassung zum Hochschulstudium in Nordrhein-Westfalen vom 18. November 2008, GV.NRW. S. 710, zuletzt geändert durch Gesetz vom 31. Januar 2017, GV.NRW. S. 239).</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Beschlüsse der Kammer vom 9. Dezember 2013 – 15 Nc 31/13 u.a. – und vom 13. Februar 2013 – 15 Nc 9/12 u.a. –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Aus dem bloßen Vorhandensein von Hochschulpaktmitteln ergibt sich ebenfalls kein Anspruch auf eine weitergehende kapazitätsrechtliche Erhöhung der Zulassungszahlen in dem Studiengang Medizin (Vorklinik), solange die Mittel nicht durch die Hochschulverwaltung zur Schaffung zusätzlicher Studienplätze eingesetzt worden sind.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 3. Februar 2011 – 13 B 1793/10 –, NRWE = juris Rdnr. 5, Beschluss vom 17. Oktober 2011 – 13 C 66/11 –, NRWE= juris Rdnr. 16, und Beschluss vom 19. April 2016 – 13 C 2/16 –, juris, Rdnr. 3.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon lässt das auf der Grundlage des für das Berechnungsjahr 2018/2019 durch Beschluss des Dekanats der medizinischen Fakultät vom 16. Juli 2018 aufgestellten Stellenplans und der Verordnung über die Lehrverpflichtung an Universitäten und Fachhochschulen (Lehrverpflichtungsverordnung - LVV) vom 24. Juni 2009 (GV NRW, S. 409), zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. Juli 2016 (GV.NRW. S. 526), aus einer Stellenzahl von 56 Stellen von der Antragsgegnerin ermittelte unbereinigte Lehrdeputat von 363 DS Rechtsfehler nicht erkennen. Es ergibt sich aus folgenden Festlegungen:</p>
<span class="absatzRechts">32</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><strong>Stellenart</strong></p>
</td>
<td><p><strong>Stellen</strong></p>
</td>
<td><p><strong>Deputat je Stelle gemäß § 3 LVV</strong></p>
</td>
<td><p><strong>Angebot in DS</strong></p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>C 4/W3 und C3/W2 Universitätsprofessor</p>
</td>
<td><p>  13,0</p>
</td>
<td><p>    9</p>
</td>
<td><p>117</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>A 15 ‑ A 13 Akademischer Rat mit ständigen Lehraufgaben</p>
</td>
<td><p>    2,0</p>
</td>
<td><p>    9</p>
</td>
<td><p>  18</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>A 15 ‑ A 13 Akademischer Rat ohne ständige Lehraufgaben</p>
</td>
<td><p>    5,0</p>
</td>
<td><p>    5</p>
</td>
<td><p>  25</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>A 14 Akademischer Oberrat auf Zeit</p>
</td>
<td><p>    5,0</p>
</td>
<td><p>    7</p>
</td>
<td><p>  35</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>A 13 Akademischer Rat auf Zeit</p>
</td>
<td><p>    3,5</p>
</td>
<td><p>    4</p>
</td>
<td><p>  14</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>TV-L Wissenschaftlicher Angestellter (befristet)</p>
</td>
<td><p>       10,5</p>
</td>
<td><p>    4</p>
</td>
<td><p>  42</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>TV-L Wissenschaftlicher Angestellter (befristet) aus Hochschulpaktmitteln</p>
</td>
<td><p>    6,0</p>
</td>
<td><p>    4</p>
</td>
<td><p>24</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>TV-L Wissenschaftlicher Angestellter (unbefristet)</p>
</td>
<td><p>       11,0</p>
</td>
<td><p>    8</p>
</td>
<td><p>88</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p><strong>Summe</strong></p>
</td>
<td><p>          <strong>56</strong></p>
</td>
<td></td>
<td><p>     <strong>363</strong></p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Der sich als Grundlage für die Berechnung des unbereinigten Lehrdeputats aus der Lehrverpflichtungsverordnung in ihrer derzeit geltenden Fassung ergebende Ansatz von Deputatstunden für die einzelnen Stellengruppen ist kapazitätsrechtlich nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Zu Recht ist den Stellen in der Gruppe der unbefristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter eine Deputatstundenzahl von 8 und den Stellen in der Gruppe der Akademischen Räte auf Zeit (C1) eine Deputatstundenzahl von 4 zugeordnet worden. Aus der Anhebung der Wochenarbeitszeit für Beamte in Nordrhein-Westfalen von 38,5 auf 41 Wochenstunden durch Artikel 4 des Gesetzes vom 17. Dezember 2003 (GV. NRW. S. 814) folgt keine Verpflichtung zur Erhöhung des auf die Lehre entfallenden Anteils der Wochenarbeitszeit. Vielmehr unterliegt es dem hier vom Verordnungsgeber der Lehrverpflichtungsverordnung wahrgenommenen Spielraum des Dienstherrn, den Aufgabenbereich des Beamten und dessen Einteilung nach Schwerpunkten und/oder Zeitanteilen zu bestimmen; dies gilt auch für die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter, deren Arbeitszeit zudem Gegenstand vertraglicher Vereinbarung ist.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 19. April 2016 – 13 C 2/16 –, juris, Rdnr. 5 m.w.N., und Beschluss vom 10. März 2005 – 13 C 2/05 – NRWE = juris, Rdnr. 5 f.; Beschluss der Kammer vom 25. November 2004 – 15 Nc 29/04 –, NRWE = juris, Rdnr. 43.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Das unbereinigte Lehrangebot von 363 DS hat die Wissenschaftsverwaltung aufgrund auf Dauer angelegter, vom Stellenplan abweichender individueller Lehrverpflichtungen einzelner Stelleninhaber auf Vorschlag der Hochschule um 13,50 DS auf 376,50 DS erhöht. Dies begegnet keinen Bedenken.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Nach den §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 KapVO folgt das unbereinigte Lehrangebot einer Lehreinheit kapazitätsrechtlich aus der Verknüpfung der nach Gruppen geordneten Lehrpersonalstellen mit der den jeweiligen Stellen zugeordneten Regellehrverpflichtung, die ihrerseits durch den Dienst‑ bzw. Amtsinhalt der Stellengruppe bestimmt wird. Gerade dieses der Kapazitätsberechnung zu Grunde liegende (abstrakte) Stellenprinzip verwehrt es in der Regel, bei der Ermittlung des Lehrangebots Stellenvakanzen zu Lasten der Ausbildungskapazität der Hochschule zu berücksichtigen oder in die Bemessung der Lehrleistung Besonderheiten einzustellen, die sich aus der Besetzung einer konkreten Stelle mit einer bestimmten Lehrperson im Hinblick auf ihre individuelle Lehrverpflichtung oder Qualifikation ergeben.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu etwa OVG NRW, Beschluss vom 14. März 2005 – 13 C 1773/04 –, n.v., und Beschluss vom 14. April 2005 – 13 C 119/05 –, NRWE = juris Rdnr. 5.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Das bei der Lehrangebotsberechnung damit prinzipiell anzuwendende (abstrakte) Stellenprinzip gilt indes nicht ausnahmslos. Es ist etwa dann zu durchbrechen, wenn die Hochschule eine Stelle bewusst dauerhaft mit einer Lehrperson besetzt, die individuell eine höhere Lehrverpflichtung als die der Stelle hat, und dadurch der Stelle faktisch einen anderen, dauerhaften, deputatmäßig höheren Amtsinhalt vermittelt.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Juli 2013 – 13 C 50/13 –, NRWE = juris Rdnr. 14 und Beschluss vom 15. Mai 2009 – 13 C 20/09 –, NRWE = juris Rdnr. 6, jweils m.w.N.; Beschlüsse der Kammer vom 9. Dezember 2013 – 15 Nc 31/13 u.a. – und vom 13. Februar 2013 – 15 Nc 9/12 u.a. –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin wegen nicht nur vorübergehend vom Stellenplan abweichender Stellenbesetzung in die Lehrangebotsberechnung ein „Mehr“ an Lehrleistung in Höhe von insgesamt 13,50 DS einbezogen hat. Zwar lässt sich nach den vorgelegten Unterlagen lediglich ein „Mehr“ an Lehrleistung in Höhe von (4 + 0,5 + 0,5 + 0,5 + 0,78 + 6,0 + 1,0 =) 13,28 DS ermitteln; die Berücksichtigung von 13,50 DS ist insoweit aber kapazitätsfreundlich.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">In der Stellengruppe „Akademischer Oberrat auf Zeit“, für die ein Lehrdeputat von 7 DS gilt (§ 3 Abs. 1 Nr. 9 LVV), werden die wissenschaftlichen Angestellten B.        , I2.      und X.          mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag und einer individuellen Lehrverpflichtung von 9 SWS geführt, wobei die Arbeitszeit des Beschäftigten I2.      auf 50% reduziert ist und der/die Beschäftigte X.          nur mit einem Stellenanteil von 50% in dieser Stellegruppe geführt wird. Dies hat zur Folge, dass die auf die Stelle B.        entfallende (individuelle) Lehrverpflichtung das Stellendeputat um 2 DS, die auf die Stellen I2.      und X.          entfallende Lehrverpflichtung das Stellendeputat um je 1 DS überschreitet.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus wird auch der unbefristet beschäftigte wissenschaftliche Angestellte Prof. Dr. E1.       , dessen Lehrverpflichtung sich laut Arbeitsvertrag ebenfalls auf insgesamt 9 SWS beläuft, wovon allerdings laut Nebenabrede zu seinem Arbeitsvertrag nur 25 % in der Vorklinik zu erbringen sind, tatsächlich - mit einem Stellenanteil von 25 % - auf einer Stelle eines akademischen Oberrates auf Zeit mit einem Deputat von (nur) 7 DS (§ 3 Abs. 1 Nr. 9 LVV) geführt, so dass hierauf abstellend ein weiteres „Mehr“ an Lehrleistung von ([9 – 7] x 0,25 =) 0,5 DS in Betracht kommt.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu den Auswirkungen des Arbeitsvertrages von Prof. Dr. E1.       auf die Kapazitätsberechnung auch Beschluss der Kammer vom 13. Februar 2013 – 15 Nc 9/12 –, bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2013 – 13 C 8/13 – NRWE = juris Rdnr. 17; vgl. zur Berechnung der Lehrverpflichtung von Prof. Dr. E1.       : Beschlüsse der Kammer vom 9. Dezember 2013 – 15 Nc 31/13 u.a. –, NRWE = juris.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">In der Stellengruppe "Wissenschaftliche Angestellte unbefristet“, für die – wie dargestellt – im Grundsatz ein Lehrdeputat von 8 DS gilt (§ 3 Abs. 4 S. 4 LVV), sind die im Stellenplan als unbefristet beschäftigte wissenschaftliche Angestellte geführten Prof. Dr. C.          , G.            , N.        , Q.       , Dr. Q1.       , Dr. H.       , T.       -I3.      , C1.        -S.     und X.          arbeitsvertraglich jeweils zu einer individuellen Lehrleistung von 9 SWS verpflichtet. Da die Arbeitszeit der Beschäftigten C1.        -S.     lediglich 50% beträgt und der/die Beschäftigte X.          nur zu einem Anteil von 50% in dieser Stellegruppe geführt wird, kann für sie eine zusätzliche Lehrleistung von jeweils 0,5 DS hinzugerechnet werden; die Angestellte N.        ist mit lediglich 78% beschäftigt, so dass für sie eine zusätzliche Lehrleistung von 0,78 DS in Ansatz gebracht werden kann. Im Übrigen überschreitet die auf die jeweiligen Stellen entfallende Lehrleistung der weiteren vorgenannten Stelleninhaber das Stellendeputat von 8 DS (§ 3 Abs. 4 Satz 4 LVV) um jeweils 1 DS und somit in der Summe 6 DS. In der Stellengruppe der unbefristet Angestellten wird zudem geführt der Akademische Oberrat G1.      mit einer wöchentlichen Lehrverpflichtung von 9 DS. Insgesamt ergibt sich damit in der Stellengruppe der unbefristet angestellten wissenschaftlich Beschäftigten ein zusätzliches Lehrangebot von (0,5 +0,5 + 0,78 + 6,0 + 1,0 =) 8,78 DS.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus waren kapazitätserhöhende Lehrleistungen nicht zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Im Kapazitätsrechtsstreit ist grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die rechtlichen Vorgaben des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft – Wissenschaftszeitvertragsgesetz – (nachfolgend: WissZeitVG) vom 12. April 2007 (BGBl. I S. 506) eingehalten und die Befristungsabreden wirksam sind. Grundsätzlich ebenso wenig relevant ist, ob sich bestimmte Stelleninhaber im Einzelfall tatsächlich (noch) in der Weiterbildung befinden und deshalb die Befristung des Arbeitsvertrages gerechtfertigt ist.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">OVG NRW (st. Rspr.), Beschluss vom 4. September 2017 – 13 C 16/17 –, juris Rdnr. 9, Beschluss vom 11. Juli 2016 – 13 C 30/16 –, juris Rdnr. 12, und Beschluss vom 11. August 2015 – 13 C 16/15 –, NRWE = juris Rdnr. 11, m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Ob dennoch eine Überschreitung der gesetzlich zulässigen Befristungshöchstdauer eines Beschäftigungsverhältnisses nach dem WissZeitVG auf einen kapazitätsrechtlich bedeutsamen Wandel des Amtsinhalts der Stelle hindeutet, auf der der bzw. die Beschäftigte geführt wird, kann hier offen bleiben. Unter Berücksichtigung der vom Personaldezernenten des Universitätsklinikums E.          zum 30. September 2018 abgegebenen dienstlichen Erklärung, wonach in keinem Fall der befristet Beschäftigten die Höchstbefristungsdauer nach § 2 WissZeitVG überschritten ist, sind Anhaltspunkte für die Annahme, die Antragsgegnerin habe einer Stelle über das in die Lehrangebotsberechnung – wie oben dargestellt – bereits eingerechnete Mehr an Lehrleistung hinaus faktisch einen anderen, dauerhaften, deputatmäßig höheren Amtsinhalt vermittelt, nicht gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Eine Erhöhung der Lehrkapazität der Lehreinheit Vorklinische Medizin ist entgegen vereinzelt vertretener Ansicht auch nicht etwa deswegen geboten, weil ein Teil des Lehrbedarfs durch Lehrpersonen aus der Klinik geleistet werden könnte. Dies gilt auch angesichts der Verselbständigung des Universitätsklinikums als Anstalt des öffentlichen Rechts.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2010 – 13 C 11/10 –, NRWE = juris Rdnr. 20.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Schließlich sind auch Drittmittelbedienstete auf der Lehrangebotsseite nicht zu berücksichtigen. Sie erbringen keine aus einer Lehrpersonalstelle oder einem vergüteten Lehrauftrag – in Verbindung mit haushalts- und stellenplanmäßigen Ressourcen – abgeleiteten verbindlichen Leistungen.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. August 2015 – 13 C 16/15 –, NRWE = juris Rdnr. 18 m.w.N. der Senatsrechtsprechung.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Ob das damit vorhandene „Mehr“ an Lehrleistung in Höhe von allenfalls 13,28 DS kapazitätswirksam dadurch vollständig oder teilweise aufgezehrt sein könnte, dass zum Berechnungsstichtag mehrere der der Lehreinheit zugewiesenen Stellen nicht oder nur teilweise besetzt waren,</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">vgl. st. Rspr. der Kammer, zuletzt Beschluss vom 7. Dezember 2018 – 15 Nc 49/17 –, NRWE = juris; i. E. wohl auch OVG NRW, Beschluss vom 11. Juli 2016 – 13 C 30/16 –, juris, Rdnr. 4, Beschluss vom 10. Mai 2012 – 13 C 6/12 –, NRWE = juris Rdnr. 21, und Beschluss vom 25. Februar 2010 – 13 C 1/10 u.a. –, NRWE = juris Rdnr. 21.; zum Ganzen, allerdings nur für den Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiter: BVerwG, Urteil vom 20. April 1990 – 7 C 51.87 –, juris Rdnr. 13 f.,</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">bedarf keiner Entscheidung, da die Vorgehensweise der Antragsgegnerin, Vakanzen nicht zu berücksichtigen, kapazitätsfreundlich ist.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">2. <span style="text-decoration:underline">Lehrauftragsstunden</span></p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Das Lehrangebot von mithin 376,50 DS ist nicht um Lehrauftragsstunden zu erhöhen. Nach § 10 S. 1 KapVO sind als Lehrauftragsstunden die Lehrveranstaltungsstunden in die Kapazitätsberechnung einzubeziehen, die der Lehreinheit für den Ausbildungsaufwand nach § 13 Abs. 1 KapVO in den dem Berechnungsstichtag vorausgehenden zwei Semestern im Durchschnitt je Semester zur Verfügung gestanden haben und nicht auf einer Regellehrverpflichtung beruhen. Dies gilt nicht, soweit die Lehrauftragsstunden aus Haushaltsmitteln für unbesetzte Stellen vergütet worden sind (§ 10 S. 2 KapVO), oder soweit Personal außeruniversitärer Forschungseinrichtungen freiwillig und unentgeltlich Lehrleistungen übernimmt (§ 10 S. 3 KapVO).</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Danach bleiben sämtliche in der Übersicht der Antragsgegnerin aufgeführten Veranstaltungen bei der Berechnung der Lehrauftragsstunden außer Betracht, weil sie entweder nicht zum Ausbildungsaufwand nach § 13 Abs. 1 KapVO gehören oder der geleistete Beitrag für die Vorklinische Medizin als Dienstleistungsimport berücksichtigt worden ist. Zu Letzterem zählt der von Prof. Dr. X1.    , der dem Institut für Allgemeinmedizin angehört, welches der Lehreinheit Klinisch-praktische Medizin zugeordnet ist, im Wintersemester 2017/2018 erbrachte Beitrag im Rahmen der Veranstaltung „Einführung Mensch, Medizin und Gesellschaft - Medizinische Soziologie / Berufsfelderkundung (1. Semester)“. Die von diesem Dozenten für die Lehreinheit Vorklinische Medizin erbrachte Lehrleistung wird im Fremdanteil des Curricularnormwertes (vgl. dazu Ziffer II.) berücksichtigt, wie sich auch den von der Antragsgegnerin zur Aufteilung des Curricularnormwertes vorgelegten Tabellen, Bl. 19 des Kapazitätsvorgangs, entnehmen lässt.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch Urteil der Kammer vom 25. Januar 2013 – 15 K 6604/11 u.a. – ,NRWE = juris, unter Bezugnahme auf OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2012 – 13 B 589/12 u.a. –, NRWE = juris.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Soweit Einwände gegen die Einordnung der Lehrauftragsstunden als nicht zum Aufwand nach § 13 Abs. 1 KapVO zählend erhoben worden sind, sind diese zum Teil schon deshalb nicht schlüssig, weil sie unter Bezugnahme auf die Regelungen des Modellstudiengangs zu den Wahlpflichtfächern begründet worden sind. Die zu überprüfende Kapazitätsberechnung basiert jedoch – wie bereits gezeigt – auf den Regelungen für den (auslaufenden) Regelstudiengang. Ob die Physiologie-Vorlesung für Studierende der Pharmazie und der Medizinischen Physik als Dienstleistung der Vorklinik für die genannten Studiengänge zu qualifizieren sein könnte, wie vereinzelt geltend gemacht, kann dahinstehen. Denn dies stellte den Schluss der Antragsgegnerin nicht in Frage, die genannte Veranstaltung habe die der Lehreinheit Vorklinische Medizin zur Verfügung stehende personelle Kapazität nicht erhöht.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Die sog. Titellehre ist nicht kapazitätserhöhend zu berücksichtigen. Als nicht aus Lehrpersonalstellen folgende Lehre sind nach dem Kapazitätsberechnungsmodell lediglich die gemittelten Lehrveranstaltungsstunden aus den beiden dem Berechnungsstichtag vorausgegangenen Semestern hinzuzurechnen (§ 10 Satz 1 KapVO). Die Berücksichtigung weiterer das Lehrangebot erhöhender Lehre sieht das Modell der Kapazitätsverordnung zu Recht nicht vor. Lehrtätigkeiten im Rahmen der Titellehre sind nicht als Lehrauftragsstunden im Sinne von § 10 Satz 1 KapVO anzurechnen, weil sie freiwillig und unentgeltlich erbracht werden.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 19. April 2016 – 13 C 2/16 –, juris, Rdnr. 23 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">3. <span style="text-decoration:underline">Dienstleistungsexport</span></p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Der sich kapazitätsmindernd auswirkende Dienstleistungsbedarf nicht zugeordneter Studiengänge (vgl. § 11 KapVO) ist bei der Kapazitätsberechnung für die Lehreinheit Vorklinische Medizin zutreffend berücksichtigt worden.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Vgl. Beschluss der Kammer vom 9. Dezember 2013 – 15 Nc 31/13 –, NRWE = juris.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Maßgeblich für die Berechnung von Dienstleistungen für nicht zugeordnete Studiengänge sind nach § 11 Abs. 1 KapVO die Lehrveranstaltungsstunden, die der Dienstleistungsstudiengang zu erbringen hat.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Die mit jedem Dienstleistungsexport einer Lehreinheit einhergehende Beeinträchtigung des grundrechtlichen Anspruchs eines Studienbewerbers auf Zulassung zu einem NC-Studiengang, ist grundsätzlich nicht unverhältnismäßig. Die als Dienstleistung exportierte Lehre geht nicht verloren, sondern schafft Ausbildungskapazität in einem anderen Studiengang. Die Hochschulen entscheiden unter Berücksichtigung der kapazitätsrechtlichen Bestimmungen eigenverantwortlich und im Rahmen des ihnen zustehenden weiten Organisationsermessens darüber, wie sie ihrer Pflicht zur Sicherstellung eines studienplankonformen Lehrangebots mit den vorhandenen haushalts- und personalwirtschaftlichen Mitteln nachkommen und welche Lehreinheiten sie in welchem Umfang an der Ausbildung der Studenten im jeweiligen Studiengang beteiligen. Weder das Kapazitätserschöpfungsgebot noch das Teilhaberecht des Studienbewerbers vermitteln dem einzelnen Studienbewerber einen Anspruch darauf, dass die Hochschule das Lehrpotential ihrer wissenschaftlichen Lehrkräfte in einer den "harten" Studiengängen zu Gute kommenden Weise einsetzt. Ein von einer Lehreinheit für "harte" Studiengänge erbrachter Dienstleistungsexport kann deshalb allenfalls dann verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen, wenn ihm sachwidrige oder willkürliche Erwägungen zu Grunde liegen.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 2014 – 13 C 13/14 –, juris Rdnr. 6.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Für die Kapazitätsberechnung der Exportleistung ist der Curricularanteil der exportierenden Lehreinheit, nicht aber der insgesamt für den importierenden Studiengang geltende Curricularwert maßgeblich. Demgemäß ist es im Rahmen des § 11 KapVO grundsätzlich nicht geboten, die Festlegung und ggf. die Einhaltung von Curricular-normwerten in den nicht zugeordneten Studiengängen zu überprüfen.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 2014 – 13 C 13/14 –, juris Rdnr. 7, m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Die Berechnung der Dienstleistungen für nicht zugeordnete Studiengänge hat auf der Grundlage der sich aus deren jeweiligen Studien‑ oder Prüfungsordnungen für die Lehreinheit ergebenden Dienstleistungspflicht zu erfolgen. Danach sind grundsätzlich nur solche Lehrveranstaltungen als Dienstleistungsexport vom Lehrangebot abzuziehen, die nach der jeweiligen Studien- oder Prüfungsordnung des nicht zugeordneten Studiengangs für den erfolgreichen Abschluss des Studiums erforderlich sind.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2008 – 13 C 75/08 –, NRWE = juris, Rdnr. 12.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Dabei setzt die Rechtmäßigkeit eines Dienstleistungsabzuges entgegen vereinzelter Rügen nicht voraus, dass sich der Curricularanteil, der für den die Lehrleistung nachfragenden Studiengang anzusetzen ist, aus normativen Regelungen ergibt.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 13. März 2012 – 13 B 55/12 – und vom 5. Juni 1997 – 13 C 46/96 – NRWE = juris, Rdnr. 25 ff. bzw. 5.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Grundsätzen und unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen besteht kein Anlass, den in der Kapazitätsberechnung zu Grunde gelegten Dienstleistungsexport der Lehreinheit Vorklinische Medizin für die nicht zugeordneten Studiengänge Medizinische Physik (Bachelorstudiengang), Pharmazie (Staatsexamen), Zahnmedizin (Staatsexamen), Toxikologie (Masterstudiengang) und Molekulare Biomedizin (Masterstudiengang) zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Insbesondere ergibt sich aus den auf der Internetseite der Antragsgegnerin veröffentlichten Studien- und Prüfungsordnungen, dass in den berücksichtigten Studiengängen ein Lehrleistungsbedarf, der sachlich der Lehreinheit Vorklinik zugeordnet werden kann, tatsächlich besteht.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa Studienplan für den Studiengang Pharmazie, Anhang zur Studienordnung für den Studiengang Pharmazie an der Antragsgegnerin in der Fassung vom 14. November 2017; Modulhandbuch für den Master-Studiengang Toxikologie an der Antragsgegnerin vom 4. Februar 2016, Modul „Anatomie“; Modulhandbuch für die Bachelorstudiengänge Physik und Medizinische Physik vom 18. Februar 2013, Module „Anatomie“ und „Physiologie“; Modulhandbuch für den Masterstudiengang „Molekulare Biomedizin“, Stand September 2018.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Substantiierte Einwände gegen die Höhe des von der Antragsgegnerin angesetzten Fremdbedarfs an Lehrleistungen der Vorklinik sind nicht erhoben worden. Der Einwand, die Kapazitätsberechnung sei schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Antragsgegnerin entgegen der Vorgabe des § 4 Abs. 1 KapVO den Curricularanteil der Lehreinheit Vorklinische Medizin an den Curricularnormwerten der die Dienstleistung der Vorklinik aufnehmenden Studiengänge nicht hinreichend begründet habe, geht fehl. §§ 4 Abs. 1, 13 Abs. 4 KapVO fordern für den Kapazitätsbericht lediglich eine Begründung für die Bestimmung der Curricularanteile der in die Lehreinheit Vorklinische Medizin importierenden Lehreinheiten am Curricularnormwert der Vorklinischen Medizin.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Dass die Lehreinheit Vorklinische Medizin seit dem Wintersemester 2018/2019 Lehrleistungen für den neu eingerichteten Masterstudiengang Molekulare Biomedizin erbringt, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Die Einrichtung eines neuen Studiengangs an einer Hochschule als einer Landeseinrichtung im weitesten Sinne ist eine bildungs-, wissenschafts- und wirtschaftspolitische Entscheidung, die an übergeordneten Zielen der Gemeinschaft orientiert und nur am Willkürverbot zu prüfen ist; sie kann nicht allein deshalb in Frage gestellt werden, weil der neue Studiengang bei etablierten Studiengängen dort kapazitätssenkend Lehraufwand in Form von Dienstleistungen nachfragt.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 11. Mai 2004 – 13 C 1283/04 –, juris, Rdnr. 10; Beschluss der Kammer vom 7. Dezember 2009 – 15 Nc 27/09 –, juris, Rdnr. 97.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Es besteht jedoch die Pflicht der Hochschulen, die im Rahmen von Reformen gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten verfassungskonform in kapazitätsfreundlichem Sinne zu nutzen und die Unvermeidbarkeit gleichwohl eintretender Kapazitätsverluste – soweit dies strittig ist – unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgeschriebenen Berichtspflichten nachprüfbar zu begründen.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1984 – 1 BvR 580/83 –, BVerfGE 66, 155-190 = juris, Rdnr. 59.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Dies hat die Antragsgegnerin – entgegen vereinzelter Rüge – getan. Sie hat nicht nur dargelegt, was aus hochschulpolitischer Sicht Anlass für die Schaffung des neuen Masterstudiengangs gegeben hat, sondern auch ausgeführt, welche Überlegungen angestellt und welche Maßnahmen ergriffen worden sind, um die Lehreinheit Vorklinische Medizin in möglichst geringem Umfang, nämlich in Höhe von 1,4% des Curricularnormwertes des Studiengangs Molekulare Biomedizin zu belasten. So seien an der Sicherstellung des Lehrangebots für den genannten Studiengang nicht nur die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät (Fach Biologie) und die Medizinische Fakultät beteiligt, sondern auch drei außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Daraus ergebe sich ein Lehraufwand der Vorklinischen Medizin im Umfang von 0,04 Semesterwochenstunden (SWS), was vor dem Hintergrund des zeitgleichen Wegfalls des Dienstleistungsexports für den Masterstudiengang Medizinische Physik und einer Verringerung des Curricularanteils der Vorklinischen Medizin für den Studiengang Medizinische Physik (Bachelor) vertretbar erscheine. Diese Erwägungen sind rechtlich nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Den Dienstleistungsbedarf berechnet hat die Wissenschaftsverwaltung gemäß der Formel nach Ziff. I. 2. (2) der Anlage 1 zur KapVO, wonach sich der Aufwand für einen nicht zugeordneten Studiengang (Dienstleistung) je Semester aus der Multiplikation der durch 2 geteilten Studienanfängerzahlen (A<sub>q</sub>/2) mit dem Ca<sub>q</sub>, d.h. dem im Rahmen der Quantifizierung eines Studiengangs abgestimmten Curricularanteil der betreffenden Fremdlehreinheit ergibt, wie folgt:</p>
<span class="absatzRechts">87</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><strong>Bezeichnung des nicht zugeordneten Studiengangs</strong></p>
</td>
<td><p><strong>Ca<sub>q</sub></strong></p>
</td>
<td><p><strong>A<sub>q</sub>/2</strong></p>
</td>
<td><p><strong>Ca<sub>q</sub> x A<sub>q</sub>/2</strong></p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Medizinische Physik (BA)                  Lehreinheit Physik</p>
</td>
<td><p>0,04</p>
</td>
<td><p>16,50</p>
</td>
<td><p>0,66</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Pharmazie    (Staatsexamen)Lehreinheit Pharmazie</p>
</td>
<td><p>0,04</p>
</td>
<td><p>62,00</p>
</td>
<td><p>2,48</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Zahnmedizin (Staatsexamen)Lehreinheit Zahnmedizin</p>
</td>
<td><p>0,87</p>
</td>
<td><p>25,50</p>
</td>
<td><p>22,19</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Toxikologie (Master) Lehreinheit Klinisch-Theoretische Medizin</p>
</td>
<td><p>0,07</p>
</td>
<td><p>6,00</p>
</td>
<td><p>  0,42</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Molekulare Biomedizin (Master)Lehreinheit Klinisch-theoretische Medizin</p>
</td>
<td><p>0,04</p>
</td>
<td><p>20,00</p>
</td>
<td><p>   0,80</p>
</td>
</tr>
<tr><td></td>
<td></td>
<td></td>
<td></td>
</tr>
<tr><td><p><strong>Summe</strong></p>
</td>
<td></td>
<td></td>
<td><p><strong>26,55</strong></p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur rechtlichen Unbedenklichkeit der für die Masterstudiengänge Medizinische Physik und Toxikologie erbrachten Dienstleistungen und der daraus resultierenden Minderung der Ausbildungskapazität in der Lehreinheit Vorklinische Medizin: Beschluss der Kammer vom 7. Dezember 2009 ‑ 15 Nc 27/09 –, NRWE = juris, bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2010 – 13 C 11/10 ‑, NRWE = juris Rdnr. 23 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen sind rechtliche Einwände gegen die in die Berechnung der Dienstleistungsexporte für die eingangs genannten Studiengänge eingestellten Berechnungsparameter Ca<sub>q</sub> und A<sub>q</sub>/2 weder dargetan noch nach summarischer Prüfung ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Entgegen vereinzelter Forderung ist auch eine Verringerung der Nachfragezahl beim Dienstleistungsabzug (A<sub>q</sub>/2) wegen Doppel-/Zweitstudenten nicht geboten. Die Kapazitätsverordnung verlangt eine solche Verringerung nicht. Zudem ist die Zahl etwaiger Doppel-/Zweitstudenten – wenn überhaupt – verschwindend gering und kann bei der nur möglichen ex-ante-Kapazitätsberechnung nicht hinreichend prognostiziert werden.</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 26. August 2013 – 13 C 98/13 –, NRWE = juris Rdnr. 8 unter Bezugnahme auf OVG NRW, Beschluss vom 11. Mai 2004 – 13 C 1283/04 –, NRWE = juris.</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">4. <span style="text-decoration:underline">Bereinigtes Lehrangebot</span></p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Unter Verwendung der unter 1., 2. und 3. ermittelten Werte beträgt damit das bereinigte Lehrangebot der Lehreinheit Vorklinische Medizin je Semester gemäß Formel 3 der Anlage 1 zur KapVO</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">376,50 DS – 26,55 = 349,95 DS.</span></p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks"><strong>II. <span style="text-decoration:underline">Lehrnachfrage und Aufnahmekapazität</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">1. Der für die ordnungsgemäße Ausbildung eines Studierenden in dem Studiengang erforderliche und gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 KapVO durch den Curricularnormwert (CNW) bestimmte Aufwand aller beteiligten Lehreinheiten ist ebenfalls rechtlich zutreffend in die Kapazitätsberechnung eingeflossen.</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Nach § 13 S. 2 KapVO sind für den Studiengang Medizin (Vorklinischer Teil) – Abschluss „Staatsexamen“ – bei der Berechnung der jährlichen Aufnahmekapazität allein die in der Anlage 2 zur KapVO aufgeführten Curricularnormwerte (CNW) anzuwenden.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Der der vorliegenden Kapazitätsberechnung zugrunde liegende Curricularnormwert des Regelstudiengangs Medizin (Vorklinischer Teil), welcher seit dem Berechnungszeitraum 1990/91 zunächst 2,17 betrug und zum Wintersemester 2003/04 durch die Dritte Verordnung zur Änderung der KapVO vom 12. August 2003 auf 2,42 erhöht worden und seitdem unverändert geblieben ist (vgl. Anlage 2 KapVO Ziffer 26 a), ist rechtlich nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Erhöhung des CNW auf 2,42: Beschlüsse der Kammer vom 8. Dezember 2003 – 15 Nc 20/03 –, NRWE = juris Rdnr. 53; OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 2004 – 13 C 1676/04 –, NRWE = juris Rdnr. 2, und Beschluss vom 6. Mai 2004 – 13 C 4/04 –, NRWE = juris Rdnr. 2.</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Da es sich bei dem Curricularnormwert nicht um eine bloße Rechengröße, sondern um eine Rechtsnorm mit zahlenförmigem Inhalt handelt, dessen Festlegung auf einem Meinungs- und Entscheidungsprozess des Normgebers beruht, der seinerseits komplexe Elemente des Einschätzens und Abwägens, der Vorsorge und der Vorausschau sowie des Kompromisses zwischen gegensätzlichen Interessen, Auffassungen und Gewichtungen enthält,</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. November 2005 – NC 9 S 140/05 –, juris Rdnr. 55,</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">hat der Normgeber hierbei ein weites Gestaltungsermessen, das lediglich durch das Willkürverbot begrenzt ist.</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 1981 – 7 N 1.79 –, BVerwGE 64, 77 = juris Rdnr. 53 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 27. Februar 2008 – 13 C 5/08 –, NRWE = juris Rdnr. 15 ff.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Für einen Verstoß gegen das Willkürverbot ist nach wie vor sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht nichts erkennbar.</p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Unbedenklich ist insbesondere die in den CNW eingegangene Gruppengröße g = 180 für Vorlesungen, die in dem durch das Berechnungsmodell der KapVO vorgegebenen Beziehungsgefüge und dem Spannungsverhältnis des von dem einzelnen Studienplatzbewerber Beanspruchbaren und des von der Universität Erbringbaren einen zwischen allen beteiligten Interessen vermittelnden, akzeptablen, fächerübergreifenden Mittelwert darstellt.</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 11. August 2015 – 13 C 16/15 –, NRWE = juris Rdnr. 22, m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">2. Für die weitere Berechnung der personellen Aufnahmekapazität ist der CNW von 2,42 gemäß § 13 Abs. 4 S. 1 KapVO auf die am Lehrangebot für den Studiengang beteiligten Lehreinheiten aufzuteilen, wobei der Teil der Lehrnachfrage bzw. des CNW, der auf die Lehreinheit entfällt, welcher der Studiengang zugeordnet ist, als (Curricular-)Eigenanteil (Ca<sub>p</sub>) und der Leistungsanteil anderer Lehreinheiten für den Studiengang als (Curricular-) Fremdanteil (Ca<sub>q</sub>) bezeichnet wird. Da der Lehrverbrauch bzw. –aufwand nur von der einen oder der anderen Lehreinheit rechnerisch geltend gemacht werden kann und eine Verminderung des Eigenanteils die Aufnahmekapazität der Stamm-Lehreinheit erhöht, sind etwaige Curricular(fremd)anteile (Ca<sub>q</sub>) für Dienstleistungsimporte durch die anderen Lehreinheiten in Abzug zu bringen.</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Vgl. grundlegend zu den in Abzug zu bringenden Dienstleistungsimporten und den zu berücksichtigenden Fremdanteilen: Urteil der Kammer vom 25. Januar 2013 – 15 K 6604/11 u.a. –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt sind in Abzug zu bringen die ihrerseits nach summarischer Prüfung dem Grunde und der Höhe nach rechtlich nicht zu beanstandenden Curricular(fremd)anteile (Ca<sub>q</sub>) für Dienstleistungsimporte durch die nachfolgend aufgeführten Lehreinheiten,</p>
<span class="absatzRechts">110</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>Klinisch-theoretische Medizin</p>
</td>
<td><p>in Höhe von 0,15 Ca<sub>q</sub></p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Klinisch-praktische Medizin</p>
</td>
<td><p>in Höhe von 0,14 Ca<sub>q</sub></p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Physik</p>
</td>
<td><p>in Höhe von 0,15 Ca<sub>q</sub></p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Chemie</p>
</td>
<td><p>in Höhe von 0,15 Ca<sub>q</sub></p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Biologie</p>
</td>
<td><p>in Höhe von 0,05 Ca<sub>q</sub></p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Zentrale Einrichtungen (KUBUS und USZ)</p>
</td>
<td><p>in Höhe von 0,01 Ca<sub>q</sub></p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">und damit in einer Gesamtsumme von 0,65 Ca<sub>q</sub>.</p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Unbedenklichkeit der angesetzten Fremdanteile, die denen des Studienjahres 2013/2014 entsprechen, und zur Unbedenklichkeit der Berechnung des Eigenanteils: Beschlüsse der Kammer vom 9. Dezember 2013 – 15 Nc 31/13 u.a. –, NRWE = juris, Rdnr. 115.</p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Soweit gerügt worden ist, es fehle in den Kapazitätsunterlagen an der nach § 4 Abs. 1 Satz 2 KapVO erforderlichen Begründung für die vorgenommene Aufteilung des CNW des Studiengangs Vorklinische Medizin auf die am Lehrangebot beteiligten Lehreinheiten, trifft dies ausweislich der von der Antragsgegnerin vorgelegten Tabelle, Bl. 19 des Verwaltungsvorgangs, nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Dass die oben genannten Curricularanteile unter Anwendung eines Stauchungsfaktors von 0,977521055 und damit einer entsprechend proportionalen Kürzung bestimmt worden sind, und das Ergebnis gerundet worden ist, begegnet keinen Bedenken.</p>
<span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Der Kapazitätsberechnung nach Maßgabe der KapVO ist zwingend der CNW von 2,42 zugrunde zu legen. Überschreitet der Curricularwert, den die Hochschule anhand eines quantifizierten Studienplans auf der Grundlage der (vom Ministerium genehmigten) Studienordnung berechnet hat, den CNW, ist es Sache der Hochschule bzw. nachfolgend des Ministeriums (vgl. § 6 Abs. 1 HZG NRW, Art. 6 StV, § 4 KapVO, unter Abwägung des Teilhabeanspruchs der Bewerber aus Art. 12 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG sowie der Lehrfreiheit der Hochschule aus Art. 5 Abs. 3 GG die Beachtung des CNW zu gewährleisten. Insoweit ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Hochschule im Falle der Überschreitung des CNW kapazitätsfreundlich Eigen- und Fremdanteil anteilig kürzt („Stauchung“) und das Ministerium entsprechende Zulassungszahlen festsetzt.</p>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2013 – 13 C 52/13 u.a. –, NRWE = juris Rdnr. 14 ff., m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Dafür, dass der Curriculareigenanteil für das Wintersemester 2018/2019 von (2,42 – 0,65 =) 1,77 unter Überschreitung des der Hochschule zustehenden Gestaltungsspielraums missbräuchlich oder willkürlich bestimmt worden ist,</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Januar 2014 – 13 C 115/13 –, NRWE = juris Rdnr. 7 ff., 11,</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">ist nichts ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">3. Aus dem Curriculareigenanteil von 1,77 und dem bereinigten Lehrdeputat von 349,95 DS ergibt sich in Anwendung der in Anlage 1 zur KapVO angeführten Formel 5 eine jährliche Aufnahmekapazität von</p>
<span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2 x 349,95 DS) : 1,77 = 395,42373</span></p>
<span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">bzw. gerundet 395 Studienplätzen.</p>
<span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks"><strong>III. <span style="text-decoration:underline">Überprüfung des Berechnungsergebnisses</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Aufgrund der gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 3 KapVO durchzuführenden Überprüfung des Berechnungsergebnisses erhöht sich gemäß § 16 KapVO (Schwundquote) die Zahl der Studienplätze für das 1. Fachsemester auf maximal 411. Eine Überprüfung des Berechnungsergebnisses auf der Grundlage von § 17 KapVO anhand der patientenbezogenen Einflussfaktoren, wie vereinzelt gefordert, scheidet offenkundig aus, da die Vorschrift nur für den klinischen Teil des Studiengangs Anwendung findet.</p>
<span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">Der mit 1/0,96 in die Überprüfung eingestellte Schwundausgleichsfaktor ist nach abschließender Überprüfung auch ohne weitere Sachaufklärung rechtlich nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Seine Berechnung ist mangels normativer Vorgaben sachangemessen nach dem „Hamburger Modell“ unter Berücksichtigung der Studierendenzahlen in fünf Stichprobensemestern (WS 2015/2016 bis WS 2017/2018) und den vier vorklinischen Fachsemestern erfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 8. Juli 2013 – 13 C 50/13 –, juris, Rdnr. 35, Beschluss vom 4. November 2013 – 13 A 455/13 –, NRWE = juris, Rdnr. 5 ff., und Beschluss vom 5. Februar 2013 ‑ 13 B 1446/12 –, NRWE = juris, Rdnr. 3 ff.; Leitfaden der Universität Gießen zur Kapazitätsberechnung, S. 12 ff., https://www.uni-giessen.de/org/admin/kb/kap/file/kapazitaetsberechnung.pdf.</p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Dass die Antragsgegnerin ausweislich der Erkenntnisse der Kammer aus den Kapazitätsverfahren zum Wintersemester 2016/2017 ihrer Schwundberechnung Studierendenzahlen zu Grunde legt, welche nur die im jeweiligen Fachsemester zurückgemeldeten Studierenden, demnach nicht die beurlaubten Studierenden abbilden, ist jedenfalls nicht kapazitätsunfreundlich.</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Zwar ist es kapazitätsrechtlich nicht geboten, beurlaubte Studierende im Rahmen der Schwundberechnung der Hochschule als keine Lehrkapazität Nachfragende zu behandeln. Beurlaubungen fallen vielmehr nicht unter die Kategorie des Schwundes nach §§ 14 Abs. 3 Nr. 3, 16 KapVO, da Beurlaubte die Lehrveranstaltungen lediglich zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch nehmen und keine echte Schwundentlastung der Lehreinheit bei der studentischen Nachfrage darstellen.</p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. März 2016 – 13 C 20/16 –, juris, Rdnr. 23, Beschluss vom 15. April 2010 – 13 C 133/10 –, NRWE = juris Rdnr. 29, m.w.N., und Beschluss vom 1. März 2006 ‑ 13 C 38/06 –, NRWE = juris Rdnr. 19.</p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Wird jedoch die Zeit der Beurlaubung als Schwund behandelt, ist dies als solches kapazitätsfreundlicher, da eine – tatsächlich nicht gegebene – Entlastung der Lehreinheit der Schwundberechnung zu Grunde gelegt wird. Ob die so in Abweichung von § 16 KapVO ermittelten Schwundquoten immer auch im Ergebnis kapazitätsgünstiger als bei verordnungskonformer Berechnung sein werden, kann dahinstehen.</p>
<span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Vgl. BayVGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 7 CE 15.10118 –, juris, Rdnr. 22, und OVG Sachsen, Beschluss vom 20. Februar 2013 – NC 2 B 62/12 –, juris, Rdnr. 10: (nicht gebotene) Berechnung ohne Beurlaubte ist kapazitätsgünstiger.</p>
<span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Sie sind jedenfalls nicht kapazitätsunfreundlicher. Zwar mag es – wie vereinzelt behauptet – sein, dass durch die „Rückkehr“ eines Beurlaubten in das für ihn dann maßgebliche Fachsemester (Beurlaubung nach dem 1. Fachsemester, Rückmeldung nach Ende der Beurlaubung in das 2. Fachsemester) ein „echter“, etwa durch endgültige Aufgabe des Studiums durch einen anderen Studierenden entstehender Schwund verdeckt würde. Bezogen auf den Gesamtbetrachtungszeitraum des Hamburger Modells wird dies jedoch kompensiert durch den zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich in dem oder den Semester/n der Beurlaubung entstandenen „unechten“ und in der Schwundberechnung berücksichtigten Schwund. Die Lehrnachfrage beurlaubter Studierender wird mithin lediglich zu einem anderen Zeitpunkt berücksichtigt, als wenn die beurlaubten Studierenden während der Zeit ihrer Beurlaubung in dem jeweiligen Fachsemester (aufrückend) als Bestand gezählt werden.</p>
<span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Fehlerhaft ist die Schwundausgleichsberechnung auch nicht deshalb, weil sie – obwohl der Studiengang Humanmedizin tatsächlich nur noch als Modellstudiengang mit sechs Semestern Regelstudienzeit angeboten wird – lediglich vier Fachsemester betrachtet. Denn die Kapazitätsberechnung für das Studienjahr 2018/2019 erfolgt – wie eingangs überprüft – rechtmäßig anhand des Regelstudiengangs.</p>
<span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Soweit vereinzelt die Richtigkeit der zugrunde gelegten Daten mit Nichtwissen bestritten und eine Berücksichtigung von Teilstudienplätzen angemahnt worden ist, fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für eine Unrichtigkeit der zu überprüfenden Daten wie auch dafür, dass an der Antragsgegnerin Teilstudienplätze im Studiengang Medizin überhaupt vergeben werden. Anlass zu weiteren Nachforschungen bestand damit nicht.</p>
<span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 2014 – 13 C 13/14 –, NRWE = juris Rdnr. 20.</p>
<span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">Dass der anhand der amtlichen Statistik zu errechnende Schwundausgleichsfaktor die Quote derjenigen, die bis zum Ende der Regelstudienzeit im Studiengang verbleiben, entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten und damit unzutreffend wiedergibt, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dabei fehlt einem in die Berechnung eingestellten Schwundausgleichsfaktor nicht schon per se die innere Plausibilität, wenn in dessen Berechnung etwa aus Anlass von Höherstufungen oder von Fach- und Hochschulwechseln semesterliche Übergangsquoten einzustellen sind, die über 1 liegen und zur Folge haben, dass wegen der deshalb die Zahl an Zugängen überwiegenden Zahl an Abgängen in höheren Fachsemestern keine Entlastung in der Lehrnachfrage zu verzeichnen ist, die gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 3 KapVO zu berücksichtigen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. März 2006 – 13 C 38/06 –, NRWE = juris Rdnr. 14 ff.</p>
<span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">Damit ergibt sich durch Multiplikation mit dem Schwundausgleichsfaktor von 1/0,96 eine personalbezogene Jahresaufnahmekapazität für Studienanfänger (1. Fachsemester) von</p>
<span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">395 x (1/0,96) = 411,45,</span></p>
<span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">gerundet 411 Studienplätzen.</p>
<span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks"><strong>IV. <span style="text-decoration:underline">Besetzung</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von 411 Studienplätzen, die wegen des Jahreszulassungsbetriebes sämtlich auf das Wintersemester 2018/2019 entfallen, stehen Studienplätze für eine gerichtliche Vergabe nicht zur Verfügung. Nach der von der Antragsgegnerin abgegebenen dienstlichen Erklärung vom 26. Oktober 2018 waren zu diesem Zeitpunkt im Studiengang Medizin im 1. Fachsemester bereits 417 Studierende immatrikuliert bzw. rückgemeldet.</p>
<span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">Die Tatsache, dass somit 6 Studienplätze mehr als errechnet vergeben worden sind, führt nicht zu der Annahme, es gebe noch über die Zahl von 417 Studienplätzen hinaus verdeckte Ausbildungskapazität. Im Hinblick auf die Befugnis der Hochschulen, zum Zwecke einer nach Abschluss des Auswahlverfahrens der 2. Stufe (§ 10 Abs. 5 VergabeVO NRW) im Interesse der Studienplatzbewerber zügigen Besetzung der noch freien Plätze im Nachrückverfahren (§ 10 Abs. 6 und 7 VergabeVO NRW) unter Anwendung der Auswahlkriterien nach § 2 ihrer Satzung zur Durchführung von Auswahlverfahren in zulassungsbeschränkten Studiengängen nach dem Dritten Gesetz über die Zulassung zum Hochschulstudium in NRW vom 2. März 2009, zuletzt geändert durch Satzung vom 5. Mai 2017, (Auswahl nach dem Grad der Qualifikation) eine Überbuchung vorzunehmen,</p>
<span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 27. Juli 2017 – 13 C 14/17 –, juris, Rdnr. 25,</p>
<span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">bietet eine Überbesetzung im Umfang von 6 Studienplätzen keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Antragsgegnerin habe die Sollzahl nach der Zulassungsverordnung als variable Größe behandelt.</p>
<span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Januar 2011 – 13 B 1640/10 –, juris, Rdnr. 32.</p>
<span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks"><strong>B.</strong> Ein Anspruch auf Zulassung zum Studium innerhalb der festgesetzten Ausbildungskapazität besteht ebenfalls nicht. Sämtliche verfügbaren Studienplätze sind besetzt und substantiierte Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks"><strong>C.</strong> Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die Streitwertpraxis des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, nach der auch in vorläufigen Rechtsschutzverfahren betreffend die Zulassung zum Studium, deren Ziel sich selbst bei einer (nur) angestrebten Beteiligung an einem Losverfahren weitestgehend auf die Vorwegnahme der Hauptsache richtet, der für das Hauptsacheverfahren maßgebliche Streitwertbetrag von 5.000,00 Euro anzusetzen ist.</p>
<span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juli 2017 – 13 C 14/17 –, juris, Rdnr. 33.</p>
<span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">(1)       Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p>
<span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p>
<span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –).</p>
<span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">(2)       Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.</p>
<span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p>
<span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">163</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
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<p><strong>Der Antrag wird abgelehnt.</strong></p>
<p><strong>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p>
<p><strong>Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,--Euro festgesetzt.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der am 12. Oktober 2018 bei Gericht eingegangene Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das durch Mitteilung vom 13. September 2018 abgebrochene Stellenbesetzungsverfahren zur Besetzung einer nach A 13 Landesbesoldungsgesetz NRW bewerteten Beförderungsstelle an der Realschule C.      in N.       mit dem Aufgabengebiet „Beratungs- und Koordinierungsaufgaben im Bereich Qualitätssicherung und Umsetzung des schuleigenen Evaluationskonzeptes“ fortzusetzen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Begehren ist möglicherweise bereits unzulässig (fehlendes Rechtsschutzinteresse), weil sich die Antragstellerin vor Anrufung des Gerichts nicht an den Antragsgegner gewandt hat, um diesen zur Fortsetzung des abgebrochenen Verwaltungsverfahrens zu bewegen. Nach Aktenlage hat sich der Verfahrensbevollmächtigte gegenüber dem Antragsgegner unter dem 4. Oktober 2018 lediglich für die Antragstellerin bestellt und um Akteneinsicht gebeten, obwohl der Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens gegenüber der Antragstellerin bereits mit Schreiben vom 13. September 2018 bekanntgegeben worden ist. Allerdings lässt es die Kammer vor dem Hintergrund nur eingeschränkt vorhandener Rechtsschutzmöglichkeiten dabei nicht bewenden. Stellt ein Bewerber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung einen Antrag nach § 123 VwGO, darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen einer neuen Ausschreibung weiterverfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 – 2 A 3.13 –, juris, Rn. 24.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist aber auf jeden Fall unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist abzulehnen, weil die Verpflichtung des Antragsgegners, das abgebrochene Stellenbesetzungsverfahren mit der Ausschreibungskennzeichnung 47.4.06-A13/21 fortzusetzen, eine mit Sinn und Zweck einer einstweiligen Anordnung nicht zu vereinbarende Vorwegnahme der Hauptsache beinhalten würde.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Nach einer Übersicht in der der Verwaltungsakte sind zwar zwei nach A 13 bewertete Stellen an der Realschule C.      in N.         ausgeschriebenen worden, die Antragstellerin hat sich aber nur auf die vorbezeichnete Stelle beworben. Gegenläufig hat sich die Antragstellerin im Parallelverfahren 2 L 2996/18, die Lehrerin N1.      M.     Q.      , nach Aktenlage nur auf die zweite, hier nicht streitbefangene, nach A 13 bewertete Beförderungsstelle mit der Ausschreibungskennzeichnung 47.04.06-A13/22 beworben.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dem Antragsteller würde hiermit – wenn auch nur vorläufig – gerade die Rechtsposition vermittelt, die er auch in einem Hauptsacheverfahren anstrebt. Eine Vorwegnahme der grundsätzlich einem Klageverfahren vorbehaltenen Entscheidung ist im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn ein wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist, dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen und er nach dem von ihm glaubhaft gemachten Sachverhalt im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. allgemein BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 1989 - 2 ER 301.89 -, juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2002 - 6 B 1626/02 -, NRWE, Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin hat voraussichtlich keinen Anspruch auf Fortsetzung des abgebrochenen Stellenbesetzungsverfahrens. Dem steht ein weites Organisationsermessen des Dienstherrn gegenüber, aus dem für das Verwaltungsgericht eine Beschränkung seiner Prüfung dahingehend folgt, ob die Abbruchentscheidung sich als willkürlich oder rechtsmissbräuchlich darstellt.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 1. Oktober 2018 – 6 B 1239/18 -, juris, Rnrn. 5 und 9.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Davon kann hier keine Rede sein.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Für den Abbruch des Auswahlverfahrens ist die Beteiligung des Personalrates gesetzlich nicht vorgesehen. Nach § 85 Satz 1 in Verbindung mit § 73 Nr. 2 LPVG NRW wirkt der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, nur mit bei Stellenausschreibungen, soweit die Personalmaßnahme der Mitbestimmung unterliegen kann. Ob sich für die Gleichstellungsbeauftragte ein Beteiligungstatbestand aus § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LGG NRW ergibt, weil sich ihre Mitwirkung insbesondere auf personelle Maßnahmen, einschließlich Stellenausschreibungen, Auswahlverfahren und Vorstellungsgespräche bezieht, kann offenbleiben, weil ein etwaiger Verfahrensfehler – die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten am Abbruch des Stellenbesetzungsverfahren ist aktenkundig nicht dokumentiert - die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, § 46 VwVfG NRW. Das folgt aus den nachstehenden Ausführungen:</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das Bewerbungsverfahren durch einen wirksamen Abbruch beendet werden kann, wenn der Dienstherr die Stelle zwar weiterhin vergeben will, hierfür aber ein neues Auswahlverfahren für erforderlich hält. Der Abbruch eines Auswahlverfahrens bedarf allerdings eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG genügt. Der Dienstherr kann demnach das Auswahlverfahren u. a. abbrechen, wenn eine erneute Ausschreibung erforderlich wird, um eine hinreichende Anzahl leistungsstarker Bewerber zu erhalten. Die Rechtmäßigkeit des Abbruchs setzt darüber hinaus voraus, dass die Bewerber hiervon rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen und der wesentliche Abbruchgrund schriftlich dokumentiert wird.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">BVerwG, a.a.O., Rnrn. 17 bis 20.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Ein sachlich zwingender Grund ist hier gegeben, weil zumindest die für die Antragstellerin vom Schulleiter der Realschule C.      in N.         erstellte dienstliche Beurteilung vom 11. Juli 2018 nicht als Beurteilungsgrundlage für das Auswahlverfahren zur Besetzung der ausgeschriebenen Stelle herangezogen werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ob sich der Grund für eine vom Antragsgegner angenommene Voreingenommenheit aus der Dienstbesprechung vom 11. April 2018 ergibt, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Beruhen Angaben in einer Beurteilung nicht auf Tatsachen, sondern auf der Voreingenommenheit eines Vorgesetzten, so ist die dienstliche Beurteilung aufzuheben, denn dann hat der Dienstherr gegen seine selbstverständliche Pflicht verstoßen, den Beamten gerecht, unvoreingenommen und möglichst objektiv zu beurteilen. Die Besorgnis der Befangenheit genügt insoweit allerdings nicht, vielmehr ist die tatsächliche Voreingenommenheit eines Beurteilers aus der Sicht eines objektiven Dritten festzustellen. Eine solche tatsächliche Voreingenommenheit liegt vor, wenn der Beurteiler nicht willens oder nicht in der Lage ist, den Beamten sachlich und gerecht zu beurteilen. Dienstliche Beurteilungen werden nach ihrem Sinn und Zweck - anders als Entscheidungen im Verwaltungsverfahren oder im Verwaltungsprozess - grundsätzlich durch Vorgesetzte und/oder Dienstvorgesetzte des Beamten erstellt, mithin in aller Regel aufgrund unmittelbarer dienstlicher Zusammenarbeit. Ständige dienstliche Zusammenarbeit und die Führungsaufgaben eines Vorgesetzten bringen naturgemäß auch die Möglichkeit von Konflikten mit sich. Entsprechend können grundsätzlich weder eine kritische Einschätzung der Arbeitsweise und des sonstigen dienstlichen Verhaltens des beurteilten Beamten durch den beurteilenden Vorgesetzten, noch das Bestehen dienstlich veranlasster Spannungen bereits Anlass geben, eine Voreingenommenheit des Vorgesetzten anzunehmen. Dadurch und auch durch gelegentlich erregte oder sonst emotional gefärbte Reaktionen wird grundsätzlich noch nicht die Erwartung in Frage gestellt, der Vorgesetzte wolle und könne seine Pflichten einschließlich derjenigen zur sachlichen und gerechten dienstlichen Beurteilung erfüllen.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Kammerbeschluss vom 4. April 2017 – 2 L 3174/16 – juris, Rn. 46 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Für den Verlauf der am 11. April 2018 abgehaltenen Dienstbesprechung ist zunächst das angefertigte Protokoll in den Blick zu nehmen. Wenn es darin heißt, dass sich jeder auf die beiden ausgeschriebenen, nach A 13 bewerteten Stellen bewerben könne und zwei unbenannte Kollegen dazu im Vorfeld bereits motiviert worden seien, so lässt sich daraus nicht hinreichend sicher ableiten, dass für den Schulleiter und Beurteiler bereits vor Abfassung der notwendig zu erstellenden dienstliche Beurteilungen festgestanden habe, welche beiden Bewerber er mit der höchsten Punktzahl beurteilen werde. Dieser Darstellung der Lehrerin und Mitkonkurrentin B.         stehen die dienstliche Stellungnahme des Schulleiters Dahmen vom 10. September 2018 sowie die von der Antragstellerseite im Gerichtsverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen mehrerer Lehrkräfte an der Schule entgegen. Zudem ist die Mitkonkurrentin Q.      nicht mit der höchsten Punktzahl 5, sondern nur mit 4 Punkten im Gesamturteil bewertet worden.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Allerdings bietet die dienstliche Beurteilung der Antragstellerin in objektiver Hinsicht einen Anhaltspunkt dafür, dass der Schulleiter bei der Vergabe des besten Gesamturteils „Im Beurteilungszeitraum wurde eine Leistung und Befähigung gezeigt, die die Anforderungen in besonderem Maße übertreffen und mit fünf Punkten bewertet werden.“, zu Lasten einer Mitbewerberin an derselben Schule, nämlich den Lehrerin B.         , zu Unrecht Leistungen der Antragstellerin berücksichtigt hat. Im Beurteilungszeitraum hat der Schulleiter die Antragstellerin offenbar mit Aufgaben betraut, die grundsätzlich der Schulleitung obliegen, obwohl diese Aufgabenübertragung nicht im Einverständnis mit dem schulfachlichen Dezernenten erfolgt ist. Unter der Rubrik „2. Tätigkeit außerhalb des Unterrichts/Sonderaufgaben“ erwähnt der Beurteiler, die Antragstellerin habe gemeinsam mit einer Kollegin die täglichen Unterrichtsvertretungen organisiert. Dabei handelt es sich nach Auffassung der Kammer um eine Leitungsaufgabe, die der Schulleiter gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW im Einzelfall auf Lehrer zur eigenständigen Wahrnehmung übertragen kann. Allerdings ist wegen der zwangsläufig notwendigen (Teil-)Entlastung der beauftragten Lehrkraft von ihrer Unterrichtungsverpflichtung wohl das Einvernehmen des schulfachlichen Dezernenten erforderlich. Das folgt aus den Umständen des Einzelfalles. Im Bewusstsein, sich des Einverständnisses des schulfachlichen Dezernenten versichern zu müssen, hat sich der Schulleiter am 8. Juni 2018 an diesen gewandt und für das nachfolgende Schuljahr 2018/2019 eine Beauftragung mit Schulleitungsaufgaben unter gleichzeitiger Gewährung einer Entlastung im Umfang von 8 Unterrichtsstunden beantragt. Der schulfachliche Dezernent hat die beantragte Beauftragung am 19. Juli 2018 schriftlich abgelehnt. Aus seiner Sicht folgerichtig bemängelt er im Beurteilungszeitraum die fehlende Beauftragung für Tätigkeiten der Antragstellerin, die dem Bereich der Schulleitung zugeordnet sind. Trotz entsprechenden Fehlerhinweises hat sich der Beurteiler zu diesem Punkt nicht geäußert. Das gilt auch für zwei weitere Fehlerhinweise, für die ein Aufklärungsbedarf in Bezug auf alle drei vom Schulleiter und Beurteiler E.     erstellten dienstlichen Beurteilungen für die Lehrkräfte T.     , B.         und Q.      besteht. So ist unklar, ob die vorbezeichneten dienstlichen Beurteilungen auf der Grundlage von zwei vorgeschriebenen Unterrichtsbesuchen erstellt worden sind.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. Nr. 9.2 erster Spiegelstrich der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrerinnen und Lehrer sowie Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung des für Schule zuständigen Ministeriums, Runderlass des Ministeriums für Schule und Bildung vom 19. Juli 2017 – 213-1.18.07.03-6214 -, BASS 21-02 Nr. 2 (im Folgenden: BRL).</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">In allen drei Fällen erscheint insoweit nur ein Datum mit dem nachfolgenden Wort „und“. Eine Antwort auf die den Fehlerhinweisen zu entnehmende Frage, ob pro Lehrkraft zwei Unterrichtsbesuche an einem Tag stattgefunden haben, bleibt der Schulleiter bis heute schuldig. Des Weiteren verstoßen die dienstlichen Beurteilungen formal auch gegen Nr. 7.1 BRL. Danach ist Beurteilungszeitraum der Zeitraum seit Ende des Beurteilungszeitraums der vorangegangenen dienstlichen Beurteilung (Satz 1). Liegt dieses Ende länger als drei Jahre zurück, sind die Leistungen der letzten drei Jahre zu beurteilen (Satz 2). Der Antragsgegner hat den Schulleiter in allen drei Fällen seiner Beurteilung auf diese Vorgabe und deren Nichteinhaltung durch ihn aufmerksam gemacht, ohne dass der Schulleiter dem entgegengetreten ist. Zwar erscheint die Begrenzung des Beurteilungszeitraumes als allgemeiner Grundsatz für die Beurteilung im Lichte des Postulats, Beurteilungslücken möglichst zu vermeiden, nicht unproblematisch. Jedoch ist von einem Schulleiter gegenüber seinem Dienstvorgesetzten ein kooperatives Verhalten zu erwarten, was seinen Niederschlag u. a. in der beamtenrechtlichen Pflicht, Vorgesetzte zu beraten und zu unterstützen, findet (§ 35 Satz 1 BeamtStG). Seine Einlassung im vorliegenden Eilverfahren, eine Stellungnahme zu den Fehlerhinweisen erübrige sich, weil die Abbruchentscheidung bereits vorher erfolgt sei und der Antragsgegner für sich bereits entschieden habe, dass die dienstlichen Beurteilungen rechtswidrig seien, verfängt nicht. Denn der aufgezeigte Aufklärungsbedarf besteht ungeachtet des vorgenommenen Abbruchs. Der Schulleiter und Beurteiler E.      verkennt die Reichweite seines Verhaltens, wenn er seinen Fokus nur auf den bereits erfolgten Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens richtet. Die von ihm erstellten dienstlichen Beurteilungen entfalten nämlich über einen konkreten personalrelevanten Anlass hinaus auch für künftige Personalentscheidungen Relevanz, weil sie allgemein die Grundlage für Auswahlentscheidungen nach dem Leistungsgrundsatz bilden, und zwar nicht nur punktuell für den Anlass, der zu ihrer Anfertigung geführt hat, sondern unter Beachtung ihrer Aktualität auch für Anlässe darüber hinaus (vgl. Nr. 3.4 BRL). Schließlich kritisiert der Antragsgegner des Weiteren das Verhalten des Schulleiters in Bezug auf eine weitere Bewerberin. Trotz mehrfacher Aufforderung hat er danach die mündlich erteilte Auskunft, dass insoweit die Bewerbung zurückgezogen worden sei, nicht durch ein entsprechendes Schreiben der Lehrkraft belegt.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">In einer Gesamtschau aller bekannten Umstände des Einzelfalles überschreitet der Antragsgegner mit dem Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens sein Organisationsermessen nicht, wenn er eine Auswahlentscheidung auf der Grundlage von dienstlichen Beurteilungen ablehnt, die er nachvollziehbar für objektiv fehlerhaft hält, und sich der Beurteiler pflichtwidrig weigert, an einer sachgerechten Aufklärung von Fehlerhinweisen zu den von ihm erstellten dienstlichen Beurteilungen durch den Dienstvorgesetzen mitzuarbeiten.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die unterlegene Antragstellerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Wegen der angestrebten Vorwegnahme der Hauptsache hat die Kammer davon abgesehen, den Auffangstreitwert mit Rücksicht auf die Verfahrensart zu reduzieren.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. April 2018 – 6 B 355/18 - juris.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">(1)       Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –).</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">(2)       Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
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161,467 | vg-arnsberg-2018-12-18-4-k-850017 | {
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<p>Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 6. September 2017 verpflichtet, der Klägerin den unter dem 29. Februar 2016 beantragten immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zu erteilen.</p>
<p>Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.</p>
<p>Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.</p>
<p>Die Berufung wird zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin begehrt einen Vorbescheid für die Errichtung eines Windparks.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Unter dem 29. Februar 2016 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheides für den Bau von fünf Windenergieanlagen (WEA) im Bereich T.       - B.         . Die Voranfrage lautete dahin, ob der Errichtung und dem Betrieb der X1.   an den geplanten Standorten eine planerische Ausschlusswirkung als öffentlicher Belang entgegensteht, weil der Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle im Sinne des § 35 Abs.3 S.3 des Baugesetzbuches (BauGB) vorsieht. Zur Begründung verwies die Klägerin darauf, dass der geltende Flächennutzungsplan aus dem Jahr 2015 keine Konzentrationszonen für Windenergie enthalte. Die beigeladene Stadt T.       habe zwar die Aufstellung eines Teilflächennutzungsplans „Windenergie“ beschlossen, doch sei noch unklar, welche Flächen hierin als Konzentrationszonen für die Windenergie ausgewiesen würden.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Beigeladene bat im April 2016 unter Hinweis auf ihre laufenden Planungen um Zurückstellung des Antrags, woraufhin der Beklagte die Entscheidung über die Voranfrage bis März 2017 aussetzte.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Am 2. Februar 2017 beschloss der Rat der Stadt T.       den Teilflächennutzungsplan „Windenergie“ (im Folgenden: TFNP), der in der Folge bekannt gemacht und genehmigt wurde.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hierin wurden drei Gebiete (Nr. 4-2 (I.           I1.    Mitte), 4-3 (I.           I1.    Ost) und 7-2 (Südliche Waldflächen Süd)) mit einer Fläche von insgesamt 7,44 km² als Konzentrationszonen für Windenergieanlagen ausgewiesen. Die klägerseits vorgesehenen Standorte liegen nicht in diesen Gebieten, sondern in der Potentialfläche 6-1 (B.         / I2.     - Nord), die im Verlauf der Planung als Konzentrationszone ausgeschieden worden war.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 6. September 2017 lehnte der Beklagte die Erteilung des begehrten Vorbescheides ab. Zur Begründung führte er aus, dass X1.   außerhalb der nunmehr ausgewiesenen Konzentrationszonen in der Regel unzulässig seien und dass eine ausnahmsweise Zulässigkeit weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich sei.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung ihrer hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der TFNP stehe der Erteilung eines Vorbescheides nicht entgegen, denn er leide an verschiedenen Mängeln und sei daher unwirksam.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Es fehle bereits an seiner Vollzugsfähigkeit, da die ausgewiesenen Konzentrationszonen sämtlich in einem durch den Landschaftsplan „T.       “ festgesetzten Landschaftsschutzgebiet (LSG) lägen und wegen des dortigen Bauverbots aus rechtlichen Gründen nicht für eine Windenergienutzung zur Verfügung stünden. Insofern sei die Untere Naturschutzbehörde (UNB) nach umfangreicher Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Entlassung aus dem Landschaftsschutz bzw. die Erteilung von diesbezüglichen Befreiungen oder Ausnahmen angesichts hier betroffener markanter Höhenzüge nicht in Aussicht gestellt werden könne. Obwohl eine Befreiungslage demnach gerade nicht vorliege und eine Realisierung der Konzentrationsplanung damit ausgeschlossen sei, habe sich die Beigeladene über die eindeutige Auffassung der zuständigen Behörde, die durch einen Beschluss des Kreistags bestätigt worden sei, schlicht hinweggesetzt. Auch nach dem Windenergieerlass in seiner früheren bzw. heutigen Fassung stelle aber der Widerspruch der Fachplanungsträger eine Grenze der Bauleitplanung dar, so dass diese nicht erforderlich und zugleich abwägungsfehlerhaft sei.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Von einem allgemeinen Vorrang der Windenergienutzung gegenüber dem Natur- und Landschaftsschutz könne insofern nicht ausgegangen werden, so dass eine generelle Relativierung von Schutzgebietsausweisungen im Befreiungswege nicht statthaft sei. Es liege an der Beigeladenen, bei den zuständigen Stellen auf eine Aufhebung oder Anpassung der geltenden Landschaftspläne oder Schutzgebietsverordnungen hinzuwirken. Die Befreiungstatbestände seien dagegen nicht das geeignete Instrument, mit dem sich Landschaftspläne entgegen ihrem ursprünglichen Schutzanspruch zu energiepolitischen Zwecken erheblich relativieren ließen. Im Übrigen sei die überwiegende Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes von der UNB überzeugend dargetan worden. Auf dieser Grundlage habe sie eine Befreiung ausdrücklich gerade nicht in Aussicht gestellt, was die Beigeladene ihrer prognostischen Einschätzung der Geeignetheit der Konzentrationszonen habe zugrunde legen müssen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Des Weiteren habe die Beigeladene von vorneherein vorgesehen, nur Konzentrationszonen auszuweisen, in denen mindestens fünf X1.   errichtet werden können. Zwar könne die Stadt im Rahmen ihres planerischen Ermessens eine Mindestzahl von Anlagen festlegen, doch sei eine Untergrenze von fünf X1.   unverhältnismäßig. Sie entspreche nicht der im UVP- Gesetz normierten Mindestgröße von Windfarmen, sondern sei scheinbar zufällig gewählt und führe zu einem Ausscheiden von elf kleineren Potentialflächen mit rund 2 km².</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Infolge der fehlerhaft vorgesehenen Mindestanzahl von X1.   seien auch die festgelegten Abstände zu Wohnnutzungen u.ä. zu weit bemessen worden, da bei der Abstandsberechnung Schallpegel von fünf X1.   zugrunde gelegt worden seien.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Zudem sei bei der Festlegung der betreffenden Abstände nicht zwischen Mindestabständen (harten Tabuzonen) und Vorsorgeabständen (weichen Tabuzonen) differenziert worden. Auch seien die Abstände nicht nach einheitlichen Maßstäben vorgesehen worden, da in Bezug auf Ferienhausgebiete auf einen schallreduzierten, im Übrigen aber auf einen regulären Betrieb der Anlagen abgestellt worden sei. Bei durchgehender Berücksichtigung eines schallreduzierten Betriebs auch in der Nähe zum Innenbereich hätten sich erheblich größere Flächen für die Windenergie ergeben.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Soweit Vorsorgeabstände mit der Vermeidung einer optisch bedrängenden Wirkung begründet würden, seien diese für Wohngebäude im Innen- und Außenbereich ohne sachlichen Grund unterschiedlich bemessen worden und sei es auch nicht, wie geboten, zu einer Bildung von harten Tabuzonen gekommen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die ausgewiesenen Konzentrationszonen gäben der Windenergie schließlich nicht in substantieller Weise Raum.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Insofern führten schon die vorbezeichneten Fehler bei einzelnen Abwägungselementen dazu, dass die Grundlage der diesbezüglichen Bewertung durch die Beigeladene nicht tragfähig sei.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Zudem habe die Beigeladene hierbei teilweise ungeeignete Kriterien herangezogen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Dies gelte für das Verhältnis der ausgewiesenen Konzentrationszonen zu den nach Abzug der harten und weichen Tabukriterien verbliebenen Potentialflächen, da dieses mit der Zahl der Festlegung weicher Tabuzonen wachse und daher nicht aussagekräftig sei. Entsprechendes gelte für einen Vergleich der durch die Planung ermöglichten Energiemenge mit der im Stadtgebiet erzeugten (erneuerbaren) Energie, da hiermit lediglich ein relativer Entwicklungswert angegeben werde. Auch das Verhältnis der ermöglichten Energiemenge zum Stromverbrauch im Stadtgebiet sei insofern nicht geeignet, da es maßgeblich von der Besiedlungsdichte der jeweiligen Kommune abhänge. Insbesondere deshalb sei ein Flächenvergleich der Konzentrationszonen und des Stadtgebiets ebenfalls kein tauglicher Maßstab.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Ausschlaggebend sei vielmehr vornehmlich das Verhältnis der ausgewiesenen Konzentrationszonen zu den nach Abzug der harten Tabukriterien verbleibenden Außenbereichsflächen, das vorliegend nur 5,6 % betrage und damit deutlich unterhalb eines Anhaltswertes von 10 % liege. Dies löse einen besonderen Rechtfertigungsbedarf aus, dem die Beigeladene durch den bloßen Verweis auf eine vergleichsweise große Konzentrationszone (Nr. 4-2), den Schutz der Bevölkerung vor schädlichen Umwelteinwirkungen und die Bedeutung des T1.         für den Tourismus nicht gerecht werde, zumal diese Gesichtspunkte bereits in vorangegangenen Abwägungsschritten herangezogen worden seien. Daher hätte das Abwägungsergebnis erneut überprüft werden und namentlich eine Einbeziehung weiterer Potentialflächen, für die – wie hinsichtlich der Fläche 6-1 – eine mittlere bis hohe Konfliktdichte angenommen worden sei, erwogen werden müssen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 6. September 2017 zu verpflichten, den unter dem 29. Februar 2016 beantragten immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zu erteilen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">              die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Er verweist zur Begründung auf den angegriffenen Bescheid.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Beigeladene stellt keinen Antrag und tritt der Klage wie folgt entgegen:</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der TFNP sei nicht vollzugsunfähig, da das nach dem Landschaftsplan geltende Bauverbot nicht unüberwindbar sei. Insofern sei das objektive Vorliegen einer Befreiungslage maßgeblich, wobei die Stellungnahme der zuständigen Naturschutzbehörde grundsätzlich ein gewichtiges Indiz darstelle.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Eine Befreiung sei im Sinne des § 67 Abs.1 Nr.1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) erforderlich, wenn eine Verwirklichung des Vorhabens zur Wahrnehmung des jeweiligen öffentlichen Interesses vernünftigerweise geboten sei. Dies sei hier mit Blick auf das erhebliche Interesse am Ausbau erneuerbarer Energien der Fall, der nur erreicht werden könne, wenn die Errichtung von X1.   auch in Landschaftsschutzgebieten nicht grundsätzlich ausgeschlossen werde. Dies gelte insbesondere, weil in Nordrhein- Westfalen ca. 45 % der Landesfläche als LSG festgesetzt seien. Das hier betroffene LSG 2.3.1, in dem die Konzentrationszonen größtenteils lägen, nehme nahezu den gesamten Außenbereich des Stadtgebiets ein, soweit er nicht anderweitig geschützt sei.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Nach dem hier noch maßgeblichen Landschaftsplan aus 1993 sei das Landschaftsbild nicht ausdrücklicher und unmittelbarer Schutzzweck des LSG 2.3.1, sondern finde lediglich mittelbar Eingang in den Schutzzweck über das Erhaltungsziel einer naturnahen Landschaft und der Aufrechterhaltung der Erholungseignung. Eine beachtliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes dahin, dass es nicht mehr als naturnah wahrgenommen werde und die Erholungseignung abnehme, sei indessen nicht zu erwarten, da die Konzentrationszonen mit 7,44 km² nicht einmal 6 % der Fläche des LSG einnähmen. Für die Fläche 4-2 sei zudem zu berücksichtigen, dass bereits planungsrechtliche Vorbescheide für vier Windenergieanlagen erteilt worden seien. Hinsichtlich der Fläche 7-2 sei zwar ein Höhenzug betroffen, doch lägen große Teile der Konzentrationszone auf Höhen, die der umliegenden Umgebung entsprächen. Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes könne zudem zu einem gewissen Grad noch im Genehmigungsverfahren begegnet werden. In einem Neuentwurf des Landschaftsplans sei im Übrigen vorgesehen, dass einvernehmlich abgestimmte Windkraftkonzentrationszonen von sie behindernden Festsetzungen des Landschaftsplans unberührt blieben, so dass die Beigeladene bei Beschlussfassung über den TFNP habe annehmen können, dass ihrer Planung in der Neufassung des Landschaftsplans Rechnung getragen werde.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Stellungnahme der UNB sei zudem fachlich zweifelhaft, was ihre Indizwirkung herabsetze. Das methodische Vorgehen sei nicht transparent und die Bewertung erschöpfe sich letztlich darin, auf die mit jeder X1.   einhergehende Veränderung des Landschaftsbildes abzustellen. Eine an der Untersuchungsmethodik des Windenergieerlasses ausgerichtete eigene Untersuchung habe demgegenüber zu einem abweichenden Ergebnis geführt. Die UNB habe sich auch über die Bestimmungen des maßgeblichen Windenergieerlasses hinweggesetzt, nach denen im Regelfall von einem überwiegenden öffentlichen Interesse am Ausbau regenerativer Energien auszugehen sei und die Befreiung erteilt werden könne. Hiermit werde das Gesetz in einer für nachgeordnete Behörden verbindlichen Weise interpretiert, so dass sie, die Beigeladene, aufgrund der geübten Verwaltungspraxis mit Blick auf ihre Planungshoheit einen Anspruch auf das Inaussichtstellen einer Ausnahme oder Befreiung gehabt habe.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Indizwirkung der Stellungnahmen der UNB sei zudem deshalb weiter abgeschwächt bzw. entfallen, weil die Bezirksregierung als höhere Naturschutzbehörde explizit eine andere Auffassung vertrete, so dass die Beigeladene angesichts des hierarchischen Behördenaufbaus ohne weiteres von einer objektiv gegebenen Befreiungslage habe ausgehen dürfen. Eine Einstufung bestimmter Teile des LSG als Tabukriterium stieße zudem auf praktisch nicht auflösbare Schwierigkeiten, da Tabuzonen nach generellen Kriterien zu bestimmen seien.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Eine für fünf X1.   ausreichende Mindestgröße der Konzentrationszonen könne die Gemeinde innerhalb ihres Planungsermessens bestimmen, um eine Verspargelung der Landschaft zu verhindern. So bemessene Konzentrationszonen seien regelmäßig auch wirtschaftlich vorteilhafter, wobei die hierdurch ausgeschiedenen Flächen insgesamt nur 2 km² ausgemacht hätten.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Es sei auch nicht zu beanstanden, dass die Abstände zu Wohnnutzungen vorsorglich generell als weiches Tabukriterium gehandhabt worden seien. Soweit damit auch Bereiche erfasst worden seien, in denen eine Errichtung von X1.   aus immissionsschutzrechtlichen Gründen ausgeschlossen sei, sei dies – anders als im umgekehrten Fall der zu weiten Erstreckung harter Tabuzonen – unschädlich, da damit mehr Fläche in die Abwägung eingestellt werde als eigentlich notwendig. Dies relativiere auch den klägerseits betonten Anhaltswert, da der Abzug harter Tabuzonen hierdurch niedriger ausfalle. Überdies sei der diesbezügliche Einwand der Klägerin nicht fristgerecht erhoben worden.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Berücksichtigung eines denkbaren schallreduzierten Betriebs im Umfeld von Ferienhausanlagen sei erfolgt, da bei Ansatz der insofern einschlägigen Vorsorgeabstände zu reinen Wohngebieten die Einhaltung eines wesentlich größeren Abstands von rund 1.500 m erforderlich geworden wäre. Die Reduzierung habe daher gerade dazu gedient, keine allzu großen Schutzabstände anzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Zu einer Festlegung differenzierter Abstände zu Wohnhäusern im Innen- und Außenbereich wegen der optisch bedrängenden Wirkung von X1.   sei es letztlich nicht gekommen, da die lärmschutzbedingten Vorsorgeabstände mindestens 640 m betrügen und sich damit auf mehr als das Dreifache der Anlagenhöhe beliefen. Eine Festlegung harter Tabuzonen sei insofern nicht geboten gewesen, da es sich bei den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur erdrückenden Wirkung lediglich um Orientierungswerte handele, die im Einzelfall eine abweichende Bewertung zuließen.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Der Windenergie werde mit der Planung schließlich auch substantiell Raum gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Insofern sei nicht ausschließlich auf das Verhältnis der Konzentrationszonen zu den Außenbereichsflächen abzüglich der harten Tabuzonen abzustellen, das lediglich einen Anhaltswert darstelle. Insbesondere diesen Wert habe sie neben anderen, ergänzend betrachteten Verhältniswerten im Rahmen ihrer Entscheidung allerdings miteingestellt. Auch seien hier etwa die disperse Siedlungsstruktur im Stadtgebiet, die schon auch Gründen des Immissionsschutzes zu Einschränkungen für die Windenergie führe, und die touristische Bedeutung des T1.         berücksichtigt worden, ohne dass diese und zahlreiche weitere betrachtete Belange unmäßig gewichtet worden seien.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Im Laufe des vorliegenden Klageverfahrens hat der Beklagte die Anträge eines Investors, die auf die Errichtung von vier X1.   in der Konzentrationszone 4-2 gerichtet waren, abgelehnt. Neben anderen Versagungsgründen ist die Ablehnung jeweils mit dem im LSG geltenden Bauverbot begründet worden, von dem wegen der besonderen Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes eine Befreiung nicht erteilt werden könne. Die hiergegen gerichteten Klagen des Investors werden bei der erkennenden Kammer unter den Aktenzeichen 4 K 4489/18 bis 4 K 4492/18 geführt.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte nebst Beiakten sowie die Gerichtsakten 4 K 4489/18 bis 4 K 4492/18 verwiesen.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat einen Anspruch auf den von ihr begehrten Vorbescheid, so dass die Ablehnung seiner Erteilung rechtswidrig ist und sie in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs.5 S.1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für die Erteilung des Vorbescheides ist § 9 Abs.1 des Bundes- Immissionsschutzgesetzes (BImSchG).</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Hiernach soll auf Antrag durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die hiermit umschriebenen Voraussetzungen für die Erteilung eines (verneinenden) Vorbescheides sind bezogen auf die im Antrag der Klägerin enthaltene Fragestellung, ob der Errichtung und dem Betrieb der X1.   an den geplanten Standorten eine planerische Ausschlusswirkung als öffentlicher Belang entgegensteht, weil der Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle im Sinne des § 35 Abs.3 S.3 BauGB vorsieht, erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Ausweisung der Konzentrationszonen 4-2, 4-3 und 7-2 im TFNP der Beigeladenen entfaltet keine planerische Ausschlusswirkung für X1.   an den von der Klägerin vorgesehenen Standorten, denn der TFNP ist unwirksam.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Zwar sind beachtliche formelle Fehler bei Aufstellung des TFNP weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Der TFNP ist jedoch materiell rechtswidrig, da er nicht im Sinne des § 1 Abs.3 S.1 BauGB erforderlich ist.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 1 Abs.3 S.1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Nicht erforderlich ist eine Bauleitplanung, die sich als nicht vollzugsfähig erweist, weil ihrer Verwirklichung auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit rechtliche oder tatsächliche Hindernisse im Wege stehen.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Vgl.              Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 25. August 1997 – 4 NB 12/97 –, JURIS Rz.14; Urteil vom 21. März 2002 – 4 CN 14/00 –, JURIS Rz.10; Urteil vom 30. Januar 2003 – 4 CN 14/01 -, JURIS Rz.12; Urteil vom 9. Februar 2004 – 4 BN 28/03 –, JURIS Rz.6.; Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1/11 –, JURIS Rz.12.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Derartige Pläne sind nicht geeignet, die ihnen zukommende Aufgabe der verbindlichen Bauleitplanung zu erfüllen.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Beschluss vom 25. August 1997 – 4 NB 12/97 –, JURIS Rz.13; Urteil vom 21. März 2002 – 4 CN 14/00 –, JURIS Rz.10; vgl. zur Geeignetheit als Bestandteil der Erforderlichkeit eingehend Gierke in: Brügelmann, BauGB, Stand: Oktober 2014, § 1 BauGB, Rz.120 ff. und Rz.165 ff..</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf die – hier in Rede stehende – Planung von Konzentrationszonen mit der Rechtswirkung des § 35 Abs.3 S.3 BauGB, nach der die Ausweisung von Konzentrationszonen für Windenergie die regelhafte Unzulässigkeit von X1.   im übrigen Außenbereich der Gemeinde zur Folge hat, ist dabei in Rechnung zu stellen, dass – anders als bei üblichen Bauleitplänen, deren städtebauliche Wirkung auf das Gebiet beschränkt ist, das mit ihnen überplant wird – die innergebietlichen Darstellungen mit außergebietlichen Wirkungen kombiniert werden.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15/01 –, JURIS Rz.17; Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Auflage, 2013, Rz.60.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Bedient sich die Gemeinde der ihr in § 35 Abs.3 S.3 BauGB aufgezeigten Planungsmöglichkeiten, so kommt dies einer planerischen Kontingentierung gleich. Die negative und die positive Komponente der Darstellung bedingen einander. § 35 Abs.3 S.3 BauGB bietet der Gemeinde die Möglichkeit, Windenergieanlagen – die im Außenbereich grundsätzlich privilegiert zulässig sind (§ 35 Abs.1 Nr.5 BauGB) – auf bestimmte Standorte zu konzentrieren. Dagegen lässt er es nicht zu, das gesamte Gemeindegebiet mit dem Instrument des Flächennutzungsplans zu sperren.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">              Vgl.               BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15/01 –, JURIS Rz.28.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb hervorgehoben, dass sich der Ausschluss von Windenergieanlagen auf Teilen des Plangebiets nur rechtfertigen lässt, wenn die Gemeinde sicherstellt, dass sich die betroffenen Vorhaben an anderer Stelle gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15/01 –, JURIS Rz.28; Urteil vom 24. Januar 2008 – 4 CN 2/07 –, JURIS Rz.11; Urteil vom 20. Mai 2010 – 4 C 7/09 –, JURIS Rz.46; Gatz, a.a.O., Rz.60.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Ist die mit einer Darstellung nach § 35 Abs.3 S.3 BauGB einhergehende Sperrung des übrigen Außenbereichs einer Gemeinde für die Windenergie demnach nur statthaft, wenn die Umsetzbarkeit der Planung im Bereich der vorgesehenen Konzentrationszonen hinreichend gewährleistet erscheint, so kann dies mit Blick auf § 1 Abs.3 S.1 BauGB besondere Anforderungen begründen, die für eine herkömmliche, ausschließlich gebietsbezogene Bauleitplanung nicht notwendigerweise gelten. Die Geeignetheit einer Konzentrationszonenplanung ist insofern in einem anderen, gleichsam strengeren Licht zu betrachten und in Bezug auf deren spezifische Rechtfertigungsbedürftigkeit zu überprüfen.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Von einer ausreichend verlässlichen Durchsetzung der Windenergie gegenüber konkurrierenden Nutzungen kann namentlich nicht ohne Weiteres schon dann ausgegangen werden, wenn tatsächliche oder rechtliche Hindernisse, die der Realisierbarkeit einer Konzentrationszonenplanung grundsätzlich entgegenstehen, möglicherweise überwunden werden können.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Vgl.              Gatz, a.a.O., Rz.60.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Die aufgezeigten Besonderheiten einer entsprechenden Ausweisung können es vielmehr gebieten, die Geeignetheit der Konzentrationszonen für den von ihnen (notwendig) zu erfüllenden Zweck, der Windenergie mit genügender Gewissheit Raum zu geben, einer eingehenderen Betrachtung zu unterziehen, und erfordern es gegebenenfalls, dass die Gemeinde geeignete Maßnahmen ergreift, um die (generelle) Vollzugsfähigkeit ihrer Planung herzustellen bzw. abzusichern.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend erweist sich die im TFNP erfolgte Ausweisung von Konzentrationszonen durch die Beigeladene als nicht im Sinne des § 1 Abs.3 S.1 BauGB erforderlich, denn es ist nicht hinreichend sichergestellt, dass sich die Windenergie dort gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzt.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Der Errichtung von Windkraftanlagen in den von der Beigeladenen ausgewiesenen Konzentrationszonen 4-2, 4-3 und 7-2 steht im Grundsatz entgegen, dass diese – soweit kleinere Teilflächen nicht ohnehin anderweitig unter Landschafts- oder Naturschutz stehen – weitestgehend in dem großflächigen LSG 2.3.1 des bei Erlass des TFNP maßgeblichen und auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch gültigen Landschaftsplans „T.       “ i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. März 1993 liegen.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Nach Ziffer 2.3.1 gilt dort der allgemeine Verbotskatalog der S.78 ff. des Landschaftsplans, nach dem, abgesehen von hier nicht einschlägigen Sonderregelungen, insbesondere die Errichtung baulicher Anlagen verboten ist. Damit besteht für praktisch sämtliche Flächen der vorgesehenen Konzentrationszonen zunächst eine der Verwirklichung des TFNP diametral entgegenstehende Fachplanung.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Dies gilt auch in Ansehung des § 20 Abs.4 S.4 des Landesnaturschutzgesetzes (LNatSchG NRW).</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 20 Abs.4 S.4 LNatSchG NRW treten für die Darstellungen in Flächennutzungsplänen mit der Rechtswirkung von § 35 Abs.3 S.3 BauGB die widersprechenden Darstellungen und Festsetzungen des Landschaftsplans mit dem Inkrafttreten des Flächennutzungsplans außer Kraft, soweit der Träger der Landschaftsplanung im Beteiligungsverfahren diesem Flächennutzungsplan nicht widersprochen hat.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Danach besteht das sich aus dem Landschaftsplan ergebende Bauverbot fort, denn der beklagte Kreis als Träger der Landschaftsplanung (§ 7 Abs.3 S.1 LNatSchG NRW) hat dem TFNP der Beigeladenen – und damit einer generellen Suspendierung des Bauverbots kraft Gesetzes – im Rahmen des Beteiligungsverfahrens eindeutig widersprochen.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Bleibt es demnach bei dem Befund miteinander unvereinbarer Planungen, so ist insofern zunächst geklärt, dass in einem Landschaftsplan bzw. einer Landschaftsschutzverordnung enthaltene Bauverbote ein die Vollzugsunfähigkeit einer Bauleitplanung begründendes rechtliches Hindernis darstellen können.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15/01 –, JURIS Rz.20; Urteil vom 30. Januar 2003 – 4 CN 14/01 –, JURIS Rz.12; Beschluss vom 9. Februar 2004 – 4 BN 28/03 –, JURIS Rz.6.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Allerdings ist in der Rechtsprechung des BVerwG auch anerkannt, dass die Planung einer baulichen Nutzung in einem Landschaftsschutzgebiet nicht an § 1 Abs.3 S.1 BauGB scheitert, wenn eine Ausnahme oder Befreiung von dem Bauverbot in Betracht kommt.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15/01 –, JURIS Rz.20, 22; Urteil vom 30. Januar 2003 – 4 CN 14/01 –, JURIS Rz.12; Beschluss vom 9. Februar 2004 – 4 BN 28/03 –, JURIS Rz.6; enger noch BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1999 – 4 C 1/99 –, Rz.17 ff..</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Dem Plangeber obliegt es insoweit, im Verfahren der Planaufstellung vorausschauend zu ermitteln und zu beurteilen, ob die vorgesehenen Festsetzungen auf überwindbare rechtliche Hindernisse treffen würden, und von Festsetzungen, denen ein dauerhaft rechtliches Hindernis in Gestalt entsprechender rechtlicher Verbote entgegenstünde, Abstand zu nehmen.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Beschluss vom 25. August 1997 – 4 NB 12/97 –, JURIS Rz.14, zu artenschutzrechtlichen Verboten.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Die Gemeinde darf vorausschauend berücksichtigen, dass sich die Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung für die von ihr geplante bauliche Nutzung abzeichnet, weil objektiv eine Ausnahme- oder Befreiungslage gegeben ist und einer Überwindung der naturschutzrechtlichen Verbotsregelung auch sonst nichts entgegensteht.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15/01 –, JURIS Rz.20; Urteil vom 30. Januar 2003 – 4 CN 14/01 –, JURIS Rz.12; Beschluss vom 9. Februar 2004 – 4 BN 28/03 –, JURIS Rz.6.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Anderenfalls kann die Unwirksamkeit oder Nichtigkeit des Plans nur dadurch vermieden werden, dass vor Abschluss des Planaufstellungsverfahrens die der konkreten Planung widersprechenden naturschutzrechtlichen Regelungen durch die vollständige oder zumindest teilweise Aufhebung der Landschaftsschutzverordnung (bzw. des Landschaftsplans) beseitigt werden.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">              Vgl.              BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2004 – 4 BN 28/03 –, JURIS Rz.6.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls für eine Fallgestaltung der vorliegenden Art, die dadurch gekennzeichnet ist, dass alle von der Gemeinde geplanten, mit der Ausschlusswirkung des § 35 Abs.3 S.3 BauGB versehenen Konzentrationszonen gleichsam flächendeckend von einem landschaftsschutzrechtlichen Bauverbot erfasst werden, erscheint allerdings schon im Grundsatz nicht unzweifelhaft, ob die Gemeinde mit dem Verweis auf im Einzelfall mögliche Befreiungen vom landschaftsrechtlichen Bauverbot im Genehmigungsverfahren hinreichend sicherstellen kann, dass sich die Windenergie gegenüber der konkurrierenden (Landschafts-) Nutzung durchsetzt.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die gesetzgeberische Verortung der Ausweisung von Konzentrationszonen auf der Ebene des Flächennutzungsplans notwendigerweise zu einer vergröbernden Betrachtung der Frage zwingt, ob und inwieweit sich in den in Aussicht genommenen Konzentrationszonen X1.   – deren Anzahl, genaue Standorte, Anlagentyp, Betriebsweise usf. zum Zeitpunkt der Planung i.d.R. nicht feststehen – letztlich  als genehmigungsfähig erweisen. Daher dürfte es im Rahmen der dem Plangeber zuzugestehenden Befugnis zu typisierenden und pauschalierenden Bewertungen</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">vgl.              hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1/11 –, JURIS Rz.14 unter Hinweis auf die Ausführungen der Vorinstanz; BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2015 – 4 BN 20/14 –, JURIS Rz.5; Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 12 KN 216/13 –, JURIS Rz.19,</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">etwa angängig sein, kleinräumige Landschaftsschutzgebiete, Naturschutzgebiete, Biotope u.ä. trotz darin bestehender Bauverbote nicht sämtlich und von vorneherein als für die Windenergie schlechthin ungeeignete Bereiche (harte Tabuzonen) aus der Planung auszuscheiden, sondern sie – wie von der Beigeladenen praktiziert – gleichwohl als Teil möglicher Konzentrationszonen in den Blick zu nehmen. Hierfür spricht neben den praktischen Schwierigkeiten, die ein Ausscheiden selbst kleinster Schutzareale im Wege einer gleichsam atomisierenden Betrachtung für die Planung nach sich zöge, bereits, dass schon wegen der ungewissen Standorte künftiger X1.   deren Betroffenheit regelmäßig nicht belastbar beurteilt werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Vorliegend steht indessen nicht allein ein sich möglicherweise in einzelnen späteren Genehmigungsverfahren aktualisierender Konflikt zwischen Windenergie und Landschaftsschutz in Rede, sondern – wie schon dargelegt – eine dem Bau von X1.   generell widerstreitende landschaftsschutzrechtliche Fachplanung auf praktisch sämtlichen für die Windenergie vorgesehenen Flächen.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Es erscheint daher schon im Ausgangspunkt fraglich, ob die Gemeinde in einer derartigen Situation – selbst bei Annahme einer (ohnehin nicht standortscharf beurteilbaren) „objektiven Befreiungslage“, d.h. insbesondere der tatbestandlichen Befreiungsvoraussetzungen nach § 67 Abs.1 S.1 Nr.1 BNatSchG – generell auf die im Befreiungswege mögliche Zulassung von X1.   verweisen darf.</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Denn Befreiungen sind einzelfallbezogen und nicht dafür konzipiert, bauliche Anlagen flächendeckend zuzulassen,</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">vgl.              Gatz, a.a.O., Rz.60; OVG Berlin, Beschluss vom 26. September 1991 – 2 A 5.91 –, JURIS Rz.71 f.; gegen eine generelle Relativierung von Landschaftsschutzgebieten im Wege der Befreiung auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 27. Oktober 2017 – 8 A 2351/14 –, JURIS Rz.28; vgl. auch Meßerschmidt, BNatSchG, Stand: Juni 2018, § 67 BNatSchG, Rz.24 ff.,</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">so dass die Gemeinde als Plangeber schon deshalb schwerlich mit hinreichender Gewissheit von der Umsetzbarkeit der eigenen – ihrerseits eben sehr wohl flächendeckenden – Planung im Wege zahlreicher, nicht ihrer Disposition unterliegender Einzelfallentscheidungen ausgehen kann.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">So wird mit der hier erfolgten Ausweisung von Konzentrationszonen, die Platz für rund 22 X1.   bieten sollen (vgl. Planbegründung S.97, Tabelle 10, Spalte C), letztlich die generelle Erteilung von Befreiungen für eine Vielzahl von Anlagen unterstellt, obwohl diese Zulassungsform gerade kein regelhaftes Steuerungsinstrument darstellt. Dies erscheint umso bedenklicher, als entsprechende Entscheidungen teils an schwer objektivierbare Bewertungen des Landschaftsbildes anknüpfen müssten</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">              vgl.              hierzu etwa Gatz, a.a.O., Rz.307,</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">und die Gemeinde selbst die Erteilung einer Befreiung an den Vorhabenträger in Zweifelsfällen nicht gerichtlich durchsetzen kann.</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Überdies steht eine Befreiung vom landschaftsplanerischen Bauverbot zumindest in den regelmäßig – und auch hier – allenfalls in Betracht zu ziehenden Fällen des § 67 Abs.1 Nr.1 BNatSchG</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">vgl.              dazu, dass eine Befreiung vom landschaftsschutzrechtlichen Bauverbot nach § 67 Abs.1 Nr.2 BNatSchG, bei der ein intendiertes Ermessen bestehen dürfte, in aller Regel mangels unbeabsichtigter Härte ausscheidet: Gellermann in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Stand: 1. Juli 2018, § 67 BNatSchG, Rz.14 f.,</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">selbst bei Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen im Ermessen der zuständigen Landschaftsbehörde.</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Vgl.              etwa Frenz / Müggenborg, BNatSchG, 2. Auflage, 2016, § 67 BNatSchG, Rz.13 und 16, auch zur Problematik der Planung in eine Befreiungslage wegen des bestehenden Ermessens; Gellermann, a.a.O., Rz.24, namentlich zur Statthaftigkeit von Zweckmäßigkeitserwägungen; Meßerschmidt, a.a.O., Rz.68.</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Die Ablehnung einer absehbaren Vielzahl einzelfallbezogener Befreiungsentscheidungen seitens der Naturschutzbehörde als zumindest unzweckmäßig wäre dabei angesichts der vorstehenden Erwägungen, nach denen die landschaftsplanerische Schutzgebietsausweisung in den Konzentrationszonen ansonsten faktisch in kleiner Münze aufgehoben würde, kaum zu beanstanden, da dies in der Tat eine (etwaige) Lösung des Grundsatzkonfliktes (allenfalls) im Wege einer Anpassung des Landschaftsplans nahelegt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Regelungen im vormaligen bzw. heutigen Windenergieerlass (vgl. jeweils Ziffer 8.2.2.5 der Windenergieerlasse vom 4. November 2015 bzw. vom 8. Mai 2018), denen sich keine Verpflichtung der Landschafts- bzw. Naturschutzbehörde zur Erteilung von flächendeckenden Befreiungen entnehmen lässt, falls diese eine Problembehandlung auf der Planungsebene für sachgerechter erachtet.</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Zumindest in dem hier gegebenen Fall eines flächendeckenden Konflikts zwischen Konzentrationszonen- und Landschaftsplanung spricht daher manches dafür, dass die Gemeinde es vor der Ausweisung von Konzentrationszonen unternehmen muss, die Suspendierung des landschaftsschutzrechtlichen Bauverbots, das hier wegen des Widerspruchs des Trägers der Landschaftsplanung fortbesteht (s.o.), durch eine Anpassung des Landschaftsplans zu erreichen, um die Vollzugsfähigkeit ihrer Planung hinreichend sicherzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Vgl.              in diesem Sinne generell Gatz, a.a.O., Rz.60.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Neben der möglichen Einschaltung übergeordneter Behörden steht der Gemeinde, soweit sie eine Verletzung ihrer Planungshoheit infolge zu weitgehender landschaftsschutzrechtlicher Restriktionen geltend macht,</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">vgl.              zur denkbaren Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit durch landschaftsschutzrechtliche Bestimmungen etwa Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 7. Mai 2001 – 2 BvK 1/00 –, JURIS; OVG Lüneburg, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 4 KN 717/07 –, JURIS Rz.40 ff.; OVG Schleswig- Holstein, Urteil vom 3. Juni 2004 – 1 KN 14/02 –, JURIS, und Beschluss vom 10. November 2009 – 1 LA 41/09 –, JURIS; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 5. August 2002 – 8 A 778/01 –, JURIS Rz.3 ff.,</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">dabei grundsätzlich auch der Rechtsweg offen, wobei – wie klarstellend anzumerken ist – nicht allein eine vollständigen Entlassung der Konzentrationszonen aus dem Landschaftsschutz als Ziel in Betracht kommt, sondern etwa auch eine Änderung des Landschaftsplans (vgl. § 20 Abs.1 und 2 LNatSchG NRW), mit der bei Fortbestand des Bauverbots im Übrigen lediglich Windenergieanlagen hiervon ausgenommen werden.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Für eine dahingehende Obliegenheit der Gemeinde sprechen überdies der Grundsatz der Konfliktbewältigung, nach dem der Plangeber Konfliktlösungsmöglichkeiten außerhalb der in einem Bebauungsplan zulässigen Festsetzungen – denen die Ausweisung von Konzentrationszonen mit Ausschlusswirkung nach dem eingangs Gesagten nahekommt – nur in gewissem Umfang und nur dann berücksichtigen darf, wenn es dafür wohlerwogene Gründe gibt,</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">vgl.              BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 1989 – 4 NB 19/89 – JURIS Rz.25; Beschluss vom 14. Februar 1991 – 4 NB 25/89 –, JURIS Rz.17; Beschluss vom 8. März 2010 – 4 B 76/09 – JURIS Rz.7; OVG Berlin, Beschluss vom 26. September 1991 – 2 A 5.91 –, JURIS Rz.71,</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">wie auch das Gebot der Rechtsklarheit, nach dem sich elementar widersprechende planerische Ausweisungen aus Bürgersicht zumindest nicht unproblematisch sind.</p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Vgl.              hierzu BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1999 – 4 C 1/99 –, Rz.17.</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Letzteres gilt hier namentlich auch aus Sicht der potentiellen Betreiber von X1.   , die bei Tätigung ihrer erheblichen, schon im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens erforderlichen Investitionen nachvollziehbar darauf vertrauen werden, dass zugunsten der Windenergie ausgewiesene Konzentrationszonen zumindest nicht in einem grundlegenden Widerspruch zu anderen rechtlichen Regelungen stehen.</p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Es kann indessen letztlich dahinstehen, ob die aufgezeigten Erwägungen es allgemein gebieten, den (hier wegen des Widerspruchs des Trägers der Landschaftsplanung nach § 20 Abs.4 S.4 LNatSchG NRW fortbestehenden) Gegensatz einer Konzentrationszonenplanung zur Landschaftsplanung nur durch eine Änderung des Landschaftsplanes für auflösbar zu halten.</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Denn im vorliegenden Fall tritt jedenfalls – für die Annahme der fehlenden Erforderlichkeit des fraglichen TFNP entscheidend – hinzu, dass der Beklagte nicht nur dem TFNP der Beigeladenen als solchem und damit einer generellen Suspendierung des landschaftsschutzrechtlichen Bauverbots widersprochen, sondern die zuständige UNB für die ausgewiesenen Konzentrationszonen weitergehend auch eine Erteilung von Ausnahmen oder Befreiungen in späteren Genehmigungsverfahren eindeutig abgelehnt hat.</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Vgl.              zum ebenfalls denkbaren Nebeneinander eines Widerspruchs gegen die Flächennutzungsplanung bei gleichzeitigem Inaussichtstellen von einzelfallbezogenen Befreiungen nunmehr Ziffer 8.2.2.5 lit a) cc) des  Windenergieerlasses vom 8. Mai 2018.</p>
<span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">In einer solchen Situation kann, selbst wenn nach der objektiven Rechtslage</p>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">vgl.              wohl maßgeblich hierauf abstellend OVG NRW, Urteil vom 6. März 2018 – 2 D 95/15.NE –, JURIS Rz.155 ff.,</p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">zumindest der Tatbestand der Befreiungsnorm des § 67 Abs.1 Nr.1 BNatSchG (voraussichtlich) erfüllt sein sollte, die der Gemeinde obliegende prognostische Entscheidung betreffend die Umsetzbarkeit ihrer – mit dem Bauverbot im Landschaftsschutzgebiet grundsätzlich unvereinbaren – Planung nicht mehr darauf gestützt werden, dass sich eine Erteilung von Ausnahmen oder Befreiungen im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung „abzeichnet“, da ihr „auch sonst nichts entgegensteht“.</p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15/01 –, JURIS Rz.20; Urteil vom 30. Januar 2003 – 4 CN 14/01 –, JURIS Rz.12; Beschluss vom 9. Februar 2004 – 4 BN 28/03 –, JURIS Rz.6.</p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Im Gegenteil hat die Beigeladene die von ihr befürworteten Konzentrationszonen trotz des offensichtlichen Umstandes ausgewiesen, dass hier eine Genehmigung entsprechender Vorhaben jedenfalls auf behördlicher Ebene aller Voraussicht nach nicht erfolgen wird, und damit Flächen vorgesehen, auf denen es auf absehbare Zeit nicht zur Errichtung von X1.   auf der Grundlage einzelfallbezogener Befreiungsentscheidungen kommen wird.</p>
<span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Dies verdeutlichen die zwischenzeitlich bei der erkennenden Kammer anhängigen Klageverfahren betreffend vier Genehmigungen von X1.   in der Konzentrationszone 4-2 (4 K 4489/18 bis 4 K 4492/18), die – unbeschadet der vorangegangenen Erteilung positiver Vorbescheide, die sich indessen nicht auf die landschaftsschutzrechtliche Zulässigkeit der Anlagen bezogen - sämtlich (auch) aus Gründen des Landschaftsschutzes abgelehnt worden sind.</p>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls in Zusammenschau mit den vorgenannten Umständen durfte es die Beigeladene im Rahmen der von ihr vorzunehmenden vorausschauenden Beurteilung nicht bei dem Hinweis belassen, dass sie selbst auf der Grundlage einer abweichenden Bewertung des in den geplanten Konzentrationszonen anzutreffenden Landschaftsbildes im Unterschied zur UNB davon ausgehe, dass die Erteilung einzelfallbezogener Befreiungen möglich sei.</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Sie war vielmehr gehalten, auf den oben aufgezeigten Wegen auf eine ihrer Rechtsauffassung entsprechende Änderung des Landschaftsplanes hinzuwirken, da aufgrund des eindeutigen Widerspruchs der UNB nicht davon gesprochen werden konnte, dass sich eine Verwirklichung ihrer Konzentrationsflächenplanung im Wege einzelfallbezogener Befreiungsentscheidungen abzeichnete.</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Für eine maßgebliche Bedeutung der ablehnenden Haltung der UNB</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">vgl.               hierzu auch BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15/01 –, JURIS Rz.21,</p>
<span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">spricht dabei – selbst bei unterstelltem (voraussichtlichem) Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 67 Abs.1 Nr.1 BNatSchG – nicht nur das dieser auch dann verbleibende Ermessen (s. bereits oben), sondern auch die gesetzliche Regelung in § 20 Abs.4 S.4 LNatSchG NRW.</p>
<span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Diese macht die grundsätzliche Suspendierung eines landschaftsschutzrechtlichen Bauverbots davon abhängig, dass der Träger der Landschaftsplanung einer Konzentrationszonenplanung nicht widerspricht, und fordert damit für die generelle Auflösung einer Unvereinbarkeit von Konzentrationszonen- und Landschaftsplanung letztlich eine einvernehmliche Abstimmung zwischen den beiden Planungsträgern. Dies spricht dafür, auch die Möglichkeit einzelfallbezogener Befreiungen auf der nachgelagerten Genehmigungsebene nur dann als hinreichende Sicherung der Vollzugsfähigkeit einer Konzentrationszonenplanung genügen zu lassen, wenn insofern zumindest ein Einvernehmen mit der zuständigen Naturschutzbehörde im Sinne eines prinzipiellen Inaussichtstellens von Ausnahmen oder Befreiungen hergestellt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Hieran fehlt es indessen vorliegend, so dass der Plangeber insgesamt nicht hinreichend sichergestellt hat, dass sich die Windenergie in den vorgesehenen Konzentrationszonen gegenüber dem Landschaftsschutz durchsetzen wird. Die Konzentrationszonenausweisung der Beigeladenen stand und steht wegen des auf Planungsebene nicht gelösten Konflikts zum Landschaftsschutz vielmehr erkennbar auf tönernen Füßen und droht ersichtlich ins Leere zu laufen, was sich in der zwischenzeitlich erfolgten Versagung entsprechender Genehmigungen manifestiert hat.</p>
<span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">Offenbleiben kann in diesem Zusammenhang, ob in Fallgestaltungen, in der die Konzentrationszonenplanung mit Bestimmungen des Landschaftsschutzes generell unvereinbar ist und die UNB auch die Erteilung einzelfallbezogener Befreiungsentscheidungen ablehnt, gleichwohl von der Geeignetheit der Planung zur Sicherung des Vorrangs der Windenergie ausgegangen werden kann, wenn sich die Verweigerung von Befreiungen seitens der UNB als offenkundig rechtswidrig erweist.</p>
<span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Daran mag zu denken sein, wenn neben kleinteiligeren Schutzgebieten ein großflächiges LSG – wie das LSG 2.3.1 – ausgewiesen ist, das weite Teile des Außenbereichs der Gemeinde erfasst, und die UNB eine Erteilung von Befreiungen ohne eine differenzierte Betrachtung der Schutzwürdigkeit der Bereiche, die von der Gemeinde als mögliche Konzentrationszonen in den Blick genommen werden, pauschal ablehnt. Denn die UNB hat ihrerseits das erhebliche öffentliche Interesse an der Nutzung der Windenergie zu berücksichtigen und darf sich daher namentlich bei – in NRW nicht seltenen – großflächigen LSG, deren Schutzwürdigkeit sich in einzelnen Teilbereichen deutlich unterscheiden kann, nicht ohne eine nähere diesbezügliche Würdigung auf das generelle Bauverbot in einem solchen Gebiet zurückziehen.</p>
<span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">So liegt es hier indessen nicht, denn die UNB hat eine Ausweisung von Konzentrationszonen im großflächigen LSG 2.3.1 nicht kategorisch ausgeschlossen, sondern unter Vornahme einer – mithin auch praktikablen und im Übrigen auch von der Beigeladenen selbst (mit anderem Ergebnis) vorgenommenen – Betrachtung der in Frage kommenden Teilbereiche eine Befreiung vom Landschaftsschutz für andere seitens der Beigeladenen ermittelte Potentialflächen – darunter die Fläche 6.1 – sehr wohl in Aussicht gestellt. Für die dann ausgewiesenen Konzentrationszonen hat sie demgegenüber eine dies ausschließende besondere Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes angenommen, was – ungeachtet der Frage, ob dem für ein Genehmigungsverfahren letztlich beizutreten wäre – jedenfalls nicht schlechthin unvertretbar erscheint.</p>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Vgl.              zur Indizwirkung der Einschätzung der zuständigen Naturschutzbehörde auch BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15/01 –, JURIS Rz.20; BVerwG, Urteil vom 9. Februar 2004 - 4 BN 28/03 –, JURIS Rz.9; vgl. zu (nur regelhaften) Anhaltspunkten für eine entsprechende Landschaftsbildbewertung auch Ziffern 8.2.2.5 lit. b) der Windenergieerlasse vom 4. Dezember 2015 und vom 8. Mai 2018.</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Auf einen offenkundigen Mangel der fachbehördlichen Bewertung führt in diesem Zusammenhang namentlich nicht der in der mündlichen Verhandlung seitens der Beigeladenen hervorgehobene Umstand, dass das Landschaftsbild in der das LSG 2.3.1 betreffenden Schutzzweckbeschreibung (Landschaftsplan S.82) nicht ausdrücklich erwähnt ist. Denn dass sowohl die hierin aufgeführte natürliche Erholungseignung des LSG als auch das ebenfalls in Bezug genommene Entwicklungsziel der Erhaltung einer mit naturnahen Lebensräumen oder sonstigen naturnahen Landschaftselementen reich oder vielfältig ausgestatteten Landschaft durch die geplante Errichtung von Windenergieanlagen in erheblichem Maße berührt werden, ist nicht ernstlich zweifelhaft.</p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Hätte die Beigeladene es demnach zur Sicherstellung der Vollzugsfähigkeit ihrer Planung unternehmen müssen, eine Änderung des Landschaftsplans herbeizuführen, rechtfertigt auch ein Schreiben der – gemäß § 2 Abs.1 S.1 Nr.2 LNatSchG NRW als höhere Naturschutzbehörde fungierenden – Bezirksregierung Arnsberg vom 25. Januar 2017, in dem diese geäußert hatte, sie sehe die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs.1 Nr.1 BNatSchG entgegen der Ansicht der UNB als erfüllt an, keine abweichende Bewertung.</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Die Beigeladene durfte im Rahmen der von ihr vorzunehmenden prognostischen Beurteilung schon deshalb nicht davon ausgehen, dass sich dieserhalb trotz der ablehnenden Haltung der UNB eine Erteilung von Genehmigungen im Befreiungswege abzeichne, weil in dem Schreiben lediglich darauf abgehoben wird, dass nach der Auffassung der Bezirksregierung nach den einschlägigen Regelungen des Windenergieerlasses in der gegebenen Situation eine Befreiung vom Bauverbot erteilt werde könne, ohne dass indessen deutlich würde, dass der Beklagte weitergehend für verpflichtet gehalten werde, entsprechende Befreiungen zu erteilen, oder gar, dass die Erteilung dahingehender Weisungen an die UNB (vgl. § 2 Abs.3 LNatSchG NRW) in Aussicht genommen werde. Insofern ist auch weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass der Beigeladenen während oder nach den im Jahr 2015 unter Vermittlung des zuständigen Ministeriums unternommenen Mediationsbemühungen ein aufsichtsrechtliches Tätigwerden gegen den Beklagten angekündigt worden wäre. Hierzu ist es dann folgerichtig auch nicht gekommen, denn gegen die Ablehnung der Genehmigungen betreffend die X1.   in der Konzentrationszone 4-2 sind die Aufsichtsbehörden nach Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht eingeschritten.</p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung schließlich geltend gemacht hat, sie sei auch deshalb von der Vollzugsfähigkeit ihrer Planung ausgegangen, weil der Entwurf für eine Neuaufstellung des Landschaftsplans ursprünglich vorgesehen habe, dass in aktuellen bzw. künftigen Flächennutzungsplandarstellungen ausgewiesene Konzentrationszonen für Windenergieanlagen von der Festsetzung des Landschaftsplans unberührt blieben,</p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">vgl.              hierzu Entwurf zur Offenlegung (Stand: August 2014), S.150, abrufbar unter <span style="text-decoration:underline">www.hochsauerlandkreis.de</span>,</p>
<span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">ergibt sich auch hieraus keine für sie günstigere Beurteilung.</p>
<span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Denn der Entwurf wurde insoweit ausweislich eines Schreibens des Beklagten an die Beigeladene vom 3. Dezember 2015 (Beiakte 13, Abschnitt 61) im weiteren Verlauf des Verfahrens zur Neuaufstellung des Landschaftsplans dahin geändert, dass (nur noch) die Umsetzung von Flächen, die in Folge einer einvernehmlich abgestimmten Flächennutzungsplanänderung im Flächennutzungsplan der Stadt T.       als Windkraftkonzentrationszonen dargestellt werden, von der Festsetzung des Landschaftsplans unberührt bleiben soll. Demgegenüber sollten nicht einvernehmlich abgestimmte Konzentrationszonen – wie die Flächen 4-2, 4-3 und 7-2 – nunmehr  von den Festsetzungen des Landschaftsplans gerade nicht unberührt bleiben, sondern lediglich – gleichsam nachrichtlich – als Windkraftkonzentrationszonen gekennzeichnet werden. Da der Beigeladenen diese Modifizierung bei ihrer Beschlussfassung über den TFNP im Februar 2017 mithin seit langem bekannt war, durfte sie auch insofern nicht von einer hinreichenden Absicherung der Vollzugsfähigkeit ihrer Planung ausgehen.</p>
<span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Vorsorglich sei hierzu noch abschließend bemerkt, dass dies auch mit Blick auf die im Landschaftsplan selbst vorgesehene – von den Beteiligten nicht thematisierte – Möglichkeit einer Ausnahmeerteilung (vgl. Landschaftsplan S.81) gilt, da die vorstehenden Erwägungen zur landschaftsschutzrechtlichen Befreiung – unbeschadet dessen, dass es schon an der in der Ausnahmeregelung vorausgesetzten Vereinbarkeit von Windenergieanlagen mit dem Schutzzweck des LSG 2.3.1 fehlen dürfte – hierfür jedenfalls entsprechend gelten.</p>
<span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Erweist sich der TFNP der Beigeladenen nach allem als nicht im Sinne des § 1 Abs.3 S.1 BauGB erforderlich, so ist dieser Rechtsfehler auch nicht nach § 215 Abs.1 BauGB unbeachtlich, denn er wird von der Vorschrift nicht erfasst (sog. Ewigkeitsmangel).</p>
<span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Urteil vom 28. April 1999 – 4 CN 5/99 –, JURIS Rz.20; Beschluss vom 11. Mai 1999 – 4 BN 15/99 –, JURIS Rz.8.</p>
<span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">Unabhängig von Vorstehendem leidet der TFNP der Beigeladenen aus den genannten Gründen auch an einem durchgreifenden Abwägungsmangel.</p>
<span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang ergeben sich aus den Vorgaben des § 2 Abs.3 BauGB, wonach bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), ermittelt und bewertet werden müssen. Sie decken sich mit denen, die die Rechtsprechung bezogen auf die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials aus dem Abwägungsgebot des § 1 Abs.7 BauGB entwickelt hat.</p>
<span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">Vgl.               BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 – 4 CN 1/07 –, JURIS Rz.18.</p>
<span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">Das Abwägungsgebot des § 1 Abs.7 BauGB, nach dem bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind, stellt inhaltliche Anforderungen an den Abwägungsvorgang und an das Abwägungsergebnis. Das Abwägungsgebot ist danach verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem Abwägungserfordernis genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde im Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belangs entscheidet.</p>
<span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">Bei der Planung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung verlangt das Abwägungsgebot die Entwicklung eines schlüssigen Gesamtkonzepts, das sich auf den gesamten Außenbereich des Gemeindegebietes erstreckt. Die planerische Entscheidung muss nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern auch deutlich machen, welche Gründe es rechtfertigen, den übrigen Planungsraum von Windenergieanlagen freizuhalten.</p>
<span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">Vgl.               BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1/11 –, JURIS Rz.9.</p>
<span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">Die Ausarbeitung eines Planungskonzepts ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf der Ebene des Abwägungsvorgangs angesiedelt. Sie vollzieht sich abschnittsweise. Im ersten Arbeitsschritt sind diejenigen Bereiche als Tabuzonen zu ermitteln, die sich für die Nutzung der Windenergie nicht eignen. Die Tabuzonen lassen sich in zwei Kategorien einteilen, nämlich in Zonen, in denen die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen schlechthin ausgeschlossen sind (harte Tabuzonen), und in Zonen, in denen die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen zwar tatsächlich und rechtlich möglich sind, in denen nach den städtebaulichen Vorstellungen, die die Gemeinde anhand eigener Kriterien entwickeln darf, aber von vornherein keine Windenergieanlagen aufgestellt werden sollen (weiche Tabuzonen).</p>
<span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">Bei den harten Tabuzonen handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um Flächen, deren Bereitstellung für die Windenergienutzung an § 1 Abs.3 Satz 1 BauGB scheitern würde. Danach haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Nicht erforderlich ist ein Bauleitplan, wenn seiner Verwirklichung auf unabsehbare Zeit rechtliche oder tatsächliche Hindernisse im Wege stehen. Harte Tabuzonen scheiden kraft Gesetzes als Konzentrationszonen für die Windenergienutzung aus und sind so einer Abwägung zwischen den Belangen der Windenergienutzung und widerstreitenden Belangen (§ 1 Abs.7 BauGB) entzogen. Demgegenüber sind weiche Tabuzonen zu den Flächen zu rechnen, die einer Berücksichtigung im Rahmen der Abwägung zugänglich sind. Zwar dürfen sie anhand einheitlicher Kriterien ermittelt und vorab ausgeschieden werden, bevor diejenigen Belange abgewogen werden, die im Einzelfall für und gegen die Nutzung einer Fläche für die Windenergie sprechen. Ihre Ermittlung und ihre Bewertung sind aber gleichwohl der Ebene der Abwägung zuzuordnen. Der Rat muss die Entscheidung, eine Fläche als weiche Tabuzone zu bewerten, rechtfertigen. Weiche Tabuzonen sind disponibel. Die für ihre Charakterisierung ausschlaggebenden städtebaulichen Gesichtspunkte sind nicht von vornherein gegenüber der Windenergienutzung vorrangig und der Plangeber muss die weichen Tabuzonen einer erneuten Betrachtung und Bewertung unterziehen, wenn er als Ergebnis seiner Untersuchung erkennt, dass er mit seiner Planung für die Windenergienutzung nicht substanziell Raum schafft.</p>
<span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">Vgl.               BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1/11 –, JURIS Rz.10 ff..</p>
<span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Nach Abzug der harten und der weichen Tabuzonen bleiben nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts so genannte Potenzialflächen übrig, die für die Darstellung von Konzentrationszonen im Flächennutzungsplan in Betracht kommen. Sie sind in einem weiteren Arbeitsschritt zu konkurrierenden Nutzungen in Beziehung zu setzen, das heißt, die öffentlichen Belange, die gegen die Darstellung eines Landschaftsraums als Konzentrationszone für die Windenergienutzung sprechen, sind mit dem Anliegen abzuwägen, der Windenergienutzung an geeigneten Standorten eine Chance zu geben, die ihrer Privilegierung nach § 35 Abs.1 Nr.5 BauGB gerecht wird.</p>
<span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Vgl.               BVerwG, Beschluss vom 15. September 2009 – 4 BN 25/09 –, JURIS Rz.8; Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1/11 –, JURIS Rz.10.</p>
<span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Der Rat muss aufzeigen, wie er die eigenen Ausschlussgründe bewertet, das heißt er muss kenntlich machen, dass er – anders als bei harten Tabuzonen – einen Bewertungsspielraum hat, und er muss die Gründe für seine wertende Entscheidung offenlegen. Andernfalls scheitert seine Planung unabhängig davon, welche Maßstäbe an die Kontrolle des Abwägungsergebnisses anzulegen sind, schon an dem fehlenden Nachweis, dass er die weichen Tabuzonen auf der Stufe der Abwägung in die Planung eingestellt hat.</p>
<span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Vgl.               BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1/11 –, JURIS Rz.13.</p>
<span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Für die Rechtmäßigkeit der Flächenauswahl unter Abwägungsgesichtspunkten sind die Erwägungen maßgeblich, die tatsächlich Grundlage der Abwägungsentscheidung des Plangebers waren. Entscheidend für die gerichtliche Überprüfung der Abwägungsentscheidung sind damit in erster Linie die Verlautbarungen in der Begründung, die dem Flächennutzungsplan nach § 5 Abs.5 BauGB beizufügen ist, sowie die Erwägungen, denen der Plangeber bei seiner abschließenden Beschlussfassung gefolgt ist.</p>
<span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks">Vgl.               OVG NRW, Urteil vom 22. September 2015 – 10 D 82/13.NE –, JURIS Rz.45.</p>
<span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">In Anwendung dieser Maßstäbe liegt ein Abwägungsmangel vor, denn die Beigeladene hätte die im LSG 2.3.1 belegenen Flächen der Konzentrationszonen 4-2, 4-3 und 7-2 als harte Tabuzonen ausscheiden müssen, da der Verwirklichung der Planung nach dem Vorstehenden in Ansehung der hier gegebenen Umstände insoweit ein dauerhaftes rechtliches Hindernis entgegensteht.</p>
<span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks">Vgl.              zur je nach der Planungssituation möglichen Einstufung eines LSG als harte Tabuzone etwa OVG NRW, Urteil vom 1. Juli 2013 – 2 D 46/12.NE –, JURIS Rz.52; zur Berücksichtigung der konkreten Planungssituation im Hinblick auf die Einordnung eines FFH- Gebietes als harte Tabuzone OVG NRW, Urteil vom 5. Juli 2017 – 7 D 105/14.NE –, JURIS Rz.61.; siehe zu Landschaftsschutzgebieten auch OVG Berlin- Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2011 – 2 A 2.09 –, JURIS Rz.63.</p>
<span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">Dieser Fehler im Abwägungsvorgang ist auch im Sinne des § 214 Abs.1 Satz 1 Nr.1, Abs.3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB beachtlich.</p>
<span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 214 Abs.1 Satz 1 Nr.1 BauGB ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften des Baugesetzbuchs für die Rechtswirksamkeit eines Bebauungsplans nur beachtlich, wenn entgegen § 2 Abs.3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist. § 214 Abs.3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB sieht vor, dass Fehler im Abwägungsvorgang nur erheblich sind, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind.</p>
<span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Ein Fehler im Abwägungsvorgang ist offensichtlich, wenn er auf objektiv feststellbaren Umständen beruht und ohne Ausforschung der Mitglieder des Rats über deren Planungsvorstellungen für den Rechtsanwender erkennbar ist. Er ist auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Beides ist hier der Fall. Es ist objektiv feststellbar, dass die unterbliebene Einordnung der vom LSG 2.3.1 erfassten Flächen der Konzentrationszonen 4-2, 4-3 und 7-2 als harte Tabuzonen durch den Rat unzutreffend ist. Dieser Fehler ist auf das Abwägungsergebnis ersichtlich von Einfluss gewesen, schon weil bei Ausscheiden der betreffenden Bereiche, die fast die gesamten Konzentrationszonen ausmachen, offenkundig keine genügenden Flächen mehr verbleiben, um der Windenergie substantiell Raum zu geben. Jedenfalls besteht aber die konkrete Möglichkeit, dass die Beigeladene bei zutreffender Erkenntnis der Ungeeignetheit weiter Teile der in Aussicht genommenen Konzentrationszonen andere Flächen hierfür vorgesehen hätte.</p>
<span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Der Fehler im Abwägungsvorgang ist auch innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs.1 Satz 1 Nr. 1, 3 BauGB hinreichend substantiiert gegenüber der Beigeladenen geltend gemacht worden. Dabei ist unerheblich, ob eine dahingehende Rüge gerade von der Klägerin rechtzeitig erhoben wurde, da auch Einwände anderer Personen allgemein und absolut (inter omnes) wirken.</p>
<span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Beschluss vom 18. Juni 1982 – 4 N 6/79 –, JURIS Rz.6; Beschluss vom 2. Januar 2001 – 4 BN 13/00 –, JURIS Rz.5.</p>
<span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">Eine substantiierte Rüge liegt hier jedenfalls in Gestalt von fristgerechten Schreiben zweier Naturschutzverbände (Bl.281 f. der Gerichtsakte) vor, die eingewandt hatten, dass der Flächennutzungsplan bezüglich der I.           I1.    dem Landschaftsplan widerspreche. Hiermit wurde – zumal mit Blick auf die bereits im Aufstellungsverfahren von der UNB dezidiert geäußerte Ablehnung einer Suspendierung der Flächen vom Landschaftsschutz, die auch in zahlreichen Einwendungen der Bürgerschaft aufgegriffen wurde – jedenfalls bezogen auf die Konzentrationszonen 4-2 und 4-3 hinreichend deutlich auf den der Planung anhaftenden Mangel hingewiesen. Einer präzisierenden rechtlichen Einordnung des erhobenen Einwandes, mit dem der Fehler im Kern angesprochen wurde, bedurfte es insofern nicht.</p>
<span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Vgl.              etwa Spannowsky / Uechtritz, BauGB, 2. Auflage, 2014, § 215 BauGB, Rz.31.</p>
<span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">Soweit man die unterbliebene Einstufung als harte Tabuzone angesichts des räumlichen Bezugs der genannten Rügen auf die I.           I1.    und damit auf die Konzentrationszonen 4-2 und 4-3 nur hinsichtlich dieser Flächen für beachtlich halten wollte, würde auch dies nichts daran ändern, dass der Abwägungsmangel auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Denn es liegt auf der Hand, dass der Plangeber möglicherweise die Ausweisung weiterer Konzentrationsflächen in Betracht gezogen hätte, wenn er zutreffend erkannt hätte, dass jedenfalls die Flächen 4-2 und 4-3 aus Rechtsgründen nicht als Konzentrationszonen zur Verfügung stehen. Dies zeigt bereits die seitens der Verwaltung geäußerte Einschätzung, dass auch die (dann verbleibende) Konzentrationszone 7-2 allein nicht annähernd ausreicht, um der Windenergie substantiell Raum zu geben (vgl. Beiakte 8, Abschnitt 34, Beschlussvorlage Nr. 111/IX, 8. Ergänzung, S.3).</p>
<span class="absatzRechts">163</span><p class="absatzLinks">Entfaltet die Ausweisung der Konzentrationszonen 4-2, 4-3 und 7-2 im TFNP der Beigeladenen nach allem wegen der Unwirksamkeit des Plans keine planerische Ausschlusswirkung für X1.   an den von der Klägerin vorgesehenen Standorten, so sind sonstige Gründe, die einem Anspruch auf Erteilung des begehrten Vorbescheides entgegenstünden, weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">164</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO. Es besteht kein Anlass, dem Beklagten gemäß § 162 Abs.3 VwGO die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese keinen Sachantrag gestellt und sich einem eigenen Kostenrisiko daher nicht ausgesetzt hat.</p>
<span class="absatzRechts">165</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung (ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">166</span><p class="absatzLinks">Die Berufung wird gemäß § 124a Abs.1 S.1 i.V.m. § 124 Abs.2 Nr.3 VwGO zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Der vorliegende Fall wirft die Frage auf, ob und ggf. wann eine Gemeinde es bei einem grundlegenden Widerspruch ihrer Konzentrationszonenplanung zur Landschaftsplanung zu unternehmen hat, auf eine Änderung der landschaftsschutzrechtlichen Bestimmungen hinzuwirken. Diese Frage ist angesichts einer Vielzahl großflächiger Landschaftsschutzgebiete in den nordrhein- westfälischen Kommunen über den Einzelfall hinaus relevant.</p>
<span class="absatzRechts">167</span><p class="absatzLinks">Ferner ergeht der</p>
|
142,316 | lg-dusseldorf-2018-12-18-9-s-118 | {
"id": 808,
"name": "Landgericht Düsseldorf",
"slug": "lg-dusseldorf",
"city": 413,
"state": 12,
"jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Landgericht"
} | 9 S 1/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-08T23:47:06 | 2019-01-17T12:02:28 | Urteil | ECLI:DE:LGD:2018:1218.9S1.18235C108.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.12.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf – 235 C 108/17 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:</p>
<p>Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.367,56 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2016 zu zahlen.</p>
<p>Von den Kosten beider Rechtszüge haben die Klägerin 24% und die Beklagte 76% zu tragen.</p>
<p>Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Gründe:</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten eine Gewerbe-Haftpflichtversicherung. Versichert war die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers aus allen Tätigkeiten, Eigenschaften und Rechtsverhältnissen, die im Zusammenhang stehen mit der Reinigung von wasserführenden Systemen TGA, Heizungsanlagen und Trinkwasseranlagen. In Bezug genommen waren die für das versicherte Risiko aufgeführten Bedingungen in Anl. C 2009 und Anl. H 2009. Inkludiert war eine Umweltschadens-Basisversicherung</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Versicherungsschutz bestand nach Ziffer. 1.1 der Bedingungen zu H 2009 im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen eines während der Wirksamkeit der W2 eingetretenen Schadensereignisses, das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der Umweltschadens-Basisversicherung war nach F.I.8 C 2009 W die nachprüfbare erste Feststellung des Umweltschadens durch den Versicherungsnehmer, die zuständige Behörde oder einen sonstigen Dritten. F.I.2.4 C 2009 bestimmte, dass Versicherungsschutz für die im Rahmen der Umwelt-Haftpflicht-Basisversicherung versicherten Risiken besteht bezüglich Abwasseranlagen des Versicherungsnehmers oder Einbringen oder Einleiten von Stoffen in ein Gewässer oder Einwirken auf ein Gewässer derart, dass die physikalische, chemische oder biologische Beschaffenheit des Wassers verändert wird, durch den Versicherungsnehmer (Abwasseranlagen- und Einwirkungsrisiko).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">D.5.1  C 2009 bestimmte, dass der Versicherer, auch ohne dass W eingetreten ist, nach einer Störung des Betriebes oder</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">aufgrund behördlicher Anordnung Aufwendungen des Versicherungsnehmers ersetzt für Maßnahmen zur Abwendung oder Minderung eines sonst unvermeidbar eintretenden Personen, Sach- oder eines mitversicherten Vermögensschadens.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Nach D.5.2.1 C 2009 war der Versicherungsnehmer verpflichtet, dem Versicherer die Feststellung einer derartigen Störung des Betriebes oder eine behördliche Anordnung unverzüglich anzuzeigen und alles zu tun, was erforderlich ist, die Aufwendungen auf den Umfang zu begrenzen, der notwendig und objektiv geeignet ist, den Schadenseintritt zu verhindern oder den Schadensumfang zu mindern.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Nach F.I.1.1 C 2009 war die gesetzliche Pflicht öffentlich-rechtlichen Inhalts des Versicherungsnehmers gemäß Umweltschadensgesetz zur Sanierung von Umweltschäden versichert. Als Umweltschaden definiert war unter anderem die Schädigung von Gewässern. F.I.4.1 C 2009 regelte den Versicherungsschutz dahin, dass er die Prüfung der gesetzlichen Verpflichtung, die Abwehr unberechtigter Inanspruchnahme und die Freistellung des Versicherungsnehmers von berechtigten Sanierungs- und Kostentragungsverpflichtungen gegenüber der Behörde oder einem sonstigen Dritten umfasse. Berechtigt seien diese Verpflichtungen unter anderem dann, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund Gesetzes zur Sanierung verpflichtet und der Versicherer hierdurch gebunden sei. Versicherte Kosten waren nach F.I.5.1 C 2009 im Rahmen des in F.I.4.1 C 2009 geregelten Leistungsumfangs auch die Kosten für die Sanierung von Schäden an Gewässern.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Im November 2013 wurde die Klägerin von der L GmbH beauftragt, beim Neubauvorhaben S2 in B eine Innenreinigung und den Systemschutz der gesamten Heizungsanlage vor Inbetriebnahme auszuführen. In der Zeit vom 18.11. bis zum 20.11.2013 führte die Klägerin eine erste Systembehandlung durch, wobei zunächst eine physikalische Spülung (ohne Zusätze von Reinigungsmitteln) zur Beseitigung von losen Rückständen (Öle, Fette etc.) vorgenommen wurde. Die Entsorgung des Spülwassers erfolgte nach Hinweis des für die Außenanlagen des Bauvorhabens zuständigen örtlichen Bauleiters durch einen Schacht auf der Rückseite des Gebäudes. Dieser Schacht, der auch zur Abführung des auf der Baustelle anfallenden Oberflächenwassers diente, entwässerte in den T2 genannten Steinacher Graben. Nach Abschluss der ersten Behandlung wurde das Heizungssystem wieder mit Wasser befüllt, das nunmehr Reinigungs- und Korrosionsschutzzusätze enthielt, die bis zur nächsten Behandlung im System verbleiben sollten. In der Zeit vom 03.12.2013 bis zum 05.12.2013 führte die Klägerin eine weitere Systembehandlung durch. Die Entsorgung des Spülwassers erfolgte wiederum über den schon vorher benutzten Einlaufschacht auf der Rückseite des Gebäudes.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Zur gleichen Zeit zeigten sich im Steinacher Graben Trübungen und oberflächennahe Rückstände, worauf die örtliche Bauleitung der L Projektentwicklungs- und C GmbH die Feuerwehr, das Ordnungsamt der Stadt B und das Wasserwirtschaftsamt der Stadt C2 informierte. Neben den von der Firma L eingeleiteten Sofortmaßnahmen beauftragte die Klägerin am 04.12.2013 die M GmbH (Firma M) mit dem Absaugen und der Entsorgung des im Steinacher Graben gestauten Wassers. Durch die Beauftragung der Firma M entstanden der Klägerin Kosten i.H.v. 3367,56 €.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 27.03.2014 lehnte die Beklagte es ab, diese Kosten zu übernehmen. Mit Anwaltsschreiben vom 01.04.2014 ließ die Klägerin der Beklagten mitteilen, dass es sich ihrer Ansicht nach bei der Beauftragung der Firma M und den dadurch verursachten Kosten um einen Haftpflichtschaden handele, was die Beklagte mit Schreiben vom 03.04.2014 zurückwies. Auch im Rahmen weiterer Korrespondenz verblieb die Beklagte bei dieser Auffassung.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Klägerin die Werklohnforderung der Firma M in der Zwischenzeit nicht beglich und von dieser verklagt worden war, erging gegen die Klägerin am 15.10.2014 ein rechtskräftig gewordenes Versäumnisurteil des Amtsgerichts K, mit welchem die Klägerin verurteilt wurde, an die Firma M 3367,46 € nebst Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2014 zu zahlen. Zusätzlich waren aufgrund des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 15.12.2014 von der Klägerin 1038,40 € an die Firma M zu erstatten.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wurde im Juni 2016 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da nicht ermittelt werden konnte, wer für den Wasserschaden verantwortlich war.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist der Ansicht gewesen, es handele sich bei der Beauftragung der Firma M und den dadurch entstandenen Kosten um einen Haftpflichtschaden, der von der Beklagten zu übernehmen sei. Sie habe die Firma M beauftragt, um ihrer Schadensminderungspflicht zu genügen. Sie hat gemeint, die Beklagte müsse auch die durch den Rechtsstreit vor dem Amtsgericht K entstandenen Kosten sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten tragen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">die Beklagte zu verurteilen, an sie</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">1.)    3367,65 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2014 sowie</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">2.)    weitere 1038,40 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2014 sowie</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">3.)    vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 347,60 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Sie hat die Auffassung vertreten, dass kW vorliege, denn Gegenstand des Urteils des Amtsgerichts K sei kein Schadensersatzanspruch, sondern ein Werklohnanspruch gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Bei dem von der Firma M nach Beauftragung durch die Klägern geltend gemachten Anspruch habe es sich um eine Werklohnforderung gehandelt und damit um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch und keinen Schadensersatzanspruch. Auch habe die Klägerin nicht dargelegt, dass sie im Sinne der Versicherungsbedingungen auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden sei. Weiterhin ergebe sich aus dem Sachvortrag der Klägerin nicht, dass die Entsorgung des Spülwassers über den Schacht in den Steinacher Graben überhaupt ursächlich für die Wasserverschmutzung des Steinacher Grabens gewesen sei, denn das Ermittlungsverfahren sei nach § 170 Abs. 2 StPO deshalb eingestellt worden, weil nicht festgestellt habe werden können, wer den Schaden verursacht habe.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Einen Anspruch hat das Amtsgericht auch hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten 1038,40 € verneint, denn es sei nicht zu erkennen, wieso die Klägerin Kosten auf die Beklagte abwälzen dürfen solle, die allein dadurch entstanden seien, dass sie sich von der Firma M auf Zahlung der unzweifelhaft bestehenden Werklohnforderung habe verklagen lassen anstatt diese vorab zu begleichen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin macht geltend, dass das Amtsgericht die Bedingungen nur teilweise berücksichtigt habe. T2 sei der Versicherungsnehmer, wie es Ziffer D.5.1 C 2009 ausdrücklich regele, verpflichtet, die Feststellung einer Störung des Betriebs oder einer behördlichen Anordnung unverzüglich anzuzeigen und darüber hinaus alles zu tun, was erforderlich sei, die Aufwendungen auf den Umfang zu begrenzen, der notwendig und objektiv geeignet sei, den Schadeneintritt zu verhindern oder den Schadensumfang zu mindern. Zwar handele es sich bei der im Streit stehenden Forderung um eine Werklohnforderung, die im Ergebnis  einen vertraglichen Erfüllungsanspruch, gleichzeitig aber auch im Sinne der vereinbarten Schadensminderungspflicht einen Schadensersatzanspruch darstelle. Zudem ergebe sich aus einer Bescheinigung des zuständigen Amts vom 30.01.2018 (Anlage B1, Bl. 102 GA), dass die Klägerin Verursacherin der Verunreinigung sei und dementsprechend auch zur Beseitigung verpflichtet gewesen sei. Das Amt habe auf eine behördliche Anordnung verzichten können, da sie, die Klägerin, ihrer Beseitigungspflicht freiwillig nachgekommen sei. Lediglich wegen des notwendigen unverzüglichen Handelns sei ein entsprechender öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakt nicht ergangen. Zudem meint die Klägerin, dass das Amtsgericht die Hinweispflicht nach § 139 ZPO nicht ausreichend beachtet habe.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils nach den erstinstanzlichen Anträgen zu verurteilen.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Klägerin ihre Aufwendungen von ihr nicht erstattet verlangen könne. Insbesondere fehle es an der Inanspruchnahme der Klägerin durch einen Dritten. T2 sei eine Anordnung einer Behörde an die Klägerin nicht existent. Soweit die Klägerin sich darauf beziehe, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch die Erstattung von Aufwendungen vor dem W beansprucht werden könne, gelte, dass eine behördliche Anordnung vorliegen müsse. Zudem fehle es an einer ersten nachprüfbaren Feststellung eines Umweltschadens durch die Klägerin. Nach dem Behördenschreiben vom 30.1.2018 sei vielmehr das Planungsbüro X aufgefordert worden, die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst den diesen beigefügten Anlagen verwiesen.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Zu Unrecht hat sich die Beklagte in ihrer Klageerwiderung auf die Begriffsbestimmung des Versicherungsfalls in Ziffer 1.1 AHB bezogen, auf welcher auch das angegriffene Urteil fußt. W ist nach der für die hier streitgegenständliche Umweltschadenhaftpflichtversicherung maßgeblichen Bestimmung in F.8 C 2009 die nachprüfbare erste Feststellung des Umweltschadens durch den Versicherungsnehmer, die zuständige Behörde oder einen Dritten. W nach diesen Voraussetzungen trat zwischen dem 3.12. und dem 5.12.2013 ein.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Wendung „nachprüfbare erste Feststellung“ ist nach den maßgeblichen Erkenntnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers dahin zu verstehen, dass auf der Grundlage von Tatsachen die Verursachung eines Schadens durch den Versicherungsnehmer feststellbar ist. Die Bedingungen verlangen keine zeitlich unbefristete Nachprüfbarkeit im Sinne einer Dokumentation oder Archivierung von Beweismitteln. Vielmehr reicht die Überprüfbarkeit eines gegebenen Zustands zu einem bestimmten Zeitpunkt aus.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Nachprüfbarkeit in diesem Sinne war gegeben: Es zeigten sich Trübungen und oberflächennahe Rückstände im Steinacher Graben. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang dazu erfolgte die Einleitung von Reinigungs- und Korrosionszusätzen enthaltendem Spülwasser in den Steinacher Graben. Schon zu jenem Zeitpunkt war der Ursachenzusammenhang zwischen dem Einleiten des Spülwassers und der Veränderung des Gewässers nachprüfbar. Erst recht lag die Nachprüfbarkeit im Sinne der Bedingungen nach der Wasseranalyse durch das Wasserwirtschaftsamt C2 mit dem Ergebnis der Feststellung auch in dem Spülwasser enthaltenen umwelt- und gesundheitsrelevanten, biologisch nicht abbaubaren Benzotriazols vor, welches langfristig das Gewässer mit den darin enthaltenen Lebewesen schädigen könne. Die Richtigkeit der diesen Ablauf dokumentierenden Stellungnahme (Anlage B1, Bl. 201 GA) des Amtes für Umwelt, Ordnung und Verbraucherschutz der Stadt B hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Darüber hinaus ergibt sich aus dem von der Beklagten eingeholten Privatgutachten des Sachverständigen-Service K.&.W. Langrehr (Anlage A1, Bl. 16 GA) gleichfalls aus Sedimentproben, welche nach der Entfernung des verunreinigten Wassers genommen wurden, eine damals noch gegebene geringfügige bis mäßige Belastung mit Benzotriazol. Die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens stellt diese Umstände nicht in Frage.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin war im Sinne von F.I.1.1 C 2009 zur Sanierung verpflichtet. Soweit die Bedingungen auf das Umweltschadensgesetz Bezug nehmen, ergab sich die Verpflichtung der Klägerin aus dessen §§ 6 und 8. Allerdings bestimmt § 1 USchadG, dass dieses Gesetz nur Anwendung finde, soweit Rechtsvorschriften des Bundes oder der Länder die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden nicht näher bestimmten oder in ihren Anforderungen dem Umweltschadensgesetz nicht entsprächen. Auf den vorliegenden Fall findet damit Art. 55 BayWG als vorrangige Rechtsvorschrift eines Landes Anwendung. Darauf, dass Versicherungsschutz nur im Falle unmittelbaren Eingreifens des Umweltschadensgesetzes wegen Fehlens anderer Bundes- oder Ländervorschriften eingreift, kann das Leistungsversprechen der Beklagten nach den maßgeblichen Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht reduziert werden, denn eine solche Verengung führte zur Aushöhlung des Versicherungsschutzes. Der vereinbarte Versicherungsschutz griffe beim Vorliegen speziellerer bundes- oder landesrechtlicher Vorschriften und damit in vielen Fällen nicht. Es liegt auf der Hand, dass dies von den Vertragsparteien nicht beabsichtigt war und die fehlende Berücksichtigung des § 1 USchadG nur auf einem offensichtlichen Redaktionsfehler bei der Abfassung der Bedingungen beruhen kann. Eine andere Betrachtung führte zu einer lokal unterschiedlichen Ausprägung des Versicherungsschutzes: Beim Fehlen landesrechtlicher Regelungen wäre er in Folge der direkten Anwendbarkeit des USchadG gegeben; in Bundesländern mit eigenem Regelwerk bliebe der Versicherungsnehmer schutzlos.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Bei der streitgegenständlichen Kostentragungsverpflichtung der Klägerin gegenüber der Firma M handelt es sich um eine solche gegenüber einem Dritten im Sinne von F.I.4.1 C 2009. Die Klägerin war unmittelbar aufgrund Gesetzes - Art. 55 Abs. 1 Satz 1 BayWG -  zur Sanierung verpflichtet und ist deshalb gegenüber der Fa. M die Verpflichtung zur Zahlung von Werklohn für die Sanierung eingegangen. Die genannte Klausel beschränkt den „Dritten“  nicht auf die Person des Geschädigten und umfasst damit auch die Kosten des mit der Sanierung beauftragten Unternehmers. Es ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch gleichgültig, dass nach dem Schreiben des Amtes für Umwelt, Ordnung und Verbraucherschutz der Stadt B vom 30.1.2018 das mit der Bauleitung beauftragte Planungsbüro X als Ansprechpartner zur Durchführung der notwendigen Maßnahmen aufgefordert wurde, denn in demselben Schreiben wird dazu ausgeführt, dass es sich bei der Klägerin um die Verursacherin der Wasserverunreinigung im Sinne des Art. 55 BayWG handele.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Notwendigkeit einer ausdrücklichen behördlichen Anordnung ergibt sich aus dem Bedingungswerk der Beklagten nicht. Vielmehr knüpft F.I.4.1 C 2009 ausdrücklich an die Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Sanierung „aufgrund Gesetzes" an.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die streitigen Kosten sind schließlich auch nach F.I.5.1 C 2009 versichert, da es sich um Kosten für die Sanierung eines Gewässers handelt.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Der ursprüngliche Freistellungsanspruch hat sich, nachdem die Beklagte den Ausgleich der Forderung der Firma M endgültig ablehnte, nach §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 Satz 1 BGB in einen Zahlungsanspruch umgewandelt.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Der Klägerin steht bezüglich des genannten Betrags ein Anspruch auf Prozesszinsen zu. Zu dem im Klageantrag als Verzugszeitpunkt genannten 2.1.2014 hatte die Klägerin gegen die Beklagte nur einen Anspruch auf Freistellung von dem von der Firma M in Rechnung gestellten Betrag, denn die Zahlung an die Firma M, die zur Umwandlung des Freistellungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch führte, erfolgte erst am 24.11.2014 (Bl. 14 GA). Dass danach bis zum Einreichen der Klage Verzug begründet wurde, hat die Klägerin nicht dargelegt.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Soweit die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der durch das Gerichtsverfahren beim Amtsgericht K entstandenen Kosten von 1.308,40 € erstrebt, bleibt die Berufung erfolglos. Etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin sind jedenfalls nach § 254 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Die Klägerin hat sich sehenden Auges in Kenntnis der Berechtigung der Forderung der Fa. M verklagen lassen und dadurch den Schaden überhaupt erst entstehen lassen. Es fehlt auch an Anhaltspunkten dafür, dass ihr die Begleichung der Forderung der Fa. M aus finanziellen Gründen nicht möglich war. Vielmehr spricht für ihre Leistungsfähigkeit die Zahlung am 24.11.2014. Dahin stehen bleiben kann, ob die Klägerin bei unzulänglicher Leistungsfähigkeit, anstatt sich verklagen zu lassen, um Kredit hätte nachsuchen müssen.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zahlung außergerichtlicher Kosten, die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstanden, dargelegt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte im Zeitpunkt der Beauftragung des Anwalts in Schuldnerverzug befand, denn den klägerischen Ausführungen ist schon nicht zu entnehmen, wann die Beauftragung erstmals erfolgte. In der Klageschrift heißt es dazu nur, dass der Prozessbevollmächtigte sich unter dem 1. April 2014 gegenüber der Beklagten für die Klägerin legitimiert habe. Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Mandatierung ergeben sich daraus nicht.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Soweit Nebenforderungen betroffen sind, sind Hinweise nicht veranlasst (§ 139 Abs. 2 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Der Streitwert wird auf 4.405,96 € festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.</p>
|
125,216 | lg-dusseldorf-2018-12-18-9-s-118235-c-10817 | {
"id": 808,
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"state": 12,
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} | 9 S 1/18235 C 108/17 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-04T14:23:30 | 2019-01-18T16:06:14 | Urteil | ECLI:DE:LGD:2018:1218.9S1.18235C108.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.12.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf – 235 C 108/17 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:</p>
<p>Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.367,56 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2016 zu zahlen.</p>
<p>Von den Kosten beider Rechtszüge haben die Klägerin 24% und die Beklagte 76% zu tragen.</p>
<p>Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td colspan="3"></td>
<td></td>
</tr>
<tr><td><p>9 S 1/18235 C 108/17Amtsgericht Düsseldorf</p>
</td>
<td><p><img height="144" width="130" src="9_S_1_18235_C_108_17_Urteil_20181218_0.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p>
</td>
<td colspan="2"><p>Verkündet am 18.12.2018A, Justizbeschäftigteals Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>Landgericht DüsseldorfIM NAMEN DES VOLKESUrteil</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">In dem Rechtsstreit</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorfauf die mündliche Verhandlung vom 29.11.2018durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht F, den Richter am Landgericht Dr. O und den Richter Dr. Q</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>für Recht erkannt:</strong></p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.12.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf – 235 C 108/17 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.367,56 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2016 zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Von den Kosten beider Rechtszüge haben die Klägerin 24% und die Beklagte 76% zu tragen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Gründe:</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten eine Gewerbe-Haftpflichtversicherung. Versichert war die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers aus allen Tätigkeiten, Eigenschaften und Rechtsverhältnissen, die im Zusammenhang stehen mit der Reinigung von wasserführenden Systemen TGA, Heizungsanlagen und Trinkwasseranlagen. In Bezug genommen waren die für das versicherte Risiko aufgeführten Bedingungen in Anl. C 2009 und Anl. H 2009. Inkludiert war eine Umweltschadens-Basisversicherung</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Versicherungsschutz bestand nach Ziffer. 1.1 der Bedingungen zu H 2009 im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen eines während der Wirksamkeit der W2 eingetretenen Schadensereignisses, das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der Umweltschadens-Basisversicherung war nach F.I.8 C 2009 W die nachprüfbare erste Feststellung des Umweltschadens durch den Versicherungsnehmer, die zuständige Behörde oder einen sonstigen Dritten. F.I.2.4 C 2009 bestimmte, dass Versicherungsschutz für die im Rahmen der Umwelt-Haftpflicht-Basisversicherung versicherten Risiken besteht bezüglich Abwasseranlagen des Versicherungsnehmers oder Einbringen oder Einleiten von Stoffen in ein Gewässer oder Einwirken auf ein Gewässer derart, dass die physikalische, chemische oder biologische Beschaffenheit des Wassers verändert wird, durch den Versicherungsnehmer (Abwasseranlagen- und Einwirkungsrisiko).</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">D.5.1 C 2009 bestimmte, dass der Versicherer, auch ohne dass W eingetreten ist, nach einer Störung des Betriebes oder</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">aufgrund behördlicher Anordnung Aufwendungen des Versicherungsnehmers ersetzt für Maßnahmen zur Abwendung oder Minderung eines sonst unvermeidbar eintretenden Personen, Sach- oder eines mitversicherten Vermögensschadens.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Nach D.5.2.1 C 2009 war der Versicherungsnehmer verpflichtet, dem Versicherer die Feststellung einer derartigen Störung des Betriebes oder eine behördliche Anordnung unverzüglich anzuzeigen und alles zu tun, was erforderlich ist, die Aufwendungen auf den Umfang zu begrenzen, der notwendig und objektiv geeignet ist, den Schadenseintritt zu verhindern oder den Schadensumfang zu mindern.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Nach F.I.1.1 C 2009 war die gesetzliche Pflicht öffentlich-rechtlichen Inhalts des Versicherungsnehmers gemäß Umweltschadensgesetz zur Sanierung von Umweltschäden versichert. Als Umweltschaden definiert war unter anderem die Schädigung von Gewässern. F.I.4.1 C 2009 regelte den Versicherungsschutz dahin, dass er die Prüfung der gesetzlichen Verpflichtung, die Abwehr unberechtigter Inanspruchnahme und die Freistellung des Versicherungsnehmers von berechtigten Sanierungs- und Kostentragungsverpflichtungen gegenüber der Behörde oder einem sonstigen Dritten umfasse. Berechtigt seien diese Verpflichtungen unter anderem dann, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund Gesetzes zur Sanierung verpflichtet und der Versicherer hierdurch gebunden sei. Versicherte Kosten waren nach F.I.5.1 C 2009 im Rahmen des in F.I.4.1 C 2009 geregelten Leistungsumfangs auch die Kosten für die Sanierung von Schäden an Gewässern.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Im November 2013 wurde die Klägerin von der L GmbH beauftragt, beim Neubauvorhaben S2 in B eine Innenreinigung und den Systemschutz der gesamten Heizungsanlage vor Inbetriebnahme auszuführen. In der Zeit vom 18.11. bis zum 20.11.2013 führte die Klägerin eine erste Systembehandlung durch, wobei zunächst eine physikalische Spülung (ohne Zusätze von Reinigungsmitteln) zur Beseitigung von losen Rückständen (Öle, Fette etc.) vorgenommen wurde. Die Entsorgung des Spülwassers erfolgte nach Hinweis des für die Außenanlagen des Bauvorhabens zuständigen örtlichen Bauleiters durch einen Schacht auf der Rückseite des Gebäudes. Dieser Schacht, der auch zur Abführung des auf der Baustelle anfallenden Oberflächenwassers diente, entwässerte in den T2 genannten Steinacher Graben. Nach Abschluss der ersten Behandlung wurde das Heizungssystem wieder mit Wasser befüllt, das nunmehr Reinigungs- und Korrosionsschutzzusätze enthielt, die bis zur nächsten Behandlung im System verbleiben sollten. In der Zeit vom 03.12.2013 bis zum 05.12.2013 führte die Klägerin eine weitere Systembehandlung durch. Die Entsorgung des Spülwassers erfolgte wiederum über den schon vorher benutzten Einlaufschacht auf der Rückseite des Gebäudes.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Zur gleichen Zeit zeigten sich im Steinacher Graben Trübungen und oberflächennahe Rückstände, worauf die örtliche Bauleitung der L Projektentwicklungs- und C GmbH die Feuerwehr, das Ordnungsamt der Stadt B und das Wasserwirtschaftsamt der Stadt C2 informierte. Neben den von der Firma L eingeleiteten Sofortmaßnahmen beauftragte die Klägerin am 04.12.2013 die M GmbH (Firma M) mit dem Absaugen und der Entsorgung des im Steinacher Graben gestauten Wassers. Durch die Beauftragung der Firma M entstanden der Klägerin Kosten i.H.v. 3367,56 €.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 27.03.2014 lehnte die Beklagte es ab, diese Kosten zu übernehmen. Mit Anwaltsschreiben vom 01.04.2014 ließ die Klägerin der Beklagten mitteilen, dass es sich ihrer Ansicht nach bei der Beauftragung der Firma M und den dadurch verursachten Kosten um einen Haftpflichtschaden handele, was die Beklagte mit Schreiben vom 03.04.2014 zurückwies. Auch im Rahmen weiterer Korrespondenz verblieb die Beklagte bei dieser Auffassung.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Klägerin die Werklohnforderung der Firma M in der Zwischenzeit nicht beglich und von dieser verklagt worden war, erging gegen die Klägerin am 15.10.2014 ein rechtskräftig gewordenes Versäumnisurteil des Amtsgerichts K, mit welchem die Klägerin verurteilt wurde, an die Firma M 3367,46 € nebst Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2014 zu zahlen. Zusätzlich waren aufgrund des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 15.12.2014 von der Klägerin 1038,40 € an die Firma M zu erstatten.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wurde im Juni 2016 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da nicht ermittelt werden konnte, wer für den Wasserschaden verantwortlich war.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist der Ansicht gewesen, es handele sich bei der Beauftragung der Firma M und den dadurch entstandenen Kosten um einen Haftpflichtschaden, der von der Beklagten zu übernehmen sei. Sie habe die Firma M beauftragt, um ihrer Schadensminderungspflicht zu genügen. Sie hat gemeint, die Beklagte müsse auch die durch den Rechtsstreit vor dem Amtsgericht K entstandenen Kosten sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten tragen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">die Beklagte zu verurteilen, an sie</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">1.) 3367,65 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2014 sowie</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">2.) weitere 1038,40 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2014 sowie</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">3.) vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 347,60 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Sie hat die Auffassung vertreten, dass kW vorliege, denn Gegenstand des Urteils des Amtsgerichts K sei kein Schadensersatzanspruch, sondern ein Werklohnanspruch gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Bei dem von der Firma M nach Beauftragung durch die Klägern geltend gemachten Anspruch habe es sich um eine Werklohnforderung gehandelt und damit um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch und keinen Schadensersatzanspruch. Auch habe die Klägerin nicht dargelegt, dass sie im Sinne der Versicherungsbedingungen auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden sei. Weiterhin ergebe sich aus dem Sachvortrag der Klägerin nicht, dass die Entsorgung des Spülwassers über den Schacht in den Steinacher Graben überhaupt ursächlich für die Wasserverschmutzung des Steinacher Grabens gewesen sei, denn das Ermittlungsverfahren sei nach § 170 Abs. 2 StPO deshalb eingestellt worden, weil nicht festgestellt habe werden können, wer den Schaden verursacht habe.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Einen Anspruch hat das Amtsgericht auch hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten 1038,40 € verneint, denn es sei nicht zu erkennen, wieso die Klägerin Kosten auf die Beklagte abwälzen dürfen solle, die allein dadurch entstanden seien, dass sie sich von der Firma M auf Zahlung der unzweifelhaft bestehenden Werklohnforderung habe verklagen lassen anstatt diese vorab zu begleichen.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin macht geltend, dass das Amtsgericht die Bedingungen nur teilweise berücksichtigt habe. T2 sei der Versicherungsnehmer, wie es Ziffer D.5.1 C 2009 ausdrücklich regele, verpflichtet, die Feststellung einer Störung des Betriebs oder einer behördlichen Anordnung unverzüglich anzuzeigen und darüber hinaus alles zu tun, was erforderlich sei, die Aufwendungen auf den Umfang zu begrenzen, der notwendig und objektiv geeignet sei, den Schadeneintritt zu verhindern oder den Schadensumfang zu mindern. Zwar handele es sich bei der im Streit stehenden Forderung um eine Werklohnforderung, die im Ergebnis einen vertraglichen Erfüllungsanspruch, gleichzeitig aber auch im Sinne der vereinbarten Schadensminderungspflicht einen Schadensersatzanspruch darstelle. Zudem ergebe sich aus einer Bescheinigung des zuständigen Amts vom 30.01.2018 (Anlage B1, Bl. 102 GA), dass die Klägerin Verursacherin der Verunreinigung sei und dementsprechend auch zur Beseitigung verpflichtet gewesen sei. Das Amt habe auf eine behördliche Anordnung verzichten können, da sie, die Klägerin, ihrer Beseitigungspflicht freiwillig nachgekommen sei. Lediglich wegen des notwendigen unverzüglichen Handelns sei ein entsprechender öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakt nicht ergangen. Zudem meint die Klägerin, dass das Amtsgericht die Hinweispflicht nach § 139 ZPO nicht ausreichend beachtet habe.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils nach den erstinstanzlichen Anträgen zu verurteilen.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Klägerin ihre Aufwendungen von ihr nicht erstattet verlangen könne. Insbesondere fehle es an der Inanspruchnahme der Klägerin durch einen Dritten. T2 sei eine Anordnung einer Behörde an die Klägerin nicht existent. Soweit die Klägerin sich darauf beziehe, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch die Erstattung von Aufwendungen vor dem W beansprucht werden könne, gelte, dass eine behördliche Anordnung vorliegen müsse. Zudem fehle es an einer ersten nachprüfbaren Feststellung eines Umweltschadens durch die Klägerin. Nach dem Behördenschreiben vom 30.1.2018 sei vielmehr das Planungsbüro X aufgefordert worden, die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst den diesen beigefügten Anlagen verwiesen.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Zu Unrecht hat sich die Beklagte in ihrer Klageerwiderung auf die Begriffsbestimmung des Versicherungsfalls in Ziffer 1.1 AHB bezogen, auf welcher auch das angegriffene Urteil fußt. W ist nach der für die hier streitgegenständliche Umweltschadenhaftpflichtversicherung maßgeblichen Bestimmung in F.8 C 2009 die nachprüfbare erste Feststellung des Umweltschadens durch den Versicherungsnehmer, die zuständige Behörde oder einen Dritten. W nach diesen Voraussetzungen trat zwischen dem 3.12. und dem 5.12.2013 ein.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Wendung „nachprüfbare erste Feststellung“ ist nach den maßgeblichen Erkenntnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers dahin zu verstehen, dass auf der Grundlage von Tatsachen die Verursachung eines Schadens durch den Versicherungsnehmer feststellbar ist. Die Bedingungen verlangen keine zeitlich unbefristete Nachprüfbarkeit im Sinne einer Dokumentation oder Archivierung von Beweismitteln. Vielmehr reicht die Überprüfbarkeit eines gegebenen Zustands zu einem bestimmten Zeitpunkt aus.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Nachprüfbarkeit in diesem Sinne war gegeben: Es zeigten sich Trübungen und oberflächennahe Rückstände im Steinacher Graben. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang dazu erfolgte die Einleitung von Reinigungs- und Korrosionszusätzen enthaltendem Spülwasser in den Steinacher Graben. Schon zu jenem Zeitpunkt war der Ursachenzusammenhang zwischen dem Einleiten des Spülwassers und der Veränderung des Gewässers nachprüfbar. Erst recht lag die Nachprüfbarkeit im Sinne der Bedingungen nach der Wasseranalyse durch das Wasserwirtschaftsamt C2 mit dem Ergebnis der Feststellung auch in dem Spülwasser enthaltenen umwelt- und gesundheitsrelevanten, biologisch nicht abbaubaren Benzotriazols vor, welches langfristig das Gewässer mit den darin enthaltenen Lebewesen schädigen könne. Die Richtigkeit der diesen Ablauf dokumentierenden Stellungnahme (Anlage B1, Bl. 201 GA) des Amtes für Umwelt, Ordnung und Verbraucherschutz der Stadt B hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Darüber hinaus ergibt sich aus dem von der Beklagten eingeholten Privatgutachten des Sachverständigen-Service K.&.W. Langrehr (Anlage A1, Bl. 16 GA) gleichfalls aus Sedimentproben, welche nach der Entfernung des verunreinigten Wassers genommen wurden, eine damals noch gegebene geringfügige bis mäßige Belastung mit Benzotriazol. Die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens stellt diese Umstände nicht in Frage.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin war im Sinne von F.I.1.1 C 2009 zur Sanierung verpflichtet. Soweit die Bedingungen auf das Umweltschadensgesetz Bezug nehmen, ergab sich die Verpflichtung der Klägerin aus dessen §§ 6 und 8. Allerdings bestimmt § 1 USchadG, dass dieses Gesetz nur Anwendung finde, soweit Rechtsvorschriften des Bundes oder der Länder die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden nicht näher bestimmten oder in ihren Anforderungen dem Umweltschadensgesetz nicht entsprächen. Auf den vorliegenden Fall findet damit Art. 55 BayWG als vorrangige Rechtsvorschrift eines Landes Anwendung. Darauf, dass Versicherungsschutz nur im Falle unmittelbaren Eingreifens des Umweltschadensgesetzes wegen Fehlens anderer Bundes- oder Ländervorschriften eingreift, kann das Leistungsversprechen der Beklagten nach den maßgeblichen Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht reduziert werden, denn eine solche Verengung führte zur Aushöhlung des Versicherungsschutzes. Der vereinbarte Versicherungsschutz griffe beim Vorliegen speziellerer bundes- oder landesrechtlicher Vorschriften und damit in vielen Fällen nicht. Es liegt auf der Hand, dass dies von den Vertragsparteien nicht beabsichtigt war und die fehlende Berücksichtigung des § 1 USchadG nur auf einem offensichtlichen Redaktionsfehler bei der Abfassung der Bedingungen beruhen kann. Eine andere Betrachtung führte zu einer lokal unterschiedlichen Ausprägung des Versicherungsschutzes: Beim Fehlen landesrechtlicher Regelungen wäre er in Folge der direkten Anwendbarkeit des USchadG gegeben; in Bundesländern mit eigenem Regelwerk bliebe der Versicherungsnehmer schutzlos.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Bei der streitgegenständlichen Kostentragungsverpflichtung der Klägerin gegenüber der Firma M handelt es sich um eine solche gegenüber einem Dritten im Sinne von F.I.4.1 C 2009. Die Klägerin war unmittelbar aufgrund Gesetzes - Art. 55 Abs. 1 Satz 1 BayWG - zur Sanierung verpflichtet und ist deshalb gegenüber der Fa. M die Verpflichtung zur Zahlung von Werklohn für die Sanierung eingegangen. Die genannte Klausel beschränkt den „Dritten“ nicht auf die Person des Geschädigten und umfasst damit auch die Kosten des mit der Sanierung beauftragten Unternehmers. Es ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch gleichgültig, dass nach dem Schreiben des Amtes für Umwelt, Ordnung und Verbraucherschutz der Stadt B vom 30.1.2018 das mit der Bauleitung beauftragte Planungsbüro X als Ansprechpartner zur Durchführung der notwendigen Maßnahmen aufgefordert wurde, denn in demselben Schreiben wird dazu ausgeführt, dass es sich bei der Klägerin um die Verursacherin der Wasserverunreinigung im Sinne des Art. 55 BayWG handele.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Notwendigkeit einer ausdrücklichen behördlichen Anordnung ergibt sich aus dem Bedingungswerk der Beklagten nicht. Vielmehr knüpft F.I.4.1 C 2009 ausdrücklich an die Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Sanierung „aufgrund Gesetzes" an.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Die streitigen Kosten sind schließlich auch nach F.I.5.1 C 2009 versichert, da es sich um Kosten für die Sanierung eines Gewässers handelt.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Der ursprüngliche Freistellungsanspruch hat sich, nachdem die Beklagte den Ausgleich der Forderung der Firma M endgültig ablehnte, nach §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 Satz 1 BGB in einen Zahlungsanspruch umgewandelt.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Der Klägerin steht bezüglich des genannten Betrags ein Anspruch auf Prozesszinsen zu. Zu dem im Klageantrag als Verzugszeitpunkt genannten 2.1.2014 hatte die Klägerin gegen die Beklagte nur einen Anspruch auf Freistellung von dem von der Firma M in Rechnung gestellten Betrag, denn die Zahlung an die Firma M, die zur Umwandlung des Freistellungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch führte, erfolgte erst am 24.11.2014 (Bl. 14 GA). Dass danach bis zum Einreichen der Klage Verzug begründet wurde, hat die Klägerin nicht dargelegt.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Soweit die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der durch das Gerichtsverfahren beim Amtsgericht K entstandenen Kosten von 1.308,40 € erstrebt, bleibt die Berufung erfolglos. Etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin sind jedenfalls nach § 254 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Die Klägerin hat sich sehenden Auges in Kenntnis der Berechtigung der Forderung der Fa. M verklagen lassen und dadurch den Schaden überhaupt erst entstehen lassen. Es fehlt auch an Anhaltspunkten dafür, dass ihr die Begleichung der Forderung der Fa. M aus finanziellen Gründen nicht möglich war. Vielmehr spricht für ihre Leistungsfähigkeit die Zahlung am 24.11.2014. Dahin stehen bleiben kann, ob die Klägerin bei unzulänglicher Leistungsfähigkeit, anstatt sich verklagen zu lassen, um Kredit hätte nachsuchen müssen.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zahlung außergerichtlicher Kosten, die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstanden, dargelegt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte im Zeitpunkt der Beauftragung des Anwalts in Schuldnerverzug befand, denn den klägerischen Ausführungen ist schon nicht zu entnehmen, wann die Beauftragung erstmals erfolgte. In der Klageschrift heißt es dazu nur, dass der Prozessbevollmächtigte sich unter dem 1. April 2014 gegenüber der Beklagten für die Klägerin legitimiert habe. Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Mandatierung ergeben sich daraus nicht.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Soweit Nebenforderungen betroffen sind, sind Hinweise nicht veranlasst (§ 139 Abs. 2 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Der Streitwert wird auf 4.405,96 € festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>F</p>
</td>
<td><p>Dr. O</p>
</td>
<td><p>Dr. Q</p>
</td>
</tr>
<tr><td></td>
<td></td>
<td></td>
</tr>
</tbody>
</table>
|
125,215 | lagd-2018-12-18-4-ta-42318 | {
"id": 793,
"name": "Landesarbeitsgericht Düsseldorf",
"slug": "lagd",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Arbeitsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 Ta 423/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-04T14:23:29 | 2019-02-12T11:31:57 | Beschluss | ECLI:DE:LAGD:2018:1218.4TA423.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts vom 24.09.2018 in Gestalt des Abhilfebeschlusses vom 29.10.2018 abgeändert.</p>
<p>Der Gebührenstreitwert wird für das Verfahren auf 8.325,00 € und für den gerichtlichen Vergleich vom 13.09.2018 auf 9.712,50 € festgesetzt.</p>
<p>Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">G r ü n d e :</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Streitig ist die Gebührenwertfestsetzung für Verfahren und Vergleich vor dem Arbeitsgericht.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat zunächst die ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 26.03.2018 zum 30.09.2018 und sodann mit Klageerweiterung die außerordentliche (fristlose) Kündigung vom 18.04.2018 (umdeutbar in ordentliche Kündigung zum 31.10.2018) angegriffen. Der Rechtsstreit endete durch Vergleich vom 13.09.2018, der auch Festlegungen zum Inhalt eines Zeugnisses traf.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Arbeitsgericht hat zunächst mit Beschluss vom 24.09.2018 den Wert für das Verfahren auf drei Bruttomonatsgehälter (BMG) und für den Vergleich (wegen der Zeugnisregelung) auf vier BMG à 1.387,50 € festgesetzt. Auf die fristgerecht erhobene Beschwerde des Klägervertreters, der für die Kündigungsschutzanträge eine Bewertung iHv. sechs BMG und entsprechend für den Vergleich sieben BMG erstrebt, hat das Arbeitsgericht den Wert im Wege der Teilabhilfe für das Verfahren auf vier und für den Vergleich auf fünf BMG erhöht und die weitergehende Beschwerde der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt. Dabei hat es zunächst die Kündigung mit dem frühesten Beendigungszeitpunkt (außerordentliche Kündigung vom 18.04.2018) mit drei BMG bewertet (Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit idF v. 09.02.2018 [SWK], I 21.3, NZA 2018, 497 ff). Dieser Wert decke auch den im Wege der Umdeutung gewonnenen weiteren Streitgegenstand der hilfsweisen Beendigung zum fristgerechten Termin am 31.10.2018 ab (SWK I 21.1). Deshalb sei für die ordentliche Kündigung vom 26.03.2018 zum 30.09.2018 nur noch eine Differenz von einem Monat werterhöhend zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber ist die Beschwerde der Auffassung, der Verfahrenswert betrage sechs Bruttomonatsgehälter. Maßgeblich sei, dass der Beendigungszeitpunkt der außerordentlichen Kündigung (18.04.2018) von dem Beendigungszeitpunkt der zunächst angegriffenen ordentlichen Kündigung (30.09.2018) um mehr als drei Monate abweiche.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Kündigungsschutzanträge im vorliegenden Verfahren sind mit sechs BMG zu bewerten.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1.Der Wert des ersten Kündigungsschutzantrags betreffend die ordentliche Kündigung zum 30.09.2018 entspricht gemäß § 42 Abs. 2 S. 1 GKG dem Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts, also drei BMG. Er verändert sich gemäß § 40 GKG durch nachfolgende Anträge nicht mehr.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2.Der Wert der (unbedingten) Klageerweiterung betreffend die "überholende" außerordentliche Kündigung vom 18.04.2018 beträgt gemäß § 42 Abs. 2 S. 1 GKG grundsätzlich ebenfalls drei BMG. Dieser Wert wird weder ganz noch teilweise vom Wert des Ausgangsantrags betreffend die ordentliche Kündigung zum 30.09.2018 umfasst.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">a.Die Klageerweiterung betrifft zunächst einen anderen Streitgegenstand iSv. § 39 Abs. 1 GKG als der Ausgangsantrag. Zwar enthält die einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG gegen die ordentliche Kündigung stattgebende Entscheidung zugleich die Feststellung, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien "zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt noch bestanden hat" (sog. erweiterter punktueller Streitgegenstandsbegriff, BAG 18.12.2014 - 2 AZR 163/14, BAGE 150, 234, Rn. 23 mwN). Deshalb ist der Arbeitgeber mit anderen Beendigungsgründen zu und zeitlich vor dem vorgesehenen Auflösungszeitpunkt, die er nicht in den Rechtsstreit einführt, präkludiert. Das bedeutet aber nicht, dass die Klage gegen die ordentliche Kündigung schon die vorgelagerte außerordentliche Kündigung selbst als Streitgegenstand erfasst und ihr Wert deshalb den Wert der späteren Klageerweiterung gegen die außerordentliche Kündigung umfassen würde. Denn hierfür verlangt die Rechtsprechung bislang stets eine Erweiterung der Klage punktuell auf die nachfolgende Kündigung, gemäß § 6 KSchG bis spätestens zum Schluss der mündlichen Verhandlung (so ausdrücklich der 7. Senat, BAG 20.06.2018 - 7 AZR 689/16; ebenso bislang der 2. Senat, BAG 13. März 1997 - 2 AZR 512/96 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 85, 262, zuletzt aber offen gelassen in BAG 24.05.2018 - 2 AZR 67/18 - und BAG 18.12.2014 - 2 AZR 163/14 - jeweils unter Hinweis auf Gallner in FS Wank 2014 S. 117, 125). In Rechtskraft erwächst beim Ausgangsantrag daher nur, ob zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt am 30.09.2018 ein Arbeitsverhältnis bestand oder nicht, nicht dagegen, ob die "überholende" außerordentliche Kündigung zu ihrem Beendigungstermin wirksam war oder nicht. Insoweit handelt es sich nur um eine Inzidentprüfung.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">b.Sodann scheidet auch ein Additionsverbot wegen wirtschaftlicher Identität (analog § 45 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GKG) im vorliegenden Fall aus. Bei wirtschaftlicher Betrachtung wird der Streit der Parteien durch die Klageerweiterung um den Zeitraum erweitert, um den die "überholende" fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis früher als die ursprüngliche fristgerechte Kündigung beenden soll. Das sind hier (gedeckelt) noch einmal drei BMG. Dies gilt unabhängig davon, ob dieser Streit zusätzlich (!) den Streit um eine im Wege der Umdeutung gewonnene (oder hilfsweise ausgesprochene) ordentliche Kündigung zum 31.10.2018 umfasst. Dies bestätigt zudem die Hilfsüberlegung, dass anderenfalls ein Streit um die außerordentliche und die umgedeutete ordentliche Kündigung weniger werthaltig wäre als der (geringere) Streit lediglich um die außerordentliche Kündigung.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Das Ergebnis entspricht der Empfehlung des Streitwertkatalogs, wonach der Wert einer Folgekündigung mit Veränderung des Beendigungszeitpunkts dem Betrag der Entgeltdifferenz zwischen den verschiedenen Beendigungszeitpunkten, maximal jedoch der Vergütung für ein Vierteljahr entspricht (SWK I 21.3).</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">III.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Gemäß § 68 Abs. 3 GKG ist das Verfahren gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 32 Abs. 1 RVG, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Quecke</p>
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125,190 | vg-luneburg-2018-12-18-1-b-5718 | {
"id": 616,
"name": "Verwaltungsgericht Lüneburg",
"slug": "vg-luneburg",
"city": 375,
"state": 11,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 1 B 57/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2019-01-04T14:23:00 | 2019-01-17T11:45:59 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Das Amtsgericht A-Stadt - Schöffengericht - verurteilte den Antragsteller im Jahr 2006 wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in mehreren Fällen zu einer Freiheitsstrafe. Aufgrund eines erneuten Verdachts des Handels mit Betäubungsmitteln durchsuchten Polizeibeamte im August 2017 seine Wohnung. Dabei fanden sie in einem Bein eines Regals circa 0,2 g Amphetamine und stellten diese sicher.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Nachdem der Antragsgegner hiervon Kenntnis erlangt hatte, ordnete er gegenüber dem Antragsteller am 7. Juni 2018 eine Überprüfung seiner Fahreignung durch eine ärztliche Begutachtung an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Da der Antragsteller bis zum 25. Oktober 2018 ein Gutachten nicht vorgelegt hatte, setzte der Antragsgegner ihm hierfür nochmals eine Frist bis zum 7. November 2018 und teilte ihm mit, dass er anderenfalls von seiner Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen und seine Fahrerlaubnis entziehen müsse. Binnen der genannten Frist könne er hierzu Stellung nehmen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>In dem vom Antragsteller dem Antragsgegner daraufhin am 13. November 2018 übersandten Gutachten der TÜV Nord Mobilität GmbH & Co. KG vom 1. Oktober 2018 wird ausgeführt, dass der Antragsteller angegeben habe, nie Betäubungsmittel zu sich genommen und auch noch nie etwas damit zu tun gehabt zu haben. Eine regelmäßige Einnahme von Medikamenten sei von ihm verneint worden. Zu dem bei ihm aufgefundenen Tütchen mit den Amphetaminen habe er erklärt, dieses nach einer Grillparty gefunden und später dann vergessen zu haben, sich um eine Rückgabe an den eigentlichen Besitzer zu bemühen. Weiter wird in dem Gutachten dargelegt, dass in einer der drei untersuchten Urinproben des Antragstellers 67,7 ng/ml Codein nachgewiesen sowie Morphin positiv befundet worden sei, was eine vorangegangene Aufnahme von Opiaten belege.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller daraufhin mit Bescheid vom 14. November 2018 die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (Ziffer 1), ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an (Ziffer 2), forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds zur unverzüglichen Abgabe seines Führerscheins bis zum 21. November 2018 auf (Ziffer 3 und 4) und setzte ihm gegenüber Kosten in Höhe von 150,00 Euro fest. Zur Begründung führt der Antragsgegner in seinem Bescheid im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei, weil er Betäubungsmittel eingenommen habe. Dies ergebe sich aus dem Ergebnis der Untersuchung seiner Urinproben. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete der Antragsgegner mit der vom Antragsteller bei einer Teilnahme am Straßenverkehr ausgehenden Gefährdung seines eigenen Lebens und das anderer Verkehrsteilnehmer.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 29. November 2018 Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die ausgewerteten Urinproben widersprüchlich seien. Zudem habe die spätere Untersuchung einer weiteren Urinprobe am 6. November 2018 durch seinen Hausarzt, dessen Hinzuziehung zu einer mündlichen Verhandlung beantragt werde, einen negativen Befund ergeben. Auch verwende er regelmäßig Voltaren Salbe und nehme Ibuprofen und Paracetamol ein. Eine Wirkstoffzuordnung könne nicht erfolgen, sodass die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt werde, zur Klärung, ob die ermittelten Werte auch durch die Einnahme der Medikamente hervorgerufen werden könnten. Die vorläufige Entziehung seiner Fahrerlaubnis sei darüber hinaus unverhältnismäßig, weil er schwerbehindert und deshalb auf die Nutzung seines Fahrzeugs angewiesen sei. Außerdem müsse er seine sich in einem Pflegeheim lebende Mutter chauffieren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner hat am 7. Dezember 2018 die Zwangsgeldandrohung in dem Bescheid vom 14. November 2018 aufgehoben, woraufhin die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller beantragt sinngemäß,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14. November 2018 in der geänderten Fassung vom 7. Dezember 2018 wiederherzustellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">den Antrag abzulehnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Das vom Antragsteller vorgelegte Ergebnis der Untersuchung einer Urinprobe durch seinen Hausarzt sei nicht geeignet, die Zweifel an seiner Fahreignung auszuräumen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit mit Schreiben jeweils vom 14. Dezember 2018 hinsichtlich der mit dem angegriffenen Bescheid angedrohten Festsetzung eines Zwangsgelds für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren insoweit entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen ist der nach seinem Wortlaut unbeschränkte Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis auszulegen (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO). Nachdem der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung nunmehr eine aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins annimmt und die Zwangsgeldandrohung aufgehoben hat, geht die Kammer nicht (mehr) davon aus, dass der Antragsteller darüber hinaus auch die Feststellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die angeordnete Abgabe seines Führerscheins in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO begehrt (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 30.8.2012 - 7 VR 6.12 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschl. v. 26.3.2014 - 13 ME 21/14 -, juris Rn. 11 und Beschl. v. 17.9.2013 - 4 ME 192/13 -, juris Rn. 4; Kammerbeschl. v. 5.12.2018 - 1 B 54/18 -, juris Rn. 14, 29 ff.). Auch geht die Kammer nicht davon aus, dass der Antragsteller gesonderten vorläufigen Rechtsschutz gegen die Kostenfestsetzung begehrt, da er keine Einwände gegen die Erhebung der Gebühr erhoben hat und hinsichtlich der Festsetzung der Verwaltungskosten auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 80 Abs. 6 VwGO für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht vorliegen würden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis ist zulässig, insbesondere gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft, da der Antragsgegner die sofortige Vollziehung insoweit besonders angeordnet hat, jedoch unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist die sofortige Vollziehung von der Behörde den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend angeordnet worden, so entscheidet das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage auf der Grundlage einer eigenen Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das besondere öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.12.2014   - 7 VR 5.14 -, juris Rn. 9; Nds. OVG, Beschl. v. 10.09.2014 - 8 ME 87/14 -, juris Rn. 2). Im Rahmen der Interessenabwägung haben die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs eine entscheidende Bedeutung. Ergibt sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber grundsätzlich auch ausreichenden (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 16.8.2017 - 13 ME 173/17 -, juris Rn. 4, vgl. auch Beschl. v. 24.01.2018 - 7 ME 110/17 -, juris Rn. 28) summarischen Überprüfung, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache keinen Erfolg haben wird, weil sich der angegriffene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts. Erweist sich der Rechtsbehelf bei summarischer Überprüfung demgegenüber als offensichtlich erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Adressaten des Verwaltungsakts, von dessen Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Stellen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs hingegen als offen dar, so ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich, bei der in Rechnung zu stellen ist, welche Gründe bei bestehender Unsicherheit im Hinblick auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs für und gegen eine Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts sprechen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 10.5.2010 - 13 ME 181/09 -, juris Rn. 4). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die voraussichtliche Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts für sich allein nur das allgemeine Interesse an seiner Vollziehung begründet, nicht aber zugleich auch deren, für die behördliche Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO erforderliche Dringlichkeit (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 27.4.2005 - 1 BvR 223/05 -, NVwZ 2005, 1303; Beschl. v. 18.7.1973, - 1 BvR 23/73 -, BVerfGE 35, 382, 402; Nds. OVG, Beschl. v. 10.9.2014, a.a.O.; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl., Rn. 757 f. m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Nach Maßgabe dessen ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Zunächst genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung den sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebenden Anforderungen. Erforderlich für das Vorliegen einer hinreichenden schriftlichen Begründung im Sinne dieser Vorschrift ist eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt verschont zu werden. Dem Begründungserfordernis ist nicht erst dann Genüge getan, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung tatsächlich vorliegt; ausreichend ist vielmehr – wie bei der Begründung eines Verwaltungsakts nach § 39 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) –, dass die Behörde die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitteilt, die sie im konkreten Einzelfall zu der Annahme des Vorliegens eines besonderen Vollzugsinteresses und damit zur Anordnung der sofortigen Vollziehung bewogen haben. Da sich diese Begründung auf das besondere öffentliche Interesse an der Vollziehung zu beziehen hat, ist eine gesonderte Darstellung der diesem Interesse entgegenstehenden Interessen des von der sofortigen Vollziehung nachteilig Betroffenen keine Voraussetzung der formalen Ordnungsmäßigkeit der Begründung. In diesem Zusammenhang ist nicht entscheidungserheblich, ob bereits die von dem Antragsgegner getroffene Entscheidung über den Sofortvollzug auf einer auch inhaltlich tragfähigen, materiell ausreichenden Abwägung beruht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 7.3.2017 - 12 ME 12/17 -, n.v.). Die Begründung des Antragsgegners für die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt diesen Anforderungen, da er die Notwendigkeit des Sofortvollzugs auf die mit einer weiteren Teilnahme des als Kraftfahrer ungeeigneten Antragstellers am Straßenverkehr einhergehende erhebliche Gefährdung der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer stützte. Die Verwendung standardisierter Begründungselemente war dem Antragsgegner dabei im vorliegenden Fall nicht verwehrt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 26.10.2012 - 2 M 124/12 -, juris Rn. 10; VG Bremen, Beschl. v. 10.1.2018 - 5 V 3111/17 -, juris Rn. 17 (Fahrerlaubnisentziehung); Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, § 80 Rn. 85 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die Abwägung des Interesses des Antragstellers, vom Vollzug der Fahrerlaubnisentziehung bis zur endgültigen Entscheidung über ihre Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das besondere öffentliche Interesse an deren sofortiger Vollziehung fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage wird seine Klage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis voraussichtlich keinen Erfolg haben, weil diese Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -). Danach ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet ist gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere derjenige, bei dem Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 FeV ist die Fahreignung bei einer Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) im Regelfall (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.2.2009 - 3 C 1.08 -, juris Rn. 20) nicht gegeben. Voraussetzung der Entziehung ist, dass die Nichteignung positiv festgestellt wird (BVerwG, Urt. v. 9.6.2005 - 3 C 25.04 -, juris Rn. 17). Unter Zugrundelegung des vorgenannten Maßstabs war hier die Fahrerlaubnis zu entziehen, weil sich der Antragsteller nach summarischer Prüfung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hatte. Aufgrund des in seiner Urinprobe nachgewiesenen Codeins und Morphins steht fest, dass er zuvor Betäubungsmittel im Sinne des § 1 Abs. 1 in Verbindung mit der Anlage III Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) eingenommen hatte. Hieraus folgt gemäß Ziffer 9.1 der Anlage 4 FeV seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Auf die Häufigkeit des Konsums kommt es dabei in aller Regel – wie auch vorliegend – nicht an (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 11.8.2009 - 12 ME 156/09 -, juris Rn. 7, sowie Beschl. v. 30.06.2009 - 12 ME 112/09 -, juris Rn. 8; VG Oldenburg, Beschl. v. 6.3.2018 - 7 B 938/18 -, juris Rn. 22 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der Nichteignung des Antragstellers steht auch sein erstmals mit der Begründung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz vorgebrachter Vortrag nicht entgegen, er benutze regelmäßig Voltaren Forte Salbe und nehme Ibuprofen sowie Paracetamol ein. Denn die Kammer hält die pauschale Behauptung nicht für glaubhaft. Der Antragsteller hat bereits keine näheren Ausführungen dazu gemacht, weshalb er diese Medikamente im Vorfeld der Abgabe der Urinprobe eingenommen haben will. Zudem steht seine Darstellung im Widerspruch zu seinen Angaben gegenüber der Ärztin, die das Fahreignungsgutachten erstellte. Sie führt darin aus, dass die Einnahme von Medikamenten, die sich auf die Fahreignung auswirken könnten, auf Befragen des Antragstellers von ihm verneint worden und eine regelmäßige Medikamenteneinnahme in den letzten drei Monaten nicht erfolgt sei (S. 4, 6 des Gutachtens). Auch bei der Übersendung des Gutachtens an den Antragsgegner machte der Antragsteller keine Angaben zu eingenommenen Medikamenten, sondern brachte gegen dieses vielmehr lediglich vor, dass es widersprüchlich und nicht nachvollziehbar sei. Abgesehen davon, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nur präsente Beweismittel zu berücksichtigen sind (vgl. etwa Nds. OVG, Beschl. v. 14.8.2018 - 12 OA 90/18 -, juris Rn. 15, sowie v. 18.04.2018 - 10 ME 73/18 -, juris Rn. 32), bedurfte es auch deshalb – mangels Entscheidungserheblichkeit – nicht der vom Antragsteller beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dies gilt gleichermaßen für die vom Antragsteller beantragte Vernehmung seines Hausarztes als Zeugen für eine negative Urinprobe vom 6. November 2018. Denn aus einem solchen Untersuchungsergebnis würde nicht folgen, dass der Antragsteller im zeitlichen Zusammenhang mit der Urinprobe für das Fahreignungsgutachten keine Betäubungsmittel eingenommen hatte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Besondere Umstände, die es – abweichend vom Regelfall der Ziffer 9.1 der Anlage 4 FeV – ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen ließen, von einer fortbestehenden Fahreignung des Antragstellers auszugehen (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 26.2.2009 - 3 C 1.08 -, juris Rn. 20; Nds. OVG, Beschl. v. 30.6.2009 - 12 ME 112/09 -, juris Rn. 9) hat er weder vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich. Im Übrigen räumen § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV der Fahrerlaubnisbehörde kein Ermessen ein, ob die Fahrerlaubnis zu entziehen ist oder nicht, sondern sehen dies als zwingende Folge vor, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Vor diesem Hintergrund kommt es auch auf die vom Antragsteller im Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis befürchteten Nachteile für seine Fortbewegungsmöglichkeiten nicht an. Die (absehbaren) Folgen einer Fahrerlaubnisentziehung muss jeder Betroffene hinnehmen, wenn – wie hier – hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für dessen Sicherheit resultiert (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 19.3.2004 - 1 M 2/04 -, juris Rn. 33; vgl. auch Hamburgisches OVG, Beschl. v. 15.11.2017 - 4 Bs 180/17 -, juris Rn. 30).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist auch nicht wegen einer etwaig unterbliebenen Anhörung (§ 1 Abs. 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz - NVwVfG - in Verbindung mit § 28 VwVfG) rechtswidrig. Zwar hat der Antragsgegner dem Antragsteller, nachdem dieser das Gutachten vorgelegt hatte, keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis wegen des Konsums von Betäubungsmitteln eingeräumt. Jedoch ist dies unabhängig davon, ob nach der am 25. Oktober 2018 erfolgten Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer Nichtvorlage des Gutachtens überhaupt eine nochmalige Anhörung durchzuführen gewesen wäre, jedenfalls nach § 1 Abs. 1 NVwVfG in Verbindung mit § 46 VwVfG unbeachtlich, weil dieser (mögliche) Verfahrensfehler die Entscheidung des Antragsgegners nicht beeinflusste (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 46 Rn. 30 f.). Dies folgt für die Kammer daraus, dass dem Antragsgegner ein Entscheidungsspielraum nicht zustand und der Antragsteller auch keine Umstände vorgetragen hat, die dem Vorliegen der Voraussetzungen einer Fahrerlaubnisentziehung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV entgegenstehen könnten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Schließlich liegt hier ein besonderes Vollzugsinteresse in der Wahrung der Sicherheit des Straßenverkehrs vor. Die von einem – voraussichtlich zu Recht – als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet angesehenen Fahrerlaubnisinhaber ausgehenden Gefahren für den Straßenverkehr sind zu groß, als dass sie im Interesse seiner erleichterten und erweiterten Teilnahme am Straßenverkehr vorläufig hingenommen werden könnten (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.12.2016 - 12 ME 186/16 -, juris Rn. 19). Auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit der Auswirkungen der Anordnung der sofortigen Vollziehung auf den Antragsteller sind dessen Interessen nicht von höherem Gewicht. Denn angesichts der Gefahren für die Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr, die von einem Kraftfahrer ausgehen, der sich – wie der Antragsteller – als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat, müssen seine privaten Belange zurückstehen (vgl. hierzu auch: Nds. OVG, Beschl. v. 7.4.2017 - 12 ME 49/17 -, juris Rn. 9).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Bei der Kostenquotelung hat die Kammer berücksichtigt, dass der Antragsgegner seinen Bescheid teilweise aufgehoben hat und anderenfalls der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vorrausichtlich insoweit Erfolg gehabt hätte (vgl. Kammerbeschl. v. 5.12.2018 - 1 B 54/18 -, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Anlehnung an die Vorschläge unter Nr. 46.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=JURE180019778&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
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</div>
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116,779 | ovgnrw-2018-12-18-6-a-290318 | {
"id": 823,
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} | 6 A 2903/18 | 2018-12-18T00:00:00 | 2018-12-27T18:03:42 | 2019-02-12T11:31:56 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2018:1218.6A2903.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 9.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat angenommen, das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: LAFP NRW) habe die vom Kläger begehrte Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst mit Bescheid vom 5. Oktober 2017 rechtmäßig wegen fehlender charakterlicher Eignung abgelehnt. Insoweit genügten berechtigte Zweifel. Das beklagte Land habe seinen Bewertungsspielraum nicht überschritten, indem es sich auf die beträchtliche Anzahl der gegen den Kläger geführten Strafverfahren sowie die dadurch zu Tage getretenen Verhaltensweisen gestützt habe. Dass es teilweise zu keiner Verurteilung gekommen sei, hindere das beklagte Land nicht, aus dem zu Tage getretenen Verhalten Rückschlüsse auf seine charakterliche Eignung zu ziehen. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass er bei Begehung der Taten mit einer Ausnahme noch Heranwachsender gewesen und inzwischen nachgereift sei. Zum einen habe es sich nicht ausschließlich um jugendtypische Verfehlungen gehandelt. Zum anderen sei der Zeitraum, in dem sich der Kläger durch straffreies Verhalten bewährt haben wolle, zu kurz, als dass daraus auf eine nachhaltige Änderung des Charakters und zukünftiges rechtstreues Verhalten geschlossen werden könne. Noch im Juni 2016 sei er erneut strafrechtlich in Erscheinung getreten.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Antragsbegründung zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser näher begründeten Erwägungen auf. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht,  dass das M.    NRW den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hat, d. h. dass es von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den Begriff der Eignung gemessen an den für den Polizeivollzugsdienst erforderlichen charakterlichen Eigenschaften eines Beamten verkannt oder aber unter Verletzung allgemeingültiger Wertmaßstäbe, etwa der Einbeziehung sachwidriger Erwägungen, entschieden hat.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Maßstab OVG NRW, Beschlüsse vom 13. September 2018 - 6 B 1176/18 -, juris Rn. 10, vom 17. August 2017 - 6 B 751/17 -, juris Rn. 8, vom 2. Dezember 2016 - 1 B 1194/16 -, juris Rn. 13 ff., vom 2. November 2016 - 6 B 1172/16 -, juris Rn. 9 f., vom 19. November 2014 - 6 A 1896/13 -, juris Rn. 42, und vom 18. Oktober 2013 - 1 B 1131/13 -, juris Rn. 7 ff., 14; Sächs. OVG, Beschluss vom 20. September 2017 - 2 B 180/17 -, juris Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 10. März 2017 - 4 S 124/17 ‑, juris Rn. 5, und vom 27. November 2008 ‑ 4 S 2332/08 -, juris Rn. 4.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Straftaten, auch wenn sie im jugendlichen Alter begangen wurden, sind grundsätzlich geeignet, Zweifel an der charakterlichen Eignung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst zu begründen. Dafür ist es unerheblich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, ob es zu einer Verurteilung gekommen oder das Strafverfahren wegen geringer Schuld oder gegen Auflagen eingestellt worden ist. Das Mitführen eines Klappmessers zu einem Fußballspiel und die diesbezügliche Erklärung des Klägers durften ebenfalls in die Beurteilung der charakterlichen Eignung einbezogen werden, auch wenn dies nicht gegen das Waffengesetz verstieß. Der Kläger ist in der Vergangenheit mehrfach, zuerst im noch nicht strafmündigen Alter von 13 Jahren und 11 Monaten, zuletzt im Juni 2016 im Alter von 22 Jahren, strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Delikte sind vielfältig und reichen von Diebstahl über Betrug und Urkundenfälschung bis hin zum Hausfriedensbruch. Der Kläger wirkte überwiegend an der Aufklärung nicht mit, flüchtete sich in Schutzbehauptungen und zeigte keine Einsicht in sein Fehlverhalten; im Verfahren wegen Urkundenfälschung - Einsetzen eines falschen Datums in ein ärztliches Attest für die Schule – schilderte er nicht nur abwegige Geschehensabläufe, sondern beschuldigte auch noch seinen jüngeren Bruder. Aufgrund des langen Zeitraums, der Vielfalt der Straftaten und des Umgangs damit ist dem erneut erhobenen Einwand des Klägers, es handle sich um jugendtypische Verfehlungen, die keine Rückschlüsse auf seine derzeitige charakterliche Eignung zuließen, nicht zu folgen. Ergänzend wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land musste auch nicht aufgrund der vom Kläger angeführten geänderten persönlichen Lebensumstände, etwa der Tätigkeit als Schülersprecher, davon ausgehen, er sei ungeachtet der Vorkommnisse in der Vergangenheit charakterlich geeignet, weil er nunmehr als Erwachsener ausreichend gereift sei. Es ist insbesondere rechtlich nicht zu beanstanden, dass das M.    NRW auf die Vorgänge auf dem Festivalgelände in Oberhausen im Juni 2016 verwiesen hat, als der Kläger bereits erwachsen war und sich schon bei der Bundespolizei beworben hatte. Insoweit ist auch nichts gegen die Würdigung des beklagten Landes zu erinnern, als Polizist für Recht und Gesetz einstehen könne nur, wer sich selbst regelkonform verhalte, polizeilichen Anweisungen folge und mit Alkohol entsprechend verantwortungsvoll umgehe. Der verharmlosende Einwand des Klägers, der Hausfriedensbruch im betrunkenen Zustand falle in den Bereich der leichtest denkbaren Kriminalität und sei ein Ausrutscher, vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Da Streitgegenstand eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist, kommt es schließlich auf die nach Erledigung des Einstellungsbegehrens für das Jahr 2017 eingetretenen Umstände, etwa das Engagement bei der freiwilligen Feuerwehr, hier nicht an.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
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<p>Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren unterbrochen ist.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über die Unterbrechung des Berufungsverfahrens durch den Berichterstatter. Im vorbereitenden Verfahren entscheidet der bestellte Berichterstatter u. a. über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens (vgl. § 87a Abs. 1 Nr. 1 VwGO); diese Regelung gilt entsprechend für das Berufungsverfahren (vgl. § 125 Abs. 1 VwGO). Sie ist auch auf die Fälle der Unterbrechungen nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 239 ff. ZPO anwendbar.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5.11.2015 - 19 A 1582/15 -; Ortloff/Riese, in: Schoch u. a., VwGO, Stand 5/2018, § 87a Rn. 28 sowie Geiger, in Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 87a Rn. 7.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 240 Satz 1 ZPO wird im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Die Voraussetzungen für die Unterbrechung des Berufungsverfahrens sind danach im Hinblick auf die vom Amtsgericht Köln am 1.9.2018 beschlossene Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der beigeladenen A.  GmbH - 75 IN 232/18 - erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die beigeladene A. GmbH ist Partei des Verfahrens im Sinne von § 173 VwGO, § 240 ZPO. Partei im Sinne dieser Bestimmungen ist eine Beigeladene jedenfalls dann, wenn die Beiladung notwendig ist (vgl. § 65 Abs. 2 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BFH, Urteil vom 7.10.1987 - II R 187/80 -, juris sowie BFH, Urteil vom 13.10.2016 - IV R 20/14 -, juris.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Im vorliegenden - von der Klägerin als Grundstückskäuferin betriebenen - Verfahren der Anfechtung der behördlichen Ausübung des städtebaulichen Vorkaufsrechts ist die Beiladung der Verkäuferin notwendig.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur notwendigen Beiladung im Anfechtungsstreit über die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts: Kronisch, in Brügelmann, BauGB, Vorbemerkung zu §§ 24-28 BauGB, Rn. 100 (Stand Juli 2016).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Ausführungen der Klägerin und der Beklagten rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt, der Verkäuferin und Käuferin des von der Ausübung des Vorkaufsrechts erfassten Grundstücks betrifft.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.11.2009 - 4 B 52/09 -, BRS 74 Nr. 130.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Bei einer Anfechtung eines solchen Verwaltungsakts mit Doppelwirkung durch einen Adressaten ist die Beiladung des betroffenen Dritten obligatorisch.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa Schneider, in Schoch u. a., VwGO, Loseblattkommentar, § 65, Rn. 6.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren betrifft auch die Insolvenzmasse.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Zur Insolvenzmasse gehören jedenfalls die im Schriftsatz des beteiligten Insolvenzverwalters vom 23.11.2018 genannten Grundstücke. Das Insolvenzverfahren erfasst gemäß § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen des Schuldners im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung und das während des Verfahrens erlangte Vermögen. Aus der Eintragung der vom Insolvenzverwalter genannten Grundstücke im Grundbuch ergibt sich hier derzeit mit für die vorliegend zu treffende Entscheidung hinreichender Sicherheit die Eigentümerstellung der beigeladenen A. GmbH im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung. Ist im Grundbuch für jemand ein Recht eingetragen, so wird vermutet, dass ihm das Recht zustehe (vgl. § 891 Abs. 1 BGB).</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Grundstücke sind durch das Berufungsverfahren auch im Rechtssinne betroffen. Ein anhängiges Verfahren betrifft die Insolvenzmasse, wenn es zu ihr in rechtlicher oder wenigstens wirtschaftlicher Beziehung steht. Es reicht ein mittelbarer Bezug zur Insolvenzmasse aus, da von § 240 ZPO nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch Rechtsstreitigkeiten erfasst werden, die der Vorbereitung eines aktiv oder passiv die Insolvenzmasse betreffenden Hauptanspruchs dienen. Denn der Normzweck des § 240 ZPO, sowohl dem Insolvenzverwalter als auch den Parteien Gelegenheit zu geben, sich auf die durch die Insolvenz veränderte rechtliche und wirtschaftliche Lage einzustellen und insbesondere dem Insolvenzverwalter genügend Zeit einzuräumen, um sich mit dem Gegenstand des Rechtsstreits vertraut zu machen und zu entscheiden, ob es nötig und zweckmäßig ist, das Verfahren zu betreiben, spricht gegen ein enges Verständnis des Anwendungsbereichs und damit für die Einbeziehung auch von Verfahren, in denen um Ansprüche gestritten wird, die nur mittelbar die Insolvenzmasse betreffen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.6.2018 - 6 B 1/18 -, juris.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Eine solche mittelbare Betroffenheit der Insolvenzmasse durch das vorliegende Verfahren, dessen Erfolgsaussichten hier nicht abschließend beurteilt werden können, liegt vor. Bei einem Erfolg der mit der Berufung weiter verfolgten Anfechtungsklage hinge es von hier nicht zu klärenden zivilrechtlichen Fragen ab, welche Ansprüche die Klägerin auf der Grundlage des Kaufvertrags vom 28.12.2016 gegen die Insolvenzmasse geltend machen könnte, des Weiteren wäre bei einem Erfolg der Anfechtungsklage im Zuge der Rückabwicklung der Vertragsbeziehungen zwischen Beklagter und der beigeladenen A. GmbH gegebenenfalls mit gegen die Insolvenzmasse gerichteten Ansprüchen auf Rückgewähr bereits entrichteter Kaufpreiszahlungen zu rechnen. Für eine mittelbare Betroffenheit der Insolvenzmasse durch das Verfahren spricht zudem, dass auch bei einer Abweisung der mit der Berufung weiter verfolgten Anfechtungsklage jedenfalls wirtschaftliche Auswirkungen auf die Insolvenzmasse in Rechnung zu stellen sind. Bei einer abschließenden Abweisung der gegen die Vorkaufsrechtsausübung gerichteten Klage wäre vom Bestand des Kaufvertrags zwischen Beklagter und der beigeladenen A. GmbH auszugehen. Dann könnte sich mit Blick auf die zugunsten der Beklagten eingetragene Vormerkung vom 22.5.2017 zur Sicherung des Anspruchs auf Eigentumsübertragung ein „insolvenzfestes“ Aussonderungsrecht ergeben, mit der Folge, dass der betroffene Grundbesitz nicht mehr als zur Insolvenzmasse gehörend anzusehen wäre (vgl. §§ 47, 106 InsO).</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Insolvenzfestigkeit vormerkungsgesicherter Ansprüche für Rechte an Grundstücken: BGH, Urteil vom 24.6.2003 - IX ZR 75/01 -, BGHZ 155, 227.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Einer Feststellung der Unterbrechung des Verfahrens steht schließlich auch nicht etwa eine zwischenzeitliche Aufnahme durch den Insolvenzverwalter oder eine Beendigung des Insolvenzverfahrens entgegen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
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116,777 | ovgnrw-2018-12-18-4-b-103018 | {
"id": 823,
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<p>Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für eine durch einen Rechtsanwalt noch einzulegende Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch Ziff. 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Köln vom 18.6.2018 (8 L 394/18) bewilligt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Senat legt das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine durch einen Rechtsanwalt noch einzulegende Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch Ziff. 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Köln vom 18.6.2018 aus. Dieser Antrag hat Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der die Kosten der Prozessführung nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht bietet und nicht mutwillig erscheint.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen vor.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller kann nach seiner im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die von ihm beabsichtigte Beschwerde hätte hinreichende Aussicht auf Erfolg, sofern der Antragssteller diese anwaltlich vertreten binnen der Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz, Satz 3 VwGO einlegte und – wie bereits gegenüber dem Verwaltungsgericht im Nachgang zu dem Beschluss – geltend machte, einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht gestellt zu haben. Der Antragsteller hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, den das Verwaltungsgericht in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Beschlusses abgelehnt hat, (noch) nicht gestellt, womit Ziff. 2 dieses Beschlusses im Beschwerdeverfahren aufzuheben wäre.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Für die Auslegung seines Antrags können gemäß § 122 Abs. 1 VwGO die zu § 88 VwGO für die Auslegung von Klageanträgen entwickelten Grundsätze entsprechend herangezogen werden. Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel. Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.1.2012 – 9 B 56.11 – , NVwZ 2012, 375 = juris, Rn. 7, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Grundsätzen hat das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers zunächst nur eine isolierte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen noch einzulegenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zum Gegenstand. Zwar enthält sein Schriftsatz vom 19.2.2018 unter Ziff. 1 den (nach Hinweis des Verwaltungsgerichts später inhaltlich abgeänderten) Antrag: „Dem Antragsgegner wird untersagt aus dem näher bezeichneten Kostenbescheid des Bundesverwaltungsgerichts zum Aktenzeichen 6 B 22.17 die Zwangsvollstreckung zu betreiben.“ Unter der sich anschließenden Ziff. 2 beantragt er jedoch, ihm für dieses Verfahren „vorab“ Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Ferner führt er einleitend aus, der Erlass dieser einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO werde „im Entwurf“ beantragt. Dies deutet in der Zusammenschau klar darauf hin, dass der Antragsteller zunächst nur Prozesskostenhilfe für die Stellung eines Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes begehrt hat. Einem isolierten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird häufig ein Entwurf des Rechtsmittelschriftsatzes beigefügt, um das Gericht in die Lage zu versetzen zu überprüfen, ob die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorausgesetzte hinreichende Erfolgsaussicht besteht. Wenn der Antragsteller demgegenüber bereits den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hätte stellen wollen, gäbe es allerdings keinen nachvollziehbaren Grund dafür, den von ihm diesbezüglich formulierten Antrag nur als „Entwurf“ zu bezeichnen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar, § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 3 Satz 1 ZPO.</p>
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