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ab Seite 220
BGE 121 III 219 S. 220
Die Generalversammlung der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) stimmte am 29. April 1993 folgenden Anträgen des Verwaltungsrats zu:
4. Schaffung eines genehmigten und eines bedingten Aktienkapitals
4.1. Schaffung eines genehmigten Aktienkapitals von 200 Millionen Franken nominal, Ergänzung der Statuten mit einem neuen § 3c
Der Verwaltungsrat beantragt, die Statuten durch einen neuen § 3c mit folgendem Wortlaut zu ergänzen:
BGE 121 III 219 S. 221
"Der Verwaltungsrat ist ermächtigt, bis zum 30. April 1995 das Aktienkapital durch Ausgabe von höchstens 1'666'666 voll zu liberierenden Inhaberaktien von je Fr. 100.-- Nennwert und höchstens 1'666'670 voll zu liberierenden Namenaktien von je Fr. 20.-- Nennwert (Stimmrechtsaktien) im Maximalbetrag von 200 Millionen Franken zu erhöhen. Eine Erhöhung in Teilbeträgen ist gestattet. Die neuen Namenaktien unterliegen den Übertragungsbeschränkungen gemäss § 3a der Statuten. Der Ausgabepreis, der Zeitpunkt der Dividendenberechtigung und die Art der Sacheinlage werden vom Verwaltungsrat bestimmt.
Diese Aktien sind zur Plazierung bei den bisherigen Aktionären vorgesehen. Der Verwaltungsrat ist jedoch berechtigt, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschliessen und Dritten zuzuweisen im Falle der Verwendung von Aktien für die Übernahme von Unternehmen, Unternehmensteilen Beteiligungen oder im Falle einer Aktienplazierung für die Finanzierung derartiger Transaktionen. Aktien, für die Bezugsrechte eingeräumt, aber nicht ausgeübt werden, stehen zur Verfügung des Verwaltungsrats, der diese im Interesse der Gesellschaft verwendet."
4.2. Schaffung eines bedingten Aktienkapitals von 100 Millionen Franken nominal, Ergänzung der Statuten mit einem neuen § 3d
Der Verwaltungsrat beantragt, die Statuten durch einen neuen § 3d mit folgendem Wortlaut zu ergänzen:
"Das Aktienkapital der Gesellschaft wird durch die Ausgabe von höchstens 600'000 voll zu liberierenden Inhaberaktien von je Fr. 100.-- Nennwert und höchstens 2'000'000 voll zu liberierenden Namenaktien von je Fr. 20.-- Nennwert (Stimmrechtsaktien) im Maximalbetrag von 100 Millionen Franken erhöht durch Ausübung von Options- oder Wandelrechten, welche in Verbindung mit Anleihensobligationen der Gesellschaft oder einer ihrer Tochtergesellschaften eingeräumt worden sind, oder durch Ausübung von Bezugsrechten im Rahmen der Mitarbeiterbeteiligung. Das Bezugsrecht der Aktionäre ist ausgeschlossen. Der Erwerb von Namenaktien durch die Ausübung von Options- oder Wandelrechten oder Bezugsrechten der Mitarbeiter sowie die weitere Übertragung der Namenaktien unterliegen den Übertragungsbeschränkungen gemäss § 3a der Statuten.
Der Verwaltungsrat kann bei der Ausgabe von Options- oder Wandelanleihen das Vorwegzeichnungsrecht der Aktionäre aufheben. In diesem Fall sind Struktur, Laufzeit und Betrag der Anleihe sowie die Options- oder Wandelbedingungen durch den Verwaltungsrat entsprechend den Marktbedingungen im Zeitpunkt der Begebung festzulegen. Die Bedingungen der Mitarbeiterbeteiligung sind durch den Verwaltungsrat festzulegen."
Die BK Vision AG, welche die Übernahme und den Verkauf sowie die Verwaltung von Beteiligungen an Banken und anderen Finanzgesellschaften bezweckt, hielt per 30. April 1993 über drei Millionen Namen- sowie über
BGE 121 III 219 S. 222
hunderttausend Inhaberaktien der SBG. Mit Klage vom 29. Juni 1993 focht sie die unter Traktandum 4 von der Generalversammlung gefassten Beschlüsse beim Handelsgericht des Kantons Zürich als ungültig an; eventuell beantragte sie die Feststellung der Nichtigkeit.
Mit Urteil vom 15. September 1994 hiess das Handelsgericht die Klage dahingehend gut, dass es die angefochtenen Beschlüsse ungültig erklärte und mit rückwirkender Kraft aufhob. Die Beklagte hat dieses Urteil mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen wird. | 792 | 585 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Handelsgericht ist zum Ergebnis gelangt, die Delegation des Entscheids über Aufhebung oder Einschränkung des Bezugsrechts von der Generalversammlung an den Verwaltungsrat verstosse gegen Art. 698 Abs. 2 Ziff. 6 in Verbindung mit
Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 und
Art. 651 Abs. 3 OR
. Nach seiner Auffassung muss auf den klaren Gesetzeswortlaut abgestellt werden und sind die Voraussetzungen einer Normberichtigung zufolge einer unechten Gesetzeslücke nicht gegeben. Das Handelsgericht betrachtet zudem die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum alten Aktienrecht (
BGE 117 II 290
E. 4e) als unmassgeblich. Mit der Berufung wird geltend gemacht, die Betrachtungsweise des Handelsgerichts verletze Bundesrecht.
a) Nach altem Aktienrecht war bei der Ausgabe neuer Aktien jeder Aktionär berechtigt, einen seinem bisherigen Aktienbesitz entsprechenden Anteil der neuen Aktien zu beanspruchen, soweit nicht die Statuten oder der Beschluss über die Kapitalerhöhung etwas anderes bestimmten (Art. 652 aOR). Diese Vorschrift war nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts so auszulegen, dass einerseits das Bezugsrecht nicht unter die Kategorie der wohlerworbenen Rechte des Aktionärs fiel und anderseits sein ausserstatutarischer Entzug nicht im Belieben der Generalversammlung stand, sondern eine sachliche Rechtfertigung und die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie des Prinzips der schonenden Rechtsausübung voraussetzte (
BGE 117 II 290
E. 4e S. 300 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung stand der Beschluss über den Ausschluss der Aktionäre vom Bezugsrecht zwar formell der Generalversammlung zu, strukturmässig sprach aber im Grundsatz nichts dagegen, den endgültigen Entscheid darüber der Verwaltung zu überlassen. Entsprechend wurde die
BGE 121 III 219 S. 223
Kompetenzdelegation unter Vorbehalt von Gesetzesumgehungen oder anderen Missbrauchstatbeständen als zulässig betrachtet (
BGE 117 II 290
E. 4e/cc S. 302 ff. mit Hinweisen). Damit wurde der Aktiengesellschaft ermöglicht, einerseits der rigiden altrechtlichen Ordnung der Kapitalerhöhung auszuweichen und anderseits die mit der Bezugsrechtsfrage verbundene Interessenabwägung dem Verwaltungsrat zu überlassen, womit die unternehmerisch gebotene Flexibilität der Entscheidung in zeitlicher wie wettbewerblicher Hinsicht gewährleistet war.
b) Zu den Zielen der am 1. Juli 1992 wirksam gewordenen Aktienrechtsreform (AS 1992 733) zählen unter anderem die Verstärkung des Aktionärsschutzes, auch hinsichtlich des Bezugsrechts, und die Erleichterung der Kapitalbeschaffung für die Gesellschaft (Botschaft des Bundesrats vom 23. Februar 1983, BBl 1983 II 745 ff., 767; SCHMID, Übersicht über das revidierte Aktienrecht, recht 1992, S. 77 ff., S. 78; BÖCKLI, Das neue Aktienrecht, S. 2 Rz. 5 ff.).
Das Bezugsrecht der Aktionäre ist nach dem Gesetzeswortlaut dadurch verstärkt worden, dass es zum einen nicht mehr durch generelle statutarische Anordnung, sondern bloss noch mit qualifiziertem Mehrheitsbeschluss der Generalversammlung im Einzelfall (Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 in Verbindung mit
Art. 704 Abs. 1 Ziff. 6 OR
) und zum andern nur aus wichtigen Gründen und unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aufgehoben werden kann (
Art. 652b Abs. 2 OR
).
Die Kapitalbeschaffung ist im wesentlichen mit der Einführung des genehmigten und des bedingten Kapitals erleichtert worden (
Art. 650 ff. OR
). Das genehmigte Kapital beruht auf einer Kompetenzteilung zwischen der Generalversammlung und dem Verwaltungsrat. Im Gegensatz zur ordentlichen Kapitalerhöhung autorisiert die Generalversammlung bloss eine eventuelle Erhöhung des Aktienkapitals, beschliesst deren Möglichkeit und ermächtigt den Verwaltungsrat, den Entscheid über die Durchführung, den Zeitpunkt und die Bedingungen der Ausgabe neuer Aktien innerhalb des gesetzten Rahmens nach seinem Ermessen zu fällen. Das schwerfällige, eine rasche Kapitalbeschaffung oft behindernde einstufige Verfahren der ordentlichen Kapitalerhöhung wird bei der genehmigten Kapitalerhöhung zur Vermeidung dieser Nachteile durch ein mittels Kompetenzdelegation zweistufig gestaltetes Verfahren ersetzt.
c) Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen bei der genehmigten Kapitalerhöhung eine Delegationsbefugnis der Generalversammlung
BGE 121 III 219 S. 224
hinsichtlich des Entscheids über die Aufhebung oder Beschränkung des Bezugsrechts besteht, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Die Divergenz ergibt sich im wesentlichen aus einer unterschiedlichen Gewichtung der erwähnten Reformziele, das heisst der Verstärkung der Aktionärsrechte einerseits und der Flexibilität der Kapitalbeschaffung anderseits. Für eine Prävalenz der Aktionärsrechte und damit gegen die Zulässigkeit der Delegation sprechen sich namentlich aus: ZOBL (Rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der Schaffung von Vorratsaktien, SZW 63/1991, S. 1 ff., S. 6 Fn. 39), THOMAS VON PLANTA (Der Schutz der Aktionäre bei der Kapitalerhöhung, Diss. Basel 1992, S. 25 und 87), HÜNERWADEL (Vorratsaktien im Lichte des revidierten Aktienrechts, SZW 65/1993, S. 37 ff., S. 38) und VON GREYERZ (Ordentliche und genehmigte Kapitalerhöhung, SAG 55/1983, S. 94 ff., S. 99). Die Flexibilität der Kapitalbeschaffung stellen demgegenüber unter grundsätzlicher Bejahung der Delegationsbefugnis in den Vordergrund: BÖCKLI (a.a.O., S. 81 Rz. 280 ff.), FORSTMOSER (Zulässigkeit des Festübernahmeverfahrens für Kapitalerhöhungen unter neuem Aktienrecht?, SZW 65/1993, S. 101 ff., S. 105 f.), OR-ZINDEL/ISLER (N. 8/9 zu
Art. 652b OR
), ISLER (Ausgewählte Aspekte der Kapitalerhöhung, AJP 1992, S. 726 ff., S. 730 Fn. 24), NOBEL (Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluss, AJP 1993, S. 1171 ff., S. 1176) und REYMOND (Suppression et protection du droit de souscription préférentiel dans le nouveau droit de la société anonyme, SZW 66/1994, S. 153 ff., S. 156 f.).
d) Das Handelsgericht entnimmt Art. 651 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 und
Art. 698 Abs. 2 Ziff. 6 OR
durch Auslegung eine zwingende Kompetenzzuweisung an die Generalversammlung und verneint - wie bereits festgehalten - das Vorliegen einer korrekturfähigen unechten Gesetzeslücke.
aa) Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Auszurichten ist die Auslegung auf die ratio legis, die zu ermitteln dem Gericht allerdings nicht nach seinen eigenen, subjektiven Wertvorstellungen, sondern nach den Vorgaben des Gesetzgebers aufgegeben ist. Der Balancegedanke des Prinzips der Gewaltenteilung bestimmt nicht allein die Gesetzesauslegung im herkömmlichen Sinn, sondern führt darüber hinaus zur Massgeblichkeit der bei der Auslegung gebräuchlichen Methoden auf den Bereich richterlicher Rechtsschöpfung, indem ein vordergründig
BGE 121 III 219 S. 225
klarer Wortlaut einer Norm entweder auf dem Analogieweg auf einen davon nicht erfassten Sachverhalt ausgedehnt oder umgekehrt auf einen solchen Sachverhalt durch teleologische Reduktion nicht angewandt wird (vgl. KRAMER, Teleologische Reduktion - Plädoyer für einen Akt methodentheoretischer Rezeption, in Rechtsanwendung in Theorie und Praxis, Beiheft 15 zur ZSR, S. 65 ff., S. 73 ff.). Die Auslegung des Gesetzes ist zwar nicht entscheidend historisch zu orientieren, im Grundsatz aber dennoch auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten, da sich die Zweckbezogenheit des rechtsstaatlichen Normverständnisses nicht aus sich selbst begründen lässt, sondern aus den Absichten des Gesetzgebers abzuleiten ist, die es mit Hilfe der herkömmlichen Auslegungselemente zu ermitteln gilt (vgl.
BGE 119 II 183
E. 4b/aa mit Hinweisen).
Bei der teleologischen Reduktion handelt es sich nach zeitgemässem Methodenverständnis um einen zulässigen Akt richterlicher Rechtsschöpfung und nicht um einen unzulässigen Eingriff in die rechtspolitische Kompetenz des Gesetzgebers (KRAMER, a.a.O., S. 72 f.; MEIER-HAYOZ, Schlusswort, in Rechtsanwendung in Theorie und Praxis, S. 89 ff.; vgl. auch RHINOW, Rechtssetzung und Methodik, S. 134, 176). Unstreitig weist zwar das Gesetzesbindungspostulat den Richter an, seine Rechtsschöpfung nach den Institutionen des Gesetzes auszurichten. Es schliesst aber für sich allein richterliche Entscheidungsspielräume nicht grundsätzlich aus, sondern markiert bloss deren gesetzliche Grenzen. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Rechtsnorm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen (
BGE 114 V 219
E. 3a S. 220,
BGE 110 Ib 1
, S. 8; OGOREK, Der Wortlaut des Gesetzes - Auslegungsgrenze oder Freibrief?, in Rechtsanwendung in Theorie und Praxis, S. 21 ff.).
Eine echte Gesetzeslücke liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann (
BGE 108 Ib 78
E. 4b S. 82). Von einer unechten oder rechtspolitischen
BGE 121 III 219 S. 226
Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn dem Gesetz zwar eine Antwort, aber keine befriedigende zu entnehmen ist, namentlich, wenn die vom klaren Wortlaut geforderte Subsumtion eines Sachverhalts in der Rechtsanwendung teleologisch als unhaltbar erscheint (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 271 ff. zu
Art. 1 ZGB
; DESCHENAUX, SPR, Bd. II, S. 99). Echte Lücken zu füllen, ist dem Richter aufgegeben, unechte zu korrigieren, ist ihm nach traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt, es sei denn, die Berufung auf den als massgeblich erachteten Wortsinn der Norm stelle einen Rechtsmissbrauch dar (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 295 ff. zu
Art. 1 ZGB
).
Zu beachten ist indessen, dass mit dem Lückenbegriff in seiner heutigen schillernden Bedeutungsvielfalt leicht die Grenze zwischen zulässiger richterlicher Rechtsfindung contra verba aber secundum rationem legis und grundsätzlich unzulässiger richterlicher Gesetzeskorrektur verwischt wird. In differenzierender Auslegung ist daher vorab zu prüfen, ob der Wortsinn der Norm nicht bereits einem restriktiven Rechtssinn zu weichen habe, sodann, ob nicht bloss eine teleologisch nicht unterstützte Redundanz des grammatikalischen Rechtssinns gegeben sei, die durch eine Reduktion contra verba legis eingeschränkt werden muss. Der Lückenbegriff taugt diesfalls erst, wenn die teleologische Reduktion des Wortsinns ergibt, dass die positive Ordnung einer Regelung entbehrt, mithin eine verdeckte - aber echte - Lücke aufweist, die im Prozess der richterlichen Rechtsschöpfung zu schliessen ist (
BGE 117 II 494
E. 6a S. 499; KRAMER, a.a.O., S. 72; DESCHENAUX, a.a.O., S. 99). Wo jedoch der zu weit gefasste Wortlaut durch zweckgerichtete Interpretation eine restriktive Deutung erfährt, liegt ebenso Gesetzesauslegung vor wie im Fall, wo aufgrund teleologischer Reduktion eine verdeckte Lücke festgestellt und korrigiert wird. In beiden Fällen gehört die so gewonnene Erkenntnis zum richterlichen Kompetenzbereich und stellt keine unzulässige berichtigende Rechtsschöpfung dar (MEIER-HAYOZ, in Rechtsanwendung in Theorie und Praxis, S. 91).
bb) Die Befugnis der Generalversammlung, über die Gegenstände Beschluss zu fassen, die ihr durch das Gesetz vorbehalten sind, ist gemäss
Art. 698 Abs. 2 OR
unübertragbar. Die gesetzliche Kompetenzordnung ist allerdings auslegungsbedürftig. So kollidiert zum Beispiel
Art. 698 Abs. 2 Ziff. 1 OR
, wonach allein die Generalversammlung zur Änderung der Statuten zuständig ist, mit der gesetzlichen Pflicht und Kompetenz des Verwaltungsrats nach
Art. 652g Abs. 1 und
Art. 653g Abs. 1 OR
, den Vollzug von Kapitalerhöhungen
BGE 121 III 219 S. 227
festzustellen und die Statuten entsprechend zu ändern. Der Konflikt, der auf einem gesetzgeberischen Versehen beruhen dürfte (vgl. BBl 1983 II 793; FORSTMOSER, Ungereimtheiten und Unklarheiten im neuen Aktienrecht, SZW 64/1992, S. 58 ff., S. 69), ist nach dem Grundsatz der prioritären speziellen Norm zu lösen (vgl.
BGE 120 Ib 199
E. 3b S. 202). Die Rationalitätsvermutung indiziert klarerweise eine entsprechende Absicht des Gesetzgebers. Hinsichtlich der formellen und materiellen Zulässigkeit einer Einschränkung oder Aufhebung des Bezugsrechts sodann stellt das Gesetz die genehmigte Kapitalerhöhung nach seinem Wortlaut der ordentlichen gleich, insbesondere ordnet es den Beschluss darüber der unübertragbaren Kompetenz der Generalversammlung zu (
Art. 651 Abs. 3 OR
in Verbindung mit
Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 und
Art. 698 Abs. 2 Ziff. 6 OR
). Aus dem Gesetz allein ergibt sich somit kein Widerspruch, dagegen aus den unterschiedlichen Funktionen der beiden Kapitalerhöhungsverfahren, namentlich mit Blick auf die Gründe, welche den Gesetzgeber zur Einführung des genehmigten Kapitals veranlasst haben.
Nach dem Willen des Gesetzgebers steht die genehmigte Kapitalerhöhung im Dienste der Erleichterung der Kapitalbeschaffung (BBl 1983 II 770). Ihr ausschlaggebendes Merkmal ist, dass der Entscheid, ob, wann und in welchem Umfang das Aktienkapital erhöht werden soll, im Rahmen des Ermächtigungsbeschlusses der Generalversammlung dem Verwaltungsrat überlassen wird (
Art. 651 OR
). Damit wird der Gesellschaft ermöglicht, ihr Aktienkapital rasch zu erhöhen, insbesondere zum Zweck der Durchführung von Beteiligungen und Annexionen oder der Ausgabe von Mitarbeiteraktien. Die Gesellschaft soll die für einen Aktientausch oder eine Annexion erforderlichen Aktien bei Bedarf unverzüglich und ohne weitere Einberufung der Generalversammlung bereitstellen sowie einen Übernahmevertrag diskret aushandeln und ohne Vorbehalte abschliessen können (BBl 1983 II 793 f.). Im einen wie im andern Fall setzt indessen die vorgesehene Aktienverwendung den Ausschluss der bisherigen Aktionäre vom Bezug der neuen Aktien voraus. Folgerichtig nennt das Gesetz diese Tatbestände ausdrücklich als wichtige Gründe, die eine Aufhebung des Bezugsrechts zu rechtfertigen vermögen (
Art. 652b Abs. 2 OR
).
Anderseits hat der Gesetzgeber das Bezugsrecht der Aktionäre in der Neuordnung des Aktienrechts verstärkt, wie bereits festgehalten worden ist. Zum einen dadurch, dass ein Ausschluss nur noch im qualifizierten Erhöhungsbeschluss verfügt und nicht mehr in den Statuten normiert werden
BGE 121 III 219 S. 228
darf (Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 in Verbindung mit
Art. 704 Abs. 1 Ziff. 6 OR
), zum andern dadurch, dass nurmehr wichtige Gründe eine Rechtsbeschränkung zu begründen vermögen, wobei zusätzlich der Gleichbehandlungsanspruch der Aktionäre im Gesetz verankert wurde (
Art. 652b Abs. 2 OR
). Der Bezugsrechtsschutz war einer der Streitpunkte der Aktienrechtsrevision (BÖCKLI, a.a.O., S. 74 Rz. 254). In der nationalrätlichen Debatte wurde der Entwurf des Bundesrats in der hier interessierenden Kompetenzfrage dahingehend ergänzt, dass der Generalversammlung in
Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 OR
nicht bloss der Entscheid über die Aufhebung oder Beschränkung des Bezugsrechts, sondern zusätzlich jener über die Verwendung nicht ausgeübter oder entzogener Bezugsrechte zugewiesen wurde. Damit sollten nach den Darlegungen des französischsprachigen Kommissionssprechers die nicht dem Verwaltungsrat angehörenden Aktionäre besser geschützt werden (Amtl.Bull. N 1985 1679).
Es bedarf keiner besonderen Erörterungen, dass die gesetzlichen Zielsetzungen einer Flexibilisierung der Kapitalbeschaffung mit der Verlagerung der Durchführungskompetenz von der Generalversammlung auf den Verwaltungsrat einerseits und die formelle Stärkung der Aktionärsstellung bezüglich einer Aufhebung oder Beschränkung des Bezugsrechts anderseits dort kollidieren, wo das genehmigte Kapital die Ergreifung von Massnahmen ermöglichen soll, die zwar dem gesetzgeberischen Ziel dieser Kapitalbereitstellung entsprechen, im Zeitpunkt des Ermächtigungsbeschlusses aber weder spruchreif noch fassbar sind, jedoch von ihrer Art her eine Aufhebung oder Schmälerung des Bezugsrechts bedingen (Erwerb von Beteiligungen, Annexionen, Ausgabe von Mitarbeiteraktien). Nach dem zwischen ordentlicher und genehmigter Kapitalerhöhung insoweit nicht differenzierenden Gesetzeswortlaut von
Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 und
Art. 651 Abs. 3 OR
hat auch diesfalls die Generalversammlung über das Schicksal der Bezugsrechte zu befinden, und zwar im Ermächtigungsbeschluss selbst. Ausgeschlossen ist ein späterer Generalversammlungsbeschluss über das Schicksal der Bezugsrechte in Kenntnis des konkretisierten Erhöhungszwecks (vgl. Thomas von Planta, a.a.O., S. 68). Indessen drängt sich aus den bereits dargelegten Gründen die Frage auf, ob der Wortlaut der massgebenden Gesetzesvorschriften mit deren Rechtssinn übereinstimmt.
cc) Der angefochtene Generalversammlungsbeschluss verpflichtet den Verwaltungsrat, die bei der Realisierung der genehmigten Kapitalerhöhung
BGE 121 III 219 S. 229
auszugebenden Aktien den Aktionären anzubieten, ermächtigt ihn aber gleichzeitig, davon abzusehen, wenn er die Mittel zum Zweck einer gänzlichen oder teilweisen Unternehmensübernahme, einer Beteiligung an andern Unternehmen oder zur Finanzierung derartiger Transaktionen einsetzen will. Die Voraussetzungen des Bezugsrechtsausschlusses werden damit zwar bestimmt, allerdings nur in generell-abstrakter und nicht in individuell-konkreter Form. Die Ermächtigung umfasst somit auch die Konkretisierung des Zwecks der Kapitalbeschaffung. Zu prüfen ist im folgenden, ob damit der Trennung der Organkompetenzen noch hinreichend Rechnung getragen wird.
Wie bereits festgehalten worden ist, soll die genehmigte Kapitalerhöhung dem Verwaltungsrat namentlich ermöglichen, die für die Durchführung von Beteiligungsnahmen und Annexionen erforderlichen Aktien rasch bereitzustellen und die Übernahmeverhandlungen diskret zu führen. Im Zeitpunkt des Generalversammlungsbeschlusses ist indessen in der Regel nicht genau bekannt, wofür die Aktien dienen sollen, insbesondere kann noch offen sein, welche Unternehmen ganz oder zum Teil übernommen werden sollen. Einer Offenbarung bereits angebahnter, aber noch nicht abgeschlossener Verhandlungen stehen sodann die Geheimhaltungsinteressen der Beteiligten entgegen. Kann diesfalls aber - entsprechend dem Gesetzeswortlaut - der Verwaltungsrat mangels bestimmten Verwendungszwecks der neuen Aktien nicht in den Stand gesetzt werden, das Bezugsrecht der bisherigen Aktionäre auszuschliessen, so ist ein Ermächtigungsbeschluss der Generalversammlung zur Ausschöpfung des genehmigten Kapitals erst nach der Konkretisierung der Sachlage möglich. Dies dürfte in aller Regel die Aufnahme und Führung effizienter Übernahmeverhandlungen behindern, da der Verhandlungspartner sich kaum der mit einer voluntaristischen Bedingung des Bezugsrechtsausschlusses verbundenen Publizität aussetzen wird, die zudem im Hinblick auf die Aktienkurse und den durch sie beeinflussten Ausgabepreis der neuen Aktien häufig nicht im Interesse der übernehmenden Gesellschaft liegt. Wäre demnach
Art. 651 Abs. 3 OR
so auszulegen, dass er in Verbindung mit
Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 OR
eine Ermächtigung des Verwaltungsrats zum Entscheid über das Bezugsrecht ausschliesst, würde die Verwendbarkeit der genehmigten Kapitalerhöhung zu den ihr zugedachten Zwecken in der Praxis weitgehend illusorisch.
Das alte Aktienrecht unterstellte die Aufhebung des Bezugsrechts nicht unübertragbar dem Beschluss der Generalversammlung, sondern behielt
BGE 121 III 219 S. 230
ausdrücklich eine statutarische Regelung vor (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 5 in Verbindung mit Art. 652 aOR). In der Literatur waren die Auffassungen darüber geteilt, ob eine Delegation der Ausschlussbefugnis an den Verwaltungsrat zulässig sei. Die Frage wurde aber mehrheitlich bejaht (vgl. die Zitate in
BGE 117 II 290
E. 4e/cc S. 303). Das Bundesgericht hielt eine Delegation dann für unzulässig, wenn sie dem Verwaltungsrat ermöglichen sollte, das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot zu verletzen (
BGE 91 II 298
, 303/4). In
BGE 117 II 290
ff. (E. 4e) hat es aber präzisiert, dass der Bezugsrechtsausschluss für sich allein nicht als Machtmissbrauch der Mehrheit zu werten sei; er müsse jedoch sachlich gerechtfertigt sein und habe die Gebote der Gleichbehandlung der Aktionäre und der schonenden Rechtsausübung zu wahren. Unter diesen Voraussetzungen wurde die Möglichkeit bejaht, die Entscheidungskompetenz dem Verwaltungsrat zu übertragen, wobei eine Ermächtigung jedoch in Übereinstimmung mit
BGE 91 II 298
ff. als unzulässig betrachtet wurde, wenn sie auf unrechtmässige Zwecke hinzielte. Als Prinzip galt, dass nur der Ermächtigungsbeschluss mit dem Grundsatz und den Leitlinien in den Kontext der Statuten aufzunehmen war, dagegen die konkreten Einzelheiten zum Ausschluss des Bezugsrechts und zur Verwendung der nicht ausgeübten oder nicht ausübbaren Bezugsrechte nicht darin festgehalten werden mussten.
Das geltende Recht lässt statutarische Beschränkungen des Bezugsrechts nicht mehr zu, sondern hält eine ausschliessliche Zuständigkeit der Generalversammlung fest (
Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8,
Art. 651 Abs. 3,
Art. 698 Abs. 2 Ziff. 6 und
Art. 704 Abs. 1 Ziff. 6 OR
). Für das Verfahren der ordentlichen Kapitalerhöhung ist damit eine Delegation an den Verwaltungsrat nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes ausgeschlossen. Hinsichtlich der genehmigten Kapitalerhöhung ist die Rechtslage dagegen unklar, da - wie aufgezeigt - zwischen Wortlaut und Gesetzeszweck ein Widerspruch besteht. Dementsprechend sind denn auch die Meinungen in der Literatur geteilt (vgl. vorangehende E. 1c). Von den Autoren, welche eine Delegation für zulässig halten, schreibt Reymond die Kontroverse einem Missverständnis zu, weil nach seiner Auffassung das Gesetz lediglich verlangt, dass im Beschluss der Generalversammlung die wichtigen Gründe aufgelistet werden, welche der Verwaltungsrat bei der Aufhebung des Bezugsrechts zu beachten habe (a.a.O., S. 157). Er verweist auf die bundesrätliche Botschaft, nach welcher die Generalversammlung unter Umständen über den Ausschluss vom Bezugsrecht zu beschliessen habe, ohne
BGE 121 III 219 S. 231
dass ihr die genauen Gründe offengelegt werden können, und ihr lediglich die abstrakten Verwendungszwecke der neuen Aktien bekanntgegeben werden. Folglich habe die Verwaltung im Kapitalerhöhungsbericht darüber Aufschluss zu geben, ob die Voraussetzungen, unter denen der Bezugsrechtsausschluss für zulässig erklärt wurde, in Wirklichkeit eingehalten worden sind. Im gleichen Sinn ist Isler der Auffassung, die für die genehmigte Kapitalerhöhung unerlässliche Flexibilität erfordere die Möglichkeit, den Verwaltungsrat im Erhöhungsbeschluss zu ermächtigen, das Bezugsrecht für spezielle, von der Generalversammlung abstrakt umschriebene Verwendungszwecke der neuen Aktien auszuschliessen (a.a.O., S. 730 Fn. 24). Der Verwaltungsrat soll ermächtigt werden können, die vorgegebenen Ausschlussgründe zu konkretisieren, nicht aber auch, sie in eigener Kompetenz zu bestimmen (OR-ZINDEL/ISLER, N. 9 zu
Art. 652b OR
). Schliesslich betrachten BÖCKLI (a.a.O., S. 81 f. Rz. 280 ff.) und ihm folgend FORSTMOSER (Zulässigkeit des Festübernahmeverfahrens für Kapitalerhöhungen unter neuem Aktienrecht?, SZW 65/1993, S. 101 ff., S. 105 f.) die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum alten auch für das neue Aktienrecht als sachgerecht und massgebend, weil sie allein die Funktionalität des genehmigten Kapitals gewährleiste. Funktional müsse der Generalversammlung einzig die Festlegung des Rahmens zustehen, dessen Ausfüllung in allen Einzelheiten könne dem Verwaltungsrat überlassen werden. Noch weiter geht Nobel, der genügen lässt, dass die Generalversammlung den Verwaltungsrat im Delegationsbeschluss bloss auf die wichtigen Gründe oder das Gesetz verweist, ohne dass die Art der wichtigen Gründe anzugeben sei (a.a.O., S. 1176).
Der Wortlaut von
Art. 651 Abs. 3 OR
widerspricht der ratio legis, der Aktiengesellschaft mit dem genehmigten Kapital ein Instrument zur Verfügung zu stellen, mit dem sie sich die für besondere Zwecke erforderlichen Mittel flexibel zu beschaffen vermag. Das bereitgestellte Kapital könnte im Normalfall die ihm vom Gesetzgeber zugedachten Funktionen gar nicht erfüllen, wenn der Entscheid über den Bezugsrechtsentzug bereits in allen Einzelheiten im Ermächtigungsbeschluss getroffen werden müsste und es nicht dem Verwaltungsrat überlassen werden dürfte, ihn nach Massgabe des Kapitalbedarfs zu konkretisieren. Den Materialien ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber sich dieses Problems bewusst gewesen ist und die Lösung im Sinne des Gesetzeswortlauts hat treffen wollen. Aus der Absicht, den Schutz des Bezugsrechts zu verstärken, folgt sodann teleologisch nicht zwingend, dass die Interessenabwägung stets nur anhand eines konkreten
BGE 121 III 219 S. 232
Projektes vorzunehmen sei. Wird berücksichtigt, dass die Ermächtigung des Verwaltungsrats auf bis zu zwei Jahre befristet werden kann (
Art. 651 Abs. 1 OR
), so erscheint die Annahme lebensfremd, die Einzelheiten des Bezugsrechts liessen sich bereits im Zeitpunkt des Ermächtigungsbeschlusses endgültig festlegen. Zu beachten ist zudem, dass der Entscheid über die Zulässigkeit des Entzugs der Bezugsrechte zwar vorrangig vom Verwendungszweck der neuen Aktien abhängt, ebenso aber auch vom Preis dieser Aktien, denn die relative Vermögenseinbusse des Altaktionärs, die Vermögensverwässerung, ist um so geringer, je näher der Ausgabepreis beim Marktwert liegt (BÖCKLI, a.a.O., S. 80 Rz. 277). Über die Frage der Zumutbarkeit einer solchen Vermögenseinbusse lässt sich daher von vornherein erst befinden, wenn auch die vermögensmässigen Folgen des Bezugsrechtsausschlusses zu überblicken sind, das heisst namentlich der Ausgabepreis der neuen Aktien feststeht. Im Zeitpunkt des Ermächtigungsbeschlusses ist dies aber regelmässig nicht der Fall.
Das Bezugsrecht hat eine mitgliedschaftsrechtliche und eine vermögensrechtliche Seite (MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Grundriss des schweizerischen Gesellschaftsrechts, 7. Aufl., S. 286 f. Rz. 98 f.). Auf beide bezieht sich der Schutz, den
Art. 652b Abs. 2 OR
durch die Voraussetzung wichtiger Gründe für den Bezugsrechtsausschluss und das Gleichbehandlungsgebot bieten will. In vermögensrechtlicher Hinsicht ist in diesem Zusammenhang - wie soeben erörtert - vor allem der Ausgabepreis der neuen Aktien von Bedeutung. Im Zeitpunkt des Beschlusses einer genehmigten Kapitalerhöhung stehen diese für die Beurteilung massgebenden Kriterien normalerweise noch nicht in konkreter Form fest. Müsste aber ein ausreichend konkretisiertes Projekt abgewartet werden, das eine solche Beurteilung mit Sicherheit zuliesse, so könnte ebensogut eine ordentliche Kapitalerhöhung durchgeführt werden, womit das Institut des genehmigten Kapitals toter Buchstabe bliebe. Dass dies nicht der Regelungsabsicht des Gesetzgebers entspricht, liegt auf der Hand. Damit sind die Voraussetzungen gegeben, den Rechtssinn von
Art. 651 Abs. 3 OR
in Einschränkung des Wortlauts nach dem zweckgerichteten Verständnis der Norm zu bestimmen und das Versehen des Gesetzgebers, zwei materiell verschiedene Sachverhalte gleichzustellen, so zu korrigieren, dass die Regelung für beide Fälle praktikabel ist.
Die teleologische Reduktion ist auf das erforderliche Mass zu beschränken. Daher ist den vorne wiedergegebenen Literaturmeinungen zu folgen, dass der
BGE 121 III 219 S. 233
Ermächtigungsbeschluss die wesentlichen Zwecke zu nennen hat, zu deren Verfolgung das Bezugsrecht ausgeschlossen werden darf, der Entscheid darüber aber gemäss den Vorgaben der Generalversammlung an den Verwaltungsrat delegiert werden kann. Zu weit geht dagegen eine Ermächtigung des Verwaltungsrats, die Ausschlussgründe in eigener Kompetenz festzulegen. Selbstverständlich ist sodann, dass die Generalversammlung auch nach geltendem Recht nicht befugt ist, die Kompetenzdelegation auf unrechtmässige Vorgänge auszurichten. Geschieht dies dennoch, so besteht die Möglichkeit, gegen den Beschluss der Generalversammlung Anfechtungsklage zu erheben (
Art. 706 OR
). Gegen Missbräuche der rechtmässig delegierten Kompetenz durch den Verwaltungsrat kann sich ein betroffener Aktionär dagegen nur mit den Haftungsklagen gemäss
Art. 722 und
Art. 754 OR
zur Wehr setzen. Aus dem mitgliedschaftsrechtlichen Blickwinkel mag diese Lösung unbefriedigend erscheinen, aus dem Zweck der gewollten Flexibilisierung der Kapitalbeschaffung drängt sie sich jedoch auf. Zudem ist zu beachten, dass die Delegationskompetenz auch weiterhin nicht generell, sondern bloss individuell, nach den Gegebenheiten des konkreten Falls zu beurteilen und zu umschreiben ist. Dabei ist nicht ausser acht zu lassen, dass das Bezugsrecht seine Hauptbedeutung in den Aktiengesellschaften kleinerer und mittlerer Grösse hat, seine mitgliedschaftsrechtliche Bedeutung aber geringer ist, wenn es um Grossgesellschaften mit börsenkotierten und weit gestreuten Aktien geht. Hier kann ein Aktionär seine Stellung in der Regel auf dem freien Markt sichern oder ausbauen. Werden die neuen Aktien solcher Gesellschaften zudem zu Marktbedingungen ausgegeben, verliert das Bezugsrecht weitgehend seine vermögensrechtliche Bedeutung als Kapitalertrag (vgl. HIRSCH, SZW 63/1991, S. 295).
Hinzu kommt, dass der Beschluss der Generalversammlung über eine genehmigte Kapitalerhöhung in jedem Fall eine bezugsrechtsrelevante Ermächtigung an den Verwaltungsrat beinhaltet, auch wenn die Möglichkeit des Ausschlusses bereits an einem konkreten Projekt orientiert wird. Selbst diesfalls wird der Verwaltungsrat bloss autorisiert und nicht verpflichtet, die neuen Aktien Dritten zuzuweisen. Es bleibt ihm deshalb überlassen, vom in Aussicht genommenen Projekt abzusehen und das Bezugsrecht wieder aufleben zu lassen. Diese Entscheidungsfreiheit kann im Rahmen des Ermächtigungsbeschlusses ausdrücklich festgehalten werden (OR-ZINDEL/ISLER, N. 9 zu
Art. 652b OR
). Sie steht dem Verwaltungsrat aber auch dann zu, wenn
BGE 121 III 219 S. 234
dies von der Generalversammlung nicht vorgesehen worden ist (KURER, SZW 66/1994, S. 293), was ohne weiteres bereits aus dem Begriff der Ermächtigung als Kompetenzzuteilung folgt (
Art. 651 Abs. 1 OR
).
Diese Überlegungen führen zum Ergebnis, dass die bisherige Rechtsprechung (
BGE 117 II 290
E. 4e/cc S. 302 ff.) grundsätzlich auch unter der Herrschaft des neuen Aktienrechts gilt und damit eine Delegation des Entscheids über den Bezugsrechtsausschluss an den Verwaltungsrat unter den genannten Voraussetzungen zulässig ist. Die gegenteilige Auffassung des Handelsgerichts verletzt somit Bundesrecht.
2.
Zwischen den Parteien ist im weitern streitig, ob die Gründe, welche den Ausschluss des Bezugsrechts erlauben, im Delegationsbeschluss der Generalversammlung ausreichend konkret umschrieben worden sind.
Wie bereits dargelegt worden ist, hat der Ermächtigungsbeschluss der Generalversammlung den Grundsatz und die Leitlinien, das heisst die Rahmenbedingungen zu enthalten, unter welchen der Verwaltungsrat befugt ist, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschliessen oder zu beschränken. Ungenügend wäre daher, dem Verwaltungsrat ohne nähere Eingrenzung einzig aufzutragen, das Bezugsrecht nach Massgabe des Gesetzes oder aus wichtigen Gründen zu entziehen. Aus dem auch im Gesellschaftsrecht gültigen Vertrauensgrundsatz folgt sodann, dass die Verwaltung die Generalversammlung über konkrete Absichten soweit möglich umfassend zu orientieren hat, es sei denn, legitime Interessen der Gesellschaft oder Dritter ständen dieser Offenbarung entgegen. Das bedeutet indessen nicht, dass eine genehmigte Kapitalerhöhung mit Ermächtigung zum Bezugsrechtsentzug immer dann ausgeschlossen ist, wenn die Realisierung eines konkreten Vorhabens noch unsicher erscheint. Vielmehr ist auch hier auf eine Interessenabwägung im Einzelfall abzustellen. Vom Standpunkt des bezugsberechtigten Aktionärs aus macht es dabei einen Unterschied, ob das genehmigte Kapital einer bedeutenden Publikumsgesellschaft oder einer kleinen bis mittleren, mit personalistischen Elementen durchsetzten Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden soll. Weiter ist im allgemeinen erheblich, in welcher relativen Höhe sich das genehmigte zum bisherigen Aktienkapital verhält, ist doch für die Altaktionäre von Bedeutung, ob Dritte neu mit der Hälfte des bisherigen Aktienkapitals oder bloss mit einer marginalen Quote an der Gesellschaft beteiligt werden sollen (KURER, SZW 66/1994, S. 294). Entsprechend sind die Anforderungen an die von der Generalversammlung festzulegenden Rahmenbedingungen differenziert zu
BGE 121 III 219 S. 235
bestimmen. Geht es um Publikumsgesellschaften mit breit gestreutem, börsenkotiertem Aktienkapital, dürfen die Anforderungen nicht überdehnt werden. In solchen Fällen muss es in Berücksichtigung des mit dem genehmigten Kapital verfolgten Zweckes genügen, dass der Verwaltung in einer den allgemeinen Begriff des wichtigen oder sachlichen Grundes eingrenzenden Anordnung die Kompetenzen beschränkt werden. Es braucht nicht das individuelle Vorhaben als solches bezeichnet zu werden, welches den Ausschluss des Bezugsrechts rechtfertigen soll, sondern es genügt, dass der Verwaltung durch generell-abstrakte Weisungen ein sachlich begrenzter Ermessensspielraum gesetzt wird, innerhalb dessen sie geschäftspolitisch tätig werden kann.
Die in der angefochtenen Statutenbestimmung der Beklagten - einer Publikumsgesellschaft mit börsenkotiertem, breit gestreutem Aktienkapital - genannten Ausschlussgründe der Übernahme von Unternehmen, Unternehmensteilen oder Beteiligungen entsprechen den in
Art. 652b Abs. 2 OR
aufgeführten Beispielen sowie den gesetzespolitischen Zielsetzungen des genehmigten Kapitals. Die genehmigte Kapitalerhöhung um insgesamt höchstens 200 Millionen Franken machte knapp 7,8% des damaligen Aktienkapitals von 2'575 Millionen Franken aus (Stand vom 23. April 1993). Unter Einbezug des von der Generalversammlung gleichzeitig beschlossenen bedingten Kapitals von höchstens 100 Millionen Franken ergibt sich ein maximaler Kapitalzuwachs um rund 11,6%. Unter diesen Umständen ist die Umschreibung der Entzugsvoraussetzungen im Delegationsbeschluss aus den dargelegten Gründen als hinreichend konkret zu beurteilen. Insoweit verstösst der angefochtene Generalversammlungsbeschluss nicht gegen Bundesrecht.
3.
Bereits im kantonalen Verfahren war zudem streitig, ob die im Delegationsbeschluss erwähnte Finanzierung von Übernahmen und Beteiligungen als sachlicher oder wichtiger Grund für den Bezugsrechtsausschluss gelten könne. Das Handelsgericht liess die Frage letztlich offen, äusserte sich aber dennoch zu den Argumenten der Beklagten, welche diese nun auch im bundesgerichtlichen Verfahren vorbringt. Die Beklagte führt zur Begründung ihres Standpunktes die bankenrechtlichen Eigenmittelanforderungen, die Notwendigkeit rascher Mittelbeschaffung, die sachgerechte Plazierung von Aktien auf besonderen Kapitalmärkten und die wirtschaftlichen Vorteile für die Gesellschaft an.
Nach Auffassung des Handelsgerichts durfte die Beklagte im gerichtlichen Verfahren nur solche Argumente vorbringen, die bereits an der
BGE 121 III 219 S. 236
Generalversammlung erwähnt worden waren; ein Nachschieben von anderen Gründen - zu denen es sich aber trotzdem äusserte - hielt es für unzulässig. In dieser Begründung liegt nicht etwa eine das Bundesgericht bindende Beschränkung des rechtserheblichen Sachverhalts (
Art. 63 Abs. 2 OG
), sondern bloss ein Einwand aus der gebotenen Aufklärung der Aktionäre, über den als Rechtsfrage im Berufungsverfahren entschieden werden kann. Dabei ist der Auffassung des Handelsgerichts nicht zu folgen, dass bei der normativen Beurteilung einer Statutenänderung im Anfechtungsverfahren nur jene Argumente zu beachten wären, die in der Generalversammlung zur Sprache gekommen sind. Die Rechtskonformität einer beschlossenen Regelung kann vielmehr umfassend geprüft werden, was sich bereits aus dem bundesrechtlichen Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen ergibt.
Die Hinweise der Beklagten auf die bankenrechtlichen Eigenmittelanforderungen und die wirtschaftlichen Nachteile einer Kapitalerhöhung mit Gewährung des Bezugsrechts gegenüber den Vorteilen einer Drittplazierung der Aktien vermögen allerdings nicht zu überzeugen. So fliessen die erforderlichen Eigenmittel der Gesellschaft auch bei Wahrung des Bezugsrechts zu, wie das Handelsgericht zutreffend festgehalten hat. Die wirtschaftlichen Nachteile des Bezugsrechts für die Gesellschaft sodann sind, sofern sie sich tatsächlich auswirken, dem Schutzanspruch der bisherigen Aktionäre immanent und vermögen für sich allein dessen Aufhebung nicht zu rechtfertigen. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Gesellschaft im Einzelfall ein gewichtiges Interesse haben kann, möglichst viel Eigenkapital zum Marktwert der Aktien aufzunehmen und privilegierte Aktienzeichnungen der Bezugsberechtigten zu vermeiden, doch lässt sich daraus allenfalls der Bezugsrechtsausschluss als solcher begründen (dazu OR-ZINDEL/ISLER, N. 20 zu
Art. 652b OR
), im allgemeinen aber nicht auch eine Kompetenzdelegation an den Verwaltungsrat ausserhalb konkreter Vorhaben. Dass der vorliegende Fall in dieser Hinsicht besonders gelagert sei, ist weder festgestellt noch geltend gemacht.
Zu erörtern bleiben damit die Hinweise der Beklagten auf Zeitbedarf und marktbezogenen Finanzierungsspielraum. Diese Umstände werden im Gesetz zwar nicht als wichtige Gründe genannt, doch ist die Aufzählung in
Art. 652b Abs. 2 OR
nicht abschliessend, sondern lediglich exemplifikatorisch. Die Delegationskompetenz ist mithin auch insoweit nach der ratio legis und den Besonderheiten des Einzelfalls zu beurteilen. Was den Zeitbedarf anbelangt,
BGE 121 III 219 S. 237
erscheint die Angabe der Beklagten durchaus realistisch, dass es ihr als Grossgesellschaft mit breit und international gestreutem Aktienkapital im Fall der Gewährung des Bezugsrechts nicht möglich ist, eine Liberierungsfrist von rund einem Monat zu unterschreiten, ohne das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre zu verletzen. Bereits unter diesem Gesichtspunkt liesse sich der Ausschluss des Bezugsrechts rechtfertigen. Wesentlicher ist indessen das weitere Argument des Finanzierungsspielraums. In der Literatur wird zutreffend darauf hingewiesen, dass internationale Aktienplazierungen zu Marktbedingungen häufig einem echten Bedürfnis von Grossgesellschaften entsprechen und auf den internationalen Märkten auch verbreitet praktiziert werden (HIRSCH, SZW 63/1991, S. 295). BÖCKLI bezeichnet solche Aktienplazierungen sogar als wichtigsten Fall, in dem sich bei international tätigen Gesellschaften der Entzug des Bezugsrechts rechtfertige (a.a.O., S. 79 Rz. 272). ISLER (a.a.O., S. 735), ZINDEL/ISLER (N. 20 zu
Art. 652b OR
) und ANDREAS VON PLANTA (Aktionärsschutz bei der bedingten Kapitalerhöhung, SZW 64/1992, S. 205 ff., S. 208) sprechen sich ebenfalls für die Möglichkeit des Bezugsrechtsentzugs zu solchen Zwecken aus. Schliesslich weist NOBEL (a.a.O., S. 1175) zutreffend darauf hin, dass die Finanzierung von Investitionen zwar für sich allein kaum als wichtiger Grund betrachtet werden darf, dagegen die Interessenabwägung bei bestimmten Finanzierungssituationen einen Entzug zu rechtfertigen vermag, namentlich wenn damit eine Kotierung der Aktien an ausländischen Börsen verbunden ist. Das trifft vor allem für solche internationalen Sachverhalte zu, bei denen im Falle von Annexionen, Fusionen oder wesentlichen Beteiligungserwerben einer Vorschrift des ausländischen Rechts nachzuleben ist, wonach Aktien der übernehmenden Gesellschaft am Sitz der übernommenen Gesellschaft zu kotieren oder mindestens auf dem dortigen Aktienmarkt zu plazieren sind. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass auch die Finanzierung von Übernahmen und Beteiligungen im Einzelfall die Aufhebung des Bezugsrechts zu rechtfertigen vermag.
In solchen Fällen ist es zudem zulässig, dass die Generalversammlung den Entscheid über den Entzug des Bezugsrechts an die Verwaltung delegiert. Die Gefahr der Kapitalverwässerung erscheint unter den geschilderten Umständen als gering bzw. vermeidbar, da einerseits bei der Plazierung der Aktien die Marktkonditionen zu beachten sind und anderseits im Fall unterbewerteter börsenkotierter Aktien für die Aktionäre die Möglichkeit besteht, sich auf
BGE 121 III 219 S. 238
dem Markt einzudecken. Nicht auszuschliessen ist allerdings die Gefahr einer Verringerung des Gewinnanteils und der relativen Stimmkraft (Gewinnanteil- und Stimmrechtsverwässerung; vgl. BÖCKLI, a.a.O., S. 79 Rz. 273), doch gebührt insoweit den überwiegenden Interessen der Gesellschaft der Vorrang. Allerdings hat die Verwaltung die sich aus dem Gebot der schonenden Rechtsausübung ergebenden Schranken beim Entscheid über den Bezugsrechtsentzug besonders sorgfältig zu beachten, weshalb auch hohe Anforderungen an die im Rechenschaftsbericht nach
Art. 652e Ziff. 4 OR
aufzuführende Begründung zu stellen sind.
Diese Erwägungen führen zum Ergebnis, dass der angefochtene Generalversammlungsbeschluss auch in diesem Punkt nicht gegen Bundesrecht verstösst.
4.
a) Gemäss
Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 OR
ist im Ermächtigungsbeschluss der Generalversammlung die Zuweisung nicht ausgeübter oder entzogener Bezugsrechte zu regeln. Nach Auffassung des Handelsgerichts sind auch in diesem Zusammenhang konkrete Angaben erforderlich, namentlich zum Kreis der Enderwerber, die im angefochtenen Generalversammlungsbeschluss indessen fehlten, weshalb dieser auch insoweit bundesrechtswidrig sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Generalversammlung den Verwaltungsrat ermächtigt, die allenfalls entzogenen Bezugsrechte Dritten zuzuweisen. Aufgrund einer sachgerechten Auslegung, die vor allem die in der Statutenbestimmung erwähnten Ausschlussgründe berücksichtigt, ergibt sich, dass als Dritte nur entweder die Inhaber der übernommenen Unternehmen sowie im Falle eines Finanzierungsausschlusses das Publikum in Frage kommen. Insoweit steht die Regelung in engem sachlichem Zusammenhang mit jener bezüglich des Entzugstatbestands und ist gleich wie diese als bundesrechtskonform zu betrachten. Eine weitergehende Individualisierung der Enderwerber verlangt
Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 OR
nicht (vgl. BÖCKLI, a.a.O., S. 54 Rz. 180).
Die nicht ausgeübten Bezugsrechte stehen nach dem angefochtenen Beschluss zur Verfügung des Verwaltungsrats, der sie im Interesse der Gesellschaft zu verwenden hat. Diese Kompetenzdelegation ist nicht zu beanstanden, zumal die Anforderungen an die statutarische Regelung hier weniger hoch anzusetzen sind als im Fall des Entzugs der Bezugsrechte, weil dem Vorgang ein freiwilliger Verzicht zugrunde liegt, mit welchem der Bezugsberechtigte zu erkennen gibt, dass er eine mögliche Beeinträchtigung seiner Mitgliedschafts- und Vermögensrechte in Kauf nimmt. Eine solche Delegation
BGE 121 III 219 S. 239
wird denn auch in der Literatur als zulässig erachtet (BÖCKLI, a.a.O., S. 54 Rz. 180; OR-ZINDEL/ISLER, N. 29 zu
Art. 650 OR
; WATTER, Die Gründung und Kapitalerhöhung im neuen Aktienrecht, Schriftenreihe SAV, Heft 11, S. 55 ff., S. 59). Mit der Verpflichtung des Verwaltungsrats, die Bezugsrechte im Interesse der Gesellschaft zu verwenden, wird zudem klargestellt, dass eine Veräusserung in der Regel zu Marktkonditionen zu erfolgen hat. Im weitern wird damit sichergestellt, dass der Verwaltungsrat entsprechend der Regelungsabsicht des Gesetzgebers die Interessen der ihm nicht angehörenden Aktionäre bei der Verwendung der Bezugsrechte berücksichtigen muss.
b) Die vorangehenden Erwägungen führen zum Ergebnis, dass der angefochtene Generalversammlungsbeschluss nicht gegen Bundesrecht verstösst, soweit damit die Schaffung eines genehmigten Aktienkapitals beschlossen worden ist. Die Berufung erweist sich insoweit als begründet.
5.
Nach dem Gesetz kann die Generalversammlung eine bedingte Kapitalerhöhung beschliessen, indem sie in den Statuten den Gläubigern von neuen Anleihens- oder ähnlichen Obligationen gegenüber der Gesellschaft oder ihren Konzerngesellschaften sowie den Arbeitnehmern Rechte auf den Bezug neuer Aktien (Wandel- oder Optionsrechte) einräumt (
Art. 653 Abs. 1 OR
). Sollen mit Wandel- oder Optionsrechten verbundene Obligationen ausgegeben werden, ist den Aktionären entsprechend ihrer bisherigen Beteiligung ein Vorwegzeichnungsrecht einzuräumen (
Art. 653c Abs. 1 OR
), das nur aus wichtigem Grund beschränkt oder aufgehoben werden kann (
Art. 653c Abs. 2 OR
). Diesfalls haben die Statuten gemäss dem Wortlaut des Gesetzes die Voraussetzungen für die Ausübung der Wandel- oder Optionsrechte sowie die Grundlagen zu enthalten, nach denen der Ausgabebetrag zu berechnen ist (
Art. 653b Abs. 2 OR
).
Das Handelsgericht redet angesichts der nach ihrem Wortlaut in verschiedener Hinsicht wenig praktikablen gesetzlichen Ordnung (vgl. dazu FORSTMOSER, SZW 64/1992, S. 61 f.; ANDREAS VON PLANTA, a.a.O., S. 207) einem gesellschaftsfreundlichen Verständnis des Instituts das Wort, indem es zu Recht die ratio legis in den Vordergrund stellt. Dennoch hält es den angefochtenen Beschluss für ungültig, im wesentlichen mit den Begründungen, dass die Kreise der Wandel- oder Optionsberechtigten zuwenig differenziert angegeben, der Entscheid über die Aufhebung des Vorwegzeichnungsrechts unzulässigerweise von der Generalversammlung an den Verwaltungsrat
BGE 121 III 219 S. 240
delegiert und dem Erfordernis des wichtigen Grundes nicht hinreichend Ausdruck gegeben worden sei.
a) Die Statuten haben unter anderem den Kreis der Wandel- oder der Optionsberechtigten anzugeben (
Art. 653b Abs. 1 Ziff. 3 OR
). Die angefochtene Statutenbestimmung beschränkt diesen Kreis undifferenziert auf die Inhaber von mit Wandel- oder Optionsrechten verbundenen Anleihensobligationen einerseits und auf die zu beteiligenden Mitarbeiter anderseits. Das Handelsgericht hält diese Angaben unter Hinweis auf Literaturmeinungen (ANDREAS VON PLANTA, a.a.O., S. 207; OR-ISLER/ZINDEL, N 13 zu Art. 653b) für ungenügend, da die Generalversammlung zu entscheiden habe, ob und wieviel der mittels bedingter Kapitalerhöhung geschaffenen Aktien maximal welcher Gruppe zur Verfügung stehen sollen. Dieser Auffassung ist zuzustimmen, namentlich mit Blick auf das Bezugsrecht der Aktionäre, das bei der Begebung von Mitarbeiteraktien notwendigerweise ausgeschlossen ist, wogegen es bei Anleihensobligationen durch das gesetzliche Vorwegzeichnungsrecht im Regelfall mittelbar gewahrt bleibt. Der Aktionär hat daher Anspruch darauf zu wissen, welcher Betrag des bedingten Kapitals maximal den Mitarbeitern zur Verfügung gestellt wird. Wie ANDREAS VON PLANTA (a.a.O., S. 207) zutreffend ausführt, geht es nicht an, für die Mitarbeiterbeteiligung ausgegebene Aktien zur Deckung von Wandelanleihen zu verwenden und umgekehrt. Die beidseitigen Maximalquoten sind deshalb von der Generalversammlung selbst zu beschliessen und in die Statuten aufzunehmen. Diesem Erfordernis genügt der angefochtene Beschluss nicht.
b) Zu Recht vertritt sodann das Handelsgericht die Meinung, dass der Beschluss über den Entzug oder die Beschränkung des Vorwegzeichnungsrechts systemgerecht in die Kompetenz der Generalversammlung falle. Das ergibt sich zwangsläufig aus der engen Verbindung dieses Anspruchs mit dem Bezugsrecht. Insoweit besteht denn auch Einigkeit in der Literatur (BÖCKLI, a.a.O., S. 83 Rz. 288; OR-ISLER/ZINDEL, N. 20 zu Art. 653b und N. 8 zu Art. 653c; NOBEL, a.a.O., S. 1178). Aus den bereits im Zusammenhang mit der genehmigten Kapitalerhöhung erörterten Gründen, die entsprechend gelten, muss es auch bei der bedingten Kapitalerhöhung grundsätzlich zulässig sein, die Entzugsbefugnis an den Verwaltungsrat zu delegieren. Dies setzt nach dem Gesagten aber ebenfalls voraus, dass unter anderem die für einen Entzug des Vorwegzeichnungsrechts erforderlichen wichtigen Gründe gemäss
Art. 653c Abs. 2 OR
im Delegationsbeschluss mindestens in abstrakter Form angegeben
BGE 121 III 219 S. 241
werden, das heisst ihre Bestimmung nicht dem Verwaltungsrat überlassen werden kann. Diese rechtliche Gleichbehandlung der beiden Sachverhalte drängt sich bereits aufgrund des einheitlich für beide Arten der Kapitalerhöhung geltenden Verwässerungsschutzes auf. Wichtige Gründe für den Ausschluss des Vorwegzeichnungsrechts werden indessen im angefochtenen Beschluss nicht spezifiziert, so dass er auch in dieser Hinsicht gegen Bundesrecht verstösst.
Das Spezifikationserfordernis wird nicht etwa dadurch ersetzt, dass der Verwaltungsrat im angefochtenen Beschluss verpflichtet wird, die Anleihensbedingungen an den Marktverhältnissen zu orientieren. Diese Verpflichtung setzt dem Entzug des Vorwegzeichnungsrechts zwar eine Schranke, die indessen nicht mit jener des Vorliegens eines sachlichen oder wichtigen Grundes übereinstimmt, da sie allein die Vermögensrechte der Aktionäre wahrt, nicht aber auch die mittelbaren Mitgliedschaftsrechte, deren Beschränkung einer zusätzlichen Rechtfertigung bedarf. Die Ausrichtung auf die Marktbedingungen schliesst zudem eine vermögensrechtliche Benachteiligung der Aktionäre nicht an sich schon aus, namentlich nicht im Fall von unterbewerteten und auf dem Markt nicht beliebig verfügbaren Titeln. Das Erfordernis eines von der Sache und nicht bloss von den Anleihensbedingungen her wichtigen Grundes lässt sich sodann auch nicht mit den Argumenten aus der Welt schaffen, dass in aller Regel eine rasche Plazierung der Obligationen notwendig sei und das Vorwegzeichnungsrecht angesichts des usanzgemäss eher bescheidenen Umfangs des bedingten Kapitals ohnehin nur für grössere Aktionäre praktische Bedeutung erlange. Abgesehen davon, dass auch die Inhaber namhafter Aktienpakete Anspruch auf Rechtsschutz haben, käme diese Auffassung im Ergebnis einem allgemeinen Verzicht auf das Vorwegzeichnungsrecht gleich, was mit dem Gesetz auch bei weitester Auslegung nicht zu vereinbaren wäre. Der Entzug des Vorwegzeichnungsrechts muss daher in jedem Fall durch ein vorrangiges Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt werden können (REYMOND, a.a.O., S. 158). Anders entscheiden hiesse, das gesetzliche Verhältnis von Regel und Ausnahme in sein Gegenteil zu verkehren (NOBEL, a.a.O., S. 1178).
c) Daraus folgt, dass der Beschluss zur bedingten Kapitalerhöhung von der Vorinstanz zu Recht für ungültig erklärt worden ist. Insoweit erweist sich die Berufung als unbegründet. | 10,792 | 8,080 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-121-III-219_1995 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=23&from_date=&to_date=&from_year=1995&to_year=1995&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=224&highlight_docid=atf%3A%2F%2F121-III-219%3Ade&number_of_ranks=329&azaclir=clir | BGE_121_III_219 |
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0003a333-d2f0-4ff8-b970-54094430db93 | 1 | 82 | 1,357,671 | 252,460,800,000 | 1,978 | de | Sachverhalt
ab Seite 111
BGE 104 III 110 S. 111
A.-
Am 31. August 1971 schloss das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement, vertreten durch den Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge, mit der Kommanditgesellschaft Pierre Pobé & Co. Edelstahl, Basel, einen Pflichtlagervertrag über 1310,7 t Edelstahlprodukte ab. Dieser Vertrag berechtigte die Firma zur Beanspruchung eines Pflichtlagerkredits von insgesamt Fr. 8'894'700.-. Dieser von sechs verschiedenen Banken zusammen gewährte Kredit wurde zu günstigen Zinsbedingungen eingeräumt und vom Bund garantiert.
Am 10. September 1973 wies die Firma den Bestand des Pflichtlagers durch betrügerische Machenschaften mit 3083,6 t aus und erhielt gestützt auf das Verpflichtungsformular weitere Fr. 8'249'500.-, womit sich der vom Bund garantierte Kredit auf total Fr. 17'144'200.- erhöhte. In Wirklichkeit wurde kein Kilogramm Stahl dazugekauft. Ende 1974/anfangs 1975 machte die Firmenleitung auf deliktische Weise beim Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge erhöhte Wiederbeschaffungspreise geltend und nahm weitere Fr. 5'500'000.- an Pflichtlagerkrediten in Anspruch. Die vom Bund garantierten Kredite beliefen sich damit auf total Fr. 22'644'200.-.
Die Vertragsparteien gingen bei dieser Erhöhung von der im Pflichtlagervertrag vom 10. September 1973 umschriebenen Produktmenge aus. Dieser Vertrag sowie die ihn ergänzenden Verpflichtungsformulare vom 10./27. September 1973 und 8. Januar 1975 führten unter der Rubrik "Warengattung" u.a. eine Position "Rohre 4301, nahtlos, Zoll-Tarif-Nr. 7318.12, 289,7 t" und eine Position "Rohre 4435, nahtlos, Zoll-Tarif-Nr. 7318.12,
BGE 104 III 110 S. 112
361,9 t" auf. Sowohl in der Beilage zum Pflichtlagervertrag als auch in den Verpflichtungsformularen wurde zusätzlich der Lagerort festgehalten, entsprechend Ziffer 1 der "Wegleitung und Bedingungen für die Finanzierung von Pflichtlagern".
B.-
Eine von den zuständigen Organen des Büros des Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge im Sommer 1976 durchgeführte Kontrolle des Pflichtlagers bei der Firma Pobé & Co. ergab, dass beträchtliche Unterbestände vorlagen. Diese betrugen gemäss einer Selbstdeklaration der Firma per 20. Oktober 1976 bei den fraglichen zwei Positionen 101,978 t bzw. 87,782 t. Da der unbeschränkt haftende Komplementär, Dr. Pobé, den Aufforderungen zur Wiederherstellung des vertragsmässigen Zustandes bzw. zur Sicherstellung des ungedeckten Betrags von ca. Fr. 12'640'000.- keine Folge leistete, wurde gegen ihn und seinen Direktor eine Strafverfolgung eingeleitet. Der Delegierte für wirtschaftliche Kriegsvorsorge führte am 5. Mai 1977 durch Wechselbetreibung den Gesellschaftskonkurs und am 13. Mai 1977 auch den Privatkonkurs von Dr. Pobé herbei. Bis zum Konkursausbruch wurden die fraglichen Lagerbestände nicht mehr ergänzt.
Mit Schreiben vom 17. Mai 1977 meldete der Delegierte für wirtschaftliche Kriegsvorsorge das Aussonderungsrecht des Bundes gemäss Art. 3 der Verordnung über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge vom 26. April 1963 und Art. 11 und 12 des Bundesgesetzes über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge vom 30. September 1955 beim Konkursamt Basel-Stadt, wie folgt an:
"2. Aussonderungsanspruch an sämtlichen noch vorhandenen Edelstahlvorräten bis zur vertraglich vereinbarten Gesamtmenge von maximal 3086,6 t gemäss
Art. 11 Abs. 1 sowie
Art. 12 Abs. 1 KVG
und insbesondere Art. 1 Abs. 2 der Aussonderungsverordnung. Nach der beiliegenden Liste betragen diese Mengen buchmässig:
- In Basel und Birsfelden gemäss Pflichtlagervertrag 1 173 015 kg
- Freie Vorräte in Basel und Birsfelden 164 902 kg
- Gemäss Pflichtlagervertrag in Ditzingen (D) 3 093 kg
- Gemäss Pflichtlagervertrag in Reutlingen (D) 25 498 kg
----------
Total 1 366 508 kg
Gemäss der zitierten Bestimmung der Verordnung fallen die im Verpflichtungsformular nicht ausdrücklich erwähnten Edelstahlprodukte ebenfalls ins Eigentum des Bundes, und zwar auch diejenigen, die sich im KO-Lager Horlach in Ditzingen (D) und bei der CM-Stahlhandel GmbH in Reutlingen (D) befinden."
BGE 104 III 110 S. 113
Am 7. Mai 1977 waren 375 t "nahtloser" Rohre im Gegenwert von Fr. 4'173'000.- vorhanden, die unbestrittenermassen dem Aussonderungsrecht des Bundes unterstanden. Dazu kamen noch 33,849 t bzw. 35,758 t "längsgeschweisste" Rohre mit den im Verpflichtungsformular aufgeführten Zolltarifnummern und Werkstoffen (4301 und 4435). Seit ungefähr zwei Jahren (1976/77) sollen diese längsgeschweissten die bisherigen nahtlosen Rohre praktisch vom Markt verdrängt haben. Der Delegierte für wirtschaftliche Kriegsvorsorge beanspruchte das Aussonderungsrecht des Bundes auch für diese längsgeschweissten Rohre, während die Konkursmasse der Pierre Pobé & Co. Edelstahl diese nach der neuen Herstellungsart produzierten Rohre als zum freien Lager bzw. zu den freien Betriebsvorräten gehörend betrachtete.
Das Konkursamt Basel-Stadt wies den Aussonderungsanspruch des Bundes an längsgeschweissten Rohren mit Verfügung vom 5. Januar 1978 ab. Zur Begründung führte es an, bei diesen Waren handle es sich um freies Lager. Dem Bund stehe ein Aussonderungsrecht gemäss Gesetz nur am Pflichtlager zu.
C.-
Am 13. Januar 1978 erhob der Delegierte für wirtschaftliche Kriegsvorsorge namens der Schweizerischen Eidgenossenschaft beim Bundesgericht Klage gegen die Konkursmasse der Pierre Pobé & Co. Edelstahl, Basel, mit den folgenden Anträgen:
"1. Es sei die Verfügung des Konkursamtes Basel-Stadt vom 5. Januar 1978 betr. Abweisung der Aussonderungsansprüche der Eidgenossenschaft an längsgeschweissten Rohren der konkursiten Firma P. Pobé & Co. Edelstahl, Basel, Werkstoff 4301, gemäss Inventar-Nr. 186 im Werte von Fr. 135'396.-, dito, Werkstoff Nr. 4435, gemäss Inventar-Nr. 187 im Werte von Fr. 23'838.- sowie dito, Werkstoff 4435, gemäss Inventar Arlesheim im Werte von Fr. 169'826.41 aufzuheben und die genannten Gegenstände bzw., soweit sie bereits verkauft wurden, deren Erlös aus der Konkursmasse zu entlassen.
2. Unter Kostenfolge sowie Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten."
Die Klägerin geht davon aus, dass sie in ihrer Aussonderungsanmeldung vom 17. Mai 1977 sämtliche Ware beansprucht habe, die den Qualitätsansprüchen gemäss Art. 3 Abs. 2 des Pflichtlagervertrages entspreche. Dazu gehörten auch die längsgeschweissten Rohre, die zu den beiden Positionen "nahtlose Rohre" hinzugezählt werden müssten. Auch so würden die vertraglichen Mengen bei weitem nicht erreicht.
BGE 104 III 110 S. 114
D.-
In ihrer Klageantwort vom 31. Januar 1978 beantragt die Konkursmasse der Pierre Pobé & Co. Edelstahl die Abweisung der Klage unter Auferlegung der Kosten an die Klägerin.
E.-
In Replik und Duplik hielten die Parteien an ihren Begehren und deren Begründung vollumfänglich fest.
F.-
Beide Parteien verzichteten auf die Durchführung einer mündlichen Vorbereitungsverhandlung im Sinne von
Art. 35 Abs. 4 BZP
. Desgleichen wurde im Einverständnis mit den Parteien von der Durchführung eines Beweisverfahrens abgesehen. | 1,647 | 1,117 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Über Streitigkeiten betreffend das Aussonderungsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft haben nach
Art. 12 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge vom 30. September 1955 (KVG; SR 531.01)
die Zivilgerichte zu entscheiden, wobei der Entscheid über den Aussonderungsanspruch gemäss Art. 5 Abs. 1 der Verordnung über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge (Aussonderungsrecht des Bundes an Pflichtlagern) vom 26. April 1963 (Aussonderungsverordnung genannt; SR 531.105) im beschleunigten Verfahren zu treffen ist. Die Parteien haben sich jedoch darauf geeinigt, direkt das Bundesgericht als einzige Instanz anzurufen. Das ist nach
Art. 41 lit. c OG
zulässig, wenn der Streitwert mindestens Fr. 20'000.- beträgt. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, beziffert sich der Streitwert doch auf über Fr. 300'000.-. Die Klage, die auch fristgemäss anhängig gemacht worden ist, kann daher an Hand genommen werden.
3.
Kommt ein Eigentümer eines Pflichtlagers in Konkurs oder begehrt er einen Nachlassvertrag, so hat der Bund gemäss
Art 11 Abs. 1 KVG
am Pflichtlager ein Recht auf Herausgabe und ausschliessliche Befriedigung, wenn er die Kreditgeber im Rahmen seiner Haftung für einen allfälligen Ausfall aus der Finanzierung des Lagers deckt. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall unbestrittenermassen erfüllt, hat doch der Bund im Rahmen seiner Garantieverpflichtung (
Art. 10 KVG
) die Forderungen der Kreditgeber im Betrage von Fr. 22'644'200.- bezahlt. Das Eigentum am Pflichtlager und allfällige Ersatzansprüche des Lagerpflichtigen sind daher von
BGE 104 III 110 S. 115
Gesetzes wegen mit Rechtskraft des Konkurserkenntnisses auf den Bund übergegangen (
Art. 12 KVG
).
Streitig ist somit nur, ob die von der Klägerin ebenfalls beanspruchten, mit "freie Betriebsvorräte in Basel und Birsfelden" umschriebenen 164 902 kg längsgeschweissten Edelstahlrohre zum Pflichtlager gehören und damit von ihrem Aussonderungsanspruch miterfasst werden. Über den Umfang des Aussonderungsrechts lässt sich dem Gesetzestext nichts entnehmen.
Art. 11 KVG
beschränkt das Aussonderungsrecht auf das Pflichtlager; doch definiert das Gesetz diesen Begriff nicht näher und erwähnt vor allem den weiteren umstrittenen Begriff der "freien Betriebsvorräte" nicht. Auch Art. 2 Abs. 2 der Aussonderungsverordnung bestimmt nur, dass Umfang und Gattung des Pflichtlagers in einer besonderen Abteilung des Inventars unter Angabe des Bundes als Eigentümer aufzuführen seien.
In der Lehre wird das Pflichtlager als ein nach Art, Menge, Qualität und Lagerort genau umschriebener Warenvorrat definiert, zu dessen Anlegung und Haltung sich die eine Vertragspartei gegenüber der andern verpflichtet (REDLI, Der Pflichtlagervertrag, Diss. Zürich 1953, S. 46 und 71; vgl. Botschaft des Bundesrates vom 29. April 1955, BBl 1955 I 827). Es handelt sich um ein zusätzliches Lager, das zu den übrigen Waren gleicher Art hinzutritt, dessen Finanzierung der Bund erleichtert und dessen Haltung er steuerrechtlich begünstigt. Dass das Pflichtlager sich aus Waren der gleichen Gattung wie diejenigen der freien Betriebsvorräte zusammensetzt, ergibt sich auch aus Art. 1 Abs. 3 des Pflichtlagervertrags. Danach wird das Pflichtlager neben den üblichen freien Betriebsvorräten als zusätzliches Lager errichtet. Die freien Betriebsvorräte müssen so bemessen sein, dass die laufenden Bedürfnisse des Betriebes ohne Inanspruchnahme des Pflichtlagers befriedigt werden können. Dem Pflichtlager-Quartalsrapport vom 20. Oktober 1976 lässt sich schliesslich entnehmen, dass der Gesamtvorrat bestimmter Waren sich aus Pflichtlager und freien Vorräten zusammensetzt. Demnach enthalten Pflichtlagerware und freie Betriebsvorräte entgegen der Meinung der Beklagten dieselbe Warengattung und lassen sich lediglich durch eine rechnerische Operation mengenmässig auseinanderhalten.
4.
Gemäss
Art. 7 Abs. 1 KVG
werden für die Errichtung von Pflichtlagern mit Firmen Verträge abgeschlossen, worin
BGE 104 III 110 S. 116
sich diese verpflichten, bestimmte Vorräte an einem vereinbarten Ort im Inland sachgemäss zu lagern und fortlaufend zu erneuern. Die fortlaufende Erneuerung dient dem Zweck, jederzeit marktkonforme Ware zur Verfügung zu haben, die einerseits möglichst wertbeständig bleibt, anderseits aber im Sinne des Pflichtlagers fortlaufend die Landesversorgung mit lebenswichtigen Rohstoffen und Lebensmitteln sichert (vgl. StenBull NR 1955, S. 136/37; LAUTNER, System des Schweiz. Kriegswirtschaftsrechts, Zürich 1942, S. 246, 281 Anm. 139 und 318; REDLI, a.a.O., S. 15, 51/52 und 64-66; BBl 1955 I 827 und 833).
Gestützt auf diese Bestimmung hat der Bund mit der konkursiten Firma die bereits erwähnten Pflichtlagerverträge abgeschlossen. Die Firma Pobé & Co. verpflichtete sich gemäss Beilage zum Pflichtlagervertrag, u.a. 289,7 t Rohre, 4301, nahtlos, Zoll-Nr. 7318.12 sowie 361,9 t Rohre, 4435, nahtlos, Zoll-Nr. 7318. 12 anzuschaffen und zu lagern. Damit wird unter der Rubrik "Warengattung" u.a. eine Position Rohre aufgeführt, die nach Werkstoff (4301 und 4435), Herstellungsart (nahtlos), Zolltarif-Nummer (7318.12), Lagerort (Dreispitz-Birsfelden) sowie nach Gewichtsmenge (289,7 t und 361,9 t) näher umschrieben sind. Als Hauptumschreibungsmerkmal dient in der Regel die Zollposition (LAUTNER, a.a.O., S. 44; REDLI, a.a.O., S. 47). Der Zolltarif-Nummer kommt daher neben der Menge, dem Lagerort und der Qualität entscheidende Bedeutung zu. Die im Verpflichtungsformular angeführte Zolltarif-Nummer 7318.12 enthält, wie die Klägerin zutreffend ausführt, die Umschreibung: "Rohr... nahtlos und längsgeschweisst". Es ist unbestritten, dass bis ungefähr 1975 die nahtlosen Rohre den Markt beherrschten, weil nur diese Herstellungstechnik den Anforderungen, welche die Abnehmer vor allem in der chemischen Industrie an dieses Produkt stellten, gerecht wurde. Die technische Entwicklung erlaubte jedoch in der Folge die verbesserte Herstellung von längsgeschweissten Rohren, so dass diese allmählich die nahtlosen vom Markt vollständig verdrängten.
Die Bestimmungen des Pflichtlagervertrags und der "Wegleitung und Bedingungen für die Finanzierung von Pflichtlagern", die dem sogenannten Verpflichtungsformular beigegeben sind, führen den in
Art. 7 Abs. 1 KVG
bereits enthaltenen Grundsatz noch weiter aus. Diesen Bestimmungen ist zu entnehmen, dass die Firma für sachgemässe Lagerung, Besorgung, Auswechslung und Beaufsichtigung der Pflichtlagerware
BGE 104 III 110 S. 117
verantwortlich ist. Die Auswechslung der Ware hat in der Weise zu erfolgen, dass stets das gesamte in Art. 1 des Vertrages umschriebene Pflichtlager an den erwähnten Einlagerungsorten mengenmässig sowie in handelsüblichen Qualitäten und Dimensionen vorhanden ist (Art. 3 Abs. 2 des Pflichtlagervertrags). Nach Ziffer 4 der Wegleitung dürfen die Pflichtlager ohne ausdrückliche schriftliche Bewilligung des Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge und Rückzahlung des entsprechenden Teils des Bankkredites weder mengenmässig herabgesetzt noch qualitativ verschlechtert werden. Daraus ergibt sich für die lagerhaltende Firma die Pflicht, stets für eine genügende Menge der Pflichtlagerware in handelsüblicher Qualität und Dimension besorgt zu sein. Handelsüblicher Qualität entsprachen aber im vorliegenden Fall seit 1975 die längsgeschweissten Rohre. Die konkursite Firma wäre daher verpflichtet gewesen, den veränderten Umständen insofern Rechnung zu tragen, als sie die bisherigen nahtlosen Rohre durch die längsgeschweissten hätte ersetzen müssen. Dies gilt umsomehr, als weder das Gesetz noch der Pflichtlagervertrag der Herstellungsart eine besondere Bedeutung als Unterscheidungskriterium für Pflichtlagerware gegenüber freien Vorräten beimessen. Es geht demnach nicht an, nur weil eine neue Herstellungsart die im Verpflichtungsformular umschriebene Ware vom Markt verdrängt hat, anzunehmen, es liege eine neue Warengattung vor, die vom Pflichtlager nicht erfasst werde und damit auch dem Aussonderungsrecht der Eidgenossenschaft trotz deren weitgehender Haftung entzogen wäre. Anders entscheiden hiesse, eine offensichtliche Vertragsverletzung der konkursiten Firma auf Kosten der Öffentlichkeit sanktionieren. Wenn die unterschiedliche Herstellungsart als das massgebende Spezifikationsmerkmal zu gelten hätte, so hätte dies angesichts der heutigen schnellen Entwicklung der Technik zur Folge, dass die Eidgenossenschaft ihre Pflichtlagerverträge laufend überprüfen und anpassen müsste, um zu vermeiden, dass im Falle eines Konkurses Verluste entstehen, weil inzwischen eine neue Herstellungsart die Pflichtlagerware im ursprünglich umschriebenen Sinne qualitativ und technisch überholt hat. Dies kann ihr aber entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zugemutet werden.
Dass der Bund im Konkurs des Pflichtlagerhalters sich nicht mit Ladenhütern zufrieden geben muss, ergibt sich auch aus dem Zweck seiner Vorsorgepolitik für Kriegszeiten, auf die sich
BGE 104 III 110 S. 118
die Klägerin in diesem Zusammenhang mit Recht beruft. Gemäss
Art. 1 KVG
besteht dieser Zweck darin, die für Volk und Armee lebenswichtigen Güter zu beschaffen und sicherzustellen. Der Erfüllung dieses im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks dient im wesentlichen die Pflichtlagerhaltung. Er kann aber nur verwirklicht werden, wenn die Pflichtlager nicht nur mengenmässig, sondern auch in qualitativer Hinsicht den gestellten Anforderungen entsprechen. Dazu müssen die Pflichtlagerhalter ihrer vertraglichen Ergänzungs- und Auswechslungspflicht nachkommen. Das öffentliche Interesse an der Pflichtlagerhaltung muss daher im Zusammenhang mit dem Aussonderungsrecht der Eidgenossenschaft ebenfalls Berücksichtigung finden.
Schliesslich ist noch auf
Art. 7 Abs. 2 KVG
zu verweisen. Danach muss dem Lagerpflichtigen bei Anordnung einer kriegswirtschaftlichen Ablieferungspflicht mindestens die Hälfte des Lagers für die Verwendung im eigenen Betrieb oder zur Belieferung der Kundschaft verbleiben. Auch daraus ergibt sich, dass die Pflichtlagerware jeweils dem neuesten Stand der Technik entsprechen und zu diesem Zweck immer wieder ausgewechselt werden muss.
Alle diese Überlegungen führen dazu, den Einbezug der umstrittenen längsgeschweissten Rohre in das Aussonderungsrecht des Bundes zuzulassen. Die im Zeitpunkt des Konkurses noch vorhandene und den qualitativen Anforderungen entsprechende Ware ist mit der im Verpflichtungsformular gemäss Werkstoff und Zolltarif-Nummer eindeutig umschriebenen Gattung identisch. Ihr Einbezug in die von der Klägerin verlangte Aussonderung lässt sich aufgrund der gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften sowie des damit verfolgten Zwecks nicht beanstanden (vgl. dazu auch REDLI, a.a.O., S. 94 ff., insbesondere S. 107).
5.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man gestützt auf Art. 1 der Aussonderungsverordnung, der den Gegenstand des Aussonderungsrechtes des Bundes an Pflichtlagern gemäss
Art. 11 und 12 KVG
näher umschreibt. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift bestimmt sich der Gegenstand des Aussonderungsrechts des Bundes im Einzelfall aufgrund des Pflichflagervertrags und des Verpflichtungsformulars. Absatz 2 präzisiert indessen, dass sich das Aussonderungsrecht mengenmässig auf die im Verpflichtungsformular verzeichneten Waren beschränkt; innerhalb
BGE 104 III 110 S. 119
dieses Rahmens unterliegen ihm jedoch sämtliche dem Lagerpflichtigen gehörenden Waren der im Pflichtlagervertrag genannten Gattung, gleichgültig, ob diese Waren sich an dem im Pflichtlagervertrag vereinbarten Ort oder anderswo befinden und ob es sich um die im Verpflichtungsformular ursprünglich angeführten oder um andere Sorten, Qualitäten und Provenienzen handelt.
Diese Vorschrift lässt der Auffassung der Beklagten, dass der Begriff "nahtlos" die Warengattung bezeichne, keinen Raum. Sie beschränkt das Aussonderungsrecht des Bundes bloss mengenmässig auf die im Verpflichtungsformular umschriebene Warengattung. Innerhalb dieses Rahmens unterliegen ihm aber sämtliche nach Art, Qualität und Lagerort noch vorhandenen Waren dieser Gattung, die dem Lagerpflichtigen gehören, und zwar ohne Rücksicht auf die inzwischen veränderte Herstellungsart. Der Warengattung entspricht im vorliegenden Fall ohne Zweifel die Gattung Rohre der betreffenden Werkstoffe und Zolltarif-Nummer. Bei nahtlosen oder längsgeschweissten Rohren handelt es sich um eine Untergattung oder andere Sorte, die gemäss Art. 1 Abs. 2 der Verordnung nach der Herstellungsart umschrieben wird.
Das Aussonderungsrecht des Bundes an den umstrittenen längsgeschweissten Rohren der Werkstoffe 4301 und 4435, Zolltarif-Nummer 7318.12, die nur eine andere Sorte der im Zolltarif umschriebenen Gattung sind, muss demnach auch gestützt auf Art. 1 Abs. 2 der Aussonderungsverordnung bejaht werden. Daran ändert nichts, dass die Klägerin es unterlassen hat, den Pflichtlagervertrag und die Verpflichtungsformulare rechtzeitig den veränderten Marktverhältnissen anzupassen, auch wenn dies an sich um der Klarheit der Rechtslage willen wünschbar gewesen wäre.
6.
Die Beklagte beantragt für den Fall, dass der Aussonderungsanspruch der Klägerin an den in ihrem Rechtsbegehren genannten längsgeschweissten Rohren aufgrund der Aussonderungsverordnung bejaht werde, Art. 1 dieser Verordnung nicht anzuwenden, weil er dem klaren Wortlaut des Gesetzes, insbesondere
Art. 7 Abs. 1 und
Art. 11 Abs. 1 KVG
, widerspreche. Nach diesen Bestimmungen beschränke sich das Aussonderungsrecht des Bundes auf das Pflichtlager. Art. 1 Abs. 2 der Aussonderungsverordnung bringe indessen bei entsprechend grosszügiger Interpretation eine weit über den Gesetzestext
BGE 104 III 110 S. 120
hinausgehende Ausweitung, indem nicht nur die im Verpflichtungsformular verzeichnete Ware, sondern sämtliche Ware der genannten Gattung ausgesondert werden könne. Dies widerspreche dem Gesetzeswortlaut.
Art. 11 Abs. 1 KVG
halte zudem fest, dass der Bund am Pflichtlager ein Recht auf Herausgabe habe, wenn er die Kreditgeber im Rahmen seiner Haftung für einen allfälligen Ausfall aus der Finanzierung des Lagers decke. Im vorliegenden Fall hätten die Kreditgeber die zur Aussonderung geforderten längsgeschweissten Rohre nie finanziert, da sie im Verpflichtungsformular nicht aufgeführt seien. Es gebe damit keinen Ausfall und auch keine Garantiehaftung des Bundes. Würde der Klägerin das Aussonderungsrecht trotzdem zuerkannt, so würde sie zu Unrecht auf Kosten der übrigen Gläubiger bereichert.
a) Das Bundesgericht ist an die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze und allgemeinverbindlichen Beschlüsse sowie an die von ihr genehmigten Staatsverträge gebunden (Art. 113 Abs. 3 und 114 bis Abs. 3 BV). Dagegen kann es Verordnungen des Bundesrates grundsätzlich auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen. Es unterwirft dieser Kontrolle insbesondere die auf eine gesetzliche Delegation gestützten (unselbständigen) Verordnungen des Bundesrates. Dabei prüft es aber nur, ob diese den Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen nicht sprengen (
BGE 103 Ib 139
E. 4a mit Hinweisen und
BGE 84 I 144
).
Was den Inhalt einer solchen Ausführungsverordnung anbetrifft, ist davon auszugehen, dass sie dem Ziel zu dienen hat, die Anwendung und Durchführung des Gesetzes zu gewährleisten. Sie hat ihrem Wesen nach keine andere Aufgabe, als gewisse Gesetzesbestimmungen zu verdeutlichen, allfällige echte Lücken derselben auszufüllen und soweit nötig das Verfahren zu regeln. Dagegen darf sie nicht neue Bestimmungen enthalten, die den Anwendungsbereich des Gesetzes ausdehnen. Gegenstand einer Vollziehungs- oder Ausführungsverordnung darf mit andern Worten nur die nähere Regelung einer bereits durch das Gesetz grundsätzlich geordneten Materie, nicht aber die ausschliessliche Normierung eines Sachgebietes bilden (
BGE 103 IV 193
/94 E. 2a;
BGE 97 II 272
E. 2e;
BGE 68 II 318
;
BGE 64 I 315
je mit Hinweisen).
Die Gesetzwidrigkeit einer Verordnung kann nur einredeweise geltend gemacht werden. Dies bedeutet, dass das Bundesgericht eine Verordnung, die es als ungültig erachtet, nicht aufheben,
BGE 104 III 110 S. 121
sondern ihr nur die Anwendung im konkreten Fall versagen kann (
BGE 103 IV 194
und
BGE 92 I 431
E. 3).
b) Das KVG, das die bundesrätlichen Vollmachtenbeschlüsse der Kriegszeit in die ordentliche Gesetzgebung übergeführt hat, erteilt dem Bundesrat in sachlicher Hinsicht recht grosse Kompetenzen (
Art. 16 und 17 KVG
; Botschaft des Bundesrats zum Entwurf des KVG, BBl 1955 I 845). Darüber hinaus ermächtigt das Gesetz den Bundesrat in Art. 2 allgemein, die organisatorischen und rechtlichen Vorbereitungen zur Kriegswirtschaft zu treffen. In
Art. 20 KVG
wird der Bundesrat generell mit dem Vollzug des Gesetzes beauftragt, soweit nicht die Kantone damit betraut sind. Der Erlass der erforderlichen Ausführungsbestimmungen ist nach Absatz 2 dieser Vorschrift Sache des Bundesrates.
Auf diese Norm stützt sich die Aussonderungsverordnung. Sie enthält ausschliesslich Bestimmungen, die das in
Art. 11 und 12 KVG
vorgesehene Aussonderungsrecht des Bundes näher regeln. Dieser bundesrätlichen Ordnung liegt offensichtlich der Gedanke zugrunde, der Bund solle trotz des grossen öffentlichen Interesses an der Pflichtlagerhaltung nicht unnötige finanzielle Risiken eingehen müssen. Das System der kriegswirtschaftlichen Vorsorge beruht nämlich weitgehend auf der privaten Pflichtlagerhaltung. Als Gegenleistung sieht der Bund die Haftung für einen allfälligen Ausfall an Bankdarlehen sowie die Deckung unversicherter Risiken vor (
Art. 10 Abs. 1 KVG
) und gesteht unter bestimmten Voraussetzungen Steuererleichterungen zu (
Art. 10 Abs. 2 KVG
). Dass der Bund angesichts dieser weitgehenden Zusicherungen für die Finanzierung der Pflichtlager bestrebt ist, sich gegen allfällige Verluste abzusichern, liegt auf der Hand, dies umso mehr, als das Eigentum an der Pflichtlagerware und das Verfügungsrecht darüber beim Lagerhalter verbleiben (REDLI, a.a.O., S. 64; Sten.Bull. NR 1955, S. 140/41). Da diese Absicherung wegen der Besonderheit der Materie nicht auf dem Wege des ordentlichen Fahrnispfandrechts erfolgen kann, geschieht sie durch ein besonderes, vom ordentlichen Sachen- und Betreibungsrecht abweichendes Aussonderungsrecht des Bundes im Falle des Konkurses des Lagerhalters (
Art. 11 und 12 KVG
; Sten. Bull. StR 1955, S. 116; REDLI, a.a.O., S. 113).
Das Recht auf Aussonderung ist im Gesetz selbst vorgesehen, welches auch bestimmt, dass dieses Recht sich auf das Pflichtlager bezieht. Was aber zum Pflichtlager gehört und
BGE 104 III 110 S. 122
inwieweit allfällige Ersatzansprüche des Lagerpflichtigen auf den Bund übergehen können, wird nicht im Gesetz geregelt, sondern bleibt der Umschreibung durch die Ausführungs- und Vollzugsbestimmungen überlassen. Nach Art. 1 Abs. 1 der Aussonderungsverordnung wird der Gegenstand des Aussonderungsrechts des Bundes an Pflichtlagern aufgrund des Pflichtlagervertrags und des Verpflichtungsformulars bestimmt. Darüber hinaus beschränkt Art. 1 Abs. 2 der Verordnung das Aussonderungsrecht mengenmässig auf die im Verpflichtungsformular verzeichneten Waren. Im Rahmen dieser mengenmässigen Abgrenzung aber werden sämtliche dem Lagerpflichtigen gehörenden Waren der im Pflichtlagervertrag genannten Gattung in das Aussonderungsrecht des Bundes miteinbezogen, und zwar gleichgültig, ob diese Waren sich an dem im Pflichtlagervertrag vereinbarten Ort oder anderswo befinden, und gleichgültig, ob es sich um die im Verpflichtungsformular ursprünglich aufgeführten oder um andere Sorten, Qualitäten und Provenienzen handelt.
Die vom Bundesrat in dieser Verordnungsbestimmung gewählte Umschreibung des Gegenstandes des Aussonderungsrechts beruht u.a. auf der auch im Interesse des Lagerpflichtigen selbst liegenden Rotations- und Auswechslungspflicht. Festzuhalten ist stets am Quantum der Pflichtlagerware, aber diese selbst ist regelmässig auswechselbar (LAUTNER, a.a.O., S. 281 Anm. 139; REDLI, a.a.O., S. 48, 51f. und 70). Diese Auswechslungspflicht wird nicht nur im Pflichtlagervertrag und in den Verpflichtungsformularen, sondern auch vom Gesetz selber vorgeschrieben.
Art. 7 Abs. 1 KVG
sieht vor, dass die Pflichtlagerware fortlaufend zu erneuern ist. Um der damit verbundenen Gefahr zu begegnen, hat der Bundesrat den Gegenstand des Aussonderungsrechts in Art. 1 Abs. 2 der Aussonderungsverordnung weit umschrieben. Damit hat er aber den Anwendungsbereich des Gesetzes in der Vollziehungsverordnung nicht in unzulässiger Weise ausgedehnt. Art. 1 Abs. 2 der Aussonderungsverordnung enthält nicht die ausschliessliche Normierung eines Sachgebietes, sondern lediglich die nähere Umschreibung und Ausführung des dem Grundsatze nach im Gesetz enthaltenen Aussonderungsrechts des Bundes. Er überschreitet demnach die dem Bundesrat in
Art. 20 KVG
eingeräumte Kompetenz nicht. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Klage daher zu schützen.
BGE 104 III 110 S. 123
c) Schliesslich geht auch der Einwand der Beklagten, die von der Klägerin beanspruchten längsgeschweissten Rohre seien von ihr gar nicht finanziert worden, fehl. Das Rotationssystem, das seit jeher in der gesamten kriegswirtschaftlichen Vorsorge galt, führt dazu, dass zwar stets nur bestimmte, spezifizierbare Ware finanziert wird (vgl. z.B. Art. 3 des BRB über die Vorratshaltung an Kakaobohnen und Kakaobutter vom 16. Juli 1962 und Art. 1 des BRB über die Vorratshaltung an Reis zu Speisezwecken vom 16. Juli 1962), dass aber die Finanzierung für die Pflichtlagerware generell erfolgt, d.h. ohne Rücksicht darauf, ob die Ware zur Zeit der Finanzierung bereits vorhanden ist oder erst angeschafft oder erneuert werden muss (vgl. REDLI, a.a.O., S. 92). Ob im Zeitpunkt der Aussonderung noch die ursprünglich aus dem garantierten Kredit angeschaffte oder vielmehr eine erneuerte Ware vorhanden ist, spielt somit für die Finanzierung selbst keine Rolle. Das Recht des Bundes, an der im Zeitpunkt des Konkurses vorhandenen Pflichtlagerware die Aussonderung zu beanspruchen, wird dadurch nicht berührt. | 4,721 | 3,533 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird gutgeheissen, die Verfügung des Konkursamtes Basel-Stadt vom 5. Januar 1978 betr. Abweisung der Aussonderungsansprüche der Klägerin an längsgeschweissten Rohren der konkursiten Firma P. Pobé & Co. Edelstahl, Basel, Werkstoff 4301, gemäss Inventarnummer 186 im Werte von Fr. 135'396.-, dito, Werkstoff 4435, gemäss Inventarnummer 187 im Werte von Fr. 23'838.- sowie dito, Werkstoff 4435, gemäss Inventar Arlesheim im Werte von Fr. 169'826.41 wird aufgehoben, und die genannten Gegenstände bzw. deren Erlös, soweit sie verkauft sind, werden aus der Konkursmasse entlassen. | 170 | 103 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-104-III-110_1978 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=12&from_date=&to_date=&from_year=1978&to_year=1978&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=117&highlight_docid=atf%3A%2F%2F104-III-110%3Ade&number_of_ranks=339&azaclir=clir | BGE_104_III_110 |
||
0003a861-4bc3-4f45-b859-a67642463d5c | 1 | 82 | 1,335,128 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 555
BGE 130 III 554 S. 555
X. und Y. sind Gesamteigentümer der Grundstücke Nrn. 515, 2332 und 2366 (früher Teile des Grundstücks alt-Nr. 2112). Zu Gunsten dieser Liegenschaften ist im Grundbuch ein "Wegrecht" eingetragen, das auf den Grundstücken Nrn. 486 und 500 (früher Teile des Grundstücks alt-Nr. 3441) lastet. Eigentümerin der belasteten Grundstücke ist Z.
Das Wegrecht wurde zwischen I. und J. mit Dienstbarkeitsvertrag vom 22. Juli 1968 errichtet. Darin wurde dem Grundstück Nr. 2112 zu Lasten des Grundstücks Nr. 3441 ein "unbeschränktes Wegrecht" eingeräumt, bestehend "auf der Westseite des belasteten Grundstücks in einer Breite von 5 Metern wie im Mutationsplan Nr. 4620 eingezeichnet". Der erwähnte Mutationsplan enthält unter anderem den Vermerk "Wegrecht z.G. No. 2112 über Parz. a (d.h. Nr. 3441) entlang der eingetrag., lt. Bebauungsplan 1:2000 proj. Strasse". Die im Plan eingezeichnete Strasse führt von Süden nach Norden entlang der Westgrenze des berechtigten Grundstücks Nr. 2112 über das belastete Grundstück Nr. 3441 und mündet in die öffentliche Strasse ein, den T.-Weg.
Das Strassenprojekt wurde in der Folge nicht so realisiert wie im Bebauungsplan vorgesehen. Die im Jahre 1995 gebaute U.-Strasse verläuft von Süden her kommend dem westlichen Rand der Grundstücke Nrn. 2332, 2366 und 515 sowie bis ungefähr zur Hälfte dem westlichen Rand des Grundstücks Nr. 500 entlang und biegt dann rechtwinklig nach Westen ab, um anschliessend in einem rechten Winkel in den T.-Weg einzumünden.
Am 7. Mai 2001 klagte Z. auf Löschung des Wegrechts. Die Klägerin stellte sich auf den Standpunkt, das seinerzeit errichtete Wegrecht sei mit dem Bau der U.-Strasse obsolet geworden. Die Beklagten X. und Y. schlossen auf Abweisung der Klage und machten geltend, für ihre Grundstücke habe das bestehende Wegrecht, und zwar als Fahr- und Fusswegrecht, eindeutige Vorteile gegenüber der Erschliessung durch die U.-Strasse. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen, in zweiter Instanz hingegen gutgeheissen.
BGE 130 III 554 S. 556
Gegen das obergerichtliche Urteil haben die Beklagten beim Bundesgericht Berufung eingelegt. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und weist die Klage ab. | 522 | 392 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Vor Bundesgericht ist streitig, ob die Vorinstanz
Art. 736 ZGB
richtig angewendet hat. Nach
Art. 736 ZGB
kann der Belastete die Löschung einer Dienstbarkeit verlangen, wenn diese für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren hat (Abs. 1). Ist ein Interesse des Berechtigten zwar noch vorhanden, aber im Vergleich zur Belastung von unverhältnismässig geringer Bedeutung, so kann die Dienstbarkeit gegen Entschädigung ganz oder teilweise abgelöst werden (Abs. 2). Unter dem Interesse für das berechtigte Grundstück bzw. dem Interesse des Berechtigten versteht die Rechtsprechung das Interesse des Eigentümers des berechtigten Grundstücks an der Ausübung der Dienstbarkeit gemäss deren Inhalt und Umfang. Dabei ist vom Grundsatz der Identität der Dienstbarkeit auszugehen, der besagt, dass eine Dienstbarkeit nicht zu einem andern Zweck aufrechterhalten werden darf als jenem, zu dem sie errichtet worden ist. Zu prüfen ist somit in erster Linie, ob der Eigentümer des berechtigten Grundstücks noch ein Interesse daran hat, die Dienstbarkeit zum ursprünglichen Zweck auszuüben, und wie sich dieses Interesse zu jenem verhält, das anlässlich der Begründung der Dienstbarkeit bestand (
BGE 107 II 331
E. 3 S. 334 f.;
BGE 121 III 52
E. 2 S. 54;
BGE 114 II 426
E. 2a S. 428, je mit Hinweisen). Dabei bestimmt sich die Interessenlage des Eigentümers des berechtigten Grundstücks nach objektiven Kriterien (
BGE 121 III 52
E. 3a S. 55 mit Hinweisen).
3.
Das Obergericht ist insgesamt davon ausgegangen, das Interesse der Beklagten an der Ausübung des Wegrechts decke sich nicht mit dem ursprünglichen Zweck, zu dem das Wegrecht errichtet worden sei. Das im Zeitpunkt seiner Errichtung massgebende Interesse am Wegrecht bestehe seit dem Bau der U.-Strasse nicht mehr. Zu einem anderen Zweck bzw. Interesse dürfe das Wegrecht aber nicht aufrechterhalten bleiben. Es sei deshalb im Grundbuch zu löschen.
3.1
Für die Ermittlung von Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit gibt
Art. 738 ZGB
eine Stufenordnung vor. Ausgangspunkt ist der Grundbucheintrag. Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit
BGE 130 III 554 S. 557
massgebend (
Art. 738 Abs. 1 ZGB
). Nur wenn sein Wortlaut unklar ist, darf im Rahmen des Eintrags auf den Erwerbsgrund zurückgegriffen werden (
Art. 738 Abs. 2 ZGB
), d.h. auf den Begründungsakt, der als Beleg beim Grundbuchamt aufbewahrt wird (
Art. 948 Abs. 2 ZGB
) und einen Bestandteil des Grundbuchs bildet (
Art. 942 Abs. 2 ZGB
). Ist auch der Erwerbsgrund nicht schlüssig, kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit - im Rahmen des Eintrags - aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist (
Art. 738 Abs. 2 ZGB
; zuletzt:
BGE 128 III 169
E. 3a S. 172 mit Hinweis).
Ordentlicher "Erwerbsgrund" im Sinne des Gesetzes ist der Dienstbarkeitsvertrag (vgl. LIVER, Zürcher Kommentar, 1980, N. 86 zu
Art. 738 ZGB
). Seine Auslegung erfolgt in gleicher Weise wie die sonstiger Willenserklärungen (vgl. LEEMANN, Berner Kommentar, 1925, N. 6 zu
Art. 738 ZGB
). Gemäss
Art. 18 Abs. 1 OR
bestimmt sich der Inhalt des Vertrags nach dem übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien. Nur wenn eine tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, ist der Vertrag nach dem Vertrauensgrundsatz auszulegen. Die empirische oder subjektive hat gegenüber der normativen oder objektivierten Vertragsauslegung den Vorrang (allgemein:
BGE 121 III 118
E. 4b/aa S. 123;
BGE 129 III 118
E. 2.5 S. 122; für Grunddienstbarkeiten zuletzt:
BGE 128 III 265
E. 3a S. 267).
Diese allgemeinen Auslegungsgrundsätze gelten vorbehaltlos unter den ursprünglichen Vertragsparteien, im Verhältnis zu Dritten dagegen nur mit einer Einschränkung, die sich aus dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs (
Art. 973 ZGB
) ergibt, zu dem - wie gesagt - auch der Dienstbarkeitsvertrag gehört. Bei dessen Auslegung können gegenüber Dritten, die an der Errichtung der Dienstbarkeit nicht beteiligt waren und im Vertrauen auf das Grundbuch das dingliche Recht erworben haben, individuelle persönliche Umstände und Motive nicht berücksichtigt werden, die für die Willensbildung der ursprünglichen Vertragsparteien bestimmend waren, aus dem Dienstbarkeitsvertrag selber aber nicht hervorgehen und für einen unbeteiligten Dritten normalerweise auch nicht erkennbar sind (
BGE 108 II 542
E. 2 S. 545 f. unter Hinweis auf die Ansichten von LIVER, a.a.O., N. 94 f. zu
Art. 738 ZGB
, und PIOTET, Dienstbarkeiten und Grundlasten, Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/1, Basel 1977, § 93/I S. 584). Im gezeigten Umfang wird der Vorrang der subjektiven vor der objektivierten Vertragsauslegung eingeschränkt.
BGE 130 III 554 S. 558
Diese Rechtslage bringen Lehre und Rechtsprechung teilweise nur verkürzt zum Ausdruck, wenn es heisst, der Dienstbarkeitsvertrag sei objektiviert bzw. nach Massgabe des Vertrauensprinzips auszulegen, wo sich nicht mehr die Begründungsparteien, sondern Dritte gegenüberstünden (z.B. Urteil 5C.269/2001 vom 6. März 2002, E. 4b nicht publ. in
BGE 128 III 169
; Urteil 5C.200/2000 vom 29. März 2001, E. 2c, publ. in: ZBGR 83/2002 S. 245; vgl. etwa SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, Sachenrecht, 2. Aufl., Zürich 2003, N. 1279 S. 276).
3.2
Der in erster Linie massgebende Grundbucheintrag "Wegrecht" ist nicht schlüssig für die Frage der Zweckbestimmung der Dienstbarkeit. Das Obergericht ist davon ausgegangen, im seinerzeitigen Mutationsplan werde für die Lage des Wegrechts auf eine "Parz. a entlang der eingetrag., lt. Bebauungsplan 1:2000 proj. Strasse" verwiesen. Mit diesem Hinweis komme das Motiv für die Begründung des Wegrechts deutlich zum Ausdruck. Es sei darum gegangen, eine Verbindung von den heute im Eigentum der Beklagten stehenden Parzellen an das öffentliche Strassennetz sicher zu stellen. Der abparzellierte südliche Teil hätte erschlossen werden sollen, zunächst mit einem Wegrecht und anschliessend mit der laut Bebauungsplan projektierten Strasse. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass damals die von den Beklagten angeführten Gründe - direkter, ungehinderter und sicherer Anschluss - eine Rolle gespielt hätten. Mit der Begründung des Wegrechts hätten die Parteien des seinerzeitigen Dienstbarkeitsvertrags somit einzig und allein bezweckt, den südlich gelegenen und heute im Eigentum der Beklagten stehenden Parzellen einen Anschluss an das öffentliche Strassennetz zu gewähren.
Gegenüber diesen Erwägungen des Obergerichts erheben die Beklagten Einwände, als ob es sich dabei um das Ergebnis einer objektivierten Vertragsauslegung handelt, die das Bundesgericht im Berufungsverfahren frei überprüfen kann. Gleichzeitig rügen die Beklagten die Verletzung der in
Art. 8 ZGB
enthaltenen Beweisvorschriften, wie wenn das Obergericht den wirklichen Willen der Parteien für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hätte (
Art. 63 Abs. 2 OG
;
BGE 129 III 664
E. 3.1 S. 667). Ob ein kantonales Urteil im einen oder anderen Sinn zu verstehen ist, wird aus seiner Begründung oft nicht ohne weiteres klar. Die Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage kann vorab bei der Vertragsauslegung schwierig sein (vgl. KLETT, Berufung, in: Seminar Bundesrechtsmittel SVA, Bd. 16,
BGE 130 III 554 S. 559
Bern 2002, S. 22; MÜNCH, Berufung und zivilrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde, in: Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1998, N. 4.42 S. 135 und N. 4.50 S. 138). Was tatsächliche Feststellung ist, kann sich aus dem Gegensatz zur Rechtsfrage ergeben, lässt sich aber nicht losgelöst von der Art ihres Zustandekommens bestimmen. Nicht entscheidend ist, ob der Feststellung des Sachverhalts ein Beweisverfahren vorangegangen ist. Denn Tatfragen können auch ohne Beweiserhebung auf Grund von Indizien, eigenem Wissen des Gerichts oder allgemeiner Lebenserfahrung beantwortet werden (vgl. für Einzelheiten: MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, N. 94-96 S. 128 ff., mit Hinweisen).
Das Obergericht hat - abgesehen von einem Augenschein - weder ein Beweisverfahren durchgeführt (z.B. Einvernahme der ursprünglichen Vertragsparteien oder des Nachführungsgeometers) noch Indizien genannt, auf die es seine Annahme stützt. Es hat das "Motiv" für die Begründung des Wegrechts einzig aus dem Mutationsplan erschlossen, der von den ursprünglichen Vertragsparteien unterzeichnet worden ist und integrierenden Bestandteil des Dienstbarkeitsvertrags gebildet hat. Unter diesen Umständen muss davon ausgegangen werden, das Obergericht habe nicht mehr positiv feststellen können, welche Motive für die Errichtung der Dienstbarkeit tatsächlich massgebend waren. Gestützt auf die Grundbuchbelege wird im obergerichtlichen Urteil vielmehr unterstellt, die Parteien hätten mit dem Wegrecht denjenigen Zweck verfolgt, der sich auf Grund der damaligen Verhältnisse aus den Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks vernünftigerweise ergab (
BGE 107 II 331
E. 3b S. 335 f.). Die Ermittlung, welchen Sinn und Zweck die Dienstbarkeit zum Zeitpunkt der Errichtung hatte, betrifft die objektivierte Vertragsauslegung auf Grund der Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks (
BGE 115 II 434
E. 2b S. 436; Urteil 5C.217/1991 vom 26. Mai 1992, E. 2, publ. in: SJ 1992 S. 600/601 und ZBGR 77/1996 S. 51/52 mit Hinweisen). Sie kann im Berufungsverfahren frei überprüft werden.
3.3
In der Lehre, auf die sich das obergerichtliche Urteil stützt, wird dafürgehalten, ein Wegrecht sei zwecklos geworden und für den Eigentümer des herrschenden Grundstücks dann nicht mehr von Interesse, wenn der damit erfüllte Zweck inzwischen durch eine öffentliche Strasse gewährleistet werde (SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, a.a.O., N. 1309 S. 283; STEINAUER, Les droits réels, Bd. II, 3. Aufl., Bern
BGE 130 III 554 S. 560
2002, N. 2267 S. 384; vgl. auch LIVER, a.a.O., N. 18 und 61 zu
Art. 736 ZGB
).
Diese Aussage trifft vorbehaltlos zu, wenn die öffentliche Strasse entsprechend dem privaten Wegrecht gebaut wird, wie es im Dienstbarkeitsvertrag umschrieben und in den dazugehörigen Plänen eingezeichnet ist. Dann kann ohne weiteres gesagt werden, die öffentliche Strasse erfülle den Zweck, den bisher das Wegrecht gewährleistet habe. Weist die öffentliche Strasse dagegen einen anderen Inhalt oder Umfang auf als das Wegrecht, nimmt sie - wie hier - insbesondere einen anderen Verlauf als das Wegrecht oder wird sie in einer andern Breite erstellt, dann ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob die öffentliche Strasse den mit dem Wegrecht gewährleisteten Zweck vollumfänglich erfüllt oder - anders gesagt - ob die bisherige private Wegverbindung nicht vorteilhafter ist als die neu erstellte öffentliche (vgl. etwa LEEMANN, a.a.O., N. 7 zu
Art. 736 ZGB
). Denn entscheidend ist, ob die Dienstbarkeit im konkreten Fall für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren hat bzw. ob der berechtigte Eigentümer weiterhin ein vernünftiges Interesse an der Ausübung der Dienstbarkeit hat (
BGE 89 II 370
E. 3 und 4 S. 383 f.).
Die davon abweichende, gegenteilige Auffassung des Obergerichts könnte nur geteilt werden, wenn ein Wegrecht gleichsam den Charakter eines Notwegrechts hat, d.h. einem Grundeigentümer eingeräumt wird, der keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse hat (vgl.
Art. 694 ZGB
). Wäre dies anzunehmen, verlöre das vertraglich vereinbarte Wegrecht seine Existenzberechtigung, sobald die Notlage für das herrschende Grundstück durch den Anschluss an das öffentliche Wegnetz behoben ist (LIVER, a.a.O., N. 75 zu
Art. 736 ZGB
). Eine derartige Wegenot hat das Obergericht indessen nicht ausdrücklich festgestellt und fände zudem keine Grundlage in den örtlichen Gegebenheiten. Wie sich aus dem Mutationsplan ohne weiteres ersehen lässt und ergänzend festgestellt werden kann (
Art. 64 Abs. 2 OG
), hat das berechtigte Grundstück alt-Nr. 2112 nicht nur über das Wegrecht nach Norden eine Verbindung zum öffentlichen Verkehrsnetz, sondern grenzt im Süden an die Strassenparzelle alt-Nr. 2484, die ebenfalls zur öffentlichen Strasse führt, dem heutigen V.-Weg. Das Wegrecht ist im Mutationsplan denn auch als Teil der im Bebauungsplan projektierten Strasse eingezeichnet, die der gesamten Westgrenze des belasteten und des berechtigten Grundstücks entlang führt und
BGE 130 III 554 S. 561
anschliessend sowohl im Norden (über ein kurzes Stück des T.-Wegs) als auch im Süden (über ein kurzes Stück der Strassenparzelle alt-Nr. 2484 bzw. den V.-Weg) mit der R.-Strasse, der Hauptachse im fraglichen Quartier, verbunden ist. Eine Wegenot zu beseitigen, fällt damit als "Motiv" für die Begründung des Wegrechts ausser Betracht.
Gleichzeitig ist damit die obergerichtliche Auffassung widerlegt, das Wegrecht sei im Jahre 1968 nur deshalb auf der Westseite der betroffenen Grundstücke errichtet worden, weil das am einfachsten zu bewerkstelligen gewesen sei, indem keine weiteren Eigentümer hätten mit einbezogen werden müssen. Die Grundbuchbelege verdeutlichen vielmehr, dass das Trassee des Wegrechts seinerzeit an die Westgrenze des belasteten Grundstücks gelegt wurde, weil dort die projektierte Strasse als direkte Verbindung zur R.-Strasse vorgesehen war. Nicht bloss irgendeine Verbindung zur öffentlichen Strasse sollte das Wegrecht gewährleisten, sondern diejenige gemäss Bebauungsplan.
Entscheidend für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens ist aus den dargelegten Gründen nicht der Umstand allein, dass die beklagtischen Grundstücke an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen sind, sondern ob die Beklagten deswegen ein vernünftiges Interesse am Wegrecht, so wie es konkret vereinbart worden ist, verloren haben. Dabei können alle Interessen in die Waagschale geworfen werden, die bereits im Zeitpunkt der Errichtung eine Rolle spielen konnten, ohne dass für jeden Vorteil oder Nachteil einzeln nachgewiesen werden müsste, dass er damals bereits tragend war. Insofern ist entgegen der Auffassung des Obergerichts nicht massgebend, ob es für die geltend gemachten Interessen Anhaltspunkte gibt, dass sie bereits im Zeitpunkt der Dienstbarkeitserrichtung für die damaligen Berechtigten subjektiv eine Rolle gespielt haben, sondern entscheidend ist, dass sie bei objektiver Betrachtung damals vernünftigerweise von Bedeutung sein konnten (E. 3.1 und 3.2 soeben; vgl. LIVER, a.a.O., N. 57 zu
Art. 736 ZGB
; PIOTET, a.a.O., § 92/II S. 578). Das ist im Folgenden zu beurteilen.
4.
In Anbetracht seiner Rechtsauffassung ist das Obergericht nur mehr kurz auf die von den Beklagten geltend gemachten Interessen an der Beibehaltung des Wegrechts eingegangen. Seine Feststellungen über die örtlichen Verhältnisse genügen aber zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob die beiden Verbindungen von den heute
BGE 130 III 554 S. 562
im Eigentum der Beklagten stehenden Parzellen an das öffentliche Strassennetz gleichwertig sind oder ob das private Wegrecht gegenüber der öffentlichen U.-Strasse für die Beklagten vorteilhafter ist.
Im obergerichtlichen Urteil wird nicht in Frage gestellt, dass auf dem T.-Weg zwischen der Einmündung der U.-Strasse und der Einmündung des Wegrechts kein Trottoir besteht, was gegenüber dem bestehenden Fusswegrecht einen Nachteil bedeutet. Ebenso wenig steht in Frage, dass das Wegrecht über die belasteten Grundstücke eben verläuft, während die U.-Strasse in Richtung T.-Weg ein Gefälle aufweist und Letzterer gegen die Einmündung des Wegrechts wiederum ansteigt. Die topographischen Verhältnisse sind insoweit nicht gleichwertig und lassen das private Wegrecht gegenüber der U.-Strasse, vor allem im Winter bei prekärer Fahrbahn, als die bessere Verbindung zum T.-Weg erscheinen. Schliesslich wird im obergerichtlichen Urteil auch nicht in Frage gestellt, dass die Beklagten über das Wegrecht eine kürzere Fusswegverbindung zum Ortsbus haben. Auch dieses Interesse dürfen die Beklagten in die Waagschale werfen, zumal das Obergericht zwar bezweifelt, aber nicht ausgeschlossen hat, dass der Ortsbus bereits im Zeitpunkt der Dienstbarkeitserrichtung bestanden hat.
Das Obergericht hat auch nicht verneint, dass der T.-Weg als Einbahnstrasse ausgestaltet ist, so dass zum Erreichen der beklagtischen Grundstücke von Norden her kommend ein Umweg von mehreren hundert Metern gefahren werden muss. Das Obergericht hat zwar darauf hingewiesen, dass dieser Umweg heute auch bei Benutzung des Wegrechts gefahren werden müsse, weil das Einbahnzeichen (verbotene Fahrtrichtung) unmittelbar nördlich der Einmündung des Wegrechts angebracht sei. Dieser Hinweis vermag das geltend gemachte Interesse gleichwohl nicht zu entkräften. Denn es ist offen, wie der Verkehrsfluss gestaltet werden wird, falls die Klägerin bei der vorgesehenen Überbauung ihres Terrains zu deren Erschliessung auf dem Trassee des Wegrechts eine Privatstrasse erstellt. Aus verkehrstechnischer Sicht müsste wohl davon ausgegangen werden, dass das heutige Signal "Einbahnstrasse" um einige Meter auf die südliche Seite der Einmündung gestellt würde, so dass der T.-Weg bis zur Privatstrasse beidseitig befahren werden könnte. Dies hätte - wie seinerzeit im Bebauungsplan vorgesehen - die direkte Verbindung mit der R.-Strasse als Hauptachse im Gegenverkehr zur Folge.
BGE 130 III 554 S. 563
Schliesslich ist auch der Hinweis des Obergerichts unbehelflich, das Trassee des Wegrechts sei heute mit Rasen überwachsen und würde sich als Fahrweg gar nicht eignen. Das Interesse am Fahrweg dürfte erst verneint werden, wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht mehr damit zu rechnen wäre, dass die Dienstbarkeit in absehbarer Zeit wieder ausgeübt wird (vgl.
BGE 89 II 370
E. 3 S. 383;
BGE 81 II 189
E. 2 S. 194). Die Möglichkeit der Weiternutzung besteht unbestrittenermassen durchaus, wenn die Beklagten im vorliegenden Verfahren obsiegen. Diese haben die Absicht, das Wegrecht weiterhin auszuüben. Wenn nötig wäre es ihnen unbenommen, ihr Wegrecht gerichtlich durchzusetzen. Zudem sieht die Klägerin bei der Überbauung ihres Grundstücks offenbar eine Privatstrasse auf dem Trassee des Wegrechts vor, die auch von den Beklagten benutzt werden könnte.
Zusammenfassend besteht heute noch ein vernünftiges Interesse am Bestand sowohl des Fuss- als auch des Fahrwegrechts. | 4,030 | 3,167 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-130-III-554_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=16&from_date=&to_date=&from_year=2004&to_year=2004&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=158&highlight_docid=atf%3A%2F%2F130-III-554%3Ade&number_of_ranks=296&azaclir=clir | BGE_130_III_554 |
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ab Seite 113
BGE 114 Ib 112 S. 113
X. ist Eigentümerin der Parzelle Nr. 377, Plan 3 und 4 (gemäss neuer Vermessung: Parzelle Nr. 614), welche südwestlich der protestantischen Kirche von Trimmis liegt. Dieses Grundstück befindet sich nach der Ortsplanung vom 19. Dezember 1972, die am 18. Juni 1973 vom Regierungsrat genehmigt worden ist, zum Teil in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen und zum Teil in der Dorfzone. Zuvor bestand in Trimmis keine Zonenplanung, sondern nur ein interimistisches Baugesetz.
Im Jahre 1983 verhandelte der Gemeindevorstand mit X. über den Erwerb des in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen gelegenen Parzellenteils, den die Gemeinde für eine Friedhoferweiterung benötigt. Am 15. Februar 1983 gelangte er mit einem Übernahmebegehren an sie. Weil keine Einigung zustande gekommen
BGE 114 Ib 112 S. 114
war, beschloss die Gemeindeversammlung am 19. Oktober 1984, das Land auf dem Enteignungswege zu erwerben. Die Gemeinde gelangte daher am 28. Juni 1985 an die Enteignungskommission I und stellte das Begehren, es sei das Schätzungsverfahren durchzuführen. Mit Entscheid vom 5. Mai/9. Oktober 1986 setzte die Enteignungskommission die Entschädigung auf Fr. 80.-- /m2 fest. Die Gemeinde Trimmis zog diesen Entscheid an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden weiter und beantragte, die zugesprochene Entschädigung auf Fr. 20.-- /m2 zu reduzieren. X. gelangte mit einem Rekurs ebenfalls an das Verwaltungsgericht und stellte die folgenden Anträge:
"1. Der Entscheid der Enteignungskommission I des Kantons Graubünden vom 5. Mai/9. Oktober 1986 sei aufzuheben.
2. Die Entschädigung für materielle Enteignung des in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (ZöBA) befindlichen Landes von X. sei auf Fr. 200.-- pro m2 Land festzusetzen.
3. Die Entschädigung für materielle Enteignung sei mit 6% Zins ab 18.6.1973, eventualiter ab 1.1.1977 zu verzinsen.
4. Die Entschädigung für formelle Enteignung des in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (ZöBA) befindlichen Landes von X. sei auf Fr. 600.-- pro m2 Land minus Entschädigung für materielle Enteignung festzusetzen.
5. Als Minderwert für den Teil des Grundstückes Parz. Nr. 614 (neue Vermessung), welcher in die Dorfzone eingeteilt wurde, sei die Gemeinde Trimmis zu verpflichten, X. Fr. 300.-- /m2 zu bezahlen.
6. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Gemeinde Trimmis."
Sie machte geltend, das Land, das in den Jahren 1972/1973 in die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen eingeteilt worden sei, wäre ansonsten, wie der Rest der Parzelle, zur Dorfzone geschlagen worden. Es liege auch im Bereiche des alten Dorfkernes und sei vollständig erschlossen. Wäre die ganze Parzelle Nr. 377 in der Dorfzone gelegen, so wäre eine Arealüberbauung möglich gewesen, weshalb sich ein Preis von Fr. 600.-- /m2 erzielen liesse. Die in der Dorfzone gelegene Restparzelle sei jedoch nur noch beschränkt überbaubar.
Mit Entscheid vom 18. Februar 1987 wies das Verwaltungsgericht beide Rekurse ab.
Gegen diesen Entscheid führt X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht, die in bezug auf den vom Verwaltungsgericht
BGE 114 Ib 112 S. 115
festgesetzten Restwert für landwirtschaftliches Kulturland gutgeheissen wird. | 1,364 | 583 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Mit dem angefochtenen Entscheid hat das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden als kantonal letztinstanzliches Enteignungsgericht die von der Gemeinde Trimmis zu leistende Entschädigung für die Übernahme des in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen gelegenen Teils des der Beschwerdeführerin gehörenden Grundstücks Nr. 377 festgesetzt und es überdies abgelehnt, für den in der Dorfzone gelegenen Teil der genannten Parzelle eine Minderwertsentschädigung zuzusprechen. Das Übernahmebegehren der Gemeinde stützt sich auf Art. 27 Abs. 3 des Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden vom 20. Mai 1973 (KRG). Danach kann die Gemeinde nach der Genehmigung des Zonenplans durch schriftliche Bekanntgabe ihres Angebotes die Übertragung des Eigentums an sie verlangen (Heimschlagsrecht). Die Zuweisung eines Teils des Grundstücks Nr. 377 zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen im Sinne von
Art. 27 KRG
stellt nach der Praxis des Bundesgerichtes eine Planungsmassnahme im Sinne des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) dar (
BGE 110 Ib 257
;
BGE 107 Ib 229
). Wird das Heimschlagsrecht als Folge einer Planungsmassnahme gemäss Raumplanungsgesetz, in welcher eine enteignungsähnliche Eigentumsbeschränkung liegt oder liegen kann, gewährt und ist umstritten, ob und in welchem Masse eine Entschädigung für den planerischen Eingriff geschuldet sei, so ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegeben. Dies gilt auch dann, wenn sich die umstrittene Frage - wie im vorliegenden Fall - im Rahmen eines formellen Enteignungsverfahrens stellt, beziehungsweise wenn eine materielle durch eine formelle Enteignung ergänzt wird (
BGE 112 Ib 516
E. 1a mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin als betroffene Grundeigentümerin ist zur Beschwerde berechtigt (
Art. 103 lit. a OG
). Auf die im übrigen form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten.
2.
a) Die Beschwerdeführerin rügt, das Verwaltungsgericht habe im angefochtenen Entscheid trotz rechtlicher Verpflichtung gemäss
Art. 35 Abs. 1 VwVG
keine Rechtsmittelbelehrung angebracht. Das verstosse gegen
Art. 4 BV
. Der erwähnte Vorwurf der
BGE 114 Ib 112 S. 116
Beschwerdeführerin ist zwar berechtigt. Da sie jedoch rechtzeitig das zutreffende Rechtsmittel erhoben hat, ist ihr aus der beanstandeten Unterlassung kein Nachteil erwachsen. Diese bleibt somit ohne Folgen. Auf die Rüge der fehlenden Rechtsmittelbelehrung ist daher nicht einzutreten (
BGE 104 V 166
/167 E. 3 mit Hinweis).
b) Die Gemeinde Trimmis verlangt eine Abweisung der Beschwerde schon aus formellen Gründen. Sie wirft dem Verwaltungsgericht vor, es habe die von der Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren eingereichte Eingabe vom 3. November bzw. 11. November 1986 zu Unrecht als "Anschlussrekurs" behandelt und sei deshalb zu Unrecht auf dieselbe eingetreten. Die Umdeutung der genannten Eingabe sei willkürlich und verletze die im Verwaltungsgerichtsprozess geltenden Verfahrensgrundsätze. Insbesondere seien die Art. 22 Abs. 1 und 2 des kantonalen Enteignungsgesetzes in Verbindung mit
Art. 52 VGG
verletzt. Es wäre insoweit das Urteil des Verwaltungsgerichtes aufzuheben und zu modifizieren gewesen, was allerdings die Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde vorausgesetzt hätte. Im vorliegenden Fall sei dieses Rechtsmittel jedoch nicht zur Verfügung gestanden, denn das Verwaltungsgericht habe den Anschlussrekurs vollumfänglich abgewiesen. Es habe deshalb an der Beschwerde gefehlt, ohne die ein Weiterzug an das Bundesgericht nicht möglich sei. Weil der Entscheid des Verwaltungsgerichtes nun aber von der Gegenpartei weitergezogen worden sei, könne dieser Einwand erneut vorgetragen werden. Wenn die Vorinstanz indessen zu Unrecht auf den Anschlussrekurs eingetreten sei, dann führe dies zu einer Abweisung der jetzt erhobenen Beschwerde, da in diesem Fall das Fundament des Rechtsmittels fehle.
Diese Argumentation ist unzutreffend. Die von der Beschwerdegegnerin vorgetragene Rüge kann - wie sie selbst schreibt - nur im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde vorgebracht werden. Sie kann daher nicht Gegenstand des zu beurteilenden verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens bilden. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde stützt sich im vorliegenden Fall auf
Art. 34 Abs. 1 RPG
, wonach sie unter anderem gegen "Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Entschädigungen als Folge von Eigentumsbeschränkungen (Art. 5)" zulässig ist. Auch auf
Art. 34 RPG
gestützte Verwaltungsgerichtsbeschwerden können nur eine Überprüfung des Bundesrechts, nicht dagegen kantonaler Vorschriften zum Gegenstand haben. Die Frage der Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Anschlussrekurses bei einem kantonalen
BGE 114 Ib 112 S. 117
Verwaltungsgericht ist dagegen eine solche des kantonalen Rechts, die der staatsrechtlichen und nicht der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegt. Weil die Gemeinde Trimmis durch diese Frage weder wie eine Privatperson noch in ihrer Autonomie betroffen ist, hätte sie gegen die erwähnte Behandlung der genannten Eingabe somit selbst dann nicht staatsrechtliche Beschwerde führen können, wenn sie vom angefochtenen Entscheid hinsichtlich der Behandlung des Anschlussrekurses beschwert gewesen wäre. Sie wäre dazu nicht legitimiert gewesen. Deshalb ist sie erst recht nicht befugt, diese Rüge im Rahmen des vorliegenden Verfahrens mit ihrer Beschwerdeantwort zu erheben.
3.
Es ist unbestritten, dass ein Teil des Grundstückes Nr. 377 mit der Schaffung der Ortsplanung am 19. Dezember 1972 der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugewiesen wurde. Die regierungsrätliche Genehmigung dieser Planungsmassnahme erfolgte am 18. Juni 1973. Daraufhin verlangte die Gemeinde Trimmis am 15. Februar 1983 gestützt auf
Art. 27 Abs. 3 KRG
durch schriftliche Bekanntgabe ihres Angebotes die Übertragung des Eigentums dieses Parzellenteils an sie.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Einbezug eines Teils von Parzelle Nr. 377 in die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen habe eine materielle Enteignung bewirkt. Es ist somit davon ausgegangen, dass der der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugewiesene Teil des Grundstückes Nr. 377 im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Planung, d.h. am 18. Juni 1973, Bauland im enteignungsrechtlichen Sinn gewesen ist.
Dieser Annahme widerspricht die Gemeinde ausdrücklich, und das Bundesamt für Raumplanung fordert das Bundesgericht auf, den angefochtenen Entscheid auch in diesem Punkte zu überprüfen. Streitgegenstand sei zwar nicht die Entschädigungspflicht, sondern die Entschädigungshöhe. Die Frage der Entschädigungspflicht sei aber trotzdem zu prüfen. Denn wenn keine materielle Enteignung gegeben sei, sei die Forderung der Beschwerdeführerin nach einer Erhöhung der Entschädigungssumme von vornherein unbegründet.
Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen. Das Bundesgericht darf zwar weder zugunsten noch zuungunsten der Parteien über deren Begehren hinausgehen. An die Begründung der Begehren ist es aber nicht gebunden (
Art. 114 Abs. 1 OG
). Angesichts dieser Rechtslage erscheint es in der Tat geboten, zunächst zu
BGE 114 Ib 112 S. 118
prüfen, ob der zur Diskussion stehende Teil der Parzelle Nr. 377 am 18. Juni 1973 Bauland im enteignungsrechtlichen Sinn darstellte. Sollte der Baulandcharakter verneint werden, so würde es gleichwohl bei einer Entschädigung von Fr. 70.-- aus materieller Enteignung bleiben, weil die Gemeinde Trimmis diese vom Verwaltungsgericht zugesprochene Entschädigung nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten hat (
Art. 114 Abs. 1 OG
,
Art. 34 Abs. 2 RPG
).
4.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes (die ausführlich in
BGE 112 Ib 389
f. E. 3 wiedergegeben ist) liegt eine materielle Enteignung dann vor, wenn einem Eigentümer der bisherige oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch seiner Sache untersagt oder besonders stark eingeschränkt wird, weil ihm eine wesentliche, aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird. Geht der Eingriff weniger weit, so wird gleichwohl eine materielle Enteignung angenommen, falls ein einziger oder einzelne Grundeigentümer so betroffen werden, dass ihr Opfer gegenüber der Allgemeinheit unzumutbar erschiene und es mit der Rechtsgleichheit nicht vereinbar wäre, wenn hierfür keine Entschädigung geleistet würde. In beiden Fällen ist die Möglichkeit einer zukünftigen besseren Nutzung der Sache indessen nur zu berücksichtigen, wenn im massgebenden Zeitpunkt anzunehmen war, sie lasse sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft verwirklichen. Unter besserer Nutzung eines Grundstückes ist in der Regel die Möglichkeit seiner Überbauung zu verstehen.
5.
Im angefochtenen Entscheid hält die Vorinstanz fest, die Ortsplanung vom 19. Dezember 1972, welche am 18. Juni 1973 genehmigt worden ist, sei die erste Ortsplanung der Gemeinde Trimmis. Vorher habe lediglich ein interimistisches Baugesetz bestanden.
Dieses Baugesetz genügte den Anforderungen des Bundesgesetzes vom 8. Oktober 1971 über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (Art. 19/20 GSchG), das am 1. Juli 1972 in Kraft getreten ist, nicht. Die am 18. Juni 1973 genehmigte Zuordnung eines Teils der Parzelle Nr. 377 zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen stellt somit keine Auszonung aus der Bauzone dar. Es handelt sich vielmehr um eine Nichteinzonung in das Baugebiet, im Sinne von mit privaten Bauten überbaubarem Gebiet (vgl.
BGE 112 Ib 400
E. 5b;
BGE 112 Ib 110
ff. E. 3).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes kann auch die Nichteinzonung eines Grundstückes den Eigentümer enteignungsähnlich
BGE 114 Ib 112 S. 119
treffen. Das ist etwa dann der Fall, wenn es um baureifes oder grob erschlossenes Land geht, das von einem gewässerschutzrechtskonformen Kanalisationsprojekt erfasst wird, und der Eigentümer für dessen Erschliessung und Überbauung schon erhebliche Kosten aufgewendet hat. In einem solchen Fall können Umstände vorliegen, welche die Einzonung des Landes geboten hätten (
BGE 112 Ib 401
E. 6 mit Hinweisen).
Die landwirtschaftlich genutzte Parzelle Nr. 377 der Beschwerdeführerin grenzt im Norden an die Obergass (Kantonsstrasse) und steigt von da gegen Süden hin an. Nördlich der Kantonsstrasse besitzt die Beschwerdeführerin eine weitere überbaute Liegenschaft. Im Osten grenzt die Parzelle an Land der reformierten Kirchgemeinde, auf welchem im unteren Teil das Pfarrhaus steht. Weiter oben befindet sich die Kirche und nach oben anschliessend der Friedhof. Auf der Höhe der südlichen Friedhofsmauer durchquert ein Mäuerchen das Grundstück der Beschwerdeführerin von Osten nach Westen. Von da an steigt die Parzelle weiter nach Süden an. In der südwestlichen Ecke steht ein grosser, neu gebauter Stall. Im unteren Teil der Parzelle gegen die Obergass hin, stehen ca. in der Mitte des Grundstückes eine landwirtschaftlich genutzte Scheune, in der nordwestlichen Ecke ein Wohnhaus und etwas weiter oben ein Stall. Der nordwestliche Teil der Parzelle Nr. 377 liegt gemäss dem Zonenplan aus dem Jahre 1973 in der Dorfzone, der nordöstliche Teil in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen. Die Grenze verläuft senkrecht zur Obergass, mitten durch die Scheune. Der südliche Teil der Parzelle, d.h. ab dem erwähnten Mäuerchen, liegt in der Wohnzone W2. Der der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugeschiedene Teil von Parzelle Nr. 377 ist somit rundherum von Bauzonenland umgeben. Was die Erschliessung betrifft, so kann der zur Diskussion stehende Teil der Parzelle Nr. 377 in bezug auf Wasser, Kanalisation und Elektrizität als groberschlossen betrachtet werden. Umstritten ist die Frage, ob das Land auch strassenmässig erschlossen sei. Aufgrund der am Augenschein gemachten Feststellungen ist dies ohne weiteres zu bejahen. Eine Zufahrt, zum Beispiel verbunden mit einer grösseren Einstellgarage, ist von der im Norden gelegenen Kantonsstrasse aus ohne weiteres möglich. Es dürften zwar grössere Terrainveränderungen vorzunehmen sein, doch bilden diese kein Hindernis zur Annahme, das Land sei hinreichend erschlossen. Auf weitere Möglichkeiten der strassenmässigen Erschliessung ist bei dieser Sachlage nicht einzugehen.
BGE 114 Ib 112 S. 120
Wie sich am Augenschein ergeben hat, liegt der zur Diskussion stehende Teil von Parzelle Nr. 377 eindeutig innerhalb des engeren Baugebietes. Wäre der der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugeschiedene Grundstücksteil nicht dieser Zone zugeteilt worden, so wäre er offensichtlich in eine Bauzone einbezogen worden, wurde doch sogar der südlich der erwähnten kleinen Mauer gelegene Teil derselben Parzelle der Wohnzone W2 zugewiesen. Eine Zuteilung zu einer Nichtbauzone kann ausgeschlossen werden und wäre angesichts der Planungs- und Erschliessungssituation auch sachlich nicht vertretbar gewesen. Die Gemeinde erwägt denn auch bezeichnenderweise heute lediglich die Auszonung des südlich des schon mehrfach erwähnten Mäuerchen gelegenen Landes. Der Nichteinbezug des in unmittelbarer Nähe des Dorfkerns gelegenen Landes, welches in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen liegt, in eine Bauzone bewirkte angesichts der vorliegenden Umstände am 18. Juni 1973 für die Beschwerdeführerin eine materielle Enteignung.
6.
a) Die Beschwerdeführerin hält die Voraussetzungen für eine materielle Enteignung auch in bezug auf den der Dorfzone zugeschiedenen Teil von Parzelle Nr. 377 für erfüllt, da diese zur Hälfte nicht mehr überbaut werden könne. Abgesehen davon könne die Reduktion der Ausnützungsziffer eine materielle Enteignung ergeben.
Dieser Anspruch fällt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes nicht unter die für Zone für öffentliche Bauten und Anlagen geschaffene Spezialregelung von
Art. 27 Abs. 3 KRG
. Deshalb sei für seine Geltendmachung die Vorschrift von Art. 18 Abs. 2 der Vollzugsverordnung zum Enteignungsgesetz des Kantons Graubünden vom 29. Mai 1958 in der Fassung vom 2. Juni 1978 (VVzEntG) anwendbar. Danach verjährt der Anspruch aus materieller Enteignung in fünf Jahren seit Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung, sofern keine besondere gesetzliche Regelung besteht. Bei dieser Frist handelt es sich nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes um eine Verwirkungsfrist, die von Amtes wegen zu berücksichtigen sei. Der Anspruch gehe nämlich als solcher unter, weil die Geltendmachung des Rechtes befristet werde. Da der angebliche Anspruch am 18. Juni 1973 entstanden wäre und er erstmals mit der Vernehmlassung der Beschwerdeführerin vom 23. September 1985 geltend gemacht worden sei, sei die gesetzliche Frist längst verstrichen und der Anspruch damit verwirkt. Die fünfjährige Frist gemäss Art. 18 VVzEntG gelte zwar erst seit dem
BGE 114 Ib 112 S. 121
1. Januar 1979. Sie habe daher auch erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen können. Da der Anspruch aber erst 1985 geltend gemacht worden sei, sei sie jedoch offensichtlich abgelaufen. Die Beschwerdeführerin hält diese Betrachtungsweise des Verwaltungsgerichtes für willkürlich. Ob dem so ist oder ob die Auslegung von Art. 18 Abs. 2 VVzEntG durch das Verwaltungsgericht verfassungsrechtlich noch haltbar ist, kann, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, im vorliegenden Fall offen bleiben. Der Wortlaut der erwähnten Bestimmung lässt jedenfalls die Rüge der Beschwerdeführerin als verständlich erscheinen.
b) Das Verwaltungsgericht führt im vorliegenden Zusammenhang weiter aus, die Aufteilung der Parzelle Nr. 377 in einen der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen und einen der Dorfzone zugewiesenen Teil bewirke für das in der Bauzone verbliebene Land jedenfalls keine materielle Enteignung. Auf dieser Restparzelle bestünden nämlich aufgrund von Form und Ausdehnung noch erhebliche Überbauungsmöglichkeiten. Insbesondere vermöge eine Ausnützungsziffer von 0,6 statt 0,8 keine materielle Enteignung zu bewirken. Diese Auffassung erscheint zutreffend.
Für die Abgrenzung zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eigentumsbeschränkungen ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darauf abzustellen, ob auf der betroffenen Parzelle eine bestimmungsgemässe, wirtschaftlich gute Nutzung weiterhin möglich ist (
BGE 111 Ib 264
mit Hinweisen). So erblickte das Bundesgericht weder in der Auszonung eines Viertels einer Parzelle noch darin, dass ein Grundstück zu einem Drittel mit einem Bauverbot belegt wurde, einen enteignungsähnlichen Tatbestand, da es zum Schluss gelangte, die Eigentümer könnten ihre Parzellen auch nach dem Eingriff in angemessener, wirtschaftlich sinnvollerweise nutzen (
BGE 111 Ib 264
;
112 Ib 268
E. 4). Das trifft nun für den der Dorfzone zugeschiedenen Teil von Parzelle Nr. 377, wie das Verwaltungsgericht zutreffend annimmt, zu. Die von der Beschwerdeführerin erwähnten Einschränkungen in den Überbauungsmöglichkeiten schliessen eine angemessene und wirtschaftlich durchaus noch sinnvolle Nutzung des Dorfzonenlandes keineswegs aus. Das geht nicht zuletzt aus den von der Beschwerdeführerin dem Verwaltungsgericht am 15. Dezember 1986 selbst eingereichten Akten hervor. Dass das Verwaltungsgericht zusätzlich zum Augenschein nicht noch eine Expertise für die Abklärung der Überbauungsmöglichkeiten machen liess,
BGE 114 Ib 112 S. 122
bedeutet deshalb keineswegs eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs.
7.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes findet beim Einbezug von Bauland im enteignungsrechtlichen Sinn in eine Zone für öffentliche Bauten und Anlagen in jenem Zeitpunkt, in dem die Eigentumsbeschränkung formell in Rechtskraft erwächst, eine materielle Enteignung statt (
BGE 112 Ib 390
E. 3 mit Hinweisen). In diesem Moment verliert das derart belastete Land seinen vormaligen Wert als Bauland; es hat nur noch einen Restwert, der bei nicht überbauten Grundstücken in der Regel dem landwirtschaftlichen Wert entspricht. Da es seit Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung kein Bauland mehr ist, macht das Grundstück keine Baulandpreissteigerungen mehr mit. Für die Berechnung der Entschädigung aus materieller Enteignung ist somit vom Landwert in jenem Zeitpunkt auszugehen, in dem die Eigentumsbeschränkung in Kraft getreten ist. Der Restwert, der dem Grundstück nach Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung verbleibt, macht die Preissteigerung mit, die sich von diesem Zeitpunkt an für landwirtschaftlichen Boden ergibt. Wird das Heimschlagsrecht erst Jahre nach der materiellen Enteignung ausgeübt, so hat die Entschädigung für die formelle Enteignung dem Wert im Zeitpunkt des Heimschlags zu entsprechen. Nur wenn zwischen dem Zeitpunkt der materiellen und jenem der formellen Enteignung keine nennenswerte Preisentwicklung stattgefunden hat, kann davon abgesehen werden, die Schätzungstage auseinanderzuhalten (BGE vom 17. Dezember 1986 i.S. Erbengemeinschaft Benoit c. Einwohnergemeinde Biel, publiziert in: Pr 76/1987 Nr. 182 E. 10b). Es besteht kein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
b) Das Verwaltungsgericht ist für die Berechnung der Entschädigung aus materieller Enteignung in zutreffender Weise vom Baulandwert im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung, also vom Wert am 18. Juni 1973 ausgegangen. Es hat dabei zu Recht die statistische Methode angewendet und erklärt, da es in Trimmis vor dem Erlass der Ortsplanung noch keine Zonenordnung gegeben habe, sei die Ausnützungsmöglichkeit im Prinzip bei allen Grundstücken gleich gewesen. Der Vergleich mit Grundstücken, die heute nicht in der Dorfzone, sondern in einer Wohnzone mit geringer Ausnützung lägen, sei demnach statthaft, da im massgebenden Zeitpunkt im ganzen Gemeindegebiet noch keine Ausnützungsziffern bestanden hätten. Das Grundstück sei
BGE 114 Ib 112 S. 123
von seiner Qualität und Lage her als durchschnittlich zu beurteilen. Es befinde sich zwar im Zentrum der Gemeinde, habe aber keine besondere Aussichtslage und sei zwischen bestehenden Gebäuden und einer Felswand eingeklemmt. In Trimmis seien für Baugrundstücke in der fraglichen Zeit folgende Preise bezahlt worden: 1971: Fr. 34.-- bis 50.-- /m2; 1972: Fr. 51.-- bis 75.-- /m2; 1973: Fr. 52.-- bis 80.-- /m2. Die Durchschnittspreise lauteten wie folgt: 1971 Fr. 41.-- /m2; 1972 Fr. 57.-- /m2; 1973 Fr. 71.-- /m2 und als Durchschnitt 1971 bis 1973 ergäbe sich Fr. 59.-- /m2. Bei diesen Marktpreisen dürfte darauf abgestellt werden, dass die Parzelle Nr. 377 Mitte 1973 einen Baulandwert von etwa Fr. 70.-- /m2 aufgewiesen habe, wobei dies angesichts der eher durchschnittlichen Qualität an der oberen Grenze liege.
Nach der bis zum Stichtag geltenden interimistischen Bauordnung für die Gemeinde Trimmis waren im Dorfkern und im unmittelbar daran grenzenden Baugebiet Bauten bis zu zwei Vollgeschossen gestattet (Art. 6 dieser Bauordnung). Das Verwaltungsgericht hat die interimistische Bauordnung der Gemeinde Trimmis seiner Entschädigungsbemessung in zutreffender Weise zugrunde gelegt. Die von ihm zugezogenen Vergleichspreise erscheinen im Lichte der damals bestehenden Überbauungsmöglichkeiten auf der Parzelle Nr. 377 durchaus in Ordnung. Überbauungsmöglichkeiten, auf denen die Verkehrswertberechnungen der Beschwerdeführerin beruhen, fehlt jegliche rechtliche Grundlage. Ihre Kritik an der von der Vorinstanz beschriebenen geographischen Lage der Parzelle ist zwar ein Stück weit berechtigt. Wie der Augenschein aber deutlich gezeigt hat, erscheint ein Baulandwert von Fr. 70.-- /m2 für die Parzelle Nr. 377 bezogen auf den 18. Juni 1973 als durchaus angemessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für deren Überbauung noch erhebliche Erschliessungsaufwendungen hätten getätigt werden müssen. Mit Ausnahme des Verkaufs einer Liegenschaft vom 21. August 1973 waren bei den übrigen am Augenschein besichtigten Parzellen keine derart grossen Erschliessungsarbeiten nötig, wie sie bei der Parzelle Nr. 377 angefallen wären. Die vom Verwaltungsgericht erhobenen Grundstückspreise ergeben eine genügende Schätzungsgrundlage, so dass die von der Beschwerdeführerin dem vorinstanzlichen Entscheid gegenüber erhobene Kritik in diesem Punkt als unbegründet erscheint. Ist genügend statistisches Material für eine Verkehrswertschätzung vorhanden, besteht kein Anspruch seitens der Beschwerdeführerin
BGE 114 Ib 112 S. 124
auf einen Amtsbericht des Grundbuchamtes Landquart mit weiteren Angaben über Landverkäufe.
c) Schliesslich kritisiert die Beschwerdeführerin die Ermittlung des Restlandwertes durch das Verwaltungsgericht. Sie erklärt, im Jahre 1983 hätten die landwirtschaftlichen Bodenpreise in Trimmis und Umgebung Fr. 20.-- bis 30.-- betragen. Das Verwaltungsgericht führt hiezu lediglich aus, nach den ihm bekannten Erfahrungswerten im Raume Churer Rheintal-Domleschg sei der landwirtschaftliche Restwert im Zeitpunkt der Übernahme auf Fr. 10.-- /m2 festzusetzen. Dabei dürfe auch dieser Preis eher als hoch bezeichnet werden, da sich die Parzelle von ihrer Form und Grösse her nicht besonders gut für die Bewirtschaftung eigne. Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichtes sind offensichtlich ungenügend. Auch Restlandwerte sind nach der statistischen Methode zu berechnen. Im angefochtenen Entscheid fehlt jeglicher Hinweis auf Vergleichspreise für landwirtschaftliches Kulturland im Raume Trimmis. Die vom Verwaltungsgericht verwendeten Schätzungskriterien für den Kulturlandwert der Parzelle Nr. 377 sind zu pauschal, zuwenig aussagekräftig und beziehen sich offenbar auf das Jahr 1983. Einer Liste des Grundbuchamtes Landquart vom 30. April 1976 sind Kulturlandpreise ausserhalb der Bauzone für die Zeit von 1969 bis 1973 von Fr. 6.-- bis 17.-- zu entnehmen. Für den Zeitpunkt des Heimschlages sind in den Akten jedoch keinerlei Vergleichspreise enthalten. Unter diesen Umständen liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, weil das Verwaltungsgericht bloss mit einer pauschalen Verweisung auf ihm bekannte Erfahrungswerte das Begehren der Beschwerdeführerin auf Einholung eines Amtsberichts des Grundbuchamtes Landquart über landwirtschaftliche Bodenkäufe abgetan hat. Aus diesen Gründen ist die Beschwerde in bezug auf die Festlegung des landwirtschaftlichen Restwertes gutzuheissen. Da es nicht Sache des Bundesgerichtes sein kann, die notwendigen Erhebungen hinsichtlich der Kulturlandpreise als erste und einzige Instanz durchzuführen, ist die Sache in diesem Punkt an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Für das weitere Verfahren gilt es zu beachten, dass das Verwaltungsgericht zwar die bundesgerichtliche Rechtsprechung richtig wiedergegeben hat, wonach die volle Entschädigung aus zwei Elementen besteht. Nämlich einerseits aus dem Minderwert wegen materieller Enteignung (= Baulandwert abzüglich landwirtschaftlicher Restwert, beides bemessen nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung), andererseits
BGE 114 Ib 112 S. 125
aus dem landwirtschaftlichen Restwert im Zeitpunkt der Übernahme (= Urteil der Enteignungskommission vom 9. Oktober 1986). Die Vorinstanz unterliess es jedoch trotz Wiedergabe dieser Rechtsprechung, den landwirtschaftlichen Restwert im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung (18. Juni 1973) vom Baulandwert von Fr. 70.-- /m2 abzuziehen. Sie hat vielmehr zusätzlich zu diesem Baulandwert den landwirtschaftlichen Restwert im Zeitpunkt der Übernahme aus formeller Enteignung zugesprochen. Dadurch hat das Verwaltungsgericht - abgesehen von einer allfälligen Wertsteigerung - den Wert des landwirtschaftlichen Kulturlandes doppelt vergütet. Die Vorinstanz wird deshalb die geeigneten Vergleichspreise für Kulturland in den Jahren 1973 und 1986 unter Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin ermitteln müssen. Danach hat sie vom Baulandwert von Fr. 70.-- /m2 den landwirtschaftlichen Restwert von 1973 abzuziehen und denjenigen von 1986 dazuzuzählen. Sollte dies eine Gesamtentschädigung von weniger als die vom Verwaltungsgericht zugesprochenen Fr. 80.-- /m2 ergeben, könnte diese nicht herabgesetzt werden, weil das Bundesgericht weder zugunsten noch zuungunsten der Parteien über deren Begehren hinausgehen kann und die Gemeinde Trimmis die Verpflichtung zur Bezahlung von Fr. 80.-- /m2 akzeptiert hat. Andernfalls hätte das Verwaltungsgericht die Entschädigungssumme entsprechend zu erhöhen. Die Vorinstanz wird ausserdem zu berücksichtigen haben, dass die Entschädigung für materielle Enteignung ab 15. Februar 1983 zu verzinsen ist (
BGE 113 Ib 33
E. 3 mit Hinweisen), diejenige für formelle Enteignung hingegen erst ab Rechtskraft des Urteils (Art. 23 des kantonalen Enteignungsgesetzes). | 11,169 | 4,218 | 2 | 0 | CH_BGE_003 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_003_BGE-114-Ib-112_1988 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=31&from_date=&to_date=&from_year=1988&to_year=1988&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=308&highlight_docid=atf%3A%2F%2F114-IB-112%3Ade&number_of_ranks=360&azaclir=clir | BGE_114_Ib_112 |
|||
000d510e-414f-4426-8d98-58e05a71a0ff | 1 | 84 | 1,336,350 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 102 V 69 S. 69
Aus dem Tatbestand:
A.-
Bei einem am 28. Februar 1974 erlittenen Verkehrsunfall zog sich der damals 8jährige Brian Weber verschiedene Kopfverletzungen zu. "Die Eidgenössische" Kranken- und Unfallkasse übernahm ohne Anerkennung einer Rechtspflicht 20% der gesamten Heilungskosten, während die restlichen
BGE 102 V 69 S. 70
80% zu Lasten der Haftpflichtversicherung des Schädigers gingen.
Anscheinend noch vor Ende 1974 wurde ärztlicherseits die Korrektur einer vom Unfall herrührenden Gesichtsnarbe durch chirurgischen Eingriff in Erwägung gezogen. Mit Verfügung vom 4. Juni 1975 lehnte es die Kasse ab, sich an den Kosten dieser Operation zu beteiligen, weil derartige Behandlungen nicht zu ihren Pflichtleistungen gehörten.
B.-
Die von Romeo Weber, dem Vater des Versicherten, gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde ist vom Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft am 10. September 1975 abgewiesen worden mit der Begründung: Die Narbenkorrektur-Operation diene nicht der Beseitigung eines den Körper beeinträchtigenden krankhaften Prozesses. Daher sei die Kasse nach den Bestimmungen des KUVG nicht leistungspflichtig.
C.-
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Romeo Weber.
Die Kasse verneint ihre Leistungspflicht, weil es sich um keine manifeste Störung von Organfunktionen durch pathologische Vorgänge handle. | 288 | 225 | Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 12 Abs. 1 IVG
hat der Versicherte Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Die Invalidenversicherung übernimmt in der Regel nur unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur stabiler Defektzustände oder Funktionsausfälle gerichtete Vorkehren, welche den gesetzlich vorgeschriebenen Eingliederungserfolg voraussehen lassen. Die Behandlung von Unfallfolgen gehört grundsätzlich ins Gebiet der sozialen Unfallversicherung (
BGE 100 V 34
). Hingegen können stabile Defekte, die als Folge von Unfällen entstehen, Anlass zu Eingliederungsmassnahmen im Sinn von
Art. 12 IVG
geben, sofern kein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der primären Unfallbehandlung besteht.
Der enge sachliche Zusammenhang ist gegeben, wenn die
BGE 102 V 69 S. 71
medizinische Vorkehr mit der Unfallbehandlung einen einheitlichen Komplex bildet. Für die Beurteilung ist dabei ausschliesslich der Zeitpunkt der Entstehung des Defektes und nicht der Zeitpunkt der Diagnosestellung oder der Durchführung der Massnahme ausschlaggebend. Eine Massnahme, die schon während der Unfallbehandlung als voraussichtlich notwendig erkennbar war, ist keine Eingliederungsmassnahme der Invalidenversicherung. Der zeitliche Zusammenhang mit der Unfallbehandlung ist als unterbrochen zu betrachten, wenn der Defekt ohne Behandlung während längerer Zeit, in der Regel während 360 Tagen, stabil war und der Versicherte im Rahmen der noch vorhandenen Arbeitsfähigkeit tätig sein konnte (
BGE 101 V 271
). Die für die Beurteilung des zeitlichen Zusammenhanges massgebende Zeitspanne beginnt mit dem Eintritt des stabilen Defektzustandes nach Abschluss der primären Unfallbehandlung und endet mit der erstmaligen Indikation der neuen Behandlungsvorkehr (
BGE 101 V 271
).
2.
Aus den Akten ist zu schliessen, dass noch vor Ende 1974 die chirurgische Narbenkorrektur indiziert erschien. Daraus ergibt sich ohne weiteres der enge sachliche Zusammenhang der geplanten Operation mit der primären Unfallbehandlung, die spätestens im Mai 1974 abgeschlossen war. Und nachdem der Defekt bei der erstmaligen Indikation der Narbenoperation noch keine 360 Tage stabil gewesen sein konnte, ist auch der zeitliche Zusammenhang zu bejahen. Demzufolge fällt jegliche Leistungspflicht der Invalidenversicherung ausser Betracht und muss der Fall ausschliesslich nach den Bestimmungen über die soziale Kranken- und Unfallversicherung beurteilt werden.
3.
Zweck der ärztlichen Behandlung als gesetzliche Pflichtleistung im Sinn von
Art. 12 Abs. 2 KUVG
ist die möglichst vollständige Beseitigung der körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung. Wie weit dies im konkreten Fall möglich ist, beurteilt sich nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft. Demgemäss verpflichtet Art. 21 Abs. 1 Vo III über die Krankenversicherung die Krankenkassen grundsätzlich, die vom Arzt verordneten diagnostischen und therapeutischen Massnahmen zu übernehmen, soweit diese wissenschaftlich anerkannt sind.
Eine Operation hat daher nicht nur der eigentlichen Heilung einer Krankheit oder von unmittelbaren Unfallfolgen zu
BGE 102 V 69 S. 72
dienen, sondern auch andere, sekundäre krankheits- oder unfallbedingte Beeinträchtigungen zu beseitigen. Insbesondere werden mit chirurgischen Eingriffen auch äusserliche Verunstaltungen vor allem an sichtbaren und in ästhetischer Beziehung speziell empfindlichen Körperteilen - besonders im Gesicht - angegangen. Solange ein derartiger krankheits- oder unfallbedingter Mangel besteht, der ein gewisses Ausmass erreicht und sich durch kosmetische Operation beheben lässt, ist diese von der Versicherung zu übernehmen unter der Voraussetzung allerdings, dass sie auch für die Behandlung der primären Unfall- oder Krankheitsfolgen aufzukommen hatte. Indessen hat sich die Leistungspflicht der Kassen für kosmetische Operationen in allgemein üblichen Grenzen und im Rahmen der Wirtschaftlichkeit zu halten.
Demnach fragt es sich im vorliegenden Fall, ob überhaupt das Gesicht des Beschwerdeführers durch die angeblich vom Auge bis zum Haaransatz reichende Narbe grob entstellt ist und ob sich diese Beeinträchtigung durch eine kosmetische Operation beheben lässt. Die Akten geben darüber nicht Aufschluss. Insbesondere fehlen jegliche medizinischen Unterlagen. Sodann stellt sich die weitere Frage, ob die Kasse für die Folgen des am 28. Februar 1974 erlittenen Unfalles haftet; letzteres hat sie gestützt auf ihre Statuten stets verneint, weshalb sie ihre bisherigen Leistungen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erbrachte. Es wird Sache des kantonalen Versicherungsgerichts sein, die erforderlichen Abklärungen zu treffen und unter Beachtung der oben dargelegten Grundsätze über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Übernahme der Kosten der verlangten kosmetischen Operation neu zu befinden. | 943 | 764 | Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der angefochtene Entscheid vom 10. September 1975 aufgehoben und die Sache an das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft zurückgewiesen, damit dieses im Sinne der Erwägungen über den Leistungsanspruch neu befinde. | 67 | 47 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-102-V-69_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=23&from_date=&to_date=&from_year=1976&to_year=1976&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=226&highlight_docid=atf%3A%2F%2F102-V-69%3Ade&number_of_ranks=354&azaclir=clir | BGE_102_V_69 |
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0012a00f-2019-4172-ae78-5e0f054120a3 | 1 | 81 | 1,360,551 | 283,996,800,000 | 1,979 | de | Sachverhalt
ab Seite 274
BGE 105 II 273 S. 274
A.-
Die CSS Computer System Supplies AG in Glarus (CSS Glarus) klagte beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Feller AG auf Schadenersatz wegen Verletzung eines Alleinvertretungsvertrages. Durch gerichtlichen Vergleich vom 14. April 1978 einigten sich die Parteien dahin, dass die Feller AG sich verpflichtete, der Klägerin Fr. 48'000.- zu bezahlen. Die Forderung der CSS Glarus wurde später durch Zession eines Teilbetrages auf Fr. 37'390.50 herabgesetzt. Das Handelsgericht schrieb den Prozess am 29. Mai 1978 als erledigt ab.
Bereits am 20. April 1978 teilte die Konkursverwaltung der CCS Computer Consulting Services GmbH in Ascona (CCS Ascona) den Parteien mit, dass ein allfälliges Guthaben der CSS Glarus von der Konkursmasse beansprucht werde. Da die Beteiligten sich nicht verständigen konnten, ersuchte die Feller AG am 16. August 1978 den Richter, den von ihr noch geschuldeten Betrag im Sinne von
Art. 168 Abs. 1 OR
hinterlegen zu dürfen.
B.-
Mit Verfügung vom 25./28. August 1978 hiess der Zivilgerichtspräsident von Glarus dieses Gesuch gut und stellte fest, dass der streitige Betrag von Fr. 37'390.50 bereits bei der Glarner Kantonalbank hinterlegt war. Er setzte der Konkursmasse der CCS Ascona zehn Tage Frist ab zweiter Gläubigerversammlung, um ihren Anspruch im Prätendentenprozess geltend zu machen, andernfalls die hinterlegte Summe zugunsten der CSS Glarus freigegeben würde.
Die CSS Glarus führte dagegen Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Obergericht des Kantons Glarus am 27. November 1978 abgewiesen wurde.
C.-
Die CSS Glarus hat gegen die Verfügung des Zivilgerichtspräsidenten und den Entscheid des Obergerichts staatsrechtliche Beschwerde eingelegt mit den Anträgen, sie wegen Verletzung von
Art. 4, 22ter und 61 BV
aufzuheben und der Feller AG die Hinterlegung des Betrages zu verweigern.
Die Feller AG und die kantonalen Instanzen beantragen, die Beschwerde abzuweisen, während nach Auffassung der Konkursmasse der CCS Ascona darauf nicht einzutreten ist. | 819 | 356 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Konkursmasse der CCS Ascona hat in dem von ihr angestrengten Prätendentenprozess darauf beharrt, dass die
BGE 105 II 273 S. 275
streitige Forderung von Fr. 37'390.50 während des Prozesses hinterlegt bleibe. Der Zivilgerichtspräsident hat ihrem Begehren gestützt auf
Art. 168 Abs. 3 OR
entsprochen, doch ist dieser Entscheid bisher nicht in Rechtskraft erwachsen. Da der Prätendentenprozess seinerseits auf der ersten Hinterlegungsverfügung beruht, hat die Beschwerdeführerin nach wie vor ein schutzwürdiges Interesse am Entscheid darüber, ob die Hinterlegung vom Richter zu Recht bewilligt worden sei (vgl.
BGE 99 Ia 85
E. 2b,
BGE 98 Ia 100
E. 1). Auf ihre Beschwerde ist daher einzutreten. Dass sie den Sachverhalt angeblich unvollständig wiedergibt, steht dem nicht entgegen, da die wesentlichen Tatsachen aus der beigelegten kantonalen Beschwerdeschrift und aus der angefochtenen Verfügung ersichtlich sind.
Das Obergericht durfte die Verfügung des Zivilgerichtspräsidenten gemäss
Art. 336 ZPO
nur in beschränktem Masse überprüfen. In solchen Fällen kann nach der Rechtsprechung neben dem Kassationsentscheid auch das Sachurteil, das ihm vorangegangen ist, mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden, und zwar auch mit Rügen, die im Kassationsverfahren nicht erhoben werden konnten (
BGE 100 Ia 123
und 267 mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin wirft den kantonalen Instanzen ausser Willkür im Sinne von
Art. 4 BV
insbesondere vor, ihr für die Dauer der Hinterlegung die freie Verfügung über ihren Anspruch entzogen zu haben, was einem verkappten Arrest gleichkomme und mit der Eigentumsgarantie gemäss
Art. 22ter BV
nicht zu vereinbaren sei. Durch die gerichtlich bewilligte Hinterlegung werde zudem ihr Rechtsöffnungsanspruch gefährdet und die Vollstreckung eines rechtskräftigen zürcherischen Zivilurteils entgegen der Vorschrift des
Art. 61 BV
durch die Glarner Gerichte verunmöglicht. Diese Vorwürfe haben indes keine selbständige Bedeutung. Halten die angefochtenen Entscheide vor
Art. 4 BV
stand, so können sie auch nicht gegen die Eigentumsgarantie oder gegen den Anspruch auf interkantonale Vollstreckung eines Zivilurteiles verstossen.
2.
Die angefochtenen Entscheide stützen sich auf
Art. 168 OR
, der bestimmt, dass der Schuldner sich durch gerichtliche Hinterlegung befreien kann, wenn streitig ist, wem die Forderung zusteht (Abs. 1); zahlt er in Kenntnis des Streits, so tut er es auf seine Gefahr (Abs. 2).
BGE 105 II 273 S. 276
Die kantonalen Instanzen gehen zutreffend davon aus, dass die Hinterlegung zum materiellen Recht gehört und der Schuldner sich dadurch nur befreien kann, wenn ihre Voraussetzungen gemäss Bundesrecht erfüllt sind. Dieses schreibt jedoch nicht schon dem Hinterlegungsrichter eine entsprechende Prüfung vor, sondern trägt ihm nur die Bezeichnung der Hinterlegungsstelle auf (
Art. 92 Abs. 2 OR
). Ob einer solchen Hinterlegung befreiende Wirkung zukommt, entscheidet erst der ordentliche Richter, falls der angebliche Gläubiger trotz der Hinterlegung den Schuldner auf Erfüllung belangt (
BGE 62 II 343
/46,
BGE 59 II 231
E. 2,
BGE 32 II 60
; STAEHELIN, Die Hinterlegung zuhanden wes Rechtes und der Prätendentenstreit, in BJM 1972, S. 229 ff.; BIEDERMANN, Die Hinterlegung als Erfüllungssurrogat, Diss. Zürich 1944, S. 215 f.).
Die Kantone, die im übrigen das Verfahren bestimmen, können demnach das Hinterlegungsverfahren auf die Bezeichnung der Hinterlegungsstelle beschränken und die Prüfung der materiellrechtlichen Hinterlegungsgründe gänzlich dem ordentlichen Richter überlassen (so Tessin in SJZ 59/1963, S. 58 Nr. 19; Genf in Sem. jud. 70/1948, S. 174). Das kantonale Recht kann den Hinterlegungsrichter statt dessen anweisen, vorfrageweise das Bestehen von Hinterlegungsgründen zu prüfen (so schon OSTERTAG in SJZ 19/1923, S. 353; STAEHELIN, a.a.O., S. 229/30; BIEDERMANN, a.a.O., S. 120, 128, 147; als Beispiel § 220 zürch. ZPO). Dabei darf jedoch nicht mehr als blosse Glaubhaftmachung verlangt und das Hinterlegungsgesuch nur dann abgewiesen werden, wenn es offensichtlich unbegründet ist. Anders würde der Schuldner ernstlich benachteiligt, weil die Verweigerung der Hinterlegung ihn endgültig dieser Erfüllungsmöglichkeit beraubt, während der Gläubiger sich wie dargelegt über eine zu Unrecht bewilligte Hinterlegung hinwegsetzen kann.
Das Glarner Prozessrecht enthält keine besonderen Bestimmungen über das Hinterlegungsverfahren. Das Obergericht legt jedoch dar, dass bei einer Hinterlegung auf Grund von
Art. 168 OR
Identität der streitigen Ansprüche vorliegen und zumindest glaubhaft gemacht werden müsse. Es wird von keiner Seite bestritten, dass demnach dem Glarner Hinterlegungsrichter eine vorläufige Prüfung der materiellrechtlichen Hinterlegungsgründe obliegt. Zu Recht besteht sodann Übereinstimmung darin, das
Art. 168 OR
unbekümmert darum Anwendung findet, ob der Streit zwischen den beiden angeblichen
BGE 105 II 273 S. 277
Gläubigern auf einer Abtretung beruht (
BGE 38 I 207
; STAEHELIN, a.a.O., S. 226). Als Sonderfall einer Ungewissheit über die Person des Gläubigers (
Art. 96 OR
) setzt
Art. 168 OR
lediglich voraus, dass die Frage streitig ist, wem eine Forderung zusteht (
BGE 63 II 57
,
BGE 32 II 60
). Davon kann jedoch nur die Rede sein, wenn zwei angebliche Gläubiger die nämliche Forderung beanspruchen (
BGE 62 II 346
).
3.
Die Beschwerdeführerin hält daran fest, dass der zu ihren Gunsten geschlossene gerichtliche Vergleich die Wirkungen eines Zivilurteils habe, die Parteien unbekümmert um seine Richtigkeit binde und eine Hinterlegung der Vergleichssumme ausschliesse. Ihr Anspruch auf die Summe sei damit von der Feller AG vorbehaltlos und selbst auf die Gefahr hin, einem Dritten auch noch zahlen zu müssen, anerkannt worden. Es liege entgegen der willkürlichen Annahme der Vorinstanzen gar kein Hinterlegungsgrund gemäss
Art. 168 OR
vor. Mit dem Vergleich sei durch Novation ein neues Schuldverhältnis begründet worden, an dem die Konkursmasse der CCS Ascona nicht beteiligt sei.
a) Der Vergleich, auch der gerichtliche, ist ein Vertrag, mit dem ein Streit oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Zugeständnissen beigelegt wird (
BGE 100 II 27
E. 1b und 144/5,
BGE 95 II 423
/4 mit Hinweisen). Dabei ersetzen die Parteien ein bestehendes Rechtsverhältnis häufig im Sinne von
Art. 116 OR
durch ein neues. Das gilt namentlich dann, wenn sie sich bei einem komplexen Rechtsverhältnis, wie hier, auf eine Saldozahlung einigen, beide Parteien also auf weitere Ansprüche gegeneinander verzichten. Im Gegensatz zur blossen Vertragsänderung wird durch die Novation die Identität der Forderung aufgehoben (
BGE 69 II 302
,
BGE 60 II 333
), und Einreden und Schwächen, die den dadurch abgelösten Ansprüchen anhafteten, gehen in der Regel unter. Als Vertrag kann der Vergleich jedoch wegen Willensmängeln aufgehoben werden, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, die sich aus seiner Natur ergeben.
Für den Prozessvergleich bestehen Besonderheiten, wenn er zu einem Erledigungsentscheid mit materieller Rechtskraft führt, was nach § 191 Abs. 2 zürch. ZPO zutrifft. Dazu gehört insbesondere, dass der Willensmangel grundsätzlich im Rechtsmittelverfahren geltend zu machen ist (BECKER, N. 38 zu
Art. 24 OR
; VON TUHR/PETER, OR S. 300 Anm. 11; STRÄULI/MESSMER, N. 25 zu § 188 und N. 9 zu
§ 293 ZPO
).
BGE 105 II 273 S. 278
Wenn ein gerichtlicher Vergleich wie ein Urteil in Rechtskraft erwächst (vgl. GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 398), liegt zudem die Annahme einer Novation auf der Hand. Nach einem allgemeinen Grundsatz, der in § 191 Abs. 1 zürch. ZPO ausdrücklich bestätigt wird, erstrecken sich die Wirkungen der materiellen Rechtskraft aber nur auf die Prozessparteien und ihre Rechtsnachfolger; Dritte werden davon selbst dann nicht berührt, wenn sie am streitigen Rechtsverhältnis beteiligt sind (
BGE 89 II 434
E. 4,
BGE 74 II 218
E. 3).
b) Die Konkursmasse der CCS Ascona behauptet nicht, die Vergleichssumme als Rechtsnachfolgerin der CSS Glarus von dieser erworben zu haben. Die Beschwerdegegnerinnen sind vielmehr der Auffassung, dass ihnen der Vergleich nicht entgegengehalten werden dürfe, weil sonst die Konkursmasse als wahre Berechtigte um ihre Rechte geprellt würde. Das Obergericht sodann hält es jedenfalls für vertretbar, dass aus einem Urteil oder Vergleich auch unter dem Gesichtspunkt der Novation nichts gegen Dritte abgeleitet werden dürfe. Wenn der gerichtliche Vergleich nur die Prozessparteien bindet und deren Einigung wie hier die Bedeutung einer Novation hat, ist diese Tatsache indes auch bei der Frage nach der Identität der Forderung gemäss
Art. 168 Abs. 1 OR
zu beachten.
Die Feller AG macht geltend, vor Handelsgericht sei die Aktivlegitimation der CSS Glarus nicht behandelt und die Frage der zweimaligen Zession der Vertriebsrechte nicht aufgeworfen worden; sie habe erst nach der rechtskräftigen Erledigung erfahren, dass die Forderung von zwei Gesellschaften beansprucht werde. Die Aktivlegitimation der CSS Glarus war im Prozess indes so oder anders zu prüfen; sie wurde zudem von der Feller AG mit dem Vergleich anerkannt, weshalb nichts darauf ankommt, ob diese im Prozess eine entsprechende Einrede erhoben habe (GULDENER, a.a.O., S. 379). Sollte die Feller AG sich geirrt haben, so konnte sie den Vergleich im Rechtsmittelverfahren anfechten, was von ihr allerdings als nicht opportun bezeichnet wird. Sie hätte allenfalls schon den Abschreibungsbeschluss des Handelsgerichts vom 29. Mai 1978 verhindern können, zumal die Konkursmasse der CCS Ascona ihren Anspruch bereits mit Schreiben vom 20. April 1978 geltend machte. Wieso es sich bei diesem Schreiben um eine Streitverkündung gehandelt haben soll, ist unerfindlich,
BGE 105 II 273 S. 279
da eine solche nur von einer Prozesspartei, insbesondere von der daran interessierten Feller AG hätte ausgehen können (§ 46 zürch. ZPO; VON TUHR/ESCHER, OR S. 363). Seitens der Konkursmasse liegt auch keine Hauptintervention vor, die ebenfalls möglich gewesen wäre (
§ 43 ZPO
).
4.
Das Obergericht setzt sich völlig darüber hinweg, dass der Anspruch der Beschwerdeführerin ausschliesslich auf dem Prozessvergleich beruht und dass die Konkursmasse daraus keinerlei Rechte ableiten kann, dies übrigens auch gar nicht versucht; sie hält vielmehr an dem schon im kantonalen Verfahren erhobenen, jedoch unerheblichen Einwand fest, nicht die CSS Glarus, sondern sie selbst sei Inhaberin der durch die Feller AG genutzten Alleinvertriebsrechte gewesen. Indem das Obergericht gleichwohl Identität zwischen dem angeblichen Anspruch der Konkursmasse und dem Vergleichsanspruch der Beschwerdeführerin angenommen oder zumindest als glaubhaft bezeichnet hat, ist es der Willkür verfallen. Sein Entscheid ist daher samt dem Sachurteil des Einzelrichters aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis braucht nicht geprüft zu werden, ob das Obergericht zutreffend den Anspruch der Konkursmasse der CCS Ascona unter
Art. 423 OR
subsumiert und ob es der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang das rechtliche Gehör verweigert habe.
Im Hinblick auf die bezüglich der Rückzahlung erforderlichen konkreten Anordnungen ist davon abzusehen, zugleich die Verweigerung der Hinterlegung anzuordnen, wie das mit der Beschwerde beantragt wird. Es kann deshalb offen bleiben, ob einer solchen Anordnung nicht schon die kassatorische Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde entgegenstünde (
BGE 101 Ia 113
, 439 mit Hinweisen). | 4,933 | 2,045 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und die Entscheide des Zivilgerichtspräsidenten vom 25./28. August 1978 und des Obergerichts des Kantons Glarus vom 27. November 1978 werden aufgehoben. | 109 | 43 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-105-II-273_1979 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=7&from_date=&to_date=&from_year=1979&to_year=1979&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=65&highlight_docid=atf%3A%2F%2F105-II-273%3Ade&number_of_ranks=371&azaclir=clir | BGE_105_II_273 |
||
00156be0-2d19-48ab-9459-710b1e9b9253 | 2 | 78 | 1,334,837 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 79
BGE 86 I 79 S. 79
A.-
Le 12 avril 1957, Juan Tomas i Sais a déposé une demande de brevet pour un "procédé de captation de l'énergie vibratoire".
Par décision du 25 septembre 1959, le Bureau fédéral de la propriété intellectuelle a rejeté la demande de brevet. Il a considéré en bref que l'invention de Tomas i Sais était contraire au principe de la conservation de l'énergie et n'était donc pas susceptible d'utilisation industrielle selon l'art. 1er al. 1 LBI.
B.-
Contre cette décision, Tomas i Sais forme un recours de droit administratif au Tribunal fédéral, en concluant à l'admission de sa demande de brevet. Le Bureau fédéral propose le rejet du recours. | 168 | 145 | Erwägungen
Considérant en droit:
Selon l'art. 104 al. 1 OJ, le recours de droit administratif n'est recevable que pour violation du droit fédéral, c'està-dire pour défaut d'application ou fausse application d'un
BGE 86 I 79 S. 80
principe consacré expressément par une prescription fédérale ou découlant implicitement de ses dispositions. Or le recourant ne reproche nullement au Bureau fédéral d'avoir mal appliqué le droit fédéral et, en particulier, de s'être fondé sur une conception inexacte de la notion de l'invention "utilisable industriellement". Ses seuls arguments sont d'ordre technique: il soutient que son invention n'a pas pour objet un mouvement perpétuel et peut donc être exploité industriellement.
Il est vrai qu'aux termes de l'art. 105 OJ, le Tribunal fédéral saisi d'un recours de droit administratif peut, d'office ou à la demande du recourant, rechercher si la décision attaquée repose sur des constatations de fait inexactes ou incomplètes. Mais cette disposition ne vise que les faits soumis à l'appréciation de l'autorité qui a statué, c'est-à-dire, en l'espèce, l'exposé de la demande de brevet. En revanche, la manière dont le Bureau fédéral a apprécié ces faits n'est pas une constatation au sens de l'art. 105 OJ. Il s'agit de déductions qui sont dictées par les lois de la mécanique et qui constituent des motifs de la décision attaquée.
N'étant visées ni par l'art. 104 ni par l'art. 105 OJ, de telles qualifications techniques échappent à la censure du Tribunal fédéral. | 355 | 304 | 2 | 0 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-86-I-79_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=17&from_date=&to_date=&from_year=1960&to_year=1960&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=167&highlight_docid=atf%3A%2F%2F86-I-79%3Ade&number_of_ranks=206&azaclir=clir | BGE_86_I_79 |
|||
001b98ad-7b89-434f-a71c-4b97eb5461ec | 1 | 83 | 1,336,754 | null | 2,024 | de | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 264
BGE 104 IV 263 S. 264
Aus den Erwägungen:
5.
Schliesslich ist der Beschwerdeführer der Auffassung, die ARV sei auf ihn als Inhaber einer Reparaturwerkstätte für Nutzfahrzeuge, der den eigenen Lastwagen zum Transport von Material für die Erstellung seiner neuen Werkhalle geführt habe, überhaupt nicht anwendbar. Jedenfalls habe er zureichende Gründe für diese Annahme gehabt.
Der Beschwerdeführer ist nur insoweit gemäss ARV schuldig erklärt und verurteilt worden, als er entgegen
Art. 14 Abs. 2 und 3 ARV
kein neues Einlageblatt in den Fahrtschreiber eingelegt und das darin befindliche alte Einlageblatt nicht beschriftet hatte. Sein Einwand, die ARV sei auf ihn nicht anwendbar, könnte daher im vorneherein nur diese Verurteilung abwenden. Er hält indessen nicht Stich. Die ARV ist auf berufsmässige Motorfahrzeugführer und ihre Arbeitgeber anwendbar; als berufsmässig gelten ohne jede Einschränkung selbständig und unselbständig erwerbende Motorfahrzeugführer, die mit schweren Motorwagen Personen- und Sachtransporte besorgen (
Art. 1 Abs. 1 und 2 ARV
). Ob das gewerbsmässig oder bloss zum eigenen Bedarf geschieht, ist belanglos. Der Beschwerdeführer, der mit einem schweren Motorwagen einen Sachtransport ausführte, untersteht für diesen daher der ARV (vgl.
BGE 95 I 92
E. 2). Zwar sind auf ihn als selbständigen Fahrzeugführer, der daneben keine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer ausübt, die Bestimmungen über die Arbeits- und Ruhezeit (
Art. 4-9 ARV
) nicht anwendbar (
Art. 1 Abs. 3 ARV
). Daraus ist jedoch nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Insbesondere kann aus dieser Vorschrift nicht gefolgert werden, er unterstehe auch den übrigen Bestimmungen der ARV nicht; denn der Fahrtschreiber dient nicht nur der Kontrolle der Arbeits- und Ruhezeit, sondern ebenso der Abklärung von Unfällen (
Art. 33 Abs. 3 BAV
), und er ist vom "Fahrzeugführer", also nicht bloss von einer bestimmten Kategorie von Fahrzeugführern ständig in Betrieb zu halten und richtig zu bedienen (
Art. 3 Abs. 4 VRV
).
Die tatsächliche Behauptung des Beschwerdeführers, in seiner Branche herrsche allgemein die Auffassung, die Bestimmungen der ARV und insbesondere jene über den Fahrtschreiber seien für Inhaber oder Mechaniker einer Reparaturwerkstätte für Nutzfahrzeuge nicht anwendbar, wenn sie Fahrten
BGE 104 IV 263 S. 265
mit schweren Motorwagen ausführten, ist neu und daher unzulässig (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
). Als früherem langjährigem Berufschauffeur musste dem Beschwerdeführer nicht nur die ARV, sondern auch die Tatsache bekannt sein, dass ihre Anwendbarkeit in besonderen Bestimmungen geregelt ist, nur ihnen und nicht dem Verordnungstitel daher Schlüssiges und Abschliessendes hiefür entnommen werden kann. Ein gewissenhafter Mensch hätte sich unter solchen Umständen, selbst wenn der Verordnungstitel zu Missverständnissen Anlass geben konnte, dadurch nicht irreführen lassen und nicht allein gestützt auf dessen allfällige Mehrdeutigkeit einfach angenommen, er unterstehe der Verordnung nicht, sondern, falls ihm die Bestimmungen über ihre Anwendbarkeit nicht mehr geläufig waren, sich durch Nachschlagen oder Erkundigung von diesen Kenntnis verschafft. Der behauptete Rechtsirrtum wäre bei der vom Beschwerdeführer zu verlangenden Sorgfalt mithin vermeidbar gewesen; er ist daher nach
Art. 20 StGB
unerheblich (
BGE 99 IV 186
mit Hinweisen). | 1,502 | 592 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-104-IV-263_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=5&from_date=&to_date=&from_year=1978&to_year=1978&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=47&highlight_docid=atf%3A%2F%2F104-IV-263%3Ade&number_of_ranks=339&azaclir=clir | BGE_104_IV_263 |
||||
001c5e41-cc23-48fb-a7a0-248e78e09f3f | 2 | 81 | 1,348,696 | -189,388,800,000 | 1,964 | fr | Sachverhalt
ab Seite 159
BGE 90 II 158 S. 159
A.-
Vetania Trust reg. (ci-après: Vetania), entreprise fiduciaire à Vaduz, gère des biens pour le compte de Rhadamès Trujillo, qui a plein pouvoir de la représenter.
En mars 1963, Vetania possédait 32.000 actions nominatives E.L. Bruce & Co. Inc. valant environ 1.400.000 fr., déposées auprès de la Lloyd's Bank (Foreign) Ltd. de Londres, succursale de Genève. Se conformant à un usage bancaire, celle-ci les avait laissées chez ses correspondants
BGE 90 II 158 S. 160
de New York, la Bankers Trust Company, qui en tenaient un état et les avaient fait enregistrer dans les livres de la société au nom de "nominees". Correspondants et "nominees" américains ignoraient l'identité du propriétaire et agissaient selon les instructions de la Lloyd's. Pas plus que sa cliente, la banque ne connaissait les numéros des actions. Ces titres sont du reste joints à un "plot" si le correspondant détient en son nom d'autres actions d'une société déterminée. On n'en demande pas d'ordinaire le transfert effectif (matériel).
B.-
Par un télégramme du 27 mars 1963, Trujillo a invité la Lloyd's Bank à transférer les actions à son compte auprès du Banco exterior de Espana, à Madrid. Confirmé le lendemain par une lettre de Vetania, l'ordre n'était pas encore exécuté lorsque l'autorité compétente genevoise décida, le 26 avril, de séquestrer en mains de la banque "tous titres, espèces, objets, avoirs, créances ... actions nominatives ou au porteur ... inscrits en comptecourant, dépôt ... au nom de Vetania Registered Trust Vaduz ...". Seize ordonnances furent prises et exécutées par l'office des poursuites. La banque déclara alors que le séquestre s'opposait au transfert demandé. Vetania répondit que la mesure ne portait pas sur les titres déposés à New York.
C.-
Se conformant à une prorogation de for convenue les 21/25 octobre 1963, Vetania a saisi le Tribunal fédéral de l'action en restitution qu'elle a intentée, par demande du 22 novembre, à la Lloyd's Bank; elle prie le juge de fixer une astreinte de 500 fr. par jour de retard dans l'exécution du jugement. La défenderesse a conclu au rejet, offrant toutefois de restituer les titres si le séquestre ne les concerne pas. | 579 | 452 | Erwägungen
Considérant en droit:
2.
Les parties sont liées par une convention de dépôt. La défenderesse s'est obligée envers la demanderesse à recevoir des actions nominatives américaines que celle-ci
BGE 90 II 158 S. 161
lui a confiées, à les garder en lieu sûr et à les restituer en tout temps (art. 472 al. 1 et 475 al. 1 CO; RO 58 II 351). Un tel contrat est courant entre une banque et son client, lorsque le second prie la première de conserver des titres (GAUTSCHI, Commentaire, remarques préliminaires au dépôt, p. 593/594).
En ordonnant à la Lloyd's Bank de transférer les 32 000 actions E.L. Bruce & Co. Inc. à une banque madrilène, Vetania en a exigé la restitution au sens de l'
art. 475 al. 1 CO
. La dépositaire est disposée à rendre la chose confiée, n'était le séquestre.
3.
La portée de cette mesure prévue par le droit de la poursuite est une question préjudicielle (Vorfrage), que le juge appelé à décider de la restitution doit résoudre préalablement si, comme en l'espèce, les autorités de poursuite ne se sont pas prononcées. Il est généralement admis en droit suisse que, lorsque le sort d'une contestation pendante devant une autorité judiciaire ou administrative dépend de la solution d'une question préjudicielle qui relève en principe d'une autre juridiction, le juge compétent pour statuer sur la question principale l'est aussi pour trancher la question préjudicielle (RO 32 I 632/633;
41 II 161
;
71 I 495
;
85 IV 70
;
88 I 10
et les citations). Ainsi, le juge administratif peut se prononcer sur des questions de droit civil (RO 88 I 10/11;
41 II 161
en bas), les autorités de poursuite sur des points de procédure civile (RO 77 III 142/143 et les références), le juge pénal sur des questions du droit de la poursuite (RO 82 IV 19, 89 IV 79). Sur le point préjudiciel toutefois, la décision ne constitue qu'un motif du jugement et ne jouit pas de l'autorité de la chose jugée (RO 72 I 411).
4.
Selon les ordonnances et procès-verbaux produits, l'office des poursuites a opéré un séquestre générique, admis par la jurisprudence (RO 80 III 87 consid. 2 et les références). Cette mesure, ordonnée et exécutée à Genève par des autorités suisses, peut-elle porter sur des titres qui se trouvent effectivement à New York? Tel est le litige.
BGE 90 II 158 S. 162
a) Le séquestre, qui doit être ordonné par l'autorité compétente du lieu où se trouvent les biens (
art. 272 LP
), s'exécute suivant les formes prescrites pour la saisie (
art. 275 LP
). Il ne doit pas viser des objets qui ne sont pas dans le ressort du préposé, ni des objets insaisissables (RO 64 III 127;
65 III 22
;
68 III 66
;
80 III 126
consid. 3). Ne peuvent être saisis - et donc séquestrés - que les biens corporels se trouvant en Suisse (RO 41 III 292; arrêt non publié de la Chambre des poursuites et des faillites du 26 mars 1963, dans la cause Moritz et Tuchler Ltd., consid. 2). Est nul tout séquestre autorisé ou pratiqué dans un autre lieu que celui où se trouve l'objet à séquestrer (RO 56 III 230;
73 III 103
consid. 3;
75 III 26
consid. 2). Il s'ensuit que la mesure prise par les autorités de séquestre genevoises ne vise pas les 32 000 actions déposées à New York. Ce lieu seul est décisif, non le domicile de la personne qui a la "possession médiate et effective" des titres et en dispose.
b) La défenderesse objecte que ces titres sont "pratiquement des choses fongibles", car ils ne sont désignés que par leur genre, n'ayant pas été individualisés à son égard par la communication de leurs numéros; si plusieurs de ses clients possédaient des actions E.L. Bruce & Co. Inc., celles-ci constitueraient un seul "plot", sans distinction entre la propriété des uns et des autres.
Le droit suisse - applicable en l'espèce (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Allgemeine Einleitung, no 310) - distingue le dépôt régulier et le dépôt irrégulier. S'agissant de choses fongibles autres que des espèces ou de papiers-valeurs, le dépositaire n'a le droit d'en disposer, caractéristique du dépôt irrégulier, que s'il y a été expressément autorisé par le déposant (
art. 481 al. 3 CO
). Tel ne fut pas le cas en l'espèce. Le dépôt est donc régulier. Il serait en outre collectif, si divers clients de la défenderesse possédaient des actions E.L. Bruce & Co. Inc. auprès des mêmes correspondants américains (Vermengungsdepot et Sammeldepot:
BGE 90 II 158 S. 163
RO 77 I 40; G.AUTSCHI, op.cit., p. 595 et nos 3 d, 5 b/c et 9 b ad
art. 481 CO
).
Il s'ensuit que le déposant a la faculté de revendiquer la chose confiée. Le séquestre et la saisie ne peuvent viser le droit à la restitution, mais uniquement la chose elle-même (RO 60 III 232). Que le dépôt soit régulier ou irrégulier, ce droit ne porte d'ailleurs pas sur une somme d'argent. Aussi ne sert-il à rien à la défenderesse d'assimiler les titres en litige à des choses fongibles; car elle ne peut d'aucune façon s'appuyer sur la règle selon laquelle une créance ordinaire non incorporée dans un titre peut être séquestrée au domicile du tiers débiteur (soit chez elle) lorsque le titulaire (Vetania) n'est pas domicilié en Suisse (RO 56 III 49, 228;
75 III 26
;
76 III 19
;
80 III 126
).
5.
Pour renforcer son droit à la restitution, la demanderesse prie la Cour de fixer une astreinte de 500 fr. par jour de retard. Cette mesure relève de l'exécution des décisions judiciaires et se distingue de la réparation du dommage causé par l'inéxecution (RO 43 II 664/665). L'exécution des jugements du Tribunal fédéral est réglée exhaustivement par les art. 74 sv. PCF. Ces dispositions du droit fédéral ne prévoient pas l'astreinte. En revanche, le jugement qui condamne des personnes relevant du droit privé à accomplir un acte doit contenir d'office l'avis qu'en cas d'inaccomplissement dans un certain délai fixé par le juge, l'obligé encourt les peines prévues pour l'insoumission par l'
art. 292 CP
(
art. 76 al. 1 PCF
). Un délai de trente jours paraît suffisant en l'espèce.
BGE 90 II 158 S. 164 | 1,525 | 1,329 | Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
1. Admet la demande et condamne la défenderesse, la Lloyd's Bank (Foreign) Ltd. à Londres, succursale de Genève, à restituer immédiatement 32 000 actions E.L. Bruce & Co. Inc. à la demanderesse, Vetania Trust reg. à Vaduz;
2. Rejette la requête tendant à la fixation d'une astreinte, mais avise les membres des organes de la défenderesse qu'ils encourent les peines d'arrêts et d'amende prévues pour l'insoumission par l'
art. 292 CP
s'ils ne restituent pas dans un délai de trente jours dès la prononciation du jugement en séance publique en présence des mandataires des parties; | 165 | 132 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-90-II-158_1964 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=14&from_date=&to_date=&from_year=1964&to_year=1964&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=134&highlight_docid=atf%3A%2F%2F90-II-158%3Ade&number_of_ranks=190&azaclir=clir | BGE_90_II_158 |
||
001f256c-67fe-4ae6-a4c7-d8c91a2b3239 | 2 | 84 | 1,333,817 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 479
BGE 130 V 479 S. 479
A.
Par lettre du 12 avril 2002, Assura a demandé à l'Etat de Vaud paiement de la somme de 5'572'954 fr. au titre de remboursement partiel des prestations allouées pour des séjours effectués par ses
BGE 130 V 479 S. 480
assurés dans des établissements privés non subventionnés mais figurant dans la planification hospitalière cantonale.
L'Etat de Vaud a rejeté la demande par décision du 13 août 2002.
B.
Assura a recouru contre cette décision devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud, concluant à l'annulation de cette décision et à la condamnation de l'Etat de Vaud au paiement de la somme requise, sous suite de frais et dépens.
Par jugement du 3 avril 2003, la juridiction cantonale a rejeté le recours et mis un émolument de procédure de 500 fr. à la charge de la recourante.
C.
Assura interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont elle demande sous suite de frais et dépens l'annulation. Elle conclut en substance et à titre principal à ce que l'Etat de Vaud soit tenu de participer financièrement, à hauteur de 50 % du coût imputable à la division commune, pour les séjours hospitaliers dans les cliniques privées vaudoises au cours de la période allant de 1996 à 2001 et à la condamnation de l'Etat de Vaud au paiement de 5'572'954 fr.
L'Etat de Vaud conclut au rejet du recours, en se référant pour l'essentiel à ses écritures précédentes. De son côté, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS), Domaine maladie et accident (intégré, depuis le 1
er
janvier 2004, à l'Office fédéral de la santé publique), propose le rejet du recours aux termes de ses observations. | 599 | 325 | Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le litige porte sur le point de savoir si une personne hospitalisée en division commune d'une clinique privée du canton où elle habite, clinique figurant dans la planification hospitalière cantonale, - ou pour elle son assureur-maladie - peut prétendre de ce canton la part des coûts imputables dans un hôpital public ou subventionné à la charge du canton. La question qui divise les parties est celle de l'interprétation de l'art. 49 al. 1 deuxième phrase LAMal. Il faut donc admettre, pour le même motif que dans l'arrêt
ATF 127 V 423
sv. consid. 1, que la recevabilité du recours et la compétence du Tribunal fédéral des assurances pour connaître de celui-ci sont données.
2.
Le litige n'ayant pas pour objet l'octroi ou le refus de prestations d'assurance (
ATF 127 V 424
consid. 2), le Tribunal fédéral des assurances doit se borner à examiner si les premiers juges ont violé le
BGE 130 V 479 S. 481
droit fédéral, y compris par l'excès ou par l'abus de leur pouvoir d'appréciation, ou si les faits pertinents ont été constatés d'une manière manifestement inexacte ou incomplète, ou s'ils ont été établis au mépris de règles essentielles de procédure (art. 132 en corrélation avec les
art. 104 let. a et b et 105 al. 2 OJ
).
3.
Ratione temporis, les dispositions de la loi fédérale sur la partie générale du droit des assurances sociales (LPGA), entrée en vigueur le 1
er
janvier 2003, ne sont pas applicables.
3.1
L'
art. 49 al. 1 LAMal
prescrit que pour rémunérer le traitement hospitalier, y compris le séjour à l'hôpital (art. 39, al. 1), les parties à une convention conviennent de forfaits. Pour les habitants du canton, ces forfaits couvrent au maximum, par patient ou par groupe d'assurés, 50 % des coûts imputables dans la division commune d'hôpitaux publics ou subventionnés par les pouvoirs publics. Les coûts imputables sont établis lors de la conclusion de la convention. La part des frais d'exploitation résultant d'une surcapacité, les frais d'investissement et les frais de formation et de recherche ne sont pas pris en compte.
3.2
Dans deux arrêts du 16 décembre 1997 publié aux
ATF 123 V 290
et du 19 décembre 1997 publié aux
ATF 123 V 310
, le Tribunal fédéral des assurances a admis que le canton de résidence avait l'obligation de prendre en charge la différence de coûts lorsque des raisons médicales obligent des habitants du canton à suivre un traitement hospitalier ou semi-hospitalier dans un hôpital situé dans un autre canton (
art. 41 al. 3 LAMal
). Celle-ci n'existe que pour les traitements appliqués dans un hôpital public ou subventionné par les pouvoirs publics. Une telle obligation n'existe pas lorsque l'assuré se rend dans un hôpital privé, non public ou non subventionné par les pouvoirs publics (
ATF 123 V 310
).
Ainsi que l'a exposé la Cour de céans dans un arrêt du 30 novembre 2001, publié aux
ATF 127 V 422
, l'
art. 49 al. 1 LAMal
s'inscrit dans le dispositif de protection tarifaire des assurés instauré par la législation entrée en vigueur le 1
er
janvier 1996 (
art. 44 al. 1 LAMal
) qui a pour effet que le fournisseur de prestations ne peut pas facturer à l'assuré davantage que le montant dû par la caisse-maladie selon le tarif (
ATF 127 V 426
consid. 4b et la référence). Il délimite l'étendue du droit qu'un assuré peut faire valoir à l'égard de l'assurance obligatoire des soins lorsqu'il séjourne dans un hôpital public ou subventionné, indépendamment de la division qu'il choisit
BGE 130 V 479 S. 482
(
ATF 127 V 428
consid. 4c,
ATF 125 V 105
consid. 3e). Une personne hospitalisée en division privée ou semi-privée d'un hôpital public du canton où elle habite - ou, pour elle, son assureur-maladie - peut toutefois prétendre de ce canton la part des coûts imputables dans la division commune de cet hôpital à la charge du canton (
ATF 127 V 429
ss consid. 5 et 6).
4.
Dans son message du 26 mai 2004 concernant la révision de la loi fédérale sur l'assurance-maladie (Stratégie et thèmes urgents, FF 2004 4019), le Conseil fédéral a exposé la stratégie de réforme future après l'échec de la deuxième révision de la LAMal au cours de la session d'hiver 2003. Dans l'optique d'une consolidation et d'une optimisation du système existant, il y a lieu d'introduire des réformes légales, notamment dans le financement hospitalier (FF 2004 4029):
Pratiquement dès l'entrée en vigueur de la LAMal, l'obligation de participation des cantons au traitement hospitalier de patients bénéficiant d'une assurance complémentaire avait fait l'objet de discussions politiques, malgré le fait que le texte de loi et sa logique étaient clairs. Par un arrêt rendu le 30 novembre 2001, le Tribunal fédéral des assurances (TFA;
ATF 127 V 422
s.) a fixé que les cantons devaient apporter leur contribution aux frais d'hospitalisation d'une personne au bénéfice d'une assurance complémentaire non seulement en cas de séjour hospitalier hors du canton, mais également en cas de séjour hospitalier dans les hôpitaux publics ou subventionnés par les pouvoirs publics sur le territoire du canton. Cette précision de l'instance judiciaire suprême d'une volonté au fond claire du législateur a entraîné deux mesures au niveau législatif, l'une à court terme, l'autre à moyen terme:
- une application immédiate et totale de la décision du TFA aurait posé d'importants problèmes financiers aux cantons. Aussi le Parlement a-t-il atténué ce problème avec une loi fédérale déclarée urgente (loi fédérale du 21 juin 2002 sur l'adaptation des participations cantonales aux coûts des traitements hospitaliers dispensés dans le canton selon la loi fédérale sur l'assurance-maladie; RS 832.14) et décidé que la décision du TFA serait appliquée par étapes entre 2002 et 2004. Cette loi fédérale urgente constitue une solution transitoire jusqu'à l'entrée en vigueur de la 2
e
révision de la LAMal.
- à moyen terme, la 2e révision de la LAMal, que le Conseil fédéral avait déjà entamée avant la décision du TFA de 2001, proposait un passage du système actuel de financement des établissements à un système de financement des prestations, les coûts des prestations - ainsi que des investissements - des hôpitaux publics et privés pris en compte dans la planification cantonale devant être assumés pour moitié par les cantons et pour moitié par les assureurs-maladie (financement dual fixe). Ce changement en faveur d'un système de financement dual des prestations, qui établit une plus grande égalité de traitement entre les
BGE 130 V 479 S. 483
différents fournisseurs de prestations hospitalières, favorisant donc la concurrence, a rallié une majorité dans le débat politique. Il s'agit d'un modèle concurrentiel - si l'on excepte les financements différents des prestations ambulatoires et hospitalières - qui repose sur le rapport prix-prestation et sur la transparence nécessaire du marché.
Cette démarche en deux temps devrait être reprise pour les prochaines étapes de la révision: à court terme, il s'agit pour des raisons de sécurité juridique de prolonger la loi fédérale sur les participations cantonales jusqu'à l'entrée en vigueur de la révision de la loi relative au financement des hôpitaux. En effet, la détermination de la participation du canton aux frais du traitement hospitalier d'une personne au bénéfice d'une assurance complémentaire dispensé dans le canton est à nouveau susceptible d'être contestée. Cette révision de la loi doit à nouveau proposer le modèle de financement dual fixe, car le financement moniste des hôpitaux, considéré dans le rapport d'experts relatif à la 3e LAMal comme une solution pour l'avenir, soulève encore de nombreuses questions et ne peut pas être mis en oeuvre à partir de la situation actuelle sans une étape intermédiaire.
5.
5.1
L'interprétation de l'
art. 49 al. 1 LAMal
divise les parties. Selon la recourante, cette disposition légale concerne également les cliniques privées, vu le renvoi que l'art. 49 al. 1 première phrase LAMal fait expressément à l'
art. 39 al. 1 LAMal
à propos de la notion d'hôpital. L'objet de la rémunération porte ainsi sur tout traitement hospitalier dispensé dans un établissement hospitalier public, subventionné ou privé reconnu dans la planification hospitalière. La recourante fait valoir que l'art. 49 al. 1 deuxième phrase LAMal ne signifie nullement que seuls les patients hospitalisés dans un hôpital public ou subventionné ont droit à la participation financière de l'Etat, puisque cette disposition légale pose seulement une base de calcul pour déterminer la rémunération de prestations découlant de l'assurance obligatoire des soins, laquelle supporte au maximum 50 % des coûts imputables calculés sur la base de la division commune d'hôpitaux publics ou subventionnés, quel que soit le type d'établissement hospitalier dans lequel le patient a séjourné (public, subventionné, privé). L'autre partie, soit au minimum 50 % des coûts imputables calculés sur la base de la division commune d'hôpitaux publics ou subventionnés, est quant à elle supportée par le canton. De l'avis de la recourante, cette interprétation de l'
art. 49 al. 1 LAMal
est conforme à la logique du système, car elle ne crée aucune distorsion entre le patient séjournant en division privée d'un hôpital public et le patient séjournant en division privée d'un hôpital privé, respectivement entre le patient séjournant en division
BGE 130 V 479 S. 484
commune d'un établissement public et le patient séjournant en division commune d'un établissement privé. D'autre part, elle respecte la dichotomie entre l'assurance de base et l'assurance complémentaire.
5.2
La loi s'interprète en premier lieu selon sa lettre. Selon la jurisprudence, il n'y a lieu de déroger au sens littéral d'un texte clair par voie d'interprétation que lorsque des raisons objectives permettent de penser que ce texte ne restitue pas le sens véritable de la disposition en cause. De tels motifs peuvent découler des travaux préparatoires, du but et du sens de la disposition, ainsi que de la systématique de la loi. Si le texte n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, il convient de rechercher quelle est la véritable portée de la norme, en la dégageant de tous les éléments à considérer, soit notamment des travaux préparatoires, du but de la règle, de son esprit, ainsi que des valeurs sur lesquelles elle repose ou encore de sa relation avec d'autres dispositions légales (
ATF 130 II 71
consid. 4.2,
ATF 130 V 50
consid. 3.2.1,
ATF 129 II 356
consid. 3.3,
ATF 129 V 165
consid. 3.5,
ATF 129 V 284
consid. 4.2 et les références).
5.3
L'
art. 49 al. 1 LAMal
est issu de l'art. 42 du projet du Conseil fédéral, du 6 novembre 1991 (FF 1992 I 257), lui-même repris de l'art. 33 du projet de la commission d'experts, du 2 novembre 1990.
5.3.1
Les textes allemand et italien de l'art. 49 al. 1 première et deuxième phrases LAMal sont ainsi libellés: "Für die Vergütung der stationären Behandlung einschliesslich Aufenthalt in einem Spital (Art. 39 Abs. 1) vereinbaren die Vertragsparteien Pauschalen. Diese decken für Kantonseinwohner und -einwohnerinnen bei öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitälern höchstens 50 % der anrechenbaren Kosten je Patient oder Patientin oder je Versichertengruppe in der allgemeinen Abteilung". "Per la rimunerazione della cura ospedaliera, compresa la degenza ospedaliera (art. 39 cpv. 1), le parti alla convenzione stabiliscono importi forfettari. Questi coprono, per gli abitanti del Cantone, al massimo il 50 % dei costi fatturabili per paziente o gruppo d'assicurati nel reparto comune d'ospedali pubblici o sussidiati dall'ente pubblico".
Le sens littéral de l'art. 49 al. 1 deuxième phrase LAMal est clair. Aussi bien les textes français, allemand ou italien ne parlent que d'hôpitaux publics ou subventionnés par les pouvoirs publics. L'OFAS relève avec raison dans son préavis que comme cela ressort davantage du texte allemand, qui met l'accent sur les hôpitaux publics ou
BGE 130 V 479 S. 485
subventionnés par les pouvoirs publics - "bei öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitälern" -, la réglementation instituée à l'art. 49 al. 1 deuxième phrase LAMal se limite aux hôpitaux publics ou subventionnés par les pouvoirs publics.
5.3.2
Ce sens littéral est conforme à la volonté du législateur. Ain si que cela résulte du message du Conseil fédéral du 6 novembre 1991 concernant la révision de l'assurance-maladie (FF 1992 I 110), l'art. 42 du projet de loi prévoyait que l'assurance obligatoire des soins médico-pharmaceutiques couvrira au plus et par patient 50 % des coûts imputables dans la division commune d'hôpitaux publics ou subventionnés par les pouvoirs publics, le reste devant être couvert par des recettes fiscales. L'art. 42 faisait partie des dispositions revêtant dans le projet une importance particulière. Le 1
er
alinéa prévoyait comme règle de base que les frais de traitement et de pension à l'hôpital doivent être couverts par des forfaits. Ces forfaits, valables pour les habitants d'un canton, peuvent couvrir au plus, par patient ou groupe d'assurés, 50 % des coûts imputables dans la division commune d'hôpitaux publics ou subventionnés par les pouvoirs publics (taux de couverture). Telles sont les règles de base qui s'appliquent aux forfaits dans les hôpitaux publics ou subventionnés par les pouvoirs publics (message précité, FF 1992 I 166). Le taux de couverture qui, dans l'assurance-maladie, est fixé au maximum à 50 % des coûts imputables doit également mettre un terme à la pratique suivie ces dernières années par les pouvoirs publics; ceux-ci faisaient en effet supporter de plus en plus à l'assurance-maladie sociale les frais hospitaliers élevés qui, dans une certaine mesure, résultaient d'erreurs dans la planification et dans l'appréciation du taux d'occupation des hôpitaux. En ce qui concerne les hôpitaux privés, les partenaires tarifaires peuvent convenir de taux de couverture plus élevés. Cela paraît équitable, car ces hôpitaux ne sont pas financés avec des fonds provenant en partie des recettes fiscales (message précité, FF 1992 I 167).
Les travaux parlementaires indiquent également que le législateur est parti de l'idée que la règle de base du taux de couverture de 50 % ne concerne que la division commune d'hôpitaux publics ou subventionnés par les moyens publics (M. le Conseiller fédéral Cotti, BO 1992 CE 1316; Huber, BO 1992 CE 1314). Lors de la séance du Conseil des Etats du 17 décembre 1992, le Conseiller aux Etats Gemperli, qui avait fait la proposition d'introduire à l'alinéa 1 la disposition qui stipule "dans la règle", était du reste de l'avis que
BGE 130 V 479 S. 486
l'art. 42 al. 1 du projet viole le principe de l'égalité de traitement dans la mesure où les hôpitaux privés en sont exclus (BO 1992 CE 1315). Cela n'a eu aucune incidence sur le texte adopté par les Chambres (BO 1992 CE 1316; BO 1993 CN 1861), l'art. 49 al. 1 première et deuxième phrases LAMal reprenant l'art. 42 al. 1 première phrase du projet de loi.
5.3.3
Sous l'angle de la systématique de la loi, il existe en ce qui concerne l'obligation pour les cantons de contribuer aux frais du traitement hospitalier un lien matériel étroit entre l'art. 49 al. 1 deuxième phrase LAMal et l'art. 41 al. 3 première phrase LAMal, cette disposition légale instituant une obligation du canton de résidence de prendre en charge la différence de coûts lorsque, pour des raisons médicales, l'assuré recourt aux services d'un hôpital public ou subventionné par les pouvoirs publics situé hors de son canton de résidence (voir
ATF 123 V 305
consid. 6c/bb et 318 sv. consid. 4b et c; à propos des art. 35 al. 3 et 42 al. 1 et 2 du projet de loi, cf. FF 1992 I 151 et 166). Dans son message du 18 septembre 2000 relatif à la révision partielle de la loi fédérale sur l'assurance-maladie, le Conseil fédéral a proposé d'harmoniser les art. 49 et 41 par un renvoi de l'art. 41 al. 3 à l'
art. 49 LAMal
(FF 2001 740).
Selon la jurisprudence rendue à propos de l'
art. 41 al. 3 LAMal
, l'obligation du canton de résidence de prendre en charge la différence de coûts n'existe que pour les traitements appliqués dans un hôpital public ou subventionné par les pouvoirs publics. Une telle obligation n'existe pas lorsque l'assuré se rend dans un hôpital privé, non public ou non subventionné par les pouvoirs publics (
ATF 123 V 310
).
Au regard de la systématique de la loi, il se justifie également d'interpréter l'art. 49 al. 1 deuxième phrase LAMal de la même manière que l'art. 41 al. 3 première phrase LAMal et de nier toute obligation du canton de contribuer aux frais du traitement hospitalier intracantonal lorsque l'assuré se rend dans un hôpital privé, non subventionné par les pouvoirs publics.
5.3.4
L'interprétation littérale de l'art. 49 al. 1 deuxième phrase LAMal, dans le sens des travaux préparatoires et de la systématique de la loi, apparaît conforme au but et à l'esprit de cette règle, compte tenu des valeurs sur lesquelles elle repose, singulièrement de l'intérêt protégé (interprétation téléologique;
ATF 130 II 71
consid. 4.2).
BGE 130 V 479 S. 487
En effet, l'
art. 49 al. 1 LAMal
a pour but d'instaurer un financement dual des coûts imputables dans la division commune des hôpitaux publics ou subventionnés par les pouvoirs publics. Dès lors, si tout assuré qui séjourne en division privée d'un tel établissement est en droit de recevoir de son assureur-maladie l'équivalent du forfait que celui-ci aurait dû acquitter s'il avait été hospitalisé en division commune, ce forfait doit être calculé selon la règle prévue à l'
art. 49 al. 1 LAMal
. Or, le texte légal spécifie que, pour les habitants du canton, un tel forfait couvre au maximum, par patient ou par groupe d'assurés, 50 % des coûts imputables dans la division commune. C'est pourquoi, logiquement, le canton doit supporter dans tous les cas l'autre partie de ces coûts imputables, soit 50 % au minimum, sans égard à la division de l'hôpital public ou subventionné par les pouvoirs publics où séjourne l'assuré (
ATF 127 V 429
consid. 5).
Il serait dès lors contraire à la ratio legis que le canton où la personne habite, si celle-ci a été hospitalisée en division commune d'un hôpital privé (ni public ni subventionné par les pouvoirs publics), doive contribuer également à la prise en charge des coûts imputables. Mais l'hôpital privé ne tombant pas sous le coup de la règle instituée à l'art. 49 al. 1 deuxième phrase LAMal, le taux de couverture à la charge des assureurs-maladie s'élève ainsi à 50 % au maximum (décision du Conseil fédéral du 23 juin 1999, RAMA 1999 n° KV 83 p. 354 consid. 4.4 et la référence). L'interprétation de cette disposition légale ne permet donc pas que l'assurance obligatoire des soins subventionne indirectement une clinique privée qui ne bénéficie d'aucune subvention de la part des pouvoirs publics. C'est d'ailleurs ce que propose de changer le projet 2A du Conseil fédéral de révision partielle de la loi fédérale du 18 mars 1994 sur l'assurance-maladie, qui envisage le passage au financement lié aux prestations, de sorte qu'on ne pourra plus faire référence aux coûts imputables (voir le rapport explicatif concernant la partie relative au financement hospitalier). Ainsi que le relève avec raison l'OFAS dans son préavis, il n'y a pas lieu, à l'avance, de choisir une solution de lege ferenda.
5.4
Il ne se justifie donc pas de déroger au sens littéral du texte clair de l'art. 49 al. 1 deuxième phrase LAMal, dont l'interprétation exclut toute prise en charge par le canton où habite la personne hospitalisée en division commune d'une clinique privée, de la part des coûts imputables dans un hôpital public ou subventionné par
BGE 130 V 479 S. 488
les pouvoirs publics, même si la clinique figure sur la planification cantonale.
6.
Les autres arguments invoqués par la recourante ne sont guère plus convaincants, à mesure qu'ils excèdent largement le cadre du problème soumis au juge dans le présent cas. En particulier, il n'appartient pas au Tribunal fédéral des assurances de se prononcer sur la constitutionnalité de l'
art. 49 al. 1 LAMal
, au regard notamment des
art. 3 et 117 Cst.
(
ATF 127 V 430
consid. 6,
ATF 126 V 60
consid. 5 et les références). Le tribunal est en effet tenu d'appliquer la loi (
art. 191 Cst.
).
7.
(Frais et dépens) | 7,520 | 3,871 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-130-V-479_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=11&from_date=&to_date=&from_year=2004&to_year=2004&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=103&highlight_docid=atf%3A%2F%2F130-V-479%3Ade&number_of_ranks=296&azaclir=clir | BGE_130_V_479 |
|||
0022e75d-dc89-4b8c-8274-ac391de99603 | 1 | 83 | 1,334,142 | 725,846,400,000 | 1,993 | de | Sachverhalt
ab Seite 114
BGE 119 IV 113 S. 114
A.-
Der schweizerischen Staatsangehörigen B. wird vorgeworfen, anlässlich eines Ferienaufenthaltes mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in Vomp/A am 8. Februar 1993 ihren vierjährigen Sohn Raphael mit einem Stoffgürtel erdrosselt zu haben. Sie befindet sich seither aufgrund einer Anordnung des zuständigen Untersuchungsrichters in der geschlossenen Abteilung des Landesnervenkrankenhauses Hall/A. Gegen B. wurde eine Voruntersuchung wegen Mordes eröffnet.
Die Familie B. wohnte damals in Gais/AR. Anlässlich ihrer Einvernahme vom 16. Februar 1993 sprach sich B. gegen die von der Staatsanwaltschaft gewünschte Übernahme der Strafverfolgung durch die Schweiz aus; es wurde ihr Rechtsanwalt Dr. M. als Verfahrenshelfer bestellt.
B.-
Am 7. Juli 1993 ersuchte das Bundesministerium für Justiz der Republik Österreich gestützt auf eine Sachverhaltsdarstellung der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 23. Juni 1993 das Bundesamt für Polizeiwesen, die Strafverfolgung von B. zu übernehmen.
Das Bundesamt für Polizeiwesen ersuchte am 13. Juli 1993 das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh., die Beschuldigte durch die zuständigen
BGE 119 IV 113 S. 115
Gerichtsbehörden des Kantons Appenzell A.Rh. ins Recht fassen zu lassen.
Am 15. Juli 1993 lehnte das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. eine Übernahme der Strafverfolgung ab, da sich die Beschuldigte am 10. April 1993 in Gais/AR abgemeldet und neuen Wohnsitz in Dübendorf/ZH begründet habe, wo somit gemäss
Art. 348 StGB
auch der Gerichtsstand liege.
Ein Ersuchen des Bundesamtes für Polizeiwesen vom 20. Juli 1993, den Fall zu prüfen und allenfalls bei den österreichischen Behörden ein Auslieferungsgesuch zu stellen, wies die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 23. Juli 1993 ab, da die Beschuldigte und ihr Sohn im Zeitpunkt der Deliktsbegehung Wohnsitz in Gais/AR gehabt hätten. Der Umstand, dass der Ehemann seit Juni 1993 in Dübendorf Wohnsitz habe, ändere an der Zuständigkeit der Behörden des Kantons Appenzell A.Rh. nichts.
Nachdem ihm die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die Akten zugestellt hatte, sandte das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. die Akten wieder an das Bundesamt für Polizeiwesen, da seines Erachtens die Verhältnisse im Zeitpunkt des ausländischen Ersuchens massgebend seien; auch die Beschuldigte sei durch ihren Ehemann in Dübendorf bei der Einwohnerkontrolle angemeldet worden. Sollte man davon ausgehen, die Beschuldigte habe zu dieser Zeit in der Schweiz über keinen gültigen Wohnsitz verfügt, wäre gemäss
Art. 348 StGB
der Heimatkanton St. Gallen zuständig.
C.-
Mit Gesuch vom 2. August 1993 beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich der Anklagekammer des Bundesgerichts, den Gerichtsstand festzulegen; die Behörden des Kantons Zürich seien mit Sicherheit nicht zuständig, die Strafverfolgung der Beschuldigten zu übernehmen.
Das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. beantragt, die Behörden des Kantons Zürich, eventuell jene des Kantons St. Gallen zuständig zu erklären. | 646 | 505 | Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
a) Der beschuldigten schweizerischen Staatsbürgerin wird zur Last gelegt, in Österreich ihren Sohn, ebenfalls Schweizer Staatsbürger, getötet zu haben.
BGE 119 IV 113 S. 116
b) Obwohl die Tat in Österreich ausgeführt wurde, haben die österreichischen Behörden dem Bundesamt für Polizeiwesen beantragt, die in Österreich gegen die Beschuldigte wegen Mordes (
§ 75 StGB
/A) angehobene Strafverfolgung zu übernehmen.
c) Die Übernahme einer im Ausland angehobenen Strafverfolgung wird geregelt in
Art. 85 ff. IRSG
(Vierter Teil: Stellvertretende Strafverfolgung), nach welcher Bestimmung die Schweiz unter bestimmten Voraussetzungen auf Ersuchen des aufgrund des Territorialitätsprinzips primär zuständigen Tatortstaates (vgl.
BGE 108 IV 147
) an dessen Stelle die Strafgewalt ausüben kann; eine solche stellvertretende Strafverfolgung erfasst Verfahren, die sowohl gegen Schweizerbürger als auch gegen Ausländer gerichtet sein können (BBl 1976 II 467). Diese Form der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen ist zu unterscheiden von derjenigen aufgrund originärer schweizerischer Gerichtsbarkeit (vgl. BBl 1976 II 466f.). Denn die Bestimmungen des IRSG über die stellvertretende Strafverfolgung gelten nicht, wenn die Tat aufgrund anderer Vorschriften der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterworfen ist (
Art. 85 Abs. 3 IRSG
;
BGE 117 IV 379
E. 5c; SCHULTZ, Das neue Schweizer Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, SJZ 1981 S. 106; vgl. auch Sten.Bull. SR 1977, 634 zum heutigen Art. 94 Abs. 3): Die Schweiz - wie im übrigen auch die anderen Staaten - bestimmt in autonomer Weise die Grenzen ihrer eigenen strafrechtlichen Zuständigkeit; sie hat dies mit den Art. 3 bis 7 StGB getan (
BGE 117 IV 376
E. 4e).
d) Zu prüfen ist daher zunächst, ob die konkrete Tat aufgrund dieser Bestimmungen (insb. Art. 4 bis 6 StGB) materiell dem schweizerischen Strafrecht, d.h. der schweizerischen Straf(rechts)hoheit bzw. der schweizerischen Gerichtshoheit (SCHULTZ, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 108 ff.) unterworfen ist (
BGE 117 IV 375
f.). Für Delikte, die gemäss
Art. 3-7 StGB
unter die schweizerische Straf- bzw. Gerichtshoheit fallen, muss es im übrigen einen schweizerischen Gerichtsstand geben (
BGE 82 IV 70
; SCHMID, Strafprozessrecht, N. 382).
e) Ergibt diese Prüfung, dass die schweizerische Gerichtsbarkeit zu bejahen ist, so ist die Auslandstat nach schweizerischem Recht zu verfolgen und zu beurteilen, ohne dass dazu ein Übernahmebegehren des ausländischen Tatortstaates erforderlich wäre (vgl.
BGE 76 IV 211
f.; vgl. auch TRECHSEL, Kurzkommentar StGB, Art. 6 N. 1; vgl. STRATENWERTH, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 92; vgl. SCHWANDER, a.a.O., Nr. 70; vgl. LOGOZ, Commentaire CPS, partie générale, S. 48);
BGE 119 IV 113 S. 117
die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden haben daher auch ohne solches Ersuchen ohne weiteres tätig zu werden, sobald sie von der Auslandstat Kenntnis erhalten.
2.
a) Gemäss
Art. 6 Ziff. 1 StGB
ist der Schweizer, der im Ausland ein Verbrechen oder ein Vergehen verübt, für welches das schweizerische Recht die Auslieferung zulässt, sofern die Tat auch am Begehungsort strafbar ist, dem schweizerischen Strafgesetzbuch unterworfen, wenn er sich in der Schweiz befindet oder der Eidgenossenschaft wegen dieser Tat ausgeliefert wird.
Voraussetzung für die Anwendung von
Art. 6 StGB
ist nicht, dass der Täter auch tatsächlich ausgeliefert wird, sondern es genügt, dass er für die ihm zur Last gelegte Auslandstat ausgeliefert werden könnte (vgl. SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, Nr. 70). Dies ist der Fall, wenn das schweizerische Recht dafür die Auslieferung an sich zulässt (vgl.
BGE 79 IV 51
). Diese Frage entscheidet sich nach
Art. 35 Abs. 1 lit. a IRSG
(TRECHSEL, a.a.O., Art. 6 N. 3). Nach dieser Bestimmung gelten als Auslieferungsdelikte Taten, die nach dem Recht sowohl der Schweiz als auch des ersuchenden Staates mit einer freiheitsbeschränkenden Sanktion im Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Sanktion bedroht sind. Dies trifft auf das der Beschuldigten vorgeworfene Tötungsdelikt zu: Die der Beschuldigten zur Last gelegte Tat ist nach
§ 75 StGB
/A mit Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen; auch die hier allenfalls in Frage kommenden Art. 111 (vorsätzliche Tötung), 112 (Mord), 113 (Totschlag) und 117 (fahrlässige Tötung) StGB/CH sind alle mit Freiheitsstrafen im Höchstmass von mehr als einem Jahr bedroht und damit Auslieferungsdelikte im Sinne von
Art. 35 Abs. 1 lit. a IRSG
.
Aus diesen Gründen unterliegt die im vorliegenden Fall zu verfolgende Auslandstat schon aufgrund von
Art. 6 StGB
der schweizerischen Gerichtsbarkeit bzw. Strafrechtshoheit.
b) Nach
Art. 5 Abs. 1 StGB
wird ebenfalls dem schweizerischen Strafgesetzbuch unterworfen, wer im Ausland gegen einen Schweizer ein Verbrechen oder ein Vergehen verübt, sofern die Tat auch am Begehungsort strafbar ist, wenn er sich in der Schweiz befindet und nicht an das Ausland ausgeliefert, oder wenn er der Eidgenossenschaft wegen dieser Tat ausgeliefert wird.
Diese nicht auf Auslieferungsdelikte beschränkte Bestimmung ist im vorliegenden Fall offensichtlich ebenfalls anwendbar. Damit ergibt sich auch gestützt auf diese Bestimmung im vorliegenden Fall die schweizerische Gerichtsbarkeit bzw. Gerichtshoheit.
BGE 119 IV 113 S. 118
c) Im vorliegenden Fall wären nach dem Gesagten die
Art. 5 und 6 StGB
anwendbar. Die Frage der Konkurrenz dieser beiden Bestimmungen hat das Bundesgericht dahingehend entschieden, dass die richtige Lösung beim Zusammentreffen der Voraussetzungen von
Art. 5 und 6 StGB
(Täter und Opfer sind Schweizer) nicht im Vorrang und der ausschliesslichen Anwendbarkeit der einen oder anderen Norm liege, sondern die beiden Bestimmungen sinngemäss zu kombinieren seien; der Schweizer, der im Ausland gegen einen Schweizer delinquiert habe, müsse sich in der Schweiz für jede solche Straftat (nicht nur für Auslieferungsdelikte) verantworten (
BGE 108 IV 84
). Dieser Entscheid hat Zustimmung gefunden (REHBERG, Strafrecht I, S. 44; NOLL/TRECHSEL, a.a.O., S. 48; TRECHSEL, a.a.O., Art. 5 N. 9); SCHULTZ sah sich durch den Entscheid veranlasst, auf seine früher vertretene Auffassung zurückzukommen und in solchen Fällen
Art. 6 StGB
den Vorrang gegenüber
Art. 5 StGB
einzuräumen (ZBJV 1984, S. 4).
d) Die schweizerische Gerichtsbarkeit ergibt sich somit im vorliegenden Fall gestützt auf Art. 6 in Verbindung mit
Art. 5 StGB
, deren Anwendung entgegen der Auffassung des Gesuchsgegners, der von der - nach dem oben Ausgeführten unzutreffenden - Anwendbarkeit von
Art. 85 IRSG
ausgeht, keineswegs zweifelhaft ist.
3.
a) Steht die schweizerische Gerichtsbarkeit nach dem Gesagten im vorliegenden Fall fest, bleibt die Festlegung eines Gerichtsstandes in Anwendung von
Art. 348 StGB
(vgl.
BGE 108 IV 146
E. 2). Nach dieser Bestimmung befindet sich der Gerichtsstand am Wohnort des Beschuldigten, mangels eines solchen am Heimatort.
Der Wohnort im Sinne von
Art. 348 StGB
ist nicht gleichbedeutend mit den zivilrechtlichen Wohnsitz im Sinne von
Art. 23 ZGB
. Der Wohnort eines Beschuldigten befindet sich am Ort des Mittelpunktes seines Lebens, in der Regel also dort, wo er für sich und seine Familie eine Wohnung eingerichtet hat und bewohnt oder wo er gewöhnlich nächtigt; die Behörden dieses Ortes stehen ihm am nächsten, kennen ihn und können seiner am besten habhaft werden (
BGE 97 IV 152
mit Hinweis).
Der Wohnort kann unter dem Gesichtspunkt von
Art. 348 StGB
erst eine Rolle spielen vom Zeitpunkt an, in welchem zu entscheiden ist, welcher Kanton die Strafverfolgung zu führen habe. Erhalten die schweizerischen Behörden durch ein Übernahmebegehren einer ausländischen Behörde von der strafbaren Handlung Kenntnis, die ein Schweizer im Ausland begangen hat, so kann daher der Gerichtsstand nur begründet werden entweder durch den Wohnort
BGE 119 IV 113 S. 119
des Beschuldigten im Augenblick, in dem das Übernahmebegehren bei den schweizerischen Behören eintrifft, oder durch den Wohnort im Zeitpunkt, in dem das Bundesamt für Polizeiwesen das Begehren an eine kantonale Behörde weiterleitet, wobei grundsätzlich auf letzteren Zeitpunkt abzustellen ist (
BGE 76 IV 268
E. 3).
Für die Strafverfolgung ist es ohne Bedeutung, ob der Beschuldigte überhaupt einen Wohnort und ob er stets nur einen einzigen hat; ein Bedürfnis, in diesem Zusammenhang
Art. 24 ZGB
anzuwenden, besteht grundsätzlich nicht; es ist in aller Regel auch überflüssig, da bei Fehlen eines Wohnortes subsidiär ein anderer Gerichtsstand zur Verfügung steht (SCHWERI, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, N. 197); entscheidend ist, dass die Strafbehörde rasch und auf einfache Weise feststellen kann, ob sie zur Verfolgung des Beschuldigten verpflichtet ist (vgl.
BGE 76 IV 269
).
b) Das Ehepaar B. hatte seit 30. Juni 1986 Wohnsitz in Gais/AR, wo sie bis zum 10. April 1993 wohnten. Vom 15. April 1993 bis 31. Mai 1993 war nur der Ehemann B. in Nürensdorf/ZH gemeldet; am 1. Juni 1993 meldete B. die ganze Familie bei der Einwohnerkontrolle in Dübendorf/ZH an.
Seit der Tat am 8. Februar 1993 befindet sich die Beschuldigte in Österreich. Es liegt auf der Hand, dass der Aufenthalt im Landesnervenkrankenhaus Hall/A keinen neuen Wohnort zu begründen vermag, denn dort hält sich die Beschuldigte lediglich auf, bis die Frage des schweizerischen Gerichtsstandes entschieden ist.
c) Nach der oben dargelegten Rechtsprechung wäre davon auszugehen, dass die Beschuldigte im massgeblichen Zeitpunkt der Weiterleitung des Übernahmegesuches durch das Bundesamt für Polizeiwesen am 13. Juli 1993 an die Behörden des Kantons Appenzell A.Rh. über keinen eigentlichen Wohnort mehr verfügte, da der Ehemann die Familienwohnung gekündigt und sich und seine Familie am 10. April 1993 in Gais abgemeldet hatte.
d) Diese Rechtsprechung kann indessen nicht ohne weiteres auch auf den vorliegenden Fall angewandt werden. Die Beschuldigte wohnte nämlich zusammen mit ihrem Ehemann und den Kindern seit Juni 1986, d.h. seit fast sieben Jahren, in Gais/AR, wo sie damit zweifellos auch ihren Lebensmittelpunkt hatte. Es sind daher auch die Behörden dieses Kantons, die der Beschuldigten im Sinne der vorstehend dargelegten Rechtsprechung am nächsten stehen, sie und ihre persönlichen Verhältnisse kennen und damit auch in erster Linie dazu berufen sind, die Strafverfolgung zu übernehmen. Daran ändert
BGE 119 IV 113 S. 120
der Umstand nichts, dass der Ehemann nach Anhebung der Strafuntersuchung gegen die Beschuldigte ohne Mitwirkung derselben den bisherigen Familien-Wohnort Gais/AR aufgegeben hat und nun in Dübendorf/ZH wohnt. Denn nichts deutet darauf hin, dass die Beschuldigte beabsichtigt, überhaupt nach Dübendorf zu ziehen und dort zu verbleiben (vgl. dazu
BGE 76 IV 270
); aus dem Gutachten von Prof. Dr. med. P. vom 1. Juni 1993 ergibt sich vielmehr, dass der Ehegatte der Beschuldigten inzwischen eine neue Beziehung aufgenommen habe; die Beschuldigte habe am 26. Mai 1993 erklärt, sie habe sich von ihrem Mann getrennt, weil dieser das gewünscht habe. Unter diesen Umständen ist nicht zu erwarten, dass die Beschuldigte allenfalls wieder mit ihrem Ehemann an dessen neuem Wohnort zusammenwohnen wird. Da bis zur Abreise der Beschuldigten ins Ausland kurz vor der Tat der Lebensmittelpunkt unzweifelhaft in Gais/AR lag, und die Beschuldigte nichts unternommen hat, diesen aus eigenem Entschluss aufzuheben und an einen anderen Ort zu verlegen, ist unter Berücksichtigung der erwähnten Gründe, die für den Gerichtsstand des Wohnortes sprechen, davon auszugehen, dass nach wie vor die Behörden des Kantons Appenzell A.Rh. am besten in der Lage sind, die Verfolgung und Beurteilung der Beschuldigten zu übernehmen. In dieser besonderen Situation besteht somit kein Anlass, auf den Gerichtsstand des Heimatortes zurückzugreifen (vgl. dazu auch
BGE 76 IV 270
). | 2,663 | 2,202 | Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Es werden die Behörden des Kantons Appenzell A.Rh. berechtigt und verpflichtet erklärt, die B. zur Last gelegte strafbare Handlung zu verfolgen und zu beurteilen. | 45 | 35 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-119-IV-113_1993 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=14&from_date=&to_date=&from_year=1993&to_year=1993&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=135&highlight_docid=atf%3A%2F%2F119-IV-113%3Ade&number_of_ranks=378&azaclir=clir | BGE_119_IV_113 |
||
002556ac-efa7-454a-9043-eaa21eb4af08 | 1 | 84 | 1,348,964 | 347,155,200,000 | 1,981 | de | Sachverhalt
ab Seite 203
BGE 107 V 203 S. 203
Mit Verfügung vom 17. Juli 1979 verpflichtete die Ausgleichskasse des Schweizerischen Bäcker-Konditorenmeister-Verbandes den ihr angeschlossenen Jacques Simon zur Bezahlung von Verzugszinsen auf einer Beitragsforderung von Fr. ..., nachdem die Beiträge innert der angesetzten Nachfrist nicht bezahlt worden waren und die Ausgleichskasse das Betreibungsverfahren eingeleitet hatte.
BGE 107 V 203 S. 204
Die kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel, hiess eine hiegegen erhobene Beschwerde im wesentlichen mit der Begründung gut, dass die nach
Art. 41bis Abs. 1 AHVV
für den Fall der Betreibung vorgesehene rückwirkende Verzugszinspflicht gegen die verfassungsmässigen Grundsätze der Rechtsgleichheit und des Willkürverbotes verstossen.
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. | 199 | 134 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Mit dem auf den 1. Januar 1979 in Kraft getretenen
Art. 14 Abs. 4 lit. e AHVG
(Gesetzesnovelle vom 24. Juni 1977: 9. AHV-Revision) wurde dem Bundesrat die Befugnis erteilt, Vorschriften über die Erhebung von Verzugszinsen und die Ausrichtung von Vergütungszinsen zu erlassen. Der Bundesrat hat gestützt hierauf in
Art. 41bis AHVV
näher umschrieben, unter welchen Voraussetzungen der säumige Beitragsschuldner zur Leistung von Verzugszinsen verpflichtet ist. Danach sind Verzugszinsen zu entrichten, wenn die Ausgleichskasse die Beiträge in Betreibung setzt oder wenn über den Beitragspflichtigen der Konkurs eröffnet wird; in den übrigen Fällen, namentlich wenn die Ausgleichskasse eine ausserordentliche Zahlungsfrist setzt oder Beiträge nachfordert, sind Verzugszinsen nur zu entrichten, sofern die Beiträge nicht innert 4 Monaten nach Beginn des Zinslaufes bezahlt werden (Abs. 1). Besondere zusätzliche Bestimmungen gelten bei Beitragsnachforderungen (Abs. 2). Gemäss Abs. 3 der Bestimmung laufen die Verzugszinsen vom Ende der Zahlungsperiode an, es sei denn, es liege eine Nachzahlung vor. Keine Verzugszinsen sind zu entrichten, wenn die nach Bundesrecht geschuldeten Beiträge weniger als Fr. 3'000.-- ausmachen (Abs. 4). Der Zinssatz beträgt 0,5% je abgelaufenen Monat oder, wenn die Beitragsforderung in Betreibung gesetzt wird, 6% im Jahr (Abs. 5).
3.
Die Vorinstanz hat die streitige Verfügung mit der Begründung aufgehoben, dass die ihr zugrundeliegende Verordnungsbestimmung (
Art. 41bis AHVV
) gegen die Rechtsgleichheit und das Willkürverbot verstosse. Nach Auffassung des kantonalen Richters entspricht die Bestimmung nicht dem Willen des Gesetzgebers.
a) Mit
Art. 14 Abs. 4 lit. e AHVG
hat der Gesetzgeber dem Bundesrat die Befugnis zum Erlass von Vorschriften über "die Erhebung von Verzugszinsen und die Ausrichtung von
BGE 107 V 203 S. 205
Vergütungszinsen" übertragen. Die Delegationsnorm enthält keine besonderen Einschränkungen hinsichtlich der Rechtsetzungsbefugnis, weshalb dem Bundesrat ein weitgehendes gesetzgeberisches Ermessen eingeräumt ist. Das Gericht hat sich daher auf die Prüfung zu beschränken, ob die umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus dem Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen oder aus andern Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig sind. Es kann jedoch sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen und hat über die Zweckmässigkeit der bundesrätlichen Verordnung nicht zu befinden. Die Verordnungsregelung verstösst allerdings dann gegen
Art. 4 BV
, wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, wenn sie sinn- oder zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht finden lässt bzw. wenn sie es unterlässt, Unterscheidungen zu treffen, die richtigerweise hätten berücksichtigt werden sollen (
BGE 104 Ib 209
, 425).
b) Dass sich die Regelung des
Art. 41bis Abs. 1 AHVV
im Rahmen der Delegationsnorm hält, kann nicht zweifelhaft sein (vgl. auch BBl 1976 III 28). Sie führt dagegen insofern zu einer ungleichen Behandlung der Beitragspflichtigen, als der Betreibungsschuldner ohne Rücksicht auf die "Schonfrist" von 4 Monaten Verzugszinsen zu bezahlen hat, wogegen der Nichtbetriebene die Beiträge innert 4 Monaten nach Ende der Zahlungsperiode ohne Verzugszinsen entrichten kann. Hierin kann entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners und der Vorinstanz jedoch kein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit erblickt werden.
Für die streitige Regelung sprechen vorab praktische Gründe. Einerseits stellt es sowohl für den Beitragspflichtigen als auch für die Verwaltung eine Erleichterung dar, dass grundsätzlich kein Verzugszins zu entrichten ist, wenn der Beitrag innert 4 Monaten ab Ende der Zahlungsperiode bezahlt wird. Dadurch erhalten die Verwaltung für die Berechnung der Beiträge und der Beitragspflichtige für deren Entrichtung die erforderliche Zeit, ohne dass für eine zusätzliche Zinserhebung aufwendige Berechnungen, Verbuchungen und Inkassomassnahmen erfolgen müssen. Anderseits stellt es eine Vereinfachung dar, dass bei Betreibung der Verzugszins innerhalb der "Schonfrist" von 4 Monaten zusammen mit der Beitragsforderung geltend gemacht werden kann (
Art. 67 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG
). Ohne diese Regelung müsste der Zins (bei Ablauf der Schonfrist) gesondert erhoben und allenfalls auch gesondert in
BGE 107 V 203 S. 206
Betreibung gesetzt werden. Es entspricht somit einem gewissen praktischen Bedürfnis, dass bei Beitragsentrichtung innert 4 Monaten nach Ende der Zahlungsperiode keine Verzugszinsen zu bezahlen sind, wogegen die Verzugszinsen sofort geltend gemacht werden können, wenn die Beitragsforderung in Betreibung gesetzt wird (vgl. hiezu auch ZAK 1978 S. 436 ff.).
Nach der Rechtsprechung vermögen technische und praktische Gründe eine Ungleichbehandlung jedenfalls dann zu rechtfertigen, wenn diese nicht zu unbilligen Ergebnissen führt (
BGE 100 Ia 328
mit Hinweisen; vgl. auch IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I Nr. 69 S. 428 f.). Zu derartigen Ergebnissen führt die streitige Verordnungsbestimmung nicht. Abgesehen davon, dass sich die unterschiedliche Regelung der Verzugszinspflicht je nachdem, ob Betreibung eingeleitet wurde oder nicht, praktisch nur dann auswirkt, wenn die betriebene Forderung vor Ablauf der "Schonfrist" bezahlt wird, ist es unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit nicht dasselbe, ob eine Forderung innert einer bestimmten Frist freiwillig oder aber erst nach Anhebung der Betreibung bezahlt wird. Die ungleiche rechtliche Behandlung findet somit einen vernünftigen Grund in den tatsächlichen Verhältnissen. Es besteht daher kein Anlass, die Regelung des
Art. 41bis Abs. 1 AHVV
als rechtsungleich und damit als verfassungswidrig zu erachten.
c) An diesem Ergebnis vermögen auch die Einwendungen der Vorinstanz hinsichtlich des Vollzugs der Verordnungsbestimmung nichts zu ändern. Wie das Bundesamt für Sozialversicherung in der Vernehmlassung ausführt, dürfen die Ausgleichskassen die "Schonfrist" von 4 Monaten nicht generell gewähren, sondern nur wenn beachtliche Gründe den Beitragspflichtigen an der Zahlung hindern; anderseits wird die Betreibung (während der Schonfrist) nur eingeleitet, wenn keine besonderen Verhältnisse vorliegen, welche einen Zahlungsaufschub rechtfertigen. Im übrigen haben die Ausgleichskassen ihre Befugnisse hinsichtlich des Beitragsbezugs pflichtgemäss auszuüben und Beiträge, die auf erfolgte Mahnung hin nicht bezahlt werden, ohne Verzug auf dem Wege der Betreibung einzuziehen (
Art. 15 Abs. 1 AHVG
). Dass dies im Einzelfall zufolge besonderer Umstände (Arbeitsüberlastung bei Fälligkeitsterminen) nicht möglich ist, macht die Regelung als solche nicht rechtsungleich oder willkürlich. | 1,454 | 1,114 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-107-V-203_1981 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=15&from_date=&to_date=&from_year=1981&to_year=1981&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=150&highlight_docid=atf%3A%2F%2F107-V-203%3Ade&number_of_ranks=370&azaclir=clir | BGE_107_V_203 |
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0028e12d-37bb-4609-9fe7-7d8d44a56345 | 1 | 80 | 1,351,323 | 662,688,000,000 | 1,991 | de | Sachverhalt
ab Seite 380
BGE 117 Ib 379 S. 380
X. betreibt in der Gemeinde Wislikofen einen Landwirtschaftsbetrieb mit 15,6 ha Nutzfläche. Scheune und Wohnhaus liegen auf dem Grundstück Nr. 250, von welchem gemäss der Bau- und Zonenordnung der Gemeinde Wislikofen vom Juni 1974 (BO) ungefähr 1000 m2 in der Dorfzone liegen. Die bestehenden Gebäude befinden sich zum grossen Teil in dieser Zone. Zur Aufstockung seines 16 Kuhplätze und ein Milchkontingent von ca. 60 000 kg Milch/Jahr umfassenden Landwirtschaftsbetriebs möchte X. zusätzlich einen Schweinemast- und -zuchtbetrieb führen. Auf dem ausserhalb der Bauzone liegenden Teil des Grundstücks Nr. 250 soll ein Schweinestall von 27,6 m Länge und 9,14 m bzw. 6,20 m Breite erstellt werden. In diesem sollen 60 Mastschweine, 10 Mutterschweine und 8 Remonten bzw. Eber gehalten werden. Ferner will X. im Zusammenhang mit dem Schweinestall eine neue, hinreichend grosse Jauchegrube errichten, welche auch dem herkömmlichen Landwirtschaftsbetrieb dienen soll.
Gegen das Baugesuch für den beschriebenen Schweinestall mit Jauchegrube erhoben A. und B. als Eigentümer der südwestlich angrenzenden, in der Dorfzone liegenden Parzelle Nr. 249 Einsprache. Das Baudepartement des Kantons Aargau stimmte dem Baugesuch unter Auflagen zu. Hierauf erteilte der Gemeinderat Wislikofen am 7. September 1987 die Baubewilligung unter Beifügung weiterer Bewilligungen und Auflagen.
Dagegen gelangten A. und B. an den Regierungsrat des Kantons Aargau. Dieser hiess die Beschwerde am 14. November 1988 teilweise gut und ergänzte die Baubewilligung des Gemeinderats Wislikofen durch einige Auflagen. Unter anderem verlangte der Regierungsrat darin die Abluftreinigung mittels eines Erdfilters.
Gegen diesen Entscheid des Regierungsrats führten A. und B. Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Sie beantragten die Aufhebung der Baubewilligung. Das Verwaltungsgericht
BGE 117 Ib 379 S. 381
wies die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 15. Februar 1990 im Grundsatz ab. Es ergänzte die Baubewilligung des Gemeinderats Wislikofen jedoch mit der Auflage, dass sämtliche Türen des Schweinestalls mit Türschliessern zu versehen und sämtliche Fenster so zu montieren seien, dass sie nicht geöffnet werden könnten. Ferner verlangte das Verwaltungsgericht, dass die Frischluftzufuhr mit automatischen Lüftungsklappen sicherzustellen sei und dass die beiden Türen an der Ostfassade des Stalls nur in Notfällen geöffnet werden dürften.
Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im wesentlichen aus, das Bauvorhaben käme vollständig in denjenigen Teil des Grundstücks Nr. 250 zu liegen, welcher sich nicht in der Dorfzone befinde. Da die Gemeinde Wislikofen noch keine Nutzungsplanung ausserhalb der eigentlichen Bauzonen erlassen habe, sei für das Bauvorhaben eine Ausnahmebewilligung gemäss Art. 24 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) erforderlich. Es bejahte die Standortgebundenheit des Schweinestalls, da es sich um einen echten Zuerwerb handle. Dem Bauvorhaben stünden keine überwiegenden Interessen im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
entgegen; insbesondere sei in dieser Hinsicht festzuhalten, dass keine umweltschutzrechtlichen Bestimmungen verletzt seien, da sich mit dem vorgesehenen Bio- bzw. Erdfilter ein Geruchsabbau von rund 95% erzielen lasse. Da ein Schweinestall von den Immissionen her selbst in der angrenzenden Dorfzone zulässig wäre, müsse dies umso eher im unmittelbar angrenzenden Nichtbaugebiet der Fall sein. Auch sei der nach der Luftreinhalte-Verordnung des Bundes vom 16. Dezember 1985 (LVR) massgebende Mindestabstand von 8 m zur Zonengrenze bzw. zum Nachbargrundstück eingehalten. Der Mindestgrenzabstand müsse entgegen der Annahme der beschwerdeführenden Nachbarn nicht von der Ostfassade des Stallneubaus, sondern angesichts des geschlossenen Systems des Stalls von der Abluftreinigungsanlage (Erdfilter) aus gemessen werden; von hier betrage der Abstand 16,5 m.
A. und B. führen gegen dieses Urteil Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Baubewilligung sei zu verweigern. Eventuell sei die Sache zur entsprechenden Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Instruktionsrichter holte bei der eidgenössischen Forschungsanstalt für Betriebswirtschaft und Landtechnik, Tänikon, ein Gutachten ein.
BGE 117 Ib 379 S. 382 | 1,825 | 704 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Beschwerdeführer machen in erster Linie geltend, das Verwaltungsgericht habe die Standortgebundenheit des Bauvorhabens im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
zu Unrecht bejaht. Insbesondere sei im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass bereits die bestehenden Gebäude des Landwirtschaftsbetriebs in der Bauzone zonenkonform seien. Zudem liege auch eine Verletzung von
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
sowie des Umweltschutzgesetzes des Bundes vom 7. Oktober 1983 (USG) und dessen Ausführungsvorschriften (insbesondere der LRV) vor. Der Mindestabstand zur Bauzonengrenze bzw. zur Grenze der Dorfzone betrage acht Meter. Diese seien nicht von der Erdfilteranlage, mittels welcher die Abluft des Schweinestalls gereinigt wird, zu messen, sondern von der Ostfassade des Stalls her. Hier betrage aber der Grenzabstand zu ihrem Grundstück lediglich vier Meter.
b) Der für den Bau des Schweinestalls vorgesehene Teil des Grundstücks Nr. 250 liegt ausserhalb der Bauzone der Gemeinde Wislikofen im Land- und Forstwirtschaftsgebiet (vgl. § 31 BO und § 129 des Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 (BauG)). Dieses stellt keine Landwirtschaftszone im Sinne von
Art. 16 RPG
dar (vgl. Urteil vom 13. Juni 1989 in ZBl 91/1990 S. 359 E. 3a). Zwar wird der fragliche Grundstückteil aller Voraussicht nach im Rahmen der Gemeindezonenplanung einer Landwirtschaftszone im Sinne von
Art. 16 RPG
zugewiesen werden. Zur Zeit ist dies jedoch nicht der Fall, weshalb das Verwaltungsgericht die Bewilligung des geplanten neuen Stalls mit Jaucheanlage zu Recht von einer Ausnahmebewilligung im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 RPG
abhängig gemacht hat (vgl.
BGE 111 Ib 215
f.).
c) Aber auch in einer Landwirtschaftszone gemäss
Art. 16 RPG
könnte das Bauvorhaben nicht als zonenkonform im Sinne von
Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG
bewilligt werden. Die Futterbasis des Landwirtschaftsbetriebs reicht für die Ernährung der Schweine bei weitem nicht aus, weshalb nicht von einem bodenabhängigen Betriebsteil gesprochen werden kann (vgl. dazu ausführlich
BGE 117 Ib 278
ff. E. 3).
3.
Unbestritten ist, dass auf den Schweinestall
Art. 24 Abs. 2 RPG
nicht anwendbar ist, da es sich um einen Neubau handelt. Eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 Abs. 1 RPG
kann erteilt werden, wenn der Zweck der Baute einen Standort ausserhalb der
BGE 117 Ib 379 S. 383
Bauzone erfordert (lit. a) und wenn dem Vorhaben keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (lit. b). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (
BGE 116 Ib 230
E. 3,
BGE 115 Ib 298
f. E. 3 mit Hinweisen).
a) Die Standortgebundenheit wird nach der bundesgerichtlichen Praxis nur dann bejaht, wenn eine Baute aus technischen oder betriebswirtschaftlichen Gründen oder wegen der Bodenbeschaffenheit auf einen Standort ausserhalb der Bauzone angewiesen ist. Dabei beurteilen sich die Voraussetzungen nach objektiven Massstäben, und es kann weder auf die subjektiven Vorstellungen und Wünsche des Einzelnen noch auf die persönliche Zweckmässigkeit und Bequemlichkeit ankommen. Zudem sind an die Erfordernisse der Standortgebundenheit strenge Anforderungen zu stellen (
BGE 116 Ib 230
E. 3a,
BGE 115 Ib 299
E. 3a,
BGE 113 Ib 141
E. 5a, je mit Hinweisen). In diesem Sinne können, wie aus den nachfolgenden Erwägungen hervorgeht, nicht zonenkonforme Bauten, die einem Landwirtschaftsbetrieb dienen und zu dessen Sicherung notwendig sind, unter gewissen Voraussetzungen ausserhalb der Bauzonen als standortgebunden anerkannt werden. Die Standortgebundenheit ist im Einzelfall, je nach Art und Grösse des herkömmlichen Landwirtschaftsbetriebs und des in Frage stehenden bodenunabhängigen Betriebsteils sowie nach Massgabe der jeweiligen örtlichen Verhältnisse zu beurteilen (
BGE 117 Ib 281
ff. E. 4a, b).
b) Das Gutachten der eidgenössischen Forschungsanstalt für Betriebswirtschaft und Landtechnik, Tänikon, weist im vorliegenden Fall ein objektives betriebswirtschaftliches Bedürfnis für einen Standort ausserhalb der Bauzone aus. Von der landwirtschaftlichen Nutzfläche (15,9 ha) stehen 3,9 ha Ackerland für die Futterversorgung der geplanten Schweinehaltung zur Verfügung. Ausserdem ist es zweckmässig, die Magermilch des Betriebs an die Schweine zu verfüttern. Derart kann der Betrieb rund 60% des Futterbedarfs der Schweine aus eigener Versorgung decken. Zudem dient ein Teil des Bauvorhabens, nämlich die grosse neue Jauchegrube, dem Gesamtbetrieb. Damit ist objektiv das betriebswirtschaftliche Bedürfnis, diese Bauten und Anlagen am vorgesehenen Ort zu erstellen, ausgewiesen. Angesichts des Milchkontingents von ca. 60 000 kg Milch/Jahr beträgt das Betriebseinkommen heute etwa Fr. 60'000.--. Gemäss dem erwähnten Gutachten ergibt sich aus dem Schweinesektor eine Einkommenserhöhung von maximal 40%, was zu einem Betriebseinkommen nach der Aufstockung von knapp Fr. 85'000.-- führt.
BGE 117 Ib 379 S. 384
c) An der Erhaltung solcher Betriebe besteht ein erhebliches öffentliches Interesse. Dies lässt sich u.a. schon daran erkennen, dass gemäss
Art. 31bis Abs. 3 lit. b BV
zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft sowie zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes sogar Abweichungen von der Handels- und Gewerbefreiheit ausdrücklich zulässig sind. Die genannte Zielsetzung entspricht auch dem Gebot von
Art. 22quater BV
, mit Massnahmen der Raumplanung die zweckmässige Nutzung des Bodens und eine geordnete Besiedlung des Landes zu fördern. Mit raumplanerischen Massnahmen sollen u.a. die natürlichen Lebensgrundlagen geschützt, das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben in den einzelnen Landesteilen gefördert und die ausreichende Versorgungsbasis des Landes gesichert werden (Art. 1 Abs. 2 lit. a, c und d RPG). Dabei ist darauf zu achten, dass die Landschaft geschont wird, die Landwirtschaft über genügende Flächen geeigneten Kulturlandes verfügt und naturnahe Landschaften und Erholungsräume erhalten bleiben (
Art. 3 Abs. 2 RPG
). Die Sicherung der Existenzfähigkeit kleinerer Landwirtschaftsbetriebe dient diesen Zielen.
Zudem ist zu beachten, dass Art. 13 der Stallbauverordnung des Bundes vom 13. April 1988 (SR 916.016) die Bewilligung von Aufstockungen grundsätzlich nur zulässt, wenn nach der Aufstockung eine bestimmte Einkommensgrenze (z.Zt. Fr. 85'000.--) nicht überschritten wird (lit. a), der Landwirtschaftsbetrieb einen wesentlichen Anteil offener Ackerfläche aufweist (lit. b) und mindestens 50% des Betriebseinkommens aus rein landwirtschaftlichen Produktionszweigen erzielt werden kann (lit. c). Diese Bestimmungen, die im Rahmen der Prüfung der Standortgebundenheit des Aufstockungsteils mitzuberücksichtigen sind, sprechen ebenfalls dafür, dass massvolle Aufstockungen dann bewilligt werden sollten, wenn sie sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen zur Erhaltung einer landwirtschaftlichen Existenzgrundlage aufdrängen.
d) Es ergibt sich somit, dass der im vorliegenden Fall zu beurteilende Schweinestall im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
standortgebunden ist.
4.
Weiter ist abzuklären, ob dem Vorhaben keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
). Diese Frage stellt sich im vorliegenden Fall insbesondere in bezug auf Anliegen des Umweltschutzes.
a) Umstritten ist, wie gross der Abstand des Schweinestalls zu bewohnten Zonen mindestens sein muss. Nach der übereinstimmenden
BGE 117 Ib 379 S. 385
und zutreffenden Auffassung aller Beteiligten handelt es sich hier um eine Massnahme zur vorsorglichen Emissionsbegrenzung gemäss
Art. 3 LRV
. Gestützt auf Absatz 2 dieser Vorschrift ist Ziffer 512 des Anhangs 2 LRV anwendbar. Bei Ställen für die Tierhaltung gelten als verordnungsgemässe Mindestabstände die Empfehlungen der eidgenössischen Forschungsanstalt für Betriebswirtschaft und Landtechnik, Tänikon (Ausgabe 1988). Danach hat im vorliegenden Fall der Abstand zwischen der Anlage und der Bauzonengrenze, die hier mit der Parzellengrenze gegenüber den Beschwerdeführern zusammenfällt, acht Meter zu betragen. Die Empfehlungen der Forschungsanstalt Tänikon beantworten hingegen die Frage, von wo aus der Mindestabstand gemessen werden muss, nicht.
b) Die Mindestabstandsvorschrift stellt, wie erwähnt, eine Massnahme zur vorsorglichen Emissionsbegrenzung im Sinne von
Art. 3 LRV
dar. Der massgebende Abstand ist stets die kürzeste Strecke zwischen der Emissionsquelle und der Zonengrenze.
Art. 3 LRV
und die diese Bestimmmung ausführenden Normen müssen so verstanden werden, dass im Rahmen der Vorsorge (
Art. 1 Abs. 2 und
Art. 11 Abs. 2 USG
) die Quellen der in benachbarten Nutzungszonen unzulässigen Emissionen einen bestimmten Mindestabstand zu diesen Nachbarzonen einzuhalten haben. Dieser umweltschutzrechtliche Mindestabstand ist von den Grenzabständen des kantonalen oder kommunalen Rechts unabhängig. Im hier zu beurteilenden Fall ist fraglich, ob die Schweinezucht- und -mast in der benachbarten Dorfzone unzulässig wäre und damit die Bestimmung über den Abstand zwecks vorsorglicher Emissionsbegrenzung überhaupt anwendbar ist. Dieser Frage muss indessen angesichts der nachfolgenden Erwägungen nicht weiter nachgegangen werden.
c) Ziffer 512 Abs. 1 Anhang 2 LRV geht von einer Tierhaltungsanlage ohne Abluftreinigung aus. Bei solchen Ställen treten die Gerüche diffus aus dem Gebäude aus, was zwangsläufig zur Folge hat, dass der Mindestabstand vom nächstliegenden Teil des Gebäudes her gemessen werden muss. Im vorliegenden Fall verhält es sich jedoch anders. Das Gebäude ist grundsätzlich hermetisch abgeschlossen, was insbesondere durch die zusätzlichen Auflagen betreffend Türen und Fenster gesichert wird. Da im Innern des Stalls ein Unterdruck herrscht und die Abluft durch einen Erdfilter gereinigt nach aussen tritt, wodurch die Gerüche zu ca. 95% abgebaut werden, ist davon auszugehen, dass keinerlei geruchsintensive
BGE 117 Ib 379 S. 386
Abluft durch Fenster und Türen entweicht. Als massgebende Emissionsquelle, von welcher der Mindestabstand zu messen sei, hat das Verwaltungsgericht deshalb die Erdfilteranlage bezeichnet. Diese liegt von der Zonengrenze bzw. dem Grundstück der Beschwerdeführer mehr als das Doppelte des Abstands, der nach Ansicht der Forschungsanstalt Tänikon mindestens erforderlich ist, entfernt.
Die vom Verwaltungsgericht angewandte Messweise ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden, da der umstrittene Schweinestall einen Abstand zur Zonengrenze von vier Metern einhält und unmittelbar neben den Hofgebäuden mit der Jauchegrube liegt. Zudem tritt die gereinigte Abluft aus dem Stallgebäude 16,5 Meter von der Zonengrenze entfernt aus. Es ist allerdings zweifelhaft, ob die im vorliegenden Fall zulässige Messweise als allgemeine Regel gelten kann. Insbesondere ist es im Hinblick auf Ziffer 512 Anhang 2 LRV fraglich, ob Anlagenteile über die Zonengrenze hinaus in bewohnte Zonen hineinragen dürften, wenn die Abluft gereinigt wird und lediglich der Austrittsort der gereinigten Abluft den nach Ansicht der Forschungsanstalt Tänikon notwendigen Mindestabstand einhält. Diese Frage muss jedoch hier nicht beantwortet werden.
d) Andere dem Bauvorhaben entgegenstehende Interessen bringen die Beschwerdeführer nicht vor, und es sind aufgrund der Akten auch keine solchen ersichtlich. Insbesondere sind bei der Art des vorliegenden Schweinestalls keine erheblichen Lärmimmissionen zu befürchten (vgl.
BGE 115 Ib 301
).
Damit ist auch die Voraussetzung gemäss
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung erfüllt.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unbegründet und somit abzuweisen ist.
... | 4,814 | 1,985 | 2 | 0 | CH_BGE_003 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_003_BGE-117-Ib-379_1991 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=15&from_date=&to_date=&from_year=1991&to_year=1991&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=142&highlight_docid=atf%3A%2F%2F117-IB-379%3Ade&number_of_ranks=420&azaclir=clir | BGE_117_Ib_379 |
|||
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ab Seite 276
BGE 148 IV 275 S. 276
A.
A.a
Am 1. Juli 2020 wurde bei der Kantonspolizei Aargau ein Portemonnaie abgegeben, das in einem Abfalleimer in der Toilette eines Restaurants in U. gefunden worden war. In der Folge konnte die Besitzerin des Fundstücks ausgemacht werden. Sie gab an, im Portemonnaie habe sich Bargeld in der Höhe von Fr. 730.- befunden. Sie sei am 30. Juni 2020 in V. in einen Bus der Linie Nr. x der A. AG eingestiegen. Dabei habe sie das Portemonnaie in einer nicht verschlossenen Umhängetasche mit sich geführt. Kurze Zeit nach der Busfahrt habe sie den Verlust bemerkt.
Gestützt auf diesen Sachverhalt erliess die Staatsanwaltschaft Baden am 3. Juli 2020 eine Editionsverfügung. Damit forderte sie die A. AG auf, die am 30. Juni 2020 zwischen 13:10 und 13:30 Uhr gemachten Aufzeichnungen der Überwachungskamera des Wagens Nr. y (Linienbus Nr. x) herauszugeben. Nachdem die A. AG dieser Aufforderung nachgekommen war, forderte sie von der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 9. Juli 2020 eine Entschädigung für die Beweismitteledition in der Höhe von Fr. 250.-.
Mit Verfügung vom 14. Juli 2020 wies die Staatsanwaltschaft das Entschädigungsbegehren ab.
A.b
Auf eine Beschwerde der A. AG hin hob das Obergericht des Kantons Aargau diese Verfügung am 5. Januar 2021 auf (Entscheid des Vizepräsidenten der Beschwerdekammer in Strafsachen).
A.c
Mit Verfügung vom 31. März 2021 übernahm die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau das Verfahren der Staatsanwaltschaft. Zugleich sprach sie der A. AG im Zusammenhang mit der Beweismitteledition eine Entschädigung von Fr. 50.- zulasten der Staatskasse zu.
B.
Das Obergericht (Vizepräsident der Beschwerdekammer in Strafsachen) hiess mit Entscheid vom 2. August 2021 eine hiergegen erhobene Beschwerde der A. AG vom 16. April 2021 gut. Es erhöhte die von der Oberstaatsanwaltschaft zugesprochene Entschädigung auf Fr. 250.-.
BGE 148 IV 275 S. 277
C.
Gegen die Entscheide des Obergerichts vom 5. Januar und 2. August 2021 erhob die Oberstaatsanwaltschaft mit Eingabe vom 31. August 2021 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung) | 897 | 401 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Zulässigkeit der Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (
Art. 29 Abs. 1 BGG
;
BGE 145 II 153
E. 1.1).
1.2
Die beiden angefochtenen Entscheide betreffen Entschädigungsforderungen einer Drittperson in einem Strafverfahren. Sie unterliegen grundsätzlich der Beschwerde in Strafsachen gemäss
Art. 78 ff. BGG
.
1.3
Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
). Das rechtlich geschützte Interesse der Staatsanwaltschaft (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG) leitet sich aus dem staatlichen Strafanspruch ab, den sie zu vertreten hat. Mithin ist die Staatsanwaltschaft im Verfahren vor Bundesgericht (unter allen Rechtstiteln nach
Art. 95-98 BGG
;
BGE 134 IV 36
E. 1.4.3 f.) beschwerdebefugt, wenn es um die Durchsetzung des Strafanspruchs als solchen oder um damit zusammenhängende materiell- und prozessrechtliche Belange geht (Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.3, nicht publ. in:
BGE 145 IV 114
;
BGE 134 IV 36
E. 1.4.3 und 1.4.5; vgl.
BGE 137 IV 340
E. 2.3 [betreffend Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts]; zur Frage der Legitimation der Staatsanwaltschaft im kantonalen Berufungsverfahren [Art. 398 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 381 Abs. 1 StPO
]:
BGE 143 IV 40
E. 3.2.2). Zwar sind diese Voraussetzungen und damit die materielle Beschwer der Staatsanwaltschaft in der Regel gegeben (vgl. Urteil 1B_526/2020 vom 4. Februar 2021 E. 1). Das rechtlich geschützte Interesse kann jedoch nicht pauschal bejaht, sondern muss im Einzelfall durch die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft begründet werden, sofern es nicht offensichtlich gegeben ist (
Art. 42 Abs. 1 BGG
;
BGE 141 IV 289
E. 1.3; Urteile 6B_519/2020 vom 27. September 2021 E. 1.2; 1B_526/2020 vom 4. Februar 2021 E. 1).
BGE 148 IV 275 S. 278
1.4
Die beschwerdeführende Oberstaatsanwaltschaft wehrt sich vorliegend gegen eine dem Kanton Aargau auferlegte Verpflichtung, der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung für den ihr im Rahmen der laufenden Strafuntersuchung entstandenen Schaden zu leisten. Bezüglich solcher Fragen der Kostenbemessung und -verlegung eines Strafverfahrens liegt ihre Beschwerdebefugnis nicht offensichtlich auf der Hand und die Staatsanwaltschaft muss deshalb ihr rechtlich geschütztes Interesse anderweitig besonders rechtfertigen (Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.3 mit Hinweisen, nicht publ. in:
BGE 145 IV 114
).
Nach der Rechtsprechung kann die Staatsanwaltschaft beispielsweise die Höhe der Entschädigung für die private Verteidigung nach
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
anfechten (Urteil 6B_168/2012 vom 27. August 2012 E. 2 und 3), weil sich dieser Anspruch grundsätzlich gegen den Staat richtet (WEHRENBERG/FRANK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 34 zu
Art. 429 StPO
). Die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft ist weiter zu bejahen, wenn sie einen Entscheid über die Ausrichtung einer Entschädigung an die beschuldigte Person nach
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
anficht. Weil ein solcher Entscheid abhängig ist vom Entscheid betreffend die Verfahrenskosten, ist die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang auch berechtigt, vor Bundesgericht Beschwerde gegen den Verzicht auf die Auferlegung von Verfahrenskosten zu Lasten der beschuldigten Person zu erheben (vgl. Urteil 6B_1016/2021 vom 18. Oktober 2021 E. 1.3). Rechtsprechungsgemäss ist die Staatsanwaltschaft schliesslich auch dazu befugt, vor Bundesgericht die Bemessung der Höhe der Entschädigung für die amtliche Verteidigung anzufechten (
BGE 139 IV 199
E. 2 und 4). Dies ergibt sich aus den divergierenden Interessen von Verteidiger und Verurteiltem (
BGE 139 IV 199
E. 2): Ersterer ist an einer hohen Entschädigung interessiert, Letzterer - da er bei Eintritt günstiger wirtschaftlicher Verhältnisse rückzahlungspflichtig wird (
Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO
) - grundsätzlich hingegen an einer tiefen Entschädigung; dies jedenfalls soweit eine solche nicht zu einer namhaften Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar führt, die er bei Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse an die Verteidigung nachzuzahlen hat (vgl.
Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO
). Während der amtliche Verteidiger den Entschädigungsentscheid einer zweiten kantonalen Instanz beim Bundesstrafgericht anfechten kann (
Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO
), ist
BGE 148 IV 275 S. 279
die amtlich verteidigte Person selber nicht befugt, jenen (an das Bundesgericht) weiterzuziehen (Urteil 6B_511/2016 vom 4. August 2016 E. 5.3). Die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft füllt diese Lücke (Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.3, nicht publ. in:
BGE 145 IV 114
).
Nicht zur Beschwerde berechtigt ist die Staatsanwaltschaft indessen, wenn es um die Kostenverlegung des Berufungsverfahrens geht. Die Bestimmung der Quote, anhand derer die Kosten des Berufungsverfahrens ausgangsgemäss auf die verurteilte Person einerseits und die Gerichtskasse andererseits verteilt werden, tangiert keinen legitimationsbegründenden Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft und damit kein von ihr wahrzunehmendes rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
(Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.4, nicht publ. in:
BGE 145 IV 114
).
1.5
Streitgegenstand ist vorliegend die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs einer am Strafverfahren nicht beteiligten Drittperson gegenüber dem Staat. Im angefochtenen Entscheid bejahte die Vorinstanz einen entsprechenden Schadenersatzanspruch der Beschwerdegegnerin gestützt auf
Art. 434 StPO
im Umfang von Fr. 250.-. Diese Kosten sind im Sinne einer Kausalhaftung vom Staat zu tragen und können weder der beschuldigten Person noch der Privatklägerschaft auferlegt werden, da es hierfür an einer erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt (vgl. WEHRENBERG/FRANK, a.a.O., N. 7 zu
Art. 434 StPO
). Die Ausgangslage ist folglich vergleichbar mit jener der Kostenverlegung des Berufungsverfahrens. Auch im vorliegenden Fall geht es um Kosten zu Lasten der Gerichtskasse bzw. des Staats. Hat das Bundesgericht festgehalten, die Kostenverlegung des Berufungsverfahrens tangiere keinen Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft und damit kein von ihr wahrzunehmendes Interesse, hat dies auch hier zu gelten, zumal die Staatsanwaltschaft nicht ansatzweise darlegt, inwiefern die angefochtenen Entscheide die Durchsetzung des Strafanspruchs tangieren. Anders könnte es sich in einem Fall verhalten, in welchem der angefochtene Entscheid präjudizielle Bedeutung für die Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft hätte und dadurch bedeutende öffentliche Interessen auf dem Spiel stünden (vgl. [zur Beschwerdebefugnis nach
Art. 89 Abs. 1 BGG
]
BGE 141 II 161
E. 2.1;
138 II 506
E. 2.1.1; je mit Hinweisen).
1.6
Zusammengefasst ist das rechtlich geschützte Interesse der Staatsanwaltschaft an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen
BGE 148 IV 275 S. 280
Entscheide zu verneinen. Auf ihre Beschwerde ist somit nicht einzutreten. Bei dieser Sachlage erübrigen sich Weiterungen zur Frage, ob es sich beim angefochtenen Entscheid vom 2. August 2021 um einen vor Bundesgericht anfechtbaren kantonal letztinstanzlichen Endentscheid (vgl.
Art. 80 Abs. 1 und
Art. 90 BGG
) oder Zwischenentscheid (vgl.
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
) handelt. Ebenso wenig muss sich das Bundesgericht dazu äussern, ob der angefochtene Entscheid vom 5. Januar 2021 einen Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 93 BGG
darstellt, der gemäss
Art. 93 Abs. 3 BGG
mit der Beschwerde gegen den Entscheid vom 2. August 2021 mitangefochten werden kann. | 3,219 | 1,408 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-148-IV-275_2022-03-22 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=6&from_date=&to_date=&from_year=2022&to_year=2022&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=58&highlight_docid=atf%3A%2F%2F148-IV-275%3Ade&number_of_ranks=103&azaclir=clir | BGE_148_IV_275 |
|||
002cdccd-4606-422f-b285-67451ddb6cf8 | 1 | 81 | 1,355,881 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 433
BGE 96 II 433 S. 433
A.-
Max Hirzel erhob am 13. März 1970 beim Friedensrichteramt Wetzikon Scheidungsklage. Zur Sühnverhandlung vom 20. März 1970 erschien nur der Ehemann. Die in Basel wohnhafte Ehefrau Barbla Hirzel-Werro hatte dem Friedensrichter mitgeteilt, dass sie an der Sühnverhandlung nicht teilnehmen werde, da sie bereits in Basel eine Scheidungsklage eingereicht habe und sich einer Scheidung nicht widersetze. Der Friedensrichter entsprach deshalb dem Begehren des Ehemannes auf sofortige Ausstellung der Weisung. Bereits drei Tage nach der Sühnverhandlung reichte Max Hirzel die Weisung beim Bezirksgericht Hinwil ein. Dieses wies die Scheidungsklage am 23. April 1970 mit der Begründung von der Hand, dass die in § 254 der Zürcher ZPO vorgesehene Wartefrist von acht Wochen nach dem ersten Sühnversuch bis zur
BGE 96 II 433 S. 434
Einreichung der Weisung beim Gericht nicht eingehalten worden sei.
B.-
Das Obergericht des Kantons Zürich wies einen von Max Hirzel gegen diesen Entscheid erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 26. Juni 1970 ab. Zur Begründung führte es aus, die in
§ 254 ZPO
vorgesehene Wartefrist sei nach konstanter Praxis zwingenden Rechts. Eine in Missachtung dieser Frist ausgestellte Weisung sei nichtig und vermöge daher die Rechtshängigkeit der Klage nicht zu begründen. Eine Ausnahme im Sinne von
§ 254 Abs. 2 ZPO
sei nicht gegeben, da es nicht darauf ankomme, ob der Aussöhnungsversuch bzw. die Besinnungszeit einen Erfolg verspreche. Entscheidend für die Annahme einer solchen Ausnahme sei vielmehr allein, ob eine Aussöhnung aus zwingenden Gründen tatsächlicher Natur zum vornherein ausgeschlossen sei; dies sei der Fall, wenn ein Ehegatte geisteskrank oder sein Wohnsitz nicht bekannt sei. Schliesslich treffe auch nicht zu, dass die Wartefrist des
§ 254 ZPO
bundesrechtswidrig sei, wie der Ehemann geltend mache.
C.-
Max Hirzel führt beim Bundesgericht Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, den Entscheid des Obergerichts vom 26. Juni 1970 aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er behauptet, § 254 Abs. 1 der Zürcher ZPO sei mit dem Bundesrecht nicht vereinbar, da es nicht angehe, dass ein Scheidungskläger durch das kantonale Recht daran gehindert werde, einen ihm gemäss Bundesrecht zustehenden Anspruch jederzeit gerichtlich geltend zu machen.
D.-
Barbla Hirzel-Werro beantragt die Abweisung der Beschwerde.
E.-
Mit Präsidialverfügung vom 16. Juli 1970 wurde der Nichtigkeitsbeschwerde gestützt auf
Art. 70 Abs. 2 OG
aufschiebende Wirkung erteilt. | 1,103 | 449 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
ist in Zivilsachen, die nicht der Berufung unterliegen, gegen letztinstanzliche Entscheide kantonaler Behörden die Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig, wenn statt des massgebenden eidgenössischen Rechts kantonales oder ausländisches Recht angewendet worden ist. Gegen den angefochtenen Beschluss des Zürcher Obergerichts ist eine Berufung nicht möglich, weil es sich dabei nicht um einen Endentscheid im Sinne von
Art. 48
BGE 96 II 433 S. 435
OG
handelt. Ein solcher läge nur dann vor, wenn ein materiellrechtlicher Anspruch endgültig beurteilt worden wäre. Die Vorinstanzen haben die vorliegende Klage jedoch materiell nicht geprüft. Sie haben diese vielmehr aus einem prozessualen Grund nicht an die Hand genommen, und zwar ohne dass dem Beschwerdeführer dadurch verunmöglicht worden wäre, seinen Anspruch erneut geltend zu machen (WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, S. 180 ff. mit Verweisungen; BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 162).
Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet die Rüge, die letzte kantonale Instanz habe statt des eidgenössischen Rechts kantonales Recht angewendet. Eine Nichtanwendung eidgenössischen Rechts im Sinne von
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
liegt nämlich auch dann vor, wenn sich aus dem Bundeszivilrecht ergibt, dass es bestimmte zur Anwendung gelangte kantonale Vorschriften - und zwar auch solche prozessualer Natur - ausschliessen will (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 257). Eine solche Nichtanwendung von Bundesrecht wird vom Beschwerdeführer geltend gemacht. Auf seine Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
a) Ehescheidungsklagen werden im Kanton Zürich gemäss
§ 121 Abs. 1 ZPO
durch Einreichung der vom Friedensrichter auszustellenden Weisung beim Bezirksgericht anhängig gemacht. Für das Sühnverfahren gelten nach
§ 254 ZPO
folgende Sonderregeln:
"Bei Ehescheidungsklagen kann der Friedensrichter nach seinem Ermessen einen zweiten Sühnversuch anordnen. Die Ausstellung der Weisung darf nicht vor acht Wochen nach dem ersten Sühnversuch verlangt werden.
Wird die Scheidung einer Ehe aus Gründen verlangt, welche einen Aussöhnungsversuch von vornherein ausschliessen (z.B. Geisteskrankheit), so soll dem klagenden Ehegatten ohne weiteres die Weisung an das Gericht zugestellt werden."
Zürich und Schwyz sind die einzigen Kantone, die in Ehescheidungssachen zwischen das Sühnverfahren und die Anrufung des Gerichts eine Sperrfrist eingeschoben haben (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 468, Ziff. 5 d). Was den Kanton Schwyz anbetrifft, sei auf § 391 Abs. 2 seiner Zivilprozessordnung verwiesen, wonach der Weisungsschein nicht vor Ablauf von 60 Tagen nach dem ersten
BGE 96 II 433 S. 436
Sühnversuch ausgestellt werden darf. Ferner sieht die Zivilprozessordnung des Kantons Genf vor, dass der mit der Durchführung des Sühnverfahrens betraute Gerichtspräsident innert einer Frist von längstens einem Monat eine zweite Sühnverhandlung anordnen kann, wenn er eine Versöhnung als noch möglich erachtet; erscheint der beklagte Teil zum zweiten Mal nicht zur Sühnverhandlung, hat der Gerichtspräsident ferner die Möglichkeit, die Einreichung der Klage beim Gericht erst nach Ablauf eines Monats zuzulassen (vgl. die Art. 434 Abs. 3, 436 Abs. 2 und 438 Abs. 1 der Genfer Zivilprozessordnung).
b) Die Sperrfrist des § 254 der Zürcher ZPO hängt mit dem Aussöhnungsversuch, den der Friedensrichter in der Sühnverhandlung vorzunehmen hat, insofern zusammen, als sie wegfällt, falls eine solche Verhandlung aus zwingenden äusseren Gründen von vornherein nicht durchgeführt werden kann, so wenn ein Ehegatte z.B. geisteskrank oder sein Aufenthaltsort unbekannt ist. In allen andern Fällen muss die Sperrfrist ohne Rücksicht darauf abgewartet werden, ob der Aussöhnungsversuch Erfolg verspreche oder nicht. Sie ist auch dann zu beachten, wenn der beklagte Teil zur Sühnverhandlung gar nicht erscheint oder auf andere Weise zu erkennen gibt, dass er zu einem Aussöhnungsversuch nicht Hand bieten will (ZR Bd 58 Nr. 88 S. 234/35; STRÄULI/HAUSER, Kommentar, N. 3 zu
§ 254 ZPO
). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, der Sinn der Sperrfrist sei ein anderer als derjenige des Sühnverfahrens. Die Sperrfrist soll den Parteien auch dann, wenn sie zu Beginn des Sühnverfahrens zu einer Aussöhnung nicht bereit sind, Gelegenheit zu nochmaliger Besinnung geben und sie von einer voreiligen Klageanhängigmachung abhalten (ZR 58 S. 235 2. Spalte unten). Es mag zwar Fälle geben, in denen schon in diesem Stadium der Auseinandersetzung eine Aussicht auf Versöhnung ausgeschlossen werden kann. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle steht aber in diesem Zeitpunkt noch nicht fest, ob die Parteien innerlich endgültig und unwiderrruflich zur Scheidung entschlossen seien. Viele, die den Friedensrichter anrufen mit dem scheinbar unwiderruflichen Entschluss, sich endgültig vom Gatten zu trennen, revidieren diesen in oder nach der Sühnverhandlung und reichen dem Partner die Hand zur Versöhnung, wenn nach einiger Zeit ihre Erregung abgeklungen ist. Eine solche nachträgliche Versöhnung ist auch möglich, wenn der Beklagte gar nicht zur Sühnverhandlung
BGE 96 II 433 S. 437
gekommen ist oder sonst zum Ausdruck gebracht hat, dass er scheiden will. Sie wird durch die Sperrfrist erleichtert; denn erfahrungsgemäss ist eine Aussöhnung eher möglich, solange der Prozess noch nicht beim Gericht hängig ist. Das friedensrichterliche Verfahren ist aber noch kein eigentliches Gerichtsverfahren und wird von den Parteien auch nicht als solches aufgefasst.
Der pflichtbewusste Friedensrichter wird sich denn auch nicht darauf beschränken, den Parteien gegen die Erhebung offenbar unbegründeter Ansprachen oder die Bestreitung begründeter Rechtsbegehren Vorstellungen zu machen (
§ 112 Abs. 1 ZPO
), sondern er wird die Gatten an ihre Pflichten mahnen, ihnen die Nachteile einer Scheidung auseinandersetzen, sie zu beraten versuchen und ihnen nahelegen, ihre weitern Schritte nochmals gründlich zu überlegen. Die Sperrfrist zwingt die Parteien zu solcher Überlegung und bewahrt sie vor voreiligen Schritten; insofern ist sie ein Teil des Sühnverfahrens.
3.
Es ist nun zu prüfen, ob diese Regelung im zürcherischen Prozessrecht mit dem Bundesrecht vereinbar sei. Das kantonale Prozessrecht widerspricht dem Bundesprivatrecht dann, wenn es dessen Verwirklichung verunmöglicht oder hindert (GULDENER, a.a.O., S. 64; GULDENER, Bundesprivatrecht und kantonales Zivilprozessrecht, ZSR N.F. Bd 80 II S. 22 f. mit Verweisungen). Eine Verletzung des Bundesprivatrechts darf allerdings nicht schon immer dann angenommen werden, wenn es für die Durchsetzung des materiellen Rechts zweckmässigere Lösungen gäbe als die im kantonalen Prozessrecht vorgesehenen, sondern erst dann, wenn die Verwirklichung des Bundesprivatrechts durch die Ausgestaltung des kantonalen Prozessrechts unerträglich bzw. in unzulässiger Weise erschwert wird (KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, S. 9).
Es fragt sich nun, ob die im zürcherischen Prozessrecht vorgesehene Sperrfrist die Geltendmachung des Scheidungsanspruchs in unzulässiger Weise erschwert und daher mit dem Bundesrecht nicht vereinbar ist, wie der Beschwerdeführer unter Berufung auf verschiedene Meinungsäusserungen in der Literatur behauptet (vgl. insbesondere GULDENER, ZSR Bd 80 II S. 404, und GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, II. Supplement, zu S. 468 Anm. 56). Zuzugeben ist, dass die Sperrfrist in gewissen Fällen dem Scheidungskläger die Durchsetzung des
BGE 96 II 433 S. 438
Scheidungssanpruchs etwas erschweren mag, was aber noch nicht einen Eingriff in die kantonale Prozessordnung rechtfertigen würde.
Ob die Anhängigmachung der Scheidungsklage in unerträglicher oder in unzulässiger Weise erschwert wird, beurteilt sich in erster Linie nach den tatsächlichen Auswirkungen der Sperrfrist in der Praxis. Sie veranlasst und zwingt die Parteien, sich nach erfolglosem ersten Sühnversuch nochmals zu besinnen. Tatsächlich kommen in dieser nachträglichen Besinnungszeit häufig Aussöhnungen zustande. Die Sperrfrist begünstigt demnach die Aussöhnung zwischen den Parteien und dient damit, wie das Sühnverfahren, einem schutzwürdigen Zweck (
BGE 74 II 72
; BÜHLER, Das Ehescheidungsverfahren, ZSR N.F. Bd 74 II S. 391a/392a; BARDE, Le Procès en divorce, ZSR N.F. Bd 74 II S. 459a). Die Verfolgung dieses Zwecks liegt im Rahmen des Bundesprivatrechts. Die Sperrfrist will den Kläger nämlich keineswegs hindern, seine unter Umständen begründete Klage einzureichen, sondern sie verlangt von ihm nur, dass er sich diesen Schritt gut und reiflich überlege. Angesichts der Wichtigkeit und der Bedeutung, die ein Scheidungsprozess im Leben eines jeden Gatten hat, darf von demjenigen, der einen auf Lebzeiten abgeschlossenen Vertrag in einer spannungsgeladenen Atmosphäre oder aus einer gefühlsbetonten Situation heraus auflösen will, verlangt werden, dass er sich auch nach einer ersten ergebnislos verlaufenen Sühnverhandlung nochmals besinne und nicht voreilig handle. Dabei ist eine Überlegungszeit von acht Wochen dem Scheidungskläger zumutbar; jedenfalls bedeutet sie nicht eine unerträgliche oder unzulässige Erschwerung der Geltendmachung des Scheidungsanspruchs. Sie ist demzufolge auch nicht bundesrechtswidrig. Das Bundesgericht hat schon im EntscheidBGE 74 II 71f., auf dessen Begründung verwiesen werden kann, ausgeführt, es gehe wohl nicht an, die zürcherische Sperrfrist von Bundesrechts wegen als unstatthaft zu erklären - und zwar sagte es dies in Kenntnis der Unzukömmlichkeiten, welche die Sperrfrist nach sich ziehen kann, wenn die Ehegatten in verschiedenen Kantonen Wohnsitz haben. Von dieser Auffassung abzuweichen, besteht auch zur Zeit kein Anlass.
BGE 96 II 433 S. 439 | 4,226 | 1,642 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen und der Ent scheid des Obergerichts des Kantons Zürich (I. Zivilkammer) vom 26. Juni 1970 bestätigt. | 77 | 32 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-96-II-433_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=2&from_date=&to_date=&from_year=1970&to_year=1970&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=11&highlight_docid=atf%3A%2F%2F96-II-433%3Ade&number_of_ranks=283&azaclir=clir | BGE_96_II_433 |
||
002d0e50-e8a4-4fd3-84ae-b937941c7e08 | 1 | 83 | 1,351,009 | 315,532,800,000 | 1,980 | de | Sachverhalt
ab Seite 45
BGE 106 IV 45 S. 45
A.-
Als R. am 13. Dezember 1975 mit seinem Personenwagen auf der
Sihltalstrasse bei Horgen durch den sog. Tunnelrank, einer mit einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h signalisierten Linkskurve fuhr, brach das Heck seines Fahrzeuges unvermittelt nach rechts aus. R. verlor darob die Herrschaft über den Wagen und fuhr vor entgegenkommenden Autos nach links über die Sicherheitslinie und die Gegenfahrbahn gegen einen Baum.
BGE 106 IV 45 S. 46
B.-
Das Statthalteramt Horgen büsste R. am 6. Februar 1976 wegen "Nichtbeherrschens des Fahrzeuges infolge Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die gegebenen Verhältnisse" (Art. 31 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SVG) mit Fr. 250.--.
In einer späteren gerichtlichen Auseinandersetzung mit der SUVA betreffend die Auszahlung von Versicherungsleistungen ergab eine Expertise, dass R. nicht wegen zu hoher Geschwindigkeit ins Schleudern geraten war, sondern weil er sein Fahrzeug vor kurzem mit einer Mischbereifung (Vorderräder: bereits eingefahrene Fulda-Reifen; Hinterräder: neue Good-Year G 800-Gürtelreifen) versehen hatte. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern verneinte deshalb am 31. Mai 1978 ein grobfahrlässiges Verhalten des R. und verpflichtete die SUVA zu ungekürzten Versicherungsleistungen.
C.-
Am 9. Oktober 1979 verlangte R. unter Berufung auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigezogene Gutachten die Revision der Strafverfügung vom 6. Februar 1976.
Das Obergericht des Kantons Zürich hob am 17. Dezember 1979 in Gutheissung des Wiederaufnahmebegehrens die gegen R. verhängte Strafverfügung des Statthalteramtes Horgen auf und überwies die Akten an diese Instanz mit dem Auftrag, einen neuen Entscheid zu fällen.
D.-
Das Statthalteramt Horgen führt Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung von
Art. 397 StGB
. Es macht geltend, es habe die Tatsache, dass R. einen Wagen mit Mischbereifung fuhr, im Strafmass berücksichtigt, auch wenn dies in der Strafverfügung nicht ausdrücklich erwähnt worden sei.
R. beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie überhaupt einzutreten sei.
Das Obergericht hat sich in seinen Gegenbemerkungen vom 11. März 1980, die den Parteien zur Kenntnisnahme übermittelt wurden, dahin vernehmen lassen, dass dem Statthalteramt auch im Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten nach kantonalem Recht in Übertretungssachen Parteistellung zukomme und in diesem Fall als öffentlicher Ankläger zu betrachten sei. | 548 | 397 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 397 StGB
haben die Kantone gegenüber Urteilen, die aufgrund dieses oder eines andern Bundesgesetzes ergangen sind, wegen erheblicher Tatsachen oder Beweismittel,
BGE 106 IV 45 S. 47
die dem Gerichte zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren, die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten zu gestatten.
Art. 397 StGB
enthält somit eine Weisung an die Kantone, das Rechtsmittel der Revision zugunsten des Verurteilten wegen neuer erheblicher Tatsachen oder Beweismittel in ihre Strafprozessordnungen einzuführen und zu regeln. Dies ist indessen nicht die einzige Funktion dieser Bestimmung. Nach der in
BGE 69 IV 137
begründeten Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt
Art. 397 StGB
im Sinne einer Minimalgarantie einen selbständigen bundesrechtlichen Revisionsgrund zugunsten des Verurteilten auf, und kann die Verletzung dieser Bestimmung mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden.
2.
Das Obergericht hat seinen das Wiederaufnahmegesuch des Verurteilten gutheissenden Beschluss ausdrücklich auf
§ 449 Ziff. 3 StPO
/ZH gestützt, wonach die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten verlangt werden kann, "wenn Tatsachen und Beweismittel geltend gemacht werden, die dem erkennenden Richter nicht bekannt gewesen waren und welche allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Tatsachen die Freisprechung des Angeklagten oder eine mildere Bestrafung rechtfertigen".
Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass die Vorinstanz ihren Beschluss zu Unrecht auf kantonales Recht statt auf Bundesrecht gestützt habe. Ebensowenig wird geltend gemacht, die vom Obergericht im konkreten Fall gegebene Auslegung des kantonalen Prozessrechts verstosse gegen Bundesrecht, insbesondere gegen
Art. 397 StGB
. Die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts, hier
§ 449 Ziff. 3 StPO
/ZH, durch die kantonale Behörde aber ist der Kognition des Bundesgerichts im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde entzogen. Kann schon aus diesem Grunde auf die Beschwerde des Statthalteramtes Horgen nicht eingetreten werden, braucht nicht untersucht zu werden, ob die Eingabe den in
Art. 273 BStP
aufgestellten Anforderungen genügt, was vom Beschwerdegegner bestritten wird, und ob die übrigen Eintretensvoraussetzungen überhaupt erfüllt wären. | 473 | 374 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten. | 22 | 15 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-106-IV-45_1980 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=28&from_date=&to_date=&from_year=1980&to_year=1980&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=280&highlight_docid=atf%3A%2F%2F106-IV-45%3Ade&number_of_ranks=382&azaclir=clir | BGE_106_IV_45 |
||
003097ce-576c-45a0-bdf4-46b2e5962613 | 2 | 84 | 1,339,587 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 387
BGE 122 V 386 S. 387
A.-
U., né en 1953, de nationalité turque, réside en Suisse depuis le 28 août 1983. Il a déposé une demande d'asile le 30 août 1983, demande qui a été rejetée le 20 janvier 1988. Le 24 septembre 1992, il a obtenu une autorisation de séjour à caractère durable, pour des motifs humanitaires.
Dès le 14 novembre 1983, U. a travaillé comme charpentier au service de l'entreprise B.
Le 21 mai 1984, il a été victime d'un accident professionnel, ensuite duquel il a subi une contusion de la face ventrale de la cuisse gauche. Il a repris le travail le 4 juin suivant. Le 4 octobre 1984, il a été victime d'un accident de la circulation, qui a entraîné une incapacité de travail jusqu'au 3 décembre suivant, en raison de diverses contusions et d'une suspicion de commotion cérébrale. Le 6 juin 1985, il a été une nouvelle fois victime d'un accident du travail: alors qu'il se trouvait sur un échafaudage, il a fait une chute en arrière, d'une hauteur d'un mètre environ. Il a repris son activité à plein temps le 15 juillet suivant.
Ses rapports de travail ayant été résiliés par son employeur pour le 31 août 1985, U. a perçu des indemnités de chômage à partir du mois de septembre 1985.
Depuis lors, il n'a, semble-t-il, plus exercé d'activité professionnelle.
B.-
Le 20 novembre 1989, U. a présenté une demande de prestations de l'assurance-invalidité. Par décision du 6 septembre 1991, la Caisse cantonale genevoise de compensation lui a accordé une rente ordinaire entière à partir du 1er juin 1990. Cette prestation s'élevait à 300 francs par mois. Elle était calculée sur la base d'un revenu annuel moyen de 18'240 francs, d'une durée de cotisations de 4 années et 9 mois, entraînant l'application de l'échelle de rente 14.
Le 15 décembre 1992, U. a présenté une demande de rente extraordinaire. Par décision du 23 juin 1993, la caisse de compensation lui a alloué une telle rente extraordinaire à partir du 1er février 1993.
BGE 122 V 386 S. 388
C.-
L'assuré a recouru contre cette dernière décision en concluant au versement d'une rente extraordinaire à partir du 1er juin 1990.
Par jugement du 7 novembre 1985, la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS/AI a rejeté son recours. Elle a considéré, à l'instar de l'administration, que l'assuré avait été exempté de l'AVS entre 1986 et le mois de janvier 1988, du fait qu'il n'avait pas exercé d'activité lucrative durant cette période et en raison de son statut de requérant d'asile. Ce n'était donc qu'à partir du 1er février 1988 qu'avait commencé à courir la période de résidence ininterrompue en Suisse de cinq ans au moins que doit accomplir un ressortissant turc pour obtenir une rente extraordinaire.
D.-
Contre ce jugement, U., interjette un recours de droit administratif en concluant derechef au versement d'une rente extraordinaire d'invalidité dès le 1er juin 1990.
La caisse de compensation renonce à se déterminer sur le recours. De son côté, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) propose d'admettre celui-ci. | 721 | 634 | Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) En vertu de l'
art. 39 LAI
, en corrélation avec l'
art. 42 al. 1 LAVS
, les ressortissants suisses domiciliés en Suisse, qui n'ont pas droit à une rente ordinaire d'invalidité ou dont la rente ordinaire est inférieure à la rente extraordinaire, ont droit à cette dernière dans la mesure où les deux tiers de leur revenu annuel, auxquels est ajoutée une part équitable de leur fortune, n'atteignent pas certaines limites.
Des conventions internationales étendent conditionnellement à des ressortissants étrangers le bénéfice de l'article précité. C'est le cas de la Convention de sécurité sociale conclue le 1er mai 1969 entre la Suisse et la République de Turquie, qui prévoit que les ressortissants turcs ont droit aux rentes extraordinaires de l'assurance-invalidité, vieillesse et survivants suisse aux mêmes conditions que les ressortissants suisses, aussi longtemps qu'ils conservent leur domicile en Suisse et si, immédiatement avant la date à partir de laquelle ils demandent la rente, ils ont résidé en Suisse de manière ininterrompue pendant cinq ans au moins lorsqu'il s'agit d'une rente d'invalidité (art. 11). Le chiffre 6 du Protocole final relatif à ladite convention précise à cet égard que les périodes pendant lesquelles les ressortissants turcs résidant en Suisse ont été exemptés de l'assurance-invalidité, vieillesse et survivants suisse, ne
BGE 122 V 386 S. 389
sont pas prises en compte dans l'accomplissement des délais prescrits à l'art. 11 de la convention.
Le moment déterminant pour examiner si la condition de la résidence ininterrompue en Suisse pendant cinq ans au moins est remplie doit être fixé non pas à la date du dépôt de la demande, ni à celle de la survenance de l'événement assuré, mais au jour où le droit à la rente a effectivement pris naissance. Le délai se calcule rétroactivement depuis la date à laquelle s'ouvre le droit de l'assuré à une rente (
ATF 108 V 75
sv. consid. 2a).
b) D'autre part, selon la jurisprudence constante, pour décider si un assuré invalide remplit la condition de domicile en Suisse, en relation avec le droit à une rente extraordinaire, on ne peut se fonder uniquement sur les règles du droit civil. D'après la jurisprudence, l'
art. 39 al. 1 LAI
suppose à cet égard non seulement l'existence d'un domicile en Suisse au sens de ce droit, mais également une résidence effective dans ce pays, ainsi que l'intention de conserver cette résidence et d'en faire le centre de ses intérêts. Quant à la notion de résidence, elle doit être comprise dans un sens objectif (
ATF 111 V 182
consid. 4a et b; cf. également
ATF 115 V 449
consid. 1b,
ATF 105 V 168
sv. consid. 3).
2.
Il n'est pas contesté que le recourant, au moment de la naissance de son droit à une rente d'invalidité (1er juin 1990) était domicilié en Suisse au sens de la jurisprudence susmentionnée. Le litige porte sur le moment à partir duquel la condition de résidence ininterrompue pendant cinq ans au moins est remplie.
a) Selon l'
art. 2 al. 1 let
. e RAVS, ne sont pas assurées les personnes sans activité lucrative qui ne bénéficient que passagèrement de l'asile en Suisse. La circulaire de l'OFAS sur l'assujettissement à l'assurance (CAA) envisage, relativement à cette disposition réglementaire, les trois éventualités suivantes:
aa) Les requérants d'asile qui obtiennent le statut de réfugiés sont considérés comme étant assurés rétroactivement dès la date d'immigration et ils doivent payer les cotisations, depuis cette date, dans les limites de la péremption (ch. marg. 2011 CAA);
bb) Les requérants d'asile dont la requête a été rejetée, mais qui sont internés ou bénéficient passagèrement de l'asile, sont considérés comme assurés dès la date du rejet de la demande (ch. marg. 2012 CAA);
cc) Les requérants d'asile dont la demande a été rejetée et qui doivent quitter la Suisse ne sont pas considérés comme assurés et ne paient pas de
BGE 122 V 386 S. 390
cotisations (ch. marg. 2013 CAA en corrélation avec le ch. marg. 3042 CAA; voir également JÜRG BRECHBÜHL, Requérants d'asile et réfugiés - Leur statut dans les assurances sociales suisses, Sécurité sociale 3/1996 p. 144).
Selon l'administration et les premiers juges, le recourant, qui n'a plus exercé d'activité lucrative depuis 1985, ne pouvait être assuré qu'à partir du moment du rejet de sa demande, conformément au ch. marg. 2012 CAA précité. De 1986, année durant laquelle ont été payées les dernières cotisations (sur des indemnités de chômage), à janvier 1988, il était exempté de l'assurance. Les années passées sous ce régime d'exemption ne comptent pas comme années de résidence au sens des dispositions conventionnelles permettant d'étendre aux ressortissants turcs le bénéfice de l'
art. 39 LAI
. En conséquence, la période de cinq ans a débuté en janvier 1988 et elle a expiré en janvier 1993 seulement, de telle sorte que le droit à une rente extraordinaire a pris naissance à partir du 1er février 1993.
b) Selon l'
art. 1er al. 2 let
. c LAVS, ne sont pas assurées les personnes qui ne remplissent les conditions énumérées au premier alinéa que pour une période relativement courte.
A l'
art. 2 al. 1 RAVS
, le Conseil fédéral a adopté des dispositions d'exécution par lesquelles il a défini le cercle des personnes qui ne remplissent les conditions de l'assurance obligatoire que pour une période relativement courte au sens de la loi. Sont concernées, outre les personnes visées à la lettre e, les personnes qui séjournent en Suisse exclusivement pour rendre visite, faire une cure, passer des vacances, faire des études ou acquérir une formation professionnelle, sans y exercer une activité lucrative ni y prendre domicile (let. a); celles qui n'exercent une activité lucrative en Suisse que pendant trois mois consécutifs au plus, pour autant qu'elles soient rémunérées par un employeur à l'étranger, tels les voyageurs de commerce et les techniciens de maisons étrangères, ou celles qui ne doivent exécuter que des mandats précis ou ne remplir que des obligations déterminées, tels les artistes ou les experts (let. b); celles qui exercent une activité lucrative indépendante en Suisse pendant une durée totale de six mois au maximum par année civile, telles les personnes vendant leurs articles au marché, les rémouleurs, les vanniers, les colporteurs, les propriétaires de cirques forains et autres personnes exerçant des professions semblables, ainsi que les salariés de ces personnes (let. c); celles qui viennent en Suisse pour exécuter des travaux saisonniers déterminés et y séjournent au maximum pendant huit semaines par année (let. d).
BGE 122 V 386 S. 391
Les
art. 1er al. 2 let
. c LAVS et 2 al. 1 RAVS reposent sur l'idée qu'il est malaisé d'assurer des personnes venues en Suisse seulement pour un bref séjour. Il s'est agi d'éviter aux caisses de compensation des difficultés administratives disproportionnées par rapport au but visé; en outre, le versement de cotisations pendant une courte période n'ouvre pas droit à une rente (RCC 1989 p. 311 consid. 2 et les arrêts cités; KÄSER, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, p. 36 sv., note 1.69; BINSWANGER, Kommentar zum Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, Zurich 1950, p. 16). Le risque de complications administratives ne doit cependant pas conduire à étendre indûment la portée de l'
art. 2 al. 1 RAVS
, car c'était également la volonté du législateur d'empêcher que des employeurs ne donnent, aux seules fins de se soustraire au paiement de cotisations d'assurance sociale, la préférence à des salariés venant de l'étranger, qui feraient alors une concurrence à la main-d'oeuvre en Suisse (
ATF 111 V 74
consid. 3b et les références citées; cf. Binswanger, ibidem). Au demeurant, il importe aussi d'accorder une protection sociale aux salariés eux-mêmes.
En ce qui concerne plus particulièrement l'
art. 2 al. 1 let
. e RAVS, le Tribunal fédéral des assurances a eu l'occasion, peu de temps après les débuts de l'AVS, de se prononcer sur sa portée. Il a jugé que seuls devaient être considérés comme bénéficiant passagèrement de l'asile les étrangers qui devaient quitter la Suisse le plus vite possible. Cette disposition réglementaire n'était donc pas applicable dans le cas d'un ressortissant yougoslave, qui résidait en Suisse depuis le mois d'août 1945 comme réfugié politique et qui n'était pas astreint à quitter la Suisse, ayant été mis au bénéfice d'un permis de séjour dont on pouvait supposer qu'il serait vraisemblablement prolongé (RCC 1950 p. 182).
En doctrine, la légalité de l'
art. 2 al. 1 let
. e RAVS et de la pratique administrative précitée est mise en doute par DUC, dans la mesure où, selon cet auteur, il peut en résulter des inégalités de traitement entre les requérants d'asile qui n'ont pas d'activité lucrative (et ne sont donc pas assurés) et ceux qui exercent - même illégalement - une telle activité et qui, de ce fait, sont assujettis à l'assurance (DUC, Quelques considérations relatives au statut des étrangers et plus spécialement des demandeurs d'asile et des réfugiés en droit social: Questions choisies, in Droit des réfugiés, Fribourg 1991, p. 170 sv.).
c) En l'espèce, on peut toutefois se dispenser de prendre position sur cet avis de doctrine. L'
art. 2 al. 1 let
. e RAVS ne vise, selon sa lettre, que
BGE 122 V 386 S. 392
les personnes sans activité lucrative. C'est aussi le cas des directives administratives émises par l'autorité fédérale de surveillance à propos de cette disposition. En effet, les requérants d'asile sont toujours assurés à l'AVS, conformément à l'
art. 1er al. 1 let. b LAVS
, lorsqu'ils exercent une activité lucrative (BRECHBÜHL, loc.cit., p. 144; DUC, loc. cit., p. 170 sv.; KÄSER, op.cit., p. 37, note 1.71; ch. marg. 3042 CAA).
A ce propos, l'OFAS expose dans son préavis que le problème de l'assujettissement à l'AVS ne se pose vraiment qu'en l'absence d'une telle activité. Etant souvent assistés au moyen de fonds publics, les requérants d'asile sans activité lucrative devraient néanmoins payer la cotisation minimum selon l'
art. 10 al. 2 LAVS
. Supposé qu'ils ne soient pas en mesure de payer le montant de cette cotisation, la caisse de compensation devrait leur accorder une remise (
art. 11 al. 2 LAVS
). Le canton de domicile verserait alors la cotisation minimum pour ces assurés (sous réserve d'une éventuelle participation de la commune de domicile). La pratique administrative, conclut l'OFAS, permet d'éviter de rembourser à des requérants d'asile, contraints de quitter la Suisse après le rejet de leur demande, des cotisations qui auraient été payées par la collectivité publique (cf. BRECHBÜHL, loc.cit., p. 145).
Dans le cas particulier, le recourant, après avoir déposé une demande d'asile, a exercé en Suisse une activité lucrative pendant presque deux ans. A ce titre, il fut incontestablement assuré à l'AVS, ce qui excluait d'emblée l'application de l'
art. 2 al. 1 let
. e RAVS. Après la cessation de cette activité, il a continué à remplir les conditions de l'assujettissement à l'AVS, en raison cette fois de son domicile en Suisse (
art. 1er al. 1 let. a LAVS
). Il est en effet admis qu'un demandeur d'asile peut se constituer un domicile en Suisse. Son séjour est caractérisé par une certaine durée. D'autre part, les circonstances objectives (notamment l'abandon du domicile antérieur) font apparaître la volonté, reconnaissable par les tiers, de faire de la Suisse le centre de ses relations personnelles. Dans un tel cas, les conditions de l'
art. 23 al. 1 CC
sont réalisées (
ATF 113 II 7
sv. consid. 2; dans le même sens, en ce qui concerne la condition de domicile comme critère d'assujettissement des requérants d'asile au droit des assurances sociales suisses: DUC, loc.cit., pp. 166 et 170; KÄSER, op.cit., p. 37, note 1.71).
d) Le fait que le recourant n'a plus exercé d'activité professionnelle après 1985 n'était pas apte à interrompre son assujettissement à l'AVS. Une fois assuré, il ne pouvait perdre sa qualité d'affilié que pour l'un des
BGE 122 V 386 S. 393
motifs prévus par la loi (par exemple un départ à l'étranger). En dehors d'un tel motif, on ne conçoit pas qu'une personne qui a été durablement assurée à l'AVS puisse subitement, en raison de la cessation de son activité, être considérée comme remplissant les conditions d'assurance pour une période relativement courte au sens de l'
art. 1er al. 2 let
. c LAVS. En pareille situation, la continuité de l'assurance répond d'ailleurs à un impératif de protection sociale en visant à éviter d'éventuelles lacunes dans la couverture d'assurance.
e) Le jugement entrepris procède donc d'une interprétation inexacte de l'
art. 2 al. 1 let
. e RAVS: cette règle ne vise que les requérants d'asile qui n'exercent aucune activité lucrative pendant toute la durée de la procédure d'asile. Elle n'est pas applicable en l'espèce. Comme il n'existe par ailleurs aucun motif d'exemption, notamment aucun de ceux énumérés à l'art. 2 al. 1 let. a à d RAVS, on doit admettre que le recourant remplissait, entre 1986 et 1988, les conditions d'assujettissement à l'AVS.
3.
En conclusion, il y a lieu de constater qu'au moment de l'ouverture de son droit à la rente, le recourant comptait une période de résidence ininterrompue en Suisse de cinq années au moins. Il pouvait dès lors prétendre une rente extraordinaire. Le fait qu'il n'a pas payé de cotisations durant la période pendant laquelle il fut considéré à tort comme exempté de l'assurance et que ces cotisations ne peuvent aujourd'hui plus être réclamées (
art. 16 al. 1 LAVS
) n'est pas décisif: seules importent, selon le droit conventionnel, les années de résidence ininterrompue en Suisse et l'absence d'un motif d'exemption; le versement de cotisations n'est pas une condition du droit à la rente extraordinaire.
La cause doit ainsi être renvoyée l'administration, en l'occurrence à l'Office AI du canton de Genève, désormais compétent (54 ss LAI), pour nouvelle décision sur le droit du recourant à une rente extraordinaire, au sens des considérants qui précèdent. | 3,393 | 2,931 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-122-V-386_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=10&from_date=&to_date=&from_year=1996&to_year=1996&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=96&highlight_docid=atf%3A%2F%2F122-V-386%3Ade&number_of_ranks=331&azaclir=clir | BGE_122_V_386 |
|||
003112d4-b2bd-43c2-9f6a-0ef2912702a9 | 1 | 78 | 1,357,262 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 88 I 48 S. 49
A.-
Die Schweizerin Klara M. von Appenzell heiratete 1955 in Alexandria einen ägyptischen Offizier, behielt jedoch das Schweizerbürgerrecht bei. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor. Von 1959 an wurde der Ehemann wiederholt für längere Zeit zur Ausbildung nach Moskau abkommandiert, während sich die Ehefrau mit dem Kinde zu ihren Eltern in die Schweiz begab. Vor einer neuen Abreise nach Moskau hielt sich der Mann im Oktober 1960 eine Woche mit der Frau bei deren Eltern im Kanton Zürich auf. Während dieses Zusammenseins kamen die Eheleute überein, dass der Mann in Moskau die Scheidung durchführe. Am 31. Oktober 1960 vollzog Oberst F. in Moskau vor dem 1. Sekretär und Konsularbeamten der Botschaft der VAR und zwei Leutnants als Zeugen die "Scheidung" gemäss dem Recht seines Landes, worüber der Beamte eine Bescheinigung ausstellte. Einige Tage vor diesem Akt hatte sich die Ehefrau in Zürich niedergelassen. Im April 1961 schickte die Einwohnerkontrolle der Stadt Zürich eine Bestätigung des hiesigen Generalkonsulats der VAR über die rechtskräftig erfolgte Scheidung an das Zivilstandsamt der Heimatgemeinde der Frau, Appenzell. Dieses ersuchte das Eidg. Amt für das Zivilstandswesen um Mitteilung, ob die Scheidung rechtsgültig sei und in den Registern eingetragen werden könne. Das Eidg. Amt übermittelte die Akten der Standeskommission des Kantons Appenzell I. Rh. (als kantonale Aufsichtsbehörde über das Zilvilstandswesen) zur Prüfung der Frage der Eintragung gemäss
Art. 137 ZStV
.
Die Standeskommission hat die Eintragung abgelehnt, weil die Ehefrau zur Zeit des Scheidungsaktes von Moskau bereits wieder einen eigenen Wohnsitz in Zürich gehabt habe und weil die nach muselmanischem Recht vorgenommene einseitige Auflösung der Ehe der schweizerischen Rechtsauffassung widerspreche.
BGE 88 I 48 S. 50
B.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss
Art. 99 I lit. c OG
beantragt Frau F.-M. Eintragung der Scheidung. Sie führt aus, sie habe am 30. Oktober 1960 in der Schweiz noch nicht Wohnsitz gehabt, sondern noch denjenigen des Ehemannes in Ägypten geteilt. Sie sei mit der Scheidung einverstanden gewesen und habe an der Ehe keinerlei Interesse mehr. Würde die Scheidung in der Schweiz nicht anerkannt und eingetragen, so müsste sie in Zürich ein neues Scheidungsverfahren einleiten.
C.-
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragt in seiner Vernehmlassung (gemäss
Art. 108 Abs. 2 OG
) Abweisung der Beschwerde. | 536 | 430 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Frage des Wohnsitzes der Ehefrau zur Zeit der "Scheidung": in Zürich oder in Ägypten?)
2.
Es kann indessen dahingestellt bleiben, ob diese Umstände ausreichen, um für Ende Oktober 1960 einen schweizerischen Wohnsitz der Beschwerdeführerin anzunehmen, der auch schon als ihr Scheidungsgerichtsstand genügt hätte. Selbst wenn die Beschwerdeführerin noch in Ägypten Wohnsitz gehabt hätte, fehlt es an andern Voraussetzungen zur Anerkennung.
Art. 7 g Abs. 3 NAG
setzt voraus, dass die Scheidung durch ein (zuständiges) Gericht ausgesprochen worden sei. Nach der Praxis ist dabei "Gericht" im weiteren Sinne von "Behörde" zu verstehen. Wenn die lex fori eine Verwaltungsbehörde für die Scheidung zuständig erklärt, so ist die von ihr ausgesprochene der gerichtlichen Scheidung gleichzuhalten. Das Gleiche gilt für Konsulargerichte bezw. -Behörden (vgl. Kommentare zu
Art. 7 g NAG
: STAUFFER, N. 4, BECK, N. 130 und dortige Zitate). Dabei ist jedoch vorausgesetzt, dass der zuständigen Behörde eine entscheidende Mitwirkung zukomme, also die Befugnis einer Prüfung der materiellrechtlichen Grundlagen der Scheidung und die Befugnis der Gutheissung oder Abweisung des Scheidungsbegehrens,
BGE 88 I 48 S. 51
sodass im Falle der Gutheissung die Scheidung von der Behörde ausgesprochen ist, ihre konstitutive Kraft von deren behördlicher Autorität bezieht. Das Eherecht der VAR für Ägypten kennt die Auflösung der Ehe durch Verstossung und durch "Scheidung zufolge gegenseitigen Einverständnisses" (BERGMANN, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, S. 48, 56). Die Verstossung kann eine widerrufliche (radjii) oder unwiderrufliche (baïn) sein; unwiderruflich und endgültig ist sie dann, wenn sie dreimal erfolgt oder wenn beim ersten Mal bestimmte Formeln verwendet werden (Art. 226 des ägypt. Gesetzbuches über das Personenrecht und die Erbfolge... von 1875). Die widerrufliche Verstossung wird jedoch mit dem Ende des 10. Tages nach der Wartezeit (Ende der 3. Menstruation der Frau) endgültig (baïn; Art. 241 des Gesetzbuches; BERGMANN S. 51). Die Wendung in der Übersetzung des "Certificat de divorce" von Moskau "Le divorce demandé est susceptible d'être annulé ou renouvelé" zeigt, dass es sich um eine Verstossung - vorerst radjii - handelte, die gemäss Art. 241 baïn wurde. Die Verstossung wird durch einseitige Erklärung des Ehemannes ausgesprochen. Der Konsularbeamte der VAR in Moskau hat einfach die Erklärung des Ehemannes entgegengenommen und darüber unter Beizug von zwei Zeugen das "Certificat de divorce" erstellt, wonach die Scheidung erfolgt sei. Es hat mithin weder ein kontradiktorisches Scheidungsverfahren stattgefunden, in dem die Ehefrau sich hätte verteidigen können, noch wurde geprüft, ob ein Scheidungsgrund (nach ägyptischem Recht) vorlag, noch hat eine Behörde ein Urteil gefällt und die Scheidung ausgesprochen. (Übrigens verhält es sich bei der "Scheidung durch gegenseitiges Einverständnis" gemäss Art. 273 ff. des Gesetzbuches nicht anders, bezüglich deren Art. 278 Abs. 2 sagt: "Sie kann gültig durch den Mann ausgesprochen werden, ohne dass es einer gerichtlichen Handlung bedarf"; BERGMANN, S. 56).
Nach ständiger Rechtsprechung darf die Anerkennung
BGE 88 I 48 S. 52
gemäss
Art. 7 g Abs. 3 NAG
auf solche Eheauflösung durch einseitige Verstossung nicht ausgedehnt werden (BECK, zu Art. 7 g N. 131 und dortige Hinweise). Die Verstossung ohne jedes Recht der Verteidigung vor einer erkennenden Behörde ist mit den Grundprinzipien der schweizerischen Rechtsordnung unvereinbar (vgl.
BGE 74 II 56
f., 85 I 47). Dass in casu die Beschwerdeführerin den Vorbehalt des schweizerischen ordre public nicht anruft, sondern im Gegenteil die Anerkennung der Eheauflösung verlangt, kann dieser Beurteilung nicht entgegenstehen. Die Verstossung widerspricht schon rein begrifflich der in
Art. 7 g Abs. 3 NAG
genannten doppelten Voraussetzung, dass die Scheidung durch ein Gericht, d.h. eine erkennende Behörde ausgesprochen, also nicht bloss vor einer lediglich registrierenden Amtsperson durch eine Partei erklärt worden sei. Die gegenteilige Auffassung lässt sich auch nicht aus der allgemeinen ratio legis dieser Bestimmung ableiten. Indem sie bestimmt, dass eine im Ausland ausgesprochene Scheidung dort domizilierter Schweizer auch dann anerkannt wird, wenn die Scheidung nach schweizerischem Recht nicht begründet gewesen wäre, bringt sie den Gedanken zum Ausdruck, dass unsere eherechtlichen Auffassungen gegenüber ausländischen Scheidungsurteilen im Interesse einer liberalen Handhabung des internat. Privatrechts weitgehend zurückzutreten haben (vgl. STAUFFER, a.a.O., N. 7). Diese Zurückhaltung bezieht sich indessen auf die materiellrechtlichen Scheidungsgründe nach ausländischem Recht. In casu weiss man von einem "Scheidungs" - Grund überhaupt nichts; es ist die Institution der willkürlichen Verstossung als solche sowie das bezügliche Verfahren, die sich nicht unter
Art. 7 g Abs. 3 NAG
subsumieren lassen. | 1,138 | 868 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | 17 | 13 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-88-I-48_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=18&from_date=&to_date=&from_year=1962&to_year=1962&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=171&highlight_docid=atf%3A%2F%2F88-I-48%3Ade&number_of_ranks=182&azaclir=clir | BGE_88_I_48 |
||
0032207a-272b-4f16-a192-308e85f6bd8b | 1 | 83 | 1,363,726 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 186
BGE 103 IV 186 S. 186
A.-
Die Verkehrspolizei Davos führte am 23. August 1976 in Saas im Prättigau mit einem mobilen Radargerät eine Geschwindigkeitskontrolle durch. Der hinzukommende Fussgänger K. trat in der Folge mehrmals auf die Strasse hinaus und veranlasste dadurch herannahende Automobilisten, ihre Geschwindigkeit zu mässigen, ohne im übrigen ihre Fahrt zu stören. Nach einem kurzen Wortwechsel mit der Polizei entfernte sich K. und gab etwas entfernt vom Messposten während etwa einer halben Stunde herannahenden Fahrern durch Auf- und Abschwenken des Armes Zeichen, zu verlangsamen.
B.-
K. wurde vom Kreisgerichtsausschuss Küblis am 15. April 1977 wegen fortgesetzter Hinderung einer Amtshandlung zu einer Busse von Fr. 500.-- verurteilt. Der Kantonsgerichtsausschuss Graubünden bestätigte am 13. Juni
BGE 103 IV 186 S. 187
1977 dieses Urteil, mit Ausnahme eines hier nicht interessierenden Nebenpunktes.
C.-
K. beantragt mit Nichtigkeitsbeschwerde Freisprechung von der Anklage, eventuell Rückweisung zur Freisprechung gestützt auf
Art. 20 StGB
.
Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde. | 252 | 186 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde hat kassatorischen Charakter (
Art. 277ter BStP
). Auf den Hauptantrag des Beschwerdeführers ist daher nur im Sinne eines Begehrens um Rückweisung an die Vorinstanz zur Freisprechung einzutreten.
2.
Im Sinne von
Art. 286 StGB
hindert eine Amtshandlung, wer eine im Rahmen ihrer Amtsbefugnis liegende Handlung einer Behörde, eines Behördenmitglieds oder eines Beamten ohne Gewalt so beeinträchtigt, dass sie nicht reibungslos durchgeführt werden kann (HAFTER, BT II S. 712). Die Entstehungsgeschichte spricht für eine zurückhaltende Anwendung der Bestimmung (HAFTER, a.a.O.), ebenso der Vergleich mit ausländischen Rechtsordnungen (SCHWANDER, Nr. 745, Ziff. 1, 2). STRATENWERTH (BT II S. 583 f.) fordert eine Beschränkung auf Fälle, wo die Amtshandlung als solche aktiv behindert wird.
3.
Die Amtshandlung, deren Hinderung dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, bestand in einer der üblichen Radarkontrollen über die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit. Dass die Beamten im Rahmen ihrer Amtsbefugnis handelten, ist unbestritten.
Solche Radarkontrollen können gewaltlos auf verschiedene Art behindert werden, so durch Störung der Messung (Beispiel in
BGE 95 IV 172
) oder der Funkübertragung zum Auffangposten oder der automatischen Lichtbildaufnahme.
Dem Beschwerdeführer wird nichts Derartiges oder Vergleichbares vorgeworfen. Zunächst trat er in der Nähe der Messstelle auf die Strasse, aber nicht in den Messstrahl. Dann warnte er die Fahrer etwa 100 m vor der Radaranlage. Weder die Messung durch das Radargerät noch die Meldung durch Funk an den Auffangposten noch dessen Tätigkeit wurden gestört. Die ganze Amtshandlung wickelte sich reibungslos ab.
BGE 103 IV 186 S. 188
Anklage und Vorinstanz behaupten nichts anderes; nirgends wird eine Beeinträchtigung der Kontrolltätigkeit geltend gemacht. Die Verurteilung verletzt
Art. 286 StGB
.
4.
Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer bestraft, weil er den von der Radarkontrolle angestrebten Erfolg beeinträchtigt habe.
Damit wird ein dem Sinn und Wortlaut von
Art. 286 StGB
fremdes Element eingeführt. Der Kassationshof hat es stets abgelehnt, darauf abzustellen, ob sich die Tätigkeit des Angeklagten auf den von der Amtshandlung angestrebten Zweck ausgewirkt hat. Der Täter ist auch dann wegen vollendeter und nicht nur versuchter Hinderung strafbar, wenn er den Beamten erfolglos gehindert hat (
BGE 71 IV 101
,
BGE 74 IV 63
E. 4).
Umgekehrt ist eine Bestrafung nach Art. 286 ausgeschlossen, wenn der Täter zwar die Amtshandlung als solche nicht behinderte, aber den damit angestrebten Erfolg vereitelte. So wurde der Nachtruhestörer freigesprochen, der trotz polizeilicher Abmahnung weiter krakeelte (
BGE 69 IV 3
). Auch als ein Polizist einem betrunkenen Automobilisten verbot, mit seinem Wagen wegzufahren, wurde Hinderung einer Amtshandlung verneint, obwohl der Betrunkene sich dann trotzdem ans Steuer gesetzt hatte und weggefahren war (
BGE 81 IV 164
).
5.
Selbst wenn die Zweckvereitelung für die Erfüllung des Tatbestandes genügte, wäre das angefochtene Urteil nicht haltbar.
a) Radarmessungen können verschiedenen Zwecken dienen. Eine längere systematische Erfassung des Strassenverkehrs nach Fahrzeugkategorien und einzelnen Geschwindigkeitsstufen kann für die Festsetzung bestimmter Höchstgeschwindigkeiten notwendig sein. Hier könnten die Ergebnisse verfälscht werden, indem die Fahrer allgemein aufgefordert würden, bei der Durchfahrt an den kenntlich gemachten Messstellen schneller (oder langsamer) zu fahren, als dies sonst der Fall wäre. Die allermeisten Radarmessungen dienen jedoch ausschliesslich der Kontrolle darüber, ob eine vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten wird.
Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass auch im vorliegenden Fall lediglich eine der üblichen Höchstgeschwindigkeitskontrollen durchgeführt wurde.
BGE 103 IV 186 S. 189
b) Auch wenn der Fiskus an hohen Busseneingängen interessiert ist, liegt der Zweck der Radarkontrollen nicht in der Büssung vieler Verkehrssünder.
c) Geschwindigkeitskontrollen sollen mithelfen, eine möglichst umfassende Einhaltung geltender Höchstgeschwindigkeiten zu bewirken. Diese Höchstgeschwindigkeiten dienen wie alle übrigen Verkehrsvorschriften der Verkehrssicherheit. Alles, was dazu beiträgt, die Strassenbenützer zu einem verkehrsregelgemässen Verhalten zu veranlassen, liegt im Sinne der entsprechenden Vorschriften. Wer daher einen Strassenbenützer auf eine mögliche Geschwindigkeitsüberschreitung hinweist und zur notwendigen Mässigung veranlasst, kann nicht gegen den Zweck der Geschwindigkeitsbeschränkung verstossen. Er kann daher auch nicht dem Zweck zuwiderhandeln, der mit einer Geschwindigkeitskontrolle angestrebt wird.
d) Die Erfahrung lehrt, dass zwar Strafdrohungen und die individuelle Bestrafung Fehlbarer notwendig sind, dass aber eine gelockerte Verkehrsdisziplin mindestens so wirksam durch die Präsenz der Polizei und das Wissen um häufige Kontrollen gebessert wird. Aus dieser Erkenntnis heraus werden feste Radarkabinen gut sichtbar aufgestellt und vielerorts von der Polizei auffällige Tafeln mit dem Hinweis auf bevorstehende Geschwindigkeitskontrollen angebracht. Kantonale Polizeistellen pflegen regelmässig durch Radio und Presse vor Feiertagen darauf aufmerksam zu machen, dass auf ganz bestimmten Strecken Radarkontrollen durchgeführt würden. Mancher unaufmerksame oder undisziplinierte Lenker wird dadurch veranlasst, seine Geschwindigkeit jedenfalls an diesen Orten zu kontrollieren und nötigenfalls herabzusetzen.
Der Beschwerdeführer hat, wenn auch aus anderen Motiven, genau dasselbe getan, was die Verkehrspolizei selbst tut, um die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit möglichst umfassend zu gewährleisten.
e) Ob nur vereinzelte Autofahrer vor einer Geschwindigkeitskontrolle gewarnt werden oder die Warnung systematisch während längerer Zeit erfolgt, ist entgegen der in einem Urteil des Zürcher Obergerichts (SJZ 1971 S. 323 Nr. 138) vertretenen Meinung ohne Belang, gleichgültig, ob nur auf die Hinderung der Amtshandlung selbst oder auch auf den Zweck der letzteren abgestellt wird. Richtig ist vielmehr die Auffassung von SCHULTZ (Strafrechtliche Rechtsprechung zum Strassenverkehrsrecht
BGE 103 IV 186 S. 190
1968-1972, S. 64), dass auch die systematische Warnung einer grösseren Zahl von Fahrzeugführern nie Hinderung einer Amtshandlung sei, da sie genau den Zweck erreiche, den die Kontrolle selbst anstrebt.
Ob das Verhalten des Warners eventuell aus anderen Gründen bestraft werden kann (z.B. unerlaubte Verwendung der Lichthupe oder der akustischen Warnanlage), ist hier nicht zu untersuchen. Dem Beschwerdeführer wird kein solcher Vorwurf gemacht. | 1,361 | 1,074 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden vom 13. Juni 1977 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen. | 56 | 36 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-103-IV-186_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=7&from_date=&to_date=&from_year=1977&to_year=1977&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=67&highlight_docid=atf%3A%2F%2F103-IV-186%3Ade&number_of_ranks=351&azaclir=clir | BGE_103_IV_186 |
||
003afb6f-f732-4dba-9cf7-cf9ae39ed29c | 1 | 79 | 1,334,263 | 504,921,600,000 | 1,986 | de | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 112 Ia 1 S. 1
Die Bezirksanwaltschaft X bestrafte Y mit Verfügung vom 20. Juni 1985 mit einer Disziplinarstrafe von acht Tagen Arrest. Mit Telegramm vom 22. Juni 1985 an die Justizdirektion des Kantons Zürich beantragte Y, diesen Entscheid aufzuheben. Gleichzeitig stellte er ein Gesuch um aufschiebende Wirkung. Die
BGE 112 Ia 1 S. 2
Rekursinstanz wies beide Anträge am 24. Juni 1985 ab. Auf eine am 8. Juli 1985 rechtzeitig nachgereichte Rekursergänzung trat sie nicht ein. | 205 | 97 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Mit Disp. Ziffer III der angefochtenen Verfügung ist die Justizdirektion auf die "Rekursbegründung" vom 8. Juli 1985 nicht eingetreten. Sie hat erwogen, der Beschwerdeführer habe bereits mit Telegramm vom 22. Juni 1985 Rekurs erhoben; diesen habe sie aber schon mit Verfügung vom 24. Juni 1985 behandelt und abgewiesen. Der Beschwerdeführer bestreitet die Zulässigkeit dieses Vorgehens und macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Er bringt vor, der telegraphisch angemeldete Rekurs sei mangels Unterschrift (noch) nicht formgültig gewesen, rügt eine Verkürzung der gesetzlichen Rechtsmittelfrist und wendet schliesslich ein, die Verfügung der Justizdirektion vom 24. Juni 1985 sei ihm, d.h. seinem Anwalt, nie gültig zugestellt worden.
a) Soweit sich der Beschwerdeführer auf die Ungültigkeit des telegraphisch eingereichten Rekurses beruft, ist ihm nicht beizupflichten. Wer bei der Einreichung eines Rechtsmittels einen formellen Fehler begeht, kann sich nach Treu und Glauben nicht darüber beklagen, dass die Rechtsmittelinstanz über den Fehler hinwegsieht und das Rechtsmittel gleichwohl behandelt.
b) Wie es sich mit der Zustellung des Entscheides vom 24. Juni 1985 verhält, kann dahingestellt bleiben. Eine allfällige Nichtzustellung könnte jedenfalls nicht zur Aufhebung des Entscheides als solchen führen; übrigens scheint der Anwalt des Beschwerdeführers dessen Inhalt zu kennen. Entscheidend ist die Frage, ob die Justizdirektion den am 22. Juni 1985 telegraphisch angemeldeten Rekurs sofort materiell behandeln und ihren Entscheid dem fristgerecht eingereichten schriftlichen Rekurs vom 8. Juni 1985 entgegenhalten durfte.
c) Der Umfang des rechtlichen Gehörs bestimmt sich in erster Linie nach den kantonalen Verfahrensvorschriften. Wo sich jedoch der kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz. Im vorliegenden Fall behauptet der Beschwerdeführer nicht, das Vorgehen der Justizdirektion verletze irgendwelche kantonalen Verfahrensvorschriften. Es ist daher einzig - und zwar mit freier Kognition - zu prüfen,
BGE 112 Ia 1 S. 3
ob unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende Regeln missachtet wurden (
BGE 110 Ia 81
E. 5b, 85 E. 3b, 101 E. 4a; mit Hinweisen).
Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, der in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift (
BGE 111 Ia 104
E. 2b mit Hinweis; vgl. auch THOMAS COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör,
Art. 4 BV
, in recht 1984, S. 1 ff.).
Dieses Normprogramm verwirklicht sich nur, wenn die Behörde die Vorbringen des Betroffenen auch tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Der Anspruch bezieht sich auf alle form- und fristgerechten Äusserungen, Eingaben und Anträge des Betroffenen, die zur Klärung der konkreten Streitfrage geeignet und erheblich sind (JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, Bern 1985, S. 239 ff.; vgl. auch THOMAS COTTIER, a.a.O. S. 10; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 129). In diesem Sinn verlangt auch das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 in Art. 32 Abs. 1, dass die Behörde alle erheblichen und rechtzeitigen Vorbringen der Parteien würdigt, bevor sie verfügt (vgl. dazu
BGE 99 V 188
; PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, Basel/Stuttgart 1978, S. 141).
Aufgrund dieses allgemeinen verfassungsrechtlichen Anspruches lässt sich allerdings keine generelle Regel darüber aufstellen, ob über ein Rechtsmittel vor Ablauf der Rechtsmittelfrist entschieden werden darf oder nicht. Diese Frage ist vielmehr im Blick auf den genannten Zweck des rechtlichen Gehörs und seinen allgemeinen Gehalt unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der Interessen der Beteiligten zu beantworten. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen ein rasches Vorgehen berechtigt ist und sogar im Interesse des Rechtsmittelklägers liegt. Immer aber ist sorgfältig zu prüfen, ob eine als abschliessend verstandene Rechtsmitteleingabe vorliegt oder ob mit einer Ergänzung zu rechnen ist. Trifft das zweite zu, so läuft eine vorweggenommene Erledigung auf eine unzulässige Verkürzung der gesetzlich zwingend geregelten Rechtsmittelfrist hinaus und verletzt damit das rechtliche Gehör. Dies jedenfalls dann, wenn die Rechtsmittelinstanz nicht bereit ist, ihren Entscheid ohne weiteres in Wiedererwägung zu ziehen, falls der Einleger des Rechtsmittels noch frist- und formgerecht eine Ergänzung nachliefert.
BGE 112 Ia 1 S. 4
Im vorliegenden Falle werden im telegraphischen Rekurs vom 22. Juni 1985 zunächst die Anträge gestellt, wobei derjenige auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung dem Hauptantrag auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung vorangestellt ist. Sodann folgen die Worte: "Vorläufige Begründung." Daran schliesst sich eine Kurzbegründung an, von der sich vier Sätze auf die angefochtene Verfügung selbst und zwei auf die Art und Weise ihres Vollzuges beziehen. Schon die Worte "vorläufige Begründung" boten genügend Anlass, daran zu zweifeln, dass das Telegramm als abschliessende Rekursbegründung zu verstehen sei; sie brachten in deutlicher Weise zum Ausdruck, eine weitere Eingabe sei zu erwarten. Hinzu kommt der gesamte Sachzusammenhang: Die Bezirksanwaltschaft X hatte einem allfälligen Rekurs in der Verfügung vom 20. Juni 1985 die aufschiebende Wirkung in Anwendung von § 60 Abs. 2 der zürcherischen Verordnung über die Bezirksgefängnisse (BezGV) vom 19. April 1972 vorsorglich entzogen, und der Beschwerdeführer hatte die Arreststrafe bereits angetreten. Die Rekursinstanz hätte deshalb annehmen müssen, es gehe dem Verteidiger in erster Linie um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und er begründe den Rekurs einstweilen nur insoweit, als dies im Hinblick auf den entsprechenden Antrag unbedingt notwendig war. Diesem Zweck entsprach auch die gewählte Form des Telegramms, die für Rechtsmittelbegründungen unüblich ist. Wenn die Justizdirektion in ihrer Vernehmlassung ausführt, es sei der Verteidigung darum gegangen, durch Einreichung eines formungültigen Rechtsmittels eine Erstreckung der gesetzlichen Frist zu erlangen, so kann dem nicht beigepflichtet werden. Nachdem der Verteidiger das Telegramm abgesandt hatte, standen ihm noch 19 Tage der gesetzlichen Rechtsmittelfrist zur Verfügung. Er hat von dieser denn auch Gebrauch gemacht. Indem die Rekursinstanz nach Eingang des Telegramms statt nur über das Gesuch um aufschiebende Wirkung sofort auch in der Sache selbst befand und dann den damals getroffenen Entscheid im Sinne einer res iudicata der frist- und formgerecht eingereichten Rekursbegründung entgegenhielt, hat sie den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt. Die Beschwerde erweist sich somit in diesem Punkt als begründet. Die Justizdirektion wird über den Rekurs hinsichtlich der disziplinarischen Bestrafung des Beschwerdeführers materiell zu entscheiden haben, und zwar ohne Rücksicht darauf, dass in der Zwischenzeit der Vollzug erfolgt ist. | 3,115 | 1,192 | 2 | 0 | CH_BGE_002 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_002_BGE-112-Ia-1_1986 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=37&from_date=&to_date=&from_year=1986&to_year=1986&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=362&highlight_docid=atf%3A%2F%2F112-IA-1%3Ade&number_of_ranks=378&azaclir=clir | BGE_112_Ia_1 |
|||
003b58d6-b229-480c-add5-2dc809e86df1 | 2 | 81 | 1,343,451 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 300
BGE 115 II 300 S. 300
A.-
Le 4 août 1977, K., ressortissant néerlandais, a ouvert un compte auprès de la banque X., à Antibes (France), au nom de L., un ami marocain domicilié en Espagne. En 1981, il a fait transférer
BGE 115 II 300 S. 301
le solde du compte dans un établissement du Liechtenstein. Cette opération effectuée, il en a contesté la régularité au motif que la somme virée ne correspondait pas à celle qui devait figurer sur ledit compte.
B.-
En mars 1986, K. a fait procéder, à Genève, au séquestre de 1'152'478 francs en capital appartenant à la banque X. Celle-ci ayant fait opposition à la poursuite subséquente, il lui a intenté une action en validation de séquestre.
Par jugement du 3 septembre 1987, le Tribunal de première instance du canton de Genève a débouté K. des fins de sa demande après lui avoir dénié la qualité pour agir.
Statuant le 16 décembre 1988, sur appel du demandeur, la Cour de justice du canton de Genève a confirmé ce jugement.
C.-
K. interjette un recours en réforme au Tribunal fédéral en concluant à ce que la banque X. soit condamnée à lui payer la somme de 1'062'000 francs, plus intérêts.
La défenderesse propose le rejet du recours, dont elle conteste, au demeurant, la recevabilité. | 482 | 265 | Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Du moment que le rapport juridique en cause revêt assurément un caractère d'extranéité et que le présent recours a été interjeté après le 1er janvier 1989, date de l'entrée en vigueur de la loi fédérale sur le droit international privé (LDIP; RS 291) et des modifications apportées dans le même temps à la loi fédérale d'organisation judiciaire (OJ), la question se pose de savoir si la procédure de recours devant le Tribunal fédéral demeure régie par l'ancien droit ou si elle est déjà réglée par les dispositions modifiées de la loi fédérale d'organisation judiciaire.
En matière d'arbitrage international, le Tribunal fédéral a jugé récemment que le nouveau droit n'est applicable qu'aux recours interjetés contre des sentences rendues postérieurement au 1er janvier 1989 (
ATF 115 II 97
, 102).
A défaut de disposition transitoire claire, il convient d'adopter la même solution pour résoudre le problème soulevé plus haut. Aussi faut-il poser, par voie de jurisprudence, que les modifications de la loi fédérale d'organisation judiciaire, introduites par la loi fédérale sur le droit international privé, ne s'appliquent qu'aux recours interjetés contre des décisions rendues postérieurement au 1er janvier 1989, et non pas à ceux qui ont été déposés après cette
BGE 115 II 300 S. 302
date contre des décisions antérieures (POUDRET, Les modifications de la loi fédérale d'organisation judiciaire introduites par la LDIP, in JdT 1988, p. 626). Cette solution correspond d'ailleurs à celle qui a été retenue dans la loi - actuellement en suspens - du 23 juin 1989 modifiant la loi fédérale d'organisation judiciaire (art. 3 al. 1, 2e phrase, des dispositions finales, FF 1989 II 816).
Il suit de là que la procédure de recours devant le Tribunal fédéral reste soumise, en l'espèce, aux règles antérieures à la modification légale.
2.
a) A la différence du Tribunal de première instance, la Cour de justice a jugé la présente cause en faisant application du droit français, sur lequel elle s'est estimée suffisamment renseignée, le principe de l'application de ce droit n'étant pas contesté par le demandeur. Elle a aussi appliqué le droit suisse, mais à titre de motivation subsidiaire, alternative ou cumulative, conduisant à un résultat identique à celui du droit français. L'action du demandeur a donc été rejetée pour deux séries de motifs, indépendantes l'une de l'autre, soit, d'une part, les motifs de droit français et, d'autre part, les motifs de droit suisse.
Selon la jurisprudence, lorsqu'une décision repose sur deux motivations indépendantes, la recevabilité du recours en réforme suppose que le recourant indique en quoi le droit fédéral est violé par chacune des motivations (
ATF 111 II 397
). Le cas échéant, le recourant devra attaquer l'une des deux motivations par la voie du recours en réforme, et l'autre par celle du recours de droit public (
ATF 111 II 399
/400).
b) Dans son recours en réforme, le demandeur n'attaque que l'une des deux séries de motifs sur lesquelles l'arrêt déféré se fonde, à savoir celle tirée du droit suisse. Il laisse intacte la motivation, indépendante et suffisante, basée sur le droit français. S'il est vrai qu'il ne pouvait critiquer pareille motivation dans ce cadre-là (art. 55 al. 1 lettre c anc. OJ; cf.
ATF 113 II 103
/104 consid. 2b,
ATF 108 II 169
/170), il lui eût été cependant loisible de le faire au moyen d'un recours de droit public formé parallèlement contre ledit arrêt. Cette motivation, fondée sur le droit français, suffit dès lors à justifier le maintien de l'arrêt entrepris, si bien que la critique de la motivation fondée sur le droit suisse n'apparaît que comme un pur débat sur des motifs qui, en eux-mêmes, ne lèsent pas le demandeur. Le recours en réforme interjeté par ce dernier est en conséquence irrecevable.
3.
A côté des moyens, irrecevables, fondés sur la violation des
art. 32 et 401 CO
, le demandeur invoque également la violation de
BGE 115 II 300 S. 303
l'
art. 8 CC
, en faisant valoir que son droit à la preuve n'a pas été respecté sur des points essentiels.
L'
art. 8 CC
, comme norme de droit civil fédéral, ne s'applique qu'aux rapports juridiques qui relèvent de ce droit (
ATF 107 II 486
consid. 1, 97 III 14/15 et les références). Ainsi, pour l'application, suffisante - on l'a vu -, du droit français, l'
art. 8 CC
ne pouvait entrer en ligne de compte. C'est d'autres normes, procédurales ou tirées du droit français, que le demandeur pouvait déduire le droit à la preuve dont il se prévaut. Mais la voie du recours en réforme ne lui eût pas permis de faire sanctionner par le Tribunal fédéral la violation de telles normes.
Le présent recours se révèle dès lors totalement irrecevable. | 1,790 | 938 | 2 | 0 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-115-II-300_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=15&from_date=&to_date=&from_year=1989&to_year=1989&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=146&highlight_docid=atf%3A%2F%2F115-II-300%3Ade&number_of_ranks=372&azaclir=clir | BGE_115_II_300 |
|||
003cb23c-122c-4b34-a10f-9957f8154e64 | 2 | 80 | 1,349,467 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 182
BGE 105 Ib 181 S. 182
X., opticien, est inscrit au registre de l'Administration fédérale des contributions (ci-après: AFC) comme grossiste au sens de l'
art. 8 AChA
. Au cours d'un contrôle, portant sur les périodes fiscales allant du 1er janvier 1973 au 31 décembre 1977, l'AFC constata que la comptabilité du contribuable ne contenait aucune pièce propre à servir de justificatif aux écritures.
Le 12 mai 1978, l'AFC a présenté à X. un décompte complémentaire par lequel elle lui réclamait un supplément d'impôt de Fr. 20'110.-, avec intérêt à 6% dès le 30 avril 1976, pour la période en cause. Pour déterminer le chiffre d'affaires, l'AFC s'est fondée sur les montants des achats de matières opérés par l'intéressé durant ces années, considérant qu'ils représentaient le 40% du chiffre d'affaires global. Cette dernière appréciation résulte de statistiques concernant six commerces de la branche comparables à celui de X. et portant généralement sur plusieurs années; l'AFC s'est en outre référée aux listes de prix courants d'un des principaux fournisseurs du contribuable, procédant à des comparaisons du tarif "achat" et du tarif "vente au public". X. n'a pas accepté ce décompte complémentaire. Aussi l'AFC a-t-elle rendu le 11 septembre 1978 une décision formelle confirmant en tout point le redressement fiscal auquel elle avait procédé le 12 mai précédent. Le 30 octobre 1978, l'AFC a rejeté la réclamation formée par le contribuable contre cette décision.
X. a formé un recours de droit administratif dans lequel il conclut à ce que la décision du 30 octobre 1978, ainsi que celle du 11 septembre 1978 et le décompte complémentaire du 12 mai 1978, soient annulés.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours. | 681 | 324 | Erwägungen
Extrait des motifs:
2.
a) En matière d'impôt sur le chiffre d'affaires, le contribuable doit tenir ses livres de façon que les faits importants pour déterminer l'existence et l'étendue de l'assujettissement puissent être constatés aisément et avec sûreté. L'AFC peut édicter des prescriptions spéciales à ce sujet (art. 34 al. 1 in principio AChA).
En application de cette disposition légale, l'AFC a publié des "Instructions à l'usage des grossistes" (ci-après: les instructions), dont les notes 214 à 226 concernent précisément la comptabilité et la conservation des documents. De même, des "Directives applicables en matière
BGE 105 Ib 181 S. 183
fiscale pour la tenue régulière de la comptabilité et pour le microfilmage" (ci-après: les directives) ont été élaborées par l'AFC et la Conférence des fonctionnaires fiscaux d'Etat; outre des recommandations générales, elles contiennent des prescriptions particulières pour les contribuables assujettis en qualité de grossistes à l'impôt sur le chiffre d'affaires. Il est indubitable que ces documents, qui ont été remis au recourant, ont une base légale - savoir l'art. 34 al. 1, 2e phrase, AChA - et qu'ils lui sont par conséquent opposables.
X. admet que l'exactitude du chiffre des ventes qu'il a déclaré ne peut être vérifiée, car il vend la marchandise "par remise manuelle": lorsqu'il vend un objet, il place dans son tiroir de caisse la recette, sans conserver de double, ni des factures, ni des quittances; pour les réparations, il n'établit pas de fiche de client ou de carte de travail. Chaque fin de semaine, il groupe les montants des recettes et des dépenses, puis les porte dans le grand livre. Or, sans même tenir compte des prescriptions spéciales applicables, une telle manière de procéder est manifestement contraire aux exigences de l'
art. 34 al. 1 AChA
qui tendent à permettre le contrôle de l'exactitude des comptes. Un contribuable ne peut ignorer que, si ses livres doivent servir de base de calcul à un impôt, ils doivent être contrôlables, ce qui implique qu'ils soient complets et détaillés. Dès lors, il est évident que toute écriture figurant dans les livres comptables doit être étayée par une pièce justificative qui doit au surplus être conservée. Admettre le contraire équivaut à rendre impossibles les contrôles que l'
art. 34 AChA
doit permettre d'effectuer.
Au surplus, tant les directives que les instructions faisaient un devoir à X. de procéder de la sorte. En effet, toutes les recettes et les dépenses doivent être inscrites, chronologiquement et avec les détails appropriés (instructions, n. 215), et chaque écriture doit être justifiée par une pièce (directives, n. 115), de sorte que chaque opération commerciale puisse être suivie aisément et sûrement, depuis les documents justificatifs et les écritures dans les livres de base, jusqu'au décompte trimestriel, respectivement jusqu'au bouclement de l'exercice et vice versa (instructions, n. 219; directives, n. 133 et 400). Ainsi donc, les livres du grossiste doivent contenir des renseignements complets sur l'ensemble du chiffre d'affaires réalisé, des indications précises sur la provenance des recettes et l'affectation des dépenses et des informations permettant de
BGE 105 Ib 181 S. 184
déterminer l'utilisation des marchandises achetées et fabriquées (instructions, n. 214); il ne suffit donc pas d'inscrire sous forme de récapitulation des totaux journaliers ou périodiques (directives, n. 400), comme le fait le recourant. Quant à l'obligation de conserver intégralement et en bon ordre les documents, elle ressort tant des instructions que des directives, qui précisent en outre les unes et les autres que cette exigence dure aussi longtemps que l'impôt n'est pas prescrit, soit pendant six ans (instructions, n. 224; directives, n. 13 et 130).
b) L'
art. 34 al. 2 AChA
prévoit il est vrai que lorsque l'inscription dans les livres de faits essentiels pour la détermination de l'assujettissement impose au contribuable une charge excessive, l'AFC peut admettre une évaluation approximative si et aussi longtemps qu'il est établi que la créance du fisc n'en est pas diminuée.
Le recourant ne saurait toutefois se prévaloir de cette disposition pour justifier le fait qu'il n'a pas fait figurer dans ses comptes les ventes qu'il effectue. L'usage d'une caisse enregistreuse proposé par l'AFC ne constitue pas une charge excessive au sens de l'
art. 34 al. 2 AChA
; d'ailleurs, X. a pris le 12 mai 1978 l'engagement écrit d'avoir recours à l'avenir à un tel appareil.
4.
a) Appelé à définir le faux intellectuel, le Tribunal fédéral a constaté qu'un livre de caisse contenant des écritures fausses constituait un titre dès lors qu'il était destiné et propre à servir de preuve, même sans pièces justificatives (
ATF 79 IV 164
/165). On ne saurait toutefois en déduire qu'une comptabilité dépourvue de pièces justificatives est un titre probant qui lie le fisc et dont il doit se contenter. Préalablement, l'arrêt en cause précisait en effet qu'en définissant le titre comme un écrit propre à servir de preuve, l'
art. 110 ch. 5 CP
ne vise pas la force probante de l'écrit, mais son aptitude à constituer d'une manière générale un moyen de preuve de faits allégués (
ATF 79 IV 164
).
Or, en matière d'impôt sur le chiffre d'affaires, s'il existe des indices qu'une comptabilité ne donne pas une image exacte ou complète de la situation réelle de l'entreprise, l'autorité a le droit et l'obligation de fixer le chiffre d'affaires par voie d'appréciation (arrêt du 16 novembre 1977, in Archives 46, p. 518/519). C'est précisément ce qu'a fait l'AFC, en se fondant sur le montant des achats de matières opérés par le recourant,
BGE 105 Ib 181 S. 185
sur des statistiques relatives à divers commerces de la branche de l'optique et sur les listes de prix courants d'un fournisseur de X.
b) Lorsque l'autorité fiscale procède de la sorte, le contribuable peut se prévaloir envers elle du droit d'être entendu. Cela implique qu'il doit en principe avoir accès au dossier et qu'il doit être informé de la manière dont sont établis les chiffres à la base de la taxation (arrêt du 11 décembre 1964, in Archives 33, p. 504).
En l'espèce, ainsi que le recourant s'en plaint, l'AFC n'a pas précisé d'où elle tirait exactement les éléments dont elle s'est prévalue. On peut admettre que, de ce fait, X. s'est trouvé entravé dans sa défense. L'on ne saurait cependant voir dans cette circonstance un déni de justice formel de la part de l'AFC, dans la mesure où celle-ci s'est fondée sur des dossiers d'autres contribuables qui ont le droit d'exiger d'elle qu'elle respecte le secret fiscal (
art. 7 al. 1 AChA
; arrêt précité in Archives 33, p. 504). L'obligation de renseigner de l'AFC trouve sa limite dans celle qu'elle a de sauvegarder l'intérêt légitime des tiers; Or même une communication des renseignements avec suppression des noms de personnes et de lieux comporte le risque que le recourant puisse identifier les commerçants pris comme référence et qu'il obtienne ainsi des secrets d'affaires sur des concurrents.
Dans une telle situation, l'autorité a toutefois l'obligation de renseigner l'intéressé au moins sur l'essentiel du contenu des pièces dont elle refuse la communication (GRISEL, Droit administratif suisse, p. 182). L'AFC a satisfait à cette obligation en renseignant d'emblée le recourant sur la portée des données statistiques qu'elle lui appliquait. Celui-ci avait la faculté de contester les chiffres et de fournir toutes contre-preuves utiles. On peut dès lors admettre que son droit d'être entendu a été respecté.
c) L'AFC a estimé, sur la base des statistiques et des listes de prix courants qu'elle avait réunis, que les achats de matière représentaient le 40% du chiffre d'affaires du recourant. En d'autres termes, elle a tenu pour usuelle une marge bénéficiaire brute de 60%. Or, le contribuable soutient que ce pourcentage est trop élevé pour son commerce. Il relève qu'il fabrique des lunettes sur mesure, ce qui provoque la perte d'un grand nombre de verres; de même, la formation de trois apprentis et la
BGE 105 Ib 181 S. 186
préparation de verres de contact n'ont pas été sans beaucoup de casse. Il fait d'autre part cadeau des étuis à ses clients, doit accorder des rabais aux fonctionnaires internationaux, ce qui, tout comme les changements de mode concernant les montures, diminue d'autant la marge brute.
Il résulte de l'art. 104 lettre c ch. 1 OJ que le Tribunal fédéral a compétence pour contrôler l'opportunité des éléments d'appréciation sur lesquels repose une taxation par estimation; il n'intervient cependant qu'avec une certaine retenue (arrêt du 16 novembre 1977, in Archives 46, p. 519; arrêt du 26 mars 1971, in Archives 40, p. 268/269). La contestation des conclusions de l'AFC formulée par le recourant ne pourrait donc être admise que si elle s'imposait nettement.
Tel n'est manifestement pas le cas. Les statistiques relatives à six commerces de la branche et portant, dans cinq cas, sur quatre années au moins démontrent que le matériel constitue au maximum 40% du chiffre d'affaires; de même l'examen des tarifs "achat" et "vente au public" des prix courants d'un des principaux fournisseurs de X. laissent apparaître des marges bénéficiaires brutes variant de 63% à 83%, sans tenir compte des rabais de quantité éventuellement consentis par le fournisseur. Dans ces conditions, la marge bénéficiaire brute de 60%, telle que retenue, constitue apparemment un minimum qui n'est en tout cas pas défavorable au recourant et qui tient compte largement des éléments particuliers dont celui-ci se prévaut.
Si néanmoins cette appréciation est erronée, le contribuable, qui ne produit aucune preuve, ne peut s'en prendre qu'à lui-même. Celui qui ne conserve pas les pièces justificatives ou qui ne tient pas une comptabilité suffisante doit en effet s'accommoder d'une estimation fondée sur des données d'expérience. Il ne peut prétendre à une appréciation qui lui soit plus favorable que s'il est à même d'établir à l'évidence que, dans tel cas déterminé, la taxation par estimation ne correspond manifestement pas à la réalité. Or, faute d'avoir conservé les pièces justificatives, X. ne prouve nullement que les écritures qu'il a passées correspondent à son chiffre d'affaires effectif. D'ailleurs, le recourant doit supporter les désavantages qui découlent pour lui d'une situation illégale qu'il a lui-même créée, en ne se conformant pas aux prescriptions de l'AFC contenues dans les instructions et directions (Archives 45, p. 328). | 4,000 | 1,963 | 2 | 0 | CH_BGE_003 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_003_BGE-105-Ib-181_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=7&from_date=&to_date=&from_year=1979&to_year=1979&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=69&highlight_docid=atf%3A%2F%2F105-IB-181%3Ade&number_of_ranks=371&azaclir=clir | BGE_105_Ib_181 |
|||
003e2038-70a3-4d75-a0d4-6634a185fdcd | 1 | 81 | 1,335,706 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 276
BGE 91 II 275 S. 276
A.-
Am 5. November 1961 liess die Cortal Verwaltungs AG im Auftrag von Hossle folgende Anzeige im Aargauer Tagblatt erscheinen:
"Ferien oder Wochenende
Nur wenige Autominuten von der Staffeleggstrasse liegen ca. 25 Aren Wiesland in sonniger, erhöhter Lage. Das gegen Südosten geneigte Grundstück enthält einige Zeilen gepflegte Reben (werden auf Wunsch entfernt) und tragfähige Obstbäume und ist gegen Nordosten waldgeschützt. Wasser, Strom und Weg sind in erreichbarer Nähe. Infolge besonderer Umstände beträgt der Kaufpreis für raschentschlossenen Käufer nur Fr. 11'000.--.
Auskunft und Besichtigung Telephon 2 88 33."
Als Interessent meldete sich Architekt Schenker, dessen Frau Ersparnisse anzulegen suchte. Am 17. November 1961 kaufte Frau Schenker von Hossle zum Preise von Fr. 20 000.-- das Grundstück IR (= Interimsregister) Herznach Nr. 1465, das nach dem Register aus 31,27 Aren Reben besteht.
B.-
Am 17. November 1962 leitete Frau Schenker gegen Hossle beim Bezirksgericht Laufenburg Klage ein mit den Begehren:
"1. Der ... Kaufvertrag vom 17. November 1961 über das Grundstück IR Herznach Nr. 1465 sei rückgängig zu machen.
2. Der Beklagte sei zu verurteilen, der Klägerin Fr. 20'091.-- zuzüglich Verzugszins zu 5 % ab 5. März 1962 zu bezahlen, die Friedensrichterkosten zurückzuerstatten und die Kosten der Rückübertragung zu übernehmen.
3. Eventualbegehren: Der Beklagte sei zu verurteilen, der Klägerin für Minderwert am Grundstück IR Herznach Nr. 1465 Fr. 16'873.-- zu bezahlen, zuzüglich Verzugszins zu 5 % ab 5. März 1962."
Die Klägerin berief sich auf Irrtum und Täuschung, weil sie in den Glauben versetzt worden sei, das ihr angebotene Grundstück könne überbaut werden, während ein Bauverbot darauf laste.
Nach Durchführung eines Beweisverfahrens wies das Bezirksgericht die Klage ab, weil Schenker vor dem Kaufabschluss über das Bauverbot genügend unterrichtet worden sei.
Das Obergericht des Kantons Aargau, an das die Klägerin appellierte, hat nach einer Ergänzung des Beweisverfahrens mit Urteil vom 11. Dezember 1964 den Kaufvertrag vom 17. November 1961 wegen Grundlagenirrtums für ungültig
BGE 91 II 275 S. 277
erklärt, das Grundbuchamt angewiesen, anstelle der Klägerin wieder den Beklagten auf seine Kosten als Eigentümer des streitigen Grundstücks einzutragen, und den Beklagten verpflichtet, der Klägerin Fr. 20'000.-- nebst 5% Zins seit 6. November 1962 zu bezahlen. Eine Minderheit des Obergerichtes hätte das erstinstanzliche Urteil bestätigt.
C.-
Gegen das Obergerichtsurteil hat der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
Die Klägerin beantragt die Bestätigung des angefochtenen Urteils. | 1,170 | 486 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht hat festgestellt, die Klägerin habe zur Zeit des Vertragsabschlusses irrtümlich geglaubt, sie kaufe überbaubares Land. Diese Feststellung betrifft tatsächliche Verhältnisse (
BGE 45 II 437
,
BGE 81 II 52
,
BGE 87 II 137
). Dass sie unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sei, behauptet der Beklagte mit Recht nicht. Es kann aber auch keine Rede davon sein, dass sie offensichtlich auf Versehen beruhe, d.h. darauf zurückzuführen sei, dass die Vorinstanz bestimmte Aktenstellen übersehen oder unrichtig wahrgenommen hätte (
BGE 81 II 86
,
BGE 83 II 341
,
BGE 87 II 232
/233). Was der Beklagte gegen die erwähnte Feststellung vorbringt, richtet sich ausschliesslich gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanz und ist daher nicht zu hören (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Dies gilt insbesondere auch für die Ausführungen, mit denen der Beklagte die Annahme der Vorinstanz beanstandet, einzelne Zeugen hätten ohne böse Absicht unrichtig ausgesagt. Dass die Vorinstanz die Zeugenaussagen willkürlich gewürdigt habe, wie der Beklagte behauptet, kann mit der Berufung an das Bundesgericht nicht geltend gemacht werden. Die Feststellung, dass die Klägerin das gekaufte Land irrtümlich für überbaubar gehalten habe, ist daher für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 63 Abs. 2 OG
).
Diese Feststellung beruht entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf der Annahme, die im Aargauer Tagblatt erschienene Anzeige enthalte die Zusicherung einer Eigenschaft der Kaufsache, nämlich der Ueberbaubarkeit des Kaufgrundstücks. Die Vorinstanz hat die erwähnte Anzeige beim Entscheid darüber, ob sich die Klägerin in diesem Punkt in einem
BGE 91 II 275 S. 278
Irrtum befunfen habe, lediglich als ein Indiz gewürdigt. Ansprüche aus
Art. 197 OR
sind nicht streitig. Daher kann dahingestellt bleiben, ob die Anzeige eine Zusicherung im Sinne dieser Bestimmung enthalte.
Für die Beurteilung der Frage, ob sich die Klägerin geirrt habe, ist auch unerheblich, ob der Beklagte das Kaufgrundstück selber als überbaubar betrachtet habe, was er bestreitet.
2.
Der festgestellte Irrtum ist nach
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
wesentlich, wenn er einen Sachverhalt betraf, der für die Klägerin eine notwendige Grundlage des Vertrages bildete und nach den Regeln von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als solche betrachtet werden durfte (
BGE 87 II 138
mit Hinweisen).
a) Dass die Überbaubarkeit des Kaufgrundstücks für die Klägerin eine unerlässliche Grundlage des Vertrags bedeutete, hat die Vorinstanz nicht ausdrücklich festgestellt. Dem angefochtenen Urteil liegt aber unzweifelhaft die Auffassung zugrunde, dass dies der Fall war. Das folgt namentlich aus der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung, es sei nicht anzunehmen, dass die Klägerin für rein landwirtschaftliches Land einen (gemäss Aussage des Zeugen Hodler) "mindestens achtmal übersetzten" Preis bezahlt hätte. (Selbst wenn das Grundstück entsprechend den Angaben des Beklagten vor Obergericht etwa 60 Aren umfassen sollte, läge der bezahlte Preis über den in der betreffenden Gegend für landwirtschaftliche Grundstücke üblichen Preisen). Auf die vom Beklagten angerufenen Zeugenaussagen, wonach der Ehemann der Klägerin erklärt hätte, er wolle nicht bauen, sondern wünsche nur ein schönes Stück Land zu besitzen, hat die Vorinstanz nicht abgestellt. Sie betrachtet nur als erwiesen, dass die Klägerin einstweilen nicht zu bauen gedachte. Im übrigen wäre selbst dann, wenn die Eheleute Schenker auch für später nicht beabsichtigt haben sollten, das Land selber zu überbauen, nicht anzunehmen, es sei ihnen gleichgültig gewesen, ob eine Überbauung möglich sei; denn von der Überbaubarkeit hing ab, ob und zu welchem Preis das Land später weiterveräussert werden könne.
b) Angesichts des vereinbarten Preises durfte die Klägerin die Überbaubarkeit des Grundstücks nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als notwendige Grundlage des Vertrages betrachten, sofern ihr nicht besondere Umstände diese Annahme verboten.
BGE 91 II 275 S. 279
Es fragt sich, ob ein solcher Umstand darin liege, dass der Kaufvertrag in Ziffer 2 der Besondern Bestimmungen vorsieht:
"Das Kaufsobjekt wird der Käuferin in dem Zustande übergeben, in dem es sich zur Zeit befindet. Für irgend welche Mängel wird seitens des Verkäufers keinerlei Währschaft geleistet."
InBGE 53 II 153hat das Bundesgericht ausgeführt, ein Grundlagenirrtum könne dann nicht angenommen werden, "wenn die irrtümliche Vorstellung auf Eigenschaften der Kaufsache Bezug hat, welche Gegenstand einer Garantie hätten bilden können, die seitens des Verkäufers förmlich wegbedungen oder abgelehnt wurde, und der Käufer trotzdem den Vertrag abgeschlossen hat; die Berufung auf den Irrtum ist in solchen Fällen, weil Treu und Glauben widersprechend, nach
Art. 25 Abs. 1 OR
unstatthaft." InBGE 79 II 161erklärte es, eine Irrtumsanfechtung wäre ausgeschlossen, wenn und soweit durch die vom damaligen Beklagten (Verkäufer) angerufene Vertragsbestimmung "die Gewährleistung bezw. Garantie als abgelehnt zu gelten hätte."
Diese Rechtsprechung ist im Ergebnis zu bestätigen. Wird mit Bezug auf bestimmte Eigenschaften der Kaufsache die Gewährleistung eindeutig und in nach
Art. 199 OR
zulässiger Weise wegbedungen oder die Abgabe einer Zusicherung abgelehnt, so nimmt der Käufer, der den Vertrag gleichwohl abschliesst, die Gefahr in Kauf, dass die betreffenden Eigenschaften fehlen. Er darf deshalb ihr Vorhandensein nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr nicht als notwendige Grundlage des Kaufvertrags betrachten, so dass ein Irrtum über diesen Punkt nach
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
nicht als wesentlich gelten kann. - Vertragsbestimmungen, welche die Gewährspflicht weder allgemein noch hinsichtlich bestimmter Eigenschaften der Kaufsache aufheben, sondern sie nur zeitlich oder inhaltlich (mit Bezug auf die Ansprüche des Käufers) beschränken, verbieten dem Käufer dagegen nicht, das Vorliegen gewisser Eigenschaften als Vertragsgrundlage anzusehen und sich, wenn er mit der Annahme ihres Bestehens irrte, innert der Jahresfrist von
Art. 31 OR
wegen Grundlagenirrtums vom Vertrage loszusagen. Solche Vertragsbestimmungen fallen gegebenenfalls mit dem ganzen Vertrag dahin (
BGE 83 II 21
f. Erw. 2).
Im vorliegenden Falle wurde vereinbart, der Verkäufer
BGE 91 II 275 S. 280
leiste "für irgend welche Mängel... keinerlei Währschaft". Diese Bestimmung ist im Hinblick auf den unmittelbar vorausgehenden Satz, wonach der Kaufgegenstand der Käuferin "in dem Zustand" übergeben wird, "in dem er sich zur Zeit befindet", nur auf körperliche Mängel des Kaufgrundstückes zu beziehen. Auf jeden Fall hat der Beklagte, indem er diese Bestimmung in den Vertrag aufnehmen liess, der Klägerin nicht eindeutig zu erkennen gegeben, dass er für die Überbaubarkeit des Grundstücks nicht einstehen wolle. Daher durfte die Klägerin die Überbaubarkeit trotz der erwähnten Vertragsbestimmung als notwendige Grundlage des Kaufvertrages betrachten.
3.
Für den Fall, dass ein Grundlagenirrtum angenommen wird, macht der Beklagte geltend, die Berufung darauf widerspreche Treu und Glauben (
Art. 25 Abs. 1 OR
), weil die Klägerin und ihr Ehemann den Irrtum der eigenen groben Fahrlässigkeit zuzuschreiben und einfach falsch spekuliert hätten.
Richtig ist, dass die Eheleute Schenker die Frage, ob das Kaufgrundstück überbaubar sei, nicht sorgfältig abgeklärt haben. Die Tatsache, dass der Irrende den Irrtum der eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben hat, genügt jedoch nicht, um den Schluss zu rechtfertigen, die Berufung auf den Irrtum verstosse im Sinne von
Art. 25 OR
gegen Treu und Glauben; denn sonst verlöre
Art. 26 OR
, der den fahrlässig Irrenden grundsätzlich zum Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens verpflichtet, seine Bedeutung. Im übrigen schickt es sich für den Beklagten wenig, der Klägerin vorzuwerfen, sie habe fahrlässig geirrt. Die erste Ursache ihres Irrtums war nämlich das von ihm veranlasste Zeitungsinserat, das den Eindruck erweckte, er habe überbaubares Land zu verkaufen.
Ob die Klägerin das Land zu Spekulationszwecken kaufte und sich dabei falsche Vorstellungen über seinen künftigen Wert machte, ist unerheblich. Sie macht nicht einen Irrtum dieser Art geltend (der nicht wesentlich wäre, da die künftige Preisentwicklung keinen "bestimmten Sachverhalt" im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
darstellt), sondern einen Irrtum über die Überbaubarkeit des Grundstücks. - Dass sie die Berufung auf diesen Irrtum in spekulativer Absicht verzögert habe, was die Anwendung von
Art. 25 OR
rechtfertigen könnte
BGE 91 II 275 S. 281
(OSER/SCHÖNENBERGER N. 7 und BECKER, 2. Aufl., N. 5 zu
Art. 25 OR
), wirft ihr der Beklagte mit Recht nicht vor. Sie hat ihren Irrtum erst nach der am 28. August 1962 erfolgten Anmeldung eines Baugesuches entdeckt und dem Beklagten schon mit Schreiben vom 25. September 1962 eröffnet, dass sie den Vertrag nicht halten wolle.
Auch sonst liegt nichts vor, was die Berufung auf den Irrtum als Verstoss gegen Treu und Glauben erscheinen liesse. Insbesondere werden durch die Aufhebung des Kaufvertrages nicht überwiegende Interessen des Beklagten verletzt (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER N. 5 und BECKER, 2. Aufl., N. 3 zu
Art. 25 OR
). Dem Beklagten entsteht dadurch kein besonderer Nachteil, sondern es wird einfach der frühere Zustand wiederhergestellt.
Die - rechtzeitig erfolgte - Berufung auf den Irrtum über die Überbaubarkeit des Kaufgrundstücks ist daher statthaft.
4.
Hinsichtlich der Folgen der Unverbindlichkeit des Kaufvertrages hat der Beklagte das Urteil der Vorinstanz mit Recht nicht angefochten. | 4,242 | 1,723 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau, 2. Zivilabteilung, vom 11. Dezember 1964 bestätigt. | 70 | 32 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-91-II-275_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=9&from_date=&to_date=&from_year=1965&to_year=1965&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=88&highlight_docid=atf%3A%2F%2F91-II-275%3Ade&number_of_ranks=219&azaclir=clir | BGE_91_II_275 |
||
003f3cdf-c136-4410-b516-59dcf5ad8c17 | 2 | 78 | 1,338,518 | 1,514,764,800,000 | 2,018 | fr | Sachverhalt
ab Seite 209
BGE 144 I 208 S. 209
A.
Par arrêt du 23 août 2016 (ATA/693/2016), la Chambre administrative de la Cour de justice de la République et canton de Genève (ci-après: la Cour de justice) a rejeté en tant que recevable le recours formé par A., C. et l'Association B. (ci-après: B.) contre un courrier du 15 juin 2016 du Département de l'instruction publique, de la culture et du sport de la République et canton de Genève indiquant que l'instauration de trois heures hebdomadaires d'éducation physique durant la scolarité obligatoire ne pourrait avoir lieu à la rentrée scolaire 2016. Un émolument de justice, fixé à 1'000 fr., a été mis à la charge des recourants, conjointement et solidairement.
B.
Contre l'arrêt de la Cour de justice du 23 août 2016, A., C. et B., assistés d'un mandataire professionnel, ont formé un recours en matière de droit public auprès du Tribunal fédéral en concluant, en substance, à ce que la troisième heure d'éducation physique soit prévue dans le programme scolaire 2016/2017. Ils n'ont pas critiqué l'émolument de justice.
BGE 144 I 208 S. 210
Parallèlement à leur recours au Tribunal fédéral, les intéressés ont adressé à la Cour de justice une réclamation contre l'émolument de 1'000 fr. mis à leur charge, en sollicitant que celui-ci soit ramené à 200 francs.
Le 5 octobre 2016, la Cour de justice a prononcé la suspension de la procédure de réclamation jusqu'à droit jugé par le Tribunal fédéral sur ce recours.
Par arrêt du 24 mai 2017, le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure de sa recevabilité (arrêt 2C_901/2016).
Le 27 juin 2017, la Cour de justice a prononcé la reprise de la procédure de réclamation contre l'émolument et informé les parties que la cause était gardée à juger. Par arrêt du 2 août 2017, elle a déclaré recevable la réclamation sur émolument élevée le 20 septembre 2016 par les intéressés contre l'arrêt du 23 août 2016, l'a rejetée et dit qu'il n'était pas perçu d'émolument, ni alloué d'indemnité.
C.
Contre l'arrêt du 2 août 2017, A., C. et B. forment un recours en matière de droit public auprès du Tribunal fédéral. Ils concluent à l'annulation de l'arrêt entrepris et au renvoi de la cause à la Cour de justice pour instruction complémentaire. Ils invoquent la violation de leur droit d'être entendu et de l'interdiction de l'arbitraire.
Invitée à se déterminer, la Cour de justice s'en rapporte à justice quant à la recevabilité du recours et persiste dans les considérants, ainsi que dans le dispositif de son arrêt. Les recourants maintiennent leurs conclusions. | 607 | 527 | Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
La décision entreprise du 2 août 2017, qui confirme l'émolument mis à la charge des recourants dans l'arrêt de la Cour de justice du 23 août 2016, fait suite à la réclamation formée par les recourants en vertu de l'art. 87 al. 4 de la loi genevoise du 12 septembre 1985 sur la procédure administrative (LPA/GE; rs/GE E 5 10). Selon cette disposition, les frais de procédure, émoluments et indemnités arrêtés par la juridiction administrative peuvent faire l'objet d'une réclamation dans le délai de 30 jours dès la notification de la décision. Comme il s'agit d'une procédure de réclamation, l'instance compétente pour statuer sur celle-ci est la même que celle qui s'est prononcée sur l'affaire au principal. Partant, lorsque la Cour de justice a statué sur le fond, elle est compétente pour se prononcer sur
BGE 144 I 208 S. 211
l'éventuelle réclamation sur les frais et/ou dépens, alors qu'en parallèle un recours au Tribunal fédéral peut être interjeté. En l'espèce, dès lors que l'arrêt du 23 août 2016 a fait l'objet d'un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral, qui l'a rejeté par arrêt du 24 mai 2017, se pose la question de savoir si, eu égard aux exigences découlant de la procédure fédérale, dont le Tribunal fédéral contrôle d'office le respect (cf.
art. 106 al. 1 LTF
), la Cour de justice pouvait rendre la décision attaquée.
3.1
Le recours en matière de droit public au Tribunal fédéral est un moyen de droit ordinaire, dévolutif et en principe de nature réformatoire (cf.
art. 107 al. 2 LTF
; cf.
ATF 141 II 14
consid. 1.3 et 1.5 p. 23 s.;
ATF 138 II 169
consid. 3.3 p. 171; arrêt 1F_21/2017 du 17 novembre 2017 consid. 1.4). Par conséquent, l'arrêt du Tribunal fédéral, qu'il admette ou rejette le recours, remplace la décision attaquée (cf. arrêts 2C_462/2014 du 24 novembre 2014 consid. 2.2; 2F_14/2013 du 1
er
août 2013 consid. 3.2; 2C_810/2009 du 26 mai 2010 consid. 3.1.2; cf. YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, 2008, n° 1690 ad
art. 61 LTF
). Comme la décision sur les frais et dépens a un caractère accessoire et suit, de ce fait, le principal (cf. consid. 1.1 non publié), l'arrêt du Tribunal fédéral remplace également cette partie de la décision attaquée devant lui, même lorsque celle-ci n'était pas contestée spécifiquement sous cet angle. Cela ressort de la lecture a contrario de l'
art. 67 LTF
, qui prévoit que le Tribunal fédéral peut répartir autrement les frais de la procédure antérieure lorsqu'il modifie la décision attaquée sur le principal. Quant aux dépens, le Tribunal fédéral confirme, annule ou modifie, selon le sort de la cause, la décision de l'autorité précédente sur ce point (cf.
art. 68 al. 5 LTF
).
Par ailleurs, les arrêts du Tribunal fédéral acquièrent force de chose jugée le jour où ils sont prononcés (
art. 61 LTF
). L'autorité de la chose jugée qui en découle interdit de recommencer la procédure sur le même objet (cf. PIERRE FERRARI, in Commentaire de la LTF, 2
e
éd. 2014, n° 3 ad
art. 121 LTF
). L'arrêt ayant fait l'objet d'un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral est ainsi absorbé par l'arrêt du Tribunal fédéral, de sorte qu'il n'y a plus de place pour une nouvelle décision de l'autorité précédente sur le même objet.
3.2
La procédure de réclamation prévue à l'
art. 87 al. 4 LPA
/GE peut entrer en contradiction avec les règles qui précèdent. La Cour de céans a du reste évoqué récemment la question de la conformité au droit fédéral de cette procédure cantonale (arrêt 2D_35/2016 du 21 avril
BGE 144 I 208 S. 212
2017 consid. 1.1), en soulignant notamment qu'il serait contraire au principe de l'unité de la procédure que le Tribunal fédéral soit amené à se prononcer deux fois sur le même objet (consid. 1.1). La question avait toutefois pu demeurer indécise, car la décision principale n'avait, contrairement au présent cas, pas fait l'objet d'un recours au Tribunal fédéral (cf. consid. 1.1).
En l'occurrence, en rejetant le recours en matière de droit public formé par les recourants contre l'arrêt du 23 août 2016, le Tribunal fédéral, qui a un pouvoir de réforme, a, implicitement, confirmé celui-ci, y compris en tant qu'il mettait à la charge des recourants un émolument de 1'000 fr., même si ce point n'était pas spécifiquement critiqué (cf.
art. 67 LTF
a contrario). L'arrêt du Tribunal fédéral s'est ainsi substitué à celui de la Cour de justice du 23 août 2016. L'arrêt du Tribunal fédéral rendu, la Cour de justice ne pouvait donc plus statuer, ainsi qu'elle l'a fait, sur la réclamation formée par les recourants, celle-ci étant devenue sans objet. Force est en conséquence d'annuler l'arrêt entrepris.
3.3
Le Tribunal fédéral ayant statué, seule la voie de la révision (cf.
art. 121 ss LTF
) serait ouverte pour remettre en cause l'émolument de justice dont se plaignent les recourants.
Le présent recours ne peut toutefois pas être interprété comme une demande de révision de l'arrêt du Tribunal fédéral du 24 mai 2017, dès lors qu'il n'en remplit pas les conditions.
Il n'y a en conséquence pas lieu d'examiner le bien-fondé de l'émolument de 1'000 fr. mis à la charge des recourants.
4.
Cette conséquence peut paraître sévère pour les recourants. Elle aurait cependant pu être évitée si le Tribunal fédéral avait été informé de la procédure de réclamation. Il aurait ainsi pu suspendre la procédure fédérale (cf.
art. 6 al. 1 PCF
[RS 273], applicable par le renvoi de l'
art. 71 LTF
) et, de la sorte, éviter de statuer matériellement sur le recours pendant la procédure de réclamation cantonale.
4.1
La suspension de la procédure fédérale dans l'attente de l'issue de la procédure cantonale est une solution pratiquée pour aménager les voies de droit fédérales et certaines voies de droit cantonales qui peuvent se mener en parallèle. Elle garantit que le Tribunal fédéral ne s'occupe pas d'une affaire tant que, comme en l'espèce s'agissant de l'émolument mis à la charge des recourants, la décision attaquée est susceptible d'être annulée par une autorité cantonale (cf.
BGE 144 I 208 S. 213
ATF 129 III 727
consid. 1 p. 729) et permet de sauvegarder les voies de droit à disposition des parties (cf.
ATF 83 II 419
p. 421 s.). La suspension de la procédure fédérale est notamment la règle lorsqu'une demande de révision d'un arrêt cantonal est déposée devant l'autorité cantonale, alors qu'un recours contre cet arrêt est pendant au Tribunal fédéral (cf.
art. 125 LTF
;
ATF 138 II 386
consid. 7 p. 392), sous réserve des demandes de révision manifestement infondées (cf. ordonnances 2C_382/2017 du 7 février 2018; 2C_659/2016 du 25 juillet 2016; 2C_1103/2015 du 20 avril 2016). Sous l'empire de l'ancienne loi fédérale d'organisation judiciaire du 16 décembre 1943 (OJ; RS 3 521), elle était prononcée lorsque la décision attaquée devant le Tribunal fédéral faisait en même temps l'objet d'un recours en nullité, d'une demande d'interprétation ou de révision devant l'autorité cantonale (cf.
art. 57 al. 1 OJ
pour le recours en réforme; cf.
ATF 83 II 419
p. 421 s.; arrêt 4P.108/2006 du 3 août 2006 consid. 1.1; cf.
art. 6 al. 1 PCF
en lien avec l'
art. 40 OJ
pour les autres recours).
4.2
En ce qui concerne la procédure de réclamation en matière de frais et dépens prévue par l'
art. 87 al. 4 LPA
/GE, la suspension de la procédure fédérale dans l'attente de l'issue de la procédure de réclamation devant la Cour de justice se justifie d'autant plus que le contrôle du Tribunal fédéral s'agissant des frais et dépens régis par le droit cantonal est limité à l'arbitraire (cf. consid. 2 non publié), alors que celui de l'autorité cantonale est libre.
4.3
En résumé, pour éviter qu'une situation telle que celle du cas d'espèce se reproduise, il convient de préciser que, dans la configuration spécifique où une partie forme un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral contre un arrêt de la Cour de justice en critiquant le fond et qu'une procédure de réclamation au sens de l'
art. 87 al. 4 LPA
/GE est introduite en parallèle devant la Cour de justice, il appartient aux parties devant le Tribunal fédéral d'informer celui-ci de cette réclamation et de requérir la suspension de la procédure fédérale jusqu'au prononcé de la décision sur réclamation (cf., par analogie,
ATF 138 II 386
consid. 7 p. 392; cf. ordonnance 2C_1103/2015 du 20 avril 2016 consid. 2.1). Cela suppose que, contrairement à ce qui s'est produit dans le présent cas, la Cour de justice n'ordonne pas la suspension de la procédure de réclamation lorsqu'un recours au Tribunal fédéral est pendant sur le principal, mais statue sans tarder. Au cas où un recours au Tribunal fédéral serait formé contre l'arrêt de la Cour de justice rendu sur réclamation, la jonction des
BGE 144 I 208 S. 214
causes pourra être envisagée (cf. arrêt 2C_908/2008 du 23 août 2010). Ce procédé sera en principe applicable, car il permettra de coordonner la procédure de réclamation de l'
art. 87 al. 4 LPA
/GE avec les exigences de la procédure devant le Tribunal fédéral.
5.
Ce mode de coordination ne vaut cependant que dans les cas où il n'existe aucune autre disposition de droit fédéral susceptible d'entrer en conflit avec la procédure de réclamation de l'
art. 87 al. 4 LPA
/GE. Tel est par exemple le cas en matière d'assurances sociales. Dans ce domaine, la procédure de première instance est gouvernée par le principe de célérité (cf. art. 61 let. a de la loi fédérale du 6 octobre 2000 sur la partie générale du droit des assurances sociales [LPGA; RS 830.1]). Comme le Tribunal fédéral l'a relevé à de réitérées reprises, ce principe s'oppose à ce que le droit cantonal de procédure prévoie plusieurs instances de recours, notamment en ce qui concerne les litiges relatifs aux dépens de la procédure cantonale (cf.
ATF 110 V 54
consid. 4b p. 61 s.; cf. arrêts 9C_295/2015 du 10 novembre 2015 consid. 1 et 9C_590/2009 du 26 mars 2010 consid. 1.2 à propos de la procédure de réclamation prévue par le droit de procédure cantonal fribourgeois; cf. arrêt 9C_827/2011 du 13 juin 2012 consid. 1.2 à propos de la procédure de réclamation de l'
art. 87 al. 4 LPA
/GE; voir également les arrêts 9C_722/2013 du 15 janvier 2014 consid. 5 et I 1059/06 du 20 décembre 2007 consid. 2.2). Cette jurisprudence garde toute sa portée. | 2,526 | 2,208 | 2 | 0 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-144-I-208_2018 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=14&from_date=&to_date=&from_year=2018&to_year=2018&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=140&highlight_docid=atf%3A%2F%2F144-I-208%3Ade&number_of_ranks=236&azaclir=clir | BGE_144_I_208 |
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003f4560-e71a-49d9-8082-404ef5b9bdea | 2 | 81 | 1,335,679 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 435
BGE 108 II 434 S. 435
A.-
Berthe Blein, née le 9 juin 1913, est décédée le 10 octobre 1976 des suites d'un accident de circulation causé par la faute exclusive de Pierre Mercadier, assuré en responsabilité civile auprès de la Continentale S.A. Son mari, François Blein, né le 4 février 1913, est retraité des Transports publics genevois depuis 1975.
Les prétentions de François Blein consécutives à cet accident ont été réglées par transaction, sauf une indemnité réclamée à titre de perte de soutien.
B.-
François Blein a conclu au paiement par Mercadier et la Continentale, solidairement, de 81'600 francs avec intérêts à 5% dès le 10 octobre 1976 à titre d'indemnité pour perte de soutien.
Le Tribunal de première instance du canton de Genève a rejeté la demande par jugement du 16 octobre 1980, confirmé le 5 mars 1982 par la Cour de justice, sous réserve des dépens qu'elle a compensés.
C.-
Le demandeur recourt en réforme au Tribunal fédéral en reprenant ses conclusions de première instance.
Les défendeurs proposent le rejet du recours.
Le Tribunal fédéral admet le recours et condamne les défendeurs, solidairement, à payer au demandeur la somme de 81'600 francs avec intérêt à 5% dès le 10 octobre 1976. | 279 | 245 | Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Sans dénier à l'épouse la qualité de soutien de son mari au sens de l'
art. 45 al. 3 CO
, notamment lorsqu'elle tient le ménage, les juridictions cantonales considèrent qu'en l'espèce, le demandeur n'a pas dû réduire son train de vie depuis le décès de son épouse et qu'il n'a pas besoin d'une indemnité pour vivre dans les mêmes conditions que si son soutien n'était pas décédé.
BGE 108 II 434 S. 436
Le demandeur conteste les bases sur lesquelles la cour cantonale a fondé cette appréciation, à savoir l'estimation de la part du revenu global des époux - 45% - qui était consacrée à l'entretien de dame Blein d'une part, de la valeur économique du travail ménager de la défunte - 600 francs par mois - d'autre part. Selon lui, les dépenses épargnées du fait du décès de l'épouse sont de l'ordre de 3'000 francs par an, alors que la valeur de l'activité ménagère de dame Blein peut être estimée à 1'000 francs par mois. La perte subie s'élève donc à au moins 8'000 francs par an, correspondant à la somme capitalisée de 81'600 francs réclamée en justice.
2.
a) Selon la jurisprudence, l'épouse est le soutien de sa famille ou de son mari, au sens de l'
art. 45 al. 3 CO
, même si elle ne fait que tenir son ménage; elle n'est cependant considérée comme le soutien de son mari que dans la mesure où la contribution qu'elle apporte par son travail à l'entretien du foyer dépasse ce qu'elle reçoit de son mari, de sorte que son décès contraint ce dernier à réduire son train de vie (
ATF 101 II 260
consid. 1a). Le but du droit de la responsabilité est en effet d'assurer le maintien de la situation antérieure et de ne pas obliger les survivants à réduire considérablement leur train de vie (
ATF 102 II 93
).
Dans l'application de ces principes à des cas concrets, le Tribunal fédéral a d'abord admis que dans les milieux bourgeois le mari ne pouvait prétendre à une indemnité pour perte de soutien en cas de décès d'une épouse se consacrant exclusivement au ménage, les prestations réciproques des époux se compensant généralement (
ATF 82 II 39
s.). Mais il a corrigé cette façon de voir par la suite, non seulement pour le cas des milieux urbains modestes, mais aussi pour les milieux urbains bourgeois et les milieux campagnards, en raison de la hausse des salaires (
ATF 102 II 94
).
b) Pour juger si le survivant a droit à une indemnité destinée à lui permettre de conserver son ancien niveau de vie, on doit d'abord évaluer la valeur économique des prestations que le défunt aurait fournies sans le décès au survivant, soit, dans le cas du décès d'une épouse ménagère, la valeur économique que représentait pour le mari l'activité de son épouse au ménage. On se référera pour cela, ainsi que l'a fait la cour cantonale, au coût des services de la personne que l'on devrait engager pour remplacer au mieux la défunte, le fait que la personne soutenue n'a pas engagé de femme de ménage depuis le décès de son épouse n'étant pas
BGE 108 II 434 S. 437
déterminant (ZEN-RUFFINEN, La perte de soutien, Berne 1979, pp. 87 et 93).
De la valeur ainsi fixée, il faut déduire les dépenses épargnées du fait du décès de l'épouse. Il s'agit non pas de la part du budget du ménage qui était employée par la défunte, mais des dépenses qui ont disparu ensuite du décès et qui dégrèvent le budget du survivant. En effet, certaines dépenses sont fixes et, en dépit du décès, continuent de grever le budget du survivant (cf. ZEN-RUFFINEN, op.cit., p. 92); l'expérience enseigne que les frais d'entretien d'une personne seule sont plus élevés que la part de frais afférente à cette personne au sein du ménage. Le montant déterminant pour l'indemnisation de la perte de soutien est celui dont le survivant a besoin pour vivre dans les mêmes conditions que si son soutien n'était pas décédé prématurément (arrêt du Tribunal fédéral non publié du 18 juillet 1956 dans la cause Pouly Transports S.A. c. Lovis, résumé au JdT 1958 I 253 s.).
3.
a) Pour fixer la valeur économique de ce que représentait pour le mari l'activité de l'épouse au ménage, il faut déterminer d'abord à combien d'heures de travail cette activité correspond. A défaut de données précises propres au cas particulier, qui sont souvent très difficiles à fournir et ne peuvent raisonnablement être exigées, on se référera à l'expérience générale de la vie, fondée autant que possible sur les études ou statistiques existant dans ce domaine. Parmi celles-ci, la doctrine suisse récente accorde à juste titre une certaine valeur à une étude d'ANNA REGULA BRÜNGGER publiée en 1977 (Die Bewertung des Arbeitsplatzes in privaten Haushalten), bien que l'enquête à la base de cette étude n'ait porté que sur sept ménages, de types différents (cf. ZEN-RUFFINEN, op.cit., p. 88, et le résumé que BUSSY donne de cette étude in Festschrift Assista, 1979, p. 162 ss). Cette étude relève notamment que la durée hebdomadaire du travail de la ménagère est de 39 heures dans le cas du ménage d'époux âgés sans enfants, alors qu'elle n'est que de 20-21 heures dans le cas du ménage de célibataire, du jeune ménage sans enfants et du ménage de veuve (ou de veuf) (BRÜNGGER, op.cit., p. 63).
En Allemagne, il existe des statistiques et tabelles destinées à apprécier la valeur du travail ménager selon l'ampleur de la famille et le mode de vie (SCHULZ-BORCK/HOFMAN, Schadenersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt, Karlsruhe 1978). Selon ces statistiques, le temps nécessaire aux activités ménagères dans un ménage de deux personnes au mode de vie
BGE 108 II 434 S. 438
modeste ou moyen se situe entre 22 et 34 heures par semaine (voir l'ouvrage précité, p. 13, tabelle 1).
La perte du bénéfice de l'activité ménagère de l'épouse que subit le mari devenu veuf, soit sa perte de soutien, n'équivaut pas simplement à la valeur du travail qu'effectuait la défunte dans le ménage, puisque ce travail comportait une part d'activité destinée à l'épouse elle-même. Mais comme une bonne partie du travail n'est pas proportionnée au nombre de personnes du ménage, le temps de travail ménager nécessaire au survivant est très supérieur à la moitié du temps de travail nécessaire au couple. Selon l'ouvrage allemand précité, le temps de travail ménager, après le décès de l'épouse, dans le cas d'un ménage préexistant de deux personnes, se réduit de quelque 5 à 7 heures par semaine; suivant le mode de vie, il passe de 22,6 à 17,9 heures par semaine, et de 33,9 à 27 heures par semaine (SCHULZ-BORCK/HOFMAN, op.cit., p. 5, n. 2.1.3, et p. 13, tabelle 1).
b) La Cour de justice estime que le montant de 600 francs par mois fixé par le premier juge comme valeur économique de l'activité ménagère de dame Blein n'est pas manifestement insuffisant, vu les circonstances; en effet, relève l'arrêt attaqué, ce montant "représente environ 40 heures de travail d'une femme de ménage, soit 10 heures par semaine, à raison d'un salaire horaire net de 15 francs, ce qui peut être considéré comme constituant une aide suffisante pour sieur Blein, vu les travaux ménagers qu'il peut assurer seul".
c) L'estimation des juridictions cantonales, fondée sur 10 heures par semaine de travail de femme de ménage, se situe nettement en dessous des données ressortant des statistiques existantes et ne correspond pas à la réalité. S'agissant d'un ménage de personnes de 63 ans aux ressources relativement modestes et disposant d'un petit appartement, on peut admettre, en se référant aux statistiques précitées, que le temps de travail ménager qui aurait été nécessaire au demandeur, sans l'accident, est de l'ordre de 25 heures par semaine. Compte tenu d'une part de l'aide au ménage commun que l'on pouvait attendre du demandeur, retraité depuis peu et sachant cuisiner, eu égard d'autre part aux moeurs et conceptions traditionnelles des personnes de la génération du demandeur quant à la primauté de la femme dans l'activité ménagère, la perte de soutien ménager subie par le demandeur est arrêtée à 18 heures par semaine. Ce temps de travail représente 936 heures par an, soit 78 heures par mois.
BGE 108 II 434 S. 439
d) Quant à la valeur de ce travail, il y a lieu de partir du coût des services d'une personne pouvant remplacer le mieux possible la défunte. Mais, contrairement à la pratique suivie jusqu'ici par le Tribunal fédéral, le salaire qui serait dû pour une femme de ménage ou une gouvernante ne peut pas être retenu sans autre. On doit prendre en considération un montant plus élevé correspondant à la qualité du travail de l'épouse ménagère qui se distingue de celui d'une aide extérieure par un apport nettement supérieur d'initiatives, de décisions, de choix, d'attention et de disponibilité, qui valorisent considérablement son travail. Les chiffres retenus par BUSSY (Festschrift Assista, p. 169), qui se réfère à l'étude de REGULA BRÜNGGER, apparaissent dès lors trop bas, même pour la période 1976-1977 qui doit être prise en considération ici. Un salaire horaire de 10 francs à 12 francs correspond à celui d'une femme de ménage ou d'une gouvernante à l'époque; compte tenu de la qualité du travail de l'épouse ménagère, il y a lieu de retenir un montant horaire de 15 francs pour fixer la valeur de son activité.
La perte de soutien subie par le demandeur, avant déduction des dépenses évitées par le décès de l'épouse, s'élève ainsi à 1'170 francs par mois (78 heures à 15 francs).
4.
Le calcul exact des frais épargnés au demandeur du fait du décès de sa femme postulerait la connaissance de données concrètes et précises relatives aux divers postes de dépenses du ménage d'abord, puis du veuf. A défaut de telles données, qui ne peuvent toujours être exigées, on doit aussi se fonder sur l'expérience générale de la vie et sur les renseignements d'ordre général dont on dispose. Il ressort des estimations figurant dans l'ouvrage de ZEN-RUFFINEN (op.cit., p. 79) que pour un ménage disposant d'un revenu de 32'000 francs, entièrement dépensé, les dépenses passent après le décès d'un des époux de 100% au total à 58,63%, plus les impôts et taxes. Au regard des divers postes inventoriés par l'auteur, cette estimation apparaît conforme à la réalité. Comme les impôts et taxes ne semblent pas devoir être inférieurs à 7%, cette estimation équivaut à une diminution de dépenses de l'ordre de 35% du revenu antérieur au décès.
Il y a lieu de s'en tenir en l'espèce à ce taux de 35%, faute d'éléments concrets qui permettraient de retenir que certaines dépenses fixes sont proportionnellement plus importantes ici que dans l'exemple théorique auquel on se réfère. Ainsi, pour pouvoir vivre dans les mêmes conditions que si son épouse n'était pas
BGE 108 II 434 S. 440
décédée prématurément, le demandeur doit pouvoir disposer, après le décès, d'un revenu équivalent à 65% du revenu commun.
Les frais épargnés au demandeur par le décès qui doivent être déduits de la perte de soutien correspondent donc à la différence entre ces 65% du revenu du couple et le nouveau revenu du demandeur seul.
5.
a) Selon la jurisprudence, la perte de soutien doit être calculée de façon abstraite au jour du décès (
ATF 101 II 351
s.,
ATF 99 II 211
,
ATF 97 II 131
et les arrêts cités). Sans doute ne peut-on raisonnablement ignorer, dans l'appréciation de la perte de soutien, les faits postérieurs à la mort du soutien, mais le juge doit faire preuve de retenue dans la prise en considération de ces faits (mêmes arrêts).
En l'espèce, les revenus du demandeur et de son épouse consistaient en une pension de retraite et en une rente AVS. Il était donc relativement aisé d'en supputer l'évolution future au moment du décès. Selon les constatations de l'arrêt attaqué, le revenu du demandeur a passé à 1'950 francs par mois après le décès de dame Blein, en octobre 1976, alors que le couple touchait 2'700 francs, compte tenu de la rente extraordinaire AVS de l'épouse; à partir du moment, prévisible, où le couple aurait eu droit à une rente de couple AVS, soit en 1978, son revenu global aurait passé à 2'500 francs, alors que dès lors le demandeur seul n'a plus touché qu'un peu moins de 2'000 francs. Comme ces derniers chiffres se rapportent à une situation peu éloignée du décès et valable pour tout l'avenir prévisible, c'est sur eux qu'il convient de se fonder pour arrêter le montant des frais épargnés au demandeur à la suite du décès de sa femme, qui devra être imputé sur la perte de soutien brute.
Le montant nécessaire au demandeur pour vivre dans les mêmes conditions qu'avant le décès de sa femme est ainsi arrêté à 1'625 francs (65% des 2'500 francs de revenu du couple), ce qui représente une différence de 375 francs par rapport au revenu de 2'000 francs touché par le demandeur depuis le décès de sa femme. Après imputation de cette somme sur le montant de 1'170 francs fixé comme perte de soutien brute (consid. 3d in fine ci-dessus), la perte de soutien nette subie par le demandeur s'élève à 795 francs par mois, soit 9'540 francs par an.
On arrive à un résultat identique si, à partir des mêmes montants, on considère le revenu nécessaire au demandeur pour conserver son train de vie antérieur (1'625 francs par mois, soit
BGE 108 II 434 S. 441
65% de 2'500 francs), qu'on y ajoute les 1'170 francs représentant la perte de soutien due au décès de l'épouse (ce qui donne 2'795 francs de besoins totaux du demandeur) et qu'on en déduit son revenu postérieur au décès (2'000 francs).
b) La perte annuelle ainsi arrêtée justifie l'octroi d'une rente immédiate, capitalisée au taux de 3 1/2% selon les tables de Stauffer/Schaetzle, pour une personne soutenue de sexe masculin âgée de 64 ans et un soutien féminin de 63 ans, l'âge déterminant étant celui qui correspond au plus proche anniversaire de la naissance (
ATF 96 II 367
).
Dans l'arrêt
ATF 102 II 90
ss, le Tribunal fédéral a capitalisé la rente due en cas de perte de soutien à la suite du décès d'une épouse ménagère sur la base des tables d'activité de Stauffer/Schaetzle (consid. 3a in fine, p. 95: référence à la table 27). Cette solution ne peut être confirmée, car elle ne tient pas compte du fait que l'activité ménagère de la plupart des femmes s'exerce jusqu'à un âge avancé. Contrairement à ce que soutient SZÖLLÖSY (L'évaluation du dommage résultant de l'invalidité dans divers pays européens, Traduction Robert-Tissot, Zurich 1974, p. 263), les facteurs limitatifs de l'activité sur lesquels reposent les tables d'activité et dont résulte la différence entre les coefficients de mortalité et d'activité pèsent, dans ce cas, d'un poids trop lourd au regard de la réalité. On ne saurait en revanche, compte tenu des limites naturelles de toute activité humaine, aller jusqu'à appliquer les tables de mortalité, comme le préconise BUSSY (Festschrift Assista, p. 171). La nature de l'activité ménagère et l'expérience de la vie justifient que l'on se fonde sur une moyenne ou sur une moyenne pondérée entre les coefficients de mortalité et d'activité applicables au cas particulier (par exemple dans la proportion de 2 pour le coefficient de mortalité à 1 pour le coefficient d'activité).
En l'espèce, le coefficient est de 7,94 selon la table 27 (activité) et de 9,96 selon la table 35 (mortalité). La moyenne représente un coefficient de 8,95, tandis que la moyenne pondérée donne un coefficient de 9,29 (7,94 + 2 x 9,96 / 3), déterminant pour la capitalisation de la rente annuelle de 9'540 francs allouée au demandeur. Dans le premier cas, celui-ci a droit à un montant capitalisé de 85'383 francs (9540 x 8,95), et dans le second cas de 88'626 francs (9540 x 9,29).
c) Il ne se justifie pas d'opérer une réduction des prestations dues au demandeur en raison de ses chances théoriques de remariage. En effet, même à l'égard de personnes plus jeunes, la
BGE 108 II 434 S. 442
jurisprudence fait preuve de retenue dans l'application des taux théoriques de réduction ressortant de la table 60 de Stauffer/Schaetzle. Elle part certes desdites tables, mais les corrige en fonction des particularités du cas concret (
ATF 102 II 96
,
ATF 101 II 264
). Les éléments de fait survenus entre le décès du soutien et le jugement peuvent être pris en considération dans un certaine mesure pour apprécier la situation concrète (cf.
ATF 91 II 224
s. consid. 4; OFTINGER, Haftpflichtrecht I, p. 243 ss; ZEN-RUFFINEN, op.cit., p. 110 ss). Compte tenu en l'espèce de l'âge du demandeur, du taux théorique de réduction de 12% pour chances de remariage à l'âge de 64 ans, et du fait qu'aucun élément postérieur au décès de l'épouse n'a été reconnu comme indice d'une intention ou d'une possibilité de remariage, il y a lieu de faire abstraction de cet élément et de ne pas opérer de réduction.
d) Le demandeur conclut au paiement de 81'600 francs avec intérêt à 5% dès le 10 octobre 1976, à titre d'indemnité pour perte de soutien. Cette somme doit lui être allouée, en capital et intérêt, puisqu'elle est inférieure au montant auquel il pourrait prétendre aussi bien avec l'application d'un coefficient fondé sur une moyenne entre les tables de mortalité et d'activité qu'avec l'application d'un coefficient fondé sur une moyenne pondérée. La question de la moyenne applicable peut donc rester indécise. | 4,103 | 3,561 | 2 | 0 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-108-II-434_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=12&from_date=&to_date=&from_year=1982&to_year=1982&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=118&highlight_docid=atf%3A%2F%2F108-II-434%3Ade&number_of_ranks=398&azaclir=clir | BGE_108_II_434 |
|||
003fba6d-3e24-4e0d-8a23-441039b7a8f4 | 1 | 82 | 1,357,705 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 72
BGE 114 III 71 S. 72
Die Seerestaurant Mythenquai AG ist der Betrieblichen Altersvorsorgeeinrichtung Wirte (BAV Wirte) angeschlossen. In der Anschlussvereinbarung vom 13. November 1985 hatte sie sich unterschriftlich verpflichtet, dieser die reglementarisch geforderten Beiträge zu leisten. Mit Gesuchen vom 8. und 9. Februar 1988 ersuchte die BAV Wirte beim Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Zürich für ihre Beitragsforderungen aus dem 4. Quartal 1986 und aus dem 1. Quartal 1987 im Betrag von Fr. 13'971.90 bzw. Fr. 15'197.20 um Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung. Als Rechtsöffnungstitel legte sie die Anschlussvereinbarung und die von der Schuldnerin unterzeichneten Lohnlisten vor. Mit Verfügungen vom 2. März 1988 wies der Einzelrichter die Rechtsöffnungsgesuche ab. Eine dagegen eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Obergericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. Mai 1988 abgewiesen. Gegen diesen Entscheid hat die BAV Wirte beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
erhoben.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. | 460 | 183 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Einzelrichter hatte die Abweisung der beiden Rechtsöffnungsbegehren damit begründet, dass sich die Berechnungsgrundlagen der Beitragsforderungen, auf welche in der Anschlussvereinbarung verwiesen werde, seit deren Unterzeichnung durch Änderung von Art. 5 der Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 18. April 1984 (BVV 2; SR 831.441.1) offenbar geändert hätten und dass diese Grundlagen nicht mehr als von der Beschwerdegegnerin unterschriftlich anerkannt gelten könnten. Das Obergericht hat darin keinen Verstoss gegen klares Recht erblickt.
Nach
Art. 82 Abs. 1 SchKG
kann die provisorische Rechtsöffnung unter anderem dann verlangt werden, wenn die Forderung auf einer durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung beruht.
BGE 114 III 71 S. 73
In der dem Rechtsöffnungsrichter vorgelegten Anschlussvereinbarung vom 13. November 1985 hatte sich die Beschwerdegegnerin unterschriftlich verpflichtet, alle gemäss Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) und Landes-Gesamtarbeitsvertrag versicherungspflichtigen Arbeitnehmer bei der Beschwerdeführerin zu versichern und dafür die reglementarisch geforderten Beiträge zu leisten. Sie hatte ferner erklärt, von dem auf der Rückseite des Formulars abgedruckten Reglementsauszug Kenntnis genommen und ihn in dieser Form akzeptiert zu haben. Im Reglementsauszug werden die von den angeschlossenen Betrieben zu leistenden Beiträge in Prozenten des koordinierten Lohns der zu versichernden Arbeitnehmer festgesetzt. Der koordinierte Lohn wird als AHV-Bruttolohn abzüglich Fr. 1'380.-- monatlich, höchstens aber Fr. 2'760.-- und mindestens Fr. 172.50 monatlich definiert, wobei ausdrücklich beigefügt wird, diese Lohngrenzen würden jeweils den Änderungen im BVG angepasst. Eine solche Änderung erfolgte mit Wirkung auf den 1. Januar 1986 durch die Verordnung 86 über die Anpassung der Grenzbeträge bei der beruflichen Vorsorge vom 11. September 1985 (AS 1985 S. 1345).
Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid zu Recht darauf hingewiesen, dass sich eine Schuldanerkennung auch aus einer Gesamtheit von Urkunden ergeben kann, sofern die notwendigen Elemente daraus hervorgehen, und dass die anerkannte Schuld in der vom Schuldner unterzeichneten Urkunde nicht notwendigerweise ziffernmässig bestimmt sein muss, sondern dass es genügt, dass die Schuldsumme leicht bestimmbar ist (
BGE 106 III 99
E. 3). Diese Voraussetzung ist hier aber entgegen der Auffassung der kantonalen Instanzen klarerweise erfüllt. Die Beschwerdegegnerin hat nicht nur die Anschlussvereinbarung unterzeichnet, sondern auch die Lohnlisten für die beiden Quartale, für welche die Versicherungsbeiträge verlangt werden. Da die Anschlussvereinbarung auch die Beitragssätze enthält, lässt sich der Schuldbetrag aus der Gesamtheit dieser Urkunden ohne weiteres bestimmen. Fragen kann sich nur, ob die anerkannte Schuld allein wegen der inzwischen erfolgten Anpassung der Vorschriften betreffend den koordinierten Lohn, von welchem bei der Berechnung der Beiträge auszugehen ist, nicht mehr als leicht bestimmbar gelten kann. Diese Frage ist jedoch ohne Zweifel zu verneinen. Der Begriff des koordinierten Lohns, der in
Art. 8 BVG
umschrieben wird, ist für die berufliche Vorsorge von grundlegender Bedeutung und ist jedem in diesem Bereich Tätigen bekannt, namentlich auch den
BGE 114 III 71 S. 74
Arbeitgebern, die ihre Arbeitnehmer für diesen Teil des Lohns versichern müssen. Ebenso allgemein bekannt ist, dass die obere und die untere Grenze des koordinierten Lohns vom Bundesrat periodisch den Änderungen der AHV-Gesetzgebung angepasst werden, wie dies hier der Fall war (
Art. 9 BVG
). Es ist nicht einzusehen, weshalb eine derartige auf Gesetz beruhende Änderung der Berechnungsgrundlagen vom Beitragsschuldner unter dem Gesichtspunkt von
Art. 82 Abs. 1 SchKG
nicht zum voraus sollte anerkannt werden können. Es kann hier nichts anderes gelten als bei Schuldverpflichtungen, die mit einer Indexklausel versehen sind. Für solche Schuldverpflichtungen wird in der Praxis ständig Rechtsöffnung erteilt, auch wenn deren endgültige Höhe im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Schuldanerkennung - bei der definitiven Rechtsöffnung im Zeitpunkt der Urteilsfällung - nicht feststeht (vgl. z.B. JT 1973 II 93; BJM 1976 S. 107). Gilt eine Schuldverpflichtung, deren definitive Höhe sich erst aus der nachträglichen Entwicklung eines Indexes ergibt, als durch die Unterschrift unter die Schuldanerkennung gedeckt, so kann es sich nicht anders verhalten, wenn in der unterzeichneten Schuldanerkennung die Änderung der für die Bestimmung des koordinierten Lohns massgebenden Grenzbeträge vorbehalten wird. Auch in einem solchen Fall ist der Schuldbetrag ohne weiteres bestimmbar. Die Berücksichtigung der gesetzlichen Anpassung des koordinierten Lohns, wie sie hier für die Berechnung der Versicherungsbeiträge notwendig ist, ist für den Rechtsöffnungsrichter denn auch nicht komplizierter als die Anwendung einer Indexklausel. Im vorliegenden Fall erschöpfen sich die Auswirkungen dieser Gesetzesänderung praktisch darin, dass vom AHV-Bruttolohn statt Fr. 1'380.--, wie ursprünglich vorgesehen, Fr. 1'440.-- pro Monat abgezogen werden müssen, um den koordinierten Lohn zu ermitteln. Dieser und damit auch die von der Beschwerdegegnerin geschuldeten Beiträge sind somit geringer, als wenn noch vom ursprünglichen Betrag ausgegangen worden wäre. Um so stossender ist es, die Rechtsöffnung wegen dieser quantitativ geringfügigen und sich überdies zugunsten der Schuldnerin auswirkenden gesetzlichen Änderungen der Berechnungsgrundlagen zu verweigern.
Entgegen der Auffassung des Obergerichts lässt sich der vorliegende Fall in keiner Weise mit
BGE 106 III 97
vergleichen. In jenem Entscheid ist das Bundesgericht zum Ergebnis gelangt, dass die stillschweigende Genehmigung eines Kontokorrentauszugs zusammen
BGE 114 III 71 S. 75
mit dem vom Schuldner unterzeichneten Krediteröffnungsvertrag keinen Rechtsöffnungstitel für den Passivsaldo des Kontos darstelle. Es liegt in der Tat auf der Hand, dass die Höhe des Saldos durch die Unterzeichnung des Krediteröffnungsvertrags nicht gedeckt ist. Auch wenn sich der Bankkunde verpflichtet, den nicht innert Frist beanstandeten Kontoauszug als richtig anzuerkennen, so fehlt es an der für die Rechtsöffnung erforderlichen unterschriftlichen Anerkennung des Saldos. Dieser ist aufgrund der vom Kunden unterzeichneten Urkunde auch in keiner Weise bestimmbar, liegt es doch völlig in der Hand der Bank, welche Zahlen sie in den Kontoauszug aufnehmen will. Im vorliegenden Fall lässt sich die Schuldsumme demgegenüber aufgrund der Schuldanerkennung anhand objektiver, dem Willen der Parteien entzogener Umstände, nämlich der gesetzlichen Anpassung der für die Ermittlung des koordinierten Lohns massgebenden Grenzbeträge an die AHV-Gesetzgebung, denen sich die Beschwerdegegnerin zum voraus unterworfen hat, ohne weiteres berechnen.
Die Annahme der kantonalen Instanzen, die Beschwerdeführerin habe für die in Betreibung gesetzten Beitragsforderungen keine durch Unterschrift bekräftigte Schuldanerkennung vorgelegt, erweist sich somit als unhaltbar, weshalb die Beschwerde gutzuheissen ist. | 3,050 | 1,124 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-114-III-71_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=10&from_date=&to_date=&from_year=1988&to_year=1988&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=95&highlight_docid=atf%3A%2F%2F114-III-71%3Ade&number_of_ranks=360&azaclir=clir | BGE_114_III_71 |
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0040bdf8-6143-4052-86f8-e3bd230b4da0 | 1 | 81 | 1,337,848 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 130 II 1 S. 2
Die heute im Kanton Thurgau wohnhafte slowakische Staatsangehörige B., geb. 1966, ist Mutter des 1986 geborenen Sohnes C., der die gleiche Staatsangehörigkeit besitzt. Ohne ihren Sohn reiste sie 1994 erstmals in die Schweiz ein und arbeitete als Kurzaufenthalterin. Dabei kehrte sie mehrmals in ihre Heimat zurück. Während ihren Aufenthalten in der Schweiz lernte sie den italienischen Staatsangehörigen A., geb. 1945, kennen. Dieser lebt seit 1961 in der Schweiz und verfügt über die Niederlassungsbewilligung. Beide heirateten im Dezember 1997. Hierauf erhielt B. im Januar 1998 eine Aufenthaltsbewilligung. Am 15. Juni 2001 ersuchte sie um Familiennachzug für ihren Sohn C. Das Ausländeramt des Kantons Thurgau lehnte das Gesuch am 16. Juli 2001 ab. Die Eheleute A. und B. wandten sich hiergegen erfolglos an das Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau (Rekursentscheid vom 24. Mai 2002) und anschliessend an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (Entscheid vom 22. Januar 2003).
Die Eheleute A. und B. haben mit Postaufgabe vom 6. März 2003 beim Bundesgericht eine auf den 12. Februar 2003 datierte
BGE 130 II 1 S. 3
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Sie beantragen, den Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und das Ausländeramt des Kantons Thurgau anzuweisen, "die nachgesuchte Familienzusammenführung zu gewähren" und dem Sohn C. die anbegehrte "Bewilligung ordnungsgemäss zu erteilen".
Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt. | 353 | 260 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Das Verwaltungsgericht hat auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu
Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG
(SR 142.20) und
Art. 8 EMRK
bei getrennten Elternteilen Bezug genommen. Es ist davon ausgegangen, der Nachzug des Sohnes habe sich nicht als zu dessen Pflege notwendig erwiesen. Die Beschwerdeführerin habe die Familientrennung ursprünglich selbst freiwillig herbeigeführt. C. sei, obwohl ein Nachzug schon früher hätte begehrt werden können, bei den Grosseltern belassen worden. Die Grosseltern, welche ihn seit dem Auslandsaufenthalt der Mutter betreuen, könnten sich weiterhin um ihn in altersgerechter Weise kümmern. Es sei nicht geltend gemacht worden, deren Gesundheitszustand habe sich innert Kürze derart verschlechtert, dass eine andere Betreuungsmöglichkeit nun unumgänglich sei. Anlässlich der Einreichung des Nachzugsgesuchs habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, es gehe ihr darum, ihrem Sohn eine gute Ausbildung zu ermöglichen, da eine solche in ihrer Heimat nicht geboten werde. Es entspreche jedoch nicht Sinn und Zweck des Instituts des Familiennachzugs, wenn ein Kind erst nach Absolvierung der Schulausbildung nachgezogen werde, um ihm in der Schweiz eine bessere berufliche Ausbildung zu ermöglichen (vgl.
BGE 125 II 585
E. 2d S. 590).
2.2
Die Feststellungen und Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichts zur Anwendung und Auslegung von
Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG
bzw. von
Art. 8 EMRK
erweisen sich als im Wesentlichen zutreffend. Auf diese kann daher verwiesen werden. Für eine Änderung der bisherigen Verhältnisse bestehen keine überwiegenden familiären Interessen (zu dieser Voraussetzung vgl.
BGE 129 II 11
E. 3.1 und 3.4 S. 14 f. und 17,
BGE 129 II 249
E. 2.1 und 2.4 S. 252 f. und 256;
BGE 126 II 329
E. 2a/b und 3a S. 330 ff., mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer werden nicht daran gehindert, die bisherigen familiären Beziehungen fortzuführen
BGE 130 II 1 S. 4
.
Was die Beschwerdeführer einwenden, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Entgegen ihrer Ansicht ergibt sich aus dem von ihnen vorgelegten Arztzeugnis vom 31. Mai 2002 nicht, dass die Grosseltern den damals knapp 16-jährigen Sohn nicht mehr betreuen können. Im Übrigen war der Gesundheitszustand der Grosseltern bei Einreichung des Nachzugsgesuchs noch nicht geltend gemacht worden. Auch der Verweis auf einen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich ist unbehelflich. Dort ging es offensichtlich um den Kindernachzug durch die zusammenlebenden leiblichen Eltern. Insoweit hat das Bundesgericht anerkannt, dass keine besonderen stichhaltigen Gründe die beabsichtigte Änderung der Betreuungsverhältnisse rechtfertigen müssen; ein Nachzug ist in solchen Fällen grundsätzlich jederzeit zulässig; vorbehalten bleibt einzig das Missbrauchsverbot (
BGE 129 II 11
E. 3.1.2 S. 14;
BGE 126 II 329
E. 3b S. 332). Vorliegend ist aber eine der in
BGE 129 II 11
E. 3.1.3 und 3.1.4 S. 14 f. beschriebenen Situationen gegeben, wonach nicht eine beide leiblichen Eltern und das Kind umfassende Gesamtfamilie hergestellt werden soll; ausserdem haben die Grosseltern die Betreuung bisher wahrgenommen, obwohl die Mutter den Nachzug schon früher hätte beantragen können. Somit durften die kantonalen Instanzen besondere stichhaltige Gründe für den Nachzug verlangen. Keine Rolle spielt, dass das Verwaltungsgericht den Sohn versehentlich als "jungen Erwachsenen" bezeichnet hat. Dem Gericht war klar, dass der Knabe im Zeitpunkt seines Entscheides noch nicht 18 Jahre alt und damit noch minderjährig war. Die Beschwerdeführer können auch nichts für sich daraus ableiten, dass ihnen die Gemeinde möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt mitgeteilt hat, der Nachzug könne bis zum sechzehnten Lebensjahr stattfinden. Diese Aussage ist nicht geeignet, einen Bewilligungsanspruch aus Vertrauensschutz zu vermitteln (vgl. zu den allg. Voraussetzungen des Vertrauensschutzes
BGE 121 II 473
E. 2c S. 479;
BGE 117 Ia 285
E. 2b S. 287; insbes. im Ausländerrecht ALAIN WURZBURGER, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, RDAF 1997 I S. 305 f., mit Hinweisen). Nicht nur ist die Gemeinde für fremdenpolizeiliche Auskünfte erkennbar nicht zuständig. Das Vorbringen zeigt auch auf, dass es den Beschwerdeführern offenbar nicht um die Herstellung eines baldmöglichsten Zusammenlebens mit dem Kind ging, sie das Kind vielmehr - zumindest temporär - weiterhin von den Grosseltern erziehen lassen wollten. Schliesslich stellte diese
BGE 130 II 1 S. 5
Auskunft für die Beschwerdeführer kein Hindernis dar, den Familiennachzug schon früher zu beantragen.
2.3
Nach dem Gesagten verletzt der angefochtene Entscheid weder
Art. 17 ANAG
noch
Art. 8 EMRK
noch
Art. 13 Abs. 1 BV
(vgl. hiezu
BGE 126 II 377
E. 7 S. 394). C. ist weder der (leibliche) Sohn des beschwerdeführenden italienischen Ehemannes noch hat er jemals mit ihm zusammengelebt. Mithin kommt auch eine Verletzung des Nachzugsanspruchs, der sich aus - dem von sämtlichen Beteiligten nicht erwähnten - Art. 13 des Abkommens vom 10. August 1964 zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz (sog. Italienerabkommen; SR 0.142.114.548) ergibt, nicht in Frage.
3.
Am 1. Juni 2002 ist das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) in Kraft getreten. Dieses Abkommen gewährt Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und einem Teil ihrer Familienangehörigen ein Recht auf Aufenthalt in der Schweiz (vgl.
Art. 4 und 7 FZA
in Verbindung mit Anhang I zum Abkommen; vgl. auch
BGE 129 II 249
E. 3.3 S. 257 f. und Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG). Das Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (IMES; vormals Bundesamt für Ausländerfragen) geht in seiner Vernehmlassung davon aus, dass dieses Abkommen vorliegend Anwendung findet.
3.1
Übergangsrechtlich gilt der Grundsatz, dass für Verfahren, die bei Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens hängig sind, neues Recht zur Anwendung kommt (vgl.
Art. 37 der Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs [VEP; SR 142.203]
;
BGE 129 II 249
E. 3.3 S. 258 in fine). Auch wenn sich die Beschwerdeführer nicht auf das Abkommen berufen haben und das Verwaltungsgericht von sich aus keine entsprechende Prüfung vorgenommen hat, kann das Bundesgericht gemäss den Ausführungen in Erwägung 1.3 (Anwendung des Bundesrechts von Amtes wegen) das Abkommen berücksichtigen; als der angefochtene Entscheid erging, war das Abkommen seit knapp acht Monaten in Kraft.
3.2
Art. 3 Abs. 1 und 2 Anhang I FZA
lauten wie folgt:
"1. Die Familienangehörigen einer Person, die Staatsangehörige einer Vertragspartei ist und ein Aufenthaltsrecht hat, haben das Recht, bei
BGE 130 II 1 S. 6
ihr Wohnung zu nehmen. Der Arbeitnehmer muss für seine Familie über eine Wohnung verfügen, die in dem Gebiet, in dem er beschäftigt ist, den für die inländischen Arbeitnehmer geltenden normalen Anforderungen entspricht; diese Bestimmung darf jedoch nicht zu Diskriminierungen zwischen inländischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmern aus der anderen Vertragspartei führen.
2. Als Familienangehörige gelten ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit:
a) der Ehegatte und die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;
b) die Verwandten und die Verwandten des Ehegatten in aufsteigender Linie, denen Unterhalt gewährt wird;
c) im Falle von Studierenden der Ehegatte und die unterhaltsberechtigten Kinder.
(...)."
Das Freizügigkeitsabkommen gewährt mit
Art. 3 Anhang I FZA
teilweise weiter gehende Ansprüche auf Familiennachzug als
Art. 17 Abs. 2 ANAG
,
Art. 8 EMRK
und
Art. 13 Abs. 1 BV
. Zwar ist gemäss Abkommen nicht wie bei den erwähnten Vorschriften eine Niederlassungs- oder eine Aufenthaltsbewilligung im Sinne des ANAG zu erteilen, sondern eine "Aufenthaltserlaubnis" (vgl.
Art. 2 Abs. 3 und
Art. 3 Abs. 3 Anhang I FZA
, aber auch
Art. 4 VEP
). Die Erteilung einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung richtet sich auch für die unter das Freizügigkeitsabkommen fallenden Personen nach wie vor nach dem Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) sowie den von der Schweiz abgeschlossenen Niederlassungsverträgen (
Art. 5 VEP
;
BGE 129 II 249
E. 3.3 S. 258). Es ist aber davon auszugehen, dass das Begehren der Beschwerdeführer, das nur allgemein auf Gewährung der Familienzusammenführung lautet, auch die Familiennachzugsmöglichkeit gemäss Freizügigkeitsabkommen umfasst.
3.3
Das Freizügigkeitsabkommen hat - seinem Titel entsprechend - zum Ziel, die Freizügigkeit der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei auf der Grundlage der in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Bestimmungen zu verwirklichen (vgl. Präambel,
Art. 1 und
Art. 16 Abs. 1 FZA
). Dementsprechend ist der im Abkommen geregelte Familiennachzug den in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Regeln nachgebildet, namentlich Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/ 68 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer
BGE 130 II 1 S. 7
innerhalb der Gemeinschaft (kurz: VO [EWG] Nr. 1612/68, ABl. L 257 vom 19. Oktober 1968, S. 2). Der im Folgenden interessierende erste Absatz dieser Bestimmung lautet:
"Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:
a) sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;
b) seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt."
3.4
Zunächst ist zu prüfen, ob der persönliche Anwendungsbereich des Freizügigkeitsabkommens die Beschwerdeführer erfasst: A. ist Italiener und damit Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Freizügigkeitsabkommens. Er verfügt über eine Niederlassungsbewilligung. Im Rahmen von
Art. 3 Anhang I FZA
ist aber entscheidend, dass er sich seit Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens auf ein sich daraus ergebendes Aufenthaltsrecht berufen kann. Als in der Schweiz beschäftigter Arbeitnehmer kann er dies mit Blick auf
Art. 2 Anhang I FZA
in Verbindung mit
Art. 10 Abs. 5 FZA
. Der Anwendung von
Art. 3 Anhang I FZA
steht nicht entgegen, dass sich A. bereits vor Inkrafttreten des Abkommens in der Schweiz aufgehalten hat und ein Arbeitsverhältnis eingegangen war (vgl. auch
Art. 10 Abs. 5 FZA
,
Art. 36 VEP
und Ziff. 15 der Weisungen und Erläuterungen des Bundesamts für Ausländerfragen über die schrittweise Einführung des freien Personenverkehrs, Stand Februar 2002 [Weisungen VEP]; vgl. auch Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften [im Folgenden: Gerichtshof] vom 26. Mai 1993 in der Rechtssache C-171/91,
Tsiotras
, Slg. 1993, I-2925, Randnr. 9 ff.; ALBRECHT RANDELZHOFER/ULRICH FORSTHOFF, in: Eberhard Grabitz/Meinhard Hilf [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, München 1990 ff., Stand April 2003, N. 71 zu Art. 39 EG-Vertrag).
3.5
Es stellt sich sodann die Frage, ob der Sohn der Beschwerdeführerin als Familienangehöriger im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit. a Anhang I FZA anzusehen ist. Aus den Akten ergibt sich nicht, dass er von A. adoptiert worden wäre. Die Beschwerdeführer haben auch nichts dergleichen vorgetragen. Mangels Adoption gälte C. somit nicht als gemeinsames Kind der Beschwerdeführer. Aus dem Wortlaut der erwähnten Bestimmung ergibt sich - im Gegensatz
BGE 130 II 1 S. 8
zur lit. b für Verwandte in aufsteigender Linie - nicht eindeutig, ob auch Nachkommen nur eines Ehepartners, gar desjenigen, der sich nicht auf das Freizügigkeitsabkommen berufen kann, insbesondere weil er nicht Staatsangehöriger eines Vertragsstaats ist, von der Bestimmung erfasst werden.
Der Gerichtshof hat in einem Urteil vom 17. September 2002 erstmals ausgeführt, der im Wesentlichen gleich lautende Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 (s. oben E. 3.3) sei dahin auszulegen, dass er sowohl die Nachkommen des Arbeitnehmers als auch diejenigen seines Ehegatten mit umfasst. Eine enge Auslegung, wonach nur die gemeinsamen Kinder des Wanderarbeitnehmers und seines Ehegatten zum Aufenthalt bei diesen berechtigt wären, liefe der bezweckten Freizügigkeit der Arbeitnehmer zuwider (Rechtssache C-413/1999,
Baumbast und R.
, Slg. 2002, I-7091, Randnr. 57; ebenso schon zuvor: MICHAEL FUNKE-KAISER, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Neuwied 1992 ff., Stand Juli 2002, N. 91 zu II-§ 2 ; JEAN-CLAUDE SÉCHÉ, in: Joly Communautaire, Paris 1995 ff., Stand März 2001, Bd. 2, Thème 4, Entrée et séjour, N. 26; ULRICH WÖLKER, in: Hans von der Groeben/Jochen Thiesing/Claus-Dieter Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Bd. 1, 5. Aufl., Baden-Baden 1997, N. 69 zu Art. 48 EG-Vertrag; MARCEL DIETRICH, Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Europäischen Union, 1995, S. 324 f.; DENIS MARTIN, La libre circulation des personnes dans l'Union européenne, Bruxelles 1994, S. 178 N. 61; PIERRE GARRONE, La libre circulation des personnes, 1993, S. 38; JAN ZIEKOW, Der gemeinschaftsrechtliche Status der Familienangehörigen, in: Die öffentliche Verwaltung 1991 S. 364; abweichend und nicht eindeutig: KAY HAILBRONNER, Ausländerrecht, Heidelberg 1994 ff., Stand August 2002, N. 49 zu § 1 Aufenthaltsgesetz/EWG, offenbar wegen des von Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 leicht abweichenden deutschen Gesetzestextes; im Ergebnis wie der Gerichtshof, jedoch zum FZA: MINH SON NGUYEN, Droit public des étrangers, 2003, S. 396; MARC SPESCHA, Lückenfüllung und Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht, AJP 2002 S. 1424;
ders.
, Auswirkungen des Abkommens mit der EG über die Personenfreizügigkeit auf das allgemeine Ausländerrecht, in: Bernhard Ehrenzeller [Hrsg.], Aktuelle Fragen des schweizerischen Ausländerrechts, 2001, S. 113, Fn. 8; MARC SPESCHA/PETER STRÄULI, Ausländerrecht, 2001, S. 312; PHILIP GRANT, La protection de la vie familiale et de la vie privée en droit des étrangers, Diss.
BGE 130 II 1 S. 9
Genf 2000, S. 252; ehemaliges Bundesamt für Ausländerfragen [heute IMES] in seinen Rundschreiben vom 8. Juli 2002 zu "Grundsatzfragen bei der Umsetzung des Freizügigkeitsabkommens" und vom 5. Juni 2003 zur "Umsetzung des Freizügigkeitsabkommens, Auswirkungen beim Familiennachzug" in Bezug auf
Art. 3 Abs. 1
bis
lit. a BVO
[SR 823.21], der gleich lautet wie Art. 3 Abs. 2 lit. a Anhang I FZA).
Das erwähnte Urteil datiert indes aus der Zeit nach der Unterzeichnung des Abkommens am 21. Juni 1999, so dass die Interpretation durch den Gerichtshof laut
Art. 16 Abs. 2 FZA
für die Anwendung des Abkommens nicht verbindlich ist. Aus den Materialien zum Freizügigkeitsabkommen lässt sich nicht entnehmen, wie Art. 3 Abs. 2 lit. a Anhang I FZA zu verstehen ist (vgl. BBl 1999 S. 6311;
1992 IV 221
;
1992 V 336
). Die Frage kann hier letztlich offen bleiben, da das Abkommen vorliegend aus einem anderen Grund nicht zur Anwendung gelangt.
3.6
Es ist weiter zu prüfen, ob das Freizügigkeitsabkommen auch für den Familiennachzug gilt, wenn sich der nachzuziehende Familienangehörige nicht in einem Mitgliedstaat der EU aufhält, mithin von ausserhalb des Gebiets der Mitgliedstaaten der EU in die Schweiz nachziehen soll.
3.6.1
Der Gerichtshof hat vor kurzem entschieden, der mit einem Unionsbürger verheiratete Drittstaatsangehörige müsse sich bereits rechtmässig in einem Mitgliedstaat aufhalten, um in den Genuss der Rechte aus Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 kommen zu können. Die Verordnung Nr. 1612/68 betreffe nur die Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft. Sie begründe keine Rechte auf Zugang zum Gemeinschaftsgebiet für Drittstaatsangehörige, die mit einem Unionsbürger verheiratet sind. Begebe sich ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Unionsbürger, der mit einem zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat berechtigten Drittstaatsangehörigen verheiratet ist, in einen anderen Mitgliedstaat, um dort eine unselbständige Berufstätigkeit auszuüben, so dürfe aufgrund dieses Ortswechsels nicht die Möglichkeit verloren gehen, rechtmässig zusammenzuleben, weshalb Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 dem Ehegatten das Recht verleihe, sich in diesem anderen Mitgliedstaat niederzulassen. Begebe sich dagegen ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Unionsbürger, der mit einem zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat nicht berechtigten Drittstaatsangehörigen verheiratet ist, in
BGE 130 II 1 S. 10
einen anderen Mitgliedstaat, um dort zu arbeiten, so könne in dem Umstand, dass seinem Ehegatten aus der genannten Bestimmung kein Recht erwachse, sich mit ihm in diesem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, keine ungünstigere Behandlung liegen als die, die dem Ehepaar vor Inanspruchnahme der Freizügigkeit zuteil geworden sei. Dass ein solches Recht nicht bestehe, könne den Unionsbürger nicht davon abhalten, die Freizügigkeitsrechte wahrzunehmen. Gleiches gelte, wenn der mit einem Drittstaatsangehörigen verheiratete Unionsbürger in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger er sei, zurückkehre. Verfüge sein Ehegatte über ein Recht zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat, so finde Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 Anwendung, damit der Unionsbürger nicht davon abgehalten werde, von seiner Freizügigkeit durch Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Gebrauch zu machen. Verfüge sein Ehegatte dagegen nicht bereits über ein Recht zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat, so habe der Umstand, dass ihm aus der besagten Bestimmung kein Nachzugsrecht erwachse, insoweit keine abschreckende Wirkung; in diesem Fall müssten die zuständigen Behörden aber gleichwohl bei der Prüfung des Nachzugsgesuchs das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des
Art. 8 EMRK
berücksichtigen (Urteil vom 23. September 2003 in der Rechtssache C-109/01,
Secretary of State for the Home Department gegen Akrich
, noch nicht in der amtlichen Sammlung des Gerichtshofs publiziert, jedoch in EuGRZ 2003 S. 607, Randnr. 49-54 und 58 f.).
Der Gerichtshof hatte sich in früheren Urteilen, insbesondere vor dem gemäss
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 FZA
massgeblichen Zeitpunkt des 21. Juni 1999, hierzu nicht geäussert. Damit ist das Bundesgericht an die Interpretation der einschlägigen Bestimmungen durch den Gerichtshof im Urteil
Akrich
nicht gebunden. Trotzdem kann der Entscheid des Gerichtshofs - wie die seither ergangene Rechtsprechung überhaupt - bei der Auslegung von
Art. 3 Anhang I FZA
mitberücksichtigt werden (vgl. in Bezug auf
Art. 16 FZA
: KAY HAILBRONNER, Freizügigkeit nach EU-Recht und dem bilateralen Abkommen, Zeitschrift für Europarecht 5/2003 S. 51 f.; SUSANNE LEUZINGER-NAEF, Sozialversicherungsgerichtsbarkeit und Personenfreizügigkeitsabkommen Schweiz-EG, SJZ 99/2003 S. 201 f.; THOMAS COTTIER/ERIK EVTIMOV, Probleme des Rechtsschutzes, in: Thomas Cottier/Matthias Oesch [Hrsg.], Die sektoriellen Abkommen Schweiz-EG, 2002, S. 188 f. und 200; FABRICE FILLIEZ,
BGE 130 II 1 S. 11
Application des accords sectoriels par les juridictions suisses: quelques repères, in Daniel Felder/Christine Kaddous [Hrsg.], Bilaterale Abkommen Schweiz-EU, 2001, S. 203-205; ALOIS LUSTENBERGER/ RAYMOND SPIRA, Das Verfahren in zwischenstaatlichen Fällen gemäss Abkommen, in Erwin Murer [Hrsg.], Das Personenverkehrsabkommen mit der EU und seine Auswirkungen auf die soziale Sicherheit der Schweiz, 2001, S. 77 und 91; TOBIAS JAAG, Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union, ZSR 119/2000 I S. 233 und 246 f.).
3.6.2
In früheren Entscheiden, in denen es ebenfalls um den Nachzug von Familienangehörigen ging, die als sog. Drittstaatsangehörige unmittelbar von ausserhalb der EU zuziehen sollten, hat der Gerichtshof auf etwas anderem Boden argumentiert als im Urteil
Akrich
, ohne aber die in diesem Urteil entwickelte Abgrenzung auszuschliessen (vgl. Urteile vom 27. Oktober 1982 in den Rechtssachen 35/1982 und 36/1982,
Morson und Jhanjan
, Slg. 1982, 3723, Randnr. 15-18, vom 18. Oktober 1990 in den Rechtssachen 297/1988 und C-197/1989,
Dzodzi
, Slg. 1990, I-3763, Randnr. 23-28, und vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C-459/1999,
MRAX
, Slg. 2002, I-6591, Randnr. 73-80). Zwar hat der Gerichtshof mit Urteil vom 11. Juli 2002 erkannt, dass Art. 49 des EG-Vertrages (Recht auf freie Dienstleistung) im Lichte des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens unter Umständen verbiete, dass der Herkunftsmitgliedstaat eines in diesem Staat ansässigen Dienstleistungserbringers, der Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten erbringt, dessen Ehegatten den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet verwehrt (Rechtssache C-60/2000,
Carpenter
, Slg. 2002, I-6279). In dieser Sache stand fest, dass der Ehepartner, der nicht Staatsangehöriger eines EU-Landes war, sich illegal in Grossbritannien aufhielt und auch in keinem anderen Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt war. Das deutet jedoch noch nicht auf eine vom Urteil
Akrich
abweichende Rechtsprechung hin. Es ging dort nämlich nicht darum, die Rechte aus Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 oder aus ähnlichen Regelungen (wie Art. 1 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Art. 4 der Richtlinie 73/148/EWG vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen, ABl. L 172 vom 28. Juni 1973, S. 14) zu gewähren, sondern in erster Linie um das in
Art. 8 EMRK
garantierte Recht auf Familienleben.
3.6.3
Aus dem Wortlaut des
Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA
ergibt sich die vom Gerichtshof vorgenommene Einschränkung nicht.
BGE 130 II 1 S. 12
Das Gleiche gilt aber auch für den - vom Gerichtshof ausgelegten - Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68. In weiten Teilen der Verwaltungspraxis bis hin zur Kommission der Europäischen Gemeinschaft ist offenbar eher davon ausgegangen worden, Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 komme auch Familienangehörigen aus Drittstaaten zugute, die sich noch nicht rechtmässig in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft aufhalten. Auch das IMES hat dies betreffend
Art. 3 Anhang I FZA
bisher wohl angenommen. Die Botschaft zum Freizügigkeitsabkommen behandelt die vorliegende Problematik nicht (vgl. BBl 1999 S. 6128, insbes. S. 6309 ff.), ebenso wenig die darin mehrmals erwähnte Botschaft zur Genehmigung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (BBl 1992 IV 1, insbes. S. 214 ff.; vgl. auch BBl 1992 V 336 ff.).
3.6.4
Hintergrund des Entscheids in der Rechtssache Akrich ist der Umstand, dass das Recht auf Einwanderung in die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bei Erlass der Regelung des Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 nahezu vollständig in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fiel (vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Rechtssache, Randnr. 2 und 38). Denkbar waren Eingriffe der Europäischen Gemeinschaft in diese Kompetenzaufteilung zwar etwa dann, wenn sie sich als zur Gewährleistung der Grundfreiheiten, wie hier der Freizügigkeit, notwendig erwiesen. Die Europäische Gemeinschaft hatte aber im Übrigen nur beschränkte Befugnisse zum Beschluss von Massnahmen betreffend die Einreise und den Aufenthalt von aus Drittstaaten stammenden Personen. Entsprechende Erweiterungen im Kompetenzbereich sind erst mit dem Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABl. Nr. C 340 vom 10. November 1997, S. 1 und 173), der am 1. Mai 1999 in Kraft getreten ist, eingeführt worden. Namentlich gestützt auf den neuen Art. 63 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 des EG-Vertrages können seither im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft Massnahmen betreffend die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen in die Mitgliedstaaten beschlossen werden (vgl. auch Vorschlag der Europäischen Kommission vom 1. Dezember 1999 für eine Richtlinie des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, insbes. Ziff. 1 der dortigen Begründung). Unter diesen Prämissen ist die Feststellung des Gerichtshofs zu verstehen, die EWG-Verordnung Nr. 1612/68 - vom 15. Oktober 1968 - betreffe nur die Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft und sage nichts im Hinblick auf den Zugang zum
BGE 130 II 1 S. 13
Gemein schaftsgebiet.
Art. 3 Anhang I FZA
, der Inhalt und Tragweite des Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 im Wesentlichen übernimmt, um die Freizügigkeit wie in der Europäischen Gemeinschaft zu realisieren, ist im gleichen Sinne auszulegen. Es sind keine stichhaltigen Gründe ersichtlich, diese Bestimmung des Freizügigkeitsabkommens in einem anderen, weiteren Sinne anzuwenden. Zwar mag sie - wie erwähnt - aufgrund ihres Wortlauts teilweise umfassender verstanden worden sein. Eine Interpretation über die Bedeutung hinaus, wie sie der Gerichtshof mit dem Urteil in der Rechtssache
Akrich
präzisiert hat, ist indes nicht erforderlich, um die mit dem Freizügigkeitsabkommen beabsichtigte Freizügigkeit zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten. Kann ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaats in seinem Herkunftsstaat nach den für ihn relevanten nationalen Regelungen (vgl. erwähnte Urteile in den Rechtssachen
Dzodzi
sowie
Morson und Jhanjan
und
BGE 129 II 249
E. 4 S. 258 ff.) den begehrten Familiennachzug nicht erreichen, so steht der Übersiedlung in einen anderen Vertragsstaat nicht entgegen, wenn er sich auch dort lediglich auf das in diesem Staat geltende nationale Recht und nicht auf Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/ 68 bzw.
Art. 3 Anhang I FZA
berufen kann. Der Unionsbürger wird dadurch nicht schlechter gestellt, als wenn er von der Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hätte. Will er anschliessend in einen weiteren Vertragsstaat ziehen oder in seine Heimat zurückkehren, besteht nur dann Anlass, die zuletzt erwähnten Bestimmungen anzuwenden, wenn er seine Familienangehörigen zwischenzeitlich rechtmässig (nach nationalem Recht) in den Aufenthaltsstaat nachholen konnte. Ist ihm dies nicht gelungen, steht die weitere Nichtanwendung der interessierenden Vorschriften der Ausübung des Freizügigkeitsrechts nicht entgegen.
Das Gleiche muss im Übrigen gelten, wenn die Familienbande - etwa durch Heirat - erst nach dem Wechsel eines Unionsbürgers in einen anderen Vertragsstaat begründet werden, sofern die Familienangehörigen nicht bereits über ein Recht zum Aufenthalt in einem Vertragsstaat verfügen. Sollte im Heimatland oder in einem anderen Vertragsstaat als dem Aufenthaltsstaat des Unionsbürgers im nationalen Recht eine für ihn günstigere Familiennachzugsregelung gelten, so könnte dies den Unionsbürger zwar dazu bewegen, den aktuellen Aufenthaltsstaat zu verlassen und sich in das andere Land mit dem günstigeren (Nachzugs-)Regime zu begeben. Das wäre dem Unionsbürger - bezüglich anderer Mitgliedstaaten
BGE 130 II 1 S. 14
aufgrund der ihm gewährten Freizügigkeit möglich. Dass er dann in einem anderen Vertragsstaat eine bessere Behandlung in Bezug auf den Familiennachzug erfahren könnte, käme aber nur einer Reflexwirkung gleich bzw. wäre allein auf den Umstand unterschiedlicher nationaler Regelungen oder Praktiken zurückzuführen.
3.7
Nach dem Gesagten können sich die Beschwerdeführer vorliegend für den Nachzug ihres (Stief-)Sohnes, der sich nicht rechtmässig in einem Vertragsstaat des Freizügigkeitsabkommens aufhält, sondern in der Slowakei lebt, nicht auf
Art. 3 Anhang I FZA
berufen. Aus
Art. 8 EMRK
können die Beschwerdeführer, wie vorn in Erwägung 2 ausgeführt wurde, ebenfalls keinen durchsetzbaren Nachzugsanspruch ableiten. | 6,247 | 4,939 | 2 | 0 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-130-II-1_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=5&from_date=&to_date=&from_year=2003&to_year=2003&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=48&highlight_docid=atf%3A%2F%2F130-II-1%3Ade&number_of_ranks=300&azaclir=clir | BGE_130_II_1 |
|||
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ab Seite 388
BGE 101 IV 387 S. 388
A.-
Le 2 octobre 1973, J., de nationalité espagnole, a participé activement, avec trois acolytes, à un hold-up perpétré à l'agence de la Banque cantonale vaudoise à Lutry. Après avoir menacé les employés de la banque avec des armes, notamment des mitraillettes, les auteurs de ce coup se sont emparés de plus de 420'000 fr. Durant la nuit, J. a été arrêté avec deux de ses complices après qu'il eut tiré deux coups de pistolet en direction d'un inspecteur de police. Le butin a été récupéré et le quatrième participant arrêté plus tard.
Les quatre hommes étaient convenus de partager le butin à parts égales. J. et un autre Espagnol lui aussi, entendaient faire bénéficier de l'essentiel de leur part un groupe révolutionnaire marxiste-léniniste espagnol auquel ils appartenaient.
B.-
Le 28 février 1975, le Tribunal criminel du district de Lavaux a condamné J. pour brigandage qualifié, mise en danger de la vie d'autrui, contrainte et vol d'usage, à la peine de 11 ans de réclusion et de 15 ans d'expulsion. Le Tribunal a retenu que J. avait agi pour des motifs politiques et il a considéré qu'il s'agissait d'un mobile honorable au sens de l'art. 64 CP.
BGE 101 IV 387 S. 389
Le Tribunal cantonal du canton de Vaud, statuant le 7 juillet 1975, a admis un recours de J. et admis partiellement un recours du Ministère public. Il a réduit la peine à 9 ans de réclusion, mais il n'a pas retenu le mobile honorable au sens de l'art. 64 CP.
C.-
J. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à la réduction de la peine.
Le Procureur général du canton de Vaud propose de rejeter le pourvoi. | 629 | 335 | Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recourant invoque en premier lieu une violation de l'art. 64 CP et fait valoir que la qualité de mobile honorable aurait dû être reconnue aux motifs politiques qui l'ont guidé dans son action. Il reproche en outre à l'arrêt attaqué d'avoir infligé une peine qui reste excessive et d'avoir ainsi fait une fausse application de l'art. 63 CP.
2.
a) Les mobiles de l'auteur ne doivent pas être assimilés à ses convictions. Celles-ci représentent la position que tout être humain adopte à l'égard de certaines valeurs d'ordre éthique, social voire juridique. Elles peuvent présenter un caractère durable, profond ou n'être qu'une réaction devant un cas concret, en relation avec l'infraction (cf. HERREN, Die Gesinnung im Rahmen der vorsätzlichen Tötungsdelikte insbesondere beim Mord, Bâle 1966, p. 80 s.; ERBA, Motiv und Gesinnung im Strafrecht, RPS 64 (1949) p. 257 ss et plus particulièrement p. 266 s.).
Le mobile est en revanche la cause psychologique d'une manifestation donnée de volonté. Le plus souvent il représente l'expression de sentiments conscients ou inconscients, d'impulsions ou de raisonnements qui ont une incidence médiate ou immédiate sur l'infraction. Les convictions générales ou particulières de l'individu peuvent avoir une relation étroite avec ses mobiles, mais ce n'est pas nécessairement le cas.
La détermination du mobile de l'auteur relève de l'établissement des faits. Le juge doit pour y procéder prendre en considération toutes les preuves qui lui paraissent pertinentes. Ainsi des témoignages, des pièces, les déclarations de l'auteur, ses antécédents et même les circonstances de l'infraction peuvent servir d'indices pour déterminer le mobile. Mais il ne faut pas
BGE 101 IV 387 S. 390
oublier que le mobile, au même titre que l'intention, constitue l'un des éléments subjectifs de l'infraction et qu'il tient du domaine de la conscience de l'auteur.
b) Les mobiles de l'auteur n'ont le cas échéant d'incidences sur la fixation de la peine que s'ils sont honorables, c'est-à-dire s'ils reposent sur des convictions dignes d'estime au regard de l'échelle des valeurs éthiques reconnues par la collectivité dans son ensemble et sans pour cela avoir nécessairement à respecter l'ordre légal en vigueur dans la communauté (cf. HAFTER, partie générale p. 361; THORMANN/OVERBECK, No 5 ad art. 64 CP; RO 97 IV 80). Pour qu'un mobile puisse être qualifié d'honorable, il ne suffit donc pas qu'il n'attire aucune réprobation ni qu'il ne soit pas critiquable sur le plan moral. Il faut au contraire qu'il se situe dans la partie supérieure de l'échelle des valeurs éthiques. Il doit mériter l'estime, forcer la considération et le respect, être enfin conforme aux idées d'honneur et de dignité. En revanche et contrairement à ce qui a pu être dit dans le passé (cf. RO 80 IV 93 consid. 10a notamment) le caractère honorable du mobile est totalement indépendant de l'acte commis et par là même de l'adéquation qui peut ou non exister entre cet acte et le but recherché par l'auteur (RO 97 IV 80; Arrêt du Tribunal militaire de cassation vol. 7 (1958-1964) No 9 p. 14).
c) Lorsque le juge admet l'existence d'un mobile honorable, c'est-à-dire d'une circonstance atténuante au sens de l'art. 64 CP, les limites dans lesquelles il doit prononcer la peine sont étendues. Il peut ainsi se limiter à tenir compte du mobile dans le cadre de l'art. 63 et des peines prévues par la disposition spéciale applicable in casu ou, s'il estime le minimum fixé par cette dernière trop élevé, descendre au-dessous de cette limite, conformément à l'art. 65 CP (SCHWANDER, No 389; LOGOZ, partie générale p. 277 No 3 ad art. 64). Pour se déterminer à cet égard, il prendra en considération toutes les circonstances de l'espèce, soit notamment les actes d'exécution de l'infraction, dans la mesure où ils sont révélateurs de la mentalité de l'auteur, l'objet de l'agression et le bien juridique protégé (Arrêt du Tribunal militaire de cassation, vol. 7 (1958-1964), No 9 déjà cité p. 15 ch. 3). Il a même la faculté de refuser toute atténuation, là où les circonstances condamnables de l'infraction rejettent complètement dans l'ombre l'honorabilité des mobiles, par exemple lorsque l'agression
BGE 101 IV 387 S. 391
vise des biens particulièrement dignes de protection sur le plan juridique et n'ayant aucune relation avec les mobiles de l'auteur. Ce sera par exemple le cas en matière de prise d'otages ou d'attentats à l'explosif contre des victimes indéterminées.
d) De toute manière, on chercherait en vain dans le code pénal une disposition qui reconnaîtrait au mobile politique comme tel un caractère particulier d'honorabilité. C'est d'ailleurs normal, tant il est vrai que de semblables mobiles ont parfois sur le plan éthique les valeurs les plus diverses et peuvent aussi bien relever d'un idéalisme altruiste que de l'égoïsme le plus bas. S'il peut en effet paraître admirable de prendre des risques pour libérer ses semblables de l'oppression, on ne saurait souscrire en aucun cas à des actes de violence commis dans le but de s'installer confortablement à la tète d'un autre régime d'oppression, ni à la démarche consistant à lutter par les armes contre le gouvernement d'un Etat où règnent des institutions permettant d'agir par des moyens démocratiques, pour le seul motif que l'on est incapable de réunir une majorité.
3.
a) In casu, les premiers juges ont établi que le recourant avait eu l'intention de financer au moyen de son butin un groupe politique illégal agissant en Espagne. Ils ont vu là un mobile honorable que l'autorité cantonale de recours a contesté, estimant que même si le recourant n'avait pas été poussé par l'égoïsme, son acte ne présentait pas une adéquation suffisante avec le but politique qu'il poursuit. Ce faisant, ni l'une ni l'autre des autorités cantonales ne s'est conformée aux principes exposés ci-dessus. Elles n'ont en effet donné aucun élément permettant de décider si le recourant avait agi par ambition personnelle, par soif du pouvoir ou, au contraire, par idéalisme, amour de la liberté ou conviction humanitaire. Si l'on sait quels étaient ses buts immédiats, on ignore encore tout de sa motivation profonde et de ses pensées qui seules comptent au regard de l'art. 64 CP.
b) Il n'est toutefois pas nécessaire de renvoyer la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle détermine quels étaient en réalité les mobiles du recourant. En effet, l'autorité cantonale a déclaré expressément que même si un mobile honorable devait être admis, on ne pouvait reprocher aux premiers juges de ne pas avoir fait application de l'art. 65 CP. Or sur ce point
BGE 101 IV 387 S. 392
on ne saurait lui donner tort. Le recourant a pris part, de concert avec des truands, à l'attaque à main armée d'une banque qui n'entretient aucune relation particulière avec l'Espagne ou avec le régime franquiste. De telles relations n'existent pas non plus en ce qui concerne les employés de l'établissement sur lesquels ont été braquées des armes à répétition, l'automobiliste passant par là par hasard et qui sous la menace d'une arme à feu a dû transporter les agresseurs, ainsi que le policier sur lequel le recourant a tiré. Ces circonstances démontrent un tel mépris pour la liberté, l'intégrité corporelle et la vie même d'autrui, que le refus de toute atténuation de la peine aurait été justifié. On ne saurait d'autant moins faire un reproche à l'autorité cantonale en ce qui concerne la fixation de la peine, qu'elle a réduit celle prononcée par les premiers juges, précisément pour tenir compte, dans le cadre de l'art. 63 CP, de la jeunesse du recourant et du but politique qu'il poursuivait. | 2,864 | 1,419 | Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi. | 30 | 15 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-101-IV-387_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=5&from_date=&to_date=&from_year=1975&to_year=1975&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=42&highlight_docid=atf%3A%2F%2F101-IV-387%3Ade&number_of_ranks=408&azaclir=clir | BGE_101_IV_387 |
||
004755f9-bf7d-4e44-8925-45c4187d830b | 1 | 82 | 1,360,723 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 4
BGE 128 III 4 S. 4
Die Parteien sind verheiratet und Eltern zweier Töchter. Ein erstes Eheschutzverfahren fand im Frühling 1996 statt und wurde durch gerichtlich genehmigte Trennungsvereinbarung beendet. Ab Juni 1997 führten die Ehegatten wieder einen gemeinsamen Haushalt. Im September 2000 suchte X. erneut um gerichtliche Regelung des Getrenntlebens nach. Das Eheschutzgericht verpflichtete ihn, seiner Ehefau und den beiden Kindern monatlich insgesamt Fr. 1'550.- zu bezahlen; es legte seinen Berechnungen das von X. tatsächlich erzielte Einkommen zugrunde. Auf Antrag der Ehefrau X.-Y. erhöhte der Appellationshof den monatlichen Unterhaltsbeitrag auf insgesamt Fr. 2'435.-; er ging vom Einkommen aus, das X. bis 1996 als Betriebsleiter einer Firma erzielt hatte, mit der Begründung, X. habe seine frühere Arbeitsstelle freiwillig aufgegeben. Das Bundesgericht heisst die von X. dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 9 BV
gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
BGE 128 III 4 S. 5 | 226 | 171 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Die Aufrechnung eines hypothetischen, höheren statt des tatsächlich erzielten Einkommens hat der Appellationshof für gerechtfertigt gehalten, weil der Beschwerdeführer seine frühere Stelle freiwillig aufgegeben habe. Der Beschwerdeführer wirft dem Appellationshof eine willkürliche Beurteilung der Voraussetzungen vor, deren Erfüllung ausnahmsweise das Abstellen auf ein hypothetisches Einkommen rechtfertigen kann; ob ihm ein höheres Einkommen tatsächlich möglich und auch zumutbar sei, habe der Appellationshof überhaupt nicht geprüft. Die Beschwerdegegnerin bestreitet diesen Einwand nicht grundsätzlich und versucht vielmehr zu belegen, dass die nicht beurteilten Voraussetzungen beim Beschwerdeführer gegeben seien.
a) Bei der Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen darf vom tatsächlichen Leistungsvermögen des Pflichtigen, das Voraussetzung und Bemessungsgrundlage der Beitragspflicht bildet, abgewichen und statt dessen von einem hypothetischen Einkommen ausgegangen werden, falls und soweit der Pflichtige bei gutem Willen bzw. bei ihm zuzumutender Anstrengung mehr zu verdienen vermöchte, als er effektiv verdient. Wo die reale Möglichkeit einer Einkommenssteigerung fehlt, muss eine solche jedoch ausser Betracht bleiben. Diesen Grundsatz hat das Bundesgericht für sämtliche Matrimonialsachen festgehalten (im Eheschutz:
BGE 117 II 16
E. 1b S. 17; während der Dauer des Scheidungsprozesses:
BGE 119 II 314
E. 4a S. 316; für Scheidungsalimente:
BGE 127 III 136
E. 2a S. 139; bei der gerichtlichen Ehetrennung:
BGE 110 II 116
E. 2a S. 117).
Aus welchem Grund ein Ehegatte auf das ihm angerechnete höhere Einkommen verzichtet, ist im Prinzip unerheblich (SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 47 zu
Art. 125 ZGB
; Urteil des Bundesgerichts 5C.177/2000 vom 19. Oktober 2000, E. 2a). Unterlässt es ein Ehegatte aus bösem Willen oder aus Nachlässigkeit oder verzichtet er freiwillig darauf, ein für den Familienunterhalt ausreichendes Einkommen zu erzielen, kann auf das Einkommen abgestellt werden, das er bei gutem Willen verdienen könnte (BRÄM, Zürcher Kommentar, 1998, N. 83 zu
Art. 163 ZGB
; SCHWENZER, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, Basel 2000, N. 16 zu
Art. 125 ZGB
; Urteil des Bundesgerichts 5C.154/1996 vom 2. September 1997, E. 3b).
BGE 128 III 4 S. 6
Die Anrechnung eines hypothetischen, höheren Einkommens hat keinen pönalen Charakter. Es geht vielmehr darum, dass der Unterhaltspflichtige das Einkommen zu erzielen hat, das ihm zur Erfüllung seiner Pflichten tatsächlich möglich und zumutbar ist. Selbst bei Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit in Schädigungsabsicht darf dem rechtsmissbräuchlich handelnden Ehegatten ein hypothetisches Einkommen nur angerechnet werden, wenn er die Verminderung seiner Leistungskraft rückgängig machen kann (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar, 1999, N. 22 und N. 59f zu Art. 163 sowie N. 20 zu
Art. 176 ZGB
, unter Hinweis auf die teilweise nicht veröffentlichte Rechtsprechung des Bundesgerichts). Die vom Appellationshof zitierten Autoren vertreten keinen anderen Standpunkt (HAUSHEER/SPYCHER, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, N. 01.62-.64, S. 51 ff.).
Die gezeigten Grundsätze stützen sich auf die veröffentlichte Rechtsprechung des Bundesgerichts (z.B. für einen Fall der Vermögensentäusserung:
BGE 117 II 16
E. 1b S. 17). Vorab aus
BGE 119 II 314
Nr. 61 und
BGE 121 III 297
Nr. 60 kann nichts Abweichendes abgeleitet werden: Im ersten Urteil hat das Bundesgericht ausgeführt, ein freiwilliger Verzicht auf Erwerbstätigkeit sei gegebenenfalls unbeachtlich und es sei von der bisherigen Leistungskraft auszugehen, "sofern diese auch wieder erreicht werden kann"; strittig war alsdann nur mehr die Frage der Freiwilligkeit (
BGE 119 II 314
E. 4a S. 317). Im zweiten Urteil ist es um die (verneinte) Frage gegangen, ob ein Unterhaltsbeitrag auf den Zeitpunkt hin abzustufen sei, in dem der Unterhaltspflichtige vorzeitig in Pension gehen wollte; da der Unterhaltspflichtige bei der Beitragsfestsetzung noch im Erwerbsleben stand, war nicht zu prüfen, ob ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit tatsächlich möglich und zumutbar sei (
BGE 121 III 297
E. 3b S. 299).
Der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist teilweise Kritik erwachsen (z.B. BRÄM, N. 97 zu
Art. 163 ZGB
, betreffend Vermögensentäusserung). Es wird vertreten, dass dem Ehegatten, der sein Einkommen böswillig vermindert, ein hypothetisches Erwerbseinkommen selbst dann angerechnet werden soll, wenn sich die Verminderung nicht mehr rückgängig machen lässt (vgl. dazu SPYCHER, Unterhaltsleistungen bei Scheidung, Diss. Bern 1996, S. 80/81; SUTTER/FREIBURGHAUS, N. 48 zu
Art. 125 ZGB
; unklar: SCHWENZER, N. 32 zu
Art. 137 ZGB
). Die Frage kann hier aus nachstehendem Grund offen bleiben.
b) Der Appellationshof hat dem Beschwerdeführer statt des
BGE 128 III 4 S. 7
tatsächlich erzielten von ca. Fr. 4'050.- ein hypothetisches Monatseinkommen von Fr. 5'300.- angerechnet einzig mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe seine frühere Arbeitsstelle freiwillig aufgegeben. Von Mut- oder Böswilligkeit ist der Appellationshof angesichts der konkreten Umstände - Berufswechsel im Jahre 1996, gemeinsamer Haushalt ab 1997, Eheschutzgesuch vom September 2000 - selber nicht ausgegangen. Ein solcher Schluss wäre auf Grund der Beweislage auch nicht zulässig. Dennoch hat der Appellationshof in keiner Weise die Frage erörtert, ob dem Beschwerdeführer die Erzielung des angenommenen Einkommens tatsächlich möglich und zumutbar ist. In Anbetracht dessen ist die Willkürrüge des Beschwerdeführers begründet (
Art. 9 BV
). Der Appellationshof ist ohne Grundangabe von den in Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abgewichen (
BGE 127 I 54
E. 2b S. 56 und 60 E. 5a S. 70) und hat in seinen Ermessensentscheid Umstände nicht einbezogen, die hätten berücksichtigt werden müssen (
BGE 109 Ia 107
E. 2c S. 109;
BGE 126 III 8
E. 3c S. 10).
c) Mit ihren Vorbringen zur tatsächlichen Möglichkeit des Beschwerdeführers, das hypothetisch angenommene, höhere Einkommen zu erzielen, versucht die Beschwerdegegnerin den angefochtenen Appellationsentscheid wenigstens im Ergebnis zu rechtfertigen.
aa) Die Vorgehensweise der Beschwerdegegnerin ist zulässig; die Beschwerdeantwort hat dabei die formellen Anforderungen gemäss
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
zu erfüllen (
BGE 115 Ia 27
E. 4a S. 30; bezüglich Noven:
BGE 118 III 37
E. 2a S. 39). Da die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf Willkür beschränkt ist, genügt eine willkürfreie Ersatzbegründung (
BGE 112 Ia 166
E. 3f S. 172), die vom Appellationshof allerdings nicht ausdrücklich verworfen worden sein darf (
BGE 112 Ia 353
E. 3c/bb S. 355); letzteres ist hier nicht der Fall.
bb) Ob dem Beschwerdeführer ein hypothetisches Einkommen in der angenommenen Höhe zugemutet werden kann, ist Rechtsfrage, ob dessen Erzielung auch als tatsächlich möglich erscheint, ist hingegen Tatfrage, die durch entsprechende Feststellungen oder durch die allgemeine Lebenserfahrung beantwortet wird (
BGE 126 III 10
E. 2b S. 12); auch letzternfalls müssen aber jene Tatsachen als vorhanden festgestellt sein, die eine Anwendung von Erfahrungssätzen überhaupt erst ermöglichen (vgl. KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1984, S. 225/226). Die Beschwerdegegnerin stützt ihre Vorbringen unter anderem auf die Lohnstrukturerhebung
BGE 128 III 4 S. 8
1998 des Bundesamtes für Statistik. Das ist im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde zulässig, zumal Grundlage der Tatsachenfeststellung auch das Wissen des Gerichts über allgemein- oder gerichtsnotorische Tatsachen bildet; dazu können allgemein zugängliche Tatsachen gezählt werden, selbst wenn das Gericht sie ermitteln muss (vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 161 Ziff. II/1 und S. 320 Ziff. III/3).
cc) Die Lohnstrukturerhebung weist den monatlichen Bruttolohn nach Wirtschaftszweigen, Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes ("Kategorien") und Geschlecht aus. Die unbestrittenen Tatsachen, dass der Beschwerdeführer männlichen Geschlechts ist und vor nunmehr rund fünf Jahren die Funktion eines Betriebsleiters eingenommen hat, gestatten es von vornherein nicht - anhand welchen Erfahrungssatzes auch immer - ihn einem bestimmten Wirtschaftszweig mit konkret umschriebenem Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes zuzuweisen, solange weder über seine Ausbildung noch über seine Berufs- und Fachkenntnis irgendetwas festgestellt ist; die allgemeine Lebenserfahrung zeigt vielmehr, dass Betriebsleiter ihre berufliche Stellung oftmals in einer bestimmten Firma auf Grund ihrer spezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse erreicht haben und alsdann nicht leichthin die gleiche Funktion in einer beliebigen anderen Firma übernehmen können. Die von der Beschwerdegegnerin vorgenommene Einreihung des Beschwerdeführers in eine bestimmte Kategorie beruht auf keinem Erfahrungssatz und ist ohne festgestellte Tatsachengrundlage zufällig.
Mangels Feststellungen oder nachprüfbaren Behauptungen über die berufliche Qualifikation des Beschwerdeführers kann sodann auch nach Erfahrungswissen nicht beurteilt werden, ob es sich bei ihm um eine eigentliche Fachkraft handelt, die auf dem Arbeitsmarkt verzweifelt gesucht wird, wie die Beschwerdegegnerin das darstellt. Die unbestrittene Tatsache schliesslich, dass der Beschwerdeführer bis zu seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung im März 2000 einen Beitrag von Fr. 2'250.- bezahlt haben soll, gestattet keine eindeutigen Rückschlüsse auf seinen damaligen Verdienst, da er bis zu jenem Zeitpunkt ja auch nicht für eine eigene Wohnung und einen eigenen Haushalt aufzukommen brauchte.
Insgesamt kann auf Grund der Ausführungen in der Beschwerdeantwort willkürfrei nicht angenommen werden, die Erzielung eines Einkommens von Fr. 5'300.- sei dem Beschwerdeführer tatsächlich möglich. Dazu lässt sich auch den kantonalen Akten nichts entnehmen, zumal die zum Beweis verstellten Unterlagen den Parteien
BGE 128 III 4 S. 9
vor Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde retourniert worden sind. Der angefochtene Appellationsentscheid kann deshalb nicht auf eine willkürfreie Ersatzbegründung gestützt werden. | 2,265 | 1,723 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-128-III-4_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=3&from_date=&to_date=&from_year=2001&to_year=2001&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=22&highlight_docid=atf%3A%2F%2F128-III-4%3Ade&number_of_ranks=284&azaclir=clir | BGE_128_III_4 |
|||
0049c33a-2e7e-434f-8fa2-73537210c7e4 | 1 | 83 | 1,350,086 | 852,076,800,000 | 1,997 | de | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 123 IV 155 S. 155
Im Mai 1991 entwendete B. während einer Tramfahrt in Zürich einem Fahrgast aus der Gesässtasche das Portemonnaie. Dieses enthielt Notengeld im Gesamtbetrag von Fr. 170.-, eine EC-Karte, eine Eurocard, einen Führerausweis und eine Identitätskarte.
Am 1. November 1995 griff B. im Stadion Hardturm in Zürich während der Pause des Fussballspiels Grasshoppers gegen Ajax Amsterdam einem unbekannten Jugendlichen mit Diebstahlsabsicht in die Gesässtasche. Es blieb beim Versuch, da der Jugendliche in der Gesässtasche weder Portemonnaie noch Bargeld mit sich trug und B. durch einen Sicherheitsbeamten, der den Vorfall beobachtet hatte, unverzüglich festgenommen werden konnte.
Am 18. November 1996 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich B. zweitinstanzlich wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls zu 30 Tagen Gefängnis, abzüglich einen Tag Polizeiverhaft, als Zusatzstrafe zum Urteil des Appellationsgerichtes Basel-Stadt vom 19. April 1996. Das Obergericht schob den Vollzug der Freiheitsstrafe
BGE 123 IV 155 S. 156
nicht auf. Überdies ordnete es den Vollzug der am 25. Mai 1993 vom Bezirksgericht Zürich ausgesprochenen bedingten Vorstrafe von 4 Wochen Gefängnis, abzüglich 22 Tage Untersuchungshaft, an.
B. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid des Obergerichtes aufzuheben. | 299 | 217 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe die Anwendung von
Art. 172ter StGB
zu Unrecht abgelehnt. Die ihm angelasteten Taten stellten geringfügige Vermögensdelikte im Sinne dieser Bestimmung dar.
a) Der Beschwerdeführer hat sich wegen Diebstahls bzw. Diebstahlversuchs strafbar gemacht. Für den Grundtatbestand des Diebstahls droht das Gesetz Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder Gefängnis an (
Art. 139 Ziff. 1 StGB
; ebenso Art. 137 Ziff. 1 aStGB). Bei Versuch kann der Täter milder bestraft werden (Art. 21 Abs. 1 i.V.m.
Art. 65 StGB
).
Gemäss
Art. 172ter Abs. 1 StGB
wird der Täter, auf Antrag, lediglich mit Haft oder mit Busse bestraft, wenn sich die Tat nur auf einen geringen Vermögenswert oder auf einen geringen Schaden richtet. Der Versuch ist nicht strafbar (
Art. 104 Abs. 1 StGB
).
Die Grenze für den geringen Vermögenswert im Sinne von
Art. 172ter StGB
beträgt nach der Rechtsprechung Fr. 300.- (
BGE 121 IV 261
E. 2d). Entscheidend ist der Vorsatz des Täters, nicht der eingetretene Erfolg.
Art. 172ter StGB
ist nur anwendbar, wenn der Täter von vornherein bloss einen geringen Vermögenswert oder einen geringen Schaden im Auge hatte. Liegt die Deliktssumme unter dem Grenzwert von Fr. 300.-, scheidet
Art. 172ter StGB
deshalb aus, wenn der Vorsatz des Täters auf eine den Grenzwert übersteigende Summe gerichtet war (
BGE 122 IV 156
E. 2a).
Der Eventualvorsatz ist eine Form des Vorsatzes. Eventualvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den strafbaren Erfolg als möglich voraussieht, aber gleichwohl handelt, weil er ihn in Kauf nimmt für den Fall, dass er eintreten sollte (
BGE 119 IV 1
E. 5a mit Hinweisen).
Was der Täter weiss, will oder in Kauf nimmt, ist Tatfrage. Die entsprechenden Feststellungen der kantonalen Behörde sind für das Bundesgericht im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde deshalb verbindlich (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
;
BGE 122 IV 156
E. 2b mit Hinweisen).
BGE 123 IV 155 S. 157
b) Die Vorinstanz legt dar, wer wie der Beschwerdeführer Taschendiebstähle begehe, habe die Bereitschaft, das zu nehmen, was ihm in die Hände falle, und wohl die Hoffnung auf möglichst grosse Beute; dies unabhängig davon, ob es sich beim Bestohlenen um einen Erwachsenen oder einen Jugendlichen handle. Die Vorinstanz kommt zum Schluss, dass beim Beschwerdeführer Eventualvorsatz bezüglich eines Fr. 300.- übersteigenden Geldbetrags gegeben war.
Dieser Schluss beruht auf Beweiswürdigung, welche im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht in Frage gestellt werden kann (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
). Ist aber beweismässig davon auszugehen, dass sich der Eventualvorsatz des Beschwerdeführers auf einen Geldbetrag von mehr als Fr. 300.- richtete, so hat die Vorinstanz die Anwendung von
Art. 172ter StGB
zu Recht abgelehnt. Die Vorinstanz hat weder die rechtlichen Voraussetzungen der Privilegierung nach
Art. 172ter StGB
noch den Begriff des Eventualvorsatzes verkannt.
Einzuräumen ist dem Beschwerdeführer, dass
Art. 172ter StGB
auch bei einem Taschendiebstahl anwendbar sein kann. Der Vorsatz kann auch hier auf einen geringen Vermögenswert im Sinne dieser Bestimmung gerichtet sein. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Täter beobachtet, wie ein Dritter dem Opfer eine Hundertfrankennote übergibt, und der Täter dem Opfer anschliessend die Note aus der Tasche zieht. Die konkreten Umstände müssen daher auch bei einem Taschendiebstahl geprüft werden. Ob sich der Vorsatz auf einen geringen Vermögenswert richtete, bleibt aber eine Beweisfrage, die im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde nicht zur Diskussion gestellt werden kann.
Die Beschwerde wird in diesem Punkt deshalb abgewiesen. | 857 | 696 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-123-IV-155_1997 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=12&from_date=&to_date=&from_year=1997&to_year=1997&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=111&highlight_docid=atf%3A%2F%2F123-IV-155%3Ade&number_of_ranks=276&azaclir=clir | BGE_123_IV_155 |
|||
004d9e96-f49d-48e4-ada3-36ca78e2776b | 1 | 83 | 1,342,838 | 1,308,873,600,000 | 2,011 | de | Sachverhalt
ab Seite 178
BGE 137 IV 177 S. 178 | 17 | 12 | Am 22. März 2011 beantragte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft beim Zwangsmassnahmengericht Basel-Landschaft die Verlängerung der Untersuchungshaft von X. Am 4. April 2011 stellte X. bei der Staatsanwaltschaft ein Gesuch um Bewilligung des vorzeitigen Strafvollzugs. Am 5. April 2011 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft für die Dauer von acht Wochen bis zum 5. Juni 2011. Am 18. April 2011 erhob X. gegen diesen Entscheid Beschwerde an das Kantonsgericht Basel-Landschaft. Am 20. April 2011 erteilte die Staatsanwaltschaft X. die Bewilligung zum vorzeitigen Strafvollzug, woraufhin er am 3. Mai 2011 in den vorzeitigen Strafvollzug verlegt wurde. Auf die Beschwerde gegen die Verlängerung der Untersuchungshaft trat das Kantonsgericht mit Beschluss vom 10. Mai 2011 nicht ein. Gegen diesen Beschluss gelangt X. mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und er aus der Untersuchungshaft bzw. dem vorläufigen Strafvollzug zu entlassen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht schreibt die Beschwerde als gegenstandslos ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
(...)
2.1
Soll eine Person länger als vom Zwangsmassnahmengericht angeordnet (vgl.
Art. 226 Abs. 4 lit. a StPO
[SR 312.0]) oder länger als drei Monate in Untersuchungshaft bleiben, hat die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht von Amtes wegen ein Haftverlängerungsgesuch zu stellen (
Art. 227 Abs. 1 StPO
). Das Zwangsmassnahmengericht hat diesfalls in Anwendung von
Art. 227 Abs. 2 ff. StPO
darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Untersuchungshaft noch erfüllt sind. Da die
BGE 137 IV 177 S. 179
Untersuchungshaft gemäss
Art. 220 Abs. 1 StPO
mit dem vorzeitigen Antritt einer freiheitsentziehenden Sanktion endet, gelangt
Art. 227 StPO
nicht (mehr) zur Anwendung, wenn eine sich zuvor in Untersuchungshaft befindende Person vorzeitig ihre Strafe antritt. Ein analoges Verfahren, in welchem das Zwangsmassnahmengericht nach dem vorzeitigen Antritt des Strafvollzugs der beschuldigten Person von Amtes wegen periodisch darüber zu befinden hätte, ob die Haftvoraussetzungen noch erfüllt sind, sieht die Schweizerische Strafprozessordnung nicht vor (vgl. DONATSCH/HANSJAKOB/LIEBER, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 4 zu
Art. 236 StPO
). Ein allenfalls laufendes Verfahren gemäss
Art. 227 StPO
kann demzufolge gegenstandslos werden, wenn die sich in Untersuchungshaft befindende Person vorzeitig ihre Strafe antritt und das Interesse an der Überprüfung der Haftvoraussetzungen verliert. Ein Verlust des Rechtsschutzinteresses ist jedoch nicht zwingend. Der Häftling kann weiterhin in erster Linie die Entlassung aus der Haft anstreben und die Strafe vorzeitig antreten, weil er beispielsweise für den Fall des Scheiterns seiner Entlassungsbemühungen das Strafvollzugsregime vorzieht (vgl. zur Haft während der Strafverfolgung und im Strafvollzug
BGE 117 Ia 72
E. 1c und d S. 76 ff.).
2.2
Die Untersuchungshaft des Beschwerdeführers endete nach dem Gesagten am 3. Mai 2011 mit dem vorzeitigen Antritt des Strafvollzugs. Damit stellte sich für die Vorinstanz die Frage der Gegenstandslosigkeit des seinerzeit von der Staatsanwaltschaft von Amtes wegen eingeleiteten Verfahrens nach
Art. 227 StPO
.
Das Bundesgericht hat allerdings schon mehrmals Haftentlassungsbegehren materiell beurteilt, auch wenn die rechtliche Basis der Haft im Verlaufe des bei ihm hängigen Beschwerdeverfahrens geändert hatte (Urteil 1B_25/2011 vom 14. März 2011 E. 1.2 [Anordnung von Sicherheitshaft nach Anklageerhebung bei vorbestehender Untersuchungshaft]; Urteil 1B_9/2011 vom 7. Februar 2011 E. 1 [Ablösung einer altrechtlichen Untersuchungshaft durch Sicherheitshaft nach dem erstinstanzlichen Urteil]). Es hat sich bei diesem Vorgehen namentlich von den gesetzes- und verfassungsrechtlichen Vorgaben an das Beschleunigungsgebot (
Art. 5 Abs. 2 StPO
,
Art. 31 Abs. 4 BV
,
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
) und von prozessökonomischen Überlegungen leiten lassen (vgl.
BGE 136 I 274
E. 1.3 S. 276). Insoweit ist die Rüge des Beschwerdeführers, es führe zu unnötigen und zeitraubenden Weiterungen, wenn an Stelle des bereits hängigen Rechtsstreits um Verweigerung der Haftverlängerung ein neues
BGE 137 IV 177 S. 180
Haftentlassungsverfahren angehoben werden müsse, nicht unbegründet. Zu beachten ist aber, dass das Bundesgericht bzw. die kantonalen Behörden in den vergleichbaren Fällen über die verschiedenen parallel laufenden Demarchen orientiert und auf dem Laufenden gehalten wurden, was Voraussetzung für eine beschleunigte und optimierte Verfahrensabwicklung ist.
Es obliegt grundsätzlich den für die Verfahrensleitung zuständigen Behörden (
Art. 61 StPO
), das Bundesgericht während des hängigen Beschwerdeverfahrens über neue Entscheide wie etwa betreffend den vorzeitigen Strafantritt oder die Weiterführung oder Beendigung der Untersuchungshaft zu informieren. Zudem kann auch vom Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen Verfahren erwartet werden, dass er das Bundesgericht über seine Eingaben an die zuständigen Behörden orientiert, soweit sie für die Behandlung der beim Bundesgericht eingereichten Beschwerde relevant sein können. | 1,149 | 867 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-137-IV-177_2011-06-24 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=14&from_date=&to_date=&from_year=2011&to_year=2011&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=138&highlight_docid=atf%3A%2F%2F137-IV-177%3Ade&number_of_ranks=265&azaclir=clir | BGE_137_IV_177 |
|||
00529dcf-9a75-4d66-ad65-b5bd094dd1d6 | 2 | 82 | 1,353,710 | 1,321,920,000,000 | 2,011 | fr | Sachverhalt
ab Seite 614
BGE 137 III 614 S. 614
A.
A.a
A., né en 1955, et dame A., née en 1958, se sont mariés le 12 juin 1987 à Genève. De cette union est issue une fille, B., née en 1991.
BGE 137 III 614 S. 615
A.b
Le 22 avril 2008, A. a déposé une demande unilatérale en divorce devant le Tribunal civil de l'arrondissement de l'Est vaudois. Durant cette procédure, dame A. a requis des mesures provisionnelles. Les parties ont conclu une convention, où A. s'est engagé à verser une contribution mensuelle de 4'250 fr. pour sa famille. Par la suite, A. a déposé une requête de modification de ces mesures, suite à laquelle les parties ont conclu une convention réduisant la contribution précitée à 3'650 fr.
B.
B.a
Le 3 septembre 2010, A. a requis une nouvelle modification des mesures provisionnelles, concluant à ce que la contribution en faveur de sa famille soit réduite à 1'000 fr. par mois. Le Président du Tribunal civil de l'arrondissement de l'Est vaudois a partiellement admis la requête, condamnant A. à contribuer à l'entretien de son épouse et de sa fille majeure B., dès le 1
er
septembre 2010, par le versement d'une pension mensuelle de 1'900 fr.
B.b
Statuant sur appel de dame A., le Juge délégué de la Cour d'appel civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud a, par arrêt du 4 avril 2011, réformé l'ordonnance attaquée en ce sens que la requête de modification des mesures provisionnelles formée le 3 septembre 2010 par A. est rejetée.
C.
Par mémoire posté le 3 mai 2011, A. interjette un recours en matière civile contre cet arrêt. Invitée à déposer ses observations, dame A. a conclu à ce que la cause soit rayée du rôle, faute de litispendance de l'action en divorce, subsidiairement à ce que le recours soit rejeté.
(résumé) | 680 | 367 | Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
En premier lieu, il faut examiner si, comme le soutient l'intimée, la cause doit être rayée du rôle, parce que la procédure de divorce devrait, selon elle, l'être prochainement.
3.1
3.1.1
Il ressort du dossier judiciaire que, le 22 avril 2008, le recourant a déposé une requête unilatérale en divorce, concluant notamment à la dissolution du mariage. Dans sa réponse du 28 mai 2008, l'intimée s'est opposée au divorce, soutenant que le délai de deux ans de l'
art. 114 CC
n'était pas écoulé. Elle a alors demandé que les conclusions prises par le demandeur soient écartées.
BGE 137 III 614 S. 616
3.1.2
Dans ses observations du 4 août 2011, l'intimée expose qu'en date du 30 juin 2011, le recourant a passé expédient sur les conclusions qu'elle a prises dans sa réponse à la demande en divorce et qu'il a requis la radiation de la cause du rôle. Elle soutient que la procédure de divorce serait dès lors éteinte et que le recours sur mesures provisionnelles pendant devant le Tribunal fédéral n'aurait plus d'objet, faute de litispendance de la procédure de divorce.
Pour sa part, le recourant ne conteste pas son passé-expédient. Il relève néanmoins que, même si la cause de divorce est rayée du rôle, il conserve un intérêt à connaître la quotité de la contribution d'entretien due à sa famille et déclare donc maintenir son recours.
3.2
3.2.1
En principe, les faits et moyens de preuve nouveaux, ainsi que les conclusions nouvelles, ne peuvent pas être présentés dans le recours en matière civile de l'
art. 98 LTF
(cf. consid. 2 non publié in fine). Comme dans le recours des
art. 95-97 LTF
, en lien avec l'
art. 99 LTF
, il y a toutefois des exceptions; il est notamment possible d'invoquer et de prouver des faits nouveaux qui rendent le recours sans objet (BERNARD CORBOZ, in Commentaire de la LTF, 2009, n° 22 ad
art. 99 LTF
).
3.2.2
Dès le début de la litispendance, chaque époux peut mettre fin à la vie commune pendant la durée du procès et demander au juge des mesures provisionnelles d'ordonner toutes les mesures nécessaires à l'organisation de la vie séparée (cf. ancien
art. 137 al. 1 et 2 CC
, correspondant, depuis le 1
er
janvier 2011, aux
art. 275 et 276 al. 1 CPC
). Avant que l'action en divorce ne soit pendante, c'est le juge des mesures protectrices de l'union conjugale qui est compétent pour le faire. Les mesures protectrices que ce juge a ordonnées déploient encore leurs effets pendant la procédure de divorce, si elles ne sont pas modifiées par des mesures provisionnelles (
ATF 129 III 60
consid. 2; arrêts 5A_182/2007 du 11 juin 2007 consid. 2.1; 5A_183/2010 du 19 avril 2010 consid. 3.3.1). Les compétences respectives du juge des mesures protectrices et du juge des mesures provisionnelles dépendent donc du moment où débute la litispendance de l'action en divorce. En revanche, les effets des mesures protectrices ordonnées pour l'organisation de la vie séparée perdurent au-delà de cette litispendance. Il doit en aller de même dans le cas inverse, soit lorsque des mesures provisionnelles ont été ordonnées alors que l'action en divorce était pendante. Si la litispendance cesse, sans toutefois qu'un jugement de divorce n'ait été rendu, le juge des mesures
BGE 137 III 614 S. 617
provisionnelles n'est plus compétent pour modifier ces mesures; seul le juge des mesures protectrices l'est désormais, aux conditions de l'
art. 179 al. 1 CC
. Néanmoins, les effets des mesures provisionnelles ordonnées pour la durée de la vie séparée perdurent tant que les parties demeurent séparées et que le juge des mesures protectrices ne les a pas modifiées sur requête des parties.
3.3
En l'espèce, même si la procédure de divorce devait être rayée du rôle, suite au passé-expédient du défendeur, les mesures provisionnelles ordonnées alors que cette action était pendante continueraient à déployer leurs effets tant que les époux restent séparés. Il y a donc lieu de statuer sur le recours interjeté. | 1,504 | 802 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-137-III-614_2011-11-22 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=4&from_date=&to_date=&from_year=2011&to_year=2011&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=35&highlight_docid=atf%3A%2F%2F137-III-614%3Ade&number_of_ranks=265&azaclir=clir | BGE_137_III_614 |
|||
0052f8ef-d7d2-4690-9b5f-7c4df3517dbf | 3 | 82 | 1,339,776 | null | 2,024 | it | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 122 III 145 S. 146
A.-
Nel 1983 la B. SA ha costituito in proprietà per piani (PPP) la sua particella n. XX RFD di Bellinzona, su cui sorge uno stabile di appartamenti. Tutti i posteggi siti sul fondo base, ossia dieci coperti e quattordici scoperti, sono stati concessi in diritto d'uso particolare alla quota di comproprietà per piani n. YY, conformemente all'atto di costituzione e alla tabella di assegnazione planimetrica annessa al regolamento per l'uso e l'amministrazione della proprietà per piani, menzionato a registro fondiario.
La B. SA ha poi venduto tutte le unità di PPP, attribuendo, agli acquirenti che lo desideravano, uno o più posteggi in uso particolare scorporandoli dal foglio PPP n. YY cui erano inizialmente attribuiti e trasferendoli sulla quota venduta. Al momento della vendita, il foglio PPP n. YY è stato svincolato dai rimanenti diritti d'uso particolare sui posteggi, che sono stati trasferiti sul foglio PPP n. XX e, in seguito, sul foglio PPP n. ZZ, rimasto di proprietà della B. SA. Nel 1986 la società ha venduto quest'ultima quota di PPP ancora di sua proprietà - comprensiva di tutti i posteggi non ancora assegnati fino ad allora, ossia quattro posteggi coperti e dieci scoperti - a A. Tutte le nuove assegnazioni dei posteggi sono state menzionate a registro fondiario con riferimento ai documenti giustificativi.
B.-
Con petizione 30 ottobre 1990 la comunione dei comproprietari ha promosso nei confronti dei condomini titolari di diritti d'uso particolare su posteggi, dei loro successori in diritto e della citata società, un'azione volta a ordinare all'ufficiale del registro fondiario - accertata la nullità dei singoli contratti di compravendita dei posteggi - di correggere le avvenute menzioni nel senso che tutti i posteggi siano assegnati al foglio PPP n. YY, subordinatamente di accertare che i trapassi dei posteggi sono avvenuti in violazione del regolamento. Con sentenza 29 novembre 1993, il Pretore del Distretto di Bellinzona ha respinto la petizione. Statuendo il 31 ottobre 1995, la I Camera civile del Tribunale d'appello del Cantone Ticino, adita dall'attrice, ha accolto l'appello assegnandole quanto chiesto nelle conclusioni principali.
C.-
Insorta al Tribunale federale con un ricorso per riforma, A. postula che la petizione sia respinta. L'attrice conclude per la reiezione del gravame e la conferma della sentenza impugnata. | 891 | 423 | Erwägungen
Considerando in diritto:
3.
a) I posteggi all'aperto non possono essere oggetto di un diritto esclusivo dal momento ch'essi costituiscono imperativamente parti comuni in
BGE 122 III 145 S. 147
virtù dell'
art. 712b cpv. 2 n. 1 CC
(PAUL-HENRI STEINAUER, Questions choisies en rapport avec la propriété par étages, in Revue valaisanne de jurisprudence, 25/1991 pag. 285 segg., in particolare 291; ARTHUR MEIER-HAYOZ/HEINZ REY, Commentario bernese, vol. IV/1/5, 1988, n. 56 ad
art. 712b CC
; ROLF H. WEBER, Die Stockwerkeigentümergemeinschaft, tesi Zurigo 1979, pag. 169; DIETER ZOBL, Rechtsfragen zur Sondernutzung von Autoabstellplätzen bei Stockwerkeigentum, in Mélanges Jacques-Michel Grossen, 1992, pag. 285 segg., in particolare 285; JEAN RUEDIN, Fragen um Autoabstellplätze, in Diggelmann/Kunz/Peter-Ruetschi, Aktuelles Stockwerkeigentum, 1984, pag. 162 segg., in particolare pag. 163). I posteggi coperti possono essere oggetto di un diritto esclusivo soltanto se costituiscono un tutto (
art. 712b cpv. 1 CC
), ossia unicamente se essi sono isolati gli uni dagli altri mediante muri o per lo meno con grate che possono essere chiuse (STEINAUER, loc.cit., pag. 293; MEIER-HAYOZ/REY, loc.cit.; WEBER, op.cit., pag. 118; ZOBL, loc.cit.; RUEDIN, loc.cit.).
b) Nella realtà accade spesso che il promotore di uno stabile destinato a proprietà per piani si riservi, all'atto della costituzione della PPP, parecchi diritti di posteggio in uso particolare, che trasferirà poi a seconda delle richieste degli interessati e di regola mediante controprestazione, al momento della vendita delle singole unità di PPP. Il diritto d'uso particolare sul posteggio viene così determinato all'atto della vendita di ogni singola unità di PPP. Secondo la dottrina non occorre che all'atto della costituzione della PPP tutti questi diritti d'uso particolare siano attribuiti a un'unità di PPP, come in concreto avvenuto, ma basta che tale facoltà venga prevista nel regolamento (ZOBL, op.cit., pag. 292 n. 4; WEBER, op.cit., pag. 182). Un siffatto sistema permette di tener conto, man mano che si procede alla vendita delle singole unità di PPP, dei bisogni individuali degli acquirenti (WEBER, loc.cit.); ciò ha come conseguenza, tuttavia, che tutti i posteggi non ancora assegnati il giorno della vendita dell'ultima unità di PPP rimangono, come nella presente fattispecie, all'acquirente di tale unità condominiale.
4.
a) Il Tribunale federale non ha invece ancora avuto occasione di decidere se un diritto d'uso particolare possa essere ceduto anche da un singolo comproprietario e, all'occorrenza, se una cessione del genere richieda il consenso dell'assemblea dei comproprietari. In
DTF 115 II 340
esso ha lasciato aperta la questione di sapere se, per principio, un comproprietario possa cedere un tale diritto a terzi estranei alla comunione dei condomini senza la contemporanea alienazione allo stesso
BGE 122 III 145 S. 148
soggetto giuridico della propria quota di comproprietà. Ha nondimeno sottolineato che un'operazione del genere non potrebbe avvenire senza il permesso dell'assemblea dei comproprietari. Si tratta infatti di evitare che terzi estranei alla comunione dei comproprietari possano acquisire diritti con efficacia reale da esercitare su parti comuni mediante l'accordo di un solo condomino. In effetti, secondo l'
art. 648 cpv. 2 CC
, occorre l'assenso di tutti per costituire tali diritti, a meno che i comproprietari abbiano unanimemente stabilito un'altra disciplina (consid. 2c).
b) I diritti d'uso particolare sono diritti d'utilizzazione su una parte comune che hanno una funzione esclusiva nei confronti degli altri comproprietari non autorizzati; questi sono tenuti, sulla base di un'obbligazione personale, a rispettare il diritto d'uso particolare e a permetterne l'utilizzazione prevista (MEIER-HAYOZ/REY, op.cit., n. 45 ad
art. 712g CC
). I diritti d'uso particolare non sono dei diritti reali, ma diritti personali rafforzati, poiché fissati nel regolamento di una comproprietà e risultando, pertanto, nei loro effetti, assai simili ai diritti reali (MEIER-HAYOZ/REY, op.cit., n. 46 ad
art. 712g CC
; ZOBL, op.cit., pag. 290 nota a piè di pagina n. 29; HANS-PETER FRIEDRICH, Das Stockwerkeigentum, Reglement für die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer, 2a ed. 1972, pag. 54). Quando, come nella fattispecie concreta, la titolarità di un diritto d'uso particolare è stabilita in relazione alla proprietà di taluna o talaltra unità di PPP, si è in presenza di un'obbligazione reale, o un'obbligazione propter rem (WEBER, op.cit., pag. 190). In caso di trasferimento del diritto reale di cui la titolarità determina il beneficiario di un diritto personale propter rem, la cessione di questo non risulta dagli art. 164 segg. CO, poiché il credito propter rem, in quel caso, segue il diritto reale (EUGEN SPIRIG, Commentario zurighese, vol. V/1k, 1993, premessa ad art. 164-174, n. 219; EUGEN BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2a ed. 1988, pag. 536). Gli art. 164 segg. CO sono applicabili, per contro, in caso di cessione di un credito propter rem senza trasferimento del diritto reale al quale questo è collegato.
c) Secondo l'
art. 164 cpv. 1 CO
, il creditore può cedere ad altri il suo credito anche senza il consenso del debitore, se non vi osta la legge, la convenzione o la natura del rapporto giuridico. Nessuna norma legale impedisce la cessione tra comproprietari per piani di un diritto d'uso particolare su una parte comune. Nemmeno dagli accertamenti dell'autorità cantonale risulta che una tale cessione sia vietata dal regolamento per
BGE 122 III 145 S. 149
l'amministrazione e l'uso della proprietà per piani. Occorre quindi esaminare se una tale cessione è esclusa dalla natura del rapporto giuridico. Secondo la giurisprudenza, la cessione di un diritto senza il consenso del debitore è vietata con riferimento a quest'ultimo aspetto qualora il credito sia intensamente legato alla persona del creditore, la cui sostituzione implicherebbe un cambiamento del carattere, del contenuto o dello scopo dell'obbligazione; in particolare la cessione è esclusa quando il cambiamento del creditore comporta un aggravio della posizione del debitore (
DTF 109 II 445
e riferimenti; cfr. SPIRIG, op.cit., n. 161 ad art. 164).
Un diritto d'uso particolare concesso al proprietario di una specifica unità condominiale su una parte comune ha come unico effetto di escluderne - nella misura fissata dall'estensione di questo diritto - l'utilizzazione da parte degli altri comproprietari, in deroga all'
art. 648 cpv. 1 CC
. Un cambiamento della titolarità di un tale diritto nell'ambito della comunità della PPP non modifica né la natura, né il contenuto, né lo scopo dell'obbligazione degli altri membri della comunione dei comproprietari per piani; questi rimangono esclusi nella stessa misura dall'uso particolare riservato al solo comproprietario autorizzato (cfr. la decisione del "Bundesgerichtshof" del 24 novembre 1978 citata da WEBER, op.cit., pag. 171 seg.). La circostanza che la cessione di un diritto d'uso particolare a un altro comproprietario potrebbe perturbare l'equilibrio all'interno della comunione dei comproprietari (cfr. ZOBL, op.cit., pag. 290 nota a piè di pagina n. 29) non è decisiva. In effetti, se è vero che la comproprietà per piani presenta, oltre a una componente reale, anche una componente personale o comunitaria (MEIER-HAYOZ/REY, op.cit., premessa ad art. 712a-712t, n. 43), è altrettanto vero che la sua funzione si limita alla disposizione, all'utilizzazione, all'amministrazione e al mantenimento del valore economico del bene immobile comune (MEIER-HAYOZ/REY, op.cit., premessa ad art. 712a-712t, n. 50). Il vincolo istituito dalla legge tra i comproprietari per piani non è così stretto da implicare l'approvazione dell'assemblea dei comproprietari di ogni atto idoneo a modificare l'equilibrio all'interno della comunione. Inoltre, contrariamente all'alienazione parziale di un'unità condominiale, che presuppone necessariamente - dato il legame indissolubile tra la quota di comproprietà e il diritto esclusivo - l'alienazione simultanea di una quota di comproprietà (MEIER-HAYOZ/REY, op.cit., n. 32 ad art. 712e; WEBER, op.cit., pag. 156), la cessione di un diritto d'uso particolare di natura
BGE 122 III 145 S. 150
personale non richiede l'alienazione di una quota di comproprietà. Pertanto, essa non comporta imperativamente una modificazione delle quote di valore che richiederebbe, per la sua validità, oltre al consenso di tutti gli interessati diretti, l'approvazione dell'assemblea dei comproprietari (
art. 712e cpv. 2 CC
).
d) Da queste considerazioni discende che il proprietario di un'unità condominiale titolare, propter rem, di un diritto d'uso particolare su una parte comune può cedere questo diritto a un comproprietario per piani senza il consenso dell'assemblea dei comproprietari, salvo convenzione contraria. Una cessione del genere non è vietata né dalla legge, né dalla natura dei rapporti tra comproprietari per piani. È quindi a torto che la Corte cantonale ha accolto la petizione dell'attrice e ordinato all'Ufficiale dei registri di Bellinzona di cancellare dai fogli delle singole quote di PPP del fondo base n. XX RFD di Bellinzona le menzioni relative ai diritti d'uso particolare sui posteggi. La sentenza impugnata deve quindi essere riformata nel senso che la petizione è respinta. Diventa di conseguenza superfluo esaminare le ulteriori censure sollevate dalla ricorrente, segnatamente quelle inerenti all'asserita carenza della legittimazione attiva dell'attrice e all'abuso di diritto della stessa. | 3,655 | 1,798 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-122-III-145_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=27&from_date=&to_date=&from_year=1996&to_year=1996&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=262&highlight_docid=atf%3A%2F%2F122-III-145%3Ade&number_of_ranks=331&azaclir=clir | BGE_122_III_145 |
|||
0054b465-c948-44aa-9416-17ba08425f6f | 1 | 83 | 1,350,436 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 60
BGE 101 IV 60 S. 60
A.-
X. beschloss, als seine Einzelfirma Ende 1963 eine Überschuldung von mehr als Fr. 140'000.-- aufwies, unter Beizug neuer Kapitalgeber eine Aktiengesellschaft zu gründen. Dabei erklärte er am 14. Januar 1964 dem Notar, der die Gründungsurkunde erstellte, dass die Sacheinlage und der von ihm bei der kantonalen Depositenstelle einbezahlte Betrag zur freien Verfügung der künftigen Aktiengesellschaft ständen. Indessen hatte X. von Anfang an die Absicht, die eingebrachten Vermögenswerte für die Bezahlung der Schulden seiner Einzelfirma zu verwenden. In der Folge gelang es ihm auch, mit der erlangten Urkunde die Eintragung der neuen Gesellschaft ins Handelsregister zu erwirken.
B.-
Mit Urteil vom 13. November 1974 sprach die Kriminalkammer des Kantons Thurgau X. des gewerbsmässigen Betruges, der Erschleichung einer falschen Beurkundung sowie weiterer Delikte schuldig und verurteilte ihn zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren und einer Busse von Fr. 1'000.--.
BGE 101 IV 60 S. 61
C.-
X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, ihn von der Anklage der Erschleichung einer falschen Beurkundung freizusprechen. | 268 | 194 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die öffentliche Urkunde über die Gründung einer Aktiengesellschaft ist sowohl geeignet als auch bestimmt, die von den Gründern darin bestätigten Angaben (
Art. 638 Abs. 2 OR
) zu beweisen. Damit stellt sie eine Urkunde im Sinne von
Art. 110 Ziff. 5 StGB
dar, auch wenn die Urkundsperson die bestätigten Tatsachen nicht überprüft oder überprüfen kann (
BGE 81 IV 243
).
b) Die vom Notar am 14. Januar 1964 öffentlich beurkundete Tatsache, dass die Einlagen des Beschwerdeführers "zur freien Verfügung" der neuen Aktiengesellschaft standen, war offensichtlich falsch. Denn X. hatte - wie die Vorinstanz verbindlich feststellt (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) - von Anfang an die Absicht, als Mehrheitsaktionär und einzelzeichnungsberechtigter Präsident des Verwaltungsrates die eingebrachten Vermögenswerte zur Tilgung seiner Schulden aus der Einzelfirma zu verwenden. Eine Verfügungsfreiheit der Gesellschaft über die Einlagen war auch schon deshalb nicht gegeben, weil die in der Beurkundung vom 14. Januar 1964 nicht erwähnte Überschuldung der eingebrachten Einzelfirma paulianische Ansprüche der Gläubiger hätte auslösen können (
Art. 285 ff. SchKG
; A. VON TUHR/A. ESCHER, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, Zürich 1974, S. 396 oben).
Indem der Beschwerdeführer die Überschuldung der Einzelfirma und seine Absichten über die künftige Verwendung der Einlagen in die neue Aktiengesellschaft pflichtwidrig verschwieg, hat er den Notar, der nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz bei Kenntnis des wahren Sachverhaltes die betreffende Beurkundung nicht vorgenommen hätte, getäuscht. Die Verpflichtung zu einer wahrheitsgemässen Orientierung des Notars ergibt sich sowohl aus
Art. 638 Abs. 2 Ziff. 2 OR
als auch aus Art. 81 Abs. 3 HRV. Da nun aber zumindest die in die Aktiengesellschaft eingebrachten Baumspritzen, Maschinen und Werkzeuge sowie die Liegenschaft im Zusammenhang mit den Schulden der Einzelfirma standen,
BGE 101 IV 60 S. 62
hätte X. die Existenz dieser Passiven und seine Absicht, dieselben mit den eingebrachten Mitteln zu tilgen, bekannt geben müssen. Dieser Sachverhalt war sowohl für die Mitgründer der neuen Aktiengesellschaft als auch für deren künftige Gläubiger von so grosser Bedeutung, dass er in den Gesellschaftsstatuten hätte klar zum Ausdruck gebracht werden müssen, womit er auch dem beurkundenden Notar zur Kenntnis gelangt wäre (vgl. A. SIEGWART, Zürcher Kommentar,
Art. 638 OR
, N. 6 u. 9 sowie
Art. 628 OR
, N. 27 u. 31). Der Beschwerdeführer hat indessen den falschen Eindruck erweckt, der neuen Gesellschaft stehe über die ihr zukommenden Mittel die freie Verfügungsgewalt zu. Dieses Verhalten stellt in objektiver Hinsicht eine Erschleichung einer falschen Beurkundung gemäss
Art. 253 Abs. 1 StGB
dar. | 626 | 496 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | 21 | 13 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-101-IV-60_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=34&from_date=&to_date=&from_year=1975&to_year=1975&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=340&highlight_docid=atf%3A%2F%2F101-IV-60%3Ade&number_of_ranks=408&azaclir=clir | BGE_101_IV_60 |
||
0056bb73-edd2-42db-b518-b6b86b912dbd | 3 | 82 | 1,351,705 | null | 2,024 | it | Sachverhalt
ab Seite 343
BGE 140 III 343 S. 343
A. è la madre di C., nato nel 2003 da una relazione con B.
Con ricorso in materia civile 10 luglio 2013 B. si è aggravato al Tribunale federale, chiedendo la riforma della sentenza emanata il 5 giugno 2013 dal Presidente della Camera di protezione del Tribunale d'appello del Cantone Ticino nel senso di ordinare a A. di consegnare all'altro genitore i rapporti di tutti gli istituti scolastici che C. frequenterà.
Il Tribunale federale ha respinto il ricorso nella misura in cui era ammissibile.
(riassunto) | 206 | 109 | Erwägungen
Dai considerandi:
2.
2.1
Oggetto del presente litigio è la richiesta del ricorrente di ordinare all'opponente, detentrice dell'autorità parentale, di consegnargli i rapporti scolastici del figlio.
L'
art. 275a CC
prevede che i genitori senza autorità parentale devono essere informati sugli avvenimenti particolari sopraggiunti nella vita del figlio e devono essere sentiti prima di decisioni importanti per lo sviluppo del figlio (cpv. 1); essi, alla stregua del detentore dell'autorità parentale, possono chiedere ai terzi che partecipano alle cure del figlio, segnatamente ai docenti e ai medici, informazioni sullo stato e sullo sviluppo di costui (cpv. 2).
BGE 140 III 343 S. 344
L'obbligo del genitore detentore dell'autorità parentale di informare l'altro genitore secondo l'
art. 275a cpv. 1 CC
non è imperativo. Esso non esiste allorquando il genitore privo dell'autorità parentale non si preoccupa del benessere del figlio, in particolare se non esercita o esercita poco il suo diritto di visita. A seconda delle circostanze, e segnatamente in caso di conflitto grave e persistente tra i genitori, è inoltre possibile che tale obbligo non possa essere imposto al genitore titolare dell'autorità parentale. In virtù dell'
art. 275a cpv. 2 CC
al genitore senza autorità parentale resta però riservato il diritto di informarsi direttamente presso i terzi che partecipano alle cure del figlio e di ricevere da essi gli schiarimenti dovuti al genitore titolare dell'autorità parentale (v. Messaggio del 15 novembre 1995 sulla revisione del Codice civile svizzero, FF 1996 I 176 n. 244.2; BÜCHLER/WIRZ, in Scheidung, vol. I, 2
a
ed. 2011, n. 7, 8 e 10 ad
art. 275a CC
; INGEBORG SCHWENZER, in Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, vol. I, 4
a
ed. 2010, n. 6 e 7 ad
art. 275a CC
; AUDREY LEUBA, in Commentaire romand, Code civil, vol. I, 2010, n. 7-9 ad
art. 275a CC
; THOMAS GEISER, Informations-, Anhörungs- und Auskunftsrecht des nicht sorgeberechtigten Elternteils, in FamPra.ch 1/2012 pagg. 11-12). | 760 | 417 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-140-III-343_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=17&from_date=&to_date=&from_year=2014&to_year=2014&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=163&highlight_docid=atf%3A%2F%2F140-III-343%3Ade&number_of_ranks=268&azaclir=clir | BGE_140_III_343 |
|||
00585dfc-a1dd-4dde-a12f-e6e2b39790a6 | 1 | 81 | 1,349,933 | -378,691,200,000 | 1,958 | de | Sachverhalt
ab Seite 459
BGE 84 II 459 S. 459
A.-
In einem Prozess aus dem Gebiete des Sachenrechts hatte das Kantonsgericht Schwyz durch Urteil vom 24. März 1958 eine vom Kläger Lüdemann gegen den Bezirk Küssnacht erhobene Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil reichte Lüdemann Berufung und staatsrechtliche Beschwerde ein. Die II. Zivilabteilung wies beide Rechtsmittel mit Urteilen vom 11. Juli 1958 ab.
B.-
Gegen das die Berufung abweisende Urteil der II. Zivilabteilung reichte Lüdemann ein Revisionsgesuch ein, zu dessen Begründung er sich u.a. auf
Art. 22 Abs. 1 lit. b und
Art. 28 OG
berief. Das Bundesgericht verneint das Vorliegen dieses Revisionsgrundes mit folgenden | 161 | 123 | Erwägungen
Erwägungen:
1.
Art. 22 Abs. 1 lit. b OG
verbietet einem Mitglied des Bundesgerichtes, sein Amt in einer Angelegenheit auszuüben, in der es schon in einer anderen Stellung, wie z.B.
BGE 84 II 459 S. 460
als Mitglied einer administrativen oder richterlichen Behörde, gehandelt hat. Der Revisionskläger macht geltend, diese Bestimmung sei im vorliegenden Falle dadurch verletzt worden, dass vier Mitglieder der II. Zivilabteilung, die schon bei der Behandlung der staatsrechtlichen Beschwerde beteiligt gewesen seien, dann auch noch im Berufungsverfahren geamtet hätten.
2.
Es ist vorweg zu prüfen, wer über diesen Teil des Revisionsgesuches zu erkennen hat.
Da ein gesetzlicher Ausschliessungsgrund geltend gemacht wird, dürfen gemäss
Art. 26 Abs. 1 OG
die Mitglieder der II. Zivilabteilung, die in dieser Sache geamtet haben, beim Entscheid über die Begründetheit dieser Rüge nicht mitwirrken. Es drängt sich daher auf, die I. Zivilabteilung, konstituiert als ausserordentliche II. Zivilabteilung, darüber erkennen zu lassen, ob eine Verletzung des
Art. 22 Abs. 1 lit. b OG
vorliege.
Der Revisionskläger glaubt zwar, diese Beurteilung sei Sache des Gesamtgerichtes. Er beruft sich auf
Art. 11 Abs. 1 lit. b OG
, wonach die Erledigung von Angelegenheiten, welche die Organisation oder die Verwaltung des Gerichts betreffen, dem Gesamtgericht vorbehalten bleibt.
Bei weitherziger Auslegung dieser Bestimmung lässt sich zur Not die Auffassung vertreten, man habe es im vorliegenden Fall mit einer Frage der Organisation des Gerichtes zu tun. Denn letzten Endes geht es um die Zulässigkeit der Ordnung, wie sie in Art. 2 Ziff. 1 Abs. 2 des Bundesgerichtsreglementes vom 21. Oktober 1944 vorgesehen ist:
"Wird neben einer Berufung (
Art. 43 ff. OG
) oder einer Nichtigkeitsbeschwerde in Zivil- oder Strafsachen (
Art. 68 ff. OG
,
Art. 268 ff. BStP
) auf die einzutreten ist, in gleicher Sache eine staatsrechtliche Beschwerde ergriffen wegen Verstössen im Beweisverfahren hinsichtlich Tatsachen, die mit dem Zivil- bzw. Strafverfahren im Zusammenhang stehen, so wird sie ebenfalls durch die betreffende Zivilabteilung bzw. den Kassationshof beurteilt."
Es kann aber natürlich nicht der Sinn des
Art. 11 Abs. 1 lit. b OG
sein, dass das Bundesgericht als Gesamtgericht
BGE 84 II 459 S. 461
einen konkreten Fall, in welchem ein bundesrechtliches Rechtsmittel ergriffen worden ist, zu beurteilen habe.
3.
Zur Begründung des Standpunktes, Art. 2 Ziff. 1 Abs. 2 des Bundesgerichtsreglementes sei unzulässig, macht der Revisionskläger geltend, im OG von 1874 habe die dem heutigen Art. 22 Abs. 1 lit b entsprechende Bestimmung den folgenden Wortlaut gehabt:
"Ein Bundesrichter ... darf das Richteramt nicht ausüben ... in einer Angelegenheit, mit Beziehung auf welche er bereits in einer andern Abteilung des Bundesgerichtes ... gehandelt hat."
Wenn eine Abteilung des Gerichtes diesem Verbot aus dem Wege gehen wollte, indem sie sich selber als "andere Abteilung" konstituierte, so würde das nach der Auffassung des Revisionsklägers einer Umgehung des Gesetzes gleichkommen. Im Laufe der verschiedenen Revisionen des OG habe sich der Wortlaut der Bestimmung allerdings etwas geändert. Die Meinung des Gesetzgebers sei aber die gleiche geblieben, was schon daraus hervorgehe, dass der Bundesrat in seinen Botschaften für die Umformulierung gar keine weiteren Erläuterungen als nötig erachtet, diese also als rein redaktioneller Art angesehen habe (BBl 1892 II 291, 1943 I 111).
Das OG von 1874 enthielt jedoch in Wirklichkeit eine Bestimmung des vom Revisionskläger behaupteten Wortlauts nicht. Lediglich der bundesrätliche Entwurf hatte in Art. 14 eine derartige Ordnung vorgesehen (BBl 1874 I S. 1086). Diese wurde dann aber nicht Gesetz, sondern dieses wies in Art. 16 Ziff. 3 eine im wesentlichen dem heutigen Recht entsprechende Bestimmung auf (AS nF 1 S. 140). Dagegen wurde im Abschnitt über die Strafrechtspflege des OG von 1874 (und mithin auf diese beschränkt) als Art. 34 Abs. 2 die Bestimmung aufgestellt, kein Richter könne in einer und derselben Sache in mehreren Abteilungen des Bundesgerichtes sitzen. Allein diese Bestimmung ist inzwischen auf die in den
Art. 1 Abs. 1 Ziff. 4 und
Art. 2 Abs. 4 BStP
enthaltenen Verbote zusammengeschmolzen, wonach kein Mitglied der Anklagekammer
BGE 84 II 459 S. 462
dem Bundesstrafgericht und kein Mitglied der Anklagekammer und des Bundesstrafgerichts dem ausserordentlichen Kassationshof angehören darf.
Auf die historische Entwicklung kann sich der Revisionskläger zur Begründung seiner Auffassung somit nicht berufen.
4.
Was sodann die Auslegung des
Art. 22 Abs. 1 lit. b OG
anbelangt, so hat diese Gesetzesbestimmung, soweit sie von einer früheren richterlichen Tätigkeit eines Bundesrichters spricht, von vorneherein nur die Fälle im Auge, in denen ein Mitglied des Bundesgerichts zuvor schon in anderer Stellung als der eines Bundesrichters gehandelt hat. Sie wird ergänzt durch verschiedene abschliessende Gesetzesbestimmungen, die ausdrücklich festlegen, in welchen Fällen ein Bundesrichter wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Abteilung nicht in einer andern Abteilung amten darf (BStP Art. 1 Abs. 1 Ziff. 4, Art. 2 Abs. 4; vgl. oben Erw. 3). Dazu kommt noch die Bestimmung des
Art. 26 Abs. 1 OG
über den Ausschluss eines Richters, wenn zur Entscheidung steht, ob in seiner Person ein Ausstandsgrund verwirklicht sei. Darüber hinaus kennt das Gesetz keine Verbote der Mitwirrkung in verschiedenen Abteilungen. Deshalb ist denn auch in ständiger Rechtsprechung immer angenommen worden, eine bundesgerichtliche Abteilung dürfe im Revisionsverfahren nach Massgabe der
Art. 136 ff. OG
ihre eigene Rechtsmittelinstanz sein. Der Gesetzgeber traut dem Bundesrichter hier eben zu, dass er sogar seinen eigenen Entscheidungen gegenüber völlig objektiv bleibe und gegebenenfalls z.B. ein offensichtliches Versehen im Sinne von
Art. 136 lit. d OG
zugebe und korrigiere. Um so eher muss natürlich eine Gerichtsabteilung zuständig sein, zwei gegen dasselbe kantonale Urteil ergriffene eidgenössische Rechtsmittel zu beurteilen. Denn hier sind ja Konflikte, wie sie bei der Beurteilung eines Revisionsgesuchs gegen das Urteil der eigenen Abteilung allenfalls noch denkbar sein mögen, von vorneherein ausgeschlossen. Es treten lediglich
BGE 84 II 459 S. 463
neben Anfechtungsgründe, die durch das eine Rechtsmittel geltend zu machen sind, noch weitere hinzu, die durch das andere gerügt werden müssen. Es wäre daher an sich sogar denkbar, dass der Gesetzgeber die Ausfällung eines einzigen bundesgerichtlichen Entscheides vorsehen könnte, was er offensichtlich nur aus äusserlichen Ordnungsgründen nicht getan hat. Davon, dass ein Bundesrichter, der bei der Beurteilung einer staatsrechtlichen Beschwerde mitgewirkt hat, deshalb auch nur im geringsten Masse bei der anschliessenden Beurteilung einer Berufung als befangen zu erscheinen vermöchte, kann ernsthaft gar nicht die Rede sein.
Die Ordnung gemäss Art. 2 Ziff. 1 Abs. 2 des Bundesgerichtsreglementes verstösst somit in keiner Weise gegen das Gesetz. | 1,522 | 1,250 | 2 | 0 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-84-II-459_1958 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=2&from_date=&to_date=&from_year=1958&to_year=1958&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=16&highlight_docid=atf%3A%2F%2F84-II-459%3Ade&number_of_ranks=206&azaclir=clir | BGE_84_II_459 |
|||
005c2ba4-b801-47d8-9205-d2b2dcce696a | 1 | 82 | 1,337,163 | 1,483,228,800,000 | 2,017 | de | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 154
BGE 143 III 153 S. 154
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
Nach
Art. 312 ZPO
stellt die Rechtsmittelinstanz die Berufung der Gegenpartei zur schriftlichen Stellungnahme zu, es sei denn, die Berufung sei offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet; die Frist für die Berufungsantwort beträgt 30 Tage. Nach
Art. 313 Abs. 1 ZPO
kann die Gegenpartei in der Berufungsantwort Anschlussberufung erheben; diese fällt nach
Art. 313 Abs. 2 ZPO
dahin, wenn (a) die Rechtsmittelinstanz nicht auf die Berufung eintritt oder (b) diese als offensichtlich unbegründet abweist oder wenn (c) die Berufung vor Beginn der Urteilsberatung zurückgezogen wird.
4.2
Die Anschlussberufung ist das Rechtsmittel, mit dem der Berufungsbeklagte in einem vom Berufungskläger bereits eingeleiteten Berufungsverfahren beantragt, dass der angefochtene Entscheid zuungunsten des Berufungsklägers abgeändert wird. Die Anschlussberufung ist nicht auf den Gegenstand der Berufung beschränkt und kann sich demnach auf einen beliebigen, mit diesem nicht notwendig in Zusammenhang stehenden Teil des Urteils beziehen (
BGE 138 III 788
E. 4.4 S. 790 f.). Sie hat jedoch keine selbstständige Wirkung; zieht der Berufungskläger die Berufung zurück, fällt die Anschlussberufung dahin. Die Anschlussberufung ist deshalb ein Verteidigungs- oder Gegenangriffsmittel bzw. eine Option zum Gegenangriff der berufungsbeklagten Partei (
BGE 141 III 302
E. 2.2 S. 305; Urteil 4A_241/2014 vom 21. November 2014 E. 2.2).
4.3
Die Anschlussberufung dient dazu, die Berufung führende Partei mit dem Risiko einer Änderung des erstinstanzlichen Entscheids zu ihren Ungunsten zu konfrontieren und sie dadurch zum Rückzug des Rechtsmittels zu bewegen (Botschaft des Bundesrats vom
BGE 143 III 153 S. 155
28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7374 Ziff. 5.23.1 zu Art. 309 und 310; vgl. auch SUTTER-SOMM, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2017, N. 1380). Sie ist für den Fall gedacht, dass sich eine Partei grundsätzlich mit dem erstinstanzlichen Entscheid abfindet, auch wenn sie mit ihren Begehren nicht durchgedrungen ist; die verzichtende Partei soll jedoch auf ihren Entschluss, diesen Entscheid nicht anzufechten, nicht nur zurückkommen können, um die Gegenpartei zum Rückzug des Rechtsmittels zu bewegen, sondern auch, wenn sich wegen der Berufung der Gegenpartei die Gründe für ihren Verzicht nicht verwirklichen - weil namentlich die erwartete Zeitersparnis oder die erwartete Befriedung nicht eintreten (vgl.
BGE 138 III 788
E. 4.4 S. 790 f.).
4.4
Anschlussberufung kann in der Berufungsantwort während der 30-tägigen Frist seit Zustellung der Berufung zur Antwort erhoben werden. Umstritten ist, ob sie während dieser Frist in einer separaten Eingabe eingereicht werden kann (u.a. dafür etwa REETZ/HILBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.] [im Folgenden Sutter-Somm und andere], 3. Aufl. 2016, N. 26 zu
Art. 313 ZPO
; dagegen etwa STERCHI, in: Berner Kommentar, 2012, N. 9 zu
Art. 313 ZPO
). Einhelligkeit besteht in der Doktrin jedoch darüber, dass die Anschlussberufung nur während der Frist eingereicht werden kann, die für die Berufungsantwort läuft (GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kurzkommentar, 2. Aufl. 2014, N. 3 zu
Art. 312 ZPO
; HUNGERBÜHLER/BUCHER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 13 zu
Art. 313 ZPO
; JEANDIN, in: CPC, Code de procédure civile commenté, Bohnet/Haldy/Jeandin/Schweizer/Tappy [Hrsg.], 2011, N. 5 zu
Art. 313 ZPO
; REETZ/HILBER, a.a.O., N. 27 zu
Art. 313 ZPO
; SPÜHLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 4 zu
Art. 313 ZPO
; STERCHI, a.a.O., N. 9 ff. zu
Art. 313 ZPO
). Eine Anschlussberufung kann daher frühestens nach Eröffnung der Berufungsantwortfrist eingereicht werden und die Möglichkeit zur Anschlussberufung setzt die Zustellung der Berufung zur Antwort voraus.
4.5
Nach
Art. 312 Abs. 1 ZPO
stellt die Rechtsmittelinstanz die Berufung der Gegenpartei zur schriftlichen Stellungnahme zu. Die Zustellung der Berufung an die Gegenpartei ist die Regel (GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 3 zu
Art. 312 ZPO
; JEANDIN, a.a.O., N. 6 zu
Art. 312 ZPO
;
BGE 143 III 153 S. 156
SPÜHLER, a.a.O., N. 2 zu
Art. 312 ZPO
). Eine Fristvorgabe besteht zwar für die Zustellung nicht, aber sie sollte rasch erfolgen, zumal die gesetzliche Frist von 30 Tagen für die begründete Antwort im Interesse der Prozessbeschleunigung und der Waffengleichheit (vgl.
BGE 141 III 554
E. 2.4 S. 557) bestimmt ist (vgl. BRUNNER, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 1, 2 zu
Art. 312 ZPO
; HUNGERBÜHLER/BUCHER, a.a.O., N. 2 zu
Art. 312 ZPO
; REETZ/THEILER, in: Sutter-Somm und andere, a.a.O., N. 14 zu
Art. 312 ZPO
). Vom Grundsatz der Einholung einer Antwort kann nur abgesehen werden, wenn sich die Berufung als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist (vgl.
BGE 138 III 568
E. 3.1 S. 569). Dies hat sich im Rahmen einer Vorprüfung herauszustellen und dient ebenfalls der raschen Erledigung (HUNGERBÜHLER/BUCHER, a.a.O., N. 3 zu
Art. 312 ZPO
).
4.6
Als Beispiele für offensichtlich unzulässige Berufungen werden in der Literatur etwa genannt die fehlende Berufungsfähigkeit, die Nichteinhaltung der Berufungsfrist, fehlendes Rechtsschutzinteresse, Nichtleistung des Kostenvorschusses u.ä. (vgl. GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 2 zu
Art. 312 ZPO
; HUNGERBÜHLER/BUCHER, a.a.O., N. 5 zu
Art. 312 ZPO
; JEANDIN, a.a.O., N. 7 zu
Art. 312 ZPO
; REETZ/THEILER, a.a.O., N. 17 zu
Art. 312 ZPO
; SPÜHLER, a.a.O., N. 11 zu
Art. 312 ZPO
; STERCHI, a.a.O., N. 3 zu
Art. 312 ZPO
). Als offensichtlich unbegründete Berufungen werden solche genannt, die ohne weiteres erkennbar keine stichhaltigen Beanstandungen am erstinstanzlichen Entscheid enthalten, die sich schon bei summarischer Prüfung als aussichtslos erweisen (GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 2 zu
Art. 312 ZPO
; HUNGERBÜHLER/BUCHER, a.a.O., N. 7 zu
Art. 312 ZPO
; JEANDIN, a.a.O., N. 8 zu
Art. 312 ZPO
; REETZ/THEILER, a.a.O., N. 18 zu
Art. 312 ZPO
; SPÜHLER, a.a.O., N. 12 zu
Art. 312 ZPO
; STERCHI, a.a.O., N. 5 zu
Art. 312 ZPO
).
4.7
Die Vorinstanz begründet im angefochtenen Urteil nicht, weshalb sie die Berufung der Klägerin der Beklagten nicht zur Antwort zugestellt hat. Das Urteil umfasst 73 Seiten und setzt sich eingehend mit den Rügen der Klägerin in Bezug auf die Auslegung von Ziffer 1.2.1 des Werkvertrages, in Bezug auf die Umstände, die nach Ansicht der Klägerin zu einer Abänderung des vertraglichen Vorbehalts der Schriftlichkeit für Bestellungsänderungen geführt haben sollen sowie der Vergütung für Beschleunigungsmassnahmen auseinander. Es erscheint ausgeschlossen, dass die Vorinstanz in dieser Streitsache aufgrund einer summarischen Prüfung sämtliche Rügen
BGE 143 III 153 S. 157
der Klägerin gegen den erstinstanzlichen Entscheid als offensichtlich unbegründet beurteilen konnte. Dass die Vorinstanz keine (blosse) Vorprüfung vorgenommen haben kann, ergibt sich ausserdem aus dem zeitlichen Ablauf. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat die Klägerin die Berufung am 9. November 2015 eingereicht. Das Urteil datiert vom 12. September 2016 und wurde am 14. September 2016 versandt. Die Vorinstanz hat
Art. 312 Abs. 1 ZPO
verletzt, indem sie die Berufung der Klägerin der Beklagten nicht zur Antwort zustellte.
4.8
Der Klägerin kann nicht gefolgt werden, wenn sie die Ansicht vertritt, die Beklagte habe ihr Recht auf Erhebung einer Anschlussberufung verwirkt, weil sie auf die Mitteilung des Obergerichts nicht reagiert habe, dass Berufung erhoben worden sei. Der Beklagten ist die Begründung der Berufung vom Obergericht unbestritten nicht zur Kenntnis gebracht worden und es wurde ihr auch sinngemäss keine Frist zur Antwort im Sinne von
Art. 312 ZPO
eröffnet. Auf die blosse Mitteilung, es sei Berufung erhoben worden, musste sie nicht reagieren. Sie durfte die Zustellung der begründeten Berufung mit entsprechender Frist zur Antwort abwarten, ohne ihr Recht auf Antwort und Anschlussberufung zu verwirken. Es oblag vielmehr dem Gericht, ihr die Berufung von Amtes wegen zuzustellen, weshalb aus dem blossen Zuwarten nicht auf einen Verzicht auf Stellungnahme zur Berufung oder Anschlussberufung geschlossen werden kann.
4.9
Die Beschwerde der Beklagten ist begründet. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese die durch die Klägerin erhobene Berufung der Beklagten zur Antwort zustelle. (...) | 3,837 | 1,749 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-143-III-153_2017 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=23&from_date=&to_date=&from_year=2017&to_year=2017&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=223&highlight_docid=atf%3A%2F%2F143-III-153%3Ade&number_of_ranks=283&azaclir=clir | BGE_143_III_153 |
||||
005c6826-562e-4763-8e8d-05eec64608ec | 2 | 82 | 1,363,046 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 119
BGE 85 III 118 S. 119
A.-
Dans la faillite de Pro Auto SA, ouverte à Genève, le créancier Gilbert Dubois a demandé à l'office des faillites l'autorisation de consulter la comptabilité de la débitrice. L'office a répondu par un refus, en déclarant qu'un tel examen se heurtait à des difficultés pratiques.
Dubois a porté plainte contre cette décision. Il expliquait en bref qu'il avait intérêt à vérifier la comptabilité en cause, attendu que les organes de la débitrice avaient dissimulé des actifs sociaux.
La plainte a été rejetée, le 18 septembre 1959, par l'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève. Selon cette juridiction, l'art. 8 al. 2 LP limite le droit des créanciers à la seule consultation des registres; pour le surplus, il est du ressort du préposé de les autoriser à examiner les autres pièces; dans la mesure où il invoque des raisons plausibles pour refuser l'accès à ces documents, sa décision ne saurait être invalidée; tout au plus pourrait-on faire droit à une plainte si le refus était purement arbitraire, tracassier ou hostile au requérant; ce n'est pas le cas en l'espèce.
B.-
Dubois défère la cause au Tribunal fédéral. Il conclut à ce que la décision attaquée soit annulée et la cause renvoyée à l'Autorité de surveillance pour que celle-ci lui permette d'examiner personnellement la comptabilité de la société faillie, ainsi que les documents annexes et les pièces justificatives. | 329 | 292 | Erwägungen
Considérant en droit:
En vertu de l'art. 8 al. 2 LP, toute personne qui justifie de son intérêt peut consulter les registres de l'office. D'après la jurisprudence du Tribunal fédéral (RO 28 I 97, 40 III 259 consid. 2), chaque créancier a, en principe, cet
BGE 85 III 118 S. 120
intérêt en cas de faillite. En effet, le montant du dividende dépend de la régularité de toutes les opérations. C'est ainsi qu'il est réduit illégitimement si des actifs du débiteur sont soustraits à la masse en faillite ou si d'autres personnes que les ayants droit participent à la répartition. Les créanciers ont donc un intérêt évident à pouvoir contrôler les opérations de la procédure de faillite, notamment pour en signaler les irrégularités à l'office et provoquer son intervention. De plus, ils peuvent dans certains cas obtenir la cession des droits de la masse (cf. par exemple art. 242, 260 et 285 LP) et il est nécessaire qu'ils soient mis en mesure d'en vérifier et d'en prouver le bien-fondé.
Cependant, en cas de faillite, la seule consultation des registres serait insuffisante pour permettre aux créanciers d'exercer leur contrôle et de sauvegarder leurs droits. Il est donc nécessaire, comme le Tribunal fédéral l'a déjà jugé (RO 28 I 97, 40 III 260 consid. 3), qu'ils puissent examiner également les autres pièces que détient l'office, telles que la comptabilité du débiteur et les pièces justificatives, les procès-verbaux des séances des organes de la société faillie, etc. C'est seulement par la consultation de ces pièces que, dans de nombreux cas, il est possible de vérifier, par exemple, si l'inventaire des biens du failli est complet ou si une créance produite est fondée. Il s'ensuit que les créanciers ont, en principe, intérêt à examiner toutes les pièces qui sont en possession de l'office et on doit les y autoriser. Un refus ne peut leur être opposé qu'exceptionnellement, par exemple si leur requête est fondée sur des motifs étrangers à leur qualité de créanciers, si elle est tracassière ou si elle se heurte à un impérieux devoir de discrétion. En revanche, des difficultés pratiques ne sauraient suffire: l'office doit être organisé de manière à pouvoir remplir ses fonctions.
D'autre part, lorsque l'autorité cantonale de surveillance est appelée à juger, sur plainte, si une requête fondée sur l'art. 8 al. 2 LP doit être admise ou non, elle ne saurait s'en remettre à l'appréciation du préposé sous
BGE 85 III 118 S. 121
réserve de l'arbitraire, comme la juridiction genevoise l'a fait en l'espèce. Ainsi que le Tribunal fédéral l'a déjà relevé dans son arrêt du 18 septembre 1959, rendu entre les mêmes parties, l'art. 17 al. 1 LP ouvre la voie de la plainte non seulement lorsqu'une mesure de l'office est contraire à la loi, mais aussi quand elle n'est pas justifiée en fait. En tant qu'elles sont attaquées, les décisions de l'office sont donc reportées intégralement devant l'autorité de surveillance, dont rien ne restreint le pouvoir d'examen. En particulier, quand il s'agit de juger si une mesure est justifiée en fait, cette autorité doit substituer son appréciation à celle de l'office.
Dès lors, la décision attaquée doit être annulée et la cause renvoyée à l'autorité cantonale pour qu'elle statue à nouveau en se conformant aux principes qui viennent d'être rappelés. | 749 | 670 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-85-III-118_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=7&from_date=&to_date=&from_year=1959&to_year=1959&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=70&highlight_docid=atf%3A%2F%2F85-III-118%3Ade&number_of_ranks=234&azaclir=clir | BGE_85_III_118 |
|||
005e5571-57e8-49fa-ac8f-07a588a97d50 | 2 | 82 | 1,331,841 | 1,291,248,000,000 | 2,010 | fr | Sachverhalt
ab Seite 27
BGE 137 III 27 S. 27
A.
Le groupe G. est constitué des sociétés anonymes A., B., C., D., E. et F.
En avril 2009, lors d'une réunion à laquelle participaient notamment des représentants du syndicat X., il a été annoncé une réduction du
BGE 137 III 27 S. 28
personnel touchant 80 collaborateurs chez A. SA et 12 employés chez D. SA. Une procédure de consultation en cas de licenciement collectif a été engagée.
Fin avril 2009, le groupe G. a transmis à l'Office cantonal de l'emploi deux listes comprenant les noms des personnes licenciées, ainsi qu'une synthèse de la procédure de consultation. Selon ce dernier document, 26 personnes, parmi les personnels de A. SA et de D. SA, ont posé des questions ou soumis des propositions pendant la procédure de consultation. Parallèlement, les lettres de congé ont été envoyées aux 92 collaborateurs concernés.
Environ un mois plus tard, le syndicat a été informé qu'une deuxième vague de licenciements, concernant 200 employés du groupe, était envisagée. Une nouvelle procédure de consultation a eu lieu. Le courrier du 4 juin 2009, adressé à tous les collaborateurs du groupe, décomposait ainsi les licenciements prévus:
- A. SA: 113 employés sur 135
- B. SA: 22 employés sur 26
- C. SA: 10 employés sur 27
- D. SA: 19 employés sur 41
- E. SA: 4 employés sur 6
- F. SA: 10 employés sur 15.
En définitive, les licenciements ont touché 152 collaborateurs, et non 200 comme envisagé initialement. Les lettres de congé ont été reçues le 18 juin 2009. Selon le résultat de la procédure de consultation remis aux employés licenciés, cinq propositions ont été adressées aux entreprises du groupe; elles portaient soit sur l'instauration du chômage partiel, soit sur une réduction du temps de travail.
B.
Par acte du 6 juillet 2009, le syndicat X. a assigné toutes les sociétés du groupe G. devant la Chambre des relations collectives de travail du canton de Genève. L'action tendait à faire constater que les défenderesses n'avaient pas respecté la procédure de consultation prévue par l'
art. 335f CO
lors des licenciements collectifs signifiés en avril et juin 2009.
Par décision du 15 juin 2010, l'autorité cantonale a admis partiellement la requête et constaté que les sociétés défenderesses n'avaient pas respecté toutes les exigences de l'
art. 335f CO
.
BGE 137 III 27 S. 29
C.
A. SA, B. SA, C. SA, D. SA, E. SA et F. SA (les recourantes) ont interjeté un recours en matière civile. Elle demandaient principalement que l'action en constatation de droit déposée par le syndicat X. soit déclarée irrecevable. A titre subsidiaire, elles concluaient au rejet de l'action en constatation de droit. Plus subsidiairement, elles demandaient que l'action fût rejetée en tant qu'elle était dirigée contre E. SA et F. SA.
Le syndicat X. (l'intimé) a proposé le rejet du recours dans la mesure où il était recevable.
Le Tribunal fédéral a admis le recours en tant qu'il était formé par E. SA et F. SA.
(résumé) | 693 | 618 | Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.1
Selon les recourantes, la cour cantonale a violé le principe de la légalité (
art. 5 Cst.
) et versé dans l'arbitraire (
art. 9 Cst.
) en jugeant que les licenciements signifiés par E. SA et F. SA étaient des licenciements collectifs. Elles contestent en particulier l'application de la législation genevoise pour définir la notion de licenciement collectif et font valoir que les deux sociétés susmentionnées ne remplissent pas l'une des conditions posées par l'
art. 335d CO
, ce que la Chambre des relations collectives de travail a du reste admis.
3.2
Fondée sur l'art. 15 al. 2 de la loi fédérale du 17 décembre 1993 sur l'information et la consultation des travailleurs dans les entreprises (loi sur la participation; RS 822.14), l'action introduite par l'intimé tend à faire constater la violation de l'
art. 335f CO
par les recourantes. Les droits de participation invoqués par l'intimé sont ceux précisés à l'
art. 10 let
. c de la loi sur la participation, soit les droits accordés lors de licenciements collectifs au sens des art. 335d à 335g CO. L'
art. 335d CO
définit le licenciement collectif comme les congés donnés dans une entreprise par l'employeur dans un délai de 30 jours pour des motifs non inhérents à la personne du travailleur et dont le nombre doit atteindre un minimum ou un pourcentage minimal; selon le ch. 1 de cette disposition, le nombre de licenciements doit être au moins égal à 10 dans les établissements employant habituellement plus de 20 et moins de 100 travailleurs. Selon la doctrine majoritaire, les
art. 335d ss CO
ne s'appliquent qu'aux entreprises occupant plus de 20 collaborateurs (DUC/SUBILIA, Droit du travail - Eléments de droit
BGE 137 III 27 S. 30
suisse, 2010, n° 3 ad
art. 335d CO
p. 532; RÉMY WYLER, Droit du travail, 2
e
éd. 2008, p. 469; STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, 6
e
éd. 2006, n° 7 ad
art. 335d CO
p. 635; ROLAND A. MÜLLER, Die Arbeitnehmervertretung, 1999, p. 287; contra: BRUNNER/BÜHLER/WAEBER/BRUCHEZ, Commentaire du contrat de travail, 3
e
éd. 2004, p. 241). Ces derniers auteurs font remarquer que la loi ne dit rien des entreprises occupant moins de 21 travailleurs. Rien n'autorise toutefois à penser qu'il ne s'agit pas là d'un silence qualifié. Il faut rappeler à cet égard que la réglementation relative aux licenciements collectifs a été introduite afin de rapprocher le droit suisse de l'acquis communautaire, dont la Directive 75/129/CEE du 17 février 1975 (JO L 48 du 17 [recte: 22] février 1975 p. 29). Cette directive prévoyait, comme critère objectif permettant de définir le licenciement collectif, qu'un nombre minimum de congés fussent donnés pendant une période déterminée. Les États membres avaient le choix entre deux options. La première correspond à l'
art. 335d CO
adopté par le législateur suisse; elle contient un critère relatif. Selon la seconde possibilité, il y a licenciement collectif lorsque, indépendamment du nombre de travailleurs habituellement employés dans l'établissement concerné, au moins 20 congés sont signifiés dans une période de 90 jours; le critère retenu est donc absolu (cf. Message I du 27 mai 1992 sur l'adaptation du droit fédéral au droit de l'EEE, FF 1992 V 398 ch. 4.1). La seconde option suppose nécessairement que les licenciements intervienent dans une entreprise occupant au moins 20 personnes. Le Conseil fédéral avait proposé cette variante-là (FF 1992 V 402 ch. 4.3.2), mais c'est finalement la première option qui a été adoptée. Il n'apparaît pas que cette divergence soit liée à une volonté de réduire la taille minimale de l'entreprise affectée par le licenciement collectif. Du reste, il n'est pas non plus établi qu'en offrant une alternative, la directive européenne entendait faire une distinction à propos de la dimension de l'entreprise soumise à la procédure applicable en matière de licenciement collectif. Il s'ensuit que la volonté du législateur était bien de ne pas soumettre aux
art. 335d ss CO
les entreprises de moins de 21 personnes.
Quant à l'entité susceptible d'être concernée par un licenciement collectif, il s'agit, selon les termes de l'art. 335d ch. 1 à 3 CO, de l'établissement (
Betrieb
). Selon la doctrine, il faut entendre par là une structure organisée, dotée en personnel, en moyens matériels et immatériels qui permettent d'accomplir les objectifs de travail (WYLER, op. cit., p. 471; STREIFF/VON KAENEL, op. cit., n° 8 ad
art. 335d CO
p. 635;
BGE 137 III 27 S. 31
ADRIAN STAEHELIN, Zürcher Kommentar, 3
e
éd. 1996, n° 3 ad
art. 335d CO
). Lorsqu'un employeur possède plusieurs établissements qui font partie de la même entreprise, l'existence d'un éventuel licenciement collectif se détermine dans chaque établissement, et non pas au niveau de l'entreprise (WYLER, op. cit., p. 471; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER/BRUCHEZ, op. cit., p. 241; STAEHELIN, op. cit., n° 3 ad
art. 335d CO
; FF 1992 V 403 ch. 4.3.2). Certains auteurs voudraient déroger à cette règle lorsque les établissements sont proches au point de constituer un seul lieu d'exploitation (GABRIEL AUBERT, in Commentaire romand, Code des obligations, vol. I, 2003, n° 9 ad
art. 335d CO
; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER/BRUCHEZ, op. cit., p. 241).
3.3
En l'espèce, les recourantes E. SA et F. SA comptaient 6, respectivement 15 employés au moment des licenciements. La cour cantonale a constaté que ni l'une ni l'autre de ces sociétés ne remplissaient l'une des conditions de l'
art. 335d CO
, soit un effectif d'au moins 21 travailleurs. Elle a jugé néanmoins qu'il y avait bien licenciement collectif également dans ces deux sociétés, d'une part, parce que la seconde vague de licenciements avait touché, dans les six sociétés recourantes, 152 employés sur 428 et, d'autre part, parce que, même si on considérait les sociétés séparément, les congés donnés correspondaient à un différend collectif au sens de l'art. 2 du règlement d'application du 7 juillet 1999 de la loi genevoise concernant la Chambre des relations collectives de travail (RCRCT; RSG J 1 15.01).
Les recourantes forment le groupe G., mais chacune d'elles est organisée sous forme de société anonyme et est l'employeur de ses propres collaborateurs. Même si l'on voulait prendre en compte la proximité géographique entre ces sociétés, elles ne sont pas pour autant les établissements d'une même entreprise, mais constituent chacune une entreprise. Dans ces conditions, il n'est pas possible de prendre le groupe comme base sur laquelle sera compté le nombre ou la proportion de licenciements. Chaque entité juridique doit être considérée pour elle-même. Le raisonnement de la cour cantonale sur ce point n'est pas conforme au droit fédéral.
Il reste à examiner si la Chambre des relations collectives de travail pouvait admettre qu'il y avait eu tout de même licenciement collectif chez les recourantes E. SA et F. SA en se fondant sur une notion de droit cantonal.
Les
art. 335d ss CO
, entrés en vigueur le 1
er
mai 1994 en même temps que la loi sur la participation, ne laissent pas de compétences aux
BGE 137 III 27 S. 32
cantons pour définir le licenciement collectif déterminant pour l'application de l'
art. 335f CO
(cf. GABRIEL AUBERT, Licenciements collectifs et transferts d'entreprises, in Journée 1994 de droit du travail et de la sécurité sociale, 1995, p. 91 s.). En vertu de la primauté du droit fédéral (
art. 49 al. 1 Cst.
), les juges cantonaux ne pouvaient donc pas se référer à l'art. 2 RCRCT pour juger que les congés signifiés chez E. SA et F. SA étaient des licenciements collectifs, comme l'intimé le reconnaît du reste.
Sur le vu de ce qui précède, la cour cantonale a violé le droit fédéral en admettant que les recourantes E. SA et F. SA n'avaient pas respecté toutes les exigences de l'
art. 335f CO
, disposition à laquelle ces deux sociétés n'étaient pas soumises. | 1,926 | 1,665 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-137-III-27_2010-12-02 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=3&from_date=&to_date=&from_year=2010&to_year=2010&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=21&highlight_docid=atf%3A%2F%2F137-III-27%3Ade&number_of_ranks=254&azaclir=clir | BGE_137_III_27 |
|||
005e562a-0967-46f5-a350-4487e4e5c363 | 1 | 84 | 1,364,059 | 1,383,177,600,000 | 2,013 | de | Sachverhalt
ab Seite 548
BGE 139 V 547 S. 548
A.
A.a
D., geb. 1959, erlitt anlässlich eines Auffahrunfalles im Jahre 1996 ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule (HWS). Namentlich gestützt auf ein Gutachten des Dr. med. K., Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 18. Mai 1999 bezog sie in der Folge vom 1. November 1997 bis 31. Januar 1998 eine ganze und ab dem 1. Februar 1998 eine halbe Rente der Invalidenversicherung (Verfügung der IV-Stelle Luzern vom 26. August 1999). Dieser Anspruch wurde am 30. September 2003 durch die nunmehr zuständige IV-Stelle Schwyz (nachfolgend: IV-Stelle) verfügungsweise bestätigt. Mit Verfügung vom 25. Februar 2010 stellte sie die Rentenleistungen auf der Basis einer interdisziplinären Expertise der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 11. November 2009 nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens auf Ende März 2010 ein. Eine dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz gut und verpflichtete die IV-Stelle, D. weiterhin eine halbe Rente auszurichten (rechtskräftiger Entscheid vom 27. September 2010).
A.b
Am 30. November 2011 leitete die Verwaltung ein Revisionsverfahren ein und hob die bisherige Rente unter Hinweis auf lit. a Abs. 1 der per 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 des IVG (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket [AS 2011 5659; BBl 2011 2723 und 2010 1817]; nachfolgend: SchlBest. IVG) mit Verfügung vom 16. Mai 2012 auf Ende Juni 2012 auf.
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 16. Oktober 2012 ab.
C.
D. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, es sei ihr über Ende Juni 2012 hinaus eine halbe Rente zu gewähren. Eventualiter sei ein psychiatrisches Gutachten einzuholen, welches auf die Schwere des Schmerzleidens und die sog. "Foerster-Kriterien" Bezug nehme.
BGE 139 V 547 S. 549
Die Vorinstanz verzichtet auf eine Antragstellung, während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst. Im Rahmen der Replik hält D. an ihren Rechtsbegehren fest und reicht ein von Prof. Dr. iur. Jörg Paul Müller und Dr. iur. Matthias Kradolfer verfasstes Rechtsgutachten vom 20. November 2012 "zur Rechtslage betreffend Zusprache von IV-Renten in Fällen andauernder somatoformer Schmerzstörungen und ähnlicher Krankheiten unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts bis Herbst 2012 und der Bundesgesetzgebung im Rahmen der 5. und 6. IV-Revision" (nachfolgend: Gutachten Müller/Kradolfer) ein. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) äussert sich dazu. D. lässt sich ihrerseits zu den Vorbringen des BSV vernehmen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. | 638 | 467 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz die Aufhebung der seit 1. Februar 1998 ausgerichteten halben Invalidenrente per Ende Juni 2012 zu Recht bestätigt hat.
2.1
Die Beschwerdegegnerin stützt ihre Renteneinstellung einzig auf lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG, gültig seit 1. Januar 2012, ab. Danach werden Renten, die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage (nachfolgend: unklare Beschwerden) gesprochen wurden, innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten dieser Änderung überprüft. Sind die Voraussetzungen nach
Art. 7 ATSG
(SR 830.1) nicht erfüllt, so wird die Rente herabgesetzt oder aufgehoben, auch wenn die Voraussetzungen von
Art. 17 Abs. 1 ATSG
nicht erfüllt sind. Abs. 4 der Bestimmung präzisiert, dass Abs. 1 keine Anwendung findet auf Personen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung das 55. Altersjahr zurückgelegt haben oder im Zeitpunkt, in dem die Überprüfung eingeleitet wird, seit mehr als 15 Jahren eine Rente der Invalidenversicherung beziehen.
2.2
Im Rahmen des mit Entscheid vom 27. September 2010 rechtskräftig beurteilten Revisionsverfahrens hatte das kantonale Gericht erwogen, der Gesundheitszustand der Versicherten habe sich seit Erlass der rentengewährenden Verfügung vom 26. August 1999 nicht in erheblicher, eine Aufhebung der bisherigen halben Rente rechtfertigenden Weise verändert. Die Rentenleistungen seien folglich weiterhin zu erbringen. Im betreffenden Verfahren wie auch im hier
BGE 139 V 547 S. 550
angefochtenen Entscheid war festgestellt worden, dass der strittigen Rente kein nachweisbarer organischer Befund zu Grunde gelegen hatte. Die Zusprache der Leistungen war vielmehr gestützt auf die Ausführungen des Psychiaters Dr. med. K. vom 18. Mai 1999 erfolgt, wonach die Beschwerdeführerin als Folge eines Auffahrunfalles vom 13. November 1996 unter einer somatoformen Schmerzstörung, einer leichten neuropsychologischen Funktionsstörung und einer leichten neurotischen Persönlichkeitsstörung leide. Dieses Beschwerdebild gehört rechtsprechungsgemäss - wie auch Fibromyalgien, dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen, Chronic Fatigue Syndrome (CFS; chronisches Müdigkeitssyndrom), Neurasthenie, dissoziative Bewegungsstörungen, nichtorganische Hypersomnie, leichte Persönlichkeitsveränderung bei chronischem Schmerzsyndrom sowie spezifische und unfalladäquate HWS-Verletzungen (Schleudertrauma) ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle (siehe dazu im Detail
BGE 137 V 64
E. 4.2 S. 68 mit Hinweisen; Urteile 8C_167/2012 vom 15. Juni 2012 E. 6 und 9C_776/2010 vom 20. Dezember 2011 E. 2.2 in fine, in: SVR 2012 IV Nr. 32 S. 127; ferner Rz. 1002 des Kreisschreibens des BSV über die Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 des IVG [KSSB], gültig ab 1. März 2013
http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/view/3936/lang:deu/category:34
) - zu den hievor genannten unklaren Beschwerden. Mit der Vorinstanz ist daher davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für eine Rentenüberprüfung nach Massgabe der SchlBest. IVG grundsätzlich gegeben sind.
3.
3.1
Die Versicherte bringt hiegegen im Wesentlichen vor, die Rentenaufhebung auf Grund der 6. IV-Revision bei unklaren Beschwerden verstosse gegen verfassungsmässige Rechte sowie gegen das Fairnessgebot und das Diskriminierungsverbot nach
Art. 6 und 14 EMRK
.
3.2
Das Bundesgericht hatte sich bereits vor Inkrafttreten der SchlBest. IVG mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die bei unklaren Beschwerden geforderte Zumutbarkeitsprüfung nach
BGE 130 V 352
Personen mit psychosomatischen Krankheitsbildern gegenüber solchen mit (rein) körperlichen Leiden benachteilige.
3.2.1
Der Vorwurf im damaligen Verfahren 9C_776/2010 (Urteil vom 20. Dezember 2011, in: SVR 2012 IV Nr. 32 S. 127; vgl. auch die Urteile 8C_167/2012 vom 15. Juni 2012 E. 6.2 in fine; 9C_936/2011
BGE 139 V 547 S. 551
vom 21. März 2012 E. 2.2; 9C_736/2011 vom 7. Februar 2012 E. 2.2 und 8C_420/2011 vom 26. September 2011 E. 2.4) lautete, dass bei bestimmten Diagnosen die Frage nach der invalidisierenden Wirkung eines Gesundheitsschadens anhand besonderer Regeln beantwortet werde, ohne dass eine derartige Ungleichbehandlung zu rechtfertigen sei (E. 2.3.1). Es hielt diesem Vorbringen entgegen (E. 2.3.2), dass von einer Normauslegung im Bereich der Invalidenversicherung naturgemäss stets gesundheitlich beeinträchtigte Personen betroffen seien. Fehle es mithin an einer - allein an die Zugehörigkeit zu einer verletzlichen Personengruppe anknüpfenden - Ungleichbehandlung, so handle es sich von vornherein nicht um ein Problem der Diskriminierung (im Sinne von
Art. 8 Abs. 2 BV
sowie Art. 14 in Verbindung mit
Art. 6 EMRK
).
3.2.2
Auf den Einwand, in der ständigen Rechtsprechung zu den unklaren Beschwerden sei zudem eine indirekte Diskriminierung von versicherten Personen zu sehen, die auf Grund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer Lebensgeschichte besonderen, krankheitsbegünstigenden Belastungen ausgesetzt gewesen seien und deshalb ein erhöhtes Risiko hätten, etwa an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zu erkranken, erwiderte es gleichenorts das Folgende (E. 2.3.3):
"Die Beschwerdeführerin weist an sich zu Recht darauf hin, dass soziale und andere an die versicherte Person gebundene Faktoren an der Entstehung von Gesundheitsbeeinträchtigungen beteiligt sein können (vgl. dazu GAEBEL/ZIELASEK, in: Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie, Bd. 1, Möller/Laux/Kapfhammer [Hrsg.], 2011, S. 99 f.). Der für Rentenleistungen der Invalidenversicherung geltende enge Begriff des Gesundheitsschadens klammert Wechselwirkungen von Psyche, Soma und
sozialem Umfeld denn auch nur soweit aus, als es darum geht, die für die Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit kausalen versicherten Faktoren zu umschreiben. Soweit ein verselbständigter Gesundheitsschaden im Rechtssinne gegeben ist (vgl.
BGE 127 V 294
E. 5a S. 299), ist für dessen Anspruchserheblichkeit nicht bedeutsam, ob soziale Umstände bei seiner Entstehung eine massgebende Rolle spielten. Kein verselbständigter Gesundheitsschaden liegt jedenfalls dann vor, wenn durch soziale Umstände verursachte psychische Störungen wieder verschwinden, wenn die Belastungsfaktoren wegfallen (SVR 2008 IV Nr. 62 S. 203, 9C_830/2007 E. 4.2). Die erwähnten Elemente fliessen auch in die Folgenabschätzung ein: Die funktionelle, letztlich erwerbsbezogene Auswirkung eines Gesundheitsschadens wird auch anhand der individuellen Eigenschaften der versicherten Person bestimmt (vgl. BRUNNER/BIRKHÄUSER, Somatoforme Schmerzstörung - Gedanken zur Rechtsprechung und deren Folgen für die Praxis, insbesondere mit Blick auf die Rentenrevision, BJM 2007
BGE 139 V 547 S. 552
S. 181 ff.). Psychosoziale und soziokulturelle Faktoren sind also mittelbar invaliditätsbegründend, wenn und soweit sie den Wirkungsgrad der - unabhängig von den invaliditätsfremden Elementen bestehenden - Folgen des Gesundheitsschadens beeinflussen (vgl.
BGE 127 V 294
E. 5a S. 299; SVR 2008 IV Nr. 15 S. 43, I 514/06 E. 2.2.2.2; THOMAS LOCHER, Die invaliditätsfremden Faktoren in der rechtlichen Anerkennung von Arbeitsunfähigkeit und Invalidität, in: Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], 2003, S. 253; vgl. aus medizinischer Sicht JÖRG JEGER, Wer bemisst invaliditätsfremde [soziokulturelle und psychosoziale] Ursachen der Arbeitsunfähigkeit - der Arzt oder der Jurist?, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2008, Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], 2009, S. 166 ff.). Die Rechtsprechung gemäss
BGE 130 V 352
wahrt diese Vorgaben durchaus. Somit ist auch die Rüge der Beschwerdeführerin unbegründet, die Voraussetzungen für die Annahme einer invalidisierenden Wirkung pathogenetisch-ätiologisch unklarer syndromaler Beschwerdebilder führten zu einer indirekten Diskriminierung im eingangs umschriebenen Sinn. Im Gegenteil leisten die - sofern sachgemäss und differenziert gehandhabten - Kriterien gerade Gewähr dafür, dass Faktoren, welche die Kompensation der gesundheitlichen Einschränkung erschweren, bei der Einschätzung der Arbeits(un)fähigkeit rechtsgleich berücksichtigt werden."
3.2.3
Schliesslich hatte die Beschwerdeführerin mit Bezug auf den Kriterienkatalog gemäss
BGE 130 V 352
(E. 2.2.3 S. 353 ff. [sog. "Foerster-Kriterien"]) dannzumal geltend gemacht, dieser finde in der Medizin keine ausreichende Grundlage. Die verwendeten Kriterien seien wissenschaftlich nicht validiert. Das Bundesgericht erwog dazu (E. 2.4):
"Die kritisierte Praxis gibt den begutachtenden Fachpersonen und den Organen der Rechtsanwendung auf, die Arbeitsfähigkeit im Einzelfall mit Blick auf bestimmte Kriterien zu prüfen, um damit eine einheitliche und rechtsgleiche Einschätzung der Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten (
BGE 135 V 201
E. 7.1.3 S. 213). Die Gesamtheit der ursprünglich als fachpsychiatrische Prognosekriterien formulierten Gesichtspunkte (vgl.
BGE 135 V 201
E. 7.1.2 S. 212; KLAUS FOERSTER, Begutachtung und Erwerbsfähigkeit bei Patienten mit psychogenen Störungen, SZS 1996 S. 486 ff., 498) ist zu einem rechtlichen Anforderungsprofil verselbständigt worden. Mit diesem soll sichergestellt werden, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Feststellung eines rechtserheblichen Gesundheitsschadens und von dessen anrechenbaren Folgen für die Leistungsfähigkeit erfüllt sind (vgl. THOMAS GÄCHTER, Die Zumutbarkeit und der sozialversicherungsrechtliche Beweis, in: Was darf dem erkrankten oder verunfallten Menschen zugemutet werden?, Murer [Hrsg.], 2008, S. 253 f.). Dementsprechend schlagen sich Neuformulierungen von Kriterienkatalogen in der medizinischen Fachliteratur nicht unmittelbar in den für diese Gruppe von Leiden geschaffenen Beurteilungselementen nieder (Urteil 8C_420/2011 vom 26. September 2011 E. 2.4). Die einzelnen Kriterien orientieren sich zwar
BGE 139 V 547 S. 553
an medizinischen Erkenntnissen. Eine direkte Anbindung besteht aber nicht, weshalb sich die Frage der Validierung hier nicht stellt. Davon abgesehen bestehen in der Schweiz nur verfahrensmässige Leitlinien (der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungspsychiatrie für die Begutachtung psychischer Störungen [Schweizerische Ärztezeitung, SAeZ 2004 S. 1048 ff.] sowie für die Begutachtung rheumatologischer Krankheiten und Unfallfolgen [der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie; SAeZ 2007 S. 736 ff.]), jedoch (noch) kein von involvierten Fachverbänden getragener, breit abgestützter materieller Grundkonsens in solchen Fragen, dies im Unterschied etwa zu Deutschland (vgl. Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften [AWMF], 2005-07,
www.awmf.org
; JÖRG JEGER, Die Entwicklung der "Foerster-Kriterien" und ihre Übernahme in die bundesgerichtliche Rechtsprechung: Geschichte einer Evidenz, Jusletter vom 16. Mai 2011, Rz. 7 ff., 27 ff., 142 und 161)."
4.
Auf die in der Beschwerde insbesondere in Zusammenhang mit der 6. IV-Revision vorgebrachten und im Gutachten Müller/Kradolfer vom 20. November 2012 erörterten grundlegenden Einwendungen ist nachstehend vertiefter einzugehen.
4.1
Die Versicherte moniert, aus
Art. 7 Abs. 2 ATSG
ergebe sich keine Vermutung, dass die unklaren Beschwerden überwindbar seien. Dem Gericht sei es nicht gestattet, eine entsprechende Schlussfolgerung im Sinne einer Lückenfüllung aus dem Gesetz herauszulesen. Eine solche Interpretation resultiere aus der auf 1. Januar 2008 in Kraft getretenen 5. IV-Revision gerade nicht. Mit den SchlBest. IVG werde eine bestimmte Personengruppe einer Schlechterstellung ausgesetzt. Die "Foerster-Kriterien" seien medizinisch wenig validiert und veraltet, weshalb mit deren vorbehaltloser Übernahme in die Rechtsprechung eine Abkoppelung von der Medizin einhergehe. Das Gericht dürfe nicht eine Normschöpfung vornehmen, welche die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft ausser Acht lasse. Die Schmerzpraxis bedeute eine unzulässige Einschränkung des Beweisthemas, da es sich bei der Überwindbarkeitsvermutung um eine Rechtsvermutung handle.
4.2
Im angefochtenen Entscheid wurde hiezu festgehalten, nach
Art. 190 BV
seien Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die rechtsanwendenden Behörden massgebend. Somit hätten sich sowohl die IV-Stellen als auch das kantonale Gericht an die gesetzlichen Bestimmungen des IVG zu halten. Der Gesetzgeber habe mit den SchlBest. IVG beabsichtigt, dass Rentenleistungen, welche bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen
BGE 139 V 547 S. 554
Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage zugesprochen wurden, innert dreier Jahre überprüft und gegebenenfalls aufgehoben würden. Eine IV-relevante Erwerbsunfähigkeit liege nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht unüberwindbar sei. Durch die Schlussbestimmungen werde garantiert, dass alle unter unklaren Beschwerden leidenden versicherten Personen gleich behandelt würden. Seit der 5. IV-Revision bestehe in Fällen von somatoformen Schmerzstörungen und ähnlichen Sachverhalten grundsätzlich kein Rentenanspruch mehr.
4.3
Das BSV führt letztinstanzlich aus, mit der 5. IV-Revision habe das Zumutbarkeitsprinzip Aufnahme im Gesetz gefunden. Damit sei die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Überwindbarkeit von Schmerzstörungen vom Gesetzgeber übernommen worden. Mit der 6. IV-Revision seien sodann stossende Ungleichheiten zwischen Neurenten und Renten, welche unter der alten Gesetzgebung gesprochen worden seien, beseitigt worden. Das Bundesgericht habe bereits im Urteil 9C_776/2010 vom 20. Dezember 2011 (in: SVR 2012 IV Nr. 32 S. 127) dargelegt, weshalb seine Rechtsprechung nicht diskriminierend sei. Im eingereichten Gutachten Müller/Kradolfer werde übersehen, dass sich der medizinische massgeblich vom juristischen Krankheitsbegriff unterscheide.
5.
Sowohl dem Begriff der Krankheit (
Art. 3 ATSG
) als auch demjenigen der Arbeitsunfähigkeit (
Art. 6 ATSG
) und der Erwerbsunfähigkeit (
Art. 7 ATSG
) liegt eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit zu Grunde. Die Frage, inwieweit sich eine solche Beeinträchtigung invalidisierend auswirken kann, haben Gesetzgebung und Rechtsprechung seit jeher beschäftigt. Es erscheint daher angezeigt, die entsprechende Chronologie zur Massgeblichkeit psychischer Erkrankungen im IVG/ATSG kurz darzulegen.
5.1
Das Bundesgericht hat sich bereits in
BGE 102 V 165
mit dieser Problematik befasst. Es hat vorerst festgestellt, Gegenstand der Invalidenversicherung sei nicht der körperliche oder geistige Gesundheitsschaden an sich, sondern seine wirtschaftliche Auswirkung, also die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit. Zu den geistigen Gesundheitsschäden, welche in gleicher Weise wie die körperlichen eine Invalidität zu begründen vermöchten, gehörten neben den eigentlichen Geisteskrankheiten auch seelische Abwegigkeiten mit Krankheitswert. Nicht als
BGE 139 V 547 S. 555
Auswirkungen einer krankhaften seelischen Verfassung und daher als IV-rechtlich irrelevant hätten demgegenüber Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit zu gelten, welche die versicherte Person bei Aufbietung allen guten Willens, Arbeit in ausreichendem Masse zu verrichten, zu vermeiden in der Lage wäre. Massgebend sei, was der versicherten Person infolge ihres geistigen Zustandes zugemutet werden könne. Entscheidend sei dabei nicht, dass sie in nur ungenügendem Masse eine Erwerbstätigkeit ausübe, sondern vielmehr, dass ihr die Verwertung der Arbeitsfähigkeit sozial-praktisch nicht mehr zumutbar oder für die Gesellschaft untragbar sei.
Diese Grundsätze galten nach der damaligen Rechtsprechung insbesondere für Psychopathien, psychische Fehlentwicklungen, Trunksucht, suchtbedingten Missbrauch von Medikamenten und für Neurosen.
5.2
In seinem Grundsatzurteil
BGE 127 V 294
hat sich das höchste Gericht zur Bedeutung der Behandelbarkeit einer psychischen Störung sowie der psychosozialen und soziokulturellen Faktoren für die Invalidität geäussert. Dabei hat es erwogen, dass eine fachärztlich festgestellte psychische Krankheit nicht ohne Weiteres einer Invalidität gleichgestellt werden könne. In jedem Einzelfall müsse eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ausgewiesen sein. Entscheidend sei die weitgehend nach objektiviertem Massstab zu erfolgende Beurteilung, ob und inwiefern der versicherten Person trotz ihres Leidens die Verwertung ihrer Restarbeitsfähigkeit noch zumutbar sei. Soziokulturelle Umstände allein vermöchten eine Invalidität nicht zu begründen. Hiezu bedürfe es in jedem Fall eines medizinischen Substrats, das fachärztlich schlüssig ermittelt werde. Das klinische Beschwerdebild dürfe nicht einzig in Beeinträchtigungen bestehen, welche von den belastenden soziokulturellen Faktoren herrührten. Es habe vielmehr psychiatrische Befunde zu umfassen, beispielsweise eine von depressiven Verstimmungszuständen klar unterscheidbare andauernde Depression im fachmedizinischen Sinne oder einen damit vergleichbaren psychischen Leidenszustand. Sei eine psychische Störung von Krankheitswert erstellt, sei zu prüfen, ob von der versicherten Person trotz ihres Leidens willensmässig erwartet werden könne, einem Erwerb nachzugehen.
5.3
Seit den neunziger Jahren haben die Krankheitsbilder mit somatoformen Schmerzstörungen stark an Bedeutung gewonnen. Als Ausfluss daraus wurden durch die psychiatrische Literatur in
BGE 139 V 547 S. 556
Deutschland Kriterien für die Stellung einer Prognose (KLAUS FOERSTER, Begutachtung und Erwerbsfähigkeit bei Patienten mit psychogenen Störungen, SZS 1996 S. 486 ff., 498) und die Zumutbarkeit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erarbeitet (KLAUS FOERSTER, Psychiatrische Begutachtung im Sozialrecht, in: Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl. 2000, S. 509, 511; vgl. auch KOPP/WILLI/KLIPSTEIN, Im Graubereich zwischen Körper, Psyche und sozialen Schwierigkeiten, Schweizerische Ärztezeitung [SAeZ] 1997 S. 1380 ff., 1434 f. mit Hinweis auf die grundlegenden Untersuchungen von WINCKLER und FOERSTER). Die Lehre hat diese Kriterien für das schweizerische Recht entsprechend herangezogen (HANS-JAKOB MOSIMANN, Somatoforme Störungen: Gerichte und [psychiatrische] Gutachten, SZS 1999 S. 1 ff. und 105 ff.), woraufhin sie durch das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht (Urteil I 554/98 vom 19. Januar 2000, teilweise veröffentlicht in: VSI 2000 S. 152 E. 2c S. 154 f.) und die Verwaltungspraxis übernommen wurden (IV-Rundschreiben des BSV Nr. 180 vom 27. Mai 2003 [Rz. 1018 des Kreisschreibens des BSV über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSIH]
http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/view/3950/lang:deu/category:34
, gültig ab 1. Juli 2003]). Diese Rechtsprechung stellte keine grundlegende Abkehr von den in
BGE 102 V 165
aufgestellten Grundsätzen dar, sondern deren konkrete Anwendung auf die Diagnose "somatoforme Schmerzstörung" (zum Ganzen
BGE 135 V 215
E. 6.1.2 S. 226 mit diversen Hinweisen).
5.4
In
BGE 130 V 352
(und
BGE 130 V 396
E. 6.2.3 S. 401 f. mit Hinweisen) wurde dargelegt, weshalb eine somatoforme Schmerzstörung in der Regel keine zu einer Invalidität führende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zu bewirken vermag. In Anbetracht der sich mit Bezug auf Schmerzen naturgemäss ergebenden Beweisschwierigkeiten genügten die subjektiven Schmerzangaben der versicherten Person für die Begründung einer Invalidität nicht; vielmehr sei im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Leistungsprüfung erforderlich, dass die Schmerzangaben durch damit korrelierende, fachärztlich schlüssig feststellbare Befunde hinreichend erklär- und objektivierbar seien. Zudem wurden die Voraussetzungen umschrieben, welche ein ausnahmsweises Abweichen von der Annahme der grundsätzlich vermuteten Arbeitsfähigkeit erlauben (sog. "Foerster-Kriterien"; vgl. ferner
BGE 131 V 49
E. 1.2 S. 50 f. und
BGE 135 V 215
E. 6.1.3 S. 226 f.; je mit Hinweisen).
BGE 139 V 547 S. 557
5.5
Diese Praxis ist in mehreren Folgeurteilen auf weitere Beschwerdebilder übertragen worden (vgl. dazu im Detail E. 2.2 hievor).
5.6
In
BGE 135 V 201
hat es das Bundesgericht abgelehnt, die Schmerzrechtsprechung nach
BGE 130 V 352
auf bestehende Renten auszudehnen. Dieses Urteil bilde keinen hinreichenden Anlass, um unter dem Titel der Anpassung an eine geänderte Gerichtspraxis auf Renten zurückzukommen, welche zu einem früheren Zeitpunkt mittels formell rechtskräftiger Verfügung zugesprochen worden seien. In
BGE 135 V 215
wurde erkannt, dass auch der mit der 5. IV-Revision in das Gesetz aufgenommene
Art. 7 Abs. 2 ATSG
keinen Rückkommenstitel in diesem Sinne bilde.
5.7
Mit der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen 5. IV-Revision wurden diverse Sparmassnahmen bei der Invalidenversicherung verwirklicht und namentlich der Grundsatz "Eingliederung vor Rente" nachhaltiger umgesetzt. Unter anderem wurde
Art. 7 ATSG
ergänzt. In Abs. 2 Satz 1 der Bestimmung wird festgehalten, dass bei der Beurteilung einer Erwerbsunfähigkeit ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen sind. Satz 2 verdeutlicht, dass eine Erwerbsunfähigkeit nur vorliegt, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist. Damit wurde einerseits der Zumutbarkeitsgrundsatz ins Gesetz aufgenommen, was bedeutet, dass die versicherte Person alles vorzukehren hat, um die drohende Invalidität zu vermeiden oder zu verringern (vgl. Botschaft vom 22. Juni 2005 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [5. IV-Revision; nachfolgend: Botschaft], BBl 2005 4459 ff., insb. 4528 Ziff. 1.6.1.5.2 in fine, 4530 f. Ziff. 1.6.1.5.3 und 4532 Ziff. 1.6.1.5.4; ferner
BGE 135 V 215
E. 7.3 S. 231). Anderseits wurde das Gebot der Objektivierbarkeit gesetzlich verankert. In der Botschaft führte der Bundesrat dazu unter ausdrücklicher Bezugnahme auf
BGE 130 V 352
aus, eine objektive Beurteilung sei insbesondere bei Schmerzpatienten erforderlich (BBl 2005 4531 Ziff. 1.6.1.5.3). Der Antrag, von einer entsprechenden Ergänzung des
Art. 7 ATSG
sei abzusehen, wurde im Nationalrat deutlich abgelehnt (AB 2006 N 410 f. und S 611). Mit der Präzisierung von
Art. 7 ATSG
wurde somit die Rechtsprechungsentwicklung sowohl zur Frage der Zumut- bzw. Überwindbarkeit von gesundheitlichen Beeinträchtigungen als auch zu deren Objektivierbarkeit durch den Gesetzgeber bestätigt (vgl. auch UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 31 ff. zu
Art. 7 ATSG
).
BGE 139 V 547 S. 558
Diese Bestätigung bezog sich vorerst allerdings auf Neuanmeldungen und nicht auf bestehende Renten.
5.8
Die 6. IV-Revision, gültig seit 1. Januar 2012, nahm erstmalig den Begriff der pathogenetisch-ätiologisch unklaren Beschwerdebilder ohne organische Grundlage auf Gesetzesstufe auf (lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG). Für diese Fallgruppe wurde eine erleichterte Revision laufender Renten vorgesehen. Während einer Übergangszeit von drei Jahren ist gemäss Abs. 1 der Bestimmung bei Renten, welche gestützt auf ein unklares Beschwerdebild der beschriebenen Art gesprochen wurden, die Revision auch dann möglich, wenn die Voraussetzungen von
Art. 17 ATSG
nicht gegeben sind, d.h., wenn sich der Gesundheitszustand nicht erheblich verändert hat. Damit wollte der Gesetzgeber diese Rentenbezüger gleich behandeln wie erstmalige Gesuchsteller. Ausgenommen von der Regelung sind nach Abs. 4 über 55-jährige Rentenbezüger sowie Renten, die seit mehr als 15 Jahren Bestand haben. Im Rahmen der Rentenrevision wird zudem der Wiedereingliederung grosses Gewicht beigemessen (lit. a Abs. 2 und 3). Der Gesetzgeber hat mit der 6. IV-Revision eine Sonderbehandlung für Personen stipuliert, welche ein unklares Beschwerdebild aufweisen. Im Rahmen der parlamentarischen Beratung wurden - allerdings erfolglos - Einwendungen dagegen erhoben (vgl. etwa Voten Fetz, AB 2010 S 664, Maury Pasquier, AB 2010 S 646, Weber-Gobet, AB 2010 N 2117, und Rechsteiner, AB 2010 N 2119 f.). Namentlich wurde auch die Frage der Diskriminierung aufgeworfen (Votum Gilli, AB 2010 N 2117 f., und Humbel, AB 2010 N 2119).
5.9
Zusammenfassend stellt sich die Entwicklung wie folgt dar: Mit
BGE 130 V 352
wurden die Voraussetzungen, welche an den Nachweis der Invalidität bei Schmerzpatienten (somatoforme Schmerzstörung) gestellt werden, in Bezug auf die Zumutbarkeit und die Objektivierbarkeit präzisiert und für alle Schmerzpatienten rechtsgleich ausgestaltet. Die entsprechende Stossrichtung hatte ihre Wurzeln allerdings schon in zahlreichen früheren bundesgerichtlichen Urteilen. Sie gründet in der Überzeugung, dass sich nicht jedes Krankheitsbild invalidisierend auswirkt. Die invaliditätsbezogenen Folgen der gesundheitlichen Störungen sind aus objektiver Sicht zu beurteilen; auf die bloss subjektiven Angaben der Betroffenen kann nicht ohne Weiteres abgestellt werden. Diese Rechtsprechung beruht einerseits auf medizinischen Grundlagen, nämlich der Erkenntnis, dass die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) Diagnosen von
BGE 139 V 547 S. 559
Beschwerdebildern und Störungen enthält, die sich hinsichtlich ihrer invalidisierenden Wirkung einer objektiven Beurteilung weitgehend entziehen, weil sie auf den Angaben der Patienten basieren, pathogenetisch-ätiologisch aber unklar bleiben und daher nicht objektivierbar sind. Sie fusst zudem auf juristischen Überlegungen, welche den Nachweis bzw. Beweis der Invalidität solcher Krankheitsbilder betreffen: Fehlt es an einer objektiven Nachweismöglichkeit durch einen ärztlichen Sachverständigen, kann auch der Beweis, wonach derartige Störungen invalidisierende Folgen zeitigen, nicht erbracht werden.
Diese Grundsätze gelangten erstmals bei der somatoformen Schmerzstörung zur Anwendung und wurden in der Folge auf weitere unklare Beschwerdebilder ausgedehnt (vgl. Auflistung in E. 2.2 hievor). Der Gesetzgeber hat die dieser Rechtsprechung zu Grunde liegenden Erkenntnisse und Überlegungen im Rahmen der 5. und 6. IV-Revision rezipiert.
6.
Nach der seit
BGE 130 V 352
geltenden Rechtsprechung genügt die Diagnose eines pathogenetisch-ätiologisch unklaren Beschwerdebildes ohne organische Grundlage und die allein darauf gestützte medizinische Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit nicht zum Nachweis einer rentenbegründenden Invalidität. Eine Erwerbsunfähigkeit wird nur anerkannt, wenn zusätzliche Kriterien (sog. "Foerster- Kriterien") in hinreichendem Ausmass erfüllt sind. Die Kritik an dieser Rechtsprechung und an der mit der 6. IV-Revision beschlossenen erleichterten Möglichkeit, bestehende Renten zu überprüfen, bezieht sich im Kern auf das Rechtsgleichheitsgebot bzw. das Diskriminierungsverbot. Es wird geltend gemacht, mit dieser Regelung werde eine bestimmte Personengruppe, die von unklaren Beschwerden betroffen ist, ungleich und diskriminierend behandelt, weil bei ihnen an den Nachweis der Invalidität und damit für die Rentenberechtigung erhöhte Beweisanforderungen gestellt würden. Da es zutrifft, dass mit der blossen Diagnose eines unklaren Beschwerdebildes und der einzig darauf basierenden Arbeitsunfähigkeit nach der beanstandeten Praxis eine Invalidität nicht bewiesen ist und daraus insofern eine Ungleichbehandlung gegenüber Personen resultiert, die an klar erfassbaren Beschwerden leiden, ist zu prüfen, ob sachliche Gründe diese besondere Beurteilung zu rechtfertigen vermögen. Die Sonderstellung der unklaren Beschwerden ergibt sich aus medizinischer wie juristischer Sicht und ist im Folgenden näher auszuleuchten.
BGE 139 V 547 S. 560
7.
7.1
In Bezug auf den medizinischen Aspekt wird der besondere Charakter der unklaren Beschwerden - im Vergleich zu organisch begründeten Störungen oder anderen psychischen Leiden - bereits durch ihre Bezeichnung herausgestrichen:
7.1.1
Während der
somatogene
Schmerz an einem organischen Substrat gemessen werden kann - es besteht ein naturwissenschaftlich verfolgbarer Wirkungszusammenhang, die Einschränkung ist entsprechend spezifisch -, findet sich für die der Rechtsprechung
BGE 130 V 352
unterstellte überwiegend psychogene, aber
somatoforme
Symptomatik kein (ausreichendes) organisches Korrelat. In dieser Konstellation ist der Mechanismus, welcher Ursache und Symptom verbindet, oft nur hypothetisch, die (möglicherweise funktionell erheblichen) Beschwerden sind zwangsläufig unspezifisch. Pathologisch begründete Faktoren können zum gleichen Beschwerdebild beitragen wie (nicht versicherte) soziale Umstände. Die Anteile der versicherten und der nicht versicherten Faktoren sind medizinisch kaum quantifizierbar (JÖRG JEGER, Wer bemisst invaliditätsfremde [soziokulturelle und psychosoziale] Ursachen der Arbeitsunfähigkeit - der Arzt oder Jurist?, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2008, 2009, S. 164 f.). Damit ist zuweilen nicht zu vermeiden, dass soziale Faktoren über das rechtlich vorgesehene Mass hinaus zu einem Befund beitragen, anhand dessen eine Feststellung über Arbeitsunfähigkeit getroffen wird. Wenn also nicht hinreichend genau gesagt werden kann, inwieweit ein Funktionsausfall auf einem selbstständigen Gesundheitsschaden und nicht auf konkurrierenden Faktoren beruht, so ist diesen Abgrenzungsschwierigkeiten mit besonderen Regeln gerecht zu werden.
7.1.2
Bei den Folgen von Schleudertraumen (vgl.
BGE 136 V 279
) etwa ist die
Ätiologie
- die zu Grunde liegende Ursache - in leichteren Fällen meist nicht objektiv ausgewiesen. Immerhin ist aber von morphologischen Schädigungen (Mikroverletzungen; vgl.
BGE 117 V 359
E. 5d/aa S. 363 f.) auszugehen; die Rechtsprechung nimmt denn auch nach wie vor an, dass eine bei einem Unfall erlittene Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule oder des Kopfes auch ohne organisch nachweisbare (objektivierbare) Funktionsausfälle zu länger dauernden, die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden Beschwerden führen kann (
BGE 134 V 109
E. 6.2.1,
BGE 134 V 7
und 9 S. 116 ff.). Andere von der Rechtsprechung gemäss
BGE 130 V 352
erfasste Krankheitsbilder, so die anhaltende somatoforme
BGE 139 V 547 S. 561
Schmerzstörung, haben eine (überwiegend) psychische Ursache, vorbehältlich des oft vorhandenen somatischen Kerns (vgl. die Definition in ICD-10, German Modification [GM] 2011, Ziff. 45.41) und des Umstands, dass psychische Prozesse als generell von neurophysiologischen Abläufen begleitet gelten (URS MÜLLER, Die materiellen Voraussetzungen der Rentenrevision in der Invalidenversicherung, 2003, S. 28). Bei weiteren Syndromen ist die Ursache gänzlich unbekannt, so bei der Fibromyalgie (
BGE 132 V 65
E. 3.3 S. 68 f.; vgl. aber auch EGLE UND ANDERE, Fibromyalgie und Leistungseinschränkung, Psychotherapeut 2007 S. 436 ff., 442) oder beim chronischen Müdigkeitssyndrom (Urteil 9C_662/2009 vom 17. August 2010 E. 2.3, in: SVR 2011 IV Nr. 26 S. 73).
7.1.3
Sämtlichen unterstellten Beschwerdebildern gemeinsam ist, dass die
Pathogenese
- der Mechanismus, wie der Gesundheitsschaden entsteht - durchwegs unbekannt oder zumindest ungesichert ist; die Wirkungsweise als solche wie auch ihre Intensität sind nicht pathogenetisch spezifizierbar. Hinzu kommt, dass die Diagnose einer somatoformen Störung anhand der ICD-10 weitgehend auf Beobachtung des äusseren Störungsbildes und nicht auf krankheitskonzeptioneller Einordnung beruht; psychodynamische Zusammenhänge wurden in der Klassifikation ausgeklammert (RENATO MARELLI, Nicht können oder nicht wollen? Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bei somatoformen Störungen, typische Schwierigkeiten und ihre Überwindung, SZS 2007 S. 327). Der Einblick in die Entstehungsweise des Gesundheitsschadens fehlt auch insoweit. Ist demzufolge zunächst dessen Bestand an sich ungesichert, so lässt sich eine Simulation weder feststellen noch ausschliessen (zur Simulation: FOERSTER/WINCKLER, in: Psychiatrische Begutachtung, 2009, S. 27 ff.; HARDY LANDOLT, Die Rechtsvorstellung der zumutbaren Willensanstrengung im Sozialversicherungsrecht, in: Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, 2003, S. 158 ff.). Sodann bedeutet der Mangel an objektivierbarem Substrat, dass auch das Ausmass der mit dem versicherten Gesundheitsschaden korrelierenden Funktions- und damit Leistungseinbusse dem direkten Beweis grundsätzlich entzogen bleibt; insoweit kann auch Aggravation kaum je zuverlässig ausgeschlossen werden (dazu Urteil 8C_4/2010 vom 29. November 2010 E. 4.2, in: SVR 2011 IV Nr. 41 S. 120 und Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 518/01 vom 24. Mai 2002 E. 3b/bb, in: SVR 2003 IV Nr. 1 S. 1). All dies erfordert spezielle Regeln, mit denen eine gesetzeskonforme Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit gesichert werden kann.
BGE 139 V 547 S. 562
7.1.4
Gewisse Störungsbilder, wie etwa Schizophrenie sowie Zwangs-, Ess- und Panikstörungen (vgl. Rz. 1003 KSSB), können auf Grund klinischer psychiatrischer Untersuchungen klar diagnostiziert werden. Bezüglich ihrer Überprüf- und Objektivierbarkeit sind diese Leiden mit den somatischen Erkrankungen vergleichbar. Beim (im Wesentlichen psychogenen) Schmerzsyndrom und ähnlichen Störungen hingegen gibt es keine derartigen direkt beobachtbaren Befunde. Auch im Gegensatz zu den "klassischen", beispielsweise affektiven, psychischen Störungen fehlt es mithin in zwei Richtungen an Massstäben, wie sie zur Klärung von invalidenversicherungsrechtlichen Ersatzansprüchen nötig sind: Einerseits ist die rechtskonforme Abgrenzung zu nicht versicherten (sozialen) Faktoren weitaus stärker gefährdet als bei anderen psychischen Beschwerdebildern. Anderseits mangelt es an einer substanziellen Grundlage zur Feststellung, wie weit die somatoformen Beschwerden eine erwerbliche Tätigkeit gegebenenfalls unzumutbar machen. Die Grenzziehung ist im Einzelfall nicht leicht vorzunehmen (vgl. nachfolgend E. 9.2). Die medizinische Diagnosestellung bleibt aber in jedem Fall den ärztlichen Fachpersonen vorbehalten. Immerhin gibt die internationale Klassifikation der Krankheiten ICD-10 nachvollziehbare Unterscheidungskriterien vor. Dem Gericht bleibt es vorbehalten, die Vollständigkeit und Plausibilität der medizinischen Begutachtung nach den anerkannten Regeln (vgl.
BGE 137 V 210
ff.) zu überprüfen.
7.2
Die pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebilder sind nach dem Gesagten nicht messbar und folglich kaum zu überprüfen. Daher mangelt es an der Objektivierbarkeit dieser Störungen. Deren beschriebene Eigenschaften lassen den direkten Nachweis einer anspruchsbegründenden Arbeitsunfähigkeit vorerst nicht zu (vgl. MEYER/SCHWENDENER, Krankheit als leistungsauslösender Begriff im Sozialversicherungsrecht, in: Rechtsfragen zum Krankheitsbegriff, 2009, S. 20). An dessen Stelle tritt behelfsweise ein auf Indizien gestützter indirekter Beweis über das Vorliegen eines Gesundheitsschadens (insoweit: Morbiditätskriterien,
BGE 137 V 64
E. 5.1 S. 69; zum Erfordernis einer nach einem wissenschaftlich anerkannten Klassifikationssystem gestellten Diagnose:
BGE 130 V 398
E. 5.3 und 6 S. 398 ff.; vgl. auch die Ausschlusskriterien in
BGE 131 V 49
E. 1.2 S. 51 [zweiter Abs.]), über dessen funktionelle Auswirkungen sowie über die Unzumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit. Die notgedrungen weitgehend subjektiven
BGE 139 V 547 S. 563
Symptome werden einer objektivierenden Konsistenzprüfung unterzogen (dazu MICHAEL PHILIPP, Zur Bedeutung der objektivierten Beschwerdeschilderung für die psychiatrische Rentenbegutachtung, Der medizinische Sachverständige, 2010, S. 181 ff., 185). Würden die Defizite in der Beweisbarkeit, wie sie in der Eigenart der geschilderten Symptome angelegt sind, nicht durch Hilfstatsachen ausgeglichen, wäre eine invalidisierende Einschränkung oft von vornherein nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (
BGE 126 V 353
E. 5b S. 360) nachweisbar. Insofern verhindert das mit
BGE 130 V 352
etablierte normative Instrumentarium - je nach Ausgang der Wertung - eine Beweislosigkeit, die sich nach dem Grundsatz der materiellen Beweislast zuungunsten der von den fraglichen Leiden betroffenen versicherten Personen auswirken und letztlich dazu führen müsste, dass die fragliche Gruppe von Gesundheitsschädigungen im Ergebnis generell aus dem Kreis der entschädigungsfähigen Tatbestände ausschiede. Insofern hat die kritisierte Rechtsprechung
BGE 130 V 352
eine gewährleistende Funktion. Der primäre Mangel an Beweisbarkeit rechtserheblicher Tatsachen führt erst dann und insoweit zu einer Ablehnung des Leistungsanspruchs, wenn die Indizien, wie sie bei einer umfassenden, kriteriengeleiteten Prüfung zutage gefördert wurden, nicht hinreichend Grund zur Annahme bieten, eine Erwerbstätigkeit sei ganz oder teilweise unzumutbar.
8.
Auch aus rechtlicher Sicht nehmen die Beschwerdebilder ohne organische Grundlage eine Sonderstellung ein.
8.1
Nach der allgemeinen Beweisregel (
Art. 8 ZGB
) hat die versicherte Person die invalidisierenden Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Gelingt dieser Nachweis nicht, verfügt sie über keinen Leistungsanspruch. Mit anderen Worten wird bei Beweislosigkeit vermutet, dass sich der geklagte Gesundheitsschaden nicht invalidisierend auswirkt: Vermutet wird Validität, nicht Invalidität. An diesem Nachweis kann es unter mehreren Aspekten mangeln: Die Einschränkung ist nicht gesundheitlich, sondern sozial/soziokulturell bedingt (1); die gesundheitliche Einschränkung ist nicht evident, wiegt nicht schwer, sodass sie überwindbar und der versicherten Person die Verrichtung einer adaptierten Tätigkeit dennoch zumutbar ist (2); die Einschränkung ist medizinisch angeh- oder gar heilbar (3); die Einschränkung ist nur vorübergehender Natur, sei es, weil sie von selbst oder nach einer medizinischen
BGE 139 V 547 S. 564
Behandlung abklingt (4). Die entsprechenden Elemente (gesundheitlicher Charakter, Evidenz und Erheblichkeit, Unheilbarkeit und Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung) sind stets - auch ausserhalb der unklaren Beschwerdebilder - nachzuweisen, damit ein Anspruch auf eine Dauerleistung der Invalidenversicherung geltend gemacht werden kann.
8.2
Im Zusammenhang mit den unklaren Beschwerden, aber auch mit anderen psychischen Leiden, wird etwa zu prüfen sein, ob das Störungsbild einen medizinischen Hintergrund hat und ob der somatoforme Schmerz derart schwer wiegt, dass er nicht zu überwinden ist. Eine Erwerbstätigkeit trotz Schmerzen kann mangels Evidenz zumutbar erscheinen, weil die Betroffenen ganzzeitlich - also auch in der Freizeit - davon betroffen sind und, mit oder ohne Arbeit, damit leben müssen. Weiter wird regelmässig zu untersuchen sein, ob das Leiden dauerhaft ist oder ob es dank nachhaltiger Heilungs- oder Rehabilitationsbemühungen bzw. bei geeigneter Medikamentierung nicht abklingt und eine leidensangepasste Tätigkeit aus diesem Grunde als ausführbar betrachtet werden kann. Es geht dabei nicht (nur) um die erwähnten Faktoren, sondern um die Objektivierbarkeit von gesundheitlichen Beeinträchtigungen generell. Diese ist nach der Definition der unklaren Beschwerden grundsätzlich in Frage gestellt: Die invalidisierenden Auswirkungen der unter den Begriff fallenden Schädigungen entziehen sich einer objektiven Beurteilung, da sie im Wesentlichen auf subjektiven Schilderungen der Betroffenen beruhen und einer klinischen Überprüfung nicht zugänglich sind. Die Diagnose eines pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildes ohne nachweisbare organische Grundlage für sich allein muss daher zur Beweislosigkeit im Rechtssinne führen. Bei dieser Beweislage dürfen die Sozialversicherungsträger keine Leistungen zusprechen. Würde anders entschieden, hätten es die versicherten Personen in der Hand, solche durch den blossen Beschrieb unklarer Beschwerdebilder auszulösen.
Die unklaren Beschwerden unterscheiden sich demnach hinsichtlich ihrer invalidisierenden Folgen von anderen (psychischen) Leiden durch die mangelnde Objektivierbarkeit. Dabei handelt es sich um ein sachliches Kriterium, das überprüft werden kann. Die hinreichende Objektivierbarkeit der gesundheitlichen Beeinträchtigung wird für Ansprüche auf Sozialversicherungsleistungen seit jeher vorausgesetzt (vgl. E. 5.2 hievor) und hat im Rahmen der
BGE 139 V 547 S. 565
5. IV-Revision auch Eingang in die Gesetzgebung gefunden (
Art. 7 Abs. 2 ATSG
; E. 5.6 in fine und E. 5.7 hievor). Von einer unbegründeten Schlechterstellung bzw. einer Diskriminierung der betroffenen Versicherten in verfassungsmässigem Sinne bzw. nach Massgabe der EMRK kann daher nicht gesprochen werden.
9.
9.1
Allein auf der Grundlage eines pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildes ohne nachweisbare organische Grundlage lässt sich daher die Vermutung, die versicherte Person sei erwerbsfähig und es liege keine invalidisierende Beeinträchtigung vor, in der Regel nicht widerlegen. Die Rechtsprechung hat deshalb die Voraussetzungen umschrieben, unter denen sich eine Arbeitsunfähigkeit dennoch nachweisen lässt (sog. "Foerster-Kriterien"). Diese Kriterien lassen mit anderen Worten den Gegenbeweis der Arbeitsunfähigkeit bei diagnostizierten unklaren Beschwerden zu.
9.1.1
Als diesbezüglich massgebliche Kriterien sind von der Rechtsprechung anerkannt worden (
BGE 131 V 49
E. 1.2 S. 50 f.;
BGE 130 V 352
E. 2.2.3 S. 354 f. mit Hinweisen):
- das Vorliegen einer mitwirkenden, psychisch ausgewiesenen Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung und Dauer
oder aber das Vorhandensein anderer qualifizierter, mit gewisser Intensität und Konstanz erfüllter Kriterien wie etwa:
- chronische körperliche Begleiterkrankungen und mehrjähriger Krankheitsverlauf bei unveränderter oder progredienter Symptomatik ohne längerfristige Remission
- ein ausgewiesener sozialer Rückzug in allen Belangen des Lebens
- ein verfestigter, therapeutisch nicht mehr angehbarer innerseelischer Verlauf einer an sich missglückten, psychisch aber entlastenden Konfliktbewältigung (primärer Krankheitsgewinn ["Flucht in die Krankheit"])
- ein unbefriedigendes Behandlungsergebnis trotz konsequent durchgeführter ambulanter und/oder stationärer Behandlungsbemühungen (auch mit unterschiedlichem therapeutischem Ansatz) und gescheiterte Rehabilitationsmassnahmen bei vorhandener Motivation und Eigenanstrengung der versicherten Person.
9.1.2
Mit Blick auf das erstgenannte Kriterium der Komorbidität ist Folgendes anzufügen: Die Diagnose eines pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildes ohne nachweisbare organische Grundlage kann insbesondere im Zusammenhang mit
BGE 139 V 547 S. 566
anderen Krankheitsbildern stehen. Soweit es sich dabei um Störungen handelt, deren Nachweis anhand klinischer Untersuchungen klar erbracht werden kann, ist die Arbeitsunfähigkeit durch die Ärztin oder den Arzt auf Grund der betreffenden Diagnose zu schätzen. Seitens des Gerichts besteht sodann keine Notwendigkeit, diese Einschätzung in Zweifel zu ziehen, wenn sie auf den anerkannten Grundsätzen einer medizinischen Begutachtung beruht. Genau betrachtet ergibt sich die Arbeitsunfähigkeit in dieser Konstellation nicht aus dem Gegenbeweis der Komorbidität, sondern aus den Folgen einer Grunderkrankung ausserhalb der unklaren Beschwerden.
9.1.3
Bezüglich der Kritik an den "Foerster-Kriterien" kann zunächst auf das in E. 3.2.3 hievor Dargelegte verwiesen werden. Sie ermöglichen der beweispflichtigen versicherten Person im Sinne von Hilfstatsachen den Ersatzbeweis der invalidisierenden Folgen von an sich nicht nachweisbaren Leiden. Sie erweitern daher deren Beweismöglichkeiten ausserhalb der rein medizinischen Betrachtungsweise. So stellt etwa der soziale Rückzug in allen Belangen des Lebens keine medizinische Diagnose dar, sondern beschreibt eine Lebenssituation, die an sich keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Gesundheit aufweist, können doch auch gesunde Menschen vollständig zurückgezogen leben. Dennoch wird anerkannt, dass bei einem solchen Rückzug im Zusammenspiel mit einem unklaren Beschwerdebild eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit nachgewiesen werden kann. Der Nachweis der Kriterien wirkt sich demnach zu Gunsten der versicherten Person aus. Es braucht daher auch nicht abschliessend zur Frage Stellung genommen zu werden, ob die Kriterien - im Sinne eines polydisziplinären Konsenses - neu evaluiert werden sollten. Die hier geltend gemachte Diskriminierung bezieht sich nicht auf die "Foerster-Kriterien", sondern auf den Umstand, dass für Personen mit pathogenetisch-ätiologisch unklarem syndromalem Beschwerdebild ohne nachweisbare organische Grundlage diese Krankheitsdiagnose allein für den Nachweis der Invalidität nicht genügt.
9.2
Die einzelnen psychischen Störungsbilder weisen Gemeinsamkeiten und Überschneidungen auf. Ob sie pathogenetisch-ätiologisch klar nachweisbar sind, lässt sich medizinisch nicht ohne Weiteres klären. Zudem stehen sie meist in Relation zu somatischen Leiden. Das Bundesgericht hat diese Problematik erkannt und die Bedeutung einer fachkompetenten Abklärung und Begutachtung daher stets
BGE 139 V 547 S. 567
betont. Die entsprechenden Verfahrensrechte der Beteiligten sind letztmals in
BGE 137 V 210
zusammengefasst und modifiziert worden (vgl. ferner ULRICH MEYER, Die psychiatrische Begutachtung als Angelpunkt der juristischen Beurteilung: Entwicklung und Perspektiven, in: Berufliche Vorsorge, Stellwerk der Sozialen Sicherheit, 2013, S. 131 ff.).
9.2.1
Besondere Bedeutung kommt im vorliegend zu beurteilenden Kontext einer fachgerechten Abklärung zu. Die Gutachter haben einleuchtend darzutun, aus welchen Gründen sie ein unklares Beschwerdebild diagnostiziert haben und weshalb die klinisch psychiatrische Untersuchung keine nachvollziehbaren und in Bezug auf deren invalidisierende Folgen objektivierbaren Störungsbilder ergeben hat. Der aus der Diagnosestellung resultierende Rechtsnachteil der bleibenden Beweislast bedingt eine fachgerechte und aktuelle Untersuchung, welche die rechtsprechungsgemässen Anforderungen an eine Begutachtung erfüllt. Dies ist durch das geltende Recht gewährleistet.
9.2.2
Die entsprechende Schwierigkeit offenbart sich mit Blick auf die rechtliche Situation der Betroffenen im Falle der Rentenrevision noch deutlicher, da unter Umständen mit dem Verlust eines langjährigen Leistungsanspruchs zu rechnen ist. Aus diesem Grund hat es das Bundesgericht abgelehnt, die Rechtsprechung von
BGE 130 V 352
auf laufende Renten anzuwenden (vgl. E. 5.6 hievor).
9.3
Hiefür ist im Rahmen der auf den 1. Januar 2012 in Kraft getretenen 6. IV-Revision eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen worden. Der Gesetzgeber war sich der geschilderten Problematik ebenfalls bewusst und hat die voraussetzungslose Überprüfung bestehender Renten nicht unbeschränkt zugelassen. Diese kann zum einen nur während dreier Jahre vorgenommen werden und ist weder zulässig im Falle von über 55-jährigen Rentenbezügern noch bei Renten, die seit mehr als 15 Jahren ausgerichtet werden (lit. a Abs. 1 und 4 SchlBest. IVG). Überdies sehen die Schlussbestimmungen zur Vermeidung unbilliger Härtefälle spezielle Integrationsmassnahmen vor. So haben versicherte Personen, deren Rente unter diesem Revisionstitel aufgehoben werden, für maximal zwei Jahre Anspruch auf Massnahmen zur Wiedereingliederung (lit. a Abs. 2 und 3 SchlBest. IVG). Darauf sind sie anlässlich eines persönlichen Gesprächs hinzuweisen (Rz. 1004 KSSB). Betroffene können im Rahmen der 6. IV- Revision somit neue Leistungen erwirken, die sie befähigen sollen,
BGE 139 V 547 S. 568
ihr Leben durch den Einsatz ihrer Erwerbsfähigkeit und damit ohne Rente zu bestreiten. Diese Zielsetzung verdient uneingeschränkte Unterstützung, da mit der wirtschaftlichen regelmässig eine soziale Eingliederung einhergeht. Die entsprechenden Vorkehren sind geeignet, die Rentenbezüger vor einem sozialen Rückzug und vor steter Abhängigkeit von staatlichen Institutionen zu bewahren. Sie stärken ihr Selbstverständnis und ihre psychische Gesundheit. Demgegenüber können mit der Zusprache einer Rente die Verhältnisse der betroffenen Personen nur in wenigen Fällen ganzheitlich, sondern einzig in finanzieller Hinsicht verbessert werden. So verstanden und umgesetzt bietet die 6. IV-Revision den Betroffenen die Chance, ihre Lebenssituation deutlich zu optimieren.
9.4
Zusammenfassend setzt der Nachweis der Invalidität eine gesundheitlich bedingte, erhebliche und evidente, dauerhafte sowie objektivierbare Beeinträchtigung voraus. Dieser Massstab gilt für sämtliche Leiden gleichermassen. Den unklaren Beschwerden ist eigen, dass mittels klinischer psychiatrischer Untersuchungen weder Pathologie noch Ätiologie erklärbar sind. Sie vermögen daher aus rechtlicher Sicht für sich allein den Nachweis einer gesundheitlichen Einschränkung mangels Objektivierbarkeit nicht zu erbringen. Insofern unterscheiden sich die Diagnosen pathogenetisch-ätiologisch unklarer syndromaler Beschwerdebilder ohne nachweisbare organische Grundlage sachlich entscheidend von anderen Krankheitsbildern und es rechtfertigt sich, sie namentlich mit Blick auf die Beweislast gesondert zu beurteilen. Die gestützt auf diese Erkenntnisse und Überlegungen ergangene bundesgerichtliche Rechtsprechung ist vom Gesetzgeber in das Bundesrecht übernommen worden. Die Anwendung der Vorschriften setzt allerdings eine fachgerechte und umfassende Begutachtung der betroffenen Versicherten voraus. Zudem sind sie auf die speziell geschaffenen Wiedereingliederungsmassnahmen hinzuweisen.
10.
Für den hier zu beurteilenden Fall ergibt die Anwendung dieser Grundsätze Folgendes:
10.1
Damit eine Rente nach Massgabe der SchlBest. IVG aufgehoben oder herabgesetzt werden kann, bedarf es zwar keiner erheblichen Veränderung des Gesundheitszustandes im Sinne von
Art. 17 ATSG
. Indessen ist die Revision an drei Voraussetzungen geknüpft:
10.1.1
Die Rentenzusprache erfolgte ausschliesslich auf Grund der Diagnose eines pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen
BGE 139 V 547 S. 569
Beschwerdebildes ohne nachweisbare organische Grundlage. Nur unter dieser Bedingung kann die Überprüfung der Rente nach den SchlBest. IVG eingeleitet werden.
10.1.2
Weiter ist für die Herabsetzung oder Aufhebung der Rente erforderlich, dass auch im Revisionszeitpunkt ausschliesslich ein unklares Beschwerdebild vorliegt. Zu klären ist daher ferner, ob sich der Gesundheitszustand seit der Rentenzusprache allenfalls verschlechtert hat und ob neben den nicht objektivierbaren Störungen anhand klinischer psychiatrischer Untersuchungen nunmehr nicht klar eine Diagnose gestellt werden kann (E. 7.1.4 hievor).
10.1.3
Schliesslich ist zu prüfen, ob die "Foerster-Kriterien" als erfüllt zu betrachten sind und eine Validitätseinbusse auf diese Weise - trotz des hinsichtlich der invalidisierenden Folgen nicht objektivierbaren Beschwerdebildes - nachweisbar ist (vgl. E. 9.1-9.1.3 hievor).
10.2
Da es sich bei den erwähnten Punkten, von deren Beantwortung der Bestand laufender Renten abhängt, in erster Linie um solche medizinischer Art handelt, sind an die entsprechenden Abklärungen besonders hohe Anforderungen zu stellen. Namentlich muss verlangt werden, dass die Untersuchungen im Zeitpunkt der Revision aktuell sind und sich mit der massgeblichen Fragestellung auseinandersetzen. Soweit die versicherte Person sich - auch mit Bezug auf die Chancen, welche die Wiedereingliederungsmassnahmen bieten - der Beurteilung durch die Verwaltung und deren Regionalen Ärztlichen Dienst nicht anschliessen kann, dürfte sich in der Regel eine neue, polydisziplinäre Begutachtung als unumgänglich erweisen. | 11,285 | 8,006 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-139-V-547_2013-10-31 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=5&from_date=&to_date=&from_year=2013&to_year=2013&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=47&highlight_docid=atf%3A%2F%2F139-V-547%3Ade&number_of_ranks=267&azaclir=clir | BGE_139_V_547 |
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ab Seite 303
BGE 111 Ia 303 S. 303
Im Mai 1984 wurde der Staatskanzlei des Kantons Graubünden eine kantonale Volksinitiative für den Erlass eines "Gesetzes gegen Atomanlagen und -lagerstätten" eingereicht. Die Initiative in Form eines ausgearbeiteten Entwurfes hat folgenden Wortlaut:
"Art. 1
Die Behörden des Kantons Graubünden sind verpflichtet, mit allen rechtlichen und politischen Mitteln darauf hinzuwirken, dass auf
BGE 111 Ia 303 S. 304
Kantonsgebiet keine Atomkraftwerke, keine Aufbereitungsanlagen für Kernbrennstoffe und keine Lagerstätten für radioaktive Abfälle errichtet werden oder dazu vorbereitende Handlungen vorgenommen werden.
Art. 2
Dieses Gesetz tritt nach Annahme durch das Volk in Kraft."
Dem Initiativtext ist auf den Unterschriftenbogen eine Begründung beigegeben, welche folgenden Wortlaut hat:
"Weshalb diese Initiative?
Die Regierung und der Grosse Rat sollen den Volkswillen vertreten
Das Bündner Volk hat bereits im Frühling 1979 der eidgenössischen Atomschutz-Initiative gegen den Bau von Atomanlagen zugestimmt. Die Bevölkerung der Mesolcina hat im Zusammenhang mit dem drohenden Atommüllager in ihrem Tal überaus deutlich ihre Ablehnung bekundet.
Die Mesolcina braucht breite Unterstützung
Der Bündner Grosse Rat hat eine Resolution der Misoxer Parlamentarier gegen die NAGRA-Bohrungen mit 62 zu 53 Stimmen in geheimer Abstimmung abgelehnt. Statt einer Randregion beizustehen, hat er sie in empörender Weise im Stich gelassen.
Gefahr für Tausende von Jahren
Atomanlagen sind eine höchst unsichere Sache. Niemand kann und will langfristig für deren Sicherheit einstehen. Bei der Lagerung von Atommüll geht die Spekulation vor der Sicherheit. Ein Atomkraftwerk liefert für 25 Jahre Strom und Atommüll für 100'000 Jahre. Die schwachradioaktiven Abfälle aus der Nuklearmedizin machen einen winzigen Anteil aus und erfordern keine derartigen gigantischen Lagerstätten.
Graubünden ist nicht der Abfallkübel der Schweiz
Unser Gebirgskanton hat schon namhafte Opfer für die Energieversorgung des Unterlandes gebracht und trägt mit seinen Stauseen bereits ein grosses Risiko. Ein Grossteil des produzierten Stromes wird zu ungünstigen Bedingungen exportiert. Eine weitere Belastung mit Atomanlagen ist unannehmbar.
Eine gesunde und erholsame Landschaft ist unser Kapital Als Tourismuskanton ist Graubünden besonders stark von einer intakten Landschaft abhängig. Touristen besuchen keine Gegenden mit Atomanlagen und -lagerstätten mit grossen Bergwerkbetrieben, gefährlichen Transporten und polizeilicher Bewachung.
Energie: Sparen statt verschwenden und versenken
Die Energiesparpolitik des Bundes ist bisher weitgehend wirkungslos geblieben. Neue Atomkraftwerke bringen neue Sachzwänge für die Endlagerung. Statt immer mehr Energie auf Vorrat und sogar für den Export zu produzieren, täte ein griffigeres Energiesparkonzept und die Förderung von Alternativenergien durch Bund und Kanton not."
Der Grosse Rat des Kantons Graubünden erklärte die Initiative am 22. November 1984 auf Antrag der Regierung als ungültig und beschloss, die Initiative dem Volk nicht zur Abstimmung vorzulegen.
BGE 111 Ia 303 S. 305
Zur Begründung führte er an, die Initiative verstosse sowohl gegen Bundesrecht als auch gegen das übergeordnete kantonale Recht.
Gegen diesen Beschluss reichten die Sozialdemokratische Partei Graubünden und die rückzugsberechtigten Mitglieder des Initiativkomitees beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein. Sie rügen eine Verletzung ihrer politischen Rechte und machen geltend, die Initiative verstosse nicht gegen Bundesrecht oder kantonales Recht.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. | 1,440 | 568 | Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
3.
Nach konstanter Praxis des Bundesgerichts ist diejenige kantonale Behörde, welche nach kantonalem Recht zur Anordnung einer Volksabstimmung über Verfassungs- und Gesetzesinitiativen berufen ist, befugt, neben dem Vorliegen der formellen Voraussetzungen über das Zustandekommen der Initiative auch deren materielle Rechtmässigkeit zu prüfen. Ob die Behörde zu dieser Prüfung der inhaltlichen Rechtmässigkeit der Initiative auch verpflichtet ist, hängt vom kantonalen Recht ab (
BGE 110 Ia 175
E. 3b,
BGE 105 Ia 12
E. 2a, 364, mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall ergibt sich die Befugnis des Grossen Rates zur Prüfung der materiellen Rechtmässigkeit der Initiative klarerweise aus Art. 55 des Gesetzes über die Ausübung der politischen Rechte im Kanton Graubünden vom 7. Oktober 1962 (GPR). Die Beschwerdeführer erblicken daher im Umstand, dass der Grosse Rat überhaupt eine Überprüfung der Initiative auf deren Rechtmässigkeit vorgenommen hat, auch keine Verfassungsverletzung.
4.
Für die Beurteilung der materiellen Rechtmässigkeit einer Initiative ist deren Text nach den anerkannten Interpretationsgrundsätzen auszulegen. Grundsätzlich ist vom Wortlaut der Initiative auszugehen und nicht auf den subjektiven Willen der Initianten abzustellen. Eine allfällige Begründung des Volksbegehrens und Meinungsäusserungen der Initianten dürfen allerdings mit berücksichtigt werden (
BGE 105 Ia 154
E. 3a,
BGE 105 Ia 366
E. 4). Es ist von verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten jene zu wählen, welche einerseits dem Sinn und Zweck der Initiative am besten entspricht und zu einem vernünftigen Ergebnis führt und welche andererseits im Sinne der verfassungskonformen Auslegung mit dem übergeordneten Recht von Bund und Kanton vereinbar
BGE 111 Ia 303 S. 306
erscheint (
BGE 105 Ia 154
E. 3a,
BGE 105 Ia 366
E. 4,
BGE 104 Ia 250
oben,
BGE 103 Ia 426
oben). Kann der Initiative ein Sinn beigemessen werden, der sie nicht klarerweise als unzulässig erscheinen lässt, ist sie als gültig zu erklären und der Volksabstimmung zu unterstellen (
BGE 104 Ia 348
E. 4).
5.
Nach der Auffassung des Grossen Rates steht die hier streitige Initiative mit dem Bundesrecht, insbesondere mit der Atomgesetzgebung, im Widerspruch. Für die Beurteilung der Bundesrechtmässigkeit ist daher vorerst die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen, wie sie sich aus der Bundesverfassung und der Atomgesetzgebung des Bundes ergibt, zu prüfen.
a) Gemäss
Art. 24quinquies Abs. 1 BV
ist die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie Bundessache; Abs. 2 dieser Bestimmung gibt dem Bund die Kompetenz, Vorschriften über den Schutz vor den Gefahren ionisierender Strahlen zu erlassen. Auf diese Kompetenz stützt sich das Bundesgesetz vom 23. Dezember 1959 über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz (AtG; SR 732.0). Nach
Art. 4 Abs. 1 AtG
bedürfen die Erstellung und der Betrieb sowie jede Änderung des Zwecks, der Art und des Umfanges einer Atomanlage einer Bewilligung des Bundes. Unter Atomanlagen werden Einrichtungen zur Erzeugung von Atomenergie oder zur Gewinnung, Aufbereitung, Lagerung oder Unschädlichmachung von radioaktiven Kernbrennstoffen und Rückständen verstanden (
Art. 1 Abs. 2 AtG
). Diese Bewilligung, welche in der Praxis in verschiedene Teilbewilligungen aufgeteilt wurde (vgl.
BGE 103 Ia 335
), ist zu verweigern oder von der Erfüllung geeigneter Bedingungen oder Auflagen abhängig zu machen, wenn dies notwendig ist zur Wahrung der äusseren Sicherheit der Schweiz, zur Einhaltung der von ihr übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen oder zum Schutz von Menschen, fremden Sachen oder wichtigen Rechtsgütern (
Art. 5 Abs. 1 AtG
).
Art. 7 AtG
schreibt betreffend das Verfahren vor, dass das Gesuch von einem ausführlichen technischen Bericht begleitet sein muss und dass die Bewilligungsbehörde ein Gutachten darüber einzuholen hat, ob das Projekt alle zumutbaren Massnahmen zum Schutz von Menschen, Sachen und wichtigen Rechtsgütern vorsieht; ausserdem ist die Stellungnahme des betreffenden Kantons einzuholen, in dem die Atomanlage erstellt werden soll.
Das Bundesgericht hat wiederholt festgehalten, dass dem Bund gestützt auf
Art. 24quinquies BV
eine umfassende Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie zusteht. Den Kantonen
BGE 111 Ia 303 S. 307
kommt in dem von der Atomgesetzgebung des Bundes geregelten Bereich keine Rechtsetzungsbefugnis mehr zu (
BGE 111 Ib 105
E. 5a;
BGE 103 Ia 336
E. 3b;
102 Ia 135
E. 4;
BGE 99 Ia 256
E. 5b). Angesichts der Bedeutung der Nutzung von Kernenergie sowie im Hinblick auf die damit verbundenen besondern Probleme erwies es sich als unumgänglich, für die Erstellung und den Betrieb von Atomanlagen einheitliche bundesrechtliche Vorschriften zu erlassen und deren Vollzug den Organen des Bundes zu übertragen. Diese Kompetenzordnung soll einerseits gewährleisten, dass beim Bau und Betrieb von Atomanlagen sämtliche nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik möglichen und notwendigen Schutzmassnahmen getroffen werden; sie soll aber andererseits auch verhindern, dass die im gesamten Landesinteresse liegende Nutzung der Kernenergie durch unsachgerechte Bedingungen und Auflagen erschwert wird. Insoweit dient das AtG auch dem Zweck, die Nutzung der Kernenergie zu fördern und den Bau von Atomkraftwerken zu ermöglichen (
BGE 103 Ia 336
E. 3a;
BGE 99 Ia 256
E. 5b). Der Bundesgesetzgeber hat indessen davon abgesehen, die Errichtung und den Betrieb von Atomanlagen zu einer Bundesaufgabe zu machen. Er hat dies vielmehr der Privatwirtschaft überlassen (vgl.
BGE 111 Ib 105
E. 5a;
BGE 103 Ia 336
f.). Die Errichtung und der Betrieb von Atomanlagen bedürfen aber einer Bewilligung des Bundes nach
Art. 4 ff. AtG
. In diesem Verfahren sind die mit dem Bau und dem Betrieb von Atomanlagen verbundenen Fragen abschliessend zu beurteilen. Diese können daher nicht Gegenstand eines zusätzlichen kantonalen Bewilligungsverfahrens bilden. Der betreffende Kanton kann demnach den Bau und Betrieb einer Atomanlage nicht verbieten unter Geltendmachung öffentlicher Interessen, deren Wahrung ins bundesrechtliche Bewilligungsverfahren verwiesen ist oder die nach der gesetzlichen Ordnung nicht massgebend sein sollen (
BGE 111 Ib 105
E. 5a;
BGE 103 Ia 340
E. 5b;
BGE 102 Ia 135
f.;
BGE 99 Ia 257
E. 5c).
Von den bundesrechtlich abschliessend geregelten Fragen sind hingegen die der kantonalen Kompetenz nach wie vor unterstehenden Befugnisse, insbesondere die Beurteilung der raumplanungsrechtlichen, baupolizeilichen und gewässerschutzrechtlichen Belange, zu unterscheiden.
Art. 4 Abs. 3 AtG
behält - wie der Wortlaut sagt - die polizeilichen Befugnisse des Bundes und der Kantone, insbesondere mit Bezug auf die Bau-, Feuer- und Gewässerpolizei, ausdrücklich vor. Das Bundesgericht hat im Entscheid Verbois klargestellt, dass sich dieser Vorbehalt auch auf die kantonale
BGE 111 Ia 303 S. 308
Zonenordnung - die Nutzungsplanung im Sinne der heutigen Terminologie - bezieht (
BGE 103 Ia 341
f. E. 5d). Die Raumplanung ist im Rahmen der bundesrechtlichen Prinzipien gemäss
Art. 22quater BV
durch die Kantone zu schaffen. Die Verpflichtung, für die Errichtung und den Betrieb von Atomanlagen eine Bewilligung des Bundes einzuholen, schliesst es demnach nicht aus, Atomanlagen auch einem kantonalen Bewilligungsverfahren zu unterstellen. Die kantonale Regelung bleibt in dem Masse bestehen, als sie nicht mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes unvereinbar ist (
BGE 103 Ia 344
E. 5e). Nach wie vor gilt aber, dass die im bundesrechtlichen Bewilligungsverfahren abschliessend beurteilten Fragen im kantonalen Verfahren nicht wieder aufgeworfen werden können und dass dieses nicht als Instrument zur Verhinderung der Errichtung von Atomanlagen missbraucht werden darf (
BGE 111 Ib 106
E. b). Die kantonalen Kompetenzen dürfen nicht als Vorwand für Übergriffe in den Bereich anderer Anliegen verwendet werden (vgl. PETER SALADIN, Bund und Kantone, in: ZSR 103/1984 II S. 460).
b) An dieser Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen hat der Bundesbeschluss vom 6. Oktober 1978 zum Atomgesetz (BB AtG; SR 732.01) grundsätzlich nichts geändert. Mit dem Beschluss ist das atomrechtliche Bewilligungsverfahren ausgebaut und die Rahmenbewilligung eingeführt worden, welche nun auch die Standortbewilligung umfasst. Die Erteilung der Rahmenbewilligung obliegt dem Bundesrat und bedarf der Genehmigung der Bundesversammlung (
Art. 8 BB AtG
). Auch bei dieser Bewilligung ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, es handle sich um eine - in mancher Hinsicht freilich besonders gelagerte - Polizeibewilligung für die grundsätzlich auf privatwirtschaftlicher Basis zu lösende Aufgabe der Energieerzeugung und -versorgung. Der Bundesrat beabsichtigte im Entwurf für den Bundesbeschluss zum Atomgesetz, mit der Rahmenbewilligung den Standort der Atomanlage in einer die Kantone bindenden Weise festzulegen; damit sollte Missbräuchen und der missbräuchlichen Verhinderung von Endlagerstätten entgegengetreten werden. Dieser Vorbehalt wurde indessen in der parlamentarischen Beratung gestrichen, in der Meinung, dass am Rechtszustand, wie er durch den Bundesgerichtsentscheid Verbois festgestellt worden ist, nichts geändert werden soll. Auch die Verpflichtung, nach
Art. 6 BB AtG
Gutachten einzuholen, die sich u.a. über den Schutz von Menschen, fremden Sachen und wichtigen Rechtsgütern einschliesslich der
BGE 111 Ia 303 S. 309
Erfordernisse des Umweltschutzes, des Natur- und Heimatschutzes sowie der Raumplanung aussprechen, beseitigt die kantonalen Zuständigkeiten auf diesen Gebieten nicht. Atomanlagen, d.h. Einrichtungen zur Erzeugung von Atomenergie oder zur Gewinnung, Aufbereitung, Lagerung oder Unschädlichmachung von radioaktiven Kernbrennstoffen und Rückständen, bedürfen daher ausser der Rahmenbewilligung und der weitern atomrechtlichen Bau- und Betriebsbewilligungen auch der sonstigen vom Bundesrecht geforderten Spezialbewilligungen (z.B. Rodungsbewilligungen) sowie der von den Kantonen zu erteilenden planungs- und baupolizeilichen Bewilligungen (vgl.
BGE 111 Ib 106
E. b mit Hinweisen auf Entstehungsgeschichte und Doktrin).
c) Schliesslich stellt sich die Frage nach der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen in bezug auf vorbereitende Handlungen zur Erstellung eines Lagers für radioaktive Abfälle. Der Bundesgesetzgeber ging entsprechend der grundsätzlich privatwirtschaftlichen Lösung der friedlichen Nutzung der Kernenergie davon aus, dass auch das Problem der radioaktiven Abfälle durch deren Erzeuger selbst zu lösen sei. Endlager bedürfen wie andere Atomanlagen einer Bewilligung der Bundesbehörden. Der Bund soll in einem besondern Verfahren die Bewilligung für vorbereitende Handlungen erteilen und nötigenfalls den Erzeugern radioaktiver Abfälle das Enteignungsrecht übertragen können. Der Bundesrat regelte das Verfahren aufgrund von
Art. 10 BB AtG
in der Verordnung vom 24. Oktober 1979 über vorbereitende Handlungen im Hinblick auf die Errichtung eines Lagers für radioaktive Abfälle (Verordnung über vorbereitende Handlungen; SR 732.012). Darin ist umschrieben, was unter vorbereitenden Handlungen zu verstehen ist und welche Angaben und Beilagen das Bewilligungsgesuch zu enthalten hat. Das Gesuch ist den Kantonen und zuständigen Fachstellen des Bundes zur Vernehmlassung zu unterbreiten sowie öffentlich aufzulegen (
BGE 111 Ib 109
E. b mit Hinweisen).
Aus den bundesrechtlichen Vorschriften geht nicht ausdrücklich hervor, ob mit der bundesrätlichen Bewilligung sämtliche Voraussetzungen für die Vornahme von vorbereitenden Handlungen gegeben seien und ob allenfalls ein kantonales Bewilligungsverfahren entfalle, in welchem u.a. über raumplanungsrechtliche Gesichtspunkt zu entscheiden wäre. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil NAGRA dazu Stellung genommen und entschieden, dass auch für vorbereitende Handlungen ein kantonales Bewilligungsverfahren
BGE 111 Ia 303 S. 310
durchzuführen sei. Dies bedeutet, dass die kantonalen Kompetenzen auch in diesem Bereich der vorbereitenden Handlungen nicht beseitigt worden sind und dass die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen gegenüber der Rechtslage, wie sie sich aus dem Entscheid Verbois ergibt, grundsätzlich unverändert geblieben ist (
BGE 111 Ib 109
E. b mit Hinweisen).
6.
a) Bei der Beurteilung der Bundesrechtmässigkeit der Initiative ist vorerst in terminologischer Hinsicht darauf hinzuweisen, dass sie sich im Titel gegen "Atomanlagen und -lagerstätten" und im Text selber gegen "Atomkraftwerke, Aufbereitungsanlagen für Kernbrennstoffe und Lagerstätten für radioaktive Abfälle" richtet. Der Initiativtext weicht damit von der Begriffsbestimmung in
Art. 1 Abs. 2 AtG
ab, wonach unter Atomanlagen Einrichtungen zur Erzeugung von Atomenergie oder zur Gewinnung, Aufbereitung, Lagerung oder Unschädlichmachung von radioaktiven Kernbrennstoffen und Rückständen verstanden werden. Dieser Umstand ist für die Beurteilung der Rechtmässigkeit der Initiative nicht von Bedeutung, und diese ist demnach so zu verstehen, dass sie ganz allgemein Atomanlagen im Sinne des Atomgesetzes zum Gegenstand hat.
b) Die Beschwerdeführer und das von ihnen beigelegte Kurzgutachten von Prof. Andreas Auer (Kurzgutachten zur Frage der Rechtmässigkeit der kantonalen Volksinitiative für ein Gesetz gegen Atomanlagen und -lagerstätten, publiziert in: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung in Graubünden, ZGRG 1984 Heft 4 S. 74 ff.) weisen darauf hin, dass in andern Kantonen ähnliche Initiativen wie die im vorliegenden Fall streitige angenommen worden sind. Sie behaupten allerdings selber nicht, dass diese Tatsache allein die Bundesrechtmässigkeit der Bündner Initiative begründe; doch sehen sie darin ein gewichtiges Indiz. Denn ihrer Ansicht nach wäre es bei der Annahme der Bundesrechtswidrigkeit solcher Erlasse gewissermassen die Pflicht des Bundesrates gewesen, gegen solche Gesetze gestützt auf
Art. 83 lit. a OG
staatsrechtliche Klage zu erheben. Die Frage, ob dem Bundesrat nach
Art. 102 Ziff. 2 BV
geradezu eine Pflicht zukommt, gegen bundesrechtswidrige kantonale Erlasse staatsrechtliche Klage zu erheben, wird in der Doktrin nicht beantwortet; es wird im allgemeinen lediglich darauf hingewiesen, dass dieser Weg selten beschritten wird (vgl. ANDREAS AUER, La juridiction constitutionnelle en Suisse, S. 265 f.; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, S. 581 Nr. 1621; WALTHER BURCKHARDT, Kommentar zur Bundesverfassung, 3. Auflage 1931, S. 734).
BGE 111 Ia 303 S. 311
Die Frage kann indessen offengelassen werden. Aus der Tatsache allein, dass ähnliche Erlasse anderer Kantone nicht mit staatsrechtlicher Klage angefochten worden sind, lässt sich die Bundesrechtmässigkeit der hier allein zu beurteilenden streitigen Initiative nicht ableiten.
c) Der Grosse Rat führt in seiner Vernehmlassung aus, die Verweigerung der vom Bundesrecht geforderten kantonalen Mitwirkung in Atomenergieangelegenheiten und die zum vornherein durch die Initiative geforderte negative Haltung in diesen Bereichen widersprächen nicht nur dem positiven Bundesrecht, sondern verletzten auch die bundesrechtliche Treuepflicht des Kantons. Dem halten die Beschwerdeführer entgegen, ein allfälliger Zielkonflikt zwischen dem Bundesrecht und dem kantonalen Recht sei nicht unzulässig; auf jeden Fall genüge ein solcher nicht, um die Initiative als bundesrechtswidrig zu bezeichnen.
Die Tragweite des Grundsatzes der Bundestreue oder der bundesstaatlichen Treuepflicht ist in der Doktrin wenig geklärt und durch die Praxis nicht näher umschrieben worden (vgl. ALFRED KÖLZ, Bundestreue als Verfassungsprinzip?, in: ZBl 81/1980 S. 145 ff.; PETER SALADIN, a.a.O., S. 513 ff.). Das Bundesgericht hat hierzu ausgeführt, ein genereller Zielkonflikt des kantonalen Rechts mit dem Bundesrecht genüge noch nicht, um eine Initiative ungültig zu machen; die Kantone seien nicht schlechthin gehindert, andere Ziele zu verfolgen als der Bund (
BGE 109 Ia 140
f.). Wie es sich damit verhält, kann im vorliegenden Fall offengelassen werden. Soweit in der streitigen Initiative lediglich ein Zielkonflikt mit dem Bundesrecht erblickt werden kann, reicht dieser Umstand nicht aus, um diese als bundesrechtswidrig und damit ungültig zu erklären. Hierfür ist vielmehr notwendig, dass in den Kompetenzbereich des Bundes eingegriffen wird bzw. die kantonalen Kompetenzen überschritten oder missbraucht werden (oben E. 5a).
d) Nach dem Wortlaut der Initiative sollen die Behörden des Kantons Graubünden verpflichtet werden, mit allen rechtlichen und politischen Mitteln darauf hinzuwirken, dass auf dem Kantonsgebiet keine Atomanlagen errichtet werden. Die Beschwerdeführer erklären zwar, dass damit kein absolutes Verbot von Atomanlagen angestrebt werde. Der Initiativtext zeigt indessen die Stossrichtung des Vorhabens deutlich: Die Behörden sollen sich auch dort mit allen (rechtlichen und politischen) Mitteln gegen Atomanlagen einsetzen, wo solche allenfalls von den Behörden des
BGE 111 Ia 303 S. 312
Bundes bewilligt worden sind. Das weist auf die Absicht zu einer absoluten Verhinderung von Atomanlagen hin, ungeachtet des Umstandes, ob dem Kanton irgendwelche Kompetenzen zukommen und ob diese allenfalls missbräuchlich eingesetzt werden.
Die Initiative will die Behörden verpflichten, u.a. mit allen politischen Mitteln die Errichtung von Atomanlagen zu verhindern. Aus der Begründung der Initiative geht die Tragweite des Einsatzes dieser politischen Mittel nicht hervor. Es könnte etwa bedeuten, dass sich die Behörden im Rahmen von Vernehmlassungen oder sonstigen Stellungnahmen gegen die Errichtung von Atomanlagen auszusprechen hätten. Prof. Auer misst diesem Teil der Initiative keine selbständige rechtliche Bedeutung zu (AUER, Kurzgutachten, Ziff. 14). In der Tat hat er mehr programmatischen Charakter; er bringt allenfalls einen Zielkonflikt zum Ausdruck und greift damit für sich allein genommen nicht in die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen ein. Anders verhält es sich mit demjenigen Teil der Initiative, wonach sich die Behörden mit allen rechtlichen Mitteln dagegen zur Wehr zu setzen haben, dass im Kanton Graubünden Atomanlagen errichtet werden. Die Initiative bringt in dieser Hinsicht keinerlei Vorbehalte an und gibt damit zum Ausdruck, dass diese rechtlichen Mittel unabhängig von der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen auf jeglichem Sachgebiet eingesetzt werden sollen. Die Beschwerdeführer wenden allerdings ein, sie seien sich der Kompetenzordnung bewusst und wollten die Errichtung von Atomanlagen nur auf jenen Gebieten und mit denjenigen Mitteln verhindern, welche den bestehenden kantonalen Zuständigkeiten entsprechen. Für diese Ansicht ergeben sich indessen aus dem Initiativtext keinerlei Anhaltspunkte. Auch die Begründung der Initiative weist nicht in diese Richtung. Irgendwelche den Kantonen verbleibende Zuständigkeiten im Zusammenhang mit der Errichtung von Atomanlagen werden nicht erwähnt, und es ist auch nicht die Rede davon, dass solche Anlagen etwa aus raumplanerischen oder wasserrechtlichen Gründen verhindert werden sollen. Die Initiative zielt vielmehr unabhängig von der Kompetenzabgrenzung auf eine absolute Verhinderung von Atomanlagen hin. Darüber hinaus verlangt sie, dass jeglicher Ermessensspielraum der Behörden in diese Richtung ausgenützt wird. Sie verbietet damit eine Abwägung der Interessen im Einzelfall nach sachlichen Gründen. Auch in dieser Hinsicht machen die Beschwerdeführer geltend, Text und Begründung der Initiative verlangten von den Behörden nicht, dass die Behörden nach unsachlichen
BGE 111 Ia 303 S. 313
Kriterien zu entscheiden hätten. Doch ist dem Initiativtext und seiner Begründung nichts Derartiges zu entnehmen. Es wird beispielsweise nicht darauf hingewiesen, dass Gründe der besondern Schönheit des Misox es verböten, in dieser Gegend eine Atomanlage zu errichten. Nach der Initiative hätten die Behörden vielmehr bei jedem Entscheid, der im weitern Zusammenhang mit Atomanlagen steht, eine zum vornherein negative Haltung einzunehmen. Fragen der Raumplanung oder etwa Rodungsbewilligungen (vgl.
Art. 26 FPolV
) könnten daher nicht nach sachgerechten Kriterien gelöst werden. Selbst in den dem Kanton verbleibenden Sachbereichen benützt demnach die Initiative das kantonale Recht und das kantonale Bewilligungsverfahren als Vorwand für die Verhinderung von Atomanlagen und damit für einen Übergriff in die Kompetenz des Bundes. Sie erweist sich demnach als bundesrechtswidrig.
Der Übergriff in die Kompetenzen wird im weitern auch durch die dem Initiativtext beigegebene Begründung bestätigt. Darin wird u.a. ausgeführt, Atomanlagen seien eine höchst unsichere Sache und niemand könne und wolle für deren Sicherheit einstehen. Ferner gehe es darum, Energie zu sparen, anstatt solche mit neuen Atomanlagen zu produzieren und sie dann zu verschwenden. Sowohl die Frage nach der Sicherheit als auch diejenige nach dem Bedürfnis von neuen Atomanlagen betreffen indessen Bereiche, welche im bundesrechtlichen Verfahren abschliessend beurteilt wurden und in einem kantonalen Verfahren auch nicht unter einem unterschiedlichen rechtlichen Gesichtswinkel erneut aufgeworfen werden dürfen. Soweit die Initiative aber verlangt, bei der Ermessensausübung in einem kantonalen Verfahren auch solche Gesichtspunkte mit zu berücksichtigen, widerspricht sie dem Bundesrecht.
e) Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass die streitige Initiative in unzulässiger Weise in den Kompetenzbereich des Bundes eingreift und damit bundesrechtswidrig ist.
7.
Der Grosse Rat des Kantons Graubünden hat die hier streitige Initiative nicht nur als bundesrechtswidrig, sondern auch als im Widerspruch zum kantonalen Recht stehend bezeichnet. Im folgenden ist zu prüfen, ob die Initiative auch aus diesem zweiten Grund als ungültig erklärt werden durfte.
a) Gemäss Art. 3 Abs. 1 der Verfassung für den Kanton Graubünden (KV) sind auf ein Initiativbegehren hin der Volksabstimmung zu unterbreiten Vorschläge zum Erlass neuer Gesetze und
BGE 111 Ia 303 S. 314
grossrätlicher Verordnungen sowie Vorschläge zur Aufhebung oder Änderung von Gesetzen und grossrätlichen Verordnungen, welche schon mindestens zwei Jahre in Kraft gestanden haben. Nach Art. 49 des Gesetzes über die Ausübung der politischen Rechte (GPR) können Initiativen in Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfes eingereicht werden. Der Begriff des Gesetzes kann im materiellen oder formellen Sinn verstanden werden. Welchen Gesetzesbegriff Art. 3 Abs. 1 KV und Art. 49 GPR meinen, ist im Zusammenhang mit weiteren Bestimmungen der Kantonsverfassung festzustellen. Gemäss Art. 2 Abs. 2 KV unterliegen der Volksabstimmung nebst Verfassungsänderungen (Ziff. 1), Staatsverträgen und Konkordaten (Ziff. 2), Beschlüssen des Grossen Rates, durch welche neue Kantonsbehörden aufgestellt werden sollen (Ziff. 5), Kreditbeschlüssen (Ziff. 6a) und anderweitigen Beschlüssen des Grossen Rates, welche derselbe der Volksabstimmung zu unterstellen für gut findet (Ziff. 7), folgende Gegenstände:
"3. Gesetze:
a) organische Gesetze, bürgerliche und Strafgesetze mit Einschluss derjenigen über das gerichtliche Verfahren in Zivilsachen sowie in Kriminal- und Strafpolizeisachen;
b) Verwaltungsgesetze, insbesondere im Steuer-, Schul-, Strassen-, Forst-, Jagd- und Fischerei-, im Gesundheits- und Armenwesen sowie in anderen Gebieten der Verwaltung und Volkswirtschaft;
4. diejenigen Bestimmungen kantonaler Ausführungsverordnungen zu Bundesgesetzen, welche nicht notwendige Folge der letzteren sind, und ihrer Natur nach im Sinne vorstehender Ziffer 3 in das Gebiet der Volksgesetzgebung fallen."
Ferner unterstehen gemäss Art. 2bis KV der Volksabstimmung Wasserrechtsverleihungen und interkantonale Verträge.
In Art. 2 und 2bis KV werden somit nebst Verfassungsänderungen, Staatsverträgen, Konkordaten, Wasserrechtsverleihungen und interkantonalen Verträgen Gesetze einerseits und Beschlüsse andererseits aufgeführt. Diese Aufgliederung und insbesondere die Aufzählung innerhalb von Art. 2 Ziff. 3 KV lässt darauf schliessen, dass unter Gesetz das Gesetz im materiellen Sinn zu verstehen ist.
Die bündnerische Verfassung unterscheidet im übrigen zwischen Gesetzen, grossrätlichen Verordnungen und grossrätlichen Beschlüssen. Gemäss Art. 29 KV hat die Regierung kantonale und eidgenössische Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse zu vollziehen und der Grosse Rat hat diesen Vollzug gemäss Art. 15 Abs. 1 KV zu überwachen. Nach Art. 15 Abs. 3 KV erlässt der
BGE 111 Ia 303 S. 315
Grosse Rat die nötigen Vollziehungsverordnungen und Ausführungsbestimmungen zu den kantonalen Gesetzen. Gemäss Art. 15 Abs. 4 KV ist der Grosse Rat befugt, in allen Landesangelegenheiten, welche nicht zufolge Art. 2 und 3 KV der Volksabstimmung unterliegen, gültige Verordnungen zu erlassen und Beschlüsse zu fassen. Bei diesen grossrätlichen Verordnungen, wie sie auch in Art. 3 Abs. 1 KV und Art. 49 GPR aufgeführt sind, handelt es sich um Rechtsverordnungen und somit ebenfalls um Gesetze im materiellen Sinn (vgl. WOLF SEILER, Die Organe der Rechtssetzung im Kanton Graubünden, S. 86 ff.).
Der Beschluss ist die Form für Verwaltungsverfügungen des Grossen Rates. Dies ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus der historischen Entwicklung von Art. 3 KV. In der früheren Fassung von Art. 3 Abs. 1 Ziff. 1 KV war die Volksinitiative nicht nur auf Erlass neuer Gesetze und grossrätlicher Verordnungen, sondern auch in bezug auf grossrätliche Beschlüsse möglich (vgl. SEILER, a.a.O., S. 116). Aus diesem Grund wies GIACOMETTI darauf hin, dass im Kanton Graubünden eine Verwaltungsinitiative zulässig sei (Z. GIACOMETTI, Das Staatsrecht der Schweizerischen Kantone, Zürich 1941, S. 536 f. Anm. 51). Mit der Verfassungsrevision vom 2. März 1980 wurde diese Initiative auf Erlass neuer Beschlüsse sowie Abänderung und Aufhebung von bestehenden Beschlüssen des Grossen Rates aufgehoben. Eine Verwaltungsinitiative existiert demnach heute im Kanton Graubünden nicht mehr. Es besteht somit unter keinem Gesichtspunkt ein Anlass zu bezweifeln, dass Art. 3 Abs. 1 KV und Art. 49 GPR als Gegenstand der Initiative auf Erlass, Änderung oder Aufhebung eines Gesetzes einzig Gesetze im materiellen Sinn, d.h. generell-abstrakte Rechtssetzungserlasse zulassen.
b) Rechtssätze, d.h. allgemeine Normen, die verbindlich und auf Verwirklichung ausgerichtet sind, müssen in ihrem Inhalt zumindest minimal bestimmt sein. Andernfalls halten sie gerade, weil ihnen mehr als programmatische Bedeutung zukommt, vor dem Gebot der Rechtssicherheit nicht stand (
BGE 102 Ia 138
,
BGE 109 Ia 282
ff. E. 4a, mit Hinweisen).
Wie das Bundesgericht in
BGE 102 Ia 138
f. festgestellt hat, wurde bereits mehrfach entschieden, dass auf dem Wege der Gesetzesinitiative keine individuell-konkreten Anordnungen vorgeschlagen werden dürfen, wenn sich der Kantonsverfassung entnehmen lässt, dass Inhalt eines Gesetzes nur Rechtssätze generell-abstrakter Natur sein können
BGE 111 Ia 303 S. 316
(
BGE 98 Ia 641
E. 3,
BGE 89 I 375
E. 3/4,
BGE 73 I 108
E. 5). Blosse Programmsätze ohne direkte Verbindlichkeit als Inhalt einer Gesetzesinitiative sind demnach unzulässig, wenn das kantonale Recht einen materiellen Gesetzesbegriff kennt (vgl.
BGE 89 I 375
E. 3/4,
BGE 96 I 654
E. 8). Allerdings haben nicht schon einzelne programmatische Bestimmungen zur Folge, dass ein Gesetz nicht mehr Gesetz im materiellen Sinn ist (
BGE 102 Ia 138
). Für die Vereinbarkeit der hier zu beurteilenden Initiative mit Art. 2 und 3 KV ist demnach entscheidend, ob die vorgeschlagenen Verhaltensnormen insgesamt mehr als bloss programmatische Bedeutung besitzen und als Rechtssätze hinreichend bestimmt sind oder ob die Initiative eine eigentliche Verwaltungsinitiative darstellt.
c) Nach dem Initiativtext werden die Behörden des Kantons Graubünden verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass auf dem Kantonsgebiet keine Atomanlagen errichtet werden oder hierzu vorbereitende Massnahmen vorgenommen werden. Hinsichtlich der Mittel wird lediglich bestimmt, dass dies mit allen rechtlichen und politischen Mitteln zu erfolgen habe. Im Initiativtext und in der Begründung finden sich keine Angaben darüber, an welche Möglichkeiten und Massnahmen die Initianten gedacht haben. Die Beschwerdeführer machen indessen geltend, es gehe bei der Initiative um die Verwirklichung einer Leitidee. Diese soll die Behörden in einer bestimmten energiepolitischen Optik leiten und sie auf diese Optik verpflichten. Der Ermessens- und Beurteilungsspielraum und der politische Einfluss seien im Sinne dieser klaren Zielsetzung einzusetzen. Welche konkreten Handlungen die Behörden jedoch vornehmen sollen, kann der Initiative nicht entnommen werden. Daraus ergibt sich, dass die Initiative in erster Linie programmatischen Charakter hat. Als verpflichtendes Verhaltensrecht im Sinne eines materiellen Gesetzes entbehrt daher die Initiative der notwendigen Bestimmtheit. Die im vorliegenden Fall streitige Initiative unterscheidet sich demnach nicht wesentlich von dem vom Bundesgericht im Fall Albonico beurteilten Initiativbegehren (
BGE 102 Ia 131
).
Die Bündner Initiative für ein Gesetz gegen Atomanlagen und -lagerstätten weist denn auch vielmehr den Charakter einer Verwaltungsinitiative oder allenfalls eines Bündels von Verwaltungsinitiativen auf. Die Behörden sollen verpflichtet werden, sich mit allen (rechtlichen und politischen) Mitteln gegen ein konkretes Projekt wie beispielsweise die Probebohrungen im Misox und allenfalls gegen weitere Projekte für Atomanlagen im Sinne
BGE 111 Ia 303 S. 317
von
Art. 1 Abs. 2 AtG
zur Wehr zu setzen. Verwaltungsinitiativen können indessen, wie oben dargelegt, nicht Gegenstand eines Initiativbegehrens sein. Auch unter diesem Gesichtspunkt verstösst daher die Initiative gegen übergeordnetes kantonales Recht.
8.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Initiative für ein Gesetz gegen Atomanlagen und -lagerstätten sowohl im Widerspruch mit dem Bundesrecht als auch mit dem kantonalen Recht steht. Der Grosse Rat des Kantons Graubünden durfte sie daher als ungültig bezeichnen und sie dem Volk nicht zur Abstimmung unterbreiten, ohne dadurch die politischen Rechte der Beschwerdeführer zu verletzen. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und ist abzuweisen. | 12,696 | 4,988 | 2 | 0 | CH_BGE_002 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_002_BGE-111-Ia-303_1985 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=12&from_date=&to_date=&from_year=1985&to_year=1985&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=115&highlight_docid=atf%3A%2F%2F111-IA-303%3Ade&number_of_ranks=357&azaclir=clir | BGE_111_Ia_303 |
|||
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ab Seite 471
BGE 145 IV 470 S. 471
A.
Par jugement du 14 juin 2018, la Cour des affaires pénales du Tribunal pénal fédéral a notamment:
- libéré A. des chefs de prévention d'organisation criminelle, de faux d ans les titres et de blanchiment d'argent et l'a condamné, pour esc roquerie par métier, à une peine privative de liberté de 21 mois, avec sursis durant deux ans;
- classé la procédure dirigée contre C. concernant le chef de prévention d'escroquerie subsidiaire à celui d'extorsion et chantage, acquitté le prénommé des chefs de prévention d'organisation criminelle, d'extorsion et chantage, de faux dans les titres et de blanchim ent d'argent et l'a condamné, pour escroquerie par métier, à une p eine privative de liberté de 24 mois, avec sursis durant deux ans;
- libéré D. des chefs de prévention d'organisation criminelle, d'extorsion et chantage, de faux dans les titres et de blanchiment d'argent et l'a condamné, pour escroquerie par métier, à une peine privative de liberté de 20 mois, avec sursis durant deux ans;
- libéré E. de tous les chefs de prévention le concernant;
- libéré F. des chefs de prévention d'organisation criminelle et de faux dans les titres concernant une partie des faits et l'a condamné, pour escroquerie par métier et faux dans les titres, à une peine privative de liberté de 24 mois, avec sursis durant deux ans;
- libéré G. des chefs de prévention d'organisation criminelle et de faux dans les titres concernant une partie des faits et l'a condamné, pour escroquerie par métier et faux dans les titres, à une peine privative de liberté de 11 mois, avec sursis durant deux ans;
- libéré H. du chef de prévention d'organisation criminelle;
- classé la procédure dirigée contre I. s'agissant du chef de préve notion de blanchiment d'argent et a libéré le prénommé des autres chefs de prévention le concernant;
- libéré J. du chef de prévention d'organisation criminelle;
- libéré K. de tous les chefs de prévention le concernant;
- classé la procédure dirigée contre L. s'agissant du chef de prévention d'escroquerie subsidiaire à celui d'extorsion et chantage et a libéré le prénommé de tous les autres chefs de prévention le concernant;
BGE 145 IV 470 S. 472
- libéré M. de tous les chefs de prévention le concernant;
- classé la procédure dirigée contre N. s'agissant du chef de prévention de gestion déloyale subsidiaire à celui d'escroquerie et a libéré le prénommé de tous les autres chefs de prévention le concernant.
La Cour des affaires pénales du Tribunal pénal fédéral a en outre admis - dans leur principe - les prétentions civiles de B. SA contre A., C., D., F. et G., et a renvoyé cette société à agir par la voie civile.
B.
A. (ci-après: le recourant 1) forme un recours en matière pénale au Tribunal fédéral contre le jugement du 14 juin 2018 (6B_383/2019), en concluant, avec suite de frais et dépens, principalement à sa réforme en ce sens qu'il est acquitté et que les prétentions civiles de B. SA ne sont pas admises dans leur principe le concernant. Subsidiairement, il conclut à son annulation et au renvoi de la cause à l'autorité précédente pour nouvelle décision. Il sollicite par ailleurs le bénéfice de l'assistance judiciaire.
Le Ministère public de la Confédération (ci-après: le recourant 2) forme également un recours en matière pénale au Tribunal fédéral contre le jugement du 14 juin 2018 (6B_394/2019), en concluant, avec suite de frais, principalement à sa réforme en ce sens que:
- A. est condamné pour participation à une organisation criminelle, faux dans les titres, escroquerie par métier et blanchiment d'argent aggravé;
- C. est condamné pour extorsion et chantage, subsidiairement escroquerie, participation à une organisation criminelle, faux dans les titres, escroquerie par métier et blanchiment d'argent aggravé;
- D. est condamné pour participation à une organisation criminelle, extorsion et chantage, faux dans les titres, escroquerie par métier et blanchiment d'argent aggravé;
- E. est condamné pour participation à une organisation criminelle, escroquerie par métier, faux dans les titres et blanchiment d'argent aggravé;
- F. est condamné pour participation à une organisation criminelle, faux dans les titres et escroquerie par métier;
- G. est condamné pour participation à une organisation criminelle, faux dans les titres et escroquerie par métier;
- H. est condamné pour participation à une organisation criminelle;
BGE 145 IV 470 S. 473
- I. est condamné pour participation à une organisation criminelle, faux dans les titres et blanchiment d'argent aggravé;
- J. est condamné pour participation à une organisation criminelle;
- K. est condamné pour participation à une organisation criminelle, escroquerie par métier et blanchiment d'argent aggravé;
- L. est condamné pour participation à une organisation criminelle, extorsion et chantage, subsidiairement escroquerie, faux dans les titres, escroquerie par métier et blanchiment d'argent aggravé;
- M. est condamné pour participation à une organisation criminelle, escroquerie par métier, faux dans les titres et blanchiment d'argent aggravé;
- N. est condamné pour escroquerie par métier, respectivement com plicité s'agissant de cette infraction, subsidiairement pour gestion déloyale.
Subsidiairement, il conclut à son annulation et au renvoi de la cause à l'autorité précédente pour nouvelle décision.
C.
Invités à se déterminer sur le recours de A., le Tribunal pénal fé déral a renoncé à présenter des observations, tand is que le Ministère public de la Confédération a conclu à l'irrecevabilité, subsidiairement au rejet du recours. B. SA ne s'est quant à elle pas déterminée dans le délai qui lui avait été imparti pour ce faire. A. a encore présenté des observations concernant les déterminations du Ministère public de la Confédération.
Invités à se déterminer sur le recours du Ministère public de la Confédération concernant le cas de I. relativement au chef de prévention de faux dans les titres, le Tribunal pénal fédéral a présenté des observations, tandis que le prénommé a conclu au rejet du recours tout en sollicitant le bénéfice de l'assistance judiciaire. | 2,292 | 1,140 | Erwägungen
Extrait des considérants:
Organisation criminelle
4.
Le Ministère public de la Confédération (recourant 2) reproche à la Cour des affaires pénales du Tribunal pénal fédéral (ci-après: l'autorité précédente) d'avoir libéré A., C., D., E., F., G., H., I., J., K., L. et M. du chef de prévention d'organisation criminelle.
4.1
Aux termes de l'art. 260
ter
ch. 1 CP, celui qui aura participé à une organisation qui tient sa structure et son effectif secrets et qui poursuit
BGE 145 IV 470 S. 474
le but de commettre des actes de violence criminels ou de se procurer des revenus par des moyens criminels, celui qui aura soutenu une telle organisation dans son activité criminelle, sera puni d'une peine privative de liberté de cinq ans au plus ou d'une peine pécuniaire.
La jurisprudence assimile à de telles organisations, à côté des syndicats du crime et autres corporations à caractère mafieux, les groupements ou associations terroristes (
ATF 142 IV 175
consid. 5.4 p. 188;
ATF 133 IV 58
consid. 5.3.1 p. 70), tels que le groupement islamiste extrémiste des "Martyrs pour le Maroc", le mouvement extrémiste kosovo-albanais "ANA", qui a succédé à l'UCK, les Brigades rouges italiennes, l'ETA basque ou encore le réseau international "Al-Qaïda" (
ATF 142 IV 175
consid. 5.8 p. 191 s.;
ATF 132 IV 132
consid. 4.1.2 p. 134). Ne comptent en revanche pas parmi les organisations criminelles les partis extrémistes, les groupes politiques d'opposition ou les organisations qui luttent avec des moyens proportionnés - et non criminels - pour le pouvoir politique dans leur pays ou qui mènent un combat pour la liberté contre des régimes dictatoriaux (
ATF 142 IV 175
consid. 5.4 p. 188 s.;
ATF 133 IV 58
consid. 5.3.1 p. 70 et les références citées).
L'art. 260
ter
CP ne mentionne ni ne définit le terrorisme. Selon l'art. 260
quinquies
al. 1 CP [Financement du terrorisme], celui-ci se conçoit comme un acte de violence criminelle visant à intimider une population ou à contraindre un Etat ou une organisation internationale à accomplir ou à s'abstenir d'accomplir un acte quelconque (cf. aussi les éléments évoqués aux
ATF 131 II 235
consid. 3.5 p. 247).
4.2
L'autorité précédente a exposé qu'après l'indépendance du pays en 1948, le Sri Lanka (ou Ceylan jusqu'en 1972) avait amorcé un virage favorable à la majorité ethnique des Cinghalais. La politique pratiquée avait été caractérisée par l'exclusion - parfois violente - des Tamouls. Elle avait provoqué chez le peuple tamoul du ressentiment ainsi qu'un désir de séparation. Dès 1972, des groupes tamouls radicaux avaient vu le jour. Fondé en 1976, le mouvement "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (ci-après: LTTE) s'était imposé au Sri Lanka dans la lutte du peuple tamoul pour ses droits, ensuite de l'échec de l'action politique des défenseurs de la cause tamoule. Le mouvement LTTE était animé par une idéologie politique et sociale. Dès 1976, il avait revendiqué l'instauration d'un Etat socialiste, au besoin par la force. Ce mouve ment - de type essentiellement militaire - était organisé et hiérarchisé. Il avait la capacité de recruter des combattants et de les former. Ses moyens humains et logistiques étaient importants. Son armée
BGE 145 IV 470 S. 475
comprenait des forces terrestres, aériennes et navales. Durant plusieurs années, le mouvement LTTE avait contrôlé des portions du Sri Lanka. Il y avait mis en place des structures de type étatique. Il disposait ainsi d'une administration - notamment dans les domaines de la justice et des finances -, prélevait des impôts, avait construit des hôpitaux ou des écoles. Grâce à son armée et son organisation, le mouvement LTTE avait la capacité de conduire des opérations militaires, de définir une stratégie et de parler d'une seule voix. Il s'était trouvé en conflit armé avec les forces sri lankaises à partir de 1983, selon des lignes de partage ethniques. Des affrontements avaient déchiré le pays jusqu'en 2002, époque à laquelle un accord de cessez-le-feu avait été conclu . Le conflit armé s'était achevé en mai 2009, sans la mise en place d'un processus de réconciliation.
A partir des années 1980, les populations tamoules avaient commencé à fuir le Sri Lanka. En 2014, la Suisse comptait 40'000 individus d'origine tamoule. Pour assurer sa représentation à l'étranger ainsi que son financement, le mouvement LTTE avait développé un réseau international. Dans de nombreux pays, des instances centrales de coordination avaient été mises sur pied, chapeautées par le secrétariat international. A partir des années 1990 et jusqu'en 2000, le mouvement LTTE avait disposé à Londres d'un quartier général où siégeait son secrétariat international, lequel cherchait des financements et assurait des tâches de propagande et de lobbying. A l'époque de l'accord de cessez-le-feu de 2002, ce secrétariat avait été transféré au Sri Lanka. Des liens existaient entre le mouvement LTTE et ses branches internationales. Celles-ci étaient, en tout cas à partir de 2003, soumises à des règles d'organisation émanant du mouvement LTTE et de son état-major au Sri Lanka. Le mouvement encourageait l'activité politique et associative de la communauté tamoule réfugiée dans des pays d'ac cueil pour faire entendre ses revendications. Il cherchait à diffuser sa doctrine au sein de la communauté tamoule et voulait favoriser les dons. Des collectes étaient organisées, de même que des activités de propagande. Le mouvement LTTE souhaitait aussi promouvoir la transmission de la culture tamoule et maintenir le lien culturel et communautaire parmi ses membres. Pour ce faire, il apportait aide et soutien aux nouveaux arrivants et les accompagnait dans leur installation.
Le O. était une association fondée à Coire en 1994. Son but était d'entretenir, de préserver et d'élargir les liens culturels, philosophiques, sociaux et religieux, les coutumes et croyances de la population tamoule résidant en Suisse et de contribuer à son accueil, à son assistance et à
BGE 145 IV 470 S. 476
son soutien, ainsi que de créer des sous-groupes, des clubs et d'autres centres culturels et sportifs. Le O. était une émanation du mouvement LTTE, où gravitaient des individus en lien avec celui-ci. Il assurait la collecte de dons, lesquels étaient contrôlés et souvent réclamés avec insistance. Les fonds obtenus étaient ensuite centralisés avant d'être transmis au Sri Lanka.
Selon l'autorité précédente, plus de 32 Etats avaient inscrit le mouvement LTTE sur leur liste d'organisations terroristes, dont les Etats-Unis d'Amérique en 1996 puis en 2003, la Malaisie, l'Inde, le Royaume-Uni en 2001 et le Canada. Le Conseil de l'Union européenne s'était appuyé sur l'inscription effectuée par le Royaume-Uni lors de l'adjonction du mouvement sur sa propre liste. Depuis 2006, celui-ci avait ainsi été inscrit sur la liste de l'Union européenne concernant le gel des fonds des organisations terroristes. En Suisse, le Conseil fédéral avait interdit au mouvement LTTE de procéder à des récoltes de fonds et à toute propagande à l'occasion de la fête du "Heroes's Day" organisée le 2 décembre 2001 dans le canton de Fribourg. De manière plus générale, depuis 1999, la Suisse s'était intéressée à "l'extrémisme violent tamoul".
4.3
L'autorité précédente a indiqué que le recourant 2 avait, dans son acte d'accusation, attribué divers attentats au mouvement LTTE entre 1996 et 2009, lesquels auraient causé la mort de plusieurs milliers de civils. Elle a considéré que les moyens de preuve fournis à l'appui de ces assertions permettaient de conclure que de nombreuses exactions et attentats étaient attribués au mouvement LTTE, mais pas que celui-ci aurait effectivement commis ces actes. Il aurait ainsi été nécessaire d'établir un lien direct entre les auteurs des actes de violence en question et le mouvement. Pour l'autorité précédente, le fait que le mouvement LTTE figurât sur les listes d'organisations terroristes de divers pays n'y changeait rien. Il était douteux que les actes en question eussent été perpétrés par des membres du mouvement et non par des sujets individuels s'étant concertés en vue de les accomplir.
S'agissant des éléments constitutifs de l'infraction à l'art. 260
ter
CP, l'autorité précédente a considéré que le mouvement LTTE constituait une organisation et pouvait même, de fait, être assimilé à un Etat. En Suisse, celui-ci manifestait ouvertement et rassemblait ses membres sans se cacher. Il distribuait du matériel de propagande sans dissimuler qu'il en était l'auteur, ou collectait des fonds en faveur de la lutte menée au Sri Lanka. Quant au O., sa structure, ses effectifs, le rôle de ses
BGE 145 IV 470 S. 477
cadres et leurs activités étaient en règle générale connus au sein de la communauté tamoule et, dans une certaine mesure, à l'extérieur. Les portes des locaux du O. étaient ouvertes et les Tamouls pouvaient s'y rendre librement. Il n'y régnait aucune clandestinité ni loi du silence. Certains aspects de l'activité du O. restaient discrets - ainsi les relations bancaires, la comptabilité ou les achats d'armes - mais pas d'une manière différente de celle prévalant dans n'importe quel autre organisme. Le O. n'était pas assujetti au mouvement LTTE, même s'il existait une parenté idéologique entre les deux entités. Il s'agissait d'organismes distincts et souverains dont les activités différaient. Le mouvement LTTE réunissait des personnes dans une organisation hiérarchisée et armée, tandis que les cellules à l'étranger permettaient de financer son combat armé. Le O. n'agissait pas de manière concertée avec ce mouvement, encore moins pour commettre des crimes.
A propos du caractère criminel de l'organisation, l'autorité précédente a considéré que le mouvement LTTE s'était incontestablement engagé dans des hostilités armées contre le gouvernement du Sri Lanka. Il n'était en revanche pas prouvé qu'il fût impliqué dans les actes de violence à caractère terroriste qui lui étaient imputés. Ainsi, le mouvement LTTE représentait bien une organisation structurée, secrète dans son pays d'origine, mais dont le but n'était pas de commettre des actes criminels de violence au sens de l'art. 260
ter
CP. Par ailleurs, il n'avait pas été établi que ledit mouvement entendait obtenir des revenus par des moyens criminels.
Concernant enfin l'aspect subjectif de l'infraction, l'autorité précédente a estimé que même si le mouvement LTTE dût être qualifié d'organisation criminelle au sens de l'art. 260
ter
CP, son caractère terroriste ne s'imposait nullement à la raison. Il n'avait pas été démontré que les intimés concernés - s'ils avaient eu connaissance des accusations de terrorisme qui pesaient sur le mouvement et avaient su que les fonds récoltés en Suisse servaient à acheter des armes - eussent souhaité s'associer à une activité terroriste qui n'était nullement prédominante.
4.4
Le principal point litigieux consiste, en l'espèce, à déterminer si le mouvement LTTE devait être qualifié d'"organisation criminelle" au sens de l'art. 260
ter
CP. L'autorité précédente a en substance refusé de retenir le caractère criminel de l'organisation car il n'était pas démontré que les actes de violence contre des civils qui lui étaient attribués émanaient directement de celle-ci. Elle a également relevé que lesdits actes avaient pris place dans un contexte de conflit armé avec le
BGE 145 IV 470 S. 478
gouvernement du Sri Lanka et qu'on ignorait s'ils pouvaient être considérés comme illicites au regard du droit international humanitaire. Le recourant 2 soutient quant à lui que le mouvement LTTE aurait perpétré de nombreuses exactions ou actes terroristes dirigés spécifiquement contre des civils, qu'il aurait en outre recouru à des méthodes - telles que l'utilisation de boucliers humains, le recrutement d'enfants soldats, les enlèvements ou encore les assassinats politiques - en tous les cas illicites, de sorte qu'il aurait dû être considéré comme un groupement terroriste.
L'objet de la présente procédure ne consiste pas à qualifier l'action du mouvement LTTE du point de vue du droit de la guerre ou du droit humanitaire. Il s'agit uniquement de déterminer si et dans quelle mesure les intimés concernés ont pu commettre une infraction à l'art. 260
ter
CP. A cet égard, il apparaît d'emblée que la cause se distingue de celles dans lesquelles le Tribunal fédéral a eu l'occasion de considérer - par le biais d'un examen "prima facie" - cette disposition à propos de groupements ou associations terroristes dans le cadre de l'entraide internationale en matière pénale (cf. notamment
ATF 142 IV 175
;
ATF 133 IV 58
;
ATF 131 II 235
;
ATF 128 II 355
). Outre que la présente procédure implique la poursuite directe des intimés en question par les autorités pénales suisses, le mouvement LTTE a déployé, au Sri Lanka, durant des décennies, une activité dont l'ampleur dépasse de beaucoup celle d'organisations qui ont pu être qualifiées de terroristes au regard de l'art. 260
ter
CP. De surcroît, il ressort du jugement attaqué que le O. a fonctionné au vu et au su des autorités suisses durant la période considérée. On doit donc se demander si, sous l'angle du principe de la légalité, les intimés concernés pouvaient être poursuivis sur la base de l'art. 260
ter
CP en raison des agissements qui leur ont été reprochés.
4.5
Une peine ou une mesure ne peut être prononcée qu'en raison d'un acte expressément réprimé par la loi (
art. 1 CP
). Le principe de la légalité (
nulla poena sine lege
) est aussi ancré expressément à l'
art. 7 CEDH
. Il se déduit également de l'art. 5 al. 1, 9 et 164 al. 1 let. c Cst. (
ATF 144 I 242
consid. 3.1.2 p. 251;
ATF 143 II 297
consid. 9.5 p. 343;
ATF 138 IV 13
consid. 4.1 p. 19 s.). Le principe est violé lorsque quelqu'un est poursuivi pénalement en raison d'un comportement qui n'est pas visé par la loi; lorsque l'application du droit pénal à un acte déterminé procède d'une interprétation de la norme pénale excédant ce qui est admissible au regard des principes généraux du droit pénal; ou si quelqu'un est poursuivi en application d'une norme pénale qui n'a pas de fondement juridique (
ATF 144 I 242
consid. 3.1.2 p. 251). Le principe
BGE 145 IV 470 S. 479
s'applique à l'ensemble du droit pénal. Il n'exclut pas une interprétation extensive de la loi à la charge du prévenu (
ATF 138 IV 13
consid. 4.1 p. 20). La loi doit être formulée de manière telle qu'elle permette au citoyen de s'y conformer et de prévoir les conséquences d'un comportement déterminé avec un certain degré de certitude dépendant des circonstances (
ATF 141 IV 279
consid. 1.3.3 p. 282;
ATF 138 IV 13
consid. 4.1 p. 20). L'exigence de précision de la base légale ne doit cependant pas être comprise d'une manière absolue. Le législateur ne peut pas renoncer à utiliser des définitions générales ou plus ou moins vagues, dont l'interprétation et l'application sont laissées à la pratique. Le degré de précision requis ne peut pas être déterminé de manière abstraite. Il dépend, entre autres, de la multiplicité des situations à régler, de la complexité ou de la prévisibilité de la décision à prendre dans le cas particulier, du destinataire de la norme, ou de la gravité de l'atteinte aux droits constitutionnels. Il dépend aussi de l'appréciation que l'on peut faire, objectivement, lorsque se présente un cas concret d'application (
ATF 139 I 72
consid. 8.2.1 p. 86;
ATF 138 IV 13
consid. 4.1 p. 20 et les références citées; arrêts 6B_1174/ 2017 du 7 mars 2018 consid. 3.2; 6B_395/2017 du 16 novembre 2017 consid. 3.1).
4.6
En l'occurrence, contrairement à l'avis de l'autorité précédente, il convenait de retenir que le mouvement LTTE, à côté de la lutte armée conventionnelle menée au fil des ans contre le gouvernement sri lankais, s'est trouvé à l'origine de diverses attaques de nature terroriste, notamment dirigées contre des cibles civiles, au vu de ce qui suit.
Le dossier de la cause comprend plusieurs décisions de justice étrangères concernant des personnes ayant oeuvré - y compris au sein d'organisations nationales semblables au O. - au profit du mouvement LTTE. Dans un jugement du 23 novembre 2011, l'
Oberlandesgericht
de Düsseldorf a ainsi retenu que le mouvement LTTE avait conduit diverses attaques - entre mars 1991 et février 2009 - contre des installations civiles, causant la mort de 457 civils. Il a détaillé celles-ci, évoquant par exemple un attentat aux explosifs commis le 15 juin 2006 contre un autobus civil, lequel a provoqué la mort de 64 personnes à Anuradhapura. L'
Oberlandesgericht
n'a cependant pas examiné au fond si le mouvement LTTE constituait une organisation terroriste, mais a constaté que celui-ci figurait, à l'époque des faits en question, sur la liste des organisations concernées par le règlement (CE) n° 2580/ 2001 du 27 décembre 2001 en matière de lutte contre le terrorisme. Il a ainsi condamné les prévenus pour avoir mis des fonds à disposition
BGE 145 IV 470 S. 480
du mouvement LTTE et violé l'embargo prononcé sur ce dernier. Dans un jugement du 23 novembre 2009, le Tribunal de Grande instance de Paris s'est lui aussi penché sur le mouvement LTTE. Il a notamment retenu que celui-ci se trouvait à l'origine de nombreux actes de terrorisme, qu'il avait poursuivi de telles attaques y compris après le cessez-le-feu signé en 2002 et qu'à compter d'avril 2006, les "services spécialisés" avaient signalé une recrudescence d'actions de ce type, lesquelles avaient en particulier causé la mort de 412 civils en 2007 en raison d'attentats ou d'assassinats. Le tribunal a en outre indiqué que les "méthodes employées" par le mouvement LTTE, "qu'il s'agisse de l'enrôlement forcé, du recours à la menace, de l'utilisation de la violence comme mode d'expression, de la population comme bouclier humain", ne laissaient "aucun doute" sur son caractère terroriste. Enfin, dans un jugement du 30 avril 2015, la Cour de La Haye a elle aussi retenu que le mouvement LTTE avait perpétré divers attentats contre des civils ou des cibles civiles au Sri Lanka - notamment contre des villages et des lieux publics -, causant la mort de milliers de personnes, ou encore qu'il avait procédé - au fil des années - à des extorsions ou des disparitions forcées.
D'autres pièces au dossier révèlent les actes de nature terroriste auxquels s'est livré le mouvement LTTE à côté de son action militaire conventionnelle. Par exemple, dans un rapport daté du 31 mars 2011, un groupe d'experts nommés par le Secrétariat général de l'ONU a fait état des assassinats politiques, des attaques suicides ayant occasionné de nombreuses morts civiles, sur des cibles de nature économique ou religieuse, ou encore d'exactions ou de menaces destinées à contrôler la population. De même, dans un rapport du 16 septembre 2015, le Haut-Commissariat des droits de l'Homme de l'ONU attribue au mouvement LTTE, pour la période courant de 2002 à 2011, des assassinats, notamment de civils, ou des attaques suicides contre des cibles civiles. Dans son rapport d'avril 2017, l'expert judiciaire P., invité par l'autorité précédente à expliquer l'histoire du mouvement LTTE, a notamment relevé que celui-ci avait conduit des attaques contre des civils durant tout le conflit contre le gouvernement sri lankais, en fournissant divers exemples d'exécutions de civils ou d'attentats perpétrés contre des cibles civiles, à l'instar d'une banque centrale. Enfin, dans un rapport de 2014 établi sur mandat de l'Office fédéral de la migration (An Institutional History of the Liberation Tigers of Tamil Eelam [LTTE]), l'auteur, Q., a également attribué au mouvement LTTE des attaques suicides contre des cibles civiles ou encore des assassinats ciblés, lesquels ont été perpétrés des années 1980 aux années 2000.
BGE 145 IV 470 S. 481
Ces éléments auraient dû conduire l'autorité précédente à retenir que le mouvement LTTE se trouvait bien à l'origine de divers actes à caractère terroriste, quand bien même l'accusation n'aurait pas démontré, dans le cadre de la procédure, qu'une attaque ou un attentat en particulier aurait été fomenté et commandité par celui-ci. L'application de l'art. 260
ter
CP ne suppose pas, en effet, que la nature criminelle de l'organisation soit démontrée, dans chaque cas, par la preuve d'un acte de violence criminel pouvant lui être attribué.
4.7
Nonobstant les considérations qui précèdent, force est d'admettre que les intimés concernés ne pouvaient être poursuivis sur la base de l'art. 260
ter
CP, compte tenu de l'imprévisibilité entourant la qualification juridique de leur comportement.
4.7.1
La genèse de l'art. 260
ter
CP est à mettre en relation avec la volonté du législateur de lutter contre le "crime organisé", c'est-à-dire contre les organisations, dont le fonctionnement est proche de celui d'une entreprise internationale, qui pratiquent une division très poussée des tâches, disposent de structures hermétiquement cloisonnées - conçues de façon méthodique et durable - s'efforçant de réaliser des profits aussi élevés que possible en commettant des infractions et en participant à l'économie légale, en recourant à la violence, à l'intimidation et en cherchant à exercer son influence sur la politique et l'économie. En résumé, le "crime organisé" envisagé correspondait aux agissements des structures mafieuses (cf. Message du 30 juin 1993 concernant la modification du code pénal suisse et du code pénal militaire [Révision du droit de la confiscation, punissabilité de l'organisation criminelle, droit de communication du financier], FF 1993 III 273 [ci-après: Message modification CP/CPM]). Après l'adoption de dispositions - jugées plus urgentes - destinées à lutter contre le blanchiment d'argent, l'art. 260
ter
CP a été inclus dans le "second train de mesures contre le crime organisé". Celui-ci faisait également suite à diverses interventions parlementaires relatives au crime organisé, aux associations de malfaiteurs ou au trafic de stupéfiants (cf. Message modification CP/CPM, op. cit., FF 1993 III 277 s. ch. 121). L'art. 260
ter
CP a donc été conçu afin de répondre aux situations dans lesquelles il n'est plus possible de reconstituer la chaîne de causalité qui mène à l'infraction concrète, c'est-à-dire chaque fois que les véritables auteurs s'entourent d'un rempart qui empêche de prouver leur participation à un délit précis et, partant, de les confondre (cf. Message modification CP/CPM, op. cit., FF 1993 III 287 ch. 211; cf. arrêt 6B_1132/2016 du 7 mai 2017 consid. 1.1, non publié aux
ATF 143 IV 145
).
BGE 145 IV 470 S. 482
On peut à cet égard préciser que des travaux visant à lutter contre les "associations de malfaiteurs" avaient déjà été menés puis abandonnés par le passé (cf. Message du 10 décembre 1979 concernant la modification du code pénal et du code pénal militaire [Actes de violence criminels], FF 1980 I 1216).
Si l'art. 260
ter
CP a été rédigé avec des termes généraux et sans les détails qui risquaient de réduire son efficacité, les contours de l'"organisation criminelle" ont été tracés dans le Message du Conseil fédéral y relatif. Parmi d'autres caractéristiques attribuées à l'organisation criminelle, sa structure et son effectif doivent être tenus secrets. Sur ce point, la nécessité pour celle-ci de garder le secret sur ses structures ainsi que sur la composition de ses effectifs doit permettre de distinguer l'association légale - occasionnellement susceptible de commettre des délits dans son domaine d'activité - et l'organisation criminelle (cf. Message modification CP/CPM, op. cit., FF 1993 III 290). Fondamentalement, l'organisation criminelle doit poursuivre le but de commettre des crimes violents ou de se procurer des revenus par des moyens criminels. Ainsi, ses activités doivent "pour l'essentiel" concerner la commission de crimes et la poursuite dudit but doit ressortir nettement de ses mesures d'organisation, la répartition des rôles dans la perspective des infractions planifiées revêtant une importance particulière (cf. Message modification CP/CPM, op. cit., FF 1993 III 291 s.). On peut enfin relever que, dans les considérations du Conseil fédéral concernant l'art. 260
ter
CP, la nature terroriste d'une "organisation criminelle" visée n'était mentionnée que de manière marginale (cf. Message modification CP/CPM, op. cit., FF 1993 III 288 et 291).
Le Conseil fédéral a par la suite estimé, à propos de l'objectif général de lutte contre le terrorisme, que l'art. 260
ter
CP convenait "parfaitement pour combattre les organisations terroristes", au regard du but visé à travers les actes de violence commis, "typique des organisations terroristes" (cf. Message du 26 juin 2002 relatif aux Conventions internationales pour la répression du financement du terrorisme et pour la répression des attentats terroristes à l'explosif ainsi qu'à la modification du code pénal et à l'adaptation d'autres lois fédérales [ci-après: Messagerépression], FF 2002 5055 ch. 4.2.1). Il a exposé les raisonspour lesquelles il était défavorable à la création d'une liste des organisations et groupements considérés comme terroristes dans un texte législatif, nonobstant l'avantage - qu'il reconnaissait à cette technique législative - de permettre à chacun de reconnaître si son comportement tombe sous le coup du droit pénal ou non. Le Conseil fédéral
BGE 145 IV 470 S. 483
préférait ainsi privilégier une réglementation générale et abstraite du terrorisme en laissant le juge, dans chaque cas concret, appliquer la disposition pénale générale et décider du caractère pénalement répréhensible d'un comportement (cf. Message répression, op. cit., FF 2002 5059). Le Conseil fédéral a justifié l'applicabilité de l'art. 260
ter
CP aux organisations tant mafieuses que terroristes en indiquant que toutes deux poursuivaient le même objectif, soit la commission de crimes violents (cf. Message répression, op. cit., FF 2002 5061 ch. 4.5.4). Dans le cadre de la révision législative ayant suivi les attentats du 11 septembre 2001 aux Etats-Unis d'Amérique, le Conseil fédéral n'a ainsi pas préconisé de modification du texte de l'art. 260
ter
CP, mais uniquement une altération du titre marginal qui aurait dû évoquer les "organisations criminelles et terroristes" (cf. Message répression, op. cit., FF 2002 5061 et 5080), ce qui n'a pas été retenu par le législateur.
En 2006, à propos des moyens légaux à disposition des autorités pour combattre le terrorisme, le Conseil fédéral relevait que l'art. 260
ter
CP avait été conçu dans l'optique de la répression des organisations criminelles comme la mafia italienne, dont la motivation première est l'argent. Tout en rappelant qu'il n'existait pas de définition juridique internationalement reconnue du terrorisme, il admettait que la distinction entre le terrorisme et les luttes de libération ou le terrorisme d'Etat n'était "pas claire" (cf. Lutter plus efficacement contre le terrorisme et le crime organisé [Rapport du Conseil fédéral du 9 juin 2006 donnantsuite au postulat du 21 février 2005 de la Commission de la politique de sécurité du Conseil des Etats (05.3006)], FF 2006 5431 ch. 2.2.3).
Enfin, on peut mentionner que le Conseil fédéral a récemment proposé aux Chambres fédérales de modifier l'art. 260
ter
CP. Le projet concernerait les "organisations criminelles et terroristes" et incriminerait expressément un comportement relatif à cet aspect, en punissant celui qui participerait à une organisation "qui poursuit le but de commettre des actes de violence criminels visant à intimider une population ou à contraindre un Etat ou une organisation internationale à accomplir ou à s'abstenir d'accomplir un acte quelconque", de même que celui qui soutiendrait une telle organisation (cf. Projet d'arrêté fédéral portant approbation et mise en oeuvre de la Convention du Conseil de l'Europe pour la prévention du terrorisme et de son Protocole additionnel et concernant le renforcement des normes pénales contre le terrorisme et le crime organisé, FF 2018 6561). Selon le Conseil fédéral, il conviendrait notamment de tenir compte, dans l'application de cette
BGE 145 IV 470 S. 484
nouvelle norme, des décisions des comités internationaux et des listes actualisées d'organisations terroristes. Une intégration, dans la norme, d'une liste d'organisations criminelles ne serait en revanche pas souhaitable (cf. Message du 14 septembre 2018 relatif à l'arrêté fédéral portant approbation et mise en oeuvre de la Convention du Conseil de l'Europe pour la prévention du terrorisme et de son Protocole additionnel et concernant le renforcement des normes pénales contre le terrorisme et le crime organisé, FF 2018 6514 ch. 4.1.2.6).
Il ressort de ce qui précède que l'art. 260
ter
CP a, originellement, été conçu pour lutter contre le crime organisé de type mafieux et non directement contre les organisations terroristes. Au fil des ans, le Conseil fédéral a cependant affirmé que cette disposition convenait pour s'attaquer à des organisations de cette nature, dans la mesure où, comme les structures mafieuses, celles-ci avaient pour objectif la commission de crimes violents. Le soin était laissé au juge de déterminer juridiquement, de cas en cas, si la participation ou le soutien d'une organisation pouvait tomber sous le coup de l'art. 260
ter
CP. Ce n'est que récemment que le Conseil fédéral a proposé d'inclure expressément dans cette norme l'incrimination de la participation ou du soutien à une organisation terroriste, en y incluant même une définition de l'action terroriste et en proposant d'appliquer une telle disposition en se référant aux listes de groupes terroristes dressées par des comités internationaux ou des Etats.
4.7.2
Depuis l'entrée en vigueur de l'art. 260
ter
CP, la reconnaissance de cette norme comme devant s'appliquer également aux organisations terroristes a donc été essentiellement le fait de la jurisprudence. A cet égard, le Tribunal fédéral a déjà relevé à quel point la tâche qui lui était confiée était délicate, dès lors qu'il s'agissait de distinguer entre des actes terroristes et des actions violentes "politiquement légitimes" (cf.
ATF 142 IV 175
consid. 4.7 p. 181;
ATF 131 II 235
consid. 3.3 p. 245;
ATF 130 II 337
consid. 3.3 p. 344). En outre, la jurisprudence développée s'est essentiellement attachée à l'examen de l'art. 260
ter
CP sous l'angle de la double incrimination, selon lequel il convient de rechercher si l'organisation concernée pourrait "prima facie" justifier une application de cette disposition (cf.
ATF 142 IV 175
consid. 5.9 p. 192), ou concernant les organisations Al-Qaïda ou Etat islamique (cf. arrêts 6B_1132/2016 précité consid. 1, non publié aux
ATF 143 IV 145
; 6B_645/2007 du 2 mai 2008 consid. 7), dont le caractère terroriste est notamment notoire en Suisse eu égard à leur interdiction par ordonnances dès 2001 pour la première et 2014 pour le second, ou à la loi
BGE 145 IV 470 S. 485
fédérale du 12 décembre 2014 interdisant les groupes "Al-Qaïda" et "Etat islamique" et les organisations apparentées (RS 122).
Il apparaît ainsi qu'en dehors des groupes Al-Qaïda et Etat islamique ou de ceux que le Tribunal fédéral a déjà qualifiés de terroristes dans sa jurisprudence concernant l'entraide internationale en matière pénale - et qui, partant, seraient susceptibles d'entraîner une application de l'art. 260
ter
CP -, il est malaisé de prévoir si une organisation ayant notamment commis des actes terroristes pourrait être considérée comme une organisation criminelle au sens de cette norme. Or, cette incertitude apparaît rédhibitoire - sous l'angle du principe de la légalité - concernant le mouvement LTTE, au vu de ce qui suit.
4.7.3
La situation du mouvement LTTE a, à plusieurs reprises, suscité des interrogations au sein des autorités fédérales. Celles-ci ont par ailleurs présenté diversement le mouvement au fil des dernières années. Il convient tout d'abord de rappeler que, comme l'a signalé l'expert P., le mouvement LTTE bénéficiait, à tout le moins jusqu'en 2001, d'une certaine sympathie dans des cercles internationaux.
En novembre 2001, un arrêté du Conseil fédéral a interdit au mouvement LTTE de procéder à des récoltes de fonds ou à des activités de propagande incitant à la violence lors de la fête du "Heroes's Day" organisée dans le canton de Fribourg. Cette mesure n'était cependant pas présentée comme visant à lutter contre le terrorisme ou empêcher le soutien à une organisation de cette nature, mais comme devant éviter que "des conflits armés à l'étranger soient soutenus depuis la Suisse sur le plan matériel ou idéologique" (cf. Message répression, op. cit., FF 2002 5039 ss).
En 2002, le mouvement LTTE a été qualifié d'"organisation extrémiste tamoule" par le Conseil fédéral. Il était noté que celui-ci faisait régulièrement parler de lui par ses collectes de fonds et ses activités de propagande à l'occasion de rassemblements de la communauté tamoule (cf. Analyse du 26 juin 2002 de la situation et des menaces pour la Suisse à la suite des attentats terroristes du 11 septembre 2001 [Rapport du Conseil fédéral à l'intention du Parlement] [ci-après: Analyse], FF 2003 1701). Le Conseil fédéral précisait que les collectes organisées par le mouvement tamoul en Suisse "étaient fréquemment liées à des actes de violence psychique ou physique jusque vers fin 1998, où un changement s'est amorcé" et que le mouvement LTTE s'effor[çait] désormais de ne faire aucune entorse au droit dans le cadre de [ses] collectes" (cf. Analyse, op. cit., FF 2003 1703). Ainsi,
BGE 145 IV 470 S. 486
de telles activités de collectes et de propagande - attribuées directement au mouvement LTTE - n'étaient aucunement décrites comme constitutives d'infractions pénales, puisque le Conseil fédéral pouvait notamment relever les efforts déployés pour demeurer dans le cadre de la légalité.
On peut aussi signaler qu'en 2009, à l'occasion d'une question posée au Conseil national tendant à savoir pourquoi "l'organisation des LTTE [était] toujours légale en Suisse", la cheffe du Département fédéral des affaires étrangères, Madame la conseillère fédérale R.,a répondu que la Suisse ne tenait pas de liste des organisations terroristes, que - s'il n'existait pas d'infraction de terrorisme - "toutes les composantes d'un acte terroriste [étaient] toutefois punissables, par exemplemeurtre, menace à la bombe, financement d'actes criminels [...]". Selon elle, face au mouvement LTTE, "une politique de restriction et de vigilance [était] en vigueur". Les Tamouls vivant en Suissedevaient "pouvoir exercer pacifiquement leurs droits, y compris celui de manifester, mais les LTTE ne [devaient] pas exercer d'activitésillégales en Suisse ou à partir de leur territoire", tout acte répréhensible de leur part devant être poursuivi (cf. BO 2009 CN 954 s.). Il ne découle pas de ces explications que le soutien ou le financement du mouvement LTTE depuis la Suisse devait en tant que tel, en l'absence d'autre "acte répréhensible", entraîner une poursuite sur la base de l'art. 260
ter
CP.
4.7.4
Les intimés concernés ont été mis en prévention pour infraction à l'art. 260
ter
CP pour avoir, en substance, entre 1999 et 2009, oeuvré à divers titres au sein du mouvement LTTE, respectivement du O., en particulier dans le but de récolter et transférer des fonds à cette organisation. Durant la période concernée, il apparaît que le mouvement a été actif en Suisse, y compris par le biais du O., au vu et au su des autorités, notamment à l'occasion de manifestations publiques visant à attirer l'attention de celles-ci ou de l'opinion publique. Les diverses prises de position des autorités fédérales évoquées précédemment révèlent que le mouvement LTTE n'a, à tout le moins durant la période concernée, pas été présenté comme une organisation de nature criminelle, dont les activités auraient dû être combattues et les membres systématiquement poursuivis. Ces éléments rendaient particulièrement douteuse une éventuelle qualification juridique d'"organisation criminelle" s'agissant du mouvement LTTE ou du O. Comme l'a de surcroît signalé l'autorité précédente, la Police judiciaire fédérale était elle-même empruntée pour considérer le mouvement LTTE. En 2006, elle
BGE 145 IV 470 S. 487
exposait ainsi au Service d'analyse et de prévention, après avoir pris ses renseignements auprès d'un procureur du Ministère public de la Confédération, que la situation juridique - notamment au regard de l'art. 260
ter
CP - n'était pas claire, que le mouvement LTTE n'était pas classé en Suisse parmi les organisations terroristes et que les groupes affiliés pouvaient de manière presque illimitée s'adonner à la propagande et aux collectes de fonds.
Cette imprévisibilité concernant la qualification découlait en outre de la formulation et de l'interprétation de l'art. 260
ter
CP. Il ne s'imposait ainsi nullement à l'esprit que le mouvement LTTE pût être considéré comme une organisation tenant sa structure et son effectif secrets et poursuivant le but de commettre des actes de violence criminels ou de se procurer des revenus par des moyens criminels. D'ailleurs, selon la doctrine, qui suit en cela les considérations du Conseil fédéral précitées (cf. Message modification CP/CPM, op.cit., FF 1993 III 291), l'art. 260
ter
CP s'applique aux organisations dont le but essentiel - sinon exclusif - est de commettre des actes de violence criminels ou de se procurer des revenus par des moyens criminels (cf. MARC ENGLER, in Basler Kommentar, Strafrecht, vol. II, 4
e
éd. 2019, n° 9 ad art. 260
ter
CP; PAJAROLA/OEHEN/THOMMEN, in Kommentar Kriminelles Vermögen, Kriminelle Organisationen, vol. II, 2018, n° 366 ad art. 260
ter
CP; TRECHSEL/VEST, in Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3
e
éd. 2018, n° 6 ad art. 260
ter
CP; ULRICH WEDER, in StGB, JStGB Kommentar, 20
e
éd. 2018, n° 13 ad art. 260
ter
CP; DONATSCH/THOMMEN/WOHLERS, Delikte gegen die Allgemeinheit, 5
e
éd. 2017, § 48 p. 207; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, vol. II, 3
e
éd. 2010, n° 5 ad art. 260
ter
CP; cf. aussi STRATENWERTH/BOMMER, Besonderes Teil, vol. II, 7
e
éd. 2013, § 40 n. 23). Ainsi, il ne suffit pas qu'un ou plusieurs membres poursuivent un but criminel, tandis que l'organisation en soi, respectivement la majorité de ses membres, viserait un objectif licite (cf. PAJAROLA/OEHEN/ THOMMEN, op. cit., n° 347 ad art. 260
ter
CP). Dans le cas du mouvement LTTE, il n'apparaît pas que l'organisation aurait essentiellement cherché à commettre des actes de violence criminels. Les attentats perpétrés ou autres agissements de nature criminelle constituaient une activité secondaire à côté de la lutte politique et militaire - à caractère international compte tenu notamment de l'implication de l'Inde dans le conflit - conduite contre le gouvernement du Sri Lanka, de même qu'au regard de l'administration quasi-étatique assurée d'une portion du territoire national. De ce point de vue, les activités à
BGE 145 IV 470 S. 488
caractère terroriste conduites par le mouvement LTTE n'étaient pas prépondérantes.
La jurisprudence du Tribunal fédéral à propos de l'art. 260
ter
CP n'a pas non plus développé des critères qui auraient permis de prévoir que le mouvement LTTE dût être considéré comme une organisation criminelle. Celui-ci a par exemple considéré que l'Albanian National Army (ANA) pouvait être qualifiée d'organisation terroriste au sens de l'art. 260
ter
CP, en relevant qu'il s'agissait d'un groupement clandestin extrémiste, doté d'une structure paramilitaire, comptant quelques centaines de membres actifs, dont le but était de déstabiliser politiquement par la violence une région afin d'obtenir l'indépendance du Kosovo, cela au moyen d'attentats (cf.
ATF 131 II 235
consid. 2.13 p. 242 s.). Par comparaison, le mouvement LTTE et le O. n'apparaissent pas comme des organisations clandestines dont l'objectif consisterait directement dans la déstabilisation d'une région.
Le traitement dont a bénéficié le mouvement LTTE de la part des autorités fédérales se distingue nettement de celui qui pourrait être réservé à une pure organisation criminelle ou terroriste. On peut ainsi rappeler qu'une délégation du Parlement fédéral s'est rendue, en 2003, au Sri Lanka, y compris dans la zone contrôlée par le mouvement LTTE. En outre, comme l'a relevé l'autorité précédente, dans un communiqué de presse du 3 février 2004, le Département fédéral des affaires étrangères (ci-après: DFAE) relatait les entretiens tenus avec des représentants du mouvement LTTE reçus à AA. Le DFAE s'y "félicit[ait] deconstater que les LTTE demeurent prêts à négocier, et qu'ils ont préparé une proposition dans ce sens", et précisait que "les représentants du DFAE ont rappelé à cette occasion que les LTTE ont une large responsabilité en ce qui concerne le renforcement des droits de l'homme et l'instauration d'une société pluraliste dans le Nord et l'Est du Sri Lanka". On voit mal que de tels propos auraient pu être tenus à l'égard d'organisations déjà considérées comme criminelles au sens de l'art. 260
ter
CP, à l'instar d'Al-Qaïda ou de l'Etat islamique par exemple. Il ressort au contraire du communiqué de presse en question que le mouvement LTTE pouvait alors être considéré comme un interlocuteur valable concernant le conflit au Sri Lanka. Par ailleurs, le témoin S., qui a oeuvré au sein du DFAE en lien avec le Sri Lanka durant les années 2000, a expliqué que ce département s'était trouvé en contact avec des membres officiels du mouvement LTTE dans ce pays mais aussi en Suisse, "pour leur rappeler de ne pas se livrer à des activités criminelles telles que mettre des personnes sous pression dans le cadre de
BGE 145 IV 470 S. 489
collectes de fonds en leur disant que cela allait contre leurs intérêts et que c'était contraire au droit suisse". De tels propos n'étaient pas de nature à permettre aux personnes agissant au sein ou pour le compte du mouvement LTTE en Suisse de percevoir que celui-ci pourrait être considéré comme une organisation criminelle au sens de l'art. 260
ter
CP. De même, le fait que le O. eût agi en Suisse durant des années sans dissimuler la cause défendue ni le but de ses actions de propagande et de collectes de fonds - soit principalement le support du mouvement LTTE au Sri Lanka - ne pouvait laisser prévoir à ses membres ou aux personnes qui le soutenaient que leur action pourrait être assimilée à celle pour le compte d'une organisation qui tient sa structure et son effectif secrets et qui poursuit le but de commettre des actes de violence criminels ou de se procurer des revenus par des moyens criminels. On peut derechef estimer que de tels agissements publics ne seraient pas restés sans conséquences s'ils avaient été le fait d'organisations reconnues comme criminelles à titre de l'art. 260
ter
CP, comme Al-Qaïda ou l'Etat islamique.
Il convient encore de préciser que l'inscription, en 2006, du mouvement LTTE sur la liste des gels de fonds dressée par le Conseil de l'Union européenne dans le cadre de la lutte contre le terrorisme n'a quant à elle pas été justifiée par un acte particulier du mouvement ou une décision judiciaire. Celui-ci a été inscrit sur ladite liste en même temps que des dizaines d'autres personnes ou organisations, afin de concrétiser le règlement (CE) n° 2580/2001 (cf. décision du Conseil de l'Union européenne du 29 mai 2006 [2006/379/CE]). Par la suite, afin de justifier son maintien sur cette liste, le Conseil de l'Union européenne a uniquement évoqué des "actes terroristes" qu'il lui attribuait - commis entre 2005 et 2010 - et a mentionné des décisions du Royaume-Uni et d'Irlande du Nord datant de 2001 portant interdiction et gel des fonds du mouvement LTTE, ainsi qu'une décision adoptée au cours de l'année 1992 par les autorités indiennes, portant interdiction du mouvement LTTE (cf. à ce propos l'arrêt de la Cour de justice de l'Union européenne [EU:C:2017:583] du 26 juillet 2017). On ne distingue donc pas, à cet égard, un événement quelconque qui aurait été, au moment de cette inscription, de nature à expliquer que le statut juridique du mouvement LTTE en Suisse aurait dû être modifié.
4.8
En définitive, on doit admettre que l'art. 260
ter
CP n'a jamais été conçu comme une disposition applicable à un mouvement pouvant à la marge se livrer à des actes terroristes mais poursuivant par ailleurs
BGE 145 IV 470 S. 490
d'autres objectifs directs, ainsi la conduite d'une lutte armée conventionnelle, la gestion quasi-étatique d'un territoire ainsi que la reconnaissance de l'indépendance d'une communauté ethnique, soit se distinguant nettement des agissements d'une organisation active dans le crime organisé ou d'un groupe terroriste tel que ceux reconnus comme tels par la jurisprudence. Les crimes violents auxquels le mouvement LTTE a pu se livrer, comme les attentats ou exactions contre des civils et des politiciens, correspondent certes aux actes évoqués par exemple à l'art. 260
quinquies
CP ou à ceux mentionnés dans le projet d'art. 260
ter
CP soumis au Parlement fédéral par le Conseil fédéral (cf. consid. 4.7.1 supra), ce qui n'est cependant pas déterminant en l'espèce. Il convient également de relever que l'art. 260
ter
CP n'apparaît pas adéquat pour sanctionner la participation ou le soutien d'une organisation telle que le mouvement LTTE. En effet, vu l'ampleur et la diversité des tâches non criminelles que celui-ci a exercées au Sri Lanka au fil des ans, on pouvait difficilement affirmer qu'une personne collectant des fonds et du matériel à son profit envisageait que son comportement servît directement un objectif criminel (cf. Message modification CP/CPM, op. cit., FF 1993 III 294;
ATF 132 IV 132
consid. 4.1.4 p. 135), lequel n'était en l'occurrence que marginal. Ainsi, la poursuite des intimés concernés pour infraction à l'art. 260
ter
CP était contraire au principe de la légalité, les agissements reprochés aux intéressés n'étant pas visés par cette disposition.
Il n'était pas prévisible, pour les intimés concernés, que leurs actions en faveur du O., respectivement du mouvement LTTE, pourraient être considérées comme constitutives d'infractions à l'art. 260
ter
CP, puisque, durant la période incriminée, diverses autorités fédérales se sont exprimées à propos dudit mouvement, sans jamais laisser comprendre qu'il pût être considéré comme une organisation criminelle. Il apparaît d'ailleurs qu'une incertitude concernant la nature juridique du mouvement LTTE habitait alors ces autorités, lesquelles ont à plusieurs reprises prié ses représentants de respecter les lois suisses dans leurs agissements sur le territoire. Contrairement aux pays de l'Union européenne - dans certains desquels des membres du mouvement LTTE ont été condamnés -, la Suisse a choisi de ne pas dresser une liste d'organisations terroristes. Cela ne l'empêche nullement de prohiber des organisations particulières - par exemple sur la base de l'art. 74 de la loi fédérale du 25 septembre 2015 sur le renseignement (LRens; RS 121) - et de sanctionner les individus s'y associant, comme elle l'a fait s'agissant d'Al-Qaïda ou de l'Etat islamique. Ce choix
BGE 145 IV 470 S. 491
ne saurait cependant justifier une imprévisibilité complète de l'application de la loi pénale, conduisant des individus à faire l'objet de poursuites pénales en raison de leurs agissements au profit d'une organisation qui serait, après plusieurs années d'activité admise en Suisse, considérée comme terroriste.
Ainsi, A., C., D., E., F., G., H., I., J., K., L. et M. ne pouvaient être condamnés pour infraction à l'art. 260
ter
CP. Cela scelle le sort des divers griefs - d'ordre formel ou matériel - formulés par le recourant 2 à cet égard. | 17,680 | 8,924 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-145-IV-470_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=4&from_date=&to_date=&from_year=2019&to_year=2019&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=31&highlight_docid=atf%3A%2F%2F145-IV-470%3Ade&number_of_ranks=216&azaclir=clir | BGE_145_IV_470 |
|||
00660b8d-85d3-410f-a588-b12348a18f6f | 1 | 78 | 1,333,901 | -252,460,800,000 | 1,962 | de | Sachverhalt
ab Seite 331
BGE 88 I 331 S. 331
A.-
Mit Vertrag vom 26. September 1961 verkaufte Frau Katharina Kunz ihrlandwirtschaftliches Heimwesen in Lyss im Halte von 274,32 a für Fr. 300'000.-- an das Baugeschäft Reinhard Möri & Co. Hiegegen erhob der Grundbuchverwalter Einspruch auf Grund von Art. 19 Abs. 1 lit. a und c des BG über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG). In der Folge, am 1. März 1962, schloss die Käuferin mit der Einwohnergemeinde Lyss einen Vorvertrag, gerichtet auf Abtausch von 192,55 a des gekauften Bodens gegen Bauland der Gemeinde. Gestützt hierauf wies der Regierungsstatthalter von Lyss am 29. März 1962 den Einspruch ab mit der Begründung, es handle sich um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Sinne von
Art. 21 Abs. 1 lit. b EGG
.
Eine Beschwerde der kantonalen Landwirtschaftsdirektion hiegegen wurde vom Regierungsrat mit Entscheid
BGE 88 I 331 S. 332
vom 4. September 1962 geschützt. Er führte aus, dem Einspruchsverfahren unterlägen auch Kleinheimwesen. Die Firma Möri & Co. habe das Heimwesen der Frau Kunz gekauft, um in der Landwirtschaftszone liegende Grundstücke gegen Bauland auszutauschen, dieses zu überbauen und damit eine entsprechende Rendite zu erzielen. Dieses Vorgehen müsse als offensichtliche Spekulation im Sinne von
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
bezeichnet werden. Zudem liege auch der Tatbestand der lit. c vor, weil das Heimwesen durch den Verkauf seine Existenzfähigkeit verliere und kein Ausnahmegrund gegeben sei ....
B.-
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Firma Möri & Co., diesen Entscheid aufzuheben und den Einspruch abzuweisen. | 694 | 299 | Sie macht geltend, sie wolle das Heimwesen der Frau Kunz nicht aus spekulativen Erwägungen erwerben, sondern um eine Landreserve zu schaffen, damit sie beim Kauf von Bauland den Landwirten Realersatz bieten könne; das sei eine Notwendigkeit, die in den Rahmen der normalen Geschäftstätigkeit eines Bauunternehmens falle. Spekulation sei schon deshalb ausgeschlossen, weil die grösste Parzelle in der Freiflächenzone liege und der Überbauung gänzlich entzogen sei, während die übrigen Parzellen vorwiegend landwirtschaftliche Grundstücke seien, die wegen ihrer Lage in den nächsten 25 Jahren für eine spekulative Überbauung nicht in Frage kämen. Daran ändere der Vorvertrag betreffend einen Bodenabtausch mit der Gemeinde nichts; dieser sei zu Unrecht in das Verfahren einbezogen worden, da er erst fünf Monate nach dem Kaufvertrag abgeschlossen worden sei und für die Beurteilung der Frage, ob Spekulation vorliege, die Verhältnisse im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags massgebend seien.
Entgegen der Auffassung des Regierungsrates bestehe ein Ausnahmegrund im Sinne von
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
...
C. - Der Regierungsrat beantragt Abweisung der Beschwerde. Er führt u.a. aus, der Tauschvorvertrag sei zu Recht berücksichtigt worden, da nach Art. 40 des kantonalen
BGE 88 I 331 S. 333
Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege die mit ihr betrauten Behörden auf den Sachverhalt abzustellen hätten, wie er sich im Zeitpunkt des Urteils am Schlusse der Verhandlungen darbiete.
D.-
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement erklärt in seiner Vernehmlassung, die Würdigung des Tatbestands als Spekulation lasse sich im Lichte von
BGE 87 I 232
halten. Es beantrage daher, die Beschwerde abzuweisen oder aber den Begriff der Spekulation wieder enger zu fassen, was zu ihrem Schutze führen könnte.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 104 Abs. 1 OG
kann mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden. Das tut die Beschwerdeführerin insoweit, als sie behauptet, der angefochtene Entscheid verstosse gegen
Art. 19 Abs. 1 lit. a und c EGG
, indem er offensichtliche Spekulation (lit. a) annehme und das Vorliegen eines wichtigen Grundes (lit. c) verneine. Auf diese Rügen ist einzutreten.
Dagegen wird mit dem Vorwurf, der Regierungsrat habe zu Unrecht den erst fünf Monate nach dem Kaufvertrag abgeschlossenen Vorvertrag mit der Einwohnergemeinde betreffend den Landabtausch in das Verfahren einbezogen, keine Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf keine bundesrechtliche Bestimmung, welche dieses Vorgehen ausschliessen würde, und es ist auch keine ersichtlich. Das Bundesrecht (
Art. 20 Abs. 2 und
Art. 44 EGG
) überlässt die nähere Ordnung des Einspruchsverfahrens den Kantonen. Ob eine Bestimmung des kantonalen Rechtes verletzt sei, hat das Bundesgericht nicht zu prüfen. Die Beschwerdeführerin nennt übrigens keine solche Bestimmung, und nach der Antwort des Regierungsrates schreibt vielmehr Art. 40 des kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetzes die Berücksichtigung des im Zeitpunkt des Entscheides vorliegenden
BGE 88 I 331 S. 334
Sachverhaltes vor. Auf diese Rüge betreffend das Verfahren ist nicht einzutreten.
2.
Vor Bundesgericht bestreitet die Beschwerdeführerin nicht mehr, dass das Kaufsobjekt ein landwirtschaftliches Heimwesen im Sinne des
Art. 19 EGG
ist. Mit Recht; denn diese Bestimmung ist auch auf Kleinheimwesen anwendbar, die für sich allein eine Familie nicht zu ernähren vermögen (
BGE 80 I 96
, 412;
BGE 81 I 109
, 254). Wohl können die Kantone nach
Art. 21 Abs. 2 EGG
Liegenschaften bis zu 3 ha vom Einspruchsverfahren ausnehmen; doch hat der Kanton Bern gestützt auf diese Bestimmung Ausnahmen nur für einmalige Kaufverträge zum Zwecke der Arrondierung über Liegenschaften bis zu 36 a und für einmalige Kaufverträge bis zu 18 a (oder bis zu einem halben Kuhrecht) vorgesehen (Art. 8 Einführungsgesetz). Das Heimwesen der Frau Kunz umfasst 274,32 a und ist als Ganzes verkauft worden. Es steht, obwohl es klein ist, unter dem Schutze des
Art. 19 EGG
.
Mit Recht macht die Beschwerdeführerin auch nicht geltend, das Einspruchsverfahren sei, wie der Regierungsstatthalter angenommen hat, nach
Art. 21 Abs. 1 lit. b EGG
nicht anwendbar, weil durch den Vorvertrag mit der Gemeinde das Land zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben bestimmt worden sei. Abgesehen davon, dass aus den Akten nicht ersichtlich ist, für welche Zwecke die Gemeinde das Land erwerben will, könnte jene Bestimmung nur auf einen direkten Verkauf an die Gemeinde angewendet werden, nicht aber auf den Kaufvertrag der Frau Kunz mit der Beschwerdeführerin, um den es sich hier handelt. Die Beschwerdeführerin hat das Land nicht zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gekauft, sondern in ihrem geschäftlichen Interesse, als Tauschobjekt für die spätere Gewinnung von Bauland.
3.
Nach
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
kann u.a. Einspruch erhoben werden, wenn jemand ein Heimwesen offensichtlich zum Zwecke der Spekulation erwirbt. Das Bundesgericht hat ursprünglich, in Anlehnung an den allgemeinen
BGE 88 I 331 S. 335
Sprachgebrauch, Spekulation nur dann angenommen, wenn der Käufer das Land erwirbt, um es bei sich bietender Gelegenheit, möglichst bald, mit Gewinn weiterzuveräussern (
BGE 83 I 313
). Sodann hat es den Begriff der Spekulation ausgedehnt auf Fälle, wo ein ansehnlicher Gewinn nicht durch Weiterveräusserung, wohl aber durch eine andere Verwendung des bisher landwirtschaftlich genutzten Bodens angestrebt wird, insbesondere durch sukzessive Überbauung und Vermietung der erstellten Wohnungen (
BGE 87 I 239
/40). Diese neue Praxis ist von Professor LIVER kritisiert worden (ZbJV Jg. 98 S. 439), und auch das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement scheint sie nach seiner Vernehmlassung als unrichtig zu betrachten. Ob an ihr festzuhalten sei, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, da hier Spekulation auch im Sinne der früheren Rechtsprechung vorliegt.
Die Beschwerdeführerin hat nach ihrer eigenen Darstellung das Heimwesen der Frau Kunz gekauft, um den grössten Teil des Bodens als Tauschobjekt für von ihr begehrtes Bauland zu verwenden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob ein Tausch im Laufe der Zeit gegenüber Landwirten geplant war, wie sie zuerst angegeben hat, oder schon bald gegenüber der Einwohnergemeinde Lyss, mit der sie nun einen darauf abzielenden Vorvertrag abgeschlossen hat. In beiden Fällen liegt in dem Tausch eine - von Anfang an beabsichtigte - Weiterveräusserung, die auf Gewinn gerichtet ist, indem das einzutauschende Bauland für das Geschäft der Beschwerdeführerin mehr wert ist als der landwirtschaftliche Boden der Frau Kunz. Das Argument der Beschwerdeführerin, ein solches Vorgehen falle in den Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit und sei für ihr Unternehmen sogar notwendig, schlägt nicht durch; denn auch wenn es an sich zutrifft, schliesst es den spekulativen Charakter des Kaufs nicht aus, sondern zeigt nur, dass auch ein Bauunternehmen wie ein solches des Handels Spekulationen mit sich bringen kann. Sowohl nach dem zuerst angegebenen Motiv als auch nach dem dann
BGE 88 I 331 S. 336
abgeschlossenen Tauschvorvertrag ist die Spekulationsabsicht offensichtlich, weshalb mit Recht der Einspruch auf Grund von
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
geschützt worden ist.
4.
(Ausführungen betreffend
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
.) | 3,149 | 1,317 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | 46 | 18 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-88-I-331_1962 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=1&from_date=&to_date=&from_year=1962&to_year=1962&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=5&highlight_docid=atf%3A%2F%2F88-I-331%3Ade&number_of_ranks=182&azaclir=clir | BGE_88_I_331 |
||
0066b8f3-ea74-448b-bac2-6a14181212b0 | 1 | 79 | 1,355,567 | 504,921,600,000 | 1,986 | de | Sachverhalt
ab Seite 305
BGE 112 Ia 305 S. 305
Der Gemeindevorstand von Bonaduz auferlegte G.G. und weiteren Mitbeteiligten mit Verfügung vom 3./4. Juli 1985 eine Busse von je Fr. 40.-- "wegen Missachtung von Fahr- und Campingverboten" und wies die Genannten an, den zum Campieren benutzten
BGE 112 Ia 305 S. 306
Platz bis 10. Juli 1985 zu verlassen. In der Verfügung wird angegeben, dass gegen diese gemäss Art. 180 des kantonalen Gesetzes über die Strafrechtspflege innert 20 Tagen beim Verwaltungsgericht Graubünden Beschwerde geführt werden könne.
Die Gebüssten gelangten hierauf - vertreten durch den St. Galler Rechtsanwalt X. - an das kantonale Verwaltungsgericht und verlangten, dass die angefochtene Verfügung aufgehoben und die Gemeinde Bonaduz angewiesen werde, das Stationierungsgesuch der Beschwerdeführer zu prüfen. Das Gericht trat mit Entscheid vom 1. Oktober 1985 auf den Rekurs nicht ein. Es erwog, Rechtsanwalt X. habe zur Zeit der Rekurseingabe keine Berufsausübungsbewilligung für den Kanton Graubünden besessen und im Verlaufe des Verfahrens auch nicht um Erteilung einer solchen nachgesucht. Nach Art. 22 des bündnerischen Verwaltungsgerichtsgesetzes, das auf Art. 39 der Zivilprozessordnung verweise, seien jedoch nur zur Berufsausübung zugelassene Rechtsanwälte zur Parteivertretung vor Verwaltungsgericht befugt. Nun enthalte das bündnerische Verfahrensrecht keine Vorschrift über die Rechtsfolge eines "Verstosses gegen die Bestimmungen über die Stellvertretung im Prozess". Doch habe das Kantonsgericht schon vor geraumer Zeit Prozesshandlungen eines vor den bündnerischen Gerichten nicht zugelassenen Anwaltes als ungültig betrachtet. Diese Auffassung sei vom Bundesgericht im Jahre 1961 unterstützt (vgl. PKG 1961 Nr. 1 Erw. 2) und in neuerer Zeit bei der Beurteilung von Fällen in anderen Kantonen jedenfalls nicht ausdrücklich abgelehnt worden (
BGE 105 IV 286
und 105 Ia 79 E. 8).
Die Gebüssten haben gegen den Verwaltungsgerichtsentscheid staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
eingereicht und sich über Willkür, überspitzten Formalismus und formelle Rechtsverweigerung beklagt. Sie machen geltend, die Verfügung des Gemeindevorstandes Bonaduz sei im Rahmen eines "Strafverfahrens vor Verwaltungsbehörden" im Sinne von Art. 177 ff. der kantonalen Strafprozessordnung ergangen und könne, wie sich auch aus der erteilten Rechtsmittelbelehrung ergebe, gemäss
Art. 180 StPO
mit Rekurs angefochten werden. Für die Beurteilung solcher Rekurse sei nach Art. 5 der grossrätlichen Verordnung über die Organisation, Geschäftsführung und Gebühren des Verwaltungsgerichts (VOG) der Ausschuss des Verwaltungsgerichts zuständig, vor welchem gemäss Art. 15 VOG jeder handlungsfähige Bürger zur Parteivertretung berechtigt sei. Der
BGE 112 Ia 305 S. 307
Nichteintretensentscheid stehe in klarem Widerspruch zu dieser Bestimmung und sei daher willkürlich. Ausserdem sei dem Verwaltungsgericht formelle Rechtsverweigerung und überspitzter Formalismus vorzuwerfen.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden räumt in seiner Beschwerdeantwort ein, dass Bussverfahren nach
Art. 180 StPO
und Art. 5 VOG durch den Ausschuss des Verwaltungsgerichtes zu beurteilen seien und für diese Verfahren jeder handlungsfähige Bürger zur Parteivertretung zugelassen werde. Die angefochtene Verfügung des Gemeindevorstandes Bonaduz habe indessen auch einen Räumungsbefehl enthalten, mit dem zugleich eine - nachträgliche - Campingbewilligung verweigert worden sei. Über die Rechtmässigkeit dieses Räumungsbefehls sei nicht im Strafverfahren, sondern im ordentlichen Rekursverfahren von der Vollkammer zu befinden, vor welcher keine freie Rechtsvertretung möglich sei. Dass in einem solchen "gemischten" Fall die Vollkammer auch über die Busse entscheide, entspreche ständiger Praxis und rechtfertige sich aus prozessökonomischen Gründen. | 829 | 596 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Wie das Verwaltungsgericht in seiner Vernehmlassung zu Recht bemerkt, enthält die umstrittene Verfügung des Gemeindevorstandes Bonaduz einerseits einen Bussenbescheid und andererseits eine Wegweisungsanordnung. Beide Teile dieser Verfügung können mit Rekurs beim Verwaltungsgericht angefochten werden. Für die Beurteilung der Busse ist jedoch an sich der Ausschuss des Verwaltungsgerichtes zuständig (Art. 5 Ziff. 3 der Verordnung über die Organisation, Geschäftsführung und Gebühren des Verwaltungsgerichtes/VOG vom 30. November 1966 in Verbindung mit Art. 180 des Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 8. Juni 1958), vor welchem für die Rechtsvertretung kein Fähigkeitsausweis für Rechtsanwälte erforderlich ist (Art. 15 VOG), während die Überprüfung der Wegweisungsverfügung der vollständig besetzten Kammer obliegt, für deren Verhandlungen sinngemäss die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Stellvertretung gelten, wonach die Rechtsvertretung grundsätzlich nur Anwälten mit Fähigkeitsausweis erlaubt ist (Art. 22 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit/VGG vom 9. April 1967; Art. 39 der hier noch anwendbaren Zivilprozessordnung/ZPO vom 20. Juni 1954). Dass aus Gründen der Prozessökonomie die
BGE 112 Ia 305 S. 308
Rekurssache insgesamt von der "Vollkammer" behandelt worden ist, ist unter dem Gesichtswinkel von
Art. 4 BV
nicht zu beanstanden. Allerdings fragt sich, ob hinsichtlich der Parteivertretung ohne weiteres auf die strengere Norm von
Art. 22 VGG
abgestellt werden dürfe, wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf seine Praxis meint. Diese Frage kann indessen letztlich offenbleiben, da die Beschwerde aus den im folgenden dargelegten Gründen gutzuheissen ist.
2.
Die Beschwerdeführer halten das Nichteintreten des Bündner Verwaltungsgerichtes auf den Rekurs eines Anwaltes, der wohl über einen ausserkantonalen, aber (noch) über keinen kantonalen Fähigkeitsausweis verfügt, für überspitzten Formalismus.
a) Überspitzter Formalismus ist eine besondere Form der Rechtsverweigerung. Eine solche liegt vor, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (vgl. etwa
BGE 108 Ia 107
E. 2 mit Hinweisen auf weitere Entscheide). Wohl hat das Bundesgericht immer wieder betont, dass im Rechtsgang prozessuale Formen unerlässlich sind, um die ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Nicht jede prozessuale Formstrenge steht demnach mit
Art. 4 BV
im Widerspruch. Überspitzter Formalismus ist nur gegeben, wenn die strikte Anwendung der Formvorschriften durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder verhindert (ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 121 ff).
b) Diese Grundsätze sind insbesondere auch für die Anwendung der Vorschriften über die Parteivertretung massgebend. Zwar kann von einer formellen Rechtsverweigerung nicht die Rede sein, wenn das Bestehen eines rechtsgenüglichen Vertretungsverhältnisses als Prozessvoraussetzung qualifiziert und bei Fehlen derselben auf ein Rechtsmittel nicht eingetreten wird. In diesem Sinne ist die vom Verwaltungsgericht erwähnte Praxis (PVG 1983 Nr. 83 S. 178) nicht zu beanstanden. Eine andere Frage ist indessen, ob dem Anwalt, der unbestrittenermassen über einen ausserkantonalen Fähigkeitsausweis verfügt, im konkreten Fall nicht
BGE 112 Ia 305 S. 309
von Verfassungs wegen eine kurze Nachfrist zur Beibringung der vom kantonalen Verfahrensrecht geforderten Berufsausübungsbewilligung anzusetzen sei. Diese Frage ist zu bejahen.
Das Bundesgericht hat bereits in
BGE 81 I 117
f. dargelegt, es gehe nicht an, eine Prozesshandlung für ungültig zu erklären, wenn bei ihrer Vornahme die Zulassungsbewilligung des Parteivertreters noch nicht vorgelegen habe. Vorschriften über die Zulassung von Anwälten hätten den Zweck, die Vertretungsbefugnis den hiezu aufgrund ihrer Kenntnisse und ihres Charakters geeigneten Personen vorzubehalten. Dieser Zweck erfordere keineswegs, dass der Anwalt schon innert der Beschwerdefrist um Zulassung zum Handeln vor den fraglichen Gerichten ersuche, es genüge auch, wenn ein solches Begehren erst später gestellt werde. Allerdings hat das Bundesgericht in dem vom Bündner Verwaltungsgericht angerufenen Urteil vom 29. März 1961 (das in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlicht worden ist, jedoch in PKG 1961 Nr. 1 wiedergegeben wird) das Gegenteil ausgeführt und, ohne sich mit
BGE 81 I 113
ff. auseinanderzusetzen, die Annahme als nicht verfassungswidrig erklärt, dass Prozesshandlungen ungültig seien, die ein Vertreter vor dem Erwerb des bündnerischen Fähigkeitsausweises vornimmt. In der neueren bundesgerichtlichen Praxis sind verschiedentlich die Fälle, in denen ein Rechtsmittel von einer zur Vertretung nicht berechtigten Person eingereicht wird und daher sofort als ungültig betrachtet werden darf, von jenen unterschieden worden, in denen die Vertretungsbefugnis an sich gegeben ist, aber irgendein Formmangel vorliegt, der während einer von der Behörde anzusetzenden Nachfrist ohne weiteres geheilt werden kann (vgl.
BGE 111 Ib 201
nicht publ. E. 5c,
BGE 108 Ia 103
f., Urteil vom 16. August 1982, ASA 53 S. 166 ff.,
BGE 107 IV 68
ff. je mit Hinweisen auf weitere Entscheide). Zu dieser zweiten Gruppe sind auch diejenigen Fälle zu zählen, in denen ausserkantonale Rechtsanwälte in Kantonen mit Anwaltsmonopol tätig werden, noch bevor ihnen die Zulassungsbewilligung erteilt worden ist. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie im Kanton Graubünden - die Zulassungsbewilligung von keiner anderen Bedingung als vom Besitz eines ausserkantonalen Anwaltspatentes abhängig gemacht wird (vgl. Art. 36 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 24. September 1978). Im übrigen bestimmt
Art. 28 Abs. 2 VGG
ausdrücklich, dass der Partei eine kurze Nachfrist zur Behebung formeller Mängel einer Rechtsschrift anzusetzen ist. Das Verwaltungsgericht wäre somit verpflichtet gewesen, dem Vertreter
BGE 112 Ia 305 S. 310
der Rekurrenten eine kurze Nachfrist zur Beibringung der bündnerischen Berufsausübungsbewilligung anzusetzen.
Wie sich im weiteren zeigt, hätte das Verwaltungsgericht hier allerdings aufgrund der in der umstrittenen Verfügung enthaltenen Rechtsmittelbelehrung sofort auf den Rekurs eintreten müssen.
3.
In der Rechtsmittelbelehrung des Gemeindevorstandes von Bonaduz wird ausschliesslich auf Art. 180 des kantonalen Strafrechtspflegegesetzes und damit auf die Möglichkeit hingewiesen, an den Ausschuss des Verwaltungsgerichtes zu rekurrieren. Die Rechtsmittelbelehrung war daher insofern unvollständig, als sie nur die Möglichkeit der Anfechtung des Bussenbescheides erwähnt und den Wegweisungsbefehl ausser acht lässt, und hat sich schliesslich sogar als unrichtig erwiesen, weil das Verwaltungsgericht nach seinen Angaben "gemischte" Verfügungen gesamthaft in Vollbesetzung überprüft, was die Anwendung strengerer Vorschriften über die Parteivertretung zur Folge hat. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf einer Partei, welche sich auf eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verlässt und verlassen durfte, daraus kein Nachteil erwachsen (vgl. die in
BGE 106 Ia 16
f. zitierten Entscheide). Nur wer die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung kennt oder sie bei gebührender Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, darf sich nach Treu und Glauben nicht auf diese berufen. Wie das Bundesgericht in
BGE 106 Ia 17
f. E. 3b ausgeführt hat, sind nur grobe Fehler der von der Verfügung betroffenen Partei oder ihres Vertreters geeignet, eine falsche Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen. So geniesst der Private keinen Vertrauensschutz, wenn er oder sein Anwalt die Mängel der Rechtsmittelbelehrung durch Konsultierung des massgebenden Gesetzestextes allein erkennen könnte, während von ihm nicht erwartet werden kann, dass er neben diesem Text auch Literatur oder Rechtsprechung nachschlage.
Aus diesen Grundsätzen ergibt sich klar, dass die Rekurrenten bzw. ihr Anwalt sich auf die Rechtsmittelbelehrung des Gemeindevorstandes Bonaduz verlassen durften: In wessen Kompetenz die Beurteilung "gemischter" Verfügungen fällt, geht aus dem kantonalen Recht nicht hervor, sondern ergibt sich nur aus der Praxis des Verwaltungsgerichts, die übrigens - soweit ersichtlich - in den Veröffentlichungen keinen Niederschlag gefunden hat. Unter diesen Umständen durfte dem Anwalt der Rekurrenten - und demnach den Rekurrenten selber - kein prozessualer Nachteil daraus erwachsen, dass er sich aufgrund der erwähnten Rechtsmittelbelehrung
BGE 112 Ia 305 S. 311
für befugt hielt, die umstrittene Verfügung vom 3./4. Juli 1985 anzufechten. Der Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichtes verletzt auch aus diesem Grunde
Art. 4 BV
und ist in Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde aufzuheben. | 1,908 | 1,447 | 2 | 0 | CH_BGE_002 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_002_BGE-112-Ia-305_1986 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=24&from_date=&to_date=&from_year=1986&to_year=1986&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=234&highlight_docid=atf%3A%2F%2F112-IA-305%3Ade&number_of_ranks=378&azaclir=clir | BGE_112_Ia_305 |
|||
006978ce-a0ec-4f9f-90de-1cd1c1f77f48 | 2 | 81 | 1,332,377 | null | 2,024 | fr | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 78
BGE 83 II 78 S. 78
D'après l'art. 9 LEVC, l'employeur est tenu de payer au voyageur un salaire comportant un traitement fixe (al. 1); pour que le salaire puisse consister exclusivement ou principalement en une provision, il faut qu'il constitue une rémunération convenable des services du voyageur (al. 2). Il ressort clairement de ce texte que les parties sont, en principe, libres de fixer le salaire et que celui-ci ne peut être revu par le juge que s'il consiste principalement ou exclusivement en une commission. Pour admettre que la rétribution du voyageur est toujours soumise à l'examen du juge, les juridictions cantonales se sont toutefois fondées sur l'esprit de la loi et sur son but de protection sociale. Il est exact que l'art. 9 LEVC est destiné à protéger le voyageur. Mais on n'en saurait conclure que celui-ci doive, dans tous les cas, bénéficier d'une protection plus grande que les autres employés. Ce que le législateur a voulu éviter, c'est que l'employeur exploite son voyageur en lui promettant uniquement ou principalement des commissions qui, dans la suite, se révèlent insuffisantes. Lorsqu'on ne se trouve pas dans un tel cas, la liberté contractuelle reste entière, sous réserve des dispositions générales du code des obligations (art. 19 et suiv.).
BGE 83 II 78 S. 79
C'est du reste ce qui ressort du message du Conseil fédéral relatif à la loi sur les conditions d'engagement des voyageurs de commerce (cf. FF 1940 p. 1361 et suiv.). | 343 | 304 | 2 | 0 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-83-II-78_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=20&from_date=&to_date=&from_year=1957&to_year=1957&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=196&highlight_docid=atf%3A%2F%2F83-II-78%3Ade&number_of_ranks=222&azaclir=clir | BGE_83_II_78 |
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006acff2-058a-46db-8fbc-8698cca21ab8 | 2 | 82 | 1,353,797 | 1,479,686,400,000 | 2,016 | fr | Sachverhalt
ab Seite 51
BGE 143 III 51 S. 51
A.
L.A., ressortissant égyptien né en 1940, de confession musulmane, est décédé le 10 mars 2007 à Paris, sans laisser de descendants ou d'ascendants. Sa succession comprend des immeubles situés en France et en Egypte ainsi que des actifs mobiliers déposés notamment auprès de banques en France, en Allemagne et en Suisse, à Genève. Le 6 mars 1980, il avait épousé, selon le droit égyptien et la Charia, J.A., citoyenne allemande née le 19 janvier 1949, de confession chrétienne.
BGE 143 III 51 S. 52
Par "acte d'hoirie" n° 679 établi le 5 mai 2007, le Tribunal pour les affaires de la famille de Menouf (Egypte) a constaté le décès du
de cujus
et la dévolution de sa succession légale à ses frères et soeurs, à savoir A.A., B.A., C.A., D.A. et K.A.; J.A. n'a pas participé à la procédure de délivrance de cet acte, lequel ne mentionne pas que le défunt était marié avec elle.
B.
Le 6 août 2010, A.A., B.A., C.A. et D.A., souhaitant recevoir les actifs déposés par le
de cujus
dans deux établissements bancaires sis à Genève, ont requis du Tribunal de première instance de Genève la reconnaissance de l'"acte d'hoirie" égyptien.
Statuant le 5 juillet 2011, le Tribunal a déclaré la requête irrecevable pour le motif que l'acte n'avait pas été produit en original ni muni d'une attestation constatant qu'il n'était plus susceptible d'un recours et était définitivement entré en force. La Cour de justice du canton de Genève a confirmé ce jugement le 23 mars 2012.
Par arrêt du 18 septembre 2012 (5A_344/2012), la II
e
Cour de droit civil du Tribunal fédéral a admis le recours des requérants et renvoyé la cause au Tribunal de première instance de Genève pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
C.
Statuant à nouveau le 20 juillet 2015, le Tribunal de première instance a reconnu et déclaré exécutoire en Suisse l'"acte d'hoirie", avec suite de frais et dépens. Par arrêt du 22 avril 2016, la Chambre civile de la Cour de justice du canton de Genève a annulé ce jugement et débouté les requérants de leur demande en reconnaissance du titre précité.
Le Tribunal fédéral a rejeté dans la mesure de sa recevabilité le recours en matière civile formé par les requérants.
(résumé) | 875 | 459 | Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
(...)
2.3
La qualification d'un acte étranger s'opère au regard de la
lex fori
, à savoir en l'occurrence le droit suisse (arrêt 5P.388/1991 du 5 mars 1992 consid. 3b). Selon l'autorité précédente, l'"acte d'hoirie" litigieux équivaut à un "certificat d'héritier", dont l'établissement est assimilé à une mesure provisionnelle au sens de l'
art. 98 LTF
(arrêt 5A_252/2016 du 7 juin 2016 consid. 1.2 et les arrêts cités).
Il n'y a pas lieu d'examiner le bien-fondé de cette qualification. Lorsque le litige porte sur la reconnaissance ou
l'exequatur
d'un acte étranger, la cognition du Tribunal fédéral n'est pas limitée à la
BGE 143 III 51 S. 53
violation des droits constitutionnels, quelle que soit la nature - provisionnelle ou non - de l'acte en discussion (
ATF 135 III 670
consid. 1.3.2; arrêt 5A_193/2010 du 7 juillet 2010 consid. 1.2). Il s'ensuit que la partie recourante peut invoquer tous les motifs de recours prévus aux
art. 95 et 96 LTF
, sauf à préciser que, le litige étant de nature pécuniaire, le Tribunal fédéral ne peut revoir l'application du droit étranger que sous l'angle restreint de l'arbitraire (
ATF 138 III 489
consid. 4.3 et les arrêts cités).
3.
(...)
3.3
3.3.1
Enfin, les recourants exposent en substance que, en refusant de reconnaître l'"acte d'hoirie", les magistrats cantonaux ont faussement appliqué l'
art. 27 al. 1 LDIP
(RS 291).
3.3.2
En vertu de l'
art. 27 al. 1 LDIP
(en relation avec l'
art. 31 LDIP
), la reconnaissance d'un acte étranger - en l'occurrence l'"acte d'hoirie" établi par le tribunal égyptien - doit être refusée en Suisse lorsqu'elle est manifestement incompatible avec l'ordre public suisse, c'est-à-dire lorsqu'elle heurte de manière intolérable les principes fondamentaux de l'ordre juridique suisse (cf. parmi d'autres:
ATF 142 III 180
consid. 3.2;
ATF 134 III 661
consid. 4.1). En tant que clause d'exception, la réserve de l'ordre public (matériel) est d'interprétation restrictive; tel est le cas, en particulier, dans le domaine de la reconnaissance et de l'exécution des actes ou jugements étrangers, où sa portée est plus étroite que pour l'application directe du droit étranger (cf. en particulier:
ATF 142 III 180
consid. 3.2;
ATF 141 III 328
consid. 5.1). Dans cette optique, l'intervention de la clause de réserve suppose, d'après la jurisprudence, que l'affaire présente un "lien suffisant" avec l'Etat du juge requis, en l'espèce la Suisse ("Binnenbeziehung";
ATF 126 III 327
consid. 4c [i.c. au sujet de la reconnaissance d'une répudiation selon le droit libanais]; cf. sur la question, parmi d'autres: OTHENIN-GIRARD, La réserve d'ordre public en droit international privé suisse, 1999, p. 211 ss et les citations).
(...)
3.3.4
Le point de savoir si, comme l'admet l'autorité cantonale, l'"acte d'hoirie" enfreint l'ordre public (matériel) suisse en tant qu'il accorde à l'héritier de sexe masculin une part double de celle de l'héritier de sexe féminin n'a pas besoin d'être résolue ici; c'est la situation de l'intimée, épouse du
de cujus
et opposante à la procédure de reconnaissance (art. 29 al. 2, par renvoi de l'
art. 31 LDIP
), qui est en cause dans le cas présent. Les longues discussions des recourants à cet
BGE 143 III 51 S. 54
égard s'avèrent ainsi hors de propos (cf. sur cette question: ALDEEB ABU-SAHLIEH, Droit musulman de la famille et des successions en Suisse, Revue critique de droit international privé [RCDIP] 2007p. 530 s.; dans un avis du 17 juillet 1980, l'Office fédéral de la justice s'est demandé si pareille règle "est bien compatible avec l'ordre public suisse", mais sans y répondre: JAAC 45/1981 n° 31 [i.c. au sujet de la législation iranienne]).
3.3.5
Les recourants se prévalent d'un "acte d'hoirie" dressé par un tribunal égyptien afin de réclamer, en leur qualité d'héritiers, les actifs que le
de cujus
détenait auprès d'établissements bancaires à Genève; cet acte "constat[e] la dévolution de sa succession légale àses frères et soeurs", à l'exclusion de son épouse. Cette exclusion repose sur le constat - non critiqué par les parties (
art. 106 al. 2 LTF
) - qu'il"n'y a pas de succession entre un musulman et un non musulman" (cf. parmi plusieurs: ALDEEB ABU-SALIEH, op. cit., p. 529). Comme l'ont retenu les juges précédents, un tel résultat contrevient clairement au principe de l'interdiction de la discrimination en raison des convictions religieuses, qui - indépendamment de sa valeur constitutionnelle (
art. 8 al. 2 Cst.
; cf.
art. 14 CEDH
et 26 Pacte ONU II [RS 0.103.2]) - ressortit à l'ordre public suisse (BUCHER, in Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, n° 18 ad
art. 90 LDIP
; KINSCH, Le droit musulman de la famille, les droits de l'homme [ou de la femme] et l'ordre public des Etats européens, Bulletin d'information sur les droits de l'Homme 14/2009 p. 35, avec les citations en note 41; SCHWANDER, Diskriminierungsverbot und Gleichstellungsrecht im internationalen Privat- und Zivilprozessrecht, AJP 1993 p. 1408; dans ce sens, en Allemagne, précisément pour le droit égyptien: arrêt de l'OLG Hamm du 28 février 2005, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts [IPRax] 2006 p. 481 ss).
Sans réfuter expressément cette conclusion, les recourants objectent toutefois l'absence d'"Inlandsbeziehung"; mais ils se trompent. Selon l'auteur auquel s'est ralliée la juridiction précédente, cette considération n'est plus pertinente lorsque des discriminations fondées, notamment, sur le sexe, la race ou la religion sont prohibées "en vertu de différents instruments internationaux consacrant des droits fondamentaux et de l'homme" (BUCHER, loc. cit., avec les citations); d'autres, en revanche, s'en tiennent à l'exigence de liens suffisants avec la Suisse (cf. parmi d'autres: ALDEEB ABU-SALIEH, op. cit., p. 530; KINSCH, loc. cit.; OTHENIN-GIRARD, op. cit., n° 948). Il n'y a pas lieu d'arbitrer le débat, car de tels liens existent de toute manière en
BGE 143 III 51 S. 55
l'occurrence, vu le lieu de situation en Suisse d'actifs successoraux sur lesquels les recourants entendent exercer leurs prérogatives héréditaires (KINSCH, op. cit., p. 36 ch. 5, qui se réfère à une résolution de l'Institut de droit international de 2005, à teneur de laquelle les Etats "pourront opposer l'ordre public aux lois successorales étrangères comportant des discriminations fondées sur le sexe ou la religion lorsque des biens de la succession se trouvaient dans l'Etat du for au moment du décès"; plus dubitatif: OTHENIN-GIRARD, loc. cit.). Le moyen pris d'une violation de l'
art. 27 al. 1 LDIP
apparaît dès lors mal fondé, dans la mesure où il est recevable. (...) | 2,631 | 1,408 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-143-III-51_2016-11-21 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=4&from_date=&to_date=&from_year=2016&to_year=2016&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=31&highlight_docid=atf%3A%2F%2F143-III-51%3Ade&number_of_ranks=293&azaclir=clir | BGE_143_III_51 |
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006b0494-09ab-49f1-a21a-33f0222c48ee | 1 | 83 | 1,341,233 | 189,302,400,000 | 1,976 | de | Sachverhalt
ab Seite 70
BGE 102 IV 70 S. 70
A.-
X. ist bereits dreimal verwahrt worden, letztmals durch das Amtsgericht Aarwangen am 4. Februar 1969. Am 5. Februar 1973 wurde er bedingt entlassen, unter Ansetzung einer dreijährigen Probezeit. In diesem Zeitabschnitt wechselte X. oft die Stelle, hielt sich wegen Alkoholismus in der psychiatrischen Universitätsklinik Bern auf und wurde in die Trinkerheilanstalt Tannenhof versetzt. Neue Plazierungsversuche blieben wegen des übermässigen Alkoholgenusses erfolglos. Die letzte Stelle trat X. am 11. März 1975 bei den Gebrüdern I. in Auswil an. Am 28. April 1975 lief er davon, nachdem er im Zimmer von I. nach Geld gesucht und solches auch an sich genommen hatte.
Am 30. April 1975 stahl er einem Bauern in Auswil Bargeld im Betrage von Fr. 2'500.--.
B.-
Wegen dieses letztern Diebstahls verurteilte das Amtsgericht von Aarwangen X. am 20. Oktober 1975 zu acht Monaten Gefängnis, abzüglich 36 Tage Untersuchungshaft. Anstelle des Vollzuges der Gefängnisstrafe ordnete es die Verwahrung an.
Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 29. Januar 1976 das erstinstanzliche Urteil.
C.-
X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, von der Anordnung der Verwahrung abzusehen.
BGE 102 IV 70 S. 71 | 530 | 229 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Die frühere Rechtsprechung hatte
Art. 42 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
dahin ausgelegt, dass ein neues vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen nur dann Anlass zur Verwahrung geben könne, wenn die neue Tat nach Ablauf der Bewährungszeit für frühere Taten verübt wurde. Werde die neue Tat in der Anstalt, auf der Flucht aus der Anstalt oder während der Probezeit verübt, könne sie nicht zu neuer Verwahrung Anlass geben. Für diese Auslegung spreche der Wortlaut des Gesetzes ("innert fünf Jahren seit der endgültigen Entlassung") und die Überlegung, dass der noch nicht endgültig Entlassene nicht die volle Wirkung der vorangehenden Strafe oder Massnahme an sich erfahren habe, sodass der Rückfall noch nicht ohne weiteres als Beweis der Erfolglosigkeit der frühern Sanktion angesehen werden könne (
BGE 98 IV 3
E. 3).
Diese Praxis hat das Bundesgericht geändert mit der Begründung, der Entstehungsgeschichte könne entnommen werden, dass das Gesetz mit der Wendung "innert fünf Jahren seit der endgültigen Entlassung" nur den Endtermin, nicht den Anfang der Zeit bestimmen wollte, innert welcher die neue Tat begangen sein muss, um zu einer Verwahrung führen zu können (
BGE 100 IV 138
ff.). Es wurde hervorgehoben, eine solche Änderung sei angezeigt, weil sonst die Verwahrung nach
Art. 42 StGB
selbst in Fällen nicht verhängt werden könnte, in denen sie sich aufdränge, der Täter aber seinen verbrecherischen Hang jeweils schon vor einer endgültigen Entlassung aus dem Vollzug einer Freiheitsstrafe kundgetan habe. Dass der Praxisänderung in jenen Fällen in der Regel keine grosse Bedeutung zukommt, in denen der Täter aus der Verwahrung bedingt entlassen wurde und daher eine Rückversetzung nach Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 42 Ziff. 4 Abs. 3 StGB
erfolgt, wurde nicht verkannt. Aber auch für diesen Fall sieht der erwähnte Entscheid die Möglichkeit vor, dass der Richter eine neue Verwahrung verhängt, wird doch ausgeführt: "Das gleiche würde gelten, wenn er (der Täter) die neue Tat beginge, nachdem er bedingt aus einer Verwahrung oder Arbeitserziehung entlassen worden wäre. Dem Umstand, dass der noch nicht endgültig Entlassene noch nicht die volle Wirkung des Vollzugs erfahren hat, kann beim Entscheid Rechnung getragen werden, ob für die neue Tat von
BGE 102 IV 70 S. 72
einer Verwahrung abgesehen werden kann, weil begründete Erwartung besteht, auch der Vollzug der Freiheitsstrafe werde den Täter bessern" (
BGE 100 IV 141
, vor Erw. 4).
An dieser Praxis, dass selbst eine Rückversetzung in die Verwahrung durch die Vollzugsbehörde den Richter nicht hindert, auch seinerseits eine neue Verwahrung anzuordnen, ist festzuhalten. Dafür spricht einmal der Umstand, dass das Gesetz selber keinen Unterschied zwischen jenen Fällen macht, in denen die Vollzugsbehörde bereits eine Rückversetzung in die Verwahrung angeordnet hat oder noch anordnen wird, und jenen, in denen dies nicht zutrifft. Sodann sind die Voraussetzungen für eine Rückversetzung in die Verwahrungsanstalt und die Anordnung einer neuen Verwahrung nicht identisch. So kann eine Rückversetzung nur angeordnet werden, wenn der Täter bedingt entlassen wurde. Hat er hingegen die neue Tat während der Phase des Anstaltsvollzugs verübt, ist eine Rückversetzung ausgeschlossen. Die vom Richter allenfalls neu angeordnete Verwahrung setzt alsdann der frühesten bedingten Entlassung aus der Verwahrung einen neuen, spätern Termin. Eine Rückversetzung in die Verwahrung muss die Vollzugsbehörde sodann nur anordnen, wenn der Entlassene während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen verübt hat, für das er zu einer drei Monate übersteigenden und unbedingt zu vollziehenden Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ist der Entlassene zu einer mildern oder zu einer bedingt zu vollziehenden Strafe verurteilt worden, so liegt die Rückversetzung im Ermessen der Vollzugsbehörde. Der Richter, der die neue Tat zu beurteilen hat, ist an diese Beschränkung nicht gebunden. Fällt somit der Richter, welcher die neue Tat zu beurteilen hat, eine Strafe unter drei Monaten aus, so kann er es doch für angezeigt finden, selber eine neue Verwahrung anzuordnen, wenn er glaubt, diese Massnahme sei wegen der Gefährlichkeit des Täters notwendig. Denn wie die Vollzugsbehörden, welche den richterlichen Entscheid abwarten, urteilen werden, kann er nicht immer voraussehen. Umgekehrt können in solchen Fällen Erwägungen, welche den Richter von einer neuen Verwahrung absehen lassen, der Vollzugsbehörde den Ermessensentscheid nach
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
und den Entlassungsentscheid erleichtern. Auch sonst kann eine neue richterliche Überprüfung der Notwendigkeit des Massnahmeregimes nützlich sein. So kann sie z.B.
BGE 102 IV 70 S. 73
Anlass sein, eine Verwahrung nach
Art. 43 StGB
anzuordnen, die dann in der Regel dem Vollzug der Verwahrung nach
Art. 42 StGB
vorgehen wird (
Art. 2 Abs. 8 VStGB 1
).
Es kann auch nicht gesagt werden, die Kumulierung der Rückversetzung durch die Vollzugsbehörde in die Verwahrung wegen Nichtbewährung und die Anordnung einer erneuten Verwahrung wegen neuer Delikte durch den Richter widerspreche der Rechtslogik und der Systematik der Rechtsordnung. Die frühere Verwahrung wurde angeordnet, weil der damals urteilende Richter fand, sie sei nötig, um die Gesellschaft vor dem Täter wegen seines Hangs zu Verbrechen zu schützen. Die gleiche Überlegung müssen im Hinblick auf einen späteren Zeitpunkt oft jene Richter machen, welche die neuen Taten zu beurteilen haben. Dass deshalb beide Richter die gleiche sichernde Massnahme anordnen, entspricht in einem solchen Fall der Logik der Dinge und widerspricht ihr keineswegs, wie der Beschwerdeführer meint. Es verbleibt alsdann das Problem der Überschneidung, wenn die erste Verwahrung noch nicht endgültig dahingefallen ist, bevor die zweite Verwahrung angeordnet wurde. Dass aber Richter und Verwaltungsbehörden, zu denen auch die Strafvollzugsbehörden zählen, je unter verschiedenen Gesichtspunkten und bei ungleichen Voraussetzungen auf demselben Gebiete Entscheidungen zu treffen haben, ist eine häufige Erscheinung. Es sei nur an die Nebenstrafen, die sichernden, die andern Massnahmen und die Massnahmen des Jugendstrafrechts erinnert, welchen ähnliche Eingriffe des öffentlichen und des privaten Rechts entsprechen. Es widerspricht daher weder dem Prinzip der Gewaltentrennung noch der Systematik des schweizerischen Rechts, wenn Urteile des Richters und Verfügungen der Vollzugsbehörden nebeneinander bestehen. Daraus kann der Beschwerdeführer umso weniger etwas ableiten, als das Zusammentreffen mehrerer Verwahrungen eine Erscheinung ist, welche schon seit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches bekannt ist. Sie belastet den Täter nicht mehr, als es das Gesetz im Interesse gerechter Sühne und der Sicherheit der Gesellschaft verlangt (vgl.
Art. 2 Abs. 7 VStGB 1
). Der Gesetzgeber fand daher trotz verschiedener Gesetzesrevisionen keinen Anlass, daran etwas zu ändern. | 3,030 | 1,198 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-102-IV-70_1976 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=14&from_date=&to_date=&from_year=1976&to_year=1976&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=136&highlight_docid=atf%3A%2F%2F102-IV-70%3Ade&number_of_ranks=354&azaclir=clir | BGE_102_IV_70 |
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006ce024-ef44-4d10-9476-4ad419294397 | 2 | 84 | 1,342,900 | 252,460,800,000 | 1,978 | fr | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 104 V 131 S. 131
Résumé des faits:
Germain Bernhard, souffrant de coxarthrose, a été opéré de la hanche droite en août 1973 et de la hanche gauche en janvier 1976. L'assurance-invalidité a pris en charge l'une et l'autre de ces interventions.
A sa sortie de l'hôpital le 15 avril 1976, après la seconde intervention, l'intéressé a loué une chaise roulante, le médecin ayant interdit toute marche durant plusieurs semaines encore, même avec appui.
Germain Bernhard a demandé que l'assurance-invalidité assume notamment la location de la chaise roulante, mais la
BGE 104 V 131 S. 132
Commission de l'assurance-invalidité du canton de Neuchâtel a estimé que les conditions de l'octroi d'un moyen auxiliaire n'étaient pas remplies. Ce refus a été notifié à l'assuré par décision de la Caisse de compensation de l'Industrie horlogère du 25 octobre 1976.
B.-
L'assuré a recouru. Il faisait valoir, attestation médicale à l'appui, que l'emploi d'un fauteuil roulant avait été condition de sa sortie de l'hôpital.
La Commission cantonale de recours en matière d'AVS, Neuchâtel, a considéré qu'un handicap passager, consécutif par exemple à une opération, n'ouvrait pas droit à l'octroi d'un moyen auxiliaire selon l'art. 21 al. 1 LAI, qu'un tel droit ne découlait pas non plus de l'art. 11 al. 1 LAI. Aussi a-t-elle rejeté le recours, par jugement du 30 août 1977.
C.-
Germain Bernhard interjette recours de droit administratif.
Il souligne que l'usage d'un fauteuil roulant résultait d'un ordre du médecin, s'étonne du refus d'un fauteuil roulant alors que des cannes sont accordées, note au passage que, sans fauteuil roulant, il aurait dû rester plusieurs semaines encore à l'hôpital, ce qui eût engendré des frais supérieurs. | 678 | 325 | Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 21 al. 1 LAI, l'assuré a droit, d'après une liste que dressera le Conseil fédéral, aux moyens auxiliaires dont il a besoin pour exercer une activité lucrative ou accomplir ses travaux habituels, pour étudier ou apprendre un métier ou à des fins d'accoutumance fonctionnelle. L'art. 14 al. 1 RAI, en vigueur jusqu'à fin 1976, mentionne dans cette liste notamment les "cannes, béquilles, cannes-béquilles" (lettre f) et les "fauteuils roulants" (lettre g). L'OMA du 29 novembre 1976, en vigueur depuis le 1er janvier 1977, mentionne pour sa part les "cannes-béquilles, déambulateurs et supports ambulatoires" (ch. 12), ainsi que les "fauteuils roulants" (ch. 9).
Mais l'octroi de moyens auxiliaires est une mesure de réadaptation et, pour y avoir droit, l'assuré doit donc satisfaire aux conditions générales d'obtention de telles mesures. Il doit par conséquent être "invalide ou menacé d'une invalidité imminente", ainsi que l'exige l'art. 8 al. 1 LAI. Or l'art. 4 LAI définit l'invalidité comme étant la diminution de la capacité de gain "présumée permanente ou de longue durée". C'est dire qu'un
BGE 104 V 131 S. 133
handicap passager, consécutif par exemple à un accident ou à une opération précisément, ne peut ouvrir droit à l'octroi d'un moyen auxiliaire (arrêt non publié Fahrni du 18 avril 1972).
Dans l'espèce, lors de l'usage du fauteuil roulant, l'assuré était en convalescence après l'opération subie. Il est manifeste que l'on se trouvait ainsi en présence non d'un état stabilisé mais d'un handicap passager; et on ne pouvait donc parler d'invalidité au sens de la loi, ce qui excluait l'octroi de moyens auxiliaires.
2.
La question litigieuse doit cependant être examinée sous un autre angle, qui est celui du traitement. L'assurance-invalidité a en effet pris à sa charge l'opération de la hanche gauche, à titre de mesure médicale selon l'art. 12 LAI. L'usage d'un fauteuil roulant fait-il ou non partie du traitement ainsi assumé?
a) Aux termes de l'art. 14 al. 1 LAI, les mesures médicales comprennent le traitement entrepris dans un établissement hospitalier ou à domicile par le médecin ou, sur ses prescriptions, par le personnel paramédical, ainsi que les médicaments ordonnés par le médecin.
Pris littéralement, ces termes pourraient laisser entendre que le traitement ne comprend que les actes médicaux proprement dits. Et l'Office fédéral des assurances sociales relève dans sa réponse que, en refusant de payer les frais de location d'un fauteuil roulant, la commission de l'assurance-invalidité n'a fait que reprendre une définition stricte de la notion de mesures médicales; il se réfère aux normes que connaît l'assurance-maladie, déclare applicables par analogie les art. 20 ss Ord. III et paraît vouloir ne retenir comme mesures médicales que les mesures diagnostiques ou thérapeutiques appliquées par le médecin et le personnel paramédical.
Pareille définition n'est toutefois guère de mise dans l'assurance-invalidité où, tant selon les textes que d'après la pratique administrative, la notion de mesures médicales déborde quelque peu le cadre étroit des prestations obligatoires selon la LAMA (dont aucune disposition de la LAI ne déclare d'ailleurs les normes applicables, même par analogie). D'une part, en effet, l'art. 2 al. 1 RAI considère comme mesures médicales "notamment" les actes chirurgicaux, physiothérapeutiques et psychothérapeutiques; et, si l'art. 14 al. 1 RAI en vigueur jusqu'à fin 1976 ne se référait formellement qu'au seul art. 21
BGE 104 V 131 S. 134
al. 1 LAI, le nouvel art. 1er al. 2 OMA, en vigueur depuis le 1er janvier 1977, prévoit expressément une application par analogie de ses règles "à la remise de moyens de traitement qui font nécessairement partie d'une mesure médicale de réadaptation au sens des art. 12 et 13 LAI". D'autre part, la pratique administrative (que l'art. 1er al. 2 OMA ne fait au fond que codifier) a toujours admis la remise de tels moyens dans le cadre des mesures médicales; preuve en soit précisément la remise en prêt de cannes après les opérations de la coxarthrose assumées par l'assurance-invalidité, prêt accordé en l'espèce également.
b) Le problème à résoudre est si, à l'instar des cannes-béquilles, un fauteuil roulant peut être considéré comme un moyen thérapeutique faisant nécessairement partie du traitement pris en charge par l'assurance-invalidité.
Après une ostéotomie intertrochantérienne de varisation de la hanche, le patient doit éviter plusieurs semaines ou mois durant de trop charger le membre opéré. Les cannes-béquilles procurent la décharge indispensable, tout en donnant au convalescent la possibilité de se déplacer. Vu sous cet angle, un fauteuil roulant offre certes une faculté de déplacement comparable, ainsi que l'allègue le recourant. Mais ce point de vue n'est aucunement déterminant. Ce n'est en effet pas la possibilité de se déplacer en tant que telle qui motive et justifie l'octroi de cannes dans le cadre des mesures médicales de réadaptation. La remise de cannes-béquilles tend aussi à permettre et hâter la rééducation à la marche; seule cette rééducation, qui fait partie encore du traitement, motive et justifie pareille remise. Or le fauteuil roulant, simple moyen de déplacement, ne contribue en rien à la rééducation et ne relève pas du traitement; il ne saurait donc être remis dans le cadre des mesures médicales de réadaptation.
Le recourant note que, sans fauteuil roulant, il aurait dû rester plusieurs semaines encore à l'hôpital, ce qui eût engendré des frais supérieurs. Mais il relève lui-même, à raison, que cet élément n'a pas de poids sur le plan juridique. Même s'il était avéré que la location d'un fauteuil roulant a réduit les frais, ce fait ne pourrait suppléer le défaut de dispositions légales... | 2,275 | 1,072 | Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours de droit administratif est rejeté. | 43 | 22 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-104-V-131_1978 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=12&from_date=&to_date=&from_year=1978&to_year=1978&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=118&highlight_docid=atf%3A%2F%2F104-V-131%3Ade&number_of_ranks=339&azaclir=clir | BGE_104_V_131 |
||
006ce06e-fd9a-4c0e-819f-958aa4eae941 | 1 | 81 | 1,334,843 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 570
BGE 117 II 570 S. 570
Im August 1984 verkaufte die K. Holding AG zwei ihrer Tochtergesellschaften. Der Verwaltungsrat der K. Holding AG bestand damals aus dem Präsidenten Ernst B. und den Mitgliedern Max N. sowie Josef S. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit den beiden anderen Verwaltungsräten wirkte Max N. nicht bei der Vorbereitung und dem Abschluss der Verträge mit.
Im Mai 1985 erhob Christoph N., Sohn von Max N., als Aktionär der K. Holding AG beim Bezirksgericht Zürich gegen B. und S. sowie gegen Rudolf W., Armin G. und Ronald K. Klage aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit. W. und G. waren gemäss Handelsregister zur Zeit der Vertragsschlüsse für die K. Holding AG kollektiv zeichnungsberechtigt. Beide hatten zusammen mit Ronald K., der ebenfalls zum Kader der K.-Unternehmensgruppe gehörte, an den Vorbereitungsarbeiten zum Verkauf der Tochtergesellschaften teilgenommen.
Der Kläger stellte im Hauptpunkt den Antrag, die Beklagten unter solidarischer Haftung zu verpflichten, der K. Holding AG rund zwölf Millionen Franken zu zahlen. Zur Begründung der Klage führte er im wesentlichen aus, die Beklagten seien dafür
BGE 117 II 570 S. 571
verantwortlich, dass die beiden Tochtergesellschaften zu weit unter ihrem wahren Wert liegenden Preisen verkauft worden seien; dadurch sei die K. Holding AG in Millionenhöhe geschädigt worden.
Mit Teil- und Vorurteil vom 30. Juni 1988 wies das Bezirksgericht die Klage gegenüber den Beklagten W., G. und K. mangels Passivlegitimation ab. Dieser Entscheid wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 21. Juni 1990 bestätigt. Der Kläger hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird, soweit es auf sie eintritt. | 370 | 292 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Gemäss
Art. 754 Abs. 1 OR
sind alle mit der Verwaltung oder Geschäftsführung betrauten Personen der Gesellschaft gegenüber für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten verursachen. Als mit der Verwaltung oder Geschäftsführung betraut im Sinne dieser Bestimmung gelten nach Lehre und Rechtsprechung nicht nur Entscheidungsorgane, die ausdrücklich als solche ernannt worden sind, sondern auch Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmen (
BGE 114 V 218
E. 4e,
BGE 112 II 185
E. 5a,
BGE 107 II 353
E. 5; FORSTMOSER, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2. Aufl., S. 205 ff. Rz. 638 ff.; BÜRGI/NORDMANN, N. 119 zu Art. 753/4 OR). In der neueren Literatur wird zudem darauf hingewiesen, dass die Organeigenschaft auch dann anzunehmen sei, wenn nach dem Vertrauensgrundsatz aus den äusseren Umständen auf eine solche Stellung geschlossen werden dürfe (FORSTMOSER, a.a.O., S. 214/5 Rz. 676 ff.).
Der Kläger beruft sich ausserdem auf Lehre und Rechtsprechung zum Organbegriff von
Art. 55 ZGB
. Als Organe im Sinne dieser Vorschrift gelten diejenigen Funktionäre einer juristischen Person, die nach Gesetz, Statuten oder einem davon abgeleiteten Reglement zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben berufen sind oder tatsächlich und erkennbar solche Aufgaben selbständig besorgen (OFTINGER/STARK, Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. II/1, S. 274 Rz. 15; GUTZWILLER, SPR Bd. II, S. 489 ff.; RIEMER, N. 100 ff. zu
Art. 69 ZGB
). Organe sind nach der Rechtsprechung auch jene Personen, die unter der Aufsicht des obersten Verwaltungsausschusses einer juristischen Person deren eigentliche Geschäftsführung
BGE 117 II 570 S. 572
besorgen oder sich sonst in leitender Stellung betätigen (
BGE 104 II 197
mit Hinweisen).
Im allgemeinen wird der Kreis der gemäss
Art. 754 Abs. 1 OR
haftenden jenem der nach
Art. 55 ZGB
verantwortlichen Personen weitgehend gleichzusetzen sein. Eine Übereinstimmung ist jedenfalls dann anzustreben, wenn die für die Gesellschaft handelnde Person für Schaden verantwortlich gemacht wird, den sie unmittelbar einem Dritten verursacht hat. Denn in diesem Fall decken sich die Haftungsgrundlagen, sofern das beanstandete Verhalten nicht nur gesellschaftsintern pflichtwidrig ist, sondern auch eine unerlaubte Handlung darstellt (WATTER, Die Verpflichtung der AG aus rechtsgeschäftlichem Handeln ihrer Stellvertreter, Prokuristen und Organe, speziell bei sogenanntem "Missbrauch der Vertretungsmacht", Diss. Zürich 1985, S. 94 ff., Rz. 143 und 145). Nicht selbstverständlich ist dagegen die Gleichsetzung, falls es um den Ersatz von Gesellschaftsschaden und von mit diesem kongruentem mittelbarem Drittschaden geht (DRUEY, Organ und Organisation - Zur Verantwortlichkeit aus aktienrechtlicher Organschaft, SAG 53/1981, S. 77 ff.; WATTER, a.a.O., S. 91 Rz. 140). Die allgemeine Organhaftung beruht auf dem Gedanken der Verkörperung der juristischen Person nach aussen, der externen Vertretungsmacht. Sie dient vorab der Zurechnung vertretungsgemässen Handelns sowie der Abgrenzung zur Haftung für Hilfspersonen gemäss
Art. 101 OR
. Die Verantwortlichkeit für Gesellschaftsschaden und mittelbaren Gläubigerschaden gründet demgegenüber auf der Missachtung oder dem Missbrauch von Befugnissen und Pflichten des Innenverhältnisses, auf der Verletzung der gesellschaftsinternen Struktur- und Handlungsprinzipien, das heisst von Pflichten, die sich aus der gesellschaftsrechtlichen Stellung ergeben (dazu DRUEY, a.a.O., S. 81; WATTER, a.a.O., S. 98 Rz. 145).
Diese allgemeinen Gesichtspunkte sind im Einzelfall zu beachten. Sie müssen zu einer differenzierten Beurteilung führen und rechtfertigen es, dem verantwortlichkeitsrechtlichen Organbegriff in Berücksichtigung der konkreten Gesellschaftsstrukturen angemessene Grenzen zu setzen (DRUEY, a.a.O., S. 79). Die materielle Organstellung im Sinne von
Art. 754 Abs. 1 OR
bedingt zwingend eine tatsächliche oder allenfalls auch nur gegen aussen kundgegebene organisatorische Eingliederung in die Willensbildung der Gesellschaft. Zudem setzt die aktienrechtliche Verantwortlichkeit erst dort ein, wo die vertragliche, insbesondere arbeitsvertragliche Haftung aufgrund der organisatorischen und hierarchischen Stellung
BGE 117 II 570 S. 573
des Verantwortlichen nicht mehr als ausreichend oder sachgerecht erscheint (WATTER, a.a.O., S. 96 Rz. 144). Das ist in der Regel nur dann der Fall, wenn nicht eine blosse Führung der Geschäfte, sondern deren Leitung aufgrund selbständiger Entschlüsse vorliegt (DRUEY, a.a.O., S. 79).
Zu berücksichtigen ist zudem, dass die aktienrechtliche Verantwortlichkeit an die Missachtung jener Pflichten anknüpft, welche dem Organ durch seine gesellschaftsrechtliche Stellung, durch das dadurch gegebene Sonderverhältnis auferlegt sind (DRUEY, a.a.O., S. 81). Deshalb soll dieser Verantwortlichkeit nur unterstehen, wer sich nach der internen oder nach aussen kundgegebenen Gesellschaftsorganisation in einem solchen Sonderverhältnis befindet und die sich daraus ergebenden Pflichten in eigener Entscheidungsbefugnis zu erfüllen hat. Eine blosse Mithilfe bei der Entscheidfassung genügt nicht. An weitreichenden gesellschaftsrechtlichen oder -politischen Entscheiden wirkt in grösseren Gesellschaften oder Konzernen in der Regel ein breiter Kreis von auch hierarchisch untergeordneten Angestellten mit. Zu denken ist etwa an die Vorbereitung der Entschlussfassung durch die Bereitstellung technischer, kaufmännischer oder juristischer Grundlagen. Werden dabei Fehler im Sinne gesellschaftsrechtlicher Pflichtwidrigkeiten begangen, so richten sich deren Folgen vorab nach dem konkreten Vertragsverhältnis zur Gesellschaft. Die aktienrechtliche, organschaftliche Verantwortlichkeit greift dagegen nur dann Platz, wenn die Kompetenzen der Beteiligten wesentlich über die Vorbereitung und Grundlagenbeschaffung hinausgehen und sich zu einer massgebenden Mitwirkung bei der Willensbildung verdichten. Richtig ist daher, dass die aktienrechtliche Verantwortlichkeit für die Geschäftsführung grundsätzlich nur die oberste Leitung einer Gesellschaft, die oberste Schicht der Hierarchie trifft (DRUEY, a.a.O., S. 79).
4.
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen ist die Vorinstanz zu Recht zum Ergebnis gelangt, die Beklagten W., G. und K. seien mangels Organeigenschaft im Sinne von
Art. 754 Abs. 1 OR
nicht passivlegitimiert. Was der Kläger in rechtlicher Hinsicht dagegen vorbringt, erweist sich als unbegründet.
a) So kann aus dem Umstand allein, dass die Beklagten W. und G. gemäss Handelsregister für die K. Holding AG zeichnungsberechtigt waren, nicht ohne weiteres ihre Organeigenschaft abgeleitet werden, zumal der Eintrag keinerlei Hinweis auf eine leitende Stellung enthielt (FORSTMOSER, a.a.O., S. 209 Rz. 655 f.). Dass
BGE 117 II 570 S. 574
sodann alle drei Beklagten in den Tochter- und Enkelgesellschaften der K. Holding AG Organstellungen eingenommen haben sollen, ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung. Es entspricht zwar überwiegender Lehrmeinung, die herrschende Gesellschaft und ihre Organe bei Einmischung in die Verwaltung und Geschäftsführung der konzernmässig untergeordneten Gesellschaften ihnen gegenüber aus
Art. 754 Abs. 1 OR
verantwortlich zu machen (FORSTMOSER, a.a.O., S. 222/3 Rz. 708 ff.; DRUEY, a.a.O., S. 78; BÜRGI/NORDMANN, N. 123/4 zu Art. 753/4 OR). Diese Beurteilung lässt sich indessen nicht ohne weiteres auf den umgekehrten Fall übertragen, denn das hierarchische Konzernprinzip mag zwar oft zu einer Einmischung "von oben" führen, eine Einmischung "von unten" kennt es dagegen im allgemeinen nicht. Im vorliegenden Fall ist denn auch nicht erwiesen, dass die Organe der Tochter- und Enkelgesellschaften kraft ihrer Stellung einen entscheidenden Einfluss auf die Willensbildung der Holdinggesellschaft ausgeübt haben. Als gegenteiliges Indiz ist vielmehr der Umstand anzusehen, dass die drei Beklagten - obschon als Führungsgremium der untergeordneten Konzerngesellschaften amtierend - an den Verwaltungsratssitzungen der Holdinggesellschaft nur mit beratender Stimme oder als Gäste teilnahmen (FORSTMOSER, a.a.O., S. 211/2 Rz. 665/6). In die gleiche Richtung deutet ausserdem, dass das Gremium selbst bei der Führung der Tochter- und Enkelgesellschaften weisungsmässig stark an die Konzernspitze gebunden war und selbständige Entscheidungen lediglich innerhalb eines vorgegebenen Rahmens, insbesondere des konzernmässig genehmigten Budgets treffen durfte.
b) Zu Recht hat das Obergericht sodann darauf hingewiesen, dass die von den Beklagten W., G. und K. für die Holdinggesellschaft allgemein ausgeübten Tätigkeiten nicht Handlungen betrafen, die gemeinhin den Gesellschaftsorganen vorbehalten sind. Im Vordergrund stand offensichtlich die subordinierte Führung der Geschäfte und nicht deren Leitung.
Die drei Beklagten sind zudem auch gesellschaftsintern nicht als Organe der K. Holding AG betrachtet worden. Das lässt sich mit der Vorinstanz daraus ableiten, dass sie am Déchargebeschluss vom 30. Oktober 1984 unangefochten mitgewirkt haben. Insbesondere ist nicht festgestellt, der Kläger habe sich dieser Mitwirkung widersetzt.
Dass die drei Beklagten bestimmte Grundlagen für die Verkaufsverhandlungen erarbeitet haben, reicht nach dem Gesagten
BGE 117 II 570 S. 575
ebenfalls nicht aus, um ihre Organeigenschaft zu begründen. Das gilt umso mehr, als vom Obergericht verbindlich festgestellt worden ist, diese Unterlagen seien im Hinblick auf die Beschlussfassung durch den Verwaltungsrat der K. Holding AG erstellt worden. Gleich verhält es sich mit den vom Beklagten G. vorgelegten Bilanzen, denn nichts deutet darauf hin, dass er diese nicht bloss in arbeitsvertraglicher, sondern in gesellschaftsrechtlicher Stellung angefertigt hat.
Nicht einzusehen ist schliesslich, warum die Anwendung seiner besonderen Kenntnisse bezüglich der elektronischen Datenverarbeitung die Organeigenschaft des Beklagten K. begründen soll. Erstellt ist einzig, dass alle drei Beklagten aufgrund ihrer Sachkenntnisse und wegen den ihnen unterstellten Sachbereichen im Konzern für die Grundlagenerarbeitung gesellschaftlicher Entscheide herangezogen worden sind, nicht aber auch, dass sie daran in massgebend leitender Stellung mitgewirkt haben. Das gilt nach den Feststellungen der Vorinstanz auch insoweit, als der Beklagte W. zusammen mit den Verwaltungsräten B. und S. der Verhandlungs- und Verkaufsdelegation angehört hat. Im angefochtenen Urteil wird festgehalten, zwar seien die Fachkenntnisse von W. für die Delegation wichtig gewesen, ausschlaggebend sei aber, dass die Verkaufsverträge lediglich von den zwei Verwaltungsräten unterzeichnet worden seien, die aufgrund ihrer eindeutigen Organstellung die Entscheide zu treffen und zu verantworten hätten. Auch in diesem Zusammenhang fehlen somit Feststellungen, welche auf eine Organstellung der Beklagten W., G. und K. schliessen liessen. | 2,386 | 1,812 | 2 | 0 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-117-II-570_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=3&from_date=&to_date=&from_year=1991&to_year=1991&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=21&highlight_docid=atf%3A%2F%2F117-II-570%3Ade&number_of_ranks=420&azaclir=clir | BGE_117_II_570 |
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ab Seite 460
BGE 87 I 459 S. 460
Considerando in diritto:
1.
Secondo l'art. 88 cpv. 2 DIN, se la tassazione non è possibile in base alla dichiarazione ed ai documenti giustificativi prodotti dal contribuente, l'autorità di tassazione è tenuta ad eseguire i necessari accertamenti previsti negli art. da 89 a 92 DIN.
In concreto il contribuente, limitandosi ad esporre alla cifra 3 della sua dichiarazione di imposta un reddito netto annuale ed a trasmettere successivamente il questionario speciale per i professionisti della sua categoria, riempito in modo difettoso, non aveva dato all'autorità di tassazione i ragguagli necessari per determinare con sufficiente precisione il reddito tassabile. Questa era pertanto abilitata a procedere ad ulteriori accertamenti nel senso degli art. da 89 a 91 DIN. Non risulta invece che in proposito il contribuente, il quale non aveva alcun obbligo di tenere una contabilità, abbia commesso una trasgressione ai suoi doveri di collaborazione, di tale portata da giustificare una tassazione d'ufficio a'sensi dell'art. 92 DIN. Ad ogni modo, l'autorità fiscale avrebbe potuto anzitutto esaminare la possibilità di effettuare ispezioni, pur nel rispetto del segreto professionale, e di chiedere ulteriori ragguagli al contribuente (art. 91). In particolare, essa avrebbe potuto chiedere a questi maggiori informazioni sul numero e la portata delle cause patrocinate e degli atti notarili rogati, controllandole presso gli uffici competenti (art. 90 DIN). Inoltre, essa avrebbe potuto esigere la produzione di estratti conti postali e bancari, avvertendo il contribuente che in caso di indicazioni nuovamente difettose, avrebbe proceduto alla tassazione d'ufficio (RU 71 I 133/34, 72 I 46, Archiv 18, p. 137/38).
2.
Comunque, il procedimento adottato dall'autorità di tassazione in sede di reclamo, che la CCR ha da parte sua confermato e adottato, non potrebbe essere condiviso
BGE 87 I 459 S. 461
neppure se la tassazione d'ufficio fosse stata giustificata.
In sede di reclamo, l'Ufficio di tassazione non ha neppure accennato alla nuova documentazione prodotta dal contribuente (distinta delle cause civili e penali ed elenco dei valori notarili rogati) e, pur ammettendo che "il reclamo può essere ritenuto motivato... per ciò che ha riferimento all'attività nel campo del notariato e civile", ha motivato il rigetto delle contestazioni proposte dal reclamante, costatando che questi non aveva dato una prova sufficiente a giustificare il ripristino del reddito professionale nell'ammontare fissato per il precedente periodo fiscale.
Un siffatto procedimento è in evidente contrasto con le regole stabilite dalla giurisprudenza in applicazione dell'art. 92 DIN. Procedendo alla tassazione d'ufficio, l'autorità di tassazione non può fondarsi su delle semplici presunzioni. Essa deve almeno precisare di quali attività si tratti ed indicare singolarmente le relative poste di reddito dopo aver proceduto d'ufficio a delle ricerche (Erhebungen). Nel caso di professionisti non tenuti ad una contabilità, come gli avvocati e i notai, il Tribunale federale ha, è vero, giudicato che la tassazione d'ufficio fondata sul tenore di vita del contribuente (che però in concreto non è nemmeno stato addotto) non può considerarsi manifestamente inesatta, ma la giurisprudenza più recente tende a considerare questo dato di fatto soltanto come uno dei diversi elementi da tenere in conto per detta tassazione. Questa deve essere stabilita su basi sostenibili e corrispondere per quanto possibile a dati reali; deve tener conto di tutti gli elementi disponibili e, in mancanza di conclusivi fattori concreti, deve essere dedotta da coefficienti sperimentali (vedi a questo riguardo KESSLER, Steuereinschätzungsverfahren, p. 373 e segg.), così che risulti manifesto in che modo l'ammontare imposto è stato ottenuto (cfr. RU 72 I 46 consid. 2; Archiv 18, pag. 138 ultimo capoverso).
In concreto, dalla decisione sul reclamo, nè da quella della CCR, non risulta in virtù di quale calcolo si sia
BGE 87 I 459 S. 462
arrivati al reddito tassabile imposto, sommariamente fondato sulla "notoria attività del contribuente". Detta cifra risulta da un elenco prodotto dalla AFC in cui gli avvocati e notai ticinesi sono tassati in misura scalare. Ora se è vero che il confronto con un altro studio di avvocato e notaio in analoghe condizioni avrebbe potuto costituire un fattore di accertamento, la tassazione non può essere fondata su un apprezzamento approssimativo nell'ambito di una categoria, perchè un simile accertamento non tiene sufficiente conto delle speciali circostanze e non rispetta il principio della parità di trattamento nei confronti dei contribuenti appartenenti ad altre categorie professionali.
In realtà, dalle controverse decisioni si deve dedurre che l'autorità di tassazione ha stabilito nell'esposto ammontare il reddito del ricorrente per costringerlo, in caso di contestazione, a dare una prova negativa. Ma un simile procedimento non può essere ammesso senza dar adito a qualsiasi arbitrio. Infatti se dovesse valere nel caso particolare, non si vedrebbe perchè non dovrebbe essere ammesso qualora l'ufficio cantonale proponga una cifra anche di molto maggiore. Comunque, l'autorità di tassazione non può valersi di simili rimedi per sottrarsi ai suoi doveri di accertamento. La giurisprudenza ha stabilito che è anzitutto dovere dell'amministrazione fiscale di fornire le prove che essa può procurarsi, per accertare l'esistenza degli elementi imponibili determinanti; soltanto quando al riguardo sono stabiliti degli indizi concludenti, essa può esigere dal contribuente che provi le sue contrarie allegazioni (Archiv 18, pag. 139).
3.
La controversa tassazione non si giustifica neppure riferendola - come ha fatto la CCR - al potere discrezionale delle autorità di accertamento.
Contrariamente a quanto afferma la CCR, la "discrezionalità" che la legge conferisce agli organi fiscali non è mai libera, vale a dire che non si estende alla scelta di una fra le giuste soluzioni, come nei casi di determinati poteri
BGE 87 I 459 S. 463
conferiti ad autorità politiche, ma è limitata alla ricerca dell'unica possibile soluzione conforme alla legge (Archiv 21 pag. 27).
La CCR ha poi a torto asserito che ad essa incombeva di esaminare soltanto se nel caso particolare si fosse realizzato "un eccesso di discrezionalità". Ora una siffatta limitazione non è deducibile nè dall'art. 109 DIN, il quale stabilisce i poteri delle commissioni di ricorso, nè da altra norma di legge. In realtà, le istanze di ricorso devono, non soltanto controllare gli errori che fossero stati commessi dalle autorità di tassazione, ma giudicare in modo autonomo, sostituendo all'apprezzamento di queste autorità il proprio apprezzameuto (Archiv 17 pag. 407, cfr. anche BLUMENSTEIN, Sistema di diritto delle imposte, pag. 346).
Limitandosi a stabilire se l'autorità di tassazione abbia ecceduto nell'esercizio del proprio apprezzamento, la CCR ha pertanto trasgredito i doveri che le sono imposti secondo l'art. 109 DIN.
4.
La CCR ha riconosciuto nell'impugnata decisione che nel periodo in esame l'attività notarile del ricorrente è diminuita: ha tuttavia giustificato l'aumento del reddito riferendosi, sia all'inesatta dichiarazione degli introiti ricavati da prestazioni di assistenza giudiziaria, comunque reputati di "minore rilevanza", sia alle ulteriori attività professionali del contribuente. Fra queste ha indicato le consulenze, le fideiussioni e la collaborazione, alle compagnie di assicurazioni ed a società anonime, omettendo tuttavia di indicare in che misura queste singole attività abbiano contribuito a costituire il reddito oggetto della imposizione. Invece, nella risposta al ricorso, in cui pretende che l'attività del ricorrente sia stata prevalentemente notarile, la CCR ha tentato per la prima volta di dimostrare con cifre l'attendibilità del reddito imposto. L'AFC ha fatto altrettanto nelle sue osservazioni. Ma questa motivazione a posteriori, che comunque non dimostra il perchè dell'aumento rispetto all'esercizio precedente, non può
BGE 87 I 459 S. 464
essere tenuta in alcun conto, fintanto che al riguardo il contribuente non abbia avuto la possibilità di esprimersi.
Questo motivo sarebbe per se stesso sufficiente a giustificare il rimando della causa all'autorità cantonale per nuovo giudizio. | 3,073 | 1,449 | 2 | 0 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-87-I-459_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=8&from_date=&to_date=&from_year=1961&to_year=1961&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=73&highlight_docid=atf%3A%2F%2F87-I-459%3Ade&number_of_ranks=197&azaclir=clir | BGE_87_I_459 |
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ab Seite 91
BGE 117 Ia 90 S. 91
Grundsätzlich lässt der Kanton Appenzell A.Rh. Zahnärzte zur uneingeschränkten Ausübung dieser Berufstätigkeit nur zu, wenn sie das eidgenössische Diplom erworben haben (Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 25. April 1965 über das Gesundheitswesen; GG). Wenn jedoch ein Mangel an eidgenössisch diplomierten Zahnärzten besteht, kann der Regierungsrat Personen, die an einer in- oder ausländischen Hochschule ein dem eidgenössischen Diplom gleichwertiges Fähigkeitszeugnis erworben haben und sich über
BGE 117 Ia 90 S. 92
eine ausreichende Praxis ausweisen, den eidgenössisch diplomierten Medizinalpersonen gleichstellen (Art. 2 Abs. 2 GG). Daneben gibt es kantonal approbierte Zahnärzte (Art. 10 GG), die alle Befugnisse eines Zahnarztes ausüben können mit Ausnahme amtlicher Verrichtungen im Sinne von Art. 4 GG, der Behandlung von Kieferkrankheiten und der Verschreibung rezeptpflichtiger Heilmittel (Art. 10ter GG). Gemäss der 1986 revidierten Fassung von Art. 10 Abs. 1 GG wird die Bewilligung zur Ausübung des Zahnarztberufes als kantonal approbierter Zahnarzt nur noch nach erfolgreicher Ablegung einer Prüfung erteilt.
Nach erfolgreichem Universitätsstudium in den Vereinigten Staaten Amerikas promovierte der Schweizer Bürger X. 1986 zum Doktor der Zahnmedizin. Zur Zeit ist er in eigener Praxis im Staate New York tätig.
Mit Eingabe vom 22. Mai 1989 an das Sanitätssekretariat beantragte X., er sei den eidgenössisch diplomierten Zahnärzten gleichzustellen, eventualiter sei ihm zu bewilligen, den Zahnarztberuf im Kanton Appenzell A.Rh. prüfungsfrei als kantonal approbierter Zahnarzt selbständig auszuüben, subeventuell sei er zur Prüfung gemäss Art. 10 GG zuzulassen. Da zur Behandlung des Hauptantrages der Regierungsrat auf Antrag der Sanitätskommission und zur Behandlung der Eventualanträge die Sanitätskommission zuständig waren, bat er um Weiterleitung an die zuständigen Behörden. Gleichzeitig ersuchte er, es sei ihm Gelegenheit zu geben, zum Antrag der Sanitätskommission Stellung zu nehmen.
Mit Beschluss vom 25. Juli 1989 verfügte der Regierungsrat, dem Gesuch um Gleichstellung mit den Medizinalpersonen, d.h. dem Hauptantrag der am 22. Mai 1989 an das Sanitätssekretariat gerichteten Eingabe, werde nicht stattgegeben. Dagegen erhob X. am 13. September 1989 staatsrechtliche Beschwerde.
Am 28. August 1989 gelangte X. mit einem neuen Gesuch bzw. einem Wiederaufnahmebegehren oder Wiedererwägungsgesuch an den Regierungsrat. Den Beschluss des Regierungsrates, auf das Wiederaufnahmegesuch werde nicht eingetreten und das neue Gesuch betreffend Gleichstellung werde abgelehnt, focht er mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 6. Dezember 1989 an.
Eine weitere staatsrechtliche Beschwerde erhob X. am 2. Januar 1990 gegen den Beschwerdeentscheid des Regierungsrates betreffend kantonale Approbation.
Der Regierungsrat des Kantons Appenzell A.Rh. schliesst auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerden.
BGE 117 Ia 90 S. 93 | 675 | 471 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Das Bundesgericht prüft die Legitimation des Beschwerdeführers frei und von Amtes wegen (
BGE 115 Ib 508
;
BGE 114 Ia 223
E. 1b, 330 E. 2b). Nach
Art. 88 OG
steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben. Gemäss ständiger Rechtsprechung kann mit staatsrechtlicher Beschwerde lediglich die Verletzung in rechtlich geschützten eigenen Interessen gerügt werden (
BGE 115 Ia 78
E. 1c;
BGE 114 Ia 311
E. 3b;
BGE 113 Ia 349
mit Hinweisen). Zur Verfolgung bloss tatsächlicher Interessen wie auch zur Geltendmachung allgemeiner öffentlicher Interessen ist die staatsrechtliche Beschwerde nicht gegeben (
BGE 115 Ia 78
E. 1c).
b) Die eigenen Interessen des Beschwerdeführers, der sich auf ein spezielles Grundrecht beruft, können durch die Bundesverfassung selber rechtlich geschützt sein, sofern die Interessen auf dem Gebiet liegen, welches die angerufene Verfassungsbestimmung beschlägt (
BGE 105 Ia 45
E. 1a).
Nach ständiger Rechtsprechung verschafft dagegen das allgemeine Willkürverbot, das bei jeder staatlichen Verwaltungstätigkeit nach
Art. 4 Abs. 1 BV
zu beachten ist, für sich allein dem Betroffenen keine geschützte Rechtsstellung im Sinne von
Art. 88 OG
. Die Legitimation zur Willkürbeschwerde besteht nur, wenn das Gesetzesrecht, dessen willkürliche Anwendung gerügt wird, dem Beschwerdeführer einen Rechtsanspruch einräumt oder den Schutz seiner beeinträchtigten Interessen bezweckt (
BGE 110 Ia 75
E. 2a;
BGE 107 Ia 184
E. 2a mit Hinweisen).
3.
a) Der Beschwerdeführer beruft sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit und verlangt Gleichstellung mit den eidgenössisch diplomierten Zahnärzten bzw. Zulassung als kantonal approbierter Zahnarzt. Ferner rügt er die Verletzung des Willkürverbotes.
b) Der Beschwerdeführer kann sich grundsätzlich auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen, um als Zahnarzt tätig zu sein. Gemäss
Art. 31 Abs. 2 BV
bleiben aber kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerben vorbehalten. Den Kantonen steht es nach
Art. 33 BV
insbesondere frei, die Ausübung wissenschaftlicher Berufsarten von einem Fähigkeitsausweis abhängig zu machen. Dabei ist auf dem Wege der Bundesgesetzgebung
BGE 117 Ia 90 S. 94
dafür zu sorgen, dass derartige Ausweise für die ganze Eidgenossenschaft gültig erworben werden können.
Der Kanton Appenzell A.Rh. hat in Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 25. April 1965 über das Gesundheitswesen (Gesundheitsgesetz, GG; bGS 811.1) von seiner Befugnis, grundsätzlich nur eidgenössisch diplomierte Zahnärzte als Medizinalpersonen anzuerkennen, Gebrauch gemacht. Diese kantonale Regelung wird vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt. Sie bedeutet, dass der Beschwerdeführer, der kein eidgenössisches Zahnarztdiplom besitzt, im Kanton Appenzell A.Rh. grundsätzlich nicht als Medizinalperson tätig sein kann.
Art. 2 Abs. 2 GG gibt indessen dem Regierungsrat die Möglichkeit, vom Erfordernis des eidgenössischen Diploms abzusehen, um auch in einer Notlage die medizinische Versorgung der Bevölkerung gewährleisten zu können.
Das heisst allerdings nicht, dass sich der Beschwerdeführer für die Anwendung dieser Bestimmung auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen kann. Die Kantone sind nämlich nicht verpflichtet, eine solche Ausnahmebestimmung zu erlassen, und diese selbst dient im Gegensatz zu andern Kannvorschriften in keiner Weise der Berücksichtigung privater Interessen. Mit Art. 2 Abs. 1 GG hat der kantonale Gesetzgeber einen aus der Handels- und Gewerbefreiheit fliessenden Rechtsanspruch nicht eidgenössisch Patentierter auf die Zulassung als ordentliche Medizinalpersonen ausgeschlossen. Art. 2 Abs. 2 GG bezweckt allein, den Behörden zu ermöglichen, im öffentlichen Interesse vom Erfordernis des eidgenössischen Diploms abzusehen. Da Art. 2 Abs. 2 GG dem Beschwerdeführer weder einen Rechtsanspruch einräumt, noch den Schutz seiner Interessen bezweckt, ist die Legitimation zur Willkürbeschwerde ebenfalls zu verneinen.
Auf die staatsrechtlichen Beschwerden vom 13. September 1989 und 6. Dezember 1989 betreffend Gleichstellung mit den eidgenössisch diplomierten Zahnärzten ist daher - unter Vorbehalt von E. 4 hienach - nicht einzutreten.
c) Gemäss Art. 10 GG lässt der Kanton Appenzell A.Rh. auch kantonal approbierte Zahnärzte zu. Der Beschwerdeführer kann sich für die Zulassung unter diesem Titel auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen, wobei gegebenenfalls auch die Anwendung des kantonalen Rechts - bei schweren Eingriffen frei, bei leichten Eingriffen auf Willkür - zu prüfen ist. Die Legitimation zur Beschwerde betreffend kantonale Approbation ist daher gegeben. Da
BGE 117 Ia 90 S. 95
auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die staatsrechtliche Beschwerde vom 2. Januar 1990 einzutreten.
4.
a) Hinsichtlich Gleichstellung mit den Medizinalpersonen kann der Beschwerdeführer trotz fehlender Legitimation in der Sache selbst die Verletzung von Verfahrensvorschriften rügen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt (
BGE 115 Ia 79
E. 1d;
BGE 114 Ia 312
E. 3c;
BGE 113 Ia 250
E. 3). Das nach
Art. 88 OG
erforderliche, rechtlich geschützte Interesse ergibt sich in solchen Fällen nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus einer Berechtigung am kantonalen Verfahren. Eine solche besteht dann, wenn dem Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung zukommt. Dieser kann mit der staatsrechtlichen Beschwerde die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund von
Art. 4 BV
zustehen.
Der Beschwerdeführer, der in der Sache nicht berechtigt ist, dem aber im kantonalen Verfahren Parteistellung zukam, kann beispielsweise geltend machen, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei nicht angehört worden, habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen, oder er habe nicht Akteneinsicht nehmen können.
Hingegen kann er weder die Würdigung der beantragten Beweise noch die Tatsache, dass seine Anträge wegen Unerheblichkeit oder aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung abgelehnt wurden, rügen (
BGE 114 Ia 313
E. 3c). Gleich verhält es sich hinsichtlich der Rüge, eine Begründung sei mangelhaft bzw. die Behörde habe sich nicht genügend mit den Argumenten des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Die Beurteilung dieser Fragen kann nämlich nicht von der Prüfung der Sache selber getrennt werden; auf eine solche hat der in der Sache selbst nicht Legitimierte keinen Anspruch.
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich folgendes: Auf die staatsrechtliche Beschwerde vom 6. Dezember 1989 kann auch hinsichtlich der vorgebrachten formellen Rügen, die Begründung sei ungenügend und der Regierungsrat habe sich mit den Argumenten des Beschwerdeführers nicht auseinandergesetzt, nicht eingetreten werden. Hingegen ist auf die staatsrechtliche Beschwerde vom 13. September 1989 einzutreten, soweit damit eine formelle Rechtsverweigerung gerügt wird.
5.
In der Beschwerde vom 13. September 1989 wird geltend gemacht, der Gehörsanspruch sei dadurch verletzt worden, dass
BGE 117 Ia 90 S. 96
der Regierungsrat dem Gesuchsteller keine Möglichkeit gegeben habe, zum Antrag der Sanitätskommission bezüglich des Gleichstellungsgesuches Stellung zu nehmen.
a) Der Umfang des Gehörsanspruchs wird zunächst durch die kantonalen Verfahrensvorschriften bestimmt; erst wo sich dieser Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden bundesrechtlichen Minimalgarantien Platz. Da der Beschwerdeführer nicht behauptet, kantonale Verfahrensvorschriften seien verletzt worden, ist einzig und zwar mit freier Kognition zu prüfen, ob unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende Regeln missachtet wurden (
BGE 115 Ia 10
E. 2a;
BGE 114 Ia 98
E. 2).
b) Das Recht auf Akteneinsicht und Äusserung besteht dann, wenn es sich um ein beweiserhebliches Dokument und nicht bloss um ein verwaltungsinternes Papier handelt (
BGE 113 Ia 288
E. 2d). Zu prüfen ist somit, welcher Natur der Antrag der Sanitätskommission im Gleichstellungsverfahren ist.
Über das Gleichstellungsgesuch entscheidet nicht die Sanitätskommission, sondern auf deren Antrag hin der Regierungsrat. Gemäss Art. 3 Abs. 1 der Verordnung vom 8. Dezember 1986 zum Gesundheitsgesetz (GVO; bGS 811.11) ist es Aufgabe der Sanitätskommission, der Sanitätsdirektion in allen Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege und der Medizinalpolizei beratend zur Seite zu stehen. Vorsitzender der sieben Mitglieder zählenden Sanitätskommission ist denn auch der Sanitätsdirektor (Art. 2 GVO). Der Sanitätsdirektion selber obliegt, unter der Oberaufsicht des Regierungsrates, die Leitung des Gesundheitswesens (Art. 1 GVO). Unter diesen Umständen dient der Bericht der Sanitätskommission der internen Vorbereitung des Regierungsratsentscheides. Dass der Regierungsrat entgegen dem Gesuch des Beschwerdeführers diesen nicht zur Stellungnahme zum Antrag eingeladen hat, kann daher nicht beanstandet werden. | 1,961 | 1,523 | 2 | 0 | CH_BGE_002 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_002_BGE-117-Ia-90_1991 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=40&from_date=&to_date=&from_year=1991&to_year=1991&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=399&highlight_docid=atf%3A%2F%2F117-IA-90%3Ade&number_of_ranks=420&azaclir=clir | BGE_117_Ia_90 |
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ab Seite 106
BGE 132 I 104 S. 106
Par arrêté du 6 avril 2005, publié dans la Feuille officielle du 8 avril 2005, le Conseil d'Etat de la République et canton de Neuchâtel a convoqué les électeurs neuchâtelois en vue des votations fédérales et cantonales du 5 juin 2005 portant, entre autres objets, sur la loi sur l'Etablissement hospitalier multisite cantonal (EHM) adoptée par le Grand Conseil neuchâtelois le 30 novembre 2004 par 90 voix contre 13. L'art. 8 de cet arrêté indiquait que les textes soumis à la votation seraient à la disposition des électeurs à la Chancellerie d'Etat et publiés dans la Feuille officielle ainsi que sur le site Internet de l'Etat; il précisait également qu'un fascicule d'explications serait envoyé à chaque électeur.
La loi sur l'Etablissement hospitalier multisite cantonal a paru dans la Feuille officielle du 11 mai 2005. Elle comporte 59 articles. Le matériel de vote a été remis aux électeurs entre les 9 et 13 mai 2005, avec un message explicatif qui reproduisait dans les grandes lignes les principales modalités de la loi et reprenait l'argumentaire du comité référendaire ainsi que la prise de position des autorités.
Le 27 mai 2005, Thierry Clément a saisi la Chancellerie d'Etat de la République et canton de Neuchâtel d'une réclamation et d'un recours pour violation des droits politiques. Il se plaignait en premier lieu du fait que le matériel de vote envoyé aux électeurs ne comprenait pas le projet de loi sur l'Etablissement hospitalier multisite. Il dénonçait en outre le manque d'objectivité de l'information donnée par le Conseil d'Etat dans le message officiel adressé aux électeurs. Il voyait enfin une intervention inadmissible de l'autorité dans la campagne précédant le scrutin dans le fait, révélé par un
BGE 132 I 104 S. 107
article paru dans le journal "Le Courrier" du 21 mai 2005, que la Conseillère d'Etat en charge du Département cantonal de la justice, de la santé et de la sécurité avait accordé une somme de 10'000 fr. au comité interpartis qui soutenait le projet de loi.
Les mesures d'instruction administrées devant la Chancellerie d'Etat ont permis d'établir que l'octroi d'un tel financement au comité "Oui à l'EHM" avait fait l'objet d'une décision du Conseil d'Etat non protocolée, mais formalisée par une demande de crédit supplémentaire établie le 12 mai 2005.
Par décision du 3 juin 2005, la Chancellerie d'Etat a rejeté la réclamation de Thierry Clément dans la mesure où celle-ci s'en prenait au contenu du matériel de vote et à l'objectivité de l'information donnée aux électrices et aux électeurs. Elle l'a déclarée irrecevable en tant qu'elle avait trait au soutien financier apporté par le Conseil d'Etat au comité "Oui à l'EHM".
Le 5 juin 2005, les électeurs neuchâtelois ont accepté, par 47'837 voix contre 16'201, la loi sur l'Etablissement hospitalier multisite cantonal.
Thierry Clément a formé deux recours de droit public pour violation des droits politiques, le premier contre la décision du Conseil d'Etat de soutenir financièrement le comité interpartis "Oui à l'EHM", le second contre l'arrêt du Tribunal administratif de la République et canton de Neuchâtel qui confirme la décision de la Chancellerie d'Etat rejetant sa réclamation. Il conclut dans les deux cas à l'invalidation du résultat de la votation du 5 juin 2005, en tant qu'elle concerne le projet de loi sur l'Etablissement hospitalier multisite cantonal, et à l'organisation d'un nouveau scrutin portant sur cet objet.
Le Tribunal fédéral a rejeté les recours dans la mesure où ils étaient recevables. | 1,284 | 635 | Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Thierry Clément voit une atteinte inadmissible au droit de vote des citoyens dans le fait que le projet de loi sur l'Etablissement hospitalier multisite cantonal soumis à la votation du 5 juin 2005 n'a pas été remis aux électeurs avec le matériel de vote. Il s'agirait d'un élément essentiel à la formation d'une opinion libre et complète des électeurs, qui ne saurait dépendre d'une requête de ceux-ci. Il dénonce sur ce point une violation des art. 34 al. 2 et 35 al. 1 Cst.
BGE 132 I 104 S. 108
3.1
L'
art. 34 al. 1 Cst.
garantit de manière générale et abstraite les droits politiques, tant sur le plan fédéral que sur le plan cantonal ou communal. Selon l'
art. 34 al. 2 Cst.
, qui codifie la jurisprudence du Tribunal fédéral établie sous l'empire de la Constitution fédérale du 29 mai 1874 (Message du Conseil fédéral du 20 novembre 1996 relatif à une nouvelle Constitution fédérale, in FF 1997 I 191;
ATF 124 I 55
consid. 2a p. 57;
ATF 121 I 138
consid. 3 p. 141,
ATF 104 Ia 187
consid. 3a p. 190), cette garantie protège la libre formation de l'opinion des citoyens et des citoyennes et l'expression fidèle et sûre de leur volonté. Une formation et expression libres de la volonté des électeurs supposent que les objets soumis au vote soient portés à temps et de façon adéquate à leur connaissance (
ATF 104 Ia 236
consid. 2c p. 239,
ATF 104 Ia 360
consid. 3a p. 363;
ATF 98 Ia 602
consid. 9 p. 610; arrêt 1P.120/1996 du 12 septembre 1996, consid. 5b, publié in ZBl 98/1997 p. 362; PETER TSCHANNEN, Stimmrecht und politische Verständigung, Bâle et Francfort 1995, p. 425; PASCAL MAHON, L'information par les autorités, RDS 118/1999 II p. 199, ch. 25, p. 232; MICHEL BESSON, Behördliche Informationen vor Volksabstimmungen, thèse Berne 2003, p. 164 et 230). La manière dont l'information des citoyens doit intervenir découle avant tout du droit cantonal. Les dispositions de ce droit qui règlent le devoir d'information des autorités ne sont pas de simples prescriptions d'ordre (
ATF 98 Ia 602
consid. 9 p. 610; arrêt 1P.120/1996 du 12 septembre 1996, consid. 5b, publié in ZBl 98/1997 p. 362; MICHEL BESSON, op. cit., note 15, p. 231).
3.2
Les questions relatives à l'organisation du vote populaire sur les actes soumis au référendum et aux mesures de publicité sont traitées sur le plan cantonal aux art. 125 et 126 de la loi neuchâteloise sur les droits politiques (LDP/NE). La première de ces dispositions prévoit qu'en cas d'aboutissement de la demande de référendum, le Conseil d'Etat soumet l'acte contesté au vote populaire dans les six mois qui suivent l'expiration du délai référendaire. Aux termes de l'
art. 126 LDP
/NE, il assure à l'acte soumis au vote populaire une publicité objective suffisante. L'avis du comité référendaire doit être exposé (al. 1). Des
BGE 132 I 104 S. 109
exemplaires de l'acte soumis au vote populaire sont mis à la disposition des électeurs à la Chancellerie d'Etat et dans les communes huit jours avant celui fixé pour la votation (al. 2).
La loi cantonale sur les droits politiques n'impose donc pas que le texte des lois soumises à votation soit remis aux électeurs avec le matériel de vote. L'
art. 126 al. 2 LDP
/NE exige uniquement que des exemplaires de l'acte soumis au vote populaire soient mis à la disposition des électeurs à la Chancellerie d'Etat et dans les communes huit jours au moins avant celui fixé pour la votation. Un amendement déposé au cours des débats par le groupe libéral du Grand Conseil, visant à ce que le texte soumis au vote soit remis aux électeurs dix jours au moins avant la votation avec de brèves explications, a été refusé par une majorité du parlement neuchâtelois (Bulletin officiel des délibérations du Grand Conseil, séance du 17 octobre 1984, p. 1184/1185). La Chancellerie d'Etat s'est donc conformée à la loi et à la volonté du législateur en ne communiquant pas le texte du projet de loi soumis à la votation du 5 juin 2005 avec le matériel de vote remis aux électeurs, mais en résumant celui-ci dans le message explicatif. Cela ne signifie pas encore que, ce faisant, elle ait satisfait à l'obligation qui lui incombe en vertu des
art. 45 Cst./NE
et 34 al. 2 Cst. de fournir aux citoyens une information complète et objective concernant tous les objets sur lesquels ils sont appelés à se prononcer (cf.
ATF 117 Ia 66
consid. 1d/dd p. 68). La communication intégrale du texte soumis à votation peut en effet se révéler nécessaire pour garantir une information suffisante des citoyens suivant les circonstances, telles que la complexité de l'objet de la votation, l'enjeu qu'il représente pour la population ou encore les arguments défendus de part et d'autre.
En l'occurrence, le projet de loi soumis au vote concernait la refonte du système hospitalier neuchâtelois avec la mise en réseau des principaux établissements hospitaliers du canton dans une structure juridique de droit public nouvelle jouissant d'une plus grande autonomie de décision et de gestion. La réforme portait également sur le statut juridique du personnel hospitalier qui devait être unifié et soumis à un régime de droit privé. L'objet de la votation litigieuse était donc particulièrement complexe, politiquement sensible et présentait un intérêt crucial pour l'ensemble de la population neuchâteloise. La compréhension des diverses implications de la nouvelle loi nécessitait une réflexion approfondie de la part des citoyens. Par ailleurs, ces derniers ont reçu avec le matériel de vote un message explicatif dans lequel les arguments des référendaires étaient vivement contestés et qualifiés de fallacieux par les autorités dans leur prise de position. Dans ces circonstances, il était impératif que le texte du projet de loi soit communiqué aux citoyens, de manière à ce qu'ils puissent se faire une opinion libre et adéquate sur la valeur des arguments exprimés en faveur et en défaveur du projet. La
BGE 132 I 104 S. 110
Chancellerie d'Etat n'était pas dispensée d'agir en ce sens en raison des possibilités offertes pour accéder au projet de loi. La mise à disposition du texte soumis au vote sur le site Internet de l'Etat n'est pas suffisante, car tous les citoyens ne disposent pas d'un accès effectif à ce moyen d'information (cf. en ce sens, MICHEL BESSON, op. cit., p. 325). Il en va de même et pour les mêmes raisons de la publication du projet de loi dans la Feuille officielle. Enfin, la possibilité de se procurer un exemplaire du projet de loi auprès de la Chancellerie d'Etat ou des communes n'est pas non plus déterminante. En effet, même si cette démarche ne présente en principe pas de difficultés majeures, il est à craindre que certains électeurs s'abstiennent de l'entreprendre et s'en remettent aux explications et prises de position contenues dans le message explicatif remis avec le matériel de vote, parce qu'ils ont entamé leur réflexion trop tardivement ou que cette démarche ne fait pas partie de leurs habitudes civiques.
Cela étant, on doit admettre que l'information donnée aux électeurs en relation avec le projet de loi sur l'EHM était insuffisante. Cette irrégularité ne conduit pas pour autant à l'annulation de la votation relative à cet objet.
3.3
Selon la jurisprudence, lorsque le Tribunal fédéral constate que des fautes de procédure ont été commises, il n'annule la votation que si celles-ci sont importantes et ont pu avoir une influence sur le résultat du vote. Il examine en principe librement cette question sur la base d'une appréciation des circonstances. Il tient compte notamment de l'écart de voix, de la gravité des vices de procédure et de leur portée sur le vote dans son ensemble. Si la possibilité d'un résultat différent au cas où la procédure n'avait pas été viciée apparaît à ce point minime qu'elle ne puisse pas entrer sérieusement en considération, il y a lieu de renoncer à l'annulation du vote; dans le cas contraire, il faut considérer le vice comme important et annuler la votation. Lorsque, comme en l'espèce, la différence de voix est très nette, seules de graves irrégularités sont de nature à remettre en cause la validité du résultat du vote (
ATF 130 I 290
consid. 3.4 p. 296;
ATF 129 I 185
consid. 8.1 p. 204;
ATF 113 Ia 46
consid. 7a p. 59,
ATF 113 Ia 291
consid. 4 p. 302/303).
En l'occurrence, le message explicatif adressé par la Chancellerie d'Etat aux citoyens contenait une présentation du projet de loi dont le recourant ne conteste pas l'objectivité; il reprenait les arguments des référendaires dans leur intégralité ainsi que la position des
BGE 132 I 104 S. 111
autorités à cet égard, permettant ainsi aux électeurs de se faire une idée de l'enjeu de la contestation et des opinions des différents intervenants. Cela étant, le déficit d'information lié à l'absence du texte intégral du projet de loi apparaît de faible importance et on doit admettre que les personnes qui ne disposaient pas de ce texte n'étaient pas à ce point insuffisamment renseignées que le résultat du vote, particulièrement net (la loi sur l'Etablissement hospitalier multisite cantonal a été adoptée par 74.7 % des votants contre 25.3 %, soit à une majorité de deux contre un), ait pu en être bouleversé en cas de communication généralisée par les autorités des nouvelles normes en discussion. Le vice allégué n'a ainsi pas eu une influence décisive sur l'issue du scrutin et ne saurait justifier son annulation, ce d'autant que l'autorité n'a pas agi à dessein, mais s'en est tenue à la lettre de la loi et à la volonté clairement manifestée du législateur, en ne communiquant pas le texte du projet de loi.
4.
Le recourant s'en prend également au contenu du message explicatif remis aux électeurs avec le matériel de vote en vue de la votation du 5 juin 2005. Les autorités auraient manqué à leur devoir d'objectivité et influencé de manière illicite la libre formation de la volonté du corps électoral en réduisant abusivement la contestation du projet de loi sur l'Etablissement hospitalier multisite cantonal au seul aspect juridique lié au statut du personnel hospitalier et en suggérant qu'il pourrait être résolu par d'autres voies. Il dénonce à ce propos une violation des
art. 34 Cst.
et 45 Cst./NE, lequel prévoit qu'avant les votes populaires, les autorités donnent une information suffisante et objective sur les objets qui y sont soumis. Le recourant ne prétend pas que cette dernière disposition lui offrirait davantage de garanties que celles découlant du droit constitutionnel fédéral. Dans ces conditions, c'est exclusivement au regard de la jurisprudence rendue en application de l'
art. 34 Cst.
qu'il convient d'examiner ses griefs.
4.1
Il incombe au gouvernement d'un canton, de même qu'à l'organe exécutif d'une commune, de diriger la collectivité. Le gouvernement ne peut accomplir cette mission qu'en soutenant activement ses propres projets et objectifs, et en indiquant sans équivoque ce qu'il considère comme nécessaire ou favorable à l'intérêt général. Le dialogue entre le gouvernement et l'opinion publique, qui se produit par exemple dans le cadre des débats parlementaires, par le biais des communiqués du gouvernement ou à l'occasion de prises de position publiques des magistrats, est au surplus un élément
BGE 132 I 104 S. 112
indispensable de la démocratie. On doit donc reconnaître au gouvernement le droit - et même le devoir - d'intervenir dans le débat politique en dehors des périodes précédant les votations (
ATF 121 I 252
consid. 2 p. 256 et les références citées).
En revanche, les votations doivent être organisées de telle manière que la volonté des électeurs puisse s'exercer le plus librement possible (
ATF 130 I 290
consid. 3.1 p. 294;
ATF 129 I 185
consid. 5 p. 192;
ATF 121 I 138
consid. 3 p. 141 et les références citées). Le droit à la libre formation de l'opinion exclut en principe toute intervention directe des autorités qui serait de nature à fausser la formation de la volonté des citoyens lors de la campagne précédant les votations (
ATF 114 Ia 427
consid. 4a p. 432). Il est néanmoins admis que l'autorité recommande aux citoyens d'accepter le projet soumis à votation et leur adresse un message explicatif, pourvu qu'elle respecte son devoir d'information objective et ne donne pas d'indications fallacieuses sur le but et la portée du projet. Un tel message officiel peut en outre contenir un avis relatif à des questions d'appréciation, car il appartient en définitive à l'électeur de se faire lui-même sa propre opinion sur de telles questions (
ATF 121 I 252
consid. 2 p. 255/ 256;
ATF 119 Ia 271
consid. 3b p. 273;
ATF 117 Ia 452
consid. 3b p. 455/456;
ATF 113 Ia 291
consid. 3b p. 295;
ATF 112 Ia 391
consid. 3a p. 394). L'Etat doit notamment être en mesure de contrebalancer, dans une certaine mesure, les prises de position souvent unilatérales des groupes de pressions influents de la société civile (PASCAL MAHON, op. cit., ch. 35, p. 243/244, qui défend un droit d'intervention plus large de l'autorité). Au demeurant, une intervention de l'autorité dans la campagne précédant une votation qui la concerne allant au-delà de la remise d'un message explicatif aux électeurs ne se justifie qu'en présence de motifs pertinents (
ATF 121 I 252
consid. 2 p. 256;
ATF 119 Ia 271
consid. 3b p. 273;
ATF 116 Ia 466
consid. 4a p. 469;
ATF 113 Ia 291
consid. 3b p. 296;
ATF 112 Ia 332
consid. 4d p. 336;
ATF 108 Ia 155
consid. 3b p. 158 et les références citées).
4.2
Thierry Clément ne conteste pas l'objectivité de la présentation faite du projet de loi sur l'Etablissement hospitalier multisite cantonal dans le message explicatif remis aux citoyens. Il s'en prend à la prise de position du Conseil d'Etat et du Grand Conseil exprimée au sujet des arguments des opposants.
Les autorités cantonales relèvent que "les référendaires s'en prennent à un projet global patiemment élaboré avec les hôpitaux et
BGE 132 I 104 S. 113
largement accepté par tous les bords politiques, alors même qu'ils n'en contestent qu'un aspect juridique pouvant être résolu par d'autres voies". Elles qualifient en outre les arguments des référendaires de "fallacieux" au motif que, "contrairement à ce que ces derniers laissent entendre, l'Etablissement hospitalier multisite ne constitue nullement une privatisation du système hospitalier, ni un abandon du système hospitalier par l'Etat, ni un piège pour le personnel hospitalier, ni une détérioration des conditions de travail de ce personnel; il représente en revanche l'assurance de pouvoir offrir un accès à des soins de qualité à des coûts supportables, l'assurance du maintien des hôpitaux actuels, la préservation de l'emploi dans le domaine hospitalier". Elles concluent en espérant vivement que les citoyens sauront faire preuve de clairvoyance et de bon sens et en les invitant à voter massivement en faveur de la loi.
4.2.1
Le recourant soutient que la prise de position des autorités ne serait pas objective en tant qu'elle laisse entendre que la contestation du projet de loi se limiterait à un aspect juridique, à savoir le statut de droit public des employés de l'Etablissement hospitalier multisite cantonal.
Il ressort de l'argumentation des référendaires que ces derniers remettaient également en cause l'indépendance de la nouvelle structure par rapport à l'Etat et, plus particulièrement, la perte d'influence du législateur cantonal dans la gestion de l'établissement et du personnel. Ils soutenaient ainsi l'idée d'un Etablissement hospitalier multisite dans le canton, mais directement soumis au service cantonal de la santé, afin que les intérêts de la population soient véritablement pris en considération. La prise de position des autorités est par conséquent effectivement réductrice si l'on s'en tient au seul passage mis en évidence par le recourant. Une lecture attentive des arguments des référendaires suffisait néanmoins pour se rendre compte que le litige ne se résumait pas à la question du statut juridique du personnel hospitalier, mais qu'il concernait plus largement l'indépendance du futur établissement de droit public vis-à-vis de l'Etat et la perte d'influence du parlement cantonal dans la gestion hospitalière. Une comparaison des arguments respectifs des partisans et des opposants au projet était d'autant plus aisée que la position des autorités figurait en parallèle à l'argumentation des référendaires. A supposer que le message explicatif traduise un manque d'objectivité répréhensible de la part des autorités, le vice allégué était aisément reconnaissable pour qui prenait la peine de lire l'ensemble du
BGE 132 I 104 S. 114
message et non pas uniquement la prise de position des autorités. Aussi, le Tribunal administratif pouvait admettre que ce vice n'avait pas pu induire les électeurs en erreur et exercer une influence décisive sur l'issue du vote.
4.2.2
De l'avis du recourant, la prise de position des autorités ne serait pas non plus objective en tant qu'elle suggère que l'aspect juridique controversé pourrait être résolu par d'autres voies. Thierry Clément n'a pas soulevé ce grief devant le Tribunal administratif; il ne prétend pas que ce dernier aurait dû examiner d'office la compatibilité du message explicatif avec les exigences d'objectivité et de neutralité requises des autorités en matière de votation. Le recours est dès lors irrecevable sur ce point au regard de la règle de l'épuisement des instances cantonales exprimée à l'
art. 86 al. 1 OJ
(cf.
ATF 129 I 74
consid. 4.6 p. 80;
ATF 123 I 87
consid. 2b p. 89).
4.2.3
Quant au terme de "fallacieux" employé pour qualifier les arguments des référendaires, il n'a en principe pas sa place dans un message officiel, fût-ce dans la prise de position des autorités, dans la mesure où il tend à faire accroire une intention délibérée de tromper ou d'égarer le corps électoral de la part de citoyens exerçant leurs droits démocratiques. Cela est d'autant plus vrai en l'occurrence qu'il a trait non à des affirmations des opposants mais à des appréciations supposées de ceux-ci. Il suffisait aux autorités d'indiquer les raisons pour lesquelles elles tenaient tel argument pour erroné, ce qu'elles ont d'ailleurs fait aussi, à charge pour les citoyens de se faire une idée sur la valeur respective des opinions émises.
4.3
En définitive, si la prise de position des autorités n'échappe pas à toute critique au regard des exigences d'objectivité ou de neutralité que celles-ci doivent observer dans la rédaction d'un message explicatif, les manquements constatés sont d'une importance mineure et, en tout cas, largement insuffisante au sens de la jurisprudence citée au considérant 3.3 pour avoir été de nature à influer d'une manière décisive sur le débat et l'issue claire du vote. Le recours doit donc être rejeté sur ce point également.
5.
Thierry Clément voit enfin une intervention irrégulière de l'autorité dans la campagne précédant la votation cantonale du 5 juin 2005 dans l'octroi par le Conseil d'Etat d'une somme de 10'000 fr. au comité interpartis en faveur du projet de loi soumis au vote.
5.1
Selon la jurisprudence, le droit à la libre formation de l'opinion exclut en principe toute intervention directe des autorités qui serait
BGE 132 I 104 S. 115
de nature à fausser la formation de la volonté des citoyens lors de la campagne précédant les votations sauf motifs pertinents, la communication d'un message officiel avec des recommandations de vote étant cependant admise (
ATF 114 Ia 427
consid. 4a précité). En ce qui concerne l'intervention financière de l'Etat en vue d'une votation populaire, le Tribunal fédéral a jugé en principe inadmissible la propagande indirecte financée par des fonds publics accordés à un comité d'action privé dans lequel l'autorité n'est pas représentée, car celle-ci ne peut pas exercer un contrôle suffisant de l'utilisation des deniers publics accordés et du respect de l'objectivité et de la réserve nécessaires (
ATF 116 Ia 466
consid. 4d p. 470;
ATF 114 Ia 427
consid. 6a p. 443 et les références citées). Pareille intervention est d'autant plus répréhensible qu'elle s'accomplit de façon occulte ou que les fonds dépensés sont disproportionnés ou engagés irrégulièrement (
ATF 121 I 252
consid. 2 p. 256;
ATF 119 Ia 271
consid. 7b p. 281;
ATF 116 Ia 466
consid. 6d p. 475;
ATF 114 Ia 427
consid. 6b p. 444).
5.2
En l'occurrence, le Conseil d'Etat déclare avoir décidé de soutenir financièrement le comité interpartis "Oui à l'EHM" pour défendre le système hospitalier neuchâtelois mis en place de longue date et intéressant l'ensemble de la population. Les autorités cantonales ont cependant exprimé leur opinion et pris position sur les arguments des référendaires dans le message explicatif remis aux électeurs avec le matériel de vote. Une intervention supplémentaire sous la forme d'une aide financière à un comité privé soutenant leur point de vue ne se justifiait pas du seul fait que les opposants disposaient de moyens financiers légèrement plus importants pour défendre leurs arguments. Sous l'angle de l'exigence d'un motif pertinent, il est dès lors douteux que le soutien financier octroyé au comité interpartis en faveur du projet de loi sur l'Etablissement hospitalier multisite cantonal soit admissible.
Quoi qu'il en soit, la décision du Conseil d'Etat d'octroyer une somme de 10'000 fr. au comité interpartis "Oui à l'EHM" n'a pas été publiée et n'a fait l'objet d'aucune communication officielle dans les média. Elle n'a été révélée au public qu'à la faveur d'une déclaration de la Conseillère d'Etat en charge du Département cantonal de la justice, de la santé et de la sécurité, reproduite dans un article de presse paru quinze jours avant le scrutin. Une telle manière de faire n'est pas conforme aux exigences de transparence auxquelles doit répondre toute intervention étatique durant la période qui précède une votation,
BGE 132 I 104 S. 116
indépendamment de l'importance du montant alloué. Dans ces conditions, le recourant se plaint à juste titre d'une violation de l'
art. 34 Cst.
5.3
Cela ne conduit toutefois pas à l'admission du recours et à l'annulation de la votation cantonale à raison de la jurisprudence citée au considérant 3.3. En l'espèce, le montant alloué au comité interpartis "Oui à l'EHM" est modeste s'agissant d'une votation cantonale (cf.
ATF 116 Ia 466
consid. 6d p. 475). De plus, la somme dont ce comité disposait pour sa campagne était inférieure d'un peu plus de 10'000 fr. à celle dont bénéficiait le comité référendaire, selon les chiffres dont ce dernier s'est fait lui-même l'écho dans un article de presse figurant au dossier, de sorte que l'aide financière allouée permettait de rétablir une certaine égalité des armes entre les opposants et les partisans au projet de loi. Enfin, le résultat de la votation est particulièrement net. Dans ces circonstances, on ne saurait sérieusement admettre que le soutien financier illicite, mais réduit, accordé au comité interpartis "Oui à l'EHM" ait pu influencer de manière significative l'issue de la votation sur le projet de loi litigieux.
6.
Le résultat n'est pas différent si l'on prend en considération ensemble et non isolément les irrégularités constatées (cf.
ATF 130 I 290
consid. 6 p. 306; arrêt 1P.116/2000 du 5 mai 2000, consid. 2d, publié in ZBl 102/2001 p. 152). L'écart séparant les partisans et les opposants du projet de loi est en effet tel que les vices énumérés précédemment, même si celui relatif au financement d'un comité privé survenu en violation des règles de transparence est crasse, n'ont à l'évidence pas eu un impact électoral global susceptible de remettre en cause le résultat de la votation. | 8,715 | 4,453 | 2 | 0 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-132-I-104_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=19&from_date=&to_date=&from_year=2006&to_year=2006&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=183&highlight_docid=atf%3A%2F%2F132-I-104%3Ade&number_of_ranks=233&azaclir=clir | BGE_132_I_104 |
|||
007632ad-2d1e-47c2-b4bb-cec330f786eb | 1 | 84 | 1,347,333 | null | 2,024 | de | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 190
BGE 114 V 190 S. 190
Aus den Erwägungen:
2.
a) Nach
Art. 7 Abs. 1 MVG
können die Leistungen der Militärversicherung gekürzt oder in besonders schweren Fällen ganz verweigert werden, wenn der Versicherte die Gesundheitsschädigung unter anderem vorsätzlich oder grobfahrlässig oder durch eine unentschuldbare Widerhandlung gegen Dienstvorschriften oder Befehle herbeigeführt hat.
Grobfahrlässig handelt nach der Rechtsprechung, wer jene elementaren Vorsichtsgebote unbeachtet lässt, die jeder verständige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgt hätte, um eine nach dem natürlichen Lauf der Dinge voraussehbare Schädigung zu vermeiden (
BGE 111 V 189
Erw. 2c mit Hinweisen; vgl. auch RKUV 1987 Nr. U 20 S. 323 Erw. 1).
4.
Ist nach dem Gesagten das Verhalten des Versicherten als grobfahrlässig zu qualifizieren, so fragt sich als nächstes, ob bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von einer Kürzung Umgang genommen werden kann. Die Vorinstanz vertritt die
BGE 114 V 190 S. 191
Auffassung, mit der Formulierung des
Art. 7 Abs. 1 MVG
als Kann-Vorschrift habe der Gesetzgeber dem Rechtsanwender einen sehr grossen Ermessensspielraum eingeräumt, der sogar dann einen Verzicht auf eine Kürzung erlauben würde, wenn an sich die Voraussetzungen für eine solche gegeben wären und auch kein Tatbestand von
Art. 7 Abs. 3 MVG
vorliege.
a) (Auslegung des Gesetzes.)
b) Der Wortlaut von
Art. 7 Abs. 1 MVG
deutet sprachlich auf eine echte Kann-Vorschrift hin. Auf den Wortlaut allein kann indessen in diesem Zusammenhang nicht abgestellt werden, gelangte doch das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 111 V 186
zum Schluss, dass es sich bei der insoweit identisch formulierten Kürzungsbestimmung des
Art. 7 Abs. 1 IVG
nicht um eine echte Kann-Vorschrift handelt; vielmehr räumt diese Bestimmung den Invalidenversicherungs-Kommissionen die Kompetenz im Sinne einer Berechtigung und Verpflichtung ein, die Kürzung zu verfügen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (
BGE 111 V 194
Erw. 4a). Ob der Wortlaut des
Art. 7 Abs. 1 MVG
dessen - Rechtssinn wiedergibt, ist daher unter Prüfung der verfügbaren Auslegungselemente zu ermitteln.
aa) Gemäss SCHATZ (Kommentar zur Eidgenössischen Militärversicherung, S. 80) ist aufgrund dieser Bestimmung "eine Kürzung oder gar eine Verweigerung der Versicherungsleistungen nicht obligatorisch". Nach Auffassung von LENDI (Der Anspruch des Versicherten aus dem Bundesgesetz über die Militärversicherung vom 20. September 1949, Diss. Zürich 1970, S. 94) ist die Militärversicherung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bloss berechtigt und nicht verpflichtet, eine Kürzung der Versicherungsleistungen vorzunehmen. Auch für MAURER (Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. I, S. 329) handelt es sich hiebei um eine "blosse 'Kann'-Vorschrift". Diese Doktrin wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Bereits anlässlich der Verhandlungen zur Vorberatung und Aufstellung eines Entwurfes für ein neues Militärversicherungsgesetz war sich die Expertenkommission darin einig, dass eine Kürzung der Versicherungsleistungen fakultativ sein soll (Protokoll vom 28. bis 31. Mai 1945, S. 14 ff. und S. 90). Auch in der vorberatenden Kommission des Nationalrates wiesen Bundesrat Kobelt, Hasenfratz und Pini darauf hin, dass nach Art. 46 Abs. 1 des bundesrätlichen Entwurfs, welcher im Verlaufe der Beratung zu Art. 7bis Abs. 1 wurde und der im wesentlichen dem heutigen
Art. 7 Abs. 1 MVG
entspricht,
BGE 114 V 190 S. 192
eine Kürzung nicht obligatorisch sei bzw. dass diese Norm dem Rechtsanwender eine "simple possibilité d'une réduction des prestations" einräume (Kommission des Nationalrates, Sitzung vom 2. bis 5. Februar 1948, Protokoll S. 35 bis 37). Im gleichen Sinne äusserte sich die ständerätliche Kommission. So gab unter anderem Dr. Schmitz von der Eidgenössischen Militärversicherung zu Protokoll, dass die Kürzung eine blosse Befugnis darstelle; "in Abweichung der in
Art. 98 KUVG
getroffenen Regelung ist die Kürzung im Militärversicherungsrecht nicht obligatorisch, sondern fakultativ" (Kommission des Ständerates, Sitzung vom 25./26. Januar 1949, Protokoll S. 34). In den parlamentarischen Beratungen führte sodann der Berichterstatter der Mehrheit, Ständerat Haefelin, aus, dass es sich bei Art. 7bis um eine "Kann"-, eine fakultative Vorschrift handle; die Militärversicherung könne kürzen, sie müsse aber nicht (Sten.Bull. 1949 S 213). Derselben Auffassung zeigte sich auch Ständerat Stüssi: Mit dieser Bestimmung habe man nur "die Fakultät" eingeräumt, dass man herabsetzen könne; "hierüber entscheidet der Absatz 2: (in Würdigung aller Umstände des Falles, insbesondere der Grösse des Verschuldens und der wirtschaftlichen Lage der Anspruchsberechtigten") (Sten.Bull. 1949 S 214). Diese Voten blieben in den weiteren Ratsverhandlungen unbestritten.
bb) Damit, dass der Gesetzgeber den rechtsanwendenden Behörden mit
Art. 7 Abs. 1 MVG
ein Entschliessungsermessen (zum Begriff vgl. u.a. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 303 f.; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., S. 405; vgl. auch
BGE 112 Ib 17
Erw. 4) einräumen wollte, trug er auch den besonderen Verhältnissen im Bereiche der Militärversicherung Rechnung. Denn anders als bei der durch Prämienleistungen der Versicherten finanzierten (vgl. hiezu MAURER, a.a.O., Bd. I, S. 334) Invalidenversicherung, bei welcher nach der analogen Kürzungsbestimmung von
Art. 7 Abs. 1 IVG
die Versicherungsleistungen bei Vorliegen von Grobfahrlässigkeit herabzusetzen sind (Erw. 4b), liegt die rechtspolitische Begründung der Selbstverschuldenskürzung bei der beitragsfreien Militärversicherung nicht in erster Linie in der Verpflichtung des Leistungsbezügers zur Solidarität gegenüber der Gemeinschaft der Prämien- bzw. Steuerzahler, sondern im wirtschaftlichen Schutz der Militärversicherung gegen finanzielle Ausbeutung (SCHATZ, a.a.O., S. 77; LENDI, a.a.O., S. 93). Ferner hat das Institut der Selbstverschuldenskürzung - im Gegensatz zur
BGE 114 V 190 S. 193
Invalidenversicherung (vgl.
BGE 106 V 28
mit Hinweisen) - dem Staatshaftungsgedanken zufolge auch pönalen und damit präventiven Charakter (vgl. SCHATZ, a.a.O., S. 77; LENDI, a.a.O., S. 93).
cc) Für diese Auslegung nach Sinn und Zweck spricht schliesslich auch die Gesetzessystematik. Wenn in
Art. 7 Abs. 3 MVG
bei Vorliegen qualifizierter Tatbestände (kameradschaftliche Hilfeleistung, mutiger Einsatz bei militärischen Unternehmungen und Übungen, tapferes Verhalten vor dem Feinde) von einer Kürzung oder Verweigerung der Versicherungsleistungen verbindlich abzusehen "ist", so unterstreicht dies, dass - im Rahmen der durch Abs. 2 gebotenen gesamthaften Würdigung - in weniger eindrücklichen, aber doch besonders gelagerten militärischen Situationen von einer Kürzung oder Verweigerung abgesehen werden "kann", wo die Umstände des Einzelfalles dies rechtfertigen. - Das Eidg. Versicherungsgericht hat denn auch bereits unter der Herrschaft des - ebenfalls als reine Kann-Vorschrift formulierten - Art. 11 Abs. 1 alt MVG (AS 1917 1097) entschieden, dass es die besonderen Umstände des Einzelfalles (in casu Jugendlichkeit des Versicherten, lebenslängliche schwere Verstümmelung, anerkannter Diensteifer und gute Führung) rechtfertigen können, trotz Vorliegens eines grobfahrlässigen Verhaltens von einer Kürzung der Versicherungsleistungen abzusehen (EVGE 1944 S. 147). | 3,231 | 1,344 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-114-V-190_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=24&from_date=&to_date=&from_year=1988&to_year=1988&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=239&highlight_docid=atf%3A%2F%2F114-V-190%3Ade&number_of_ranks=360&azaclir=clir | BGE_114_V_190 |
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00775ffd-76cd-4e69-9855-0f071ae23496 | 1 | 84 | 1,354,841 | 757,382,400,000 | 1,994 | de | Sachverhalt
ab Seite 436
BGE 120 V 435 S. 436
A.-
Die Eheleute M. und J. K. sind gerichtlich getrennt; die Ehefrau lebt in Basel, der Ehemann in X. Das Zivilgericht des Sensebezirks verpflichtete J. K. mit Entscheid vom 30. April 1991, seiner Ehefrau einen monatlichen Unterhalt von Fr. 1'300.-- zu bezahlen, wobei es berücksichtigte, dass M. K., ihres Gesundheitszustandes wegen, eine umfangreichere als die vor der Trennung ausgeübte 50%ige Erwerbstätigkeit nicht zumutbar sei. Eine Berufung gegen diese Unterhaltsregelung wies das Kantonsgericht des Staates Freiburg am 20. September 1991 rechtskräftig ab. Im entsprechenden Entscheid führte es u.a. aus:
"Das Gesuch um eine Rente hat grundsätzlich die Berufungsbeklagte zu stellen (
Art. 66 IVV
[...]). Doch steht auch dem Berufungskläger in seiner Eigenschaft als unterhaltspflichtiger Ehemann dieses Recht zu (
BGE 99 V 166
Erw. 1). Weder sie noch er haben es bisher getan. Das vorinstanzliche Urteil ist daher zu bestätigen. Sollte die Invalidenversicherung auf Gesuch einer der Parteien in der Folge der Berufungsbeklagten eine Rente zusprechen, wird der Berufungskläger die Abänderung oder die Revision des Urteils verlangen."
Gestützt auf diese Belehrung meldete J. K. seine Ehefrau am 18. Oktober 1991 zum Rentenbezug an. Die Invalidenversicherung setzte M. K. von diesem Sachverhalt in Kenntnis, zog Arztberichte des Dr. med. S., Spezialarzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation/Rheumatologie FMH, Basel, vom 5. Dezember 1991, und des Dr. med. H., Spezialarzt für Innere Medizin FMH, Basel, vom 21. Dezember 1991, sowie einen Arbeitgeberbericht bei und liess durch den Regionalen Abklärungsdienst am 12. März 1992 Erhebungen bei der
BGE 120 V 435 S. 437
Versicherten über ihre häusliche Situation anstellen. Mit Vorbescheid vom 15. Juli 1992 wurde M. K. mitgeteilt, dass aufgrund der veranlassten Nachforschungen eine Rentenberechtigung nicht gegeben sei. Nachdem die Versicherte die ihr eingeräumte Frist zur Stellungnahme unbenützt verstreichen liess, wies die Ausgleichskasse Basel-Stadt das Leistungsbegehren mit einer an J. K. gerichteten Verfügung vom 5. August 1992 ab.
B.-
J. K. suchte in der Folge "zur allfälligen Ausübung des Beschwerderechtes" um Akteneinsicht nach. Diese wurde ihm jedoch seitens der Verwaltung verweigert, da sie sich nunmehr auf den Standpunkt stellte, sie hätte das Dossier über die Versicherte ohne deren Einwilligung gar nicht erstellen und keine Abklärungen durchführen dürfen. Hierauf erhob J. K. Beschwerde und rügte u.a. die Nichtgewährung der Akteneinsicht.
Am 28. Oktober 1992 eröffnete die Ausgleichskasse M. K. eine der angefochtenen entsprechende Verfügung, nachdem sie ihr vorgängig den ganzen Sachverhalt und die resultierende Problematik (Verletzung der Persönlichkeit) aus Verwaltungssicht nochmals mitgeteilt hatte. Die Versicherte nahm am 17. November 1992 Einsicht in ihr Dossier; eine Beschwerde erhob sie jedoch nicht.
Die Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel, nahm sodann in der Beschwerdesache von J. K. eine Interessenabwägung zwischen dessen Anspruch auf Akteneinsicht als Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des ungeschriebenen verfassungsmässigen Freiheitsrechts seiner Frau auf Schutz ihrer Privatsphäre und ihres Privatlebens vor. Sie kam zum Schluss, letzteres müsse höher gewichtet werden als das Akteneinsichtsrecht. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör könne daher nicht die Aufhebung der angefochtenen Verfügung zur Folge haben. In materieller Hinsicht wies die Rekurskommission das wiederum gestellte Leistungsbegehren nach einer halben Rente ab (Entscheid vom 22. Februar 1993).
C.-
J. K. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, es sei primär M. K. eine halbe Invalidenrente ab Oktober 1990 auszurichten, subsidiär das Verwaltungsverfahren zu wiederholen, unter voller Respektierung der Mitwirkungsrechte, insbesondere der Akteneinsicht.
Die Ausgleichskasse beantragt in ihrer Stellungnahme die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. M. K. als Mitinteressierte und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf die Einreichung einer Vernehmlassung.
BGE 120 V 435 S. 438 | 924 | 675 | Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Kognition)
2.
a) Die Vorinstanz hat ausgeführt, dass der zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen an seine getrennt lebende Ehefrau verpflichtete Beschwerdeführer nach der gesetzlichen Regelung (
Art. 66 Abs. 1 IVV
in Verbindung mit
Art. 46 IVG
) und der Rechtsprechung (
BGE 99 V 166
f. Erw. 1 mit Hinweisen) einerseits befugt war, die Ehefrau zum Bezug von Leistungen bei der Invalidenversicherung anzumelden, und ihm anderseits die Legitimation zukam, den streitigen Anspruch im Verwaltungsprozess selbständig zu verfolgen (vgl.
BGE 98 V 55
Erw. 1 mit Hinweisen). Auf diese zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid kann verwiesen werden.
b) Zu beachten ist indessen, dass mit der u.a.
Art. 66 IVV
betreffenden Verordnungsänderung vom 29. Juni 1983, welche auf 1. Januar 1984 in Kraft trat, einerseits der Kreis der zur Anmeldung befugten Personen eingeschränkt (
Art. 66 Abs. 1 IVV
) und anderseits, in einem neuen Abs. 2, eine Regelung über die Befugnis zur Befreiung von der Schweigepflicht eingefügt wurde.
Art. 66 Abs. 2 IVV
lautet wie folgt:
"Ist der Versicherte urteilsunfähig, so kann sein gesetzlicher Vertreter andere Personen gegenüber den Organen der Versicherung von der Schweigepflicht befreien, soweit dies zur Abklärung des Anspruchs oder für den Rückgriff auf haftpflichtige Dritte erforderlich ist. Ist kein gesetzlicher Vertreter bestimmt, so steht diese Befugnis auch der betreuenden Person zu, die den Anspruch geltend macht."
Mit dieser Neuerung wurde in erster Linie Bedenken des Persönlichkeitsschutzes Rechnung getragen, welche unter der bis 31. Dezember 1983 geltenden Regelung auftraten, wenn nicht der Versicherte oder sein gesetzlicher Vertreter die Anmeldung zum Leistungsbezug vornahmen. Der Persönlichkeitsschutz gebietet es nach Auffassung des Bundesrates nämlich, dass die für die Abklärung der Leistungsberechtigung notwendige Befreiung von der Schweigepflicht (etwa von Ärzten, medizinischen Hilfspersonen, Spitälern, Fürsorgeeinrichtungen usw.) auch bei der Anmeldung durch Dritte ausdrücklich dem Versicherten oder seinem gesetzlichen Vertreter vorbehalten bleibt. Eine andere Person kann diese Befreiung nur erteilen, wenn der Versicherte urteilsunfähig ist. In diesem Fall kann entweder der gesetzliche Vertreter oder bei dessen Fehlen die den Versicherten betreuende Person Dritte vom Berufsgeheimnis entbinden, nicht hingegen die anmeldungsberechtigten Behörden, weil sie nicht in dem gleichen engen
BGE 120 V 435 S. 439
Verhältnis zum Versicherten stehen. Für den urteilsfähigen Versicherten schliesslich darf aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes weder ein gesetzlicher Vertreter noch ein anmeldungsberechtigter Dritter andere von der Schweigepflicht befreien (vgl. Erläuterungen zur Verordnungsänderung vom 29. Juni 1983 in: ZAK 1983 S. 430 f.). Mit andern Worten steht bei urteilsfähigen Versicherten die Befugnis zur Schweigepflichtbefreiung ausschliesslich diesen selbst zu.
c) Die Verwaltung vertritt vorliegend die Auffassung, dass sie diesen Punkt übersehen und der Beizug der Arztberichte ohne das erforderliche Einverständnis der Versicherten erfolgt sei. Dies trifft zu; denn es wird weder geltend gemacht noch ergeben sich aus den Akten irgendwelche Anhaltspunkte für die Annahme, die Versicherte könnte urteilsunfähig sein, so dass eine sie betreuende Person oder ihr gesetzlicher Vertreter zur Erteilung der Schweigepflichtbefreiung hätte ermächtigt sein können. Daraus folgt, dass die fraglichen Aktenstücke rechtswidrig in das Dossier der Versicherten Eingang gefunden haben.
3.
a) Angesichts dieser Sachlage hat sich die Vorinstanz die Frage gestellt, ob das im Zusammenhang mit der Beschwerdelegitimation des Ehemanns zu beachtende Recht auf Akteneinsicht - welches nach gefestigter Rechtsprechung und Lehre aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt, der seinerseits aus
Art. 4 BV
abgeleitet wird, sofern keine besonderen bundes- oder kantonalrechtlichen Bestimmungen vorgehen (
BGE 115 V 302
Erw. 2e, ZAK 1988 S. 39 Erw. 2a; vgl. ferner
BGE 117 Ia 96
Erw. 5a,
BGE 113 Ia 4
Erw. 4a,
BGE 112 Ia 100
Erw. 5,
BGE 110 Ia 85
Erw. 3b; KNAPP, Précis de droit administratif, 4. Aufl. 1991, S. 144 ff., Rz. 669 ff.; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband zur 5./6. Aufl., 1990, Nr. 82/83, S. 265 ff.; COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, in: "recht" 2/1984, S. 1 ff., je mit weiteren Hinweisen) - die Persönlichkeitsrechte der Ehefrau zu verdrängen vermöge. Sie hat diese Frage verneint und, in Verweigerung des Akteneinsichtsrechts des Beschwerdeführers, gestützt auf die "eindeutige Aktenlage" die Ausrichtung von Rentenleistungen abgelehnt.
b) Dieser Vorgehensweise kann nicht zugestimmt werden; denn auch für die Verwaltungsjustizorgane gilt ein Verbot der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel (RKUV 1985 Nr. K 646 S. 242 f. Erw. 5d; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, 5./6. Aufl., 1986, Nr. 89, S. 555 mit Hinweis auf
BGE 99 V 15
und
BGE 96 I 440
f.).
BGE 120 V 435 S. 440
Dieses Verwertungsverbot gilt allerdings nicht absolut: Nur wenn die Beweismittel nicht auch rechtmässig hätten beschafft werden können, ist deren Berücksichtigung untersagt. Diese Praxis wurde in
BGE 109 Ia 244
ff. dahingehend ergänzt, dass rechtswidrig erlangte Beweismittel auch dann nicht verwertet werden dürfen, wenn bei ihrer Beschaffung ein Rechtsgut verletzt wurde, das im konkreten Fall den Vorrang vor dem Interesse an der Erforschung der Wahrheit und der Durchsetzung des Rechts verdient (RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., Ergänzungsband, Nr. 89, S. 301; vgl. auch Urteil des EGMR vom 12. Juli 1988 i.S. Schenk, Serie A, Band 140 = EuGRZ 1988, S. 390 ff.). Vorliegend sind die umstrittenen Arztberichte ins Dossier der Verwaltung gelangt, ohne dass die Persönlichkeitsschutzrechte des
Art. 66 Abs. 2 IVV
Beachtung fanden. Diese aber sind gerade geeignet und mit dem Ziel in der Verordnung verankert worden, einer urteilsfähigen Person allein um ihrer Persönlichkeit willen zu ermöglichen, die Durchsetzung des Rechts, letztlich bestehend in der Abklärung der Rentenberechtigung, zu verhindern.
c) Die Vorinstanz hätte daher im Rahmen ihrer Prozessleitung die betroffene Versicherte anfragen sollen, ob sie nachträglich die Entbindung ihrer Ärzte von der Schweigepflicht erteile. Hiezu bestand Anlass, da sich die Versicherte ohne weiteres auf die Abklärung ihrer Betätigungsmöglichkeiten im Haushalt eingelassen hat. Wie die Vorinstanz zu schliessen, sie hätte deswegen (und durch die Nichtanfechtung der auch ihr zugestellten Verfügung) die Ärzte ausschliesslich gegenüber der Invalidenversicherung implizite von der Schweigepflicht befreit, geht indessen nicht an. Für die Heilung des Mangels der Rechtswidrigkeit des Beweismittels muss nach dem Sinn von
Art. 66 Abs. 2 IVV
aktives Zutun der in der Persönlichkeit geschützten Versicherten gefordert werden. Hätte sie die nachträgliche Entbindung verweigert, wäre die kantonale Rekurskommission im Rahmen des die Verwaltungsrechtspflege und insbesondere das Beweisverfahren prägenden Untersuchungsgrundsatzes nach dem Gesagten von Amtes wegen verpflichtet gewesen, die rechtswidrig zu den Akten gekommenen Arztberichte prozessleitend aus dem Recht zu weisen (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 208 f. und 277 f.; MATTHEY/HOTTELIER, La légalité des preuves en procédure administrative genevoise, in: RDAF 1989, S. 154). Die Frage nach einer allfälligen Beschränkung des Akteneinsichtsrechts des Beschwerdeführers im Sinne der Rechtsprechung (
BGE 115 V 302
Erw. 2f mit Hinweisen,
BGE 113 Ia 4
Erw. 4a mit
BGE 120 V 435 S. 441
Hinweisen, 113 Ib 268 f. Erw. 4c, 100 Ia 104 Erw. 5d) hätte sich demnach überhaupt nicht gestellt. Sodann wäre der invalidenversicherungsrechtlich massgebende Sachverhalt unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Versicherten erneut abzuklären gewesen, da es - ohne die nicht berücksichtigten Arztberichte - an der Spruchreife des Prozesses mangelte.
d) Da der eigentliche Verfahrensfehler, die unautorisierte Einholung der fraglichen Arztberichte, wie die Verwaltung bereits in einem frühen Prozessstadium erkannte, während der administrativen Abklärung unterlief, rechtfertigt es sich, die Sache nicht an die Vorinstanz, sondern an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit diese das Rentengesuch des Beschwerdeführers vom 18. Oktober 1991 noch einmal zur - rechtmässigen - Prüfung an die Hand nehme. Dabei wird sie, sofern die Versicherte ihre Mitwirkungspflicht an der Abklärung der Rentenberechtigung - bestehend in der Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht - verweigert, die aus
BGE 108 V 229
fliessende Praxis zu beachten haben. Rz. 1051 Abs. 2 des Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung (KSVI), welche das Recht zur Befreiung von der Schweigepflicht im ohne achtenswerte Gründe erfolgten Weigerungsfalle des - urteilsfähigen - Versicherten (oder seines Vertreters) über Rz. 1051 Abs. 1 und den dortigen Verweis auf Rz. 1016 Dritten einräumt, ist im Lichte des revidierten
Art. 66 IVV
(vgl. oben Erw. 2b in fine) bundesrechtswidrig. Wenn die Versicherte mit einem solchen Verhalten die zivilrechtlich begründeten Interessen ihres unterhaltspflichtigen Ehemannes zu schädigen trachten sollte, wird dies der Zivilrichter zu würdigen haben.
4.
(Kostenpunkt) | 2,165 | 1,632 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-120-V-435_1994 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=16&from_date=&to_date=&from_year=1994&to_year=1994&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=159&highlight_docid=atf%3A%2F%2F120-V-435%3Ade&number_of_ranks=385&azaclir=clir | BGE_120_V_435 |
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007c1a99-05fb-4488-a1f9-923b45e78de8 | 1 | 84 | 1,343,017 | 157,766,400,000 | 1,975 | de | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 215
BGE 101 V 215 S. 215
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss
Art. 5 Abs. 1 FLG
haben Anspruch auf Familienzulagen für Kleinbauern die hauptberuflichen selbständigerwerbenden Landwirte, deren reines Einkommen Fr. 16'000.-- im Jahre nicht übersteigt; die Einkommensgrenze erhöht sich um Fr. 1'500.-- für jedes Kind im Sinne von
Art. 9 FLG
. Als hauptberuflich tätig gilt ein Kleinbauer,
BGE 101 V 215 S. 216
der im Verlaufe des Jahres vorwiegend in seinem landwirtschaftlichen Betrieb tätig ist und aus dem Ertrag dieser Tätigkeit in überwiegendem Masse den Lebensunterhalt seiner Familie bestreitet (
Art. 5 Abs. 2 FLG
).
Gestützt auf
Art. 5 Abs. 3 FLG
hat der Bundesrat in
Art. 4 ff. FLV
nähere Vorschriften über die Bewertung und Ermittlung des Einkommens erlassen.
b) Nach dem seit dem 1. April 1974 in Kraft stehenden
Art. 9 Abs. 4 FLG
besteht für Kinder, denen eine Kinderrente oder Waisenrente der AHV gewährt wird, keine Zulagenberechtigung. Im gleichen Sinne bestimmt
Art. 3 Abs. 4 FLG
, dass landwirtschaftliche Arbeitnehmer, denen eine Rente gemäss AHVG ausgerichtet wird, keinen Anspruch auf Haushaltungszulage haben.
2.
Im vorliegenden Fall ist streitig, ob Dominik Obrist anspruchsberechtigter Kleinbauer im Sinne von
Art. 5 FLG
ist. Dies beurteilt sich vorab danach, ob sein Renteneinkommen (ganze einfache Invalidenrente mit Zusatzrente für die Ehefrau und Kinderrenten) als Ersatzeinkommen zum Ertrag aus dem Landwirtschaftsbetrieb zu rechnen ist.
a) Unter der Herrschaft des bis Ende 1952 gültig gewesenen Bundesbeschlusses über die Ausrichtung von Familienzulagen an landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Gebirgsbauern vom 22. Juni 1949 hatte das Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass eine hauptberufliche Tätigkeit als selbständiger Landwirt dann vorliege, wenn jemand das Jahr hindurch den Grossteil der Arbeitszeit einem landwirtschaftlichen Unternehmen widme und hiebei ein Einkommen erziele, das allfällige Einkünfte aus anderweitiger Tätigkeit übersteige; ob ausserdem ein Kapital- oder Renteneinkommen bezogen werde, sei belanglos (EVGE 1951 S. 62).
Mit dem Inkrafttreten des FLG vom 20. Juni 1952 wurde diese Rechtsprechung insofern überholt, als in Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes für die Anerkennung einer hauptberuflichen Tätigkeit vorausgesetzt wird, dass der Landwirtschaftsbetrieb die bedeutendste Einkommensquelle zur Bestreitung des Familienunterhaltes bildet, weshalb das landwirtschaftliche Einkommen grundsätzlich mit dem gesamten übrigen Einkommen zu vergleichen ist. Das Gericht stellte im Sinne der bisherigen Rechtsprechung indessen fest, dass Einkünfte, die
BGE 101 V 215 S. 217
dazu bestimmt sind, den Wegfall eines landwirtschaftlichen Einkommens zu ersetzen, im Rahmen des FLG dem landwirtschaftlichen Einkommen gleichzustellen seien (EVGE 1959 S. 156).
b) In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung enthielten die bis Ende März 1974 gültigen Erläuterungen des Bundesamtes für Sozialversicherung zum FLG die Weisung, dass Ersatzeinkommen aus Renten (AHV, Invalidenversicherung, Unfall- und Militärversicherung) beim Vergleich des landwirtschaftlichen Einkommens mit den übrigen Einkünften dem landwirtschaftlichen Einkommen zuzurechnen sei. In den ab 1. April 1974 gültigen Erläuterungen fehlt ein entsprechender Hinweis. Statt dessen wurden besondere Weisungen über das Zusammenfallen von Kinderzulagen mit Renten der Invalidenversicherung aufgenommen. Nach Rz. 108 der Erläuterungen gelten Landwirte, denen eine halbe Rente der Invalidenversicherung gewährt wird, als Kleinbauern im Hauptberuf; Landwirte, denen eine ganze Invalidenrente ausgerichtet wird, können dagegen nicht als solche anerkannt werden, weshalb ihnen kein Anspruch auf Kinderzulagen zusteht.
Die neue Weisung, deren Zweck darin besteht, die Kumulation von Kinderrenten der Invalidenversicherung mit Kinderzulagen gemäss FLG jedenfalls für Bezüger ganzer Invalidenrenten auszuschliessen, läuft auf eine Änderung der bisherigen Praxis hinaus: wird der Bezüger einer ganzen Invalidenrente nicht mehr als hauptberuflicher Kleinbauer anerkannt, weil sein Haupteinkommen aus der Rente und nicht aus der Landwirtschaft stammt, so wird dieses Einkommen nicht mehr als Ersatzeinkommen aus der Landwirtschaft betrachtet. Es erhebt sich die Frage, ob sich diese Weisung mit der gesetzlichen Ordnung vereinbaren lässt.
3.
a) Die Praxisänderung wird offensichtlich im Hinblick auf die mit der 8. AHV-Revision wesentlich erhöhten Renten angestrebt. Die Vorinstanz weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ganze Invalidenrenten, namentlich Ehepaar-Invalidenrenten oder einfache Invalidenrenten mit Zusatzrente für die Ehefrau, zu denen Kinderrenten hinzukommen, leicht das zufolge Invalidität entgehende Erwerbseinkommen übersteigen können. Berücksichtige man zudem, dass der Landwirtschaftsbetrieb häufig unter vermehrter Mitwirkung der Familienangehörigen sowie allfälliger Arbeitskräfte
BGE 101 V 215 S. 218
weitergeführt werde und das landwirtschaftliche Erwerbseinkommen der Familie nicht einfach wegfalle, sondern unter Umständen ungeschmälert erhalten bleibe, so ergebe sich in Kleinbauernverhältnissen regelmässig eine beträchtliche Überversicherung. Ein gleichzeitiger Bezug von Kinderzulagen nach FLG erscheine daher als stossend.
Diese Bedenken sind nicht unbegründet. Es gilt indessen zu beachten, dass die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer und Kleinbauern eine vom Gesetzgeber gewollte Vorzugsstellung gegenüber Erwerbstätigen anderer Berufe geniessen, welchen bei gleichem Erwerbseinkommen keine entsprechenden (bundesrechtlichen) Ansprüche zustehen. Im übrigen handelt es sich um eine allgemeine, nicht auf die Landwirtschaft beschränkte Erscheinung, dass das Invalidenrenteneinkommen - zuzüglich eines allfälligen Erwerbseinkommens aus noch verwertbarer Restarbeitsfähigkeit - das ohne Invalidität erzielte Erwerbseinkommen übersteigen kann. Ob nun die Ausrichtung von Familienzulagen an landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Kleinbauern mit Anspruch auf eine ganze Invalidenrente eine über Sinn und Zweck des FLG hinausgehende, untragbare Bevorzugung dieser Bevölkerungsgruppe darstellt, erscheint fraglich. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass es sich im Vergleich zum Invalidenrenteneinkommen um verhältnismässig geringe Zulagen handelt. Sodann werden stossende Ergebnisse auch dadurch eingeschränkt, dass die Einkommensverhältnisse der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer in der Regel bescheiden sind und der Anspruch auf Familienzulagen bei Kleinbauern von Einkommensgrenzen abhängig ist. Schliesslich darf auch angenommen werden, dass es in der Zwecksetzung des FLG liegt, selbst jene Kleinbauernbetriebe zu unterstützen, die nebst der häufig erhalten gebliebenen Betriebsleiterfunktion des invaliden Kleinbauern nur dank des zusätzlichen Einsatzes der Angehörigen und allfälliger Drittkräfte weitergeführt werden können.
b) Entscheidend für die Beurteilung der vorliegenden Frage ist indessen, dass der Gesetzgeber anlässlich der Änderung des FLG vom 14. Dezember 1973 die Kumulation von Familienzulagen mit Renten der Invalidenversicherung weiterhin als zulässig erachtet hat. Im Hinblick auf die mit der 8. AHV-Revision wesentlich erhöhten Leistungen der AHV und Invalidenversicherung hatte der Bundesrat in der Botschaft vom
BGE 101 V 215 S. 219
16. Mai 1973 betreffend die Änderung des FLG beantragt, den gleichzeitigen Bezug von Kinderzulagen und Waisen- und Kinderrenten der AHV und Invalidenversicherung auszuschliessen; gleichzeitig wurde vorgeschlagen, landwirtschaftlichen Arbeitnehmern, die eine Rente der AHV oder Invalidenversicherung beziehen, keine Haushaltungszulage zu gewähren (BBl 1973 I S. 1430/31). Das Parlament folgte diesem Antrag jedoch nur hinsichtlich des Doppelbezuges von Familienzulagen mit Leistungen der AHV. In den Beratungen wurde darauf hingewiesen, dass die Renten der Invalidenversicherung den durch Invalidität verursachten Ausfall an Erwerbseinkommen zu decken hätten, zu welchem Einkommen ohne Invalidität ebenfalls Familienzulagen hinzugekommen wären. Bezugsberechtigte Personen, die invalid werden, sollten daher nicht der Haushaltungs- und der Kinderzulage verlustig gehen (Sten.Bull. NR 1973 S. 1497 ff., SR 1973 S. 728 ff.).
Demzufolge hat der Gesetzgeber mit dem geltenden Wortlaut von
Art. 9 Abs. 4 FLG
die Kumulation der Kinderzulagen gemäss FLG mit Renten der Invalidenversicherung offensichtlich nicht ausschliessen wollen. Dieser gesetzlichen Regelung widerspricht die Weisung des Bundesamtes für Sozialversicherung, mit welcher auf dem Wege einer Praxisänderung zu
Art. 5 Abs. 2 FLG
die Möglichkeit des Doppelbezuges generell auf Bezüger einer halben Invalidenrente beschränkt werden soll. Bezeichnenderweise hat sich denn auch der Gesetzgeber nicht veranlasst gesehen,
Art. 5 Abs. 2 FLG
in einem der bisherigen Praxis entgegenstehenden Sinne zu ändern. In diesem Punkt darf daher bei der Beurteilung des Falles nicht auf die erwähnte Weisung abgestellt werden. | 3,786 | 1,401 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-101-V-215_1975 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=15&from_date=&to_date=&from_year=1975&to_year=1975&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=143&highlight_docid=atf%3A%2F%2F101-V-215%3Ade&number_of_ranks=408&azaclir=clir | BGE_101_V_215 |
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007e26f7-e081-4675-98bd-ac934ddc60ed | 1 | 78 | 1,343,125 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 649
BGE 93 I 648 S. 649
A.-
Der Suninvest-Anlagefonds wurde im Jahre 1964 zum Zwecke errichtet, den Anlegern "durch das diesen gewährte Wohnrecht günstige Ferienmöglichkeiten und eine möglichst wertbeständige Kapitalanlage in Immobiliarwerten in verschiedenen Ländern" zu verschaffen. Der Fonds wurde von der Sunfona AG in Zürich geleitet, die vom deutschen Liegenschaftsmäkler Karl Heinz Moos, in Braunschweig, gegründet worden war. Als Depotbank wurde die Bank Germann & Co. in Basel beigezogen.
Am 5. Mai 1967 fiel diese Bank in Konkurs, so dass sie sich nach Art. 44 Abs. 2 des BG über die Anlagefonds vom 1. Juli 1966 (AFG) nicht mehr als Depotbank betätigen konnte. Sodann entzog die eidg. Bankenkommission durch Verfügung vom 10. Mai 1967 der Sunfona AG gestützt auf
Art. 44 Abs. 1 AFG
die Bewilligung zur Tätigkeit als Fondsleitung und ernannte gemäss
Art. 45 Abs. 1 AFG
die Bank Frei, Treig & Co. AG in Zürich zum Sachwalter mit den Funktionen der Fondsleitung und der Depotbank.
Am 2. Juni 1967 beantragte der Sachwalter der Bankenkommission die Auflösung des Suninvest-Anlagefonds. In seinem Bericht, der sich auf den Befund der Revisionsstelle stützte, führte er aus, die Bücher des Fonds seien nicht nachgeführt, so dass es zur Zeit nicht möglich sei, einen Status der Aktiven und Passiven zu erstellen. Die als Hauptaktivum hingestellte Beteiligung an der Weltring Bau- und Finanz-GmbH in Mainz müsse vorderhand als Nonvaleur betrachtet werden. Der Fonds sei durch treuwidriges Verhalten der Bank Germann & Co. und der Firma Moos, die nun ebenfalls in Konkurs gefallen sei, geschädigt worden. Flüssige Mittel fehlten, weshalb zu
BGE 93 I 648 S. 650
befürchten sei, dass die Verpflichtungen des Fonds nicht mehr erfüllt werden könnten und die Gläubiger im Ausland sich durch Arrestnahme sicherten. Allein schon zur Deckung der Sachwalterkosten und der Auslagen für die Erhaltung der Aktiven wären beträchtliche Beträge erforderlich. Der Fonds sei auch unter den besten Voraussetzungen auf der bisherigen verwaltungstechnischen Basis nicht lebensfähig, da die Ausgaben die Einnahmen überstiegen und eine Umstellung nach bewährten kommerziellen und banktechnischen Grundsätzen erst nach Jahren eine Ertragslage ergeben würde. Die Interessen der Gläubiger und Zertifikatsinhaber könnten noch am ehesten in einem Liquidationsverfahren gewahrt werden, in welchem der Stand der Passiven und die Verantwortlichkeitsfrage abgeklärt werden könnten.
Die Bankenkommission folgte dem Antrag des Sachwalters. Am 29. Juni 1967 beschloss sie gemäss
Art. 46 Abs. 2 AFG
die Auflösung des Suninvest-Anlagefonds und beauftragte den Sachwalter mit der Liquidation.
B.-
Heinrich Georg Sippel, in Niederpleis (Bundesrepublik Deutschland), der sich als Inhaber eines Anteilscheins des Suninvest-Anlagefonds ausweist, erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, der Auflösungsbeschluss der Bankenkommission sei aufzuheben.
Es wird geltend gemacht, der Sachwalter habe voreilig, schon nach weniger als einem Monat seit seiner Ernennung, die Auflösung des Fonds beantragt. In dieser kurzen Zeit habe er noch keine Übersicht über die Vermögensverhältnisse des Fonds gewinnen können.
Art. 45 Abs. 2 AFG
stelle dem Sachwalter für die Prüfung der Verhältnisse und die Antragstellung ein volles Jahr zur Verfügung. Die Bankenkommission habe diese Bestimmung verletzt, indem sie ohne weiteres dem übereilten Antrag des Sachwalters gefolgt sei.
Nach
Art. 46 Abs. 1 AFG
müsse die Aufsichtsbehörde prüfen, ob die Anleger ein erhebliches Interesse an der Fortführung des Fonds haben und ob sich eine geeignete neue Fondsleitung oder Depotbank finde. Dieser Prüfungspflicht könne die Behörde nur genügen, wenn sie vor dem Entscheid über die Fortführung oder Auflösung des Fonds mit den Anlegern Verbindung aufnehme und ihnen Gelegenheit gebe, in einer Versammlung über die Frage der Fortführung Beschluss zu fassen und gegebenenfalls Vorschläge für
BGE 93 I 648 S. 651
die Bezeichnung einer neuen Fondsleitung oder Depotbank zu machen. Erst wenn dieses Verfahren durchgeführt worden sei und kein annehmbares Ergebnis erbracht habe, dürfe die Behörde nach der ausdrücklichen Vorschrift des
Art. 46 Abs. 2 AFG
("andernfalls") die Auflösung des Fonds beschliessen. Hier habe aber die Bankenkommission ihren Entscheid gefällt, ohne die Anleger befragt zu haben. Damit habe sie gegen
Art. 46 Abs. 1 und 2 AFG
verstossen und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs missachtet. Im übrigen liege auf der Hand, dass die Anleger ein erhebliches Interesse an der Fortführung des Suninvest-Anlagefonds hätten.
C.-
Die eidg. Bankenkommission beantragt die Abweisung der Beschwerde. | 999 | 794 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
3. - (Prozessuale Fragen).
4.
Nach
Art. 45 Abs. 2 AFG
hat der Sachwalter innerhalb eines Jahres (seit seiner Ernennung, Abs. 1) der Aufsichtsbehörde Antrag auf Bezeichnung einer neuen Fondsleitung oder Depotbank oder auf Auflösung des Anlagefonds zu stellen. Der Beschwerdeführer rügt, dass diese Bestimmung hier verletzt worden sei, weil der Sachwalter den Antrag auf Auflösung des Suninvest-Anlagefonds schon vor Ablauf eines Monats seit seiner Ernennung gestellt habe. Würde sich dieser Vorwurf einzig gegen den Sachwalter richten, so könnte das Gericht darauf nicht eintreten, da nur der Entscheid der Aufsichtsbehörde der Beschwerde unterliegt. Indessen macht der Beschwerdeführer auch geltend, die Aufsichtsbehörde habe ihrerseits gegen
Art. 45 Abs. 2 AFG
verstossen, indem sie im angefochtenen Entscheid dem "übereilten" Antrag des Sachwalters gefolgt sei. Er will damit offenbar sagen, sie hätte zunächst den Sachwalter veranlassen müssen, seine Prüfung in Ausnützung der Jahresfrist des
Art. 45 Abs. 2 AFG
fortzusetzen. Insofern ist auf die Rüge einzutreten.
In
Art. 45 Abs. 2 AFG
wird aber dem Sachwalter nicht vorgeschrieben, wann er frühestens Antrag stellen dürfe; im Gegenteil, es wird ihm vorgeschrieben, bis wann er dies spätestens zu tun hat. Er soll so bald wie möglich Antrag stellen. Insbesondere muss er dies rasch tun, wenn Gefahr im Verzuge ist. Es ist seine Pflicht, die erforderlichen Erhebungen beförderlich vorzunehmen. Sobald er zur Einsicht gelangt, dass die
BGE 93 I 648 S. 652
Auflösung des Fonds nicht zu vermeiden sei und nicht aufgeschoben werden dürfe, muss er der Aufsichtsbehörde diese Massnahme beantragen. Die Aufsichtsbehörde muss ihrerseits raschestens diesem Antrag Folge geben, wenn ihre eigene Prüfung ergibt, dass er begründet ist. Nach
Art. 46 AFG
hat sie - wie vorher der Sachwalter - zu prüfen, ob die Anleger ein erhebliches Interesse an der Fortführung des Anlagefonds haben und ob sich gegebenenfalls eine geeignete neue Fondsleitung oder Depotbank findet; trifft beides zu, so überträgt sie die Kollektivanlageverträge auf die neue Fondsleitung oder Depotbank (Abs. 1); andernfalls beschliesst sie die Auflösung des Fonds (Abs. 2).
Im vorliegenden Fall konnte der Sachwalter binnen kurzem erkennen, dass der Suninvest-Anlagefonds sich in einer bedenklichen Lage befand, insbesondere über keinerlei liquide Mittel verfügte. Seine Feststellungen, die sich mit dem Befund der Revisionsstelle deckten, veranlassten ihn, unverzüglich der Aufsichtsbehörde die Auflösung des Fonds zu beantragen. Die Begründung, die er dafür in seinem Bericht vom 2. Juni 1967 gab, leuchtet ein. Aus seinen Ausführungen durfte die Aufsichtsbehörde den Schluss ziehen, dass der Fonds nicht lebensfähig sei, ein erhebliches Interesse der Anleger an seiner Fortführung also nicht bestehe, und dass er daher aufgelöst werden müsse.
Der Beschwerdeführer wendet ein, es liege auf der Hand, dass das Interesse der Anleger an der Fortführung des Suninvest-Anlagefonds erheblich sei. Er führt dazu aus: "Dies liegt einmal in der Eigenart des Suninvest-Anlagefonds als Ferienhausfonds begründet, die Erträgnisse der Kapitalanlage fliessen dem Anleger in der Regel nur in der Form eines Wohnrechts zu, zum anderen aber darin, dass bei einer Fortführung des Fonds - wenn sie möglich ist - die Vermögensverluste der Anleger geringer gehalten werden können, als wenn das Aktivvermögen übereilt und damit in der Regel unter dem gemeinhin erzielbaren Preis veräussert wird." Damit sind jedoch die Feststellungen des Sachwalters, nach denen eben die Fortführung des Fonds nicht möglich ist, nicht entkräftet. Allerdings haben die Anleger ein Interesse daran, dass weitere Kapitalverluste vermieden werden. Da aber der Fonds die für die Begleichung der fälligen Schulden erforderlichen flüssigen Mittel nicht besitzt, müssen solche beschafft werden. Zu diesem Zweck
BGE 93 I 648 S. 653
müssten auch dann, wenn der Fonds fortgeführt würde, Liegenschaften veräussert werden. Infolgedessen würde die Möglichkeit, die Ansprüche der Anleger auf Gewährung von Wohnrechten zu befriedigen, mehr und mehr eingeschränkt. Ansprüche der nicht befriedigten Anleger auf Schadenersatz (
Art. 24 AFG
) oder auf Auszahlung ihres Anteils (
Art. 21 AFG
) würden alsdann zur Verwertung weiterer Aktiven des Fonds zwingen. Die Fortführung des Fonds hätte daher voraussichtlich eine stille Liquidation zur Folge, welche die Gefahr in sich bärge, dass die Anleger ungleich behandelt würden. Demgegenüber sind im Liquidationsverfahren, das im Falle der Auflösung des Fonds durchgeführt wird, gemäss Gesetz alle Anleger gleichgestellt (
Art. 29, 30 AFG
). Die Interessen der Anleger werden also durch die Auflösung des Fonds besser als durch dessen Fortführung gewahrt.
Da die Feststellungen im Bericht des Sachwalters nicht widerlegt sind und als zutreffend erachtet werden dürfen, kann nicht beanstandet werden, dass die Aufsichtsbehörde dem Antrag des Sachwalters stattgegeben hat. Weil nach dem Bericht Gefahr im Verzuge war, durfte und musste die Behörde im wohlverstandenen Interesse der Anleger rasch einschreiten. Mit einer Rückweisung des Berichts und dem Auftrag an den Sachwalter, die Verhältnisse noch näher abzuklären, wäre niemandem geholfen gewesen.
5.
Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, die Bankenkommission habe
Art. 46 Abs. 1 und 2 AFG
verletzt und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs missachtet, weil sie vor dem Entscheid über die Fortführung oder Auflösung des Suninvest-Anlagefonds den Anlegern nicht Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und ihnen insbesondere nicht ermöglicht habe, zu diesem Zwecke eine Versammlung abzuhalten.
Indessen bestimmt das Anlagefondsgesetz nirgends, dass die Aufsichtsbehörde die Anleger anzuhören habe, bevor sie ihre Entscheidungen trifft. Namentlich findet sich eine dahingehende Vorschrift weder in den Art. 45 und 46, welche die Voraussetzungen der Auflösung durch Beschluss der Aufsichtsbehörde regeln, noch in Art. 28 Abs. 1 lit. c, wo diese Art der Auflösung ebenfalls erwähnt ist. Art. 28 Abs. 1 sieht daneben noch zwei andere Arten der Auflösung vor, nämlich einerseits in lit. a die Auflösung eines nach dem Fondsreglement auf eine bestimmte Dauer beschränkten Fonds durch Zeitablauf oder vorher -
BGE 93 I 648 S. 654
auf Antrag der Fondsleitung oder der Depotbank - durch Verfügung des Richters aus wichtigen Gründen, und anderseits in lit. b die Auflösung eines nach dem Fondsreglement auf unbestimmte Zeit bestehenden Fonds durch Kündigung der Fondsleitung oder der Depotbank. Lit. a schreibt dem Richter vor, nach
Art. 10 AFG
(betreffend die Änderung des Fondsreglements) zu verfahren. Art. 10 verpflichtet den Richter, vor dem Entscheid im Schweiz. Handelsamtsblatt und in der im Fondsreglement vorgesehenen Form das Begehren, mit dem er befasst ist, und die Zeit der Verhandlung zu veröffentlichen, mit der Anzeige an die Anleger, dass sie ihre Einwendungen schriftlich oder in der Verhandlung mündlich anbringen können. Da entsprechende Vorschriften für die Aufsichtsbehörde fehlen, liegt es nahe, durch Umkehrschluss zu folgern, dass das Gesetz diese Behörde nicht verpflichtet, vor dem Entscheid die Anleger anzuhören, auch dann nicht, wenn die für die Anleger wichtige Frage, ob der Fonds fortzuführen oder aufzulösen sei, zur Beurteilung steht.
Denkbar wäre an sich freilich auch eine analoge Anwendung jener in
Art. 10 AFG
enthaltenen Bestimmung auf den Fall, wo über die Auflösung des Fonds die Aufsichtsbehörde befindet. Die Frage ist jedoch, welche Lösung dem Sinne des Gesetzes entspricht. Es ist das Gesetz als Ganzes in seinem Aufbau und seinen inneren Zusammenhängen ins Auge zu fassen.
Art. 12 Abs. 1 AFG
bestimmt, dass die Fondsleitung den Anlagefonds zwar für Rechnung der Anleger, aber "selbständig und in eigenem Namen" verwaltet. Demgemäss räumt das Gesetz dem Anleger kein Recht auf Mitwirkung bei der Führung der Geschäfte des Fonds ein. Ein solches Recht steht auch der Gesamtheit der Anleger nicht zu. Obwohl die Anleger an einer kollektiven Kapitalanlage beteiligt sind, haben sie nach der gesetzlichen Ordnung untereinander keine Rechtsbeziehungen; vielmehr steht jeder Anleger für sich allein in einem schuldrechtlichen Vertragsverhältnis zur Fondsleitung (vgl. dazu die Botschaft des Bundesrates, BBl 1965 III 293). Es gibt demnach auch keine vom Gesetz anerkannte Anlegerversammlung, welcher irgendwelche Zuständigkeiten zugewiesen wären. Die Organisation einer Gläubigergemeinschaft, wie sie für die Gläubige von Anleihensobligationen vorgesehen ist (
Art. 1157 ff. OR
), wurde bei der Vorbereitung des Anlagefondsgesetzes zwar erwogen, aber abgelehnt (BBl 1965 III 294).
BGE 93 I 648 S. 655
Das Gesetz ermöglicht sodann den einzelnen Anlegern nur einen begrenzten Einblick in die Führung der Geschäfte des Fonds. Zwar gebietet es der Fondsleitung, jährlich einen ausführlichen Rechenschaftsbericht zu veröffentlichen und zur Einsicht der Anleger aufzulegen (Art. 15, 34); doch gibt es dem Anleger nur ein beschränktes Recht auf weitere Auskünfte und verpflichtet die Fondsleitung insbesondere nicht, dem Anleger Einsicht in ihre Bücher und Korrespondenzen zu gewähren (Art. 22).
Anderseits ist im Gesetz dafür Vorsorge getroffen, dass die Interessen der Anleger doch wirksam geschützt werden. Der einzelne Anleger kann sich an den Richter wenden; ausserdem werden die Anlagefonds einer periodischen Prüfung durch Revisionsstellen (
Art. 37 ff. AFG
) und, im Zusammenhang damit, der Aufsicht einer staatlichen Behörde unterworfen, die von Amtes wegen tätig wird und mit weitgehenden Kompetenzen ausgestattet ist (
Art. 40 ff. AFG
). Diese Behörde, die eidg. Bankenkommission, besteht aus fachkundigen Mitgliedern (Art. 23 Bankengesetz;
Art. 40 AFG
und Art. 42 Vollziehungsverordnung) und arbeitet mit den Revisionsstellen zusammen. Sie ist daher in der Lage, mit Autorität die ihr obliegenden Entscheidungen zu treffen, ohne einer Mitwirkung der Anleger zu bedürfen. Die Anleger, denen ja das Gesetz nur einen beschränkten Einblick in die Führung der Geschäfte des Fonds gewährt, wären in der Regel auch nicht imstande, zu der von der Aufsichtsbehörde vorzunehmenden Abklärung der Verhältnisse Wesentliches beizutragen. Dazu kommt, dass die Aufsichtsbehörde vielfach rasch entscheiden muss, wie gerade der vorliegende Fall zeigt. Das wäre aber nicht möglich, wenn vorerst den Anlegern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und dann die - unter Umständen in grosser Zahl - eingehenden Vernehmlassungen geprüft werden müssten. Es muss daher angenommen werden, dass das Gesetz die Aufsichtsbehörde nicht verpflichtet, die Anleger anzuhören, bevor sie entscheidet. Den Anlegern steht es zwar frei, von sich aus an die Aufsichtsbehörde zu gelangen, doch gibt ihnen das Gesetz dieser Behörde gegenüber keine Parteirechte (BBl 1965 III 312). Der Gesetzgeber hat das administrative Verfahren in dieser Beziehung bewusst - und mit Grund - anders als das gerichtliche Verfahren geordnet.
Allerdings können die Entscheidungen der Aufsichtsbehörde
BGE 93 I 648 S. 656
für die Anleger von weittragender Bedeutung sein. Dem trägt aber das Anlagefondsgesetz dadurch Rechnung, dass es gegen alle Entscheidungen der Aufsichtsbehörde die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässt (Art. 47; vgl. dazu BBl 1965 III 311). Dieses Rechtsmittel kann ein Anleger insbesondere gegen einen Auflösungsbeschluss der Aufsichtsbehörde ergreifen. Damit ist dem Bedürfnis der Anleger nach Rechtsschutz Genüge getan, auch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 4 BV
, wonach der unmittelbar aus dieser Verfassungsbestimmung abgeleitete Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt ist, wenn der Betroffene die Verwaltungsverfügung durch ein auch die Bestreitung des Tatbestandes ermöglichendes Rechtsmittel anfechten kann (
BGE 87 I 340
); denn ein solches Rechtsmittel ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, wie sich aus
Art. 105 OG
ergibt.
Die Rüge des Beschwerdeführers, dass die Bankenkommission nach dem Bundesrecht den Anlegern vor dem angefochtenen Beschluss Gelegenheit zur Stellungnahme hätte geben müssen, ist daher unbegründet. | 2,462 | 2,087 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | 17 | 13 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-93-I-648_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=2&from_date=&to_date=&from_year=1967&to_year=1967&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=16&highlight_docid=atf%3A%2F%2F93-I-648%3Ade&number_of_ranks=203&azaclir=clir | BGE_93_I_648 |
||
0080499a-5bfc-4faa-b1f0-6bfcafc4fab4 | 2 | 83 | 1,344,366 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 67
BGE 101 IV 67 S. 67
A.-
Alors qu'il roulait entre les Sairains et Saint-Brais au volant de sa Ford Capri neuve 2600 GT, Jean Houlmann a vu en face de lui une Opel Kadett suivie d'une Renault R 16 qui déboîtait comme pour doubler; prenant peur, il a freiné à fond. Après 30 m de trajectoire rectiligne, roues arrière bloquées, la Ford Capri s'est dirigée vers la gauche de la chaussée
BGE 101 IV 67 S. 68
où elle a percuté l'Opel, dont le conducteur a été tué et les autres occupants blessés. Au moment du choc, la Renault avait repris sa place derrière l'Opel.
Une expertise a retenu que la distance à laquelle se trouvait la Renault lorsqu'elle fut aperçue par Houlmann est évaluée à 108 m; une vitesse de 105 km/h à l'endroit de l'accident permet encore de maîtriser le véhicule, mais une vitesse de 125 km/h apparaît comme absolument excessive; ce n'est pas l'instabilité résultant de la vitesse qui a provoqué la perte de maîtrise du véhicule, mais le fait que les roues arrière de la voiture ont seules été bloquées au début du freinage à fond, et cela à cause d'un défaut de conception du système de freinage de ce modèle d'automobile; si Houlmann n'avait pas freiné, il serait vraisemblablement entré en collision avec la Renault, qui n'aurait pas eu matériellement le temps de reprendre sa droite; enfin, ce n'est qu'à 70 km/h que la voiture d'Houlmann aurait pu être maîtrisée en cas de freinage à fond.
La Cour suprême du canton de Berne a condamné Houlmann le 17 avril 1974, pour homicide par négligence et infraction à la LCR, à 15 jours d'emprisonnement avec sursis pendant deux ans.
Un pourvoi en nullité interjeté par Houlmann a été partiellement admis le 20 septembre 1974 par le Tribunal fédéral, qui a renvoyé la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
Le Tribunal fédéral a estimé en substance que l'on ne saurait retenir à la charge du recourant la perte de maîtrise fautive d'un véhicule dont il ignorait que le système de freinage était affecté d'un défaut de conception, dès lors que par ailleurs il ne lui était pas reproché de ne pas avoir connu ce vice. Considérant alors qu'il convenait d'apprécier la faute du recourant en fonction de l'utilisation d'un véhicule normal, le Tribunal fédéral a relevé ce qui suit:
"Or il apparaît qu'une vitesse de 105 km/h, au volant d'une machine présentant des qualités de tenue de route plus que moyennes, selon l'expert, lui aurait permis de conserver la maîtrise de la situation. En revanche, une allure plus élevée, de 125 km/h, par exemple, aurait été nettement exagérée. Dans la première hypothèse, on ne peut exclure que l'accident a eu pour cause unique le vice de conception de la Ford Capri. Dans la seconde, le recourant aurait commis une faute en circulant à une vitesse qui ne lui permettait pas d'assurer le contrôle d'un véhicule, quel qu'il fût, au cas - avec lequel il faut toujours
BGE 101 IV 67 S. 69
compter, et qui s'est effectivement produit - où il aurait eu à freiner brusquement et à fond.
La vitesse réelle du recourant constituait donc en l'occurrence une circonstance de fait essentielle, si bien qu'il était insuffisant de la situer "entre 105 et 125 km/h". Il convient par conséquent de renvoyer la cause à l'autorité cantonale pour que, dans la mesure du possible, elle se détermine de façon plus précise. Ensuite seulement, elle devra décider - cette question de droit relevant de l'appréciation ressortit sauf arbitraire exclusivement de sa compétence - si et pourquoi la vitesse du recourant était trop élevée au vu des circonstances prévisibles pour lui et compte de la prudence qu'il faut montrer en conduisant un véhicule d'un type nouveau qui n'a que 1000 km au compteur."
B.-
La Cour suprême du canton de Berne a réexaminé la cause au vu des considérants du Tribunal fédéral et, le 27 novembre 1974, elle a reconnu Houlmann coupable d'homicide par négligence et d'infraction à la LCR pour avoir roulé à une vitesse inadaptée aux circonstances. Elle l'a condamné à une peine de 15 jours d'arrêts avec sursis pendant 2 ans.
La Cour cantonale a retenu dans son arrêt qu'Houlmann roulait à 105 km/h avant de freiner. Se ralliant à l'opinion de l'expert, elle a alors estimé qu'en raison du tracé de la route, des courbes assez prononcées qu'elle présente et des irrégularités qui affectent la surface de la chaussée, une vitesse de 80 km/h est appropriée, la vitesse de 100 km/h constituant une limite. Elle a considéré en outre qu'Houlmann devait être incité à une prudence particulière par la présence en face de lui de plusieurs véhicules circulant en sens inverse et qu'enfin, ne connaissant pas encore parfaitement les réactions de son véhicule neuf, il devait rester en dessous de la vitesse maximum. Admettant dès lors qu'Houlmann circulait à une vitesse excessive, elle a estimé que sa faute était en relation de causalité adéquate avec la mort de la victime.
C.-
Houlmann se pourvoit derechef en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à libération. | 1,165 | 1,024 | Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recourant conteste qu'il y ait un lien de causalité adéquate entre d'une part l'excès de vitesse qui lui est reproché et d'autre part l'accident et la mort du conducteur de l'Opel. Il fait valoir que la cause de l'accident réside dans le défaut du système de freinage du véhicule, que la vitesse de
BGE 101 IV 67 S. 70
105 km/h n'a eu aucune influence sur la pirouette de la voiture à la fin du freinage, puisque le défaut de construction entraîne cette conséquence à partir de 70 km/h déjà, que c'est le déplacement à gauche dû au défaut technique qui a causé l'accident et non la vitesse, et que par conséquent l'excès de celle-ci ne saurait être constitutif que d'une contravention au plus, et qui serait d'ailleurs prescrite.
2.
a) La relation de causalité naturelle entre l'excès de vitesse, l'accident et la mort de la victime ne paraît pas contestée et ne saurait l'être. Il y a en effet relation de causalité naturelle si la violation de règles de circulation a contribué avec d'autres causes au résultat (RO 95 IV 142). Tel est évidemment le cas.
L'inadaptation de la vitesse aux circonstances, à savoir la contravention à l'art. 32 al. 1 LCR, n'est pas non plus contestée. Selon l'appréciation de la Cour cantonale, la vitesse du recourant était inadaptée dans la mesure où elle dépassait 80 km/h. En effet, si d'une manière générale il était possible de considérer comme adaptée une vitesse de 80 à 100 km/h au maximum, l'intensité de la circulation au moment critique et le fait que le recourant ne connaissait pas encore parfaitement les réactions de son véhicule exigeaient qu'il reste en dessous du maximum permis par la seule configuration des lieux et l'état de la chaussée et ne dépasse pas 80 km/h. Il n'y a aucun motif de s'écarter de cette appréciation de la Cour cantonale, qui jouit d'une certaine liberté dans ce domaine (RO 91 IV 142) et qui s'est fondée sur des critères parfaitement valables.
b) La relation de causalité est adéquate lorsque le comportement illicite est propre, dans le cours ordinaire des choses et selon l'expérience générale de la vie, à produire ou à favoriser un tel résultat (RO 95 IV 143 et jurisprudence citée). Il n'est pas nécessaire que ce comportement illicite constitue la cause unique et immédiate du résultat; il suffit qu'il soit susceptible de le provoquer (RO 92 IV 87), voire de favoriser d'une manière générale l'avènement de conséquences d'une telle nature (RO 94 IV 76).
Or, en l'espèce, si la cause principale de l'accident réside dans la défectuosité du système de freinage du véhicule du recourant, il n'en reste pas moins, selon les constatations souveraines de la Cour cantonale, qu'il est vraisemblable sinon certain que l'accident n'aurait pas eu de conséquences mortelles
BGE 101 IV 67 S. 71
si le recourant n'avait pas roulé à plus de 80 km/h. La vitesse inadaptée et excessive de 105 km/h apparaît donc non seulement comme un facteur propre à favoriser le résultat - ici la mort - d'une manière générale, mais comme un élément qui l'a réellement favorisé dans le cas particulier. Il y a donc bien relation de causalité adéquate entre la mort de la victime et l'excès de vitesse commis par le recourant.
c) Bien que l'existence d'une relation de causalité adéquate entre la faute du recourant et la mort de la victime suffise pour que soit réalisée l'infraction d'homicide par négligence, il faut encore relever qu'il y a également, en l'espèce, relation de causalité adéquate entre l'excès de vitesse et la collision. En effet, celui qui circule à une vitesse trop élevée et inadaptée aux circonstances crée une situation dangereuse qui l'expose davantage à devoir faire face à des situations imprévisibles en freinant brusquement et à fond. Or l'expérience enseigne qu'un tel freinage est source de dérapage et qu'à vitesse élevée, il est rare que le véhicule freiné à fond conserve une trajectoire rectiligne. Bussy et Rusconi précisent, à cet égard, qu'il est absolument impossible à un conducteur de garantir, en présence d'un danger imprévu, que son freinage évitera tout blocage des roues pouvant faciliter un dérapage, et qu'une voiture glissant sur des roues bloquées dévie généralement si elle dérape sur une certaine distance (BUSSY et RUSCONI, CSCR, p. 99 n. 4.8 ad art. 31).
Ainsi, dans le cours ordinaire des choses et selon l'expérience générale de la vie, la vitesse inadaptée est bien propre à produire ou à favoriser un freinage énergique, susceptible d'entraîner un dérapage et partant une déviation du véhicule. Il y a donc relation de causalité adéquate même si, en l'espèce, la modification de la trajectoire a été due à une défectuosité du véhicule non imputable au recourant.
d) Quant au fait qu'une perte de maîtrise fautive du véhicule n'ait pas été retenue à la charge du recourant, il ne saurait, contrairement à l'opinion de celui-ci, exclure l'existence d'un lien de causalité adéquate entre l'excès de vitesse d'une part et, d'autre part, la mort de la victime ou l'accident. Une conclusion contraire ne peut, en tout cas, être tirée des considérants de l'arrêt rendu par le Tribunal fédéral, le 20 septembre 1974, dans la même affaire. En admettant que, dans l'hypothèse où le recourant aurait roulé à 105 km/h et non pas
BGE 101 IV 67 S. 72
à 125 km/h, on ne pouvait pas exclure que l'accident ait eu pour cause unique le vice de construction de la voiture, cet arrêt a tendu à démontrer que la seule perte de maîtrise ne permettait pas de retenir une faute à la charge du recourant. Mais l'arrêt a précisément renvoyé la cause à l'autorité cantonale non seulement pour qu'elle détermine de façon plus précise la vitesse du recourant, mais encore pour qu'elle apprécie si cette vitesse n'était pas trop élevée au vu des circonstances. Et il ne ressort aucunement de l'arrêt que dans l'hypothèse où la vitesse de 105 km/h devait être finalement retenue, et même si elle était considérée comme inadaptée, le recourant devrait être libéré du grief d'homicide par négligence, faute de causalité adéquate. Au contraire, en demandant à l'autorité cantonale de se prononcer sur le problème de l'adaptation de la vitesse quelle qu'elle fût, le Tribunal fédéral a implicitement admis que l'homicide par négligence pourrait être retenu.
e) La vitesse inadaptée étant en relation de causalité adéquate avec la mort de la victime, c'est à juste titre que le recourant a été condamné pour homicide par négligence. Comme, par cette faute, il a également mis en danger d'autres usagers, l'application de l'art. 90 ch. 1 LCR, qui n'est d'ailleurs pas critiquée, est également fondée. | 1,519 | 1,352 | Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi. | 20 | 15 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-101-IV-67_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=36&from_date=&to_date=&from_year=1975&to_year=1975&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=354&highlight_docid=atf%3A%2F%2F101-IV-67%3Ade&number_of_ranks=408&azaclir=clir | BGE_101_IV_67 |
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ab Seite 46
BGE 121 III 46 S. 46
Il 20 settembre 1993 la Y Assicurazioni ha chiesto, nell'ambito dell'esecuzione in via di realizzazione del pegno immobiliare promossa contro P, la vendita della particella n. xxx RFD di Tenero-Contra di proprietà dell'escusso. Il 14 marzo 1994 l'Ufficio di esecuzione e fallimenti di Locarno ha spedito, quale invio raccomandato, a P la
BGE 121 III 46 S. 47
comunicazione dell'elenco oneri. Il predetto invio postale è stato preso in consegna il giorno seguente al domicilio dell'escusso dalla figlia adulta L. Il 19 marzo 1994 l'avv. A ha contestato, in nome proprio e quale rappresentante di P, l'elenco oneri notificatogli il 15 marzo 1994. Con sentenza del 4 ottobre 1994 la Camera delle esecuzioni e dei fallimenti del Tribunale di appello del Cantone Ticino ha respinto, in quanto ricevibile, un reclamo con cui P faceva, fra l'altro, valere che l'elenco oneri non gli era stato notificato personalmente.
Il 24 ottobre 1994 P ha inoltrato al Tribunale federale un ricorso, con cui postula che gli venga assegnato un nuovo termine per contestare l'elenco oneri. Le controparti, nella misura in cui hanno presentato una risposta, propongono la reiezione del gravame. | 448 | 222 | Erwägungen
Dai considerandi:
2.
Giusta l'art. 79 cpv. 1 prima frase OG l'atto di ricorso deve indicare le modificazioni della decisione impugnata che sono proposte ed esporre in modo coinciso le norme di diritto federale violate dalla decisione e in che consiste la violazione. Questa norma riprende quindi l'esigenze di motivazione previste dall'art. 55 cpv. 1 lett. c seconda frase OG per il ricorso per riforma (POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. II, n. 1.2.2 ad
art. 79 OG
; BIRCHMEIER, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, n. 3 e 4 ad
art. 79 OG
), motivo per cui può essere applicata la giurisprudenza sviluppata nell'ambito di tale rimedio. Nella giurisdizione per riforma il Tribunale federale entra nel merito del gravame, qualora la decisione impugnata contenga due motivazioni indipendenti, unicamente se il ricorrente censura entrambe le argomentazioni dell'autorità cantonale (
DTF 116 II 730
consid. a,
DTF 115 II 302
consid. 2 e
DTF 115 II 72
consid. 3 con rinvii).
L'autorità di vigilanza cantonale ha dichiarato tardivo il reclamo del 13 aprile 1994 diretto contro l'elenco oneri, poiché quest'ultimo stato notificato il 15 marzo 1994 alla figlia dell'escusso che vive nella medesima abitazione. A titolo abbondanziale i giudici cantonali hanno ritenuto che la contestazione del predetto elenco oneri effettuata il 19 marzo 1994 dall'avv. A - a nome proprio e quale rappresentante del ricorrente - costituisce un sicuro indizio per il fatto che l'escusso lo ha effettivamente ricevuto il 15 marzo 1994, non potendo egli altrimenti incaricare un legale. Nella sede federale il ricorrente si limita a censurare la motivazione principale della decisione impugnata, affermando
BGE 121 III 46 S. 48
che la figlia maggiorenne a cui è stato consegnato l'invio raccomandato contenente l'elenco oneri non può essere considerata un membro della sua famiglia ai sensi dell'
art. 64 cpv. 1 LEF
, poiché la stessa non vive con lui, senza tuttavia spendere una parola sulla motivazione abbondanziale dell'autorità cantonale. In queste circostanze il ricorso si rivela inammissibile. | 808 | 392 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-121-III-46_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=33&from_date=&to_date=&from_year=1995&to_year=1995&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=326&highlight_docid=atf%3A%2F%2F121-III-46%3Ade&number_of_ranks=329&azaclir=clir | BGE_121_III_46 |
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0080e626-d9fe-4d5b-8232-e7bb806b61bd | 1 | 79 | 1,358,481 | 157,766,400,000 | 1,975 | de | Sachverhalt
ab Seite 299
BGE 101 Ia 298 S. 299
X. war seit 6. Januar 1969 als Adjunkt des Schulpsychologischen Dienstes der Stadt Winterthur tätig. Am 19. November 1970 wurde er vom Stadtrat von Winterthur unter Hinweis auf "die zu erstattende Strafanzeige betreffend Sittlichkeitsdelikte" provisorisch im Dienste eingestellt. Das zugleich eingeleitete Disziplinarverfahren wurde bis zur Erledigung der Strafuntersuchung ausgesetzt und erst am 16. Mai 1973 fortgesetzt. Das Bezirksgericht Winterthur sprach X. am 5. Januar 1973 von der Anklage der Unzucht mit Kindern frei - einmal aus formellen Gründen, weil den Untersuchungsbehörden zum Teil schwere Verfahrensfehler vorzuwerfen waren; sodann erkannte es auch materiell, dass die dem Angeklagten zur Last gelegten Handlungen nicht von jener Intensität seien, welche die Gerichtspraxis zur Erfüllung des Tatbestandes von
Art. 191 Ziff. 2 StGB
verlange. Dem Angeklagten wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt, weil er sich den Mädchen gegenüber zumindest leichtfertig benommen und deshalb die Einleitung der Strafuntersuchung veranlasst habe.
Mit Beschluss vom 6. Juli 1973 entliess der Stadtrat von Winterthur X. wegen Verletzung der Amts- und Dienstpflicht gemäss § 134 ff. des Personalstatuts der Stadt Winterthur (PS) rückwirkend auf das Datum der vorläufigen Einstellung im Dienst. Hiegegen erhob X. beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Rekurs und zugleich verwaltungsrechtliche Klage. Das Verwaltungsgericht hiess den Rekurs soweit gut, als es erkannte, dass die rückwirkende Entlassung nicht zulässig gewesen sei, bestätigte aber die Entlassung auf den 6. Juli 1973 und wies die verwaltungsrechtliche Klage ab.
Hiegegen reichte X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und zugleich beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Revision wegen Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften ein. Das Verwaltungsgericht wies das Revisionsbegehren vollumfänglich ab, wogegen X. erneut staatsrechtliche Beschwerde erhoben hat. Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab, soweit es auf sie eintritt, aus folgenden | 422 | 326 | Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Nach
Art. 87 OG
ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
erst zulässig, nachdem
BGE 101 Ia 298 S. 300
von kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist. Hiezu gehört nach ständiger Rechtsprechung auch das Ergreifen der ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel, sofern damit die gerügte Verfassungsverletzung geltend gemacht werden kann. Das trifft auf die Revision gemäss § 67 lit. a und b des zürcherischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRG) zu (
BGE 100 Ia 33
E. 2). Soweit also mit der ersten staatsrechtlichen Beschwerde die Verletzung des rechtlichen Gehörs, somit einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, gerügt wird, kann auf sie nicht mehr eingetreten werden.
b) Der Beschwerdeführer hat den Revisionsentscheid des Verwaltungsgerichts in seiner zweiten staatsrechtlichen Beschwerde mit ähnlicher Begründung angefochten wie in seiner ersten. Es handelt sich in beiden Verfahren um dieselbe Streitsache und die gleichen Parteien. Die beiden Verfahren sind daher zu vereinigen.
2.
Der Beschwerdeführer hat am 9. Dezember 1974 nachträglich darum ersucht, sich zu den Vernehmlassungen des Verwaltungsgerichts und des Stadtrates von Winterthur äussern zu dürfen, und er hat dies mit einer beigefügten Begründung gleich getan. Nach
Art. 93 Abs. 2 OG
kann dem Beschwerdeführer eine Frist zur Ergänzung der Beschwerde angesetzt werden, wenn die Entscheidungsgründe erst in der Vernehmlassung der Behörde enthalten sind. Ein weiterer Schriftenwechsel findet gemäss
Art. 93 Abs. 3 OG
nur ausnahmsweise statt.
Die Voraussetzung des
Art. 93 Abs. 2 OG
ist hier jedoch nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat seine angefochtenen Entscheide ausführlich begründet und auch im Revisionsverfahren zu den Vorbringen des Beschwerdeführers Stellung genommen. So erklärt es im Revisionsentscheid ausdrücklich, dass seiner Auffassung nach weder nach kantonalem Recht noch nach
Art. 4 BV
einer Partei in allen Fällen das Doppel der Rechtsschrift der Gegenpartei zuzustellen oder Kenntnis vom Eingang allfälliger Akten zu geben sei. Damit bestreitet es bereits dort sinngemäss das Bestehen eines Gewohnheitsrechtes. Die Vernehmlassung zur Beschwerdeschrift enthält demnach nichts wesentlich Neues, das dem Beschwerdegegner Anspruch auf zusätzliche Ausführungen gäbe.
Ähnliches gilt für dessen weiteres Vorbringen, wonach das Verwaltungsgericht in seiner Vernehmlassung bezüglich der
BGE 101 Ia 298 S. 301
vom Beschwerdeführer gerügten Glaubwürdigkeit der betroffenen Mädchen nun eine Argumentation verwende, die der Urteilsbegründung eindeutig widerspreche. Auch wenn das Verwaltungsgericht in Abschwächung der Argumentation des angefochtenen Urteils in der Vernehmlassung davon spricht, dass nicht das einzelne Vorkommnis entscheidend sei, sondern dass die gesamten Akten der Straf- und Disziplinaruntersuchung mit ihrer Vielzahl von gewichtigen Anhaltspunkten es bei freier Beweiswürdigung davon überzeugt hätten, dass der Beschwerdeführer den untersuchten Mädchen wiederholt in sittlich ungehöriger Weise körperlich nahe getreten sei, so will es damit gleich wie im angefochtenen Urteil sagen, dass nach seiner Auffassung der Beschwerdeführer eindeutig Sitte und Anstand verletzt habe. Neue Entscheidungsgründe hat es damit nicht vorgebracht.
Dem Antrag des Beschwerdeführers, die Eingabe vom 9. Dezember 1974 zu den Akten zu nehmen, kann deshalb nicht entsprochen werden.
3.
Es rechtfertigt sich, zunächst den vom Beschwerdeführer erhobenen Einwand der Verjährung zu untersuchen. Denn hätte das Verwaltungsgericht - wie der Beschwerdeführer behauptet - die Verjährungsvorschriften in unhaltbarer Weise ausgelegt und wäre die Verjährung offensichtlich eingetreten, so müssten die angefochtenen Entscheide aufgehoben werden, ohne dass noch die weiteren Rügen zu prüfen wären. Die massgebende Bestimmung, § 140 PS in der Fassung vom 8. Dezember 1963, lautet:
"(1) Die Disziplinarfehler verjähren in sechs Monaten vom Zeitpunkt an, da sie der zu ihrer Verfolgung zuständigen Behörde bekanntgeworden sind.
(2) Die Verjährungsfrist beginnt mit jeder Untersuchungshandlung neu zu laufen. Die Verjährung ruht, solange ein vom Betroffenen ergriffenes Rechtsmittel gegen die Disziplinarstrafe anhängig ist. Die Verfolgung des Disziplinarfehlers verjährt jedoch spätestens zwei Jahre nach seiner Begehung.
(3) Wird eine Strafuntersuchung eingeleitet, so läuft die Frist für die Verfolgungsverjährung von der rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens an.
(4) Eine Disziplinarstrafe verjährt in einem Jahr; die Frist beginnt mit der Rechtskraft des Disziplinarentscheides zu laufen."
a) Der Beschwerdeführer behauptet, entweder habe das Verwaltungsgericht willkürlich den letzten Satz von Abs. 2
BGE 101 Ia 298 S. 302
nicht auf Abs. 3 angewandt oder aber § 140 PS verletze
Art. 4 BV
, indem er die Frist für die absolute Verfolgungsverjährung an das rein formale, sachlich nicht zu rechtfertigende Kriterium des Vorliegens einer Strafuntersuchung knüpfe. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts begründet aber Abs. 3 insofern eine Ausnahme, als die sechsmonatige Verfolgungsverjährung des ersten Absatzes - die mit jeder Untersuchungshandlung neu zu laufen beginnt (Abs. 2 Satz 1) - wie auch die absolute Verfolgungsverjährung von zwei Jahren (Abs. 2 letzter Satz) erst von der rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens an zu laufen beginnt. Hätte der Gesetzgeber vorschreiben wollen, dass die absolute Verfolgungsverjährung in jedem Fall - also auch bei Durchführung einer Strafuntersuchung - spätestens zwei Jahre nach der Begehung eintrete, so hätte er dies ausdrücklich sagen müssen; Abs. 3 habe deshalb eine selbständige Bedeutung. Es werde nicht darauf abgestellt, ob die Strafuntersuchung Anlass zur Einleitung des Disziplinarverfahrens gegeben habe oder umgekehrt.
Diese Auslegung und die Folgerung hieraus, dass die Verjährungsfristen - weder die sechsmonatige, die durch die Einvernahme des Beschwerdeführers am 19. Juni 1973 unterbrochen wurde, noch die absolute - jedenfalls während der Dauer der verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch nicht abgelaufen waren, sind sachlich durchaus haltbar und auf keinen Fall willkürlich. Auch § 140 PS als solcher verstösst nicht gegen
Art. 4 BV
, da diese Regelung, die zuerst die Durchführung einer Strafuntersuchung erlaubt und danach für ein Disziplinarverfahren aufgrund des gleichen Sachverhalts noch genügend Zeit einräumt, ist sachlich offenkundig gerechtfertigt; die zeitliche Grenze für die Verfolgung von Disziplinarfehlern darf weit gezogen werden (
BGE 73 I 291
E. 4).
b) In einer weiteren Eingabe vom 3. Februar 1975 weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass jedenfalls spätestens am 5. Januar 1975 nach § 140 Absatz 3 PS die absolute Verjährung seiner allfälligen Disziplinarfehler eingetreten sei. Die Eingabe ist verspätet, doch prüft das Bundesgericht in öffentlichrechtlichen Streitigkeiten in der Regel von Amtes wegen, ob eine Verjährung vorliegt (
BGE 98 Ib 355
E. 2a, mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht hat die Frage offen gelassen, ob unter "rechtskräftiger Erledigung des Strafverfahrens" (§ 140 Abs. 3 PS) ein rechtskräftiges Erkenntnis über das Bestehen
BGE 101 Ia 298 S. 303
oder Fehlen eines Straftatbestandes zu verstehen sei oder ob das Verfahren als Ganzes - also auch bezüglich der prozessualen Nebenfolgen - rechtskräftig abgeschlossen sein müsse. Je nachdem hätte die Frist für die absolute Verjährung am 5. Januar 1973 oder - da der Beschwerdeführer den Kosten- und Entschädigungsentscheid weitergezogen hatte - erst am 13. November 1973 zu laufen begonnen.
Das Bundesgericht braucht die Frage ebenfalls nicht zu entscheiden, da die Verfolgungsverjährung mit dem zweiten Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 12. September 1974 - also jedenfalls innert der zweijährigen Frist - zu laufen aufgehört hat. Die Strafverfolgung wird mit der Ausfällung des letztinstanzlichen kantonalen Urteils, das sofort vollstreckbar wird, beendet und damit hört auch die Verfolgungsverjährung auf. Daran ändert die Einreichung einer staatsrechtlichen Beschwerde (vgl.
BGE 101 Ia 109
E. 3) oder einer Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts (
BGE 92 IV 173
und
BGE 97 IV 157
E. 2, mit Hinweisen) nichts, denn diese Rechtsbehelfe hemmen die Vollstreckbarkeit der angefochtenen Entscheide nicht von Gesetzes wegen (vgl. auch PERRIN, ZStR 79/1963 S. 13 ff.). Was für das gemeine und das Polizeistrafrecht (
BGE 101 Ia 109
E. 3) gilt, trifft auch auf das Disziplinarrecht zu.
Der Einwand der Verjährung erweist sich somit in allen Teilen als unbegründet.
4.
Da der Anspruch auf rechtliches Gehör ebenfalls formeller Natur ist (
BGE 100 Ia 10
), rechtfertigt es sich, als nächstes die Rüge der Gehörsverweigerung zu prüfen. Der Anspruch wird auch für ein Disziplinarverfahren zunächst grundsätzlich von den kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben; erst wo sich dieser Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Verfahrensregeln Platz. Ob der bundesrechtliche Gehörsanspruch verletzt ist, prüft das Bundesgericht frei (
BGE 99 Ia 23
E. a).
a) Der Beschwerdeführer beklagt sich, dass ihm das Verwaltungsgericht weder die Vernehmlassung der Gegenpartei zugestellt noch den Eingang der Akten angezeigt habe. Nach dem massgebenden § 58 VRG bestand hiezu aber keine Pflicht; namentlich bleibt es dem Verwaltungsgericht überlassen, ob es nach Einholung der Vernehmlassung noch einen weiteren Schriftenwechsel anordnen will. Die §§ 8 und 57
BGE 101 Ia 298 S. 304
Abs. 1 VRG regeln nur das allgemeine Akteneinsichtsrecht. Der Beschwerdeführer behauptet indessen, es entspreche ständiger Übung sämtlicher Zürcher Gerichte, einer Partei das Doppel einer Rechtsschrift der Gegenpartei zuzustellen, auch wenn sich diese hiezu nicht mehr äussern dürfe; das Verwaltungsgericht bestreitet, dass dies ausnahmslos gelte. Wie es sich damit im einzelnen verhält, kann dahingestellt bleiben, denn der Beschwerdeführer vermag nicht nachzuweisen, dass sich eine allfällige Übung bereits zum Gewohnheitsrecht verdichtet hätte.
Auch aus
Art. 4 BV
ergibt sich nicht, dass eine Beschwerdeantwort in jedem Falle von Bundesrechts wegen dem Rekurrenten zugestellt werden müsste (vgl. TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR 83/1964 II S. 356 N. 84). Diese Pflicht besteht höchstens, wenn in der Beschwerdeantwort neue erhebliche Gesichtspunkte geltend gemacht werden. Das Verwaltungsgericht führt jedoch überzeugend aus, dass das vorliegend nicht zugetroffen habe. Eine Disziplinarbehörde ist auch nicht unbedingt verpflichtet, den Beurteilten über den Beizug von Akten zu orientieren. Dieser muss lediglich Gelegenheit erhalten, in die Akten Einsicht zu nehmen und sich dazu zu äussern (vgl.
BGE 100 Ia 8
ff. E. 3). Der Beschwerdeführer wusste aus den Präsidialverfügungen vom 27. Juli und 3. September 1973 genau, welche Akten das Verwaltungsgericht einverlangte. Kannte er deren Inhalt nicht, so hätte er Einsicht verlangen können. Mit Präsidialverfügung vom 11. April 1974 wurde ihm zudem eine Frist zur freigestellten Vernehmlassung zu den beigezogenen Akten des Straf- und Rekursverfahrens angesetzt. Der Vertreter des Beschwerdeführers teilte darauf am 9. Mai 1974 dem Verwaltungsgericht "nach Einsicht der Akten auf Ihrem Büro" mit, er habe zu den Akten des Strafverfahrens keine weiteren Bemerkungen anzubringen. Freilich war in den Verfügungen nicht gesagt, dass auch in die vom Stadtrat Winterthur beigezogenen Akten Einsicht genommen werden könne; dem Beschwerdeführer war dies aber schon vor der Rekurseinreichung offen gestanden, und er wusste aus der Präsidialverfügung vom 27. Juli 1973, dass der Stadtrat seine Akten einlegen musste. Er hätte sich daher um die Einsicht bemühen müssen. Von einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann keine Rede sein.
BGE 101 Ia 298 S. 305
b) Der weitere Vorwurf, dass der Stadtrat Winterthur dem Verwaltungsgericht nicht sämtliche Akten eingereicht habe und dass deshalb dem Beschwerdeführer willkürlich keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich zu den Akten der Gegenpartei zu äussern, erweist sich schon deswegen als haltlos, weil sich der Beschwerdeführer auf Aktenstücke beruft, die entweder er selbst geschrieben hat oder die ihm aus dem Disziplinarverfahren bereits bekannt waren, da er diese Schriften selbst unterzeichnet hatte.
c) Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, die Entscheidgründe, die zu seiner disziplinarischen Entlassung geführt hätten, seien ihm nicht genügend bekanntgegeben worden. Ob und inwieweit eine kantonale Behörde ihre Verfügungen und Entscheide zu begründen hat, ist vorab eine Frage des kantonalen Rechts. § 10 VRG sieht nun - im Gegensatz zu den entsprechenden Erlassen anderer Kantone - keine Begründungspflicht vor. Die zürcherische Rechtsprechung nimmt an, eine solche Pflicht bestehe nur insoweit, als sie im positiven Recht vorgesehen sei (
BGE 96 I 723
, mit Hinweisen). Darüber hinaus ergibt sich aber eine Begründungspflicht unmittelbar aus
Art. 4 BV
(
BGE 98 Ia 129
und 464 E. 5a, mit Hinweisen). Der Betroffene muss sich über die Tragweite des Entscheids und über allfällige Anfechtungsmöglichkeiten ein Bild machen können; an die Begründung dürfen unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs indessen keine allzuhohen Ansprüche gestellt werden, wenn wie hier das kantonale Recht keine Begründungspflicht vorsieht (
BGE 96 I 723
; TINNER, a.a.O., S. 357).
Die Anforderungen sind allerdings in Fällen wie dem vorliegenden, wo es um die wirtschaftliche Existenz des Beschwerdeführers geht, strenger zu nehmen. Dieser muss dem Entscheid entnehmen können, was ihm vorgeworfen wird, worauf sich dieser Vorwurf stützt und weshalb er zu der schwersten Disziplinarstrafe führt, obschon das Strafgericht zu einem Freispruch gelangt ist; ferner gehören die Bekanntgabe der Beweise, auf die abgestellt wird, und deren Würdigung dazu.
Diese Anforderungen werden von den Entscheiden des Stadtrates vom 6. Juli 1973 und insbesondere des Verwaltungsgerichtes vom 27. Mai 1974 vollauf erfüllt. Beide Instanzen stützen sich auf die in § 11 PS enthaltenen Pflichten der städtischen Bediensteten und weisen darauf hin, dass an den
BGE 101 Ia 298 S. 306
Schulpsychologen in Anbetracht seiner grossen Verantwortung gerade in sittlicher Beziehung strengere Anforderungen zu stellen seien, als sie den strafrechtlichen Bestimmungen über Unzucht mit Kindern zugrunde lägen. Sie nehmen zu den inkriminierten Vorfällen und den daraus folgenden Vorwürfen an den Beschwerdeführer ausführlich Stellung und begründen einlässlich, weshalb nach ihrer Auffassung die schwerste Disziplinarstrafe ausgefällt werden musste. Damit musste dem Beschwerdeführer klar sein, weshalb er sofort entlassen worden war. Die Rüge der formellen Rechtsverweigerung ist somit offensichtlich unbegründet.
d) In seiner ersten Beschwerde hatte der Beschwerdeführer schliesslich als Gehörsverweigerung gerügt, dass das Verwaltungsgericht die von ihm zum integrierenden Bestandteil der Rekursbegründung erklärten strafgerichtlichen Plädoyernotizen nicht zur Kenntnis genommen habe. Auf diesen Vorwurf ist nach dem in E. 1a Gesagten nicht mehr einzugehen. Das Verwaltungsgericht hat als Revisionsinstanz darüber befunden und der Beschwerdeführer hat ihn mit Grund in seiner zweiten Beschwerdeschrift weggelassen.
5.
Zur Hauptsache macht der Beschwerdeführer geltend, die gegen ihn ausgesprochene sofortige Entlassung sei mit
Art. 4 BV
unvereinbar, da ihr eine willkürliche Beweiswürdigung zugrunde liege. In der Beweiswürdigung steht den kantonalen Instanzen ein weiter Ermessensspielraum zu, und das Bundesgericht kann auf staatsrechtliche Beschwerde hin nur eingreifen, wenn die tatsächlichen Feststellungen offensichtlich falsch oder willkürlich sind oder auf einem offenbaren Versehen beruhen (
BGE 98 Ia 142
E. 3a, mit Hinweisen).
a) Das Verwaltungsgericht erachtete es - durchaus unter Beachtung der Fragwürdigkeit der Aussagen der befragten Mädchen - als erstellt, dass der Beschwerdeführer während seiner schulpsychologischen Untersuchungen wiederholt mit einzelnen Mädchen körperlichen Kontakt suchte, so, indem er ihnen mit der Hand über dem Kleid seitlich von der Taille bis zur Achselhöhle und vorne von der Hüfte bis zur Brust fuhr, sie über den Kleidern in der Brustgegend berührte, am Rücken streichelte und sie auf der Aussenseite der Oberschenkel, am Gesäss und am Hüftgelenk betastete. Der Beschwerdeführer hat diese Handlungen immer wieder abgestritten, doch stellte das Verwaltungsgericht mit der gebotenen Vorsicht auf
BGE 101 Ia 298 S. 307
die Aussagen der Mädchen im Disziplinar- und Strafverfahren ab. Nach seiner Auffassung lägen keine Anzeichen dafür vor, dass die Kinder unter einem Druck gestanden hätten oder unbewusst entscheidenden Einflüssen von Eltern oder Dritten erlegen wären. Kontakte seien nur zwischen zwei Mädchen festgestellt worden; dass die andern mit diesen Kindern und unter sich ihre Beobachtungen hätten austauschen können, erscheine als praktisch ausgeschlossen. Der Beschwerdeführer macht es sich demgegenüber allzu leicht, wenn er die Aussagen aller Mädchen samt und sonders als völlig unglaubwürdig abtut und es als willkürlich bezeichnet, dass das Verwaltungsgericht nicht seine Aussage über jene der acht verschiedenen Mädchen stellte. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht bemerkte, fällt auf, dass die Wahrnehmungen der Mädchen ein weitgehend geschlossenes Bild zeigen: Zwar bezichtigen sie den Beschwerdeführer nicht stereotyp der gleichen Handlungen - was verdächtig wäre -, doch liegt das geschilderte Verhalten in einem einheitlichen Rahmen und weist wiederkehrende Züge auf. Angesichts dieser Umstände ist das Verwaltungsgericht nicht in Willkür verfallen, wenn es den Aussagen der Mädchen im grossen ganzen Glauben geschenkt hat. Wie es selbst sagt, wäre in einzelnen Punkten eine abweichende Beweiswürdigung denkbar; aus der Gesamtheit der Indizien durfte aber geschlossen werden, der Beschwerdeführer habe die Regeln von Anstand und Sitte eindeutig verletzt. Jedenfalls ist eine solche Feststellung nicht offensichtlich falsch oder willkürlich.
b) Auch das Bezirksgericht Winterthur hatte in seinem Strafurteil festgehalten, dass dem Beschwerdeführer gewisse unschickliche, leicht gegen Sitte und Anstand verstossende Handlungen zur Last zu legen waren, die aber nicht so intensiv seien, um die Voraussetzungen von
Art. 191 Ziff. 2 StGB
zu erfüllen; insbesondere habe es am subjektiven Tatbestand gefehlt. Der Beschwerdeführer habe sich gegenüber den Mädchen ungeschickt verhalten und seine "Aufmunterungen" hätten sich zeitweilig in verhängnisvollen Bahnen - ja mitunter recht hart an der Grenze des noch Erlaubten - bewegt. Dass das Gericht ihn dennoch freigesprochen hat, hat auf das Disziplinarverfahren keinen entscheidenden Einfluss, denn Straf- und Disziplinarverfahren sind entsprechend ihrem unterschiedlichen Zweck selbst in derselben Angelegenheit grundsätzlich von einander
BGE 101 Ia 298 S. 308
unabhängig und geben somit jeder Behörde das Recht, frei Beweise abzunehmen und diese selbständig zu würdigen (GRISEL, Droit administratif suisse, S. 268; IMBODEN, Verwaltungsrechtsprechung Bd. I Nr. 366). Es steht grundsätzlich nichts entgegen, eine strafrechtlich unwesentliche Verletzung von Sitte und Anstand unter dem Gesichtspunkt der Dienstverletzung disziplinarisch zu ahnden (vgl. B. GARBADE, Das Disziplinarrecht der Funktionäre der kantonal- und stadtzürcherischen Verwaltung, Zürcher Diss. 1943, S. 39 N. 27).
6.
Disziplinarmassnahmen müssen dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen (
BGE 100 Ia 360
E. 3b). Den kantonalen und kommunalen Behörden steht bei der Wahl der Massnahme jedoch ein gewisser Ermessensspielraum offen, und das Bundesgericht könnte nur bei dessen Überschreitung eingreifen (
BGE 100 Ia 360
E. 3a). Der Beschwerdeführer verweist in dieser Hinsicht bloss auf die angeblich willkürliche Begründung des Entlassungsentscheides, doch ergibt sich aus seinen gesamten Vorbringen, dass er auch die Disziplinarmassnahme als solche mit
Art. 4 BV
unvereinbar hält.
Ob die Verfehlung eines Beamten als schwerwiegend zu betrachten ist, kann nur nach den Anforderungen des Amtes, das er bekleidet, beurteilt werden. Zweifellos muss das Vertrauen der Öffentlichkeit, von Eltern, Lehrerschaft und Kindern in den Schulpsychologischen Dienst gewahrt bleiben. Was den Umgang des Schulpsychologen mit Schulkindern angeht, muss ein strenger Massstab angelegt werden. Der Schulpsychologe hat eine besondere Vertrauensstellung; zudem hat er es auch vielfach mit schwierigen und gefährdeten Kindern zu tun. Die Eltern, die ihre Kinder zu ihm schicken müssen, wollen zu Recht Gewissheit haben, dass diese dort nicht in unsittlicher Weise belästigt werden. Die Dienstpflicht gebietet dem Schulpsychologen daher, sich bei seinen Untersuchungen aller fragwürdigen und zweideutigen Gesten zu enthalten. Daran hat sich der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht gehalten.
Dass die subjektive Schuld des Beschwerdeführers an seiner Dienstpflichtverletzung allenfalls weniger schwer ist als der von ihm geschaffene objektive Tatbestand, fällt nicht ins Gewicht. Die sofortige Entlassung stellt entgegen der Bezeichnung in § 138 PS eher
BGE 101 Ia 298 S. 309
eine Massnahme als eine Strafe dar, da sie ja nicht den Beschwerdeführer bessern, sondern vor allem die öffentlichen Interessen an einem integren und vertrauenswürdigen Schulpsychologischen Dienst schützen soll. Indem die kantonalen Behörden weniger auf die subjektive Strafwürdigkeit des Beschwerdeführers als vielmehr auf diesen objektiven Schutz abstellten, haben sie den ihnen eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten, wenn sie annahmen, es handle sich vorliegend um eine schwere Dienstverletzung, die nur mit einer sofortigen Entlassung zu ahnden sei. Eine andere, weniger weit gehende Massnahme hätte den objektiven Schutzzweck nicht genügend wahren können. | 4,503 | 3,546 | 2 | 0 | CH_BGE_002 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_002_BGE-101-Ia-298_1975 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=13&from_date=&to_date=&from_year=1975&to_year=1975&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=130&highlight_docid=atf%3A%2F%2F101-IA-298%3Ade&number_of_ranks=408&azaclir=clir | BGE_101_Ia_298 |
|||
0081a817-d218-415c-a5a6-ba78b182f486 | 1 | 80 | 1,330,287 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 101 Ib 1 S. 2
Die Klägerin, die Schweizerische Eidgenossenschaft, ist Eigentümerin des neuen Postgebäudes in Pontresina, das sie im Juli 1973 bezog. Das Gebäude umfasst ein Untergeschoss, ein Erdgeschoss und einen ersten Stock. Untergeschoss und Erdgeschoss enthalten neben den eigentlichen Postlokalitäten fünf Doppelgaragen (Untergeschoss) und einen Kioskraum (Erdgeschoss). Der erste Stock weist eine 4 1/2 Zimmerwohnung, eine Einzimmerwohnung, ein Doppelzimmer sowie zwei Einzelzimmer mit Küchenbenutzung, eine 3 1/2 Zimmerwohnung und eine 2 1/2 Zimmerwohnung auf, die - nach den Angaben der Klägerin - wie folgt belegt sind: die 4 1/2 Zimmerwohnung durch einen Betriebsassistenten der PTT, die Einzimmerwohnung durch eine Postgehilfin, das Doppel- und die Einzelzimmer durch Assistentinnen und Lehrtöchter der PTT; die 3 1/2 Zimmerwohnung und die 2 1/2 Zimmerwohnung sind Ferienwohnungen für PTT-Personal. Die Schweizerische Eidgenossenschaft erhebt verwaltungsrechtliche Klage beim Bundesgericht gegen die Gemeinde Pontresina mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass sie für das neue Postgebäude in Pontresina von der Liegenschaftssteuer befreit sei. Die Gemeinde Pontresina widersetzt sich diesem Begehren und vertritt die Auffassung, dass die Klägerin für jene Gebäudeteile, die nicht unmittelbar der postdienstlichen Aufgabe dienten, die Liegenschaftssteuer entrichten müsse. Das Bundesgericht heisst die Klage insoweit gut, als festgestellt wird, dass die Klägerin für das neue Postgebäude in Pontresina nicht liegenschaftssteuerpflichtig ist, mit Ausnahme der 7 an PTT-fremde Interessenten vermieteten Einstellplätze im Untergeschoss, der an den Kioskbetrieb vermieteten Räumlichkeiten im Erdgeschoss sowie der beiden Ferienwohnungen im ersten Stock des Postgebäudes.
BGE 101 Ib 1 S. 3 | 714 | 284 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 10 GarG
dürfen die Bundeskasse und alle unter der Verwaltung des Bundes stehenden Fonds sowie diejenigen Liegenschaften, Anstalten und Materialien, die unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt sind, von den Kantonen nicht mit einer direkten Steuer belegt werden.
Die Beklagte hat im Einspracheentscheid in Frage gestellt, ob die Liegenschaftssteuer der Gemeinde Pontresina eine direkte Steuer sei. Sie hat dies verneint und das Vorliegen einer Vorzugslast angenommen. Nachdem das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden in seinem Entscheid zum Ergebnis gelangt ist, es handle sich bei der von der Gemeinde Pontresina erhobenen Liegenschaftssteuer um eine direkte Steuer, hat die Beklagte in Klageantwort und Duplik sich zur rechtlichen Qualifikation der fraglichen Abgabe nicht mehr geäussert und sich damit offenbar der Ansicht von Verwaltungsgericht und Klägerin angeschlossen. Diese betrachten die Liegenschaftssteuer zu Recht als direkte Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt nämlich eine direkte Steuer im Sinne dieser Bestimmung in der Regel vor, wo nicht ein bestimmter Verkehrsvorgang Grundlage der Besteuerung bildet, insbesondere, wenn die Steuer periodisch erhoben wird (vgl.
BGE 99 Ib 232
). Dies trifft für die Liegenschaftssteuer der Gemeinde Pontresina zu. Sie wird nach dem Liegenschaftswert bemessen und nicht nach den Vorteilen, die den Pflichtigen aus Werken erwachsen, die angeblich über diese Steuer finanziert werden.
3.
Die Klägerin macht geltend, das neue Postgebäude in Pontresina sei unmittelbar für einen Bundeszweck bestimmt; sie dürfe daher für dieses Gebäude nicht mit direkten Steuern belastet werden. Die Beklagte bestreitet im vorliegenden Verfahren nicht, dass das Gebäude, soweit es für die eigentlichen postdienstlichen Verrichtungen belegt ist, nicht mit der Liegenschaftssteuer belastet werden darf. Sie hebt indes hervor, dass verschiedene Gebäudeteile nicht unmittelbar Bundeszwecken dienten: Im Untergeschoss werde beinahe ein Drittel der Gesamtfläche als Garagenareal fremdvermietet; im Erdgeschoss werde ein Kiosk betrieben; im ersten Stock würden rund 185 m2 als Ferienwohnungen vermietet. Für jene Gebäudeteile, die nicht unmittelbar der postdienstlichen Aufgabe
BGE 101 Ib 1 S. 4
dienten und als Ferienwohnungen, Garagen, Kiosk usw. fremdvermietet würden, sei die Liegenschaftssteuer zu entrichten.
a) In dem Masse, als das neue Postgebäude in Pontresina dazu dient, die von einer örtlichen PTT-Stelle benötigten Räumlichkeiten aufzunehmen, ist die in
Art. 10 GarG
aufgestellte Bedingung erfüllt: Die Liegenschaft ist unmittelbar für einen Bundeszweck bestimmt; sie soll die im öffentlichen Interesse liegende und gestützt auf das Postregal vom Bund zu erbringende Dienstleistung in Pontresina sicherstellen. Fraglich ist, ob das Steuerprivileg des
Art. 10 GarG
auch für die Räumlichkeiten des neuen Postgebäudes beansprucht werden kann, die nicht postdienstlichen Verrichtungen im engeren Sinne des Wortes dienen, d.h. die vorübergehend oder dauernd anderweitig genutzt werden.
Die Steuerbefreiung richtet sich, wie aus
Art. 10 GarG
hervorgeht, darnach, ob eine Liegenschaft unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt ist. Wie das Bundesgericht im Urteil vom 31. Mai 1974 in Sachen Schweizerische Eidgenossenschaft gegen Gemeinde Düdingen (
BGE 100 Ib 236
) erkannt hat, setzt die Steuerbefreiung nicht voraus, dass die Liegenschaft tatsächlich unmittelbar Bundeszwecken dient, sondern lediglich, dass sie unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt ist. Diese generelle Formulierung des Steuerbefreiungsgrundes bedarf - wie im erwähnten Urteil ausgeführt - der Präzisierung, denn die Frage ist offen, ob auch dann angenommen werden kann, eine Liegenschaft sei im Sinne von
Art. 10 GarG
unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt, wenn sie (bzw. Teile derselben) dem Bundeszweck, für den sie erworben worden ist, nicht oder erst nach längerer Zeit zugeführt wird, vorderhand also noch nicht zum Verwaltungsvermögen des Bundes gezählt werden kann. Diese Frage ist sicher dann zu verneinen, wenn die Umstände im Einzelfall erkennen lassen, dass eine Nutzung gemäss dem Bundeszweck, für den die Liegenschaft erworben worden ist, nicht bloss vorübergehend, sondern für eine längere, unbestimmte Zeit unwahrscheinlich oder doch zumindest zweifelhaft erscheint und die Überlassung der Liegenschaft (bzw. Teile derselben) an Dritte einen selbständigen Zweck verfolgt, namentlich der Erzielung eines wirtschaftlichen Entgeltes (Gewinn) dient. Entscheidend ist also in derartigen Fällen, was mit der Liegenschaft in der
BGE 101 Ib 1 S. 5
Zwischenzeit geschieht, es kommt m.a.W. wesentlich auf die tatsächliche Nutzung der Liegenschaft an.
Dass die Steuerbefreiung in solchen Fällen von der tatsächlichen Nutzung abhängig gemacht wird, erscheint als logische Konsequenz aus
Art. 10 GarG
. So hat das Erfordernis der "Unmittelbarkeit" auch seinen guten Sinn. Aus
Art. 10 GarG
abzuleiten, dass die unmittelbar für Bundeszwecke bestimmten Liegenschaften auch dann Steuerfreiheit geniessen sollen, wenn sie vorübergehend (d.h. bis zu ihrer bestimmungsgemässen Verwendung) oder dauernd wirtschaftlich anderweitig durch Vermietung oder Verpachtung gegen ortsübliches Entgelt genutzt werden, würde dem Zweck der Steuerbefreiung, die nur das eigentliche Verwaltungsvermögen des Bundes erfassen will, nicht gerecht; wenn der Bund nämlich eine Liegenschaft oder Teile einer solchen zu einem andern als dem Verwaltungszweck nutzbringend verwendet, erscheint es auch billig, dass er dafür besteuert wird, wie für eine dem Fiskalvermögen angehörende Liegenschaft. Damit wird nicht die Regel des
Art. 10 GarG
restriktiv ausgelegt. Ausgangspunkt auch dieser Betrachtungsweise ist, dass dem Bund gehörende Liegenschaften von der Steuerpflicht enthoben sind und nur in Ausnahmefällen die Steuerhoheit der Kantone anzuerkennen ist. Die wirtschaftliche Nutzung zu verwaltungsfremden Zwecken ist aber gerade ein solcher Ausnahmefall (vgl. hierzu die Darstellung von Einzelfällen aus der Gerichts- und Verwaltungspraxis zur Steuerbefreiung nach Massgabe des Garantiegesetzes bei BURCKHARDT, Schweizerisches Bundesrecht, Bd. 1, Nrn. 261 ff. S. 575 ff.).
4.
Für das neue Postgebäude in Pontresina bedeutet dies, dass eine gänzliche Steuerbefreiung nur dann eintreten kann, wenn vom Gebäude ein dem Anstaltszweck der PTT-Betriebe entsprechender Gebrauch gemacht wird. Dabei ist nicht notwendig, dass sämtliche Räumlichkeiten des neuen Postgebäudes für den PTT-Betrieb geradezu unentbehrlich sind und er ohne sie überhaupt nicht aufrechterhalten werden könnte; es genügt, dass die Räumlichkeiten tatsächlich Betriebszwecken dienen, d.h. zum PTT-Betrieb gehörende Funktionen erfüllen oder doch bestimmt sind, für die Erfüllung der mit dem PTT-Betrieb verbundenen Dienstleistungen günstige Bedingungen zu schaffen.
Dies trifft vorab unbestrittenermassen für alle Räumlichkeiten
BGE 101 Ib 1 S. 6
zu, welche für die postdienstlichen Verrichtungen im engern Sinn genutzt werden. Die Beklagte bestreitet im vorliegenden Verfahren auch nicht, dass jene Wohnungen, welche zur Zeit an ortsansässiges PTT-Personal vermietet werden, im Sinne von
Art. 10 GarG
von der Liegenschaftssteuer befreit sind. Daran von Amtes wegen etwas zu ändern, besteht kein Anlass. Die Annahme ist durchaus gerechtfertigt, es würden durch das Zurverfügungstellen von Wohnungen, Angestelltenzimmern und Garagen an ortsansässiges Personal Bedingungen geschaffen, die für die Erfüllung der Betriebsaufgaben der PTT günstig sind. Ob dies geradezu unentbehrlich ist, ist nicht ausschlaggebend und braucht hier nicht entschieden zu werden; auch besteht unter den Parteien diesbezüglich offenbar kein Streit mehr.
Anders verhält es sich mit jenen Gebäudeteilen, die an Dritte vermietet werden und wo die Vermietung zum Anstaltszweck keine direkte Beziehung mehr hat. Hier kann die Steuerbefreiung nicht mit der Begründung erwirkt werden, die Liegenschaft als Gesamtheit sei für Bundeszwecke bestimmt und daher zum Verwaltungsvermögen des Bundes zu zählen. Entscheidend erscheint, wie die einzelnen Räumlichkeiten der Liegenschaft heute und in absehbarer Zukunft genutzt werden.
Einstellplätze im Untergeschoss: Die im Untergeschoss an PTT-fremde Interessenten vermieteten Einstellplätze bilden Bestandteil der Raumreserve und sind als solche - nach Ansicht der Klägerin - unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt und nicht für fiskalische Zwecke gebaut worden. Dies mag zutreffen, ist jedoch nicht entscheidend. Wesentlich ist, dass die derzeitige Nutzung wirtschaftlicher (fiskalischer) Art ist und es auch auf unbestimmte Zeit bleiben wird. Die Klägerin macht nicht geltend, sie überlasse diese Garagen unentgeltlich oder nur gegen ein symbolisches Entgelt vorübergehend Dritten zum Gebrauch, weil demnächst mit einer betriebseigenen Nutzung gerechnet werden könne und müsse. Solange daher die heutige entgeltliche Überlassung an PTT-fremde Interessenten anhält, entfällt das Steuerprivileg und ist die Gemeinde berechtigt, auf den fraglichen Gebäudeteilen die Liegenschaftssteuer zu erheben.
Kiosk im Erdgeschoss: Die Vermietung von Räumlichkeiten für den Betrieb eines Kiosks im Erdgeschoss des Postgebäudes
BGE 101 Ib 1 S. 7
betrachtet die Klägerin als notwendig für den Postbetrieb in Pontresina. Sie weist auf
BGE 60 I 149
hin, wo das Bundesgericht auf Steuerfreiheit für die Räumlichkeiten des Bahnhofskiosks im internationalen Bahnhof von Chiasso erkannte. Die Beklagte bestreitet, dass in Pontresina ein dringendes Bedürfnis für das Zurverfügungstellen eines Kiosks im neuen Postgebäude bestehe. Sie hebt hervor, dass Pontresina von fahrplanmässigen Postkursen nur von ca. Mitte Juni bis ca. Mitte/Ende September bedient werde; im Winter halte lediglich der lokale Sportbus vor dem Postgebäude; auch verfüge Pontresina bereits über fünf Kioske, wovon einer sich kaum 150 Meter vom neuen Postgebäude entfernt befinde. In der Tat ist mit der Beklagten der Klägerin entgegenzuhalten, dass ein Vergleich zwischen der Situation eines internationalen Bahnhofs wie Chiasso und einer Postautohaltestelle wie Pontresina nur schwer hält. Das Fehlen eines Kiosks würde - wie in
BGE 60 I 151
ausgeführt - von den Benützern des Bahnhofs von Chiasso als schwerer Mangel empfunden. Dies dürfte nicht im selben Masse für die Postreisenden in Pontresina zutreffen. Weit weniger als Durchgangsreisende in einem Bahnhof, sind diese darauf angewiesen, innerhalb des Postgebäudes selber sich mit Zeitungen, Zeitschriften, Tabakwaren und dergleichen eindecken zu können. Die Kundschaft des Postkiosks von Pontresina wird sich auch kaum ausschliesslich aus Postreisenden zusammensetzen. Ob sich für einen derart beschränkten Kundenkreis überhaupt ein Interessent für den Betrieb dieses Kiosks gefunden hätte, erscheint fraglich.
Die Annahme, dass die Räumlichkeiten für den Betrieb eines Kiosks aus PTT-betriebsfremden Gründen vermietet wurden, dass die Vermietung m.a.W. der Erreichung wirtschaftlicher Ziele dient, erscheint daher gerechtfertigt. Es ist auch nicht vorgesehen, die Kioskräumlichkeiten in absehbarer Zukunft für PTT-eigene Zwecke zu benutzen. Ebenfalls für diese Räumlichkeiten entfällt demnach das Steuerprivileg und ist die Gemeinde berechtigt, solange diese anderweitige Verwendung anhält, darauf die Liegenschaftssteuer zu erheben.
Ferienwohnungen im ersten Stock: Was die zu Ferienzwecken an nicht ortsansässiges PTT-Personal vermieteten Wohnungen im ersten Stock des Gebäudes betrifft, ist nicht zu bestreiten, dass das Zurverfügungstellen von Ferienwohnungen an das Personal öffentlicher Betriebe eine personalpolitische
BGE 101 Ib 1 S. 8
Massnahme des Bundes (als Arbeitgeber) darstellt. Das genügt indes nicht, um annehmen zu dürfen, diese Massnahme diene unmittelbar dem mit dem Postgebäude verbundenen Bundeszweck. Die Steuerfreiheit im Sinne von
Art. 10 GarG
reicht nur soweit, als es sich um Massnahmen und Einrichtungen handelt, die dem PTT-Betrieb auch wirklich dienen; anders zu entscheiden, hiesse den Begriff der Unmittelbarkeit übermässig ausdehnen. Dass die Wohnungen dem PTT-Personal für Ferienzwecke zur Verfügung gestellt werden und wie die an PTT-fremde Interessenten vermieteten Garagen zur Raumreserve des Postgebäudes gehören, ändert an diesem Ergebnis nichts; solange die PTT-Betriebe einerseits nicht nachweisen können, dass die Überlassung der beiden Ferienwohnungen an PTT-Personal nur vorübergehenden Charakter hat und sie anderseits diese Räumlichkeiten gegen ortsübliches Entgelt vermieten, rechtfertigt sich die Annahme, dass sie mit der Überlassung der Ferienwohnungen an PTT-Personal einen selbständigen wirtschaftlichen Zweck verfolgen. Das Steuerprivileg entfällt daher aufgrund des heutigen Verwendungszweckes auch für diesen Gebäudeteil.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Klägerin für das neue Postgebäude in Pontresina nicht liegenschaftssteuerpflichtig ist, soweit sie die Räumlichkeiten für den PTT-Betrieb und nicht für die Verfolgung selbständiger wirtschaftlicher Zwecke verwendet. | 5,054 | 2,074 | 2 | 0 | CH_BGE_003 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_003_BGE-101-Ib-1_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=31&from_date=&to_date=&from_year=1975&to_year=1975&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=304&highlight_docid=atf%3A%2F%2F101-IB-1%3Ade&number_of_ranks=408&azaclir=clir | BGE_101_Ib_1 |
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ab Seite 250
BGE 122 I 250 S. 250
Auf Klage von D., mit der er Fr. 90'405.20 nebst Zins verlangte, verpflichtete das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden G. mit Urteil vom 26. Oktober 1992 zur Zahlung von Fr. 48'720.-- nebst Zins. Dieser Entscheid wurde von G. mit Appellation und von D. mit Anschlussappellation angefochten. Der Hauptantrag von G. lautete auf Abweisung der Klage. D. verlangte mit der Anschlussappellation die Zahlung von Fr. 89'405.20 nebst Zins. Mit Urteil vom 22. Juni 1993 wies das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden die Appellation ab und verpflichtete G. in Gutheissung der Anschlussappellation zur Zahlung von Fr. 89'405.20 nebst Zins.
G. focht das Urteil des Obergerichts mit Berufung und staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht an. Dieses hiess die Beschwerde mit Urteil vom 24. Februar 1994 teilweise gut und hob den Entscheid des Obergerichts
BGE 122 I 250 S. 251
auf. Die damit gegenstandslos gewordene Berufung wurde mit Beschluss vom gleichen Tag abgeschrieben.
Nach Vorliegen des bundesgerichtlichen Urteils erklärte G. am 13. Mai 1994 den Rückzug der Appellation. Dem widersetzte sich D. unter Hinweis auf
Art. 269 ZPO
AR. Während der Fortsetzung des obergerichtlichen Verfahrens reduzierte D. dann die eingeklagte Forderung auf Fr. 77'372.-- nebst Zins.
Mit Urteil vom 21. Februar 1995 verpflichtete das Obergericht G. zur Zahlung von Fr. 77'372.-- nebst 5% Zins seit 1. März 1991. In der Urteilsbegründung wird festgehalten, dass der Rückzug der Appellation durch G. nach kantonalem (
Art. 269 ZPO
AR) und bundesrechtlichem (
Art. 66 OG
) Verfahrensrecht unzulässig sei.
G. hat den Entscheid des Obergerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird. | 429 | 302 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 66 Abs. 1 OG
hat die kantonale Instanz, an die eine Sache zurückgewiesen wird, der neuen Entscheidung die rechtliche Beurteilung zugrunde zu legen, mit der die Rückweisung begründet worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung gilt dieser Grundsatz auch für das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren. Der Umstand, dass sich das Bundesgericht gemäss der vorwiegend kassatorischen Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde im Urteilsdispositiv mit der Aufhebung des fehlerhaften Urteils begnügt, ändert nichts daran, dass die Urteilsmotive von der kantonalen Instanz zu beachten sind (
BGE 100 Ia 28
E. 2 S. 30,
BGE 104 Ia 63
,
BGE 111 II 94
E. 2 S. 95,
BGE 112 Ia 353
E. 3a/bb S. 354; POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, N. 1.3.2 zu
Art. 66 OG
; KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Auflage, S. 399).
a) In
BGE 83 II 544
(E. 2 S. 550) hat das Bundesgericht einen mit dem vorliegenden vergleichbaren Fall beurteilt. Dort ist es gestützt auf
Art. 66 Abs. 1 OG
zum Ergebnis gelangt, der Rückzug der Appellation sei unbeachtlich, wenn sich aus den Erwägungen des Rückweisungsentscheides ergebe, dass der rechtliche Standpunkt der appellierenden Partei unbegründet, jener der Gegenpartei, die im kantonalen Verfahren Anschlussappellation erhoben hatte, dagegen begründet sei.
b) Die Lehre hat diesem Urteil im Ergebnis, nicht aber hinsichtlich der Begründung zugestimmt. KUMMER hat eingewendet,
Art. 66 OG
könne die
BGE 122 I 250 S. 252
Dispositionsbefugnis der Parteien, über die Streitsache nach ihrem Willen zu verfügen, nicht einschränken (ZBJV 95/1959 S. 156 ff.). Diese Bestimmung vermöge der kantonalen Instanz nicht vorzuschreiben, sie müsse in jedem Fall ein Urteil in der Sache fällen, gleichviel ob die Parteien das wollten oder nicht; sondern sie verlange nur, dass ein neuerliches Urteil, falls es hiezu komme, den bundesgerichtlichen Weisungen folge. Nach Auffassung KUMMERS hätte in der Begründung des Urteils richtigerweise darauf hingewiesen werden müssen, dass die Zulässigkeit des Rückzugs der Appellation nicht vom zufälligen Umstand abhängen könne, ob das Bundesgericht selbst in der Sache entscheide oder ob es diese mangels hinreichender Abklärung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückweise.
Es ist zwar richtig, dass ein Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts die Dispositionsfreiheit der Prozessparteien grundsätzlich nicht einschränkt. Dabei handelt es sich aber um eine Frage, die im damals beurteilten Fall nicht entscheiderheblich war, denn die Gegenpartei hatte sich - wie vorliegend - dem Rückzug der Appellation widersetzt (vgl.
BGE 83 II 548
). Die weiteren Ausführungen KUMMERS sind sodann in der Lehre zu Recht kritisiert worden. POUDRET (a.a.O., N. 1.3.1 zu
Art. 66 OG
) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das von KUMMER genannte Kriterium nicht massgeblich sein kann. Entscheidend ist vielmehr auf die materielle Tragweite des bundesgerichtlichen Urteils abzustellen und folglich danach zu fragen, ob damit der kantonale Entscheid insgesamt oder nur teilweise aufgehoben wurde. Ergibt sich aus der Urteilsbegründung, dass es sich materiell um eine Teilaufhebung handelt, gilt das kantonale Urteil im übrigen als bestätigt und kann die mit dieser Bestätigung beschwerte Partei ihr eigenes Rechtsmittel nicht mehr zu Ungunsten der Gegenpartei zurückziehen.
c) Daran ändert die vom Beschwerdeführer angerufene kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde nichts. Die Bindungswirkung eines Rückweisungsurteils hängt nicht davon ab, ob das Bundesgericht damit über ein reformatorisches oder ein kassatorisches Rechtsmittel entscheidet. Massgebend ist in diesem Zusammenhang einzig, dass der kantonale Entscheid vom Bundesgericht aufgehoben wird. Die reformatorische Natur der Berufung ermöglicht zwar, dass das Bundesgericht das angefochtene Urteil nicht nur aufhebt, sondern selbst in der Sache entscheidet, was beim kassatorischen Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde in der Regel nicht möglich ist. Die reformatorische Natur der Berufung schliesst aber nicht aus, dass
BGE 122 I 250 S. 253
sich das Bundesgericht mit einer Aufhebung begnügt und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückweist. In diesem Fall hat auch die Berufung lediglich kassatorische Wirkung. Kommt es danach zu einem neuen Entscheid, so hat sich das kantonale Gericht an die im Rückweisungsentscheid vorgenommene Beurteilung des Bundesgerichts zu halten. Genau gleich verhält es sich aber auch dann, wenn der Rückweisungsentscheid nicht auf Berufung, sondern auf staatsrechtliche Beschwerde hin ergangen ist. Der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, das Obergericht habe verkannt, dass der vorliegende Fall wesentlich von dem in
BGE 83 II 544
ff. beurteilten abweiche, erweist sich somit als unbegründet. | 1,093 | 834 | 2 | 0 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-122-I-250_1996 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=21&from_date=&to_date=&from_year=1996&to_year=1996&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=209&highlight_docid=atf%3A%2F%2F122-I-250%3Ade&number_of_ranks=331&azaclir=clir | BGE_122_I_250 |
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0083afb7-3583-4faf-a796-ca60c8291014 | 1 | 78 | 1,358,416 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 233
BGE 81 I 233 S. 233
Der Beschwerdeführer, geb. 1926, arbeitete im Jahre 1951 und bis Ende April 1952 in einer Lehrstelle bei der Gemeindekanzlei
BGE 81 I 233 S. 234
G. Er bezog im Jahre 1951 Fr. 120.-- und seit 1. Januar 1952 Fr. 180.-- im Monat. Im Mai 1952 (nach Abschluss der Lehre) betrug sein Bezug Fr. 400.--. Auf den 1. Juni 1952 trat er in den Dienst der Gemeinde S. als Steuersekretär mit einer Monatsbesoldung von Fr. 550.--. Bei der Veranlagung für die Wehrsteuer VII (1953/54) wurde streitig, ob der Besteuerung das Einkommen der Berechnungsperiode oder, gemäss Art. 42 WStB, das laufende Einkommen zu Grunde zu legen sei. Die Veranlagungsbehörde hat in letzterm Sinne entschieden. Die kantonale Rekurskommission hat eine hiegegen gerichtete Beschwerde abgewiesen.
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, die angefochtene Einschätzung beruhe auf der Annahme, der Antritt der Stelle in S. (Juni 1952) bedeute die Aufnahme der Erwerbstätigkeit. Eine solche Annahme sei deshalb unrichtig, weil der Beschwerdeführer schon in den Jahren 1951 und 1952 als Lehrling Einkommen gehabt habe. Der Übergang von der Lehre in die ordentliche Berufstätigkeit werde in der Praxis nicht als Berufswechsel im Sinne von Art. 42 WStB angesehen.
Die Steuerrekurskommission St. Gallen beantragt Abweisung der Beschwerde, die eidg. Steuerverwaltung Aufhebung des angefochtenen Entscheides.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde begründet erklärt und den angefochtenen Entscheid aufgehoben | 364 | 277 | Erwägungen
in Erwägung:
1.
Nach Art. 42 WStB ist, abweichend von der allgemeinen Regel in Art. 41, Abs. 2 WStB, auf das laufende Einkommen abzustellen, wenn sich das Einkommen während der Berechnungsperiode infolge Aufnahme der Erwerbstätigkeit oder Berufswechsel (die anderen Gründe scheiden hier von vornherein aus) dauernd verändert hat.
BGE 81 I 233 S. 235
Als "Berufswechsel" kann der Übergang von der Lehrstelle in die reguläre Erwerbstätigkeit jedenfalls dann nicht angesehen werden, wenn sich, wie hier, an eine Lehrstelle in einer Verwaltung eine Anstellung im öffentlichen Dienst anschliesst. Es fragt sich daher nur, auf welchen Zeitpunkt hier die "Aufnahme der Erwerbstätigkeit" fällt, im besondern, ob die Betätigung des Beschwerdeführers in seiner Lehre - soweit sie in den Berechnungszeitraum fällt - bereits als Erwerbstätigkeit im Sinne des Gesetzes zu charakterisieren ist.
2.
Eine Erwerbstätigkeit übt derjenige aus, der aus einer Betätigung Einkommen erzielt. Darauf, ob die Betätigung um des Erwerbes willen ausgeübt wird oder ob andere Interessen und Zwecke im Vordergrund stehen, die mit der Tätigkeit verbundenen Einkünfte nur nebenhergehen, kommt es nicht an. Steuerpflicht und Steuerbemessung hängen davon ab, ob ein Erwerb vorhanden ist, nicht von den Verumständungen, unter denen er erzielt wird.
So verhält es sich auch bei Personen, die eine Lehrstelle bekleiden. Werden sie für ihre Betätigung entschädigt, so üben sie eine Erwerbstätigkeit aus. Eine Erwerbstätigkeit ist jedenfalls von dem Zeitpunkte an anzunehmen, in welchem die finanzielle Leistung des Dienstherrn nicht mehr lediglich in einem Taschengeld besteht, sondern den Charakter einer Arbeitsentschädigung angenommen hat. Eine Entschädigung von Fr. 120.-- im Monat aber kann, vor allem in ländlichen Verhältnissen, unmöglich lediglich als Taschengeld angesehen werden.
3.
Der Beschwerdeführer stand 1951 im Alter von 25 Jahren. Er war, wenn auch in einer Lehrstelle, so doch bereits eine Arbeitskraft. Die Entschädigung, die er bezog, war eine Honorierung seiner Dienste und, steuerrechtlich betrachtet, Einkommen aus Erwerbstätigkeit, wenn sie sich auch, im Hinblick auf den unmittelbaren Zweck der Betätigung des Beschwerdeführers im Dienste der Gemeindeverwaltung G., in bescheidenem Rahmen hielt.
BGE 81 I 233 S. 236
War aber der Beschwerdeführer während der ganzen Dauer der Bemessungsperiode erwerbstätig, ohne dass ein Berufswechsel anzunehmen ist, so bemisst sich das für die Besteuerung massgebende Einkommen nach der in Art. 41, Abs. 2 WStB aufgestellten Regel. Die hievon abweichende Besteuerung ist aufzuheben. Die kantonalen Behörden werden die Erwerbsverhältnisse des Beschwerdeführers während der Berechnungsperiode näher abzuklären haben und auf Grund ihres Befundes einen neuen Entscheid treffen. | 572 | 471 | 2 | 0 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-81-I-233_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=14&from_date=&to_date=&from_year=1955&to_year=1955&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=132&highlight_docid=atf%3A%2F%2F81-I-233%3Ade&number_of_ranks=270&azaclir=clir | BGE_81_I_233 |
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ab Seite 337
BGE 98 Ia 337 S. 337
A.-
Le 4 octobre 1971, Pierre Moret a été condamné par le Département de justice et police du canton du Valais à une amende de 50 fr. pour violation de règles de la circulation. Le 13 septembre précédent, une inspection locale avait eu lieu à l'endroit de l'accident qui était à l'origine de la procédure; effectuée par les soins du Service cantonal des automobiles, elle s'était déroulée en l'absence de Moret.
Le condamné ayant recouru au Conseil d'Etat, l'autorité de première instance a été invitée à présenter ses observations.
BGE 98 Ia 337 S. 338
Le Service des automobiles a procédé alors à une nouvelle inspection locale le 24 janvier 1972. L'occasion n'a pas été donnée à Moret d'y assister. Le 25 mai 1972, le recourant a été débouté. La décision relève notamment que la seconde inspection locale a confirmé les constatations faites lors de la première.
B.-
Le condamné a déposé un recours de droit public auprès du Tribunal fédéral. Il se plaint de la violation du droit d'être entendu. Le Conseil d'Etat valaisan propose le rejet du recours. | 267 | 228 | Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le grief que le recourant tire du fait qu'il n'a pas assisté à la première inspection locale du 13 septembre 1972 est irrecevable. En effet, il pouvait attaquer ce vice de procédure dans son recours au Conseil d'Etat (art. 21 de l'arrêté du Conseil d'Etat du canton du Valais, du 11 octobre 1966, concernant la procédure administrative par-devant le Conseil d'Etat et ses départements, ci-dessous: APA; VON WERRA, Handkommentar zum Walliser Verwaltungsverfahren, n. 2 ad art. 21). Comme il ne l'a pas fait, il n'y a pas de décision cantonale de dernière instance sur ce point, au sens de l'art. 87 al. 1 OJ. Par ailleurs, le recours, déposé le 11 juillet 1972, devrait être à cet égard considéré de toute manière comme tardif dans la mesure où il serait dirigé contre la décision du 4 octobre 1971 (art. 89 OJ). En revanche, en ce qui concerne l'inspection locale du 24janvier 1972 et la décision du 25 mai suivant, il est recevable.
2.
La présente affaire relevant, sur le plan cantonal, des autorités administratives (art. 13 du décret concernant l'application de la loi fédérale sur la circulation routière du 19 décembre 1958, rendu le 1er février 1963 par le Grand Conseil du canton du Valais), elle a été instruite selon la procédure prévue par l'APA. C'est selon les dispositions de cet arrêté que doit se définir le droit d'être entendu dont le recourant se prévaut au premier chef (RO 96 I 21, 98 I a 6-8).
Conformément à l'art. 11 ch. 1 APA, le droit d'être entendu est reconnu aussi bien dans les procédures gracieuses que contentieuses. Le principe de l'instruction d'office consacré à l'art. 8 APA n'y fait pas obstacle (VON WERRA, op.cit., n. 1 ad art. 11 APA). On doit dès lors considérer que les seules restrictions qui lui sont apportées résultent de la loi (cf. art. 11 al. 2 APA). Or, si le Conseil d'Etat valaisan relève que le droit
BGE 98 Ia 337 S. 339
d'être entendu ne s'étend pas à toute la procédure d'instruction ou de recours, il ne donne aucune indication permettant de déterminer en quoi une exception devrait être apportée au principe.
Le droit d'être entendu tel qu'il est garanti par l'art. 11 al. 1 APA emporte celui, pour le justiciable, de participer à l'administration des preuves et, notamment, d'assister à une inspection locale. Cela, le Conseil d'Etat ne le conteste pas; il soutient seulement que l'autorité administrative choisit librement les preuves qu'elle juge pertinentes et que, par conséquent, il pouvait renoncer à procéder lui-même à une inspection locale, les lieux de l'accident lui étant suffisamment connus. Cette objection serait fondée si la décision attaquée ne se référait pas expressément aux résultats de l'inspection locale du 24 janvier en tant qu'elle ne fait que confirmer celle de septembre 1971, reconnaissant ainsi la pertinence de ce moyen de preuve in casu. Peu importe dans ces conditions que le Conseil d'Etat valaisan ait eu une parfaite connaissance des lieux, que l'inspection n'ait pas été ordonnée par ses soins ni par ceux de la Chancellerie d'Etat, conformément à l'art. 29 APA, mais qu'elle ait été effectuée par une autorité incompétente, soit par le Département de justice et police, représenté par le Service cantonal des automobiles, dont l'intervention aurait dû se limiter au dépôt d'observations (art. 27 APA). Du moment que la preuve considérée était pertinente, l'autorité cantonale ne pouvait renoncer à l'administrer avec la participation du recourant sans commettre une violation manifeste de l'art. 11 al. 1 APA.
La solution n'eût pas été différente si le droit cantonal n'avait pas reconnu le droit d'être entendu. En effet, le recourant se prévaut également, à titre subsidiaire, de l'art. 4 Cst., qui garantit ce droit directement même en matière administrative (RO 91 I 92, 98 I a 8), lorsque la situation du justiciable est amoindrie par la décision attaquée (RO 96 I 187). Au surplus, en l'occurrence, il s'agit en fait d'une procédure pénale, même si elle est confiée à l'autorité administrative (RO 92 I 187).
Le droit d'être entendu, selon l'art. 11 APA aussi bien que selon l'art. 4 Cst., est de nature formelle. Sa violation entraîne l'annulation de la décision attaquée sans que le recourant ait à établir l'existence d'un intérêt matériel à cette mesure (VON WERRA, op.cit., n. 2 ad art. 11 APA; RO 98 I a 8).
BGE 98 Ia 337 S. 340 | 1,089 | 935 | Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Admet le recours dans la mesure où il est recevable et annule la décision attaquée. | 33 | 29 | CH_BGE_002 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_002_BGE-98-Ia-337_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=10&from_date=&to_date=&from_year=1972&to_year=1972&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=92&highlight_docid=atf%3A%2F%2F98-IA-337%3Ade&number_of_ranks=374&azaclir=clir | BGE_98_Ia_337 |
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0084f77f-9bcf-4eea-bdb9-0d2cbbd2e1cd | 1 | 81 | 1,335,779 | 504,921,600,000 | 1,986 | de | Sachverhalt
ab Seite 338
BGE 112 II 337 S. 338
A.-
Die Firma X. in Zürich handelt mit Kunstgegenständen und veranstaltet periodisch Auktionen. Gemäss "Auktionsvertrag" vom 18. Oktober 1982 wollte die Y. Corporation Inc., Panama, durch die Firma X. mehrere Kunstgegenstände versteigern lassen. Dazu gehörte insbesondere ein dreiteiliges Gemälde
BGE 112 II 337 S. 339
(Triptychon) von Z. aus dem Jahre 1914, wofür der Vertrag bei einem Schätzungswert von Fr. 300'000.-- bis 350'000.-- eine "Bruttolimite" von Fr. 262'500.-- vorsah.
Die Versteigerung fand am 12. November 1982 im Rahmen einer Auktion statt. Für die Y. Corporation Inc. nahm daran unter anderen Frau B. teil, die im August 1982 in Genf mit einer Vertreterin der Firma X. bereits die Schätzungswerte der Kunstgegenstände besprochen und festgelegt hatte. Als das Gemälde versteigert wurde, überbot Frau B. das letzte Angebot eines Dritten um Fr. 5'000.--, worauf das Gemälde zum Preise von Fr. 265'000.-- ihr zugeschlagen wurde.
Die Firma X. betrachtete hierauf die Y. Corporation Inc. als Käuferin des von ihr eingelieferten Gemäldes. Mit Rechnung vom 22. November forderte sie von ihr den Kaufpreis, 10% Kommission und 6,2% Warenumsatzsteuern (WUST), was zusammen angeblich Fr. 309'573.-- ausmachte. Die Y. Corporation Inc. wies die Rechnung am 26. November zurück. In ihrer Auktionsabrechnung vom 17. Dezember, die zugunsten der Y. Corporation Inc. einen Nettoerlös von Fr. 494'582.-- aus den Versteigerungen ergab, hielt die Firma X. an ihren Forderungen jedoch fest und verrechnete sie einige Tage später mit diesem Betrag. Den Saldo von Fr. 185'009.--, den sie am 7. Januar 1983 auf Fr. 195'009.-- erhöhte, zahlte sie der Y. Corporation Inc. aus.
B.-
Am 24. Januar 1984 klagte die Y. Corporation Inc. gegen die Firma X. auf Zahlung von Fr. 74'323.-- nebst 5% Zins seit verschiedenen Verfalldaten. Sie forderte damit einen Teil des Versteigerungserlöses, den sie aus anderen Kunstgegenständen erzielt hatte, den die Beklagte aber mit Gegenforderungen aus dem Verkauf des Gemäldes verrechnet wissen wollte. Die Klägerin machte geltend, durch den Zuschlag des Gemäldes an sie sei kein Kauf zustande gekommen, weshalb sich daraus auch keine Forderungen zugunsten der Beklagten ergäben.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich schützte am 30. November 1985 die eingeklagte Forderung nebst 5% Zins seit 26. Oktober 1983. Es schloss sich der Auffassung der Klägerin an; es fand zudem, die Klägerin hafte auch nicht dafür, dass sie das letzte Angebot eines Dritten durch Weiterbieten verhindert habe, da dieses Angebot noch unter dem vereinbarten Mindestpreis von Fr. 262'500.-- gelegen sei.
Eine Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten gegen dieses Urteil wurde vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am
BGE 112 II 337 S. 340
30. April 1986 abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden konnte.
C.-
Die Beklagte hat gegen das Urteil des Handelsgerichts auch Berufung eingelegt. Sie beantragt, es aufzuheben und die Klage abzuweisen oder die Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie führt ausserdem staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kassationsgerichts.
Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen. | 774 | 551 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde macht die Beklagte geltend, das Handelsgericht habe entgegen ihrem Beweisantrag nicht abgeklärt, dass im Zürcher Auktionshandel die Übung bestehe, Kunstgegenstände auch unter der Bruttolimite an den Meistbietenden zuzuschlagen. Das Kassationsgericht habe sich darüber ebenfalls hinweggesetzt in der Meinung, dass das Bundesgericht im Berufungsverfahren prüfen könne, ob eine solche Übung genügend behauptet worden und ob sie für die Auslegung der Vereinbarungen zwischen den Beteiligten von Bedeutung sei. Dadurch sei ihr das rechtliche Gehör verweigert worden.
Wie es sich mit dieser Rüge verhält, kann indes dahingestellt bleiben, wenn es für die Beurteilung der Berufung so oder anders nicht auf die behauptete Handelsübung ankommt. Das ist der Fall, wenn die Vereinbarungen der Beteiligten unbekümmert um eine solche Übung für die Rechtsauffassung der einen oder anderen Partei sprechen. Wie Vertragsbestimmungen nach Treu und Glauben auszulegen sind, ist aber eine Frage der Rechtsanwendung, die im Berufungsverfahren frei überprüft werden kann (
BGE 102 II 246
E. 2,
BGE 101 II 325
E. 1 und 331 E. 2, je mit weiteren Hinweisen). Die Berufung kann daher entgegen der Regel des
Art. 57 Abs. 5 OG
vor der staatsrechtlichen Beschwerde behandelt werden.
2.
Die Parteien sind sich einig über die Vorfrage, dass die Streitigkeit nach schweizerischem Recht zu beurteilen ist, weil es sich beim Auktionsvertrag um ein auftragsähnliches Vertragsverhältnis handelt und die für das Rechtsverhältnis charakteristische Leistung in Zürich erbracht worden ist (
BGE 96 II 89
E. 7c,
BGE 91 II 446
,
BGE 77 II 93
). Davon geht auch das Handelsgericht aus.
3.
Die Parteien streiten sich hingegen darüber, ob an einer freiwilligen öffentlichen Versteigerung ein Gegenstand seinem
BGE 112 II 337 S. 341
Einlieferer, der wie hier meistens auch sein Eigentümer ist, wie einem anderen Interessenten zugeschlagen werden kann, wenn er mitbietet und das letzte Angebot macht. Die Beklagte ist der Auffassung, als Kommissionärin habe sie unbekümmert um die Person, der das Gemälde zugeschlagen worden sei, Anspruch auf die mit der Kommittentin vereinbarten Vergütungen. Die Klägerin beharrt dagegen darauf, dass sie der Beklagten mangels eines rechtlich relevanten Angebotes weder Provisionen noch Schadenersatz schulde. Das Handelsgericht seinerseits hält für gerichtsnotorisch, dass Einlieferer häufig mitbieten, um eine Rücknahme des Auktionsgegenstandes vor dem Publikum zu vermeiden oder einen möglichst hohen Preis zu erzielen; wenn der Versteigerer den Gegenstand dem Eigentümer zuschlage, liege daher eine Simulation vor. Ein Verkauf an sich selbst sei übrigens rechtlich und sachlich unmöglich.
Wie ein Zuschlag an den Eigentümer zu beurteilen ist und welche Rechtsfolgen sich daraus für die Beteiligten ergeben, hängt vor allem von ihren Vereinbarungen ab, wobei zwischen den Abreden des Versteigerers mit dem Einlieferer einerseits und mit den Bietern andererseits zu unterscheiden ist. Der Auktionsvertrag vom 18. Oktober 1982, bestehend aus einem vorgedruckten Formular der Beklagten, enthält auf der Vorderseite namentlich Angaben über die vereinbarte Kommission, die Versicherung und die WUST, ferner eine Liste der eingelieferten Gegenstände mit der festgesetzten Bruttolimite und ihrem ungefähren Schätzungswert. Aus den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auf der Rückseite ergibt sich insbesondere, dass an den Meistbietenden zugeschlagen wird, der Versteigerer bei zu tiefen Angeboten berechtigt ist, im Interesse des Einlieferers nicht zu verkaufen, und dass Mindestpreise vereinbart werden können (Ziff. 1), dass ferner die Firma X. vom Total der erzielten Zuschläge 18% Kommission erhält (Ziff. 2), die vorliegend im Vertrag auf 15% beschränkt worden ist, und dass der Auftraggeber ihr auf nicht verkaufte Gegenstände 3% der festgesetzten Limite als Rückkauf zu vergüten hat (Ziff. 6).
Wer als Interessent an einer Versteigerung der Beklagten teilnehmen will, erhält eine "Bieternummer" und hat unterschriftlich zu bestätigen, dass er die Auktionsbedingungen anerkennt und "für alle Käufe dieser Nummer während der Auktion" haftet. Nach den Auktionsbedingungen (AB) wird gegen Barzahlung in Schweizer Franken versteigert (Ziff. 1). Ausser dem Zuschlagspreis
BGE 112 II 337 S. 342
hat der Ersteigerer ein Aufgeld zu entrichten, das bei einem Zuschlag über Fr. 100'000.-- 10% beträgt (Ziff. 2). Auf Gegenständen, deren Nummern mit einem Sternchen versehen sind, werden zudem 6,2% WUST erhoben (Ziff. 3). Bieter, die dem Versteigerer persönlich unbekannt sind, haben sich vor Abgabe eines Angebotes bei der Auktionsleitung auszuweisen (Ziff. 6). "Die Abgabe eines Gebotes bedeutet eine verbindliche Kaufofferte" (Ziff. 8). Die Auktionsbedingungen gelten als Bestandteil jedes Kaufvertrages, der an der Auktion geschlossen wird; Abänderungen sind nur schriftlich gültig (Ziff. 12). "Angebote, Aufrufe und Zuschläge unter etwaigen Limiten sind zulässig, somit können Gegenstände ohne Verkauf zugeschlagen werden" (Ziff. 14).
4.
Eine klare Antwort auf die Streitfrage, welches die Rechtsfolgen eines Zuschlages an den Einlieferer (Auftraggeber) sind, ist dem Auktionsvertrag und den dazu gehörenden allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten nicht zu entnehmen; die Möglichkeit eines solchen Zuschlages wird darin ausdrücklich weder ausgeschlossen noch vorbehalten. Ziff. 1 und 2 AGB sprechen immerhin eher dafür, dass ein Einlieferer wie ein anderer Teilnehmer zu behandeln ist, wenn er bei von ihm eingelieferten Gegenständen mitbietet und einen von ihnen zugeschlagen erhält. Dem entspricht jedenfalls für Zuschläge über der Bruttolimite auch die Meinung der Beklagten. Die Klägerin hingegen leitet ihre Auffassung nicht aus einer schriftlichen Vereinbarung mit der Beklagten ab. Sie beruft sich vielmehr auf das Interesse des Einlieferers an Scheingeboten, die an Kunstauktionen häufig vorkämen und auch nach den Auktionsbedingungen der Beklagten möglich seien, um den Nichtverkauf eines Gegenstandes zu verschleiern; der Auktionsvertrag stehe gleichsam unter dem stillschweigenden Vorbehalt, dass der Einlieferer solche Angebote machen könne, wenn von seiten Dritter zu wenig oder nicht mehr geboten werde.
a) Damit behauptet die Klägerin, mit der Beklagten eine Simulation verabredet zu haben, wofür nach der allgemeinen Regel des
Art. 8 ZGB
sie beweispflichtig ist. Mit diesem Beweis ist es zudem streng zu nehmen (JÄGGI/GAUCH, N. 134 zu
Art. 18 OR
). Allgemeine Behauptungen oder blosse Vermutungen reichen nicht aus. Das gilt insbesondere von den Einwänden der Klägerin, wer als Versteigerer wie die Beklagte bereit sei, auch zum Scheine zuzuschlagen, könne die Ernsthaftigkeit seiner Willensbildung erst beurteilen, wenn ihm bekannt werde, wem er den Zuschlag tatsächlich erteilt habe; diesen Umstand habe das Auktionshaus zu vertreten, wenn
BGE 112 II 337 S. 343
es unbekümmert um seine Organisation Zuschläge an Unbekannte in Kauf nehme. In jedem Angebot stecke aus der Sicht des Versteigerers auch die Möglichkeit eines Scheingebotes; deshalb genüge selbst ein nachträglicher Simulationswille des Auktionshauses.
Solche Einwände scheitern schon am Begriff eines simulierten Rechtsgeschäfts im Sinne von
Art. 18 OR
. Ein solches Geschäft liegt vor, wenn beide Parteien darüber einig sind, dass die gegenseitigen Erklärungen nicht ihrem Willen entsprechende Rechtswirkungen haben sollen, weil sie entweder ein Vertragsverhältnis vortäuschen oder mit dem Scheingeschäft einen wirklich beabsichtigten Vertrag verdecken wollen (
BGE 97 II 207
E. 5 mit Hinweisen; VON TUHR/PETER, OR Allg. Teil I S. 293/94; GUHL/MERZ/KUMMER, OR 7. Aufl. S. 113/14). Die Simulationsabrede setzt in Fällen wie hier somit voraus, dass der Versteigerer um das Scheingebot eines bestimmten Bieters weiss und bei der damit verfolgten Täuschung Dritter mitmacht, notfalls also bewusst zum Scheine zuschlägt (JÄGGI/GAUCH, N. 104 ff. zu
Art. 18 OR
). Ob die Beklagte dies getan habe, hat das Handelsgericht aber ausdrücklich offengelassen. Es meint freilich, die Beklagte müsse sich bei ihrem nachträglichen Wissen so oder anders behaften lassen, weil es ihr gleichgültig gewesen sei, "mit wem sie den Vertrag abschloss". Aus einem solchen Wissen darf hier indes ebenfalls nicht auf einen Simulationswillen des Auktionshauses zur Zeit der Versteigerung geschlossen werden, hiesse dies doch, die Beklagte habe sich den Absichten der Klägerin, gegebenenfalls Scheingebote zu machen, zum vornherein unterworfen und mit ihr bewusst gemeinsame Sache gemacht; das aber hat ihr Versteigerer gerade stets bestritten. Bei dieser Beweislage taugt auch der Vorhalt nicht, dass das nachträgliche Verhalten von Vertragspartnern nach der Rechtsprechung (
BGE 107 II 418
) Rückschlüsse auf ihren wirklichen Willen bei Vertragsabschluss erlaube; der Vorhalt läuft darauf hinaus, der Beklagten unter Umgehung der Beweislast der Klägerin einen Simulationswillen zu unterstellen. Das ist auch dem Hinweis der Klägerin auf
Art. 32 Abs. 2 OR
entgegenzuhalten.
b) Dass die Simulationsabrede keiner besonderen Form bedarf und sich aus konkludentem Verhalten der Beteiligten ergeben kann, z.B. wenn der Versteigerer von der Simulationsabsicht eines Bieters Kenntnis hat und dessen Angebot widerspruchslos "annimmt" (JÄGGI/GAUCH, N. 103 zu
Art. 18 OR
), ändert daran nichts. Das entbindet den Einlieferer nicht von der Pflicht, auch eine stillschweigende Abrede zu beweisen, wenn er aus irgendwelchen
BGE 112 II 337 S. 344
Gründen mitgeboten hat, das Angebot im Falle eines Zuschlages aber nicht gegen sich gelten lassen will. Auch diesen Beweis hat die Klägerin nicht erbracht; fest steht vielmehr, dass der Versteigerer der Beklagten von einem echten Angebot ausgegangen ist, als er das Gemälde zum Preise von Fr. 265'000.-- Frau B. zugeschlagen hat.
Der Hinweis auf RUOSS (Scheingebote an Kunstauktionen, Diss. Zürich 1983, S. 90) hilft der Klägerin nicht. Gewiss nimmt dieser Autor an, der Versteigerer könne die Eigenschaft eines Einlieferers, der mitbietet, "regelmässig" erkennen, weil jedes Auktionshaus ein genaues Verzeichnis darüber führe, wer welchen Gegenstand eingeliefert habe. Dass dies für die Annahme einer stillschweigenden Simulationsabrede stets ausreiche, leuchtet bei grossen Auktionen mit über 100 Teilnehmern jedoch nicht ein. Deshalb sehen die in der Schweiz verwendeten Auktionsbedingungen, wie RUOSS an der gleichen Stelle beifügt, denn auch durchwegs vor, dass Bieter sich vor der Abgabe des ersten Angebots auszuweisen haben, wenn sie dem Versteigerer nicht persönlich bekannt sind. Dazu war gemäss Ziff. 6 AB auch Frau B. verpflichtet, die am 12. November 1982 die Bieternummer 739 erhalten und die Auktionsbedingungen der Beklagten vorbehaltlos anerkannt, sich bei der Eingangskontrolle über ihre Eigenschaft als Vertreterin der Klägerin aber ausgeschwiegen hat. Die Klägerin verkehrt diese Bestimmung ins Gegenteil, wenn sie aus der Auskunftspflicht des Bieters eine Informationspflicht der Auktionsleitung macht.
Ebensowenig hilft der Klägerin, dass im Auktionsvertrag nicht auf die Auktionsbedingungen verwiesen worden ist, diese Bedingungen folglich nicht als Bestandteil dieses Vertrages zu betrachten sind. Die Klägerin verkennt, dass ihre Vertreterin nicht nur die Pflichten einer Bieterin übernommen, sondern sich auch als solche benommen hat, sie sich daher deren Verhalten anrechnen und auch die Auktionsbedingungen, insbesondere Ziff. 1 bis 3 und Ziff. 8 AB, entgegenhalten lassen muss. Aus Ziff. 14 AB sodann, die unklar abgefasst ist, könnte die Klägerin höchstens folgern, dass Frau B. unbekümmert um ihre Auskunftspflicht bis zum vorgesehenen Mindestpreis mitbieten durfte, ohne mit einem verbindlichen Zuschlag und der damit verbundenen Kommission der Beklagten rechnen zu müssen. Auch das würde sie aber nicht vom Nachweis einer Simulationsabrede mit der Beklagten befreien; das gälte selbst dann, wenn man im zweiten Satzteil der Bestimmung ein Indiz für eine solche Abrede erblicken wollte.
BGE 112 II 337 S. 345
c) Etwas Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte ohne das klägerische Angebot das Triptychon unter der vereinbarten Limite zugeschlagen hätte. Denn die Vereinbarung eines Betrages, unter dem nicht zugeschlagen werden darf, soll in erster Linie den Einlieferer vor Verlust schützen, wenn keine Angebote in ausreichender Höhe gemacht werden. Schlägt der Versteigerer unter der vereinbarten Limite zu, ist er dennoch verpflichtet, dem Einlieferer den vereinbarten Mindestpreis zu bezahlen. Bei einer Bruttolimite von Fr. 262'500.-- beträgt die Nettolimite nach Abzug von 15% Verkaufsprovision Fr. 223'125.--, bei einer Bruttolimite von Fr. 275'000.-- beträgt sie Fr. 233'750.--. Die Beklagte war auf jeden Fall gehalten, der Klägerin den Nettomindestbetrag zukommen zu lassen, gegebenenfalls unter Verzicht auf einen Teil ihrer Kommission. Die Klägerin wäre also, wenn sie nicht mitgeboten hätte, nicht zu Schaden gekommen.
Dass, wie die Vorinstanz annimmt, sich aus Ziff. 2 AGB keine Pflicht zum teilweisen Provisionsverzicht ergebe, überzeugt nicht. Denn der Versteigerer hat dem Einlieferer den vertraglich zugesicherten Mindestnettobetrag auf jeden Fall zu erbringen (
Art. 428 Abs. 1 OR
; vgl. GAUTSCHI, N. 3c zu
Art. 428 OR
).
Fragen kann man sich einzig, ob die Klägerin aus verkaufspsychologischen Gründen einen Anspruch darauf hat, dass keinesfalls unter der vereinbarten Bruttolimite zugeschlagen wird. Diese Frage braucht hier nicht abschliessend beantwortet zu werden; denn es liegt auf der Hand, dass der geringe Preisunterschied zwischen dem letzten Angebot vor demjenigen der Klägerin von Fr. 260'000.-- und einer Bruttolimite von Fr. 262'500.-- verkaufspsychologisch ohne jede Bedeutung ist. Für den Aussenstehenden ist das Gemälde zu einem Preis von rund Fr. 260'000.-- gehandelt worden. Dasselbe müsste auch gelten, wenn die Bruttolimite Fr. 275'000.-- betragen sollte.
Somit ergibt sich, dass sich die Klägerin bei ihrem Angebot behaften lassen muss. Mangels einer rechtzeitigen Abrede mit dem Versteigerer trug sie als Letztbietende das Risiko, dass ihr das Gemälde schliesslich nicht bloss zum Scheine, sondern tatsächlich zugeschlagen wurde. Sie hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn man letztlich, wie sie sagt, "auf dem Auktionsgegenstand sitzengeblieben" ist.
d) Der Einwand der Klägerin, dass Dissens und damit ein Willensmangel vorläge, wenn der Versteigerer den Willen gehabt haben sollte, mit Frau B. einen Kaufvertrag zu schliessen, geht
BGE 112 II 337 S. 346
schon deshalb fehl, weil die Klägerin nach den Vereinbarungen zwischen den Beteiligten für den hier eingetretenen Fall als Verkäuferin und als Käuferin des Gemäldes anzusehen war. Daran scheitert auch der weitere Einwand, ein Verkauf an sich selbst sei unmöglich. Ist der Einlieferer bereits Eigentümer, kann zwar entgegen
Art. 235 Abs. 1 OR
der Eigentumsübergang mit dem Zuschlag nicht mehr eintreten. Dies schliesst jedoch nicht aus, dass die Parteien vereinbaren, der Einlieferer habe in einem solchen Fall dem Versteigerer die gleichen Zahlungen zu entrichten wie beim Zuschlag an einen Dritten. Aus
BGE 109 II 124
ergibt sich entgegen der Vorinstanz nichts Abweichendes.
Schliesslich geht es auch nicht an, das dem Zuschlag vorausgehende Scheingebot der Frau B. als Widerruf des Auktionsvertrages ausgeben zu wollen. Gewiss sieht die Verordnung des Zürcher Obergerichts vom 19. Dezember 1979 über das Verfahren bei freiwilligen öffentlichen Versteigerungen in § 12 Abs. 3 vor, dass ein Auftraggeber vor dem dritten Aufruf ein Angebot, das ihm nicht annehmbar oder ungenügend erscheint, ausdrücklich ablehnen kann. Daraus kann die Klägerin schon deshalb nichts für sich ableiten, weil es um kantonales Recht geht, dessen Anwendung das Bundesgericht auf Berufung hin nicht zu überprüfen hat (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Sie behauptet übrigens nicht, dass ihre Vertreterin spätestens vor dem dritten Aufruf eingeschritten sei, um einem verbindlichen Zuschlag vorzubeugen. Frau B. hat vielmehr, ohne sich als Vertreterin der Klägerin zu erkennen zu geben, an der Auktion teilgenommen, mitgeboten und es auf einen Zuschlag ankommen lassen.
Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine nähere Stellungnahme zum Einwand der Beklagten, das anrüchige Mitbieten an Kunstauktionen durch Einlieferer könne nur dann unterbunden werden, wenn diese im Fall eines Zuschlages wie echte Käufer behandelt werden. Zu bemerken ist immerhin, dass der Steigerungswettbewerb an Auktionen, wie bereits in
BGE 109 II 125
ff. ausgeführt worden ist, nicht nur durch das Versprechen von Teilnehmern, gegen Entgelt nicht mitzubieten, sondern auch durch Scheingebote des Einlieferers erheblich verfälscht werden kann, diesfalls solche Versprechen und Gebote folglich als sittenwidrig erscheinen. Das gilt auch für Simulationsabreden zwischen dem Versteigerer und einem Bietenden, was selbst der Klägerin nicht entgangen ist, räumt sie doch ein, dass dadurch die Interessen von "ehrlichen" Mitbietern verletzt werden, Scheingebote des Einlieferers deswegen
BGE 112 II 337 S. 347
gegen Treu und Glauben verstossen und höchst verpönt sein können. Um so mehr rechtfertigt es sich, Einlieferer das Risiko eines Scheingebotes selber tragen zu lassen.
5.
Das angefochtene Urteil verletzt
Art. 18 Abs. 1 OR
, weil es zu Unrecht davon ausgeht, es liege eine Simulationsabrede zwischen den Parteien vor; es ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist ferner gestützt auf
Art. 64 Abs. 1 OG
zur näheren Abklärung der gegenseitigen Ansprüche, die noch streitig sind, an die Vorinstanz zurückzuweisen. Was darüber in tatsächlicher Hinsicht feststeht, erlaubt dem Bundesgericht kein abschliessendes Urteil, zumal das Handelsgericht offengelassen hat, ob die Bruttolimite kurz vor der Auktion mündlich auf Fr. 275'000.-- erhöht worden sei, wobei es zudem aus Versehen von Nettolimite spricht. Zu klären ist ferner, ob die WUST mangels eines gültigen Kaufvertrages tatsächlich geschuldet gewesen oder, wie die Klägerin einwendet, fälschlicherweise bezahlt worden sei. | 3,939 | 3,085 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 30. Oktober 1985 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | 56 | 42 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-112-II-337_1986 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=8&from_date=&to_date=&from_year=1986&to_year=1986&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=75&highlight_docid=atf%3A%2F%2F112-II-337%3Ade&number_of_ranks=378&azaclir=clir | BGE_112_II_337 |
||
00857b07-9a69-4dc5-9d0e-65aee48b7869 | 1 | 81 | 1,330,101 | -126,230,400,000 | 1,966 | de | Sachverhalt
ab Seite 40
BGE 92 II 39 S. 40
A.-
Frau Pia Krapf, die Ehefrau und Mutter der Kläger, fiel am 6. Juli 1962 einem Verkehrsunfall zum Opfer, der sich unter den folgenden Umständen ereignete:
Frau Krapf fuhr am Steuer des ihrem Ehemann gehörenden PW "Morris" von Arbon über Stachen gegen Baumannshaus. Ihr Ehemann Johann Krapf sass neben ihr im Wagen. Als sie in Riedern zu der Kreuzung mit der Strasse Roggwil-Ebnet gelangte, kam von links, von Roggwil her, Ernst Grädel in seinem PW "Peugeot 404" mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 80 km. Grädel bremste, als er den andern Wagen in die unübersichtliche Kreuzung einfahren sah, vermochte aber auf der regennassen Strasse nicht mehr rechtzeitig anzuhalten, so dass es zum Zusammenstoss kam. Der Wagen Grädels traf den andern Wagen auf der linken Seite hinten und stiess ihn in die Wiese hinaus. Johann Krapf und seine Ehefrau wurden aus dem Wagen geschleudert. Während ersterer nur unerheblich verletzt wurde, starb seine Ehefrau einige Tage später an den erlittenen Verletzungen. Grädel blieb unverletzt.
Frau Krapf hinterliess neben dem Ehemann sieben Kinder im Alter von 2-17 Jahren. Der Ehemann Krapf ist infolge eines im Jahre 1961 erlittenen Schlaganfalles halbseitig gelähmt und daher voll invalid. Das landwirtschaftliche Gewerbe der Familie wurde seither von der Ehefrau mit Hilfe eines Knechtes betrieben.
Die Anklagekammer des Kantons Thurgau stellte das gegen Grädel eröffnete Strafverfahren ein, da sie der Auffassung war, Grädel sei auf einer Hauptstrasse gefahren und daher vortrittsberechtigt gewesen, weshalb ihn kein strafrechtliches Verschulden am Unfall treffe.
B.-
Johann Krapf und seine sieben Kinder belangten Grädel auf Bezahlung von Schadenersatz- und Genugtuungsleistungen von insgesamt Fr. 66'059.-- nebst Zins.
Der Beklagte bestritt, haftpflichtig zu sein, und beantragte, die Klage abzuweisen.
C.-
Das Bezirksgericht Arbon und das Obergericht des Kantons Thurgau schützten die Klage im Betrage von Fr. 63'065.20 nebst 5% Zins seit 6. Juli 1962.
Beide kantonalen Instanzen nahmen an, der Beklagte sei entgegen der Auffassung der Anklagekammer nicht vortrittsberechtigt gewesen, da die von ihm befahrene Strasse Roggwil-Ebnet gleich wie die Strasse Stachen-Baumannshaus eine
BGE 92 II 39 S. 41
Nebenstrasse sei; die Geschwindigkeit des Beklagten von 80 km sei zu hoch gewesen und zudem habe er es an der gebotenen Aufmerksamkeit fehlen lassen; es treffe ihn daher ein schweres Verschulden am Unfall. Das Mitverschulden der vortrittsberechtigten Frau Krapf sei gering und rechtfertige nicht, die Ansprüche der Kläger um mehr als die von ihnen zugestandenen 25% zu kürzen.
D.-
Gegen das Urteil des Obergerichts vom 28. September 1965 hat der Beklagte die Berufung erklärt. Er stellt den Hauptantrag, die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell beantragt er, die Klage abzuweisen, soweit sie den Betrag von Fr. 48'000.-- nebst Zins übersteigt. Die Kläger beantragen, die Berufung abzuweisen und den angefochtenen Entscheid zu bestätigen. | 705 | 529 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
Der Beklagte bringt zur Begründung der behaupteten Verletzung des
Art. 8 ZGB
vor, die Vorinstanz habe sein Begehren betreffend Abklärung der Lebenserwartung der Erstklägers durch medizinische Expertise ohne st i chhaltige Begründung abgelehnt, obschon es fraglich sei, ob beim vollinvaliden Kläger von einer nach den statistischen Tabellen errechneten Lebenserwartung ausgegangen werden dürfe. Mit der Annahme, die körperliche Lähmung allein lasse nicht auf einen vorzeitigen Tod schliessen, und ein Experte werde die voraussichtliche Lebensdauer kaum näher bestimmen können, habe die Vorinstanz den Rahmen der ihr zustehenden Beweiswürdigung überschritten.
Der Beklagte stützt seinen Antrag im Berufungsverfahren wie schon vor den kantonalen Instanzen einzig auf die unbestrittene Tatsache, dass Johann Krapf im Jahre 1961 einen Gehirnschlag erlitten hat und seither halbseitig gelähmt ist. Einen Anhaltspunkt dafür, dass diese körperliche Behinderung oder ihre Ursache sich lebensverkürzend auswirken könnte und wahrscheinlich auch auswirken werde, hat er nicht geltend gemacht. Bei dieser Sachlage war die Vorinstanz zur Anordnung einer medizinischen Expertise nur verpflichtet, wenn sie bezüglich der normalen Lebenserwartung des Johann Krapf Zweifel hegte. Da sie dies mit der Begründung verneinte, Krapf sei nicht von einem innern Leiden befallen, und - auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung - die Auffassung vertrat, die
BGE 92 II 39 S. 42
körperliche Lähmung allein lasse nicht auf einen vorzeitigen Tod schliessen, verstiess die Abweisung des Antrages auf Einholung eines medizinischen Gutachtens nicht gegen
Art. 8 ZGB
. Die Vorinstanz hätte die Schadenersatzberechnung selbst dann nicht anders vornehmen dürfen, wenn ein medizinischer Gutachter bloss die Möglichkeit einer verkürzten Lebenserwartung bejaht hätte. Mehr war von einem solchen Gutachten aber bei der gegebenen Sachlage nicht zu erwarten. Eine Rückweisung der Sache zur Durchführung der verlangten Begutachtung rechtfertigt sich daher nicht.
3.
Da der Verkehrsunfall, aus dem die Kläger ihre Ansprüche ableiten, sich am 6. Juli 1962 ereignet hat, beurteilt sich die Haftung des Beklagten nach den Vorschriften der
Art. 58 ff. SVG
betreffend Haftpflicht und Versicherung, die am 1. Januar 1960 in Kraft getreten sind (VVV vom 20. November 1959 Art. 61 Abs. 1). Für die Beurteilung des Verhaltens der beteiligten Fahrzeuglenker dagegen ist auf die im Zeitpunkt des Unfalls noch massgebenden Verkehrsregeln des MFG abzustellen.
4.
Der Beklagte verlangt, seine Ersatzpflicht sei nicht nur um 25%, sondern um 50% herabzusetzen. Diese hälftige Schadensteilung leitet er in erster Linie aus
Art. 61 SVG
ab, den die Vorinstanz durch Nichtanwendung verletzt haben soll.
a)
Art. 61 SVG
regelt die Schadenersatzpflicht zwischen Motorfahrzeughaltern. Der Beklagte hält diese Bestimmung für anwendbar, weil nach den tatsächlichen Verhältnissen Frau Krapf als Halter des von ihr gelenkten Fahrzeugs zu betrachten sei.
Diese Ansicht ist unrichtig. Halter des Motorfahrzeugs war im massgebenden Zeitpunkt des Unfalls der Ehemann Krapf. Dass der Fahrzeugausweis auf ihn lautete, ist zwar nicht von entscheidender Bedeutung, da dem Gesetz nicht der formelle, sondern der materielle Halterbegriff zugrunde liegt, wonach "als Halter derjenige aufzufassen ist, auf dessen eigene Rechnung und Gefahr der Betrieb des Fahrzeuges erfolgt und der zugleich über dieses und allenfalls über die zum Betrieb erforderlichen Personen die tatsächliche, unmittelbare Verfügung besitzt" (OFTINGER, Haftpflichtrecht, 2. Aufl. II/1 S. 481). Diese Voraussetzungen treffen auf den Ehemann Krapf zu: Er ist Inhaber des Landwirtschaftsbetriebes, aus dessen Erträgnissen die Unterhalts- und Betriebskosten des Fahrzeuges
BGE 92 II 39 S. 43
bestritten werden. Er ist daher in erster Linie an dessen Halten interessiert. Ebenso steht ihm als Betriebsinhaber das Verfügungsrecht über das Fahrzeug zu. Es fehlt jeder Anhaltspunkt, der den Schluss zuliesse, Krapf habe sich in keiner Weise um den Besitz eines Fahrzeuges interessiert, und dieses sei einzig von seiner Ehefrau gewünscht und betrieben worden. Dass Krapf im Zeitpunkt des Unfalles seit ungefähr 9 Monaten voll invalid war und seine Ehefrau den Betrieb in der im vorinstanzlichen Urteil umschriebenen Weise leitete, ändert nichts. Gerade wegen seiner Invalidität hatte Krapf vielmehr am Halten des Fahrzeugs das überwiegende Interesse, obwohl er es nicht selber führen konnte.
b) Der Beklagte macht geltend, selbst wenn Krapf Halter sei, finde
Art. 61 Abs. 1 SVG
gleichwohl Anwendung, weil die Kausalhaftung des Halters auch die Haftung seiner Ehefrau als Lenkerin des Fahrzeugs umfasse.
Nach
Art. 58 Abs. 4 SVG
ist wohl der Halter für das Verschulden des Fahrzeugführers und mitwirkender Hilfspersonen wie für eigenes Verschulden verantwortlich. Daraus allein kann jedoch nicht gefolgert werden, wenn den Lenker, der nicht Halter ist, ein Verschulden treffe, finde die Vorschrift von
Art. 61 SVG
über die Haftung zwischen Haltern Anwendung. Voraussetzung hiefür ist, wie
Art. 61 Abs. 1 SVG
ausdrücklich sagt, dass ein Halter körperlich geschädigt ist, was im vorliegenden Fall eben nicht zutrifft. Daher kann die Auferlegung des Schadens zu gleichen Teilen nicht schon aus dieser Bestimmung abgeleitet werden, ganz abgesehen davon, dass eine andere Verteilung zulässig ist, wenn sich dies nach den Umständen, namentlich nach dem Verschulden, rechtfertigt.
Die Rüge der Verletzung von
Art. 61 SVG
ist somit nicht begründet.
5.
Fällt
Art. 61 SVG
ausser Betracht, so beurteilt sich die Haftung des Beklagten ausschliesslich nach Art. 58/59 SVG.
a) Der Beklagte behauptet im Berufungsverfahren nicht mehr, von seiner durch
Art. 58 SVG
begründeten Kausalhaft gemäss Art. 59 Abs. 1 gänzlich befreit zu sein. Er macht lediglich unter Berufung auf
Art. 59 Abs. 2 SVG
geltend, seine Ersatzpflicht sei auf die Hälfte herabzusetzen, weil Frau Krapf als Lenkerin des am Unfall mitbeteiligten Fahrzeugs ein erhebliches Selbstverschulden treffe, das sich die Kläger im Streit um den Versorgerschaden entgegenhalten lassen müssten.
BGE 92 II 39 S. 44
Die Kläger anerkennen, dass die Ersatzpflicht des Beklagten gestützt auf
Art. 59 Abs. 2 SVG
zu kürzen ist. Die Herabsetzung kann jedoch nach ihrer Auffassung nicht mehr als 25% ausmachen, da das Verschulden der Getöteten nur ganz geringfügig sei.
b) Für das Ausmass der Herabsetzung der Ersatzpflicht des Beklagten ist in erster Linie die Schwere des Verschuldens der getöteten Fahrzeuglenkerin massgebend, das der Beklagte zu beweisen hat. Je schwerer dieses Verschulden ist, umsomehr vermindert sich die Ersatzpflicht des Beklagten, der kraft seiner Kausalhaftung grundsätzlich für den vollen Schaden einzustehen hat. Trifft ihn zusätzlich ein Verschulden, so wiegt dieses das mitwirkende Verschulden der Frau Krapf zum Teil auf, mit der Folge, dass sich die Ersatzpflicht des Beklagten in geringerem Masse vermindert, als es das Mitverschulden der Getöteten, für sich allein betrachtet, rechtfertigen würde (
BGE 91 II 223
). Es ist somit das Verschulden der beiden Fahrzeugführer abzuklären.
6.
a) Der Beklagte wirft dem Obergericht vor, es habe sein Verschulden unrichtig beurteilt, indem es annehme, für die Würdigung seiner Fahrweise sei bedeutungslos, dass in Roggwil ein blauer Wegweiser zur Verbindungsstrasse Roggwil-Ebnet hinleitet.
Mit diesem Einwand hat es folgende Bewandtnis: Die Strasse Roggwil-Ebnet verbindet die Hauptstrasse Nr. 153 St. Gallen-Arbon mit der Hauptstrasse Nr. 33 Amriswil-Arbon. Sie ist eine gut ausgebaute Staatsstrasse, jedoch nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht als Hauptstrasse im Sinne von Art. 27 Abs. 2 MFG gekennzeichnet und in der Liste der Hauptstrassen mit Vortrittsrecht nicht aufgeführt. Dementsprechend war sie auch nicht mit einer Nummer (Art. 1 Abs. 2 BRB vom 26. Januar 1937 über die Numerierung der Hauptstrassen usw.) versehen, welche nach den einschlägigen Vorschriften unter dem Ortsbezeichnungssignal am Ausgang der Ortschaften und auf den Wegweisern anzubringen gewesen wäre. Bei der in Roggwil (innerorts) gelegenen Verzweigung der Strassen nach Arbon und Ebnet wies ein blauer Wegweiser ohne Nummer zur Verbindungsstrecke Roggwil-Ebnet, wo die Einmündung in die Hauptstrasse Nr. 33 erfolgt.
Die Vorinstanz ist der Ansicht, ein solcher blauer Wegweiser ohne Nummer bedeute nur, dass die Strasse zu einer Hauptstrasse
BGE 92 II 39 S. 45
führe, ohne selbst eine solche zu sein; wo die Hauptstrasse beginne, sage der Wegweiser nicht. Der Beklagte habe daher auf Grund dieser Signalisierung nicht annehmen dürfen, er befinde sich auf einer Hauptstrasse.
Der Beklagte wendet hiegegen ein, die Strassensignalisierung in Roggwil sei unrichtig; die Strassen nach Ebnet hätte richtigerweise mit einem weissen Wegweiser bezeichnet sein müssen. Auf Grund der unzutreffenden Strassensignalisation habe er in guten Treuen annehmen dürfen, er befinde sich auf einer vortrittsberechtigten Hauptstrasse, so dass er auf allfällige Einmündungen und Kreuzungen nicht oder doch weniger zu achten habe und mit entsprechender Geschwindigkeit fahren dürfe.
b) Das Obergericht irrt, indem es annimmt, ein blauer Wegweiser ohne Nummer zeige lediglich an, dass man in der angegebenen Richtung zu einer Hauptstrasse komme, gebe aber keinen Aufschluss darüber, wo die Hauptstrasse beginne, so dass deren Beginn der Nummernangabe auf der nächsten Ortstafel oder auf dem nächsten blauen Wegweiser entnommen werden müsse. Art. 4 des massgebenden BRB vom 26. März 1934 bestimmt:
"Die Hauptstrasse mit Vortrittsrecht wird auf dieser selbst durch den blauen Wegweiser gekennzeichnet. Ausserorts darf dieser Wegweiser nur an Hauptstrassen zur Bezeichnung der Richtung dieser Strassen verwendet werden; innerorts nur, wenn er auf eine Ortschaft hinweist, zu der auf der Überlandstrecke eine Hauptstrasse führt.
Für die Richtungsbezeichnung nach und auf Nebenstrassen darf nur der weisse Wegweiser verwendet werden."
Abs. 1 dieser Vorschrift kann nur so verstanden werden, dass die ganze zur angegebenen Ortschaft hinführende Ausserortsstrecke Hauptstrasse sein muss. Ist die Ausserortsstrecke, die sich unmittelbar an die Ortschaft anschliesst, in der der Wegweiser steht, eine Nebenstrasse, so muss ein weisser Wegweiser angebracht werden. Da im vorliegenden Fall die unmittelbar anschliessende Überlandstrecke (d.h. die Verbindungsstrecke Roggwil-Ebnet) keine Hauptstrasse ist, hätte somit in Roggwil eine weisse Tafel nach Ebnet weisen sollen. Angesichts der tatsächlichen Signalisierung durfte daher der Beklagte, trotz dem Fehlen einer Nummer auf dem Wegweiser, der Meinung sein, er befahre eine Hauptstrasse; dies um so mehr, als auch der (richtigerweise) blaue Wegweiser für die
BGE 92 II 39 S. 46
Hauptstrasse nach Arbon, der ebenfalls an der Strassenverzweigung in Roggwil steht, nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz keine Nummer aufwies.
Der erwähnten irrtümlichen Meinung konnte der Beklagte aber nur sein, bis er zum Gefahrsignal Nr. 3 (heute Nr. 114) "Kreuzung" gelangte, das gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz gut sichtbar ungefähr 150 m vor der Unfallstelle angebracht ist. Hätte der Beklagte dieses Signal beachtet, dann hätte ihm nicht nur klar werden müssen, dass er sich einer gefährlichen Kreuzung nähere (ansonst kein Gefahrsignal angebracht worden wäre), sondern er hätte überdies erkennen müssen, dass er sich doch nicht auf einer Hauptstrasse befinde; denn sonst hätte nicht das Kreuzungssignal Nr. 3, sondern das Signal "Kreuzung mit Strasse ohne Vortrittsrecht" (Nr. 10, jetzt Nr. 115) angebracht sein müssen, das durch BRB vom 8. März 1953 (in Kraft seit 15. März 1953) geschaffen wordenwar. Bei der gegebenen Sachlage, wie auch in Anbetracht der beidseits der Strasse liegenden Gebäude, der Erkennbarkeit der Strassenkreuzung und der schlechten Sicht nach rechts, bestand daher für den Beklagten die Pflicht, seine Geschwindigkeit zu mässigen und sich darauf einzurichten, einem von rechts kommenden Fahrzeug den Vortritt gewähren zu können. Statt dessen fuhr er mit der von ihm selber zugegebenen unverminderten Geschwindigkeit von 80 km weiter und bremste erst, als er sah, dass der andere Wagen, der noch etwa 6 m von der Kreuzung entfernt war, nicht anhielt, sondern in die Kreuzung einfuhr. Dass der Beklagte das Kreuzungssignal übersehen hatte und darum weiter wähnte, auf der Hauptstrasse zu fahren, hat er allein zu verantworten. Nur wenn kein Kreuzungssignal angebracht gewesen wäre, könnte er sich mit Grund auf den durch die unrichtige Signalisierung in Roggwil hervorgerufenen Irrtum berufen. Selbst dann wäre übrigens seine Geschwindigkeit wegen der örtlichen Verhältnisse und der regennassen Strasse übersetzt gewesen.
Die Vorinstanz hat daher die Art. 25 und 27 MFG entgegen der Auffassung des Beklagten nicht verletzt, wenn sie ihm ein schweres Verschulden am Unfall zur Last legt. Ihre irrtümliche Auffassung über die Bedeutung des blauen Wegweisers in Roggwil ist für die Bemessung der Schwere dieses Verschuldens unerheblich; es bleibt ein schweres Verschulden.
Auch der Vorwurf der Vorinstanz, der Beklagte hätte ein
BGE 92 II 39 S. 47
Hornsignal geben sollen, als er den andern Wagen erblickte, was möglicherweise Frau Krapf noch rechtzeitig zum Anhalten veranlasst hätte, ist angesichts der örtlichen Verhältnisse keineswegs unbegründet. Übrigens handelt es sich dabei um ein zusätzliches Argument, das bei der Bewertung des Verschuldens des Beklagten nicht ins Gewicht fiel.
7.
Der Beklagte rügt, die Vorinstanz habe Art. 25 MFG und
Art. 59 Abs. 2 SVG
dadurch verletzt, dass sie das Verschulden der Frau Krapf zu gering bewertet habe. Diese Rüge ist unbegründet.
Frau Krapf war gegenüber dem von links kommenden Beklagten vortrittsberechtigt. Da ihre Sicht nach links durch ein Gebäude, sowie durch abgelagerte Baumaterialien und durch Bäume beeinträchtigt war, hatte sie allerdings trotz ihres Vortrittsrechts auch ihrerseits erhöhte Vorsicht walten zu lassen. Einen Sicherheitshalt brauchte sie jedoch nicht einzuschalten. Eine solche Zumutung würde eine völlige Entwertung des Vortrittsrechts bedeuten. Sie durfte vielmehr davon ausgehen, ein von links kommender Vortrittsbelasteter werde seinerseits dem beschränkten Überblick Rechnung tragen und seine Geschwindigkeit entsprechend vermindern (
BGE 90 IV 90
f. und dort erwähnte Entscheide). War Frau Krapf aber zu einem Sicherheitshalt nicht verpflichtet, so ist es für die Beurteilung ihres Verschuldens belanglos, ob sie tatsächlich einen solchen gemacht hat oder nicht, und infolgedessen ist es auch für die Haftung des Beklagten ohne Bedeutung, dass diese Frage nicht hat abgeklärt werden können; denn nur die Unbeweisbarkeit eines Umstandes, der dem Geschädigten zum Verschulden gereichen würde, kann sich zum Nachteil des beweispflichtigen Halters auswirken.
Die erhöhte Vorsicht, die Frau Krapf wegen der schlechten Sichtverhältnisse oblag, konnte nur darin bestehen, dass sie ihre Geschwindigkeit verminderte und sich auch nach links vergewisserte, ob sie freie Fahrt habe. Sah sie oder konnte sie sehen, dass von dort ein Fahrzeug herannahe, dessen Lenker ihr den Vortritt nicht lassen wolle oder nicht mehr lassen könne, so hatte sie alles Zumutbare vorzukehren, um einen Zusammenstoss zu verhüten. Sie brauchte aber nicht von vorneherein mit der Missachtung ihres Vortrittsrechts zu rechnen und sich entsprechend zu verhalten (
BGE 90 IV 90
und dortige Hinweise).
BGE 92 II 39 S. 48
Wie nicht streitig ist, näherte sich Frau Krapf der Kreuzung mit geringer Geschwindigkeit, die vom Beklagten selber mit 18 km angegeben wird. Wie an dieser Stelle üblich, hielt ihr Ehemann nach rechts Ausschau, während sie ihre Aufmerksamkeit vorab der linken Seite zuwendete. Insoweit kann ihr deshalb nicht ein Mangel an Sorgfalt vorgeworfen werden. Da sie gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz ungefähr 6 m vor der Kreuzung die von links kommende Strasse auf ca. 150 m zu überblicken vermochte, hätte sie das herannahende Fahrzeug Grädels sehen und erkennen müssen, dass ihr dieser den Vortritt nicht mehr gewähren könne. Ob sie das Fahrzeug nicht oder zu spät wahrnahm oder ob sie dessen Geschwindigkeit falsch einschätzte und daher glaubte, sie gelange noch vor diesem über die Kreuzung, ist nicht abgeklärt. Das Verschulden, das ihr im einen wie im andern Falle zur Last gelegt werden muss, ist jedoch im Vergleich zum Verschulden des Beklagten gering und rechtfertigt nicht, die Ersatzpflicht des letzteren um mehr als 25% zu kürzen.
8.
Die Höhe des Schadens der Kläger und ihre Genugtuungsansprüche sind vor Bundesgericht nicht mehr streitig. | 3,647 | 2,845 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 28. September 1965 bestätigt. | 34 | 26 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-92-II-39_1966 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=18&from_date=&to_date=&from_year=1966&to_year=1966&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=172&highlight_docid=atf%3A%2F%2F92-II-39%3Ade&number_of_ranks=198&azaclir=clir | BGE_92_II_39 |
||
008815ce-d775-4d82-8132-6f88484be942 | 1 | 84 | 1,363,602 | 567,993,600,000 | 1,988 | de | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 220
BGE 114 V 219 S. 220
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer Alfred U. ersucht in erster Linie um eine Überprüfung der Rechtsprechung zu
Art. 52 AHVG
, gemäss welcher die Organe einer Aktiengesellschaft subsidiär haftbar sein können. Er beruft sich auf den Wortlaut dieser Bestimmung und die in der Lehre erhobene Kritik, wonach die Ausdehnung der Haftpflicht auf Organe nicht unbedenklich sei (MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. II, S. 67; FORSTMOSER, Aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2. Aufl., S. 305, N. 1071).
a) Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann allein auf die grammatikalische Auslegungsmethode abgestellt, wenn sich daraus zweifellos eine sachlich richtige Lösung ergab (
BGE 110 Ib 8
). Wohl ist das Gesetz in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist indessen der Text nicht klar bzw. sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich der Auslegung nach dem Zweck, nach dem Sinn und nach den dem Text zugrundeliegenden Wertungen. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt (
BGE 112 V 171
Erw. 3a mit Hinweisen; MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. I, S. 227).
b) Bei der Auslegung des in
Art. 52 AHVG
für das Haftungssubjekt verwendeten Begriffs "Arbeitgeber" ist das Eidg. Versicherungsgericht davon ausgegangen, dass dem Arbeitgeber bezüglich der in
Art. 14 Abs. 1 AHVG
in Verbindung mit
Art. 34 ff. AHVV
statuierten öffentlichrechtlichen Pflicht zum Bezug, zur Ablieferung und zur Abrechnung der paritätischen Sozialversicherungsbeiträge die Stellung eines gesetzlichen Vollzugsorgans zukommt. Die Haftung des Arbeitgebers gemäss
Art. 52 AHVG
bildet das Korrelat zu dieser öffentlichrechtlichen Organstellung (
BGE 112 V 155
Erw. 5,
BGE 96 V 124
; ZAK 1987 S. 208 Erw. 5). Kommt dem Arbeitgeber bezüglich Bezug, Ablieferung und Abrechnung der paritätischen Sozialversicherungsbeiträge Organstellung bei der Durchführung verschiedener Zweige der bundesrechtlichen Sozialversicherung
BGE 114 V 219 S. 221
zu, untersteht er dem Verantwortlichkeitsrecht des Bundes.
Art. 52 AHVG
bildet innerhalb des Systems des Verantwortlichkeitsgesetzes (VG) eine Spezialbestimmung. Hingegen sind die diesem Gesetz zugrunde liegenden allgemeinen Rechtsnormen auch bei der Auslegung von
Art. 52 AHVG
heranzuziehen. Hier fällt insbesondere auf, dass im Bereich der internen Haftung, auch wenn die öffentliche Aufgabe einer Organisation übertragen ist, primär der Schadensverursacher persönlich und die Organisation erst subsidiär haftet (
Art. 19 VG
). Es fehlen Anhaltspunkte für die Annahme, dass
Art. 52 AHVG
diese Verantwortlichkeit der für die Organisation handelnden Personen hätte wegbedingen wollen. Es handelt sich vielmehr um die Umkehrung des allgemeinen Grundsatzes, indem nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung primär der Arbeitgeber, also gegebenenfalls die Organisation haftet. Daneben muss im Hinblick auf den erwähnten allgemeinen Grundsatz aber auch die - wenigstens subsidiäre - Haftung der handelnden Personen angenommen werden. Dass eine solche Haftung allgemeinen Rechtsgrundsätzen entspricht, ergibt sich ferner aus der im Privatrecht getroffenen Regelung hinsichtlich der Haftung der Organe einer juristischen Person (vgl.
Art. 55 Abs. 3 ZGB
und
Art. 754 OR
;
BGE 96 V 125
).
c) Nach Auffassung von MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. II, S. 67, N. 62, lässt diese Argumentation ausser acht, dass
Art. 19 VG
nur hoheitliches Handeln im Auge habe; der Arbeitgeber besitze aufgrund des AHVG keine hoheitliche Gewalt.
Indessen setzt die Haftung nach
Art. 19 Abs. 1 VG
lediglich voraus, dass "ein Organ oder ein Angestellter einer mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes betrauten und ausserhalb der ordentlichen Bundesverwaltung stehenden Organisation in Ausübung der mit diesen Aufgaben verbundenen Tätigkeit" einen Schaden verursacht. Die dem Arbeitgeber durch
Art. 14 AHVG
in Verbindung mit
Art. 34 ff. AHVV
übertragenen Pflichten zum Bezug, zur Ablieferung und Abrechnung der paritätischen Sozialversicherungsbeiträge sind eine öffentlichrechtliche Aufgabe im Sinne des zitierten
Art. 19 Abs. 1 VG
. Hoheitliche Tätigkeit liegt stets vor, wo ein Rechtsverhältnis einseitig durch öffentliches Recht geregelt ist und der Private in einem Subordinationsverhältnis zum Staat steht. In diesem Sinne ist die Rechtsstellung des Arbeitgebers beim Bezug, der Ablieferung und der Abrechnung der paritätischen Sozialversicherungsbeiträge hoheitlich. Die Bezugnahme
BGE 114 V 219 S. 222
auf die Grundsätze des Staatshaftungsrechts des Bundes für die Auslegung von
Art. 52 AHVG
ist daher zulässig. Nichts anderes kann für den vom Beschwerdeführer gerügten Rückgriff auf die privatrechtlichen Grundsätze über die Haftung der Organe einer juristischen Person gelten. Enthält das Privatrecht Rechtsgrundsätze, die im öffentlichen Recht fehlen, dürfen diese zur Auslegung und Ergänzung unklarer oder lückenhafter Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes herangezogen werden - dies unter Berücksichtigung ihres Normzwecks und der ihnen zugrundeliegenden Interessenlage (GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. I, S. 120 f.; MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. I, S. 234 f. mit Hinweisen). Eine Auslegung des Begriffs "Arbeitgeber" in
Art. 52 AHVG
ohne Beachtung der privatrechtlichen Rechtsgrundsätze zur Haftung der Organe einer juristischen Person würde zum stossenden Ergebnis führen, dass die für die Verletzung von Vorschriften im Sinne dieser Bestimmung Verantwortlichen überhaupt nicht belangt werden könnten, sofern sie als Organ einer juristischen Person gehandelt haben. Die persönliche Haftung wäre im Falle der Zahlungsunfähigkeit einer Arbeitgeberfirma auf Einzelunternehmer, einfache Gesellschafter, Kollektivgesellschafter und Komplementäre beschränkt. Darin läge eine sachlich nicht zu rechtfertigende Privilegierung der für den Bezug, die Ablieferung und die Abrechnung der paritätischen Sozialversicherungsbeiträge Verantwortlichen jener Arbeitgeberfirmen, die sich als juristische Personen konstituiert haben. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass mit
Art. 52 AHVG
eine solche Ungleichbehandlung beabsichtigt gewesen wäre. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die öffentlichrechtliche Abrechnungs- und Beitragspflicht nicht nur eine Aufgabe der juristischen Person ist, sondern ebensosehr und unmittelbar jener natürlichen Personen, welche für sie in massgeblicher Weise tätig sind und ihre Willensbildung massgeblich beeinflussen, mithin Organstellung innehaben. Regelmässig entsteht der Sozialversicherung ein Schaden dann, wenn die juristische Person die Beitragsforderungen nicht zu begleichen vermag, zahlungsunfähig ist und damit auch ihrer Schadenersatzpflicht nicht mehr genügen kann. In allen diesen häufigen Fällen würde die gesetzlich vorgesehene Schadenersatzpflicht als Rechtsfolge eines grobfahrlässigen bzw. absichtlichen sowie schadenskausalen Verstosses gegen AHV-Vorschriften praktisch gegenstandslos, wenn den Ausgleichskassen die Belangung der Organe versagt wäre. Dies kann nicht der Rechtssinn von
BGE 114 V 219 S. 223
Art. 52 AHVG
sein (nicht veröffentlichtes Urteil B. vom 4. Juli 1988).
Es besteht somit kein Anlass, von der dargelegten Rechtsprechung zur subsidiären Haftung der verantwortlichen Organe einer juristischen Person nach
Art. 52 AHVG
abzugehen (
BGE 108 V 17
Erw. 3b; ZAK 1987 S. 583 Erw. 2b).
4.
Ferner bestreitet der Beschwerdeführer seine Haftung als Organ der B. AG, weil seit Gründung dieser Gesellschaft Beat B. durch Kompetenzdelegation im Sinne von
Art. 717 Abs. 2 OR
die Geschäftsführung als Delegierter des Verwaltungsrates besorgt habe. Neben Beat B. sei ab 1983 Bruno B. von der V. Treuhand für die Sozialversicherungsbeiträge zuständig gewesen. Der Beschwerdeführer habe seiner Überwachungspflicht schon dadurch genügt, dass er Herrn Bruno B. als Experten für die Buchhaltung und die Erstellung der Bilanz beigezogen habe. Die Vorstellung, dass er als Präsident des Verwaltungsrates jede einzelne Handlung der übrigen Verwaltungsräte hätte kontrollieren müssen, sei lebensfremd. Die in
Art. 722 Abs. 2 Ziff. 3 OR
statuierte Aufsichtspflicht umfasse lediglich die Überwachung des allgemeinen Geschäftsganges und nicht die Überprüfung jeder einzelnen Geschäftstätigkeit.
a) Hat die Verwaltung einer Aktiengesellschaft die Geschäftsführung gemäss
Art. 717 Abs. 2 OR
an Delegierte oder Direktoren übertragen, so untersteht die Verwaltung bezüglich der delegierten Bereiche nur noch der Haftung für Auswahl, Instruktion und Überwachung der Beauftragten (FORSTMOSER, a.a.O., S. 115, N. 321 mit Hinweisen; BÜRGI/NORDMANN, Kommentar zu Art. 753/754 OR, N. 79; HORBER, Die Kompetenzdelegation beim Verwaltungsrat der AG und ihre Auswirkungen auf die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, Diss. Zürich 1986, S. 113 und S. 123; VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl., S. 235). Kernstück dieser nicht delegierbaren Sorgfaltspflichten bildet die cura in custodiendo. Zwar ist der nicht geschäftsführende Verwaltungsrat gestützt auf
Art. 722 Abs. 2 Ziff. 3 OR
nicht verpflichtet, jedes einzelne Geschäft der mit der Geschäftsführung und Vertretung Beauftragten zu überwachen, sondern darf sich auf die Überprüfung der Tätigkeit der Geschäftsleitung und des Geschäftsganges beschränken. Dazu gehört, dass er sich laufend über den Geschäftsgang informiert, Rapporte verlangt, sie sorgfältig studiert, nötigenfalls ergänzende Auskünfte einzieht und Irrtümer abzuklären versucht (
BGE 97 II 411
Erw. 5b;
BGE 114 V 219 S. 224
BÜRGI/NORDMANN, Kommentar zu Art. 753/754 OR, N. 79; BÜRGI, Kommentar zu
Art. 722 OR
, N. 20 und 22; SCHUCANY, Kommentar zu
Art. 722 OR
, N. 4; HORBER, a.a.O., S. 121 f. mit weiteren Hinweisen). Ergibt sich aus diesen Informationen der Verdacht falscher oder unsorgfältiger Ausübung der delegierten Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse, ist der Verwaltungsrat verpflichtet, sogleich die erforderlichen Abklärungen zu treffen (nötigenfalls durch Beizug von Sachverständigen) und eine genaue und strenge Kontrolle hinsichtlich der Beobachtung gesetzlicher Vorschriften auszuüben (VON STEIGER, a.a.O., S. 236). Umstritten ist, ob der Beizug von Hilfspersonen zur Ausführung bestimmter Geschäftsführungsaufgaben dieselbe Haftungsbeschränkung auf sorgfältige Auswahl, Instruktion und Überwachung bewirkt oder ob dies zu einer Haftung des Verwaltungsrates ohne eigenes Verschulden im Sinne von
Art. 101 OR
führt (vgl. dazu FORSTMOSER, a.a.O., S. 117 f., N. 327a bis 330 mit Hinweisen).
Die vom Beschwerdeführer unter Hinweis auf FORSTMOSER (a.a.O., S. 108, N. 553, S. 309, N. 1084, und S. 338, N. 1199) erhobenen Einwände gegen den vom Eidg. Versicherungsgericht auch bei der Delegation von Geschäftsführungskompetenzen angewendeten - strengen - Verschuldensmassstab erfüllen die Voraussetzungen für eine Praxisänderung nicht (
BGE 108 V 17
Erw. 3b; ZAK 1987 S. 583 Erw. 2b). Vielmehr ist an der einlässlich begründeten Rechtsprechung festzuhalten. Die hohen Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt eines Verwaltungsrates bei der Auswahl, Instruktion und Überwachung von Geschäftsführern und Hilfspersonen sind entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung im Hinblick auf die - rechtsgleiche - Durchführung des Beitragsbezugs gerechtfertigt. | 2,510 | 1,933 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-114-V-219_1988 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=12&from_date=&to_date=&from_year=1988&to_year=1988&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=111&highlight_docid=atf%3A%2F%2F114-V-219%3Ade&number_of_ranks=360&azaclir=clir | BGE_114_V_219 |
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ab Seite 186
BGE 146 III 185 S. 186
A.
A. (Kläger, Beschwerdeführer) stellte am 20. September 2018 ein Schlichtungsgesuch am Friedensrichteramt Kreis IX des Kantons Aargau. Er machte darin geltend, B. (Beklagter, Beschwerdegegner) habe ihm aus Vertragsverletzung Fr. 30'000.- zu bezahlen, unter Vorbehalt des Nachklagerechts. | 146 | 63 | 2 | 0 | Mit Schreiben vom 1. Oktober 2018 teilte der Rechtsvertreter des Beklagten dem Friedensrichter mit, dass weder der Beklagte noch er selbst an der Friedensrichterverhandlung teilnehmen werde. Dieses Schreiben stellte der Friedensrichter dem Rechtsanwalt des Klägers zu. Dieser beantragte mit Schreiben vom 23. Oktober 2018, sein Mandant und er seien vom persönlichen Erscheinen an der Schlichtungsverhandlung zu dispensieren und es sei ihm ohne Verhandlung direkt eine Klagebewilligung auszustellen. Am 29. Oktober 2018 erteilte der Friedensrichter dem Kläger die Klagebewilligung. Er verfügte dabei in Dispositivziffer 1 ausdrücklich, dass dem Kläger "ohne durchgeführte Schlichtungsverhandlung die Klagebewilligung erteilt" werde.
B.
Gestützt auf diese Klagebewilligung reichte der Kläger am Bezirksgericht Kulm Klage ein. Er begehrte, der Beklagte sei - unter Vorbehalt des Nachklagerechts - zu verpflichten, ihm Fr. 30'000.- zu bezahlen.
Der Präsident des Bezirksgerichts trat mit Entscheid vom 18. März 2019 mangels gültiger Klagebewilligung auf die Klage nicht ein. Die dagegen vom Kläger erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 13. August 2019 ab.
C.
Gegen den Entscheid des Obergerichts erhob der Beschwerdeführer Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Er beantragte,
BGE 146 III 185 S. 187
das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben. Das Obergericht sei anzuweisen, den Entscheid des Präsidenten des Bezirksgerichts aufzuheben und den Präsidenten anzuweisen, auf die Klage des Beschwerdeführers einzutreten und das Verfahren (...) weiterzuführen. Eventualiter sei der Präsident des Bezirksgerichts direkt anzuweisen, auf die Klage einzutreten und das Verfahren weiterzuführen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
Für die Beantwortung der sich vorliegend stellenden Frage, ob der Kläger an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen muss, wenn der Beklagte vorab erklärte, er werde nicht erscheinen, ist an der Regelung in der Zivilprozessordnung anzusetzen, nach welcher die Parteien gemeinsam auf das Schlichtungsverfahren verzichten können.
4.1.1
Nach dem Vorentwurf der Expertenkommission stand es den Parteien frei, gemeinsam auf das Schlichtungsverfahren zu verzichten (Art. 192 Abs. 1 VE-ZPO), zumindest dann, wenn das Schlichtungsverfahren nicht als obligatorisch erklärt wurde (Art. 192 Abs. 3 VE-ZPO). Begründet wurde diese gemeinsame Verzichtsmöglichkeit der Parteien damit, dass die Durchführung des Schlichtungsverfahrens wenig sinnvoll sei, wenn beide Parteien diese als nutzlos betrachten würden (Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission, 2003, S. 95).
4.1.2
In der Botschaft des Bundesrats wurde hingegen ausgeführt, dass die im Vorentwurf vorgesehenen weitgehenden Verzichtsmöglichkeiten der Parteien in der Vernehmlassung auf starke Kritik gestossen seien. Diesen Bedenken trage der Bundesrat unter anderem damit Rechnung, dass bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten die Parteien "erst ab einem Streitwert von mindestens 100'000 Franken auf den Schlichtungsversuch verzichten" (Art. 196 Abs. 1 E-ZPO) können (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7329).
Im Bereich der kleineren Streitwerte solle damit eine aussergerichtliche Vorrunde obligatorisch sein, denn dort sei die Vergleichsquote - und Entlastungswirkung für die Gerichte - erfahrungsgemäss am höchsten. Das Obligatorium liege dort aber auch im wohlverstandenen Interesse der Parteien: Durch den Gang zum Friedensrichter
BGE 146 III 185 S. 188
würden sie vor zu viel Aufwand infolge unnützer und unverhältnismässiger Demarchen geschützt. Bei hohen Streitwerten liege der Fall hingegen anders. Dort habe die praktische Erfahrung gezeigt, dass eine obligatorische Zwischenstation beim Friedensrichter oft nur ein unnützer Durchlauf zwecks Erteilung der Klagebewilligung darstelle. Die Parteien seien meist anwaltlich vertreten, sodass ihnen die optimale Wahl der Verfahrenseröffnung durchaus zugetraut werden könne. Deshalb solle hier auf die Vorrunde verzichtet und direkt geklagt werden können (Art. 196 E-ZPO). Verzicht heisse jedoch nicht einseitiger Verzicht: Die Parteien müssten die Abkürzung gemeinsam wählen, sonst könnte die Vorrunde zu leicht umgangen werden (Botschaft, a.a.O., 7242 f.).
In den Räten wurde die Bestimmung von Art. 196 E-ZPO, abgesehen von einem hier nicht relevanten Antrag, nicht weiter diskutiert (AB 2007 SR 522; AB 2008 NR 952).
4.1.3
Dementsprechend zielt der historische Wille des Gesetzgebers auf eine beschränkte Verzichtsmöglichkeit. Grundsätzlich gilt Schlichtungspflicht (vgl. nicht publ. E. 1.1).
Art. 199 Abs. 1 ZPO
, der Art. 196 Abs. 1 E-ZPO entspricht, setzt der Möglichkeit der Parteien, auf das Schlichtungsverfahren zu verzichten, eine klare Grenze, indem die Parteien einzig bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens Fr. 100'000.- gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten können ("Dans les litiges patrimoniaux d'une valeur litigieuse de 100 000 francs au moins, les parties peuvent renoncer à la procédure de conciliation d'un commun accord"/"Nelle controversie patrimoniali con un valore litigioso non inferiore a 100 000 franchi le parti possono convenire di rinunciare alla procedura di conciliazione").
Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung von
Art. 199 Abs. 1 ZPO
können die Parteien damit erst ab einem Streitwert von mindestens Fr. 100'000.- gemeinsam einem Schlichtungsverfahren entsagen und die Klage direkt beim Gericht einreichen. Es sind keine triftigen Gründe ersichtlich (vgl.
BGE 143 II 685
E. 4;
BGE 140 II 80
E. 2.5.3;
BGE 138 III 558
E. 4.1), dass dieser klare Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergeben würde. Vielmehr war es der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, die Verzichtsmöglichkeiten der Parteien auf das Schlichtungsverfahren im Gegensatz zum Vorentwurf deutlich restriktiver zu gestalten und eine Streitwertgrenze von Fr. 100'000.- für den Verzicht auf die Schlichtung einzuführen.
BGE 146 III 185 S. 189
4.1.4
Die Parteien können nach dem Gesagten bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten erst ab einem Streitwert von Fr. 100'000.- gemeinsam auf das Schlichtungsverfahren verzichten. Im Umkehrschluss haben die Parteien daher bei einem Streitwert von unter Fr. 100'000.-, unter Vorbehalt der erwähnten gesetzlichen Ausnahmen von
Art. 198 und
Art. 199 Abs. 2 ZPO
(nicht publ. E. 1.1), in jedem Fall ein Schlichtungsverfahren durchzuführen, auch wenn sie dies gemeinsam nicht wollen. Wie sinnvoll es ist, eine Schlichtungsverhandlung durchzuführen, die beide Parteien nicht wollen und nicht als nutzvoll erachten, ist eine Frage, welche der Gesetzgeber entscheiden muss und - wie erwähnt - entschieden hat.
4.2
4.2.1
Die Bestimmung von
Art. 199 Abs. 1 ZPO
regelt nach dem Ausgeführten die Situation, in welcher die Parteien gemeinsam übereinkommen, das Schlichtungsverfahren zu überspringen und die Klage direkt beim Gericht anhängig zu machen, was sie bei einem Streitwert ab Fr. 100'000.- tun können. Klar ist daher, dass der Beschwerdeführer und der Beschwerdegegner vorliegend nicht hätten vereinbaren können, das Schlichtungsverfahren auszulassen und die Klage direkt am Gericht einzureichen, da der Streitwert der Klage des Beschwerdeführers nur Fr. 30'000.- beträgt.
Wie der Beschwerdeführer aber zutreffend vorbringt, machte er seine Klage nicht direkt beim Bezirksgericht anhängig und liess das Schlichtungsverfahren nicht aus. Vielmehr reichte er ein Schlichtungsgesuch gegen den Beschwerdegegner ein. Erst nach Einleitung des Schlichtungsgesuchs teilte der beklagte Beschwerdegegner mit, dass er nicht an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen werde. Daraufhin ersuchte der klagende Beschwerdeführer den Friedensrichter, von der Schlichtungsverhandlung dispensiert zu werden. Die Parteien verzichteten damit nicht auf das Schlichtungsverfahren, sofern sie erklärten nach Einleitung des Schlichtungsverfahrens einer nach dem anderen, dass sie an der Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen wollen. Die Parteien entsagten mit anderen Worten nicht dem Schlichtungs
verfahren
, sondern sie verzichteten übereinstimmend auf die Schlichtungs
verhandlung
.
4.2.2
Das Schlichtungsverfahren besteht aber im Wesentlichen aus der Schlichtungsverhandlung. In dieser Verhandlung sollen die Parteien zu einer Aussprache zusammengebracht werden (dazu nicht publ. E. 3.1). Teilen die Parteien der Schlichtungsbehörde nach der Einleitung des Schlichtungsverfahrens übereinstimmend mit, sie
BGE 146 III 185 S. 190
wollten nicht an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen, kommt dies einem gemeinsamen Verzicht auf das Schlichtungsverfahren gleich (CLAUDE SCHRANK, Das Schlichtungsverfahren nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 2015, Rz. 469; vgl. auch: GROLIMUND/BACHOFNER, Die Klagebewilligung als Prozessvoraussetzung - Zum Obligatorium des Schlichtungsverfahrens und zum persönlichen Erscheinen an der Schlichtungsverhandlung, in: Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, Festschrift für Thomas Sutter-Somm, Fankhauser und andere [Hrsg.], 2016, S. 137 ff., 151). Ein solcher gemeinsamer Verzicht bei einem Streitwert von unter Fr. 100'000.- ist daher nach
Art. 199 Abs. 1 ZPO
gesetzlich ausgeschlossen.
Andernfalls könnten die Parteien das vom Gesetzgeber vorgesehene Schlichtungsobligatorium für Streitigkeiten unter Fr. 100'000.- unterlaufen. Sie könnten nämlich zunächst ein Schlichtungsgesuch einreichen, anschliessend aber gemeinsam auf die Schlichtungsverhandlung verzichten, wobei sie vom früheren Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Einreichung des Schlichtungsgesuchs profitieren würden. Dieser Verzicht der Parteien beruht in aller Regel einzig auf deren Auffassung, dass ihnen eine Schlichtungsverhandlung nichts bringe. Bei einer Streitigkeit von unter Fr. 100'000.- ist aber diese Entscheidung der Privatautonomie der Parteien entzogen: Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers haben die Parteien für Streitigkeiten unter Fr. 100'000.- ein Schlichtungsverfahren durchzuführen, auch wenn sie es übereinstimmend nicht wollen (dazu oben E. 4.1.4).
4.2.3
Erklärt der Beklagte, er werde an der Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, darf die Schlichtungsbehörde den Kläger daher nicht von der Schlichtungsverhandlung dispensieren. Sie hat vielmehr am bereits angesetzten Termin festzuhalten und die Parteien allenfalls erneut auf die Erscheinungspflicht (
Art. 204 ZPO
; dazu nicht publ. E. 3.1) aufmerksam zu machen (DOLGE/INFANGER, Schlichtungsverfahren nach Schweizerischer Zivilprozessordnung, 2012, S. 127; SCHRANK, a.a.O., Rz. 469).
4.3
4.3.1
In der Lehre wird dagegen vorgebracht, dass die behördliche Strenge einseitig zu Lasten des Klägers gehe. Halte die Schlichtungsbehörde an der Schlichtungsverhandlung fest, werde der Kläger zu einer Narrenfahrt zum Friedensrichter gezwungen - der Beklagte geniesse den freien Tag. Der Beklagte dürfe weder polizeilich vorgeführt noch dürfe sein Schwänzen mit einer Ordnungsbusse belegt
BGE 146 III 185 S. 191
werden. Hier wäre Pragmatismus der Schlichtungsbehörde erwünscht. Die Justiz sei ein kostbares Gut: Leerlauf ertrage sie nicht. Die ZPO dürfe und solle mit Augenmass angewendet werden. Das Schlichtungsverfahren wolle dem Kläger einen ersten Schritt auf dem Rechtsweg erleichtern. Es gehe nicht darum, persönliches Erscheinen (einseitig) zu beüben (GASSER/MÜLLER/PIETSCH-KOJAN, Ein Jahr Schweizerische ZPO - ein Erfahrungsbericht, Anwaltsrevue 1/2012, S. 8 ff., S. 9).
4.3.2
Richtig ist, dass die Säumnisfolgen bei Nichterscheinen an der Schlichtungsverhandlung für den Kläger und den Beklagten in der Zivilprozessordnung unterschiedlich geregelt wurden (dazu nicht publ. E. 3.2): Möchte der Kläger das bei der Schlichtungsbehörde anhängig gemachte Verfahren vor Gericht weiterführen, ist er gehalten, persönlich an der Schlichtungsverhandlung teilzunehmen. Ist er nicht anwesend, wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben und er erhält die für die Einreichung der Klage vor Gericht benötigte Klagebewilligung nicht. Demgegenüber riskiert der Beklagte bei Nichterscheinen bloss, dass die Schlichtungsbehörde so verfährt, wie wenn keine Einigung zwischen den Parteien zu Stande gekommen ist, sie dem Kläger mithin in aller Regel die Klagebewilligung ausstellt.
Diese verschiedenen Konsequenzen des Nichterscheinens für Kläger und Beklagten sind aber eine direkte Folge davon, dass der Gesetzgeber die Säumnisfolgen in
Art. 206 ZPO
für die Prozessparteien ungleich geregelt hat. Der Kläger hat daher hinzunehmen, dass er, nicht aber der Beklagte, an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen muss, wenn er die Klagebewilligung erhalten möchte. Insoweit ist der Kläger, der die Klage gegen den Beklagten einleitete, zu einer Fahrt zur Schlichtungsbehörde gezwungen, auch wenn der Beklagte vorgängig mitteilte, er werde an der Verhandlung nicht erscheinen. Immerhin wird der Kläger nicht schlechter gestellt, als wenn der Beklagte unentschuldigt nicht an der Schlichtungsverhandlung teilnimmt.
Verstärkt wird die unterschiedliche Behandlung von Kläger und Beklagten dadurch, dass mangels gesetzlicher Grundlage das blosse Nichterscheinen an der Schlichtungsverhandlung nicht mit einer Ordnungsbusse belegt werden kann (dazu nicht publ. E. 3.3). Dem will die laufende Revision der Zivilprozessordnung abhelfen. Nach einem vorgesehenen Absatz 4 von
Art. 206 ZPO
können die Parteien, die nicht persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen, gebüsst werden. Im Gegensatz zur geltenden Rechtslage sollen dabei keine
BGE 146 III 185 S. 192
besonders qualifizierten Umstände, wie die Störung des Geschäftsgangs oder gar eine bös- oder mutwillige Prozessführung mehr vorzuliegen haben (Erläuternder Bericht zur Änderung der Zivilprozessordnung [Verbesserung der Praxistauglichkeit und Rechtsdurchsetzung] vom 2. März 2018, S. 67 f.).
4.4
4.4.1
In der Lehre wird im Weiteren postuliert, die Teilnahme des Klägers an der Schlichtungsverhandlung könne nicht verlangt werden, wenn von vornherein feststehe, dass die Schlichtungsverhandlung nicht durchgeführt und deren Zweck damit nicht erreicht werden könne. Wenn sich der Beklagte im anschliessenden Gerichtsverfahren auf den Standpunkt stellen würde, die Prozessvoraussetzung der erfolgten Schlichtung sei nicht gegeben, so würde er sich widersprüchlich verhalten und kaum richterlichen Schutz finden (MARTIN SCHMID, Praktische Fragen zum Schlichtungsverfahren, ZZZ 2011 S. 182 ff., S. 187). Gleiches gelte auch, wenn der Kläger aufgrund der Mitteilung des Beklagten nicht persönlich an der Schlichtungsverhandlung teilnehme, sondern einen Vertreter schicke. Stelle die Schlichtungsbehörde trotz fehlender persönlicher Teilnahme des Klägers eine Klagebewilligung aus, könne sich der säumige Beklagte im Gerichtsverfahren nicht darauf berufen, der Kläger sei nicht persönlich zur Schlichtungsverhandlung erschienen. Diese Rüge wäre rechtsmissbräuchlich, denn der Beklagte selbst habe durch seine pflichtwidrige Säumnis den Zweck der Schlichtungsverhandlung vereitelt (GROLIMUND/BACHOFNER, a.a.O., S. 151).
4.4.2
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das Vorliegen einer gültigen Klagebewilligung der Schlichtungsbehörde nach
Art. 209 ZPO
eine Prozessvoraussetzung ist, die das Gericht gemäss
Art. 60 ZPO
von Amtes wegen zu prüfen hat (
BGE 141 III 159
E. 2.1;
BGE 140 III 227
E. 3.2,
BGE 140 III 310
E. 1.3.2;
BGE 139 III 273
E. 2.1). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat das Gericht von Amtes wegen Abklärungen vorzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass ein Sachurteil trotz Fehlens einer Prozessvoraussetzung ergeht (Urteile 4A_427/2018 vom 14. September 2018 E. 4; 4A_229/2017 vom 7. Dezember 2017 E. 3.4.2). Das Gericht hat daher unabhängig vom Einwand des Beklagten den Tatsachen nachzugehen, welche die Gültigkeit der Klagebewilligung und damit die Zulässigkeit der Klage beeinflussen könnten. So ging in casu auch die Erstinstanz vor: Sie fällte nämlich nach Einreichung der Klageschrift einen Nichteintretensentscheid. Sie berücksichtigte mithin den Mangel, der sich unmittelbar aus der
BGE 146 III 185 S. 193
Klagebewilligung ergab, von Amtes wegen, ohne dass sich der beklagte Beschwerdegegner dazu äusserte (zur amtswegigen Tatsachenermittlung vgl. Urteile 5D_181/2017 vom 24. April 2018 E. 2.4.2; 4A_229/2017 vom 7. Dezember 2017 E. 3.4.2).
Der Richter hat somit auch ohne Einwand des Beklagten zu beurteilen, ob eine gültige Klagebewilligung vorliegt. Das Argument, der Einwand des Beklagten sei rechtsmissbräuchlich und auf die Klage sei daher trotz mangelhafter Klagebewilligung einzutreten, ist entsprechend nicht stichhaltig.
Hinzu kommt, dass das Zivilprozessrecht öffentliches Recht ist, mit grundsätzlich zwingenden Bestimmungen (
BGE 107 Ia 206
E. 3b S. 211; FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. I, 2. Aufl. 2016, Rz. 82 f.). Entsprechend besteht im Zivilprozessrecht generell auch wenig Raum, infolge Rechtsmissbrauchs von klaren Verfahrensvorschriften abzuweichen (
BGE 123 III 220
E. 4d S. 229), insbesondere dort, wo der Gesetzgeber klare Wertungsentscheide getroffen hat (
BGE 107 Ia 206
E. 3b S. 211; FRANÇOIS BOHNET, Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 25 zu
Art. 52 ZPO
; TARKAN GÖKSU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 27 zu
Art. 52 ZPO
; CHRISTOPH HURNI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 13 zu
Art. 52 ZPO
; SUTTER-SOMM/CHEVALIER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 22 zu
Art. 52 ZPO
), wie dies für die persönliche Teilnahmepflicht und die Säumnisfolgen im Schlichtungsverfahren - oben dargelegt - der Fall ist. Der Einwand des Beklagten, es fehle an einer gültigen Klagebewilligung, kann daher in der vorliegenden Konstellation auch aus diesem Grund nicht als rechtsmissbräuchlich ausgeschlossen werden.
4.4.3
In der Tat mag es aber aus der Sicht des Klägers unbefriedigend erscheinen an der Schlichtungsverhandlung teilzunehmen, obschon der Beklagte vorab mitteilte, er werde nicht erscheinen. Ist der Beklagte an der Verhandlung nicht anwesend, kann eine Aussprache zwischen den Parteien und damit der Zweck des Schlichtungsverfahrens nicht mehr erreicht werden. Ob aber ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien an der Schlichtungsverhandlung stattfinden kann, ergibt sich erst an der Verhandlung. Erst dann wird mit letzter Sicherheit klar, ob der Beklagte nicht doch zur Verhandlung
BGE 146 III 185 S. 194
erscheint. Es kann nämlich nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass er dennoch an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen wird. Dies vor allem dann, wenn ihn die Schlichtungsbehörde nach seiner Erklärung, er werde nicht erscheinen, nochmals auf die Erscheinungspflicht hinweist (dazu E. 4.2.3).
Entsprechend ist nach
Art. 147 Abs. 1 ZPO
eine Partei auch nicht schon säumig, wenn sie erklärt, sie werde an der Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, sondern erst dann, wenn sie (tatsächlich) "zu einem Termin nicht erscheint" ("ne se présente pas lorsqu'elle est citée à comparaître"/"benché citata, non compare"; DOLGE/INFANGER, a.a.O., S. 127; SCHRANK, a.a.O., Rz. 469). Aus diesem Grund kann vor der Schlichtungsverhandlung auch nicht endgültig davon ausgegangen werden, dass der Beklagte nicht erscheint und die Einigungsverhandlung nicht durchgeführt werden kann.
4.5
Nach dem Ausgeführten gilt somit: Erklärt der Beklagte gegenüber der Schlichtungsbehörde vorab, er werde an der einberufenen Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, hat die Schlichtungsbehörde am bereits festgesetzten Termin festzuhalten und die Parteien allenfalls erneut auf die Erscheinungspflicht aufmerksam zu machen. Die Schlichtungsbehörde darf den Kläger in diesem Fall nicht von der Schlichtungsverhandlung dispensieren und der Kläger hat trotz Mitteilung des Beklagten, er werde nicht kommen, an der Verhandlung teilzunehmen, allenfalls einzig um die Klagebewilligung abzuholen. | 8,624 | 3,368 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-146-III-185_2020-02-05 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=11&from_date=&to_date=&from_year=2020&to_year=2020&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=108&highlight_docid=atf%3A%2F%2F146-III-185%3Ade&number_of_ranks=124&azaclir=clir | BGE_146_III_185 |
|||
0089a09c-716a-4610-9e6e-f58785128a36 | 1 | 79 | 1,357,363 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 307
BGE 105 Ia 307 S. 307
Am 25. März 1970 erhob die Fortis-Uhren AG beim zuständigen kanadischen Gericht gegen die Lawrence Jusko & Co. Ltd. und Lawrence Jusko persönlich Klage auf Feststellung ihres Rechtes an der Handelsmarke "Flipper", auf Bezahlung von Schadenersatz sowie auf Gewährung weiterer immaterialgüterrechtlicher Schutzmassnahmen. Auf Gesuch der Klägerin erliess der zuständige Richter am 2. April 1970 eine superprovisorische Verfügung, mit der den Beklagten in verschiedener Hinsicht verboten wurde, die von der Klägerin beanspruchte Handelsmarke zu verwenden. In einer einstweiligen Verfügung
BGE 105 Ia 307 S. 308
vom 28. April 1970 wurde die superprovisorische Verfügung aufrechterhalten und zudem den Beklagten verboten, das Wort "Slipper" oder irgend ein anderes mit dem Wort "Flipper" verwechselbares Wort als Handelsmarke zu verwenden. Die beiden Verfügungen enthielten die Feststellung, dass die Klägerin bereit sei, bei Abweisung der Klage den Beklagten den aus den Verfügungen entstehenden Schaden zu ersetzen.
Am 14. August 1972 wies der zuständige kanadische Richter die Klage ab und ordnete an, dass der durch die provisorischen Massnahmen verursachte Schaden durch einen Richter oder eine andere zu bezeichnende Person ermittelt werde. Am 27. August 1973 wurde J. F. Denis Cousineau mit der Feststellung des Schadens beauftragt. In der Folge sandte der "Administrator of the Court" der Klägerin mit einem direkt an sie adressierten eingeschriebenen Brief unter anderem: das Urteil vom 14. August 1972, die Verfügung vom 27. August 1973 sowie die Erklärung der Beklagten, in der ein Schadenersatz in der Höhe von can. $ 107'387.50 verlangt wird.
Mit eingeschriebenem Brief vom 14. September 1973 bestätigte die Klägerin dem "Administrator of the Court", dass sie sein Schreiben am 3. September 1973 erhalten habe. Sie stellte gleichzeitig das Gesuch, die Frist für die Beantwortung der Schadenersatzforderung zu verlängern. Nichtsdestoweniger nahm sie aber materiell zu dieser Forderung Stellung und bezeichnete diese als stark übersetzt. Mit eingeschriebenem Brief vom 1. November 1973 wurde der Fortis-Uhren AG mitgeteilt, dass ihr die Fristverlängerung von 30 Tagen gewährt worden sei.
An einer Verhandlung, die der Schadensermittler Cousineau auf den 15. Februar 1974 festgesetzt hatte, war die Fortis-Uhren AG, obschon sie mit einem eingeschriebenen Brief dazu aufgefordert worden war, nicht vertreten. Am 2. April 1974 legte der Schadensermittler einen Bericht vor, in dem er den Schaden, welcher die Lawrence Jusko & Co. Ltd. und Lawrence Jusko erlitten hatten, auf can. $ 39'620.- festsetzte. Es ist nicht bekannt, ob und gegebenenfalls auf welche Weise dieser Bericht der Fortis-Uhren AG zugestellt worden ist.
Mit einem eingeschriebenen Brief vom 30. Mai 1974, welcher am 4. Juni 1974 zugestellt worden war, forderten die Anwälte der Lawrence Jusko & Co. Ltd. und von Lawrence Jusko die Fortis-Uhren AG auf, am 17. Juni 1974 an der Verhandlung
BGE 105 Ia 307 S. 309
vor dem Federal Court of Canada zu erscheinen, an welcher über den Antrag des Schadensermittlers Cousineau zu entscheiden war. Die Fortis-Uhren AG war an dieser Verhandlung nicht vertreten.
Mit Urteil vom 17. Juni 1974 verurteilte der Federal Court of Canada, Trial Division, die Fortis-Uhren AG zur Bezahlung von can. $ 39'620.- an die Gegenpartei sowie zu den Kosten. Gemäss offizieller Bescheinigung ist dieses Urteil in Rechtskraft erwachsen. Es ist nicht bekannt, ob und gegebenenfalls auf welche Weise dieses Urteil der Fortis-Uhren AG eröffnet wurde.
Am 27. Juli 1976 liessen die Lawrence Jusko & Co. Ltd. und Lawrence Jusko die Fortis-Uhren AG in Grenchen für Fr. 121'304.35 nebst 7% Zins ab 17. Juni 1974 betreiben. Dagegen erhob die Fortis-Uhren AG am 11. August 1976 Rechtsvorschlag. Die Schadenersatzgläubiger stellten darauf das Gesuch um definitive Rechtsöffnung. Der Gerichtspräsident von Solothurn-Lebern wies dieses Gesuch ab. Das Obergericht des Kantons Solothurn bestätigte in einem Rekursverfahren den erstinstanzlichen Entscheid.
Gegen den Entscheid des Obergerichts führen die Lawrence Jusko & Co. Ltd. und Lawrence Jusko staatsrechtliche Beschwerde. Sie rügen eine Verletzung von
Art. 4 BV
sowie von Art. 12 Ziff. 1 der solothurnischen Kantonsverfassung. | 953 | 731 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von
Art. 4 BV
und Art. 12 Ziff. 1 der solothurnischen Kantonsverfassung. Diese letztere Bestimmung bezieht sich ausdrücklich auf
Art. 4 BV
und hat darum keine selbständige Bedeutung.
2.
Zwischen der Schweiz und Kanada besteht kein Staatsvertrag betreffend die Anerkennung und Vollstreckung von Zivilurteilen. In einem solchen Fall obliegt es den Kantonen, die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen zu regeln, sofern nicht der Bund in einer bestimmten Materie diesbezügliche Vorschriften aufgestellt hat. Im vorliegenden Fall kommen keine bundesrechtlichen Bestimmungen für die Vollstreckung des kanadischen Urteils in Frage. Die kantonalen Instanzen haben somit zu Recht die Zulässigkeit der Vollstreckung dieses Urteils nach dem kantonalen Verfahrensrecht, d.h.
BGE 105 Ia 307 S. 310
nach der kantonalen Zivilprozessordnung (nachfolgend ZPO) beurteilt. Die Bestimmung, die hier von Bedeutung ist (
§ 323 Abs. 2 ZPO
), hat folgenden Wortlaut:
"Besteht mit einem ausländischen Staat kein Staatsvertrag über die Vollstreckung von Urteilen, so hat der Gerichtspräsident die Vollstreckung zu bewilligen:
a) wenn das Urteil rechtskräftig ist;
b) wenn das Urteil nach den
Grundsätzen des schweizerischen Rechtes vom örtlich zuständigen Gericht erlassen wurde;
c) wenn nachgewiesen ist, dass der Verurteilte zur Urteilsverhandlung gesetzlich vorgeladen wurde;
d) wenn die Vollstreckung nicht gegen die Grundsätze öffentlicher Ordnung und guter Sitte verstösst."
Die Anwendung dieser Bestimmung ist im vorliegenden Verfahren unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür zu überprüfen.
3.
a) Das Obergericht stellte fest, dass das kanadische Urteil vom 17. Juni 1974, um dessen Vollstreckung die Beschwerdeführer nachgesucht hatten, vom örtlich zuständigen Gericht gefällt worden und in Rechtskraft erwachsen sei. Es betrachtete darum die Vollstreckungsvoraussetzungen von
§ 323 Abs. 2 lit. a und b ZPO
als erfüllt. Es war aber der Auffassung, dass die Vorladung zur Urteilsverhandlung vom 17. Juni 1974 den Anforderungen vom
§ 323 Abs. 2 lit. c ZPO
nicht genüge.
Das Obergericht ging davon aus, dass für die Form und den Inhalt der Vorladung zu einer Urteilsverhandlung das Recht desjenigen Staates massgebend ist, dessen Gericht diese Vorladung erlassen hat. Im vorliegenden Fall beurteilte es darum die Vorladung zur Urteilsverhandlung vom 17. Juni 1974 in bezug auf Form und Inhalt nach kanadischem Recht und kam zum Schluss, dass die Vorladung in dieser Hinsicht keinen, die Vollstreckung ausschliessenden Mangel aufweise.
Für die eigentliche Zustellung (Aushändigung) der Vorladung an die in der Schweiz domizilierte Partei erachtete das Obergericht das schweizerische Recht als anwendbar. Dieses Recht, d.h. im vorliegenden Fall
§ 323 Abs. 2 lit. c ZPO
, wurde nach seiner Auffassung verletzt, da die Zustellung der Vorladung an die Fortis-Uhren AG nicht auf diplomatischem Weg, sondern durch die Post erfolgt war.
b) Die Zustellung von gerichtlichen Akten, wie z.B. einer Vorladung zu einer Urteilsverhandlung, stellt nach der traditionellen
BGE 105 Ia 307 S. 311
schweizerischen Auffassung vom Völkerrecht eine Amtshandlung dar, die auf fremdem Staatsgebiet nicht ohne Zustimmung des fremden Staates vorgenommen werden darf (
BGE 103 III 4
E. 2,
BGE 94 I 244
E. 5). Nach dieser Auffassung ist auch eine Postzustellung von gerichtlichen Akten in einem fremden Staat ohne dessen Zustimmung unzulässig. Die Schweiz hat in Anwendung dieses Grundsatzes die Postzustellung ausländischer Akten an Parteien, die in der Schweiz domiziliert sind, von jeher als Verletzung ihrer Gebietshoheit betrachtet (Gutachten des Bundesamtes für Polizeiwesen vom 7. Januar 1956, in VEB 26/1956, S. 26 ff.; MAX GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 20; HAUSER/HAUSER, Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich, N. 3 und 4 zu § 192). Andererseits hat das Bundesgericht gerichtliche Akten als nichtig erklärt, die von schweizerischen Behörden in Verletzung von (staatsvertraglichem) Völkerrecht durch die Post an Parteien mit Domizil im Ausland gesandt worden waren (
BGE 94 III 42
,
BGE 82 III 75
ff.,
BGE 76 III 79
, vgl. auch
BGE 90 IV 53
f. E. 2).
Auch gemäss den beiden Haager Übereinkommen vom 17. Juli 1905 (SR 0.274.11) und vom 1. März 1954 (SR 0.274.12) betreffend Zivilprozessrecht, die von der Schweiz, aber nicht von Kanada ratifiziert worden sind und daher im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen, ist die Postzustellung gerichtlicher Akten in einem fremden Staat nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Nach Art. 6, welcher in beiden Übereinkommen den gleichen Wortlaut hat, ist eine solche Postzustellung statthaft, wenn Abkommen zwischen den beteiligten Staaten sie einräumen oder wenn der Staat, auf dessen Gebiet die Zustellung erfolgen soll, nicht widerspricht. In bezug auf die Übereinkunft von 1905 brachte die Schweiz den Vertragsstaaten durch eine Note zur Kenntnis, dass die an sie zu richtenden Zustellungsbegehren dem Bundesrat auf diplomatischem Wege übermittelt werden sollten (vgl. Note zu Art. 1 Abs. 3 der Übereinkunft von 1905 sowie BBl 1910 I, S. 294 f. Ziff. 2). Damit widersprach die Schweiz der Postzustellung gerichtlicher Akten mindestens im Verhältnis zu den Vertragsstaaten.
In neueren Entscheiden hat das Bundesgericht jedoch die Postzustellung von ausländischen Urteilen an Parteien mit Wohnsitz in der Schweiz nicht beanstandet. In einem Fall ging
BGE 105 Ia 307 S. 312
es davon aus, dass im Rahmen des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 2. November 1929 (SR 0.276.191.361) die Vollstreckung nicht davon abhängig gemacht werde, dass das Urteil dem Beklagten in einer bestimmten Form zugestellt worden sei; in einer bestimmten Form müsse nur die den Rechtsstreit einleitende Ladung zugestellt werden. Die Vollstreckung des Urteils habe nur zu unterbleiben, wenn mit dessen Zustellung eine Vorschrift missachtet worden sei, von deren Einhaltung im Urteilsstaat der Eintritt der Rechtskraft abhänge. Mit der Postzustellung des Urteils in der Schweiz waren im genannten Fall weder der Eintritt der Rechtskraft verhindert worden, noch widersprach ein auf dieser Art rechtskräftig gewordenes Urteil nach der Auffassung des Bundesgerichts dem schweizerischen ordre public (
BGE 102 Ia 313
ff. E. 5, ähnlich
BGE 105 Ib 48
). In einem anderen Fall wurde die Frage offengelassen, ob die durch eine Postzustellung herbeigeführte Rechtskraft eines ausländischen Urteils den schweizerischen ordre public verletze (
BGE 96 I 398
f.).
Man kann sich fragen, ob diese Rechtsprechung mit der von der Schweiz vertretenen Auffassung im Einklang stehe, wonach die Postzustellung von ausländischen Gerichtsakten an Parteien mit Domizil in der Schweiz grundsätzlich unzulässig sei (vgl. die Kritik hinsichtlich
BGE 102 Ia 308
von JÖRG P. MÜLLER in ZBJV 114/1978, S. 91 ff.). Die Bedeutung dieser Rechtsprechung braucht hier allerdings nicht näher untersucht zu werden, da sich daraus auch dann nichts für den vorliegend zu entscheidenden Fall ableiten liesse, wenn das Bundesgericht von seinem Widerspruch gegen die Postzustellung von ausländischen Gerichtsakten abgewichen wäre.
c) Das Obergericht hat im vorliegenden Fall gestützt auf
§ 323 Abs. 2 lit. c ZPO
festgestellt, die Fortis-Uhren AG sei zur Urteilsverhandlung nicht gesetzlich vorgeladen worden. Dies entspricht der traditionellen schweizerischen Völkerrechtsauffassung betreffend die Zustellung von Akten ausländischer Gerichte an eine in der Schweiz domizilierte Partei. Der angefochtene Entscheid ist somit im Hinblick auf diese Völkerrechtsauffassung keinesfalls willkürlich.
Es ergibt sich aber auch kein anderer Schluss, wenn die
BGE 105 Ia 307 S. 313
Schweiz vom Widerspruch gegen die Postzustellung von ausländischen Gerichtsakten abgewichen sein sollte. Eine solche Änderung der Praxis würde sich vor allem im Rahmen der von der Schweiz abgeschlossenen Staatsverträge, insbesondere im Rahmen der Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht auswirken. In Bereichen, in denen die Vollstreckung von ausländischen Zivilurteilen aber weder in einem Staatsvertrag noch durch Bundesrecht geregelt wird und deshalb in die kantonale Zuständigkeit fällt, ist es den Kantonen nicht verwehrt, die Zustellung ausländischer Gerichtsakten in ihrem Kantonsgebiet an strengere Bedingungen zu knüpfen als diejenigen, die in den Staatsverträgen und im Bundesrecht gelten.
Sofern
§ 323 Abs. 2 lit. c ZPO
nicht schon aufgrund der traditionellen Völkerrechtsauffassung im Sinne der Unzulässigkeit der Postzustellung von ausländischen Gerichtsakten ausgelegt werden müsste, liesse sich eine solche Interpretation auch unabhängig davon, allein gestützt auf den Wortlaut und Zweck der Bestimmung, rechtfertigen. Der Wortlaut von
§ 323 Abs. 2 lit. c ZPO
ist weit und lässt es durchaus als haltbar erscheinen, wenn gestützt darauf - zum Schutze der im Kanton wohnhaften Personen - eine Postzustellung ausländischer Gerichtsakten als unzulässig erklärt wird. Der angefochtene Entscheid ist somit auch dann nicht willkürlich, wenn angenommen würde, dass die Schweiz vom Widerspruch gegen die genannte Postzustellung abgewichen sei.
4.
Ein Mangel einer gerichtlichen Verfügung kann durch das spätere Verhalten des Adressaten geheilt werden. Wer ohne Vorbehalt eine Vorladung oder eine andere Verfügung befolgt, kann nachträglich nicht mehr deren Mängel rügen, ohne den Grundsatz von Treu und Glauben zu verletzen (
BGE 58 I 187
).
Die Beschwerdeführer machen geltend, die Fortis-Uhren AG habe sich durch ihre ursprüngliche Klageerhebung vor dem kanadischen Gericht auch in bezug auf die Schadenersatzforderung eingelassen, denn die Klage und die Schadenersatzforderung bildeten ein einziges Verfahren. Ferner habe sie im Zusammenhang mit dem Erlass der einstweiligen Verfügung eine allfällige Schadenersatzforderung anerkannt. Auch damit sei die kanadische Gerichtsbarkeit anerkannt worden. Schliesslich habe sich die Fortis-Uhren AG ohne Vorbehalt auf die Behandlung der Schadenersatzforderung eingelassen, indem sie gegenüber dem gerichtlichen Schadensermittler zu dieser Forderung
BGE 105 Ia 307 S. 314
Stellung genommen und im übrigen ein Fristerstreckungsgesuch eingereicht habe.
Es braucht nicht untersucht zu werden, ob sich die Fortis-Uhren AG durch ihre Klageerhebung auch in bezug auf die Schadenersatzforderung vor dem kanadischen Richter eingelassen hat. Als Einlassung muss aber das Schreiben vom 14. September 1973 bewertet werden, in dem sie ohne Vorbehalt zur Schadenersatzforderung der Beschwerdeführer Stellung nahm. Mit diesem Schreiben werden allfällige Fehler in der Zustellung von früheren prozessleitenden Verfügungen geheilt. Nicht geheilt werden aber Fehler in der Zustellung von Verfügungen, die nach diesem Schreiben erlassen wurden, denn die Beschwerdegegnerin hat mit ihrer Einlassung nicht auf die gesetzliche Zustellung zukünftiger Verfügungen verzichtet und kann sich daher ohne Verstoss gegen Treu und Glauben auf das Fehlen einer gesetzlichen Vorladung zur Urteilsverhandlung im Sinne von
§ 323 Abs. 2 lit. c ZPO
berufen.
Dass sich die Fortis-Uhren AG in einem Verfahren, das sie verursacht und auf das sie sich eingelassen hat, plötzlich ohne Grundangabe nicht mehr beteiligt, entspricht zwar nicht den Regeln guter Geschäftsführung. Dieser Umstand verwehrt es der Fortis-Uhren AG aber nicht, sich darauf zu berufen, dass der Prozess auch in ihrer Abwesenheit nach den einschlägigen rechtlichen Regeln geführt wird. Darum ist auch in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden, dass sich die Fortis-Uhren AG der Vollstreckung des kanadischen Urteils mit dem Hinweis auf die fehlerhafte Zustellung der Vorladung zur Urteilsverhandlung widersetzt.
5.
Das Obergericht hat ausgeführt, die Vollstreckung des kanadischen Urteils müsse auch darum verweigert werden, weil dieses Urteil und dessen Zustellung den schweizerischen ordre public verletzten. Wie es sich damit verhält, braucht hier nicht geprüft zu werden, da die Vollstreckung des Urteils ohne Willkür bereits wegen der mangelhaften Zustellung der Vorladung zur Urteilsverhandlung verweigert werden durfte. | 2,563 | 2,048 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | 17 | 13 | CH_BGE_002 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_002_BGE-105-Ia-307_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=26&from_date=&to_date=&from_year=1979&to_year=1979&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=254&highlight_docid=atf%3A%2F%2F105-IA-307%3Ade&number_of_ranks=371&azaclir=clir | BGE_105_Ia_307 |
||
008f4ae8-37e3-4dec-898f-3a586ba873f7 | 2 | 84 | 1,350,933 | 1,500,422,400,000 | 2,017 | fr | Sachverhalt
ab Seite 262
BGE 143 V 261 S. 262
A.
A.a
Ressortissante d'un Etat membre de l'Union européenne, domiciliée dans le canton de Vaud, A. présente un trouble du spectre autistique. L'Office de l'assurance-invalidité pour le canton de Vaud (ci-après: l'office AI) lui a octroyé une allocation pour impotent mineur à partir du 1
er
janvier 2013, en raison d'abord d'une impotence faible (janvier 2013), puis moyenne (dès février 2013), ainsi qu'un supplément pour soins intenses dès le 1
er
novembre 2013 (décisions du 18 juin 2014). Il a également pris en charge les coûts du traitement de son infirmité congénitale pour la période courant du 27 janvier 2012 au 30 septembre 2014 (communication du 29 juillet 2015).
A.b
En octobre 2014, l'office AI a appris que B. et C., les parents de l'enfant, travaillaient désormais tous les deux comme fonctionnaires internationaux et n'étaient pour ce motif plus assujettis à l'assurance-vieillesse et survivants et à l'assurance-invalidité (AVS/AI); depuis 2005 pour le père et depuis juin 2014 pour la mère. Par décisions du 25 septembre 2015, l'office AI a, en premier lieu, mis un terme au versement de l'allocation pour impotent et au supplément pour soins intenses avec effet au 30 septembre 2014 et, en second lieu, nié le droit de A. à des mesures médicales sur le plan pédopsychiatrique au-delà du 30 septembre 2014.
B.
Statuant le 11 novembre 2016 sur le recours formé par l'enfant, le Tribunal cantonal du canton de Vaud, Cour des assurances sociales, l'a admis; il a annulé les décisions du 25 septembre 2015.
C.
L'office AI interjette un recours en matière de droit public contre le jugement cantonal, en concluant à son annulation et à la confirmation des décisions rendues le 25 septembre 2015. (...)
A. conclut au rejet du recours, en se référant pour l'essentiel au jugement entrepris. Pour sa part, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) propose l'admission des conclusions du recours.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement le recours.
(extrait) | 489 | 428 | Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le litige porte, d'une part, sur la suppression par la voie de la révision (
art. 17 LPGA
) du droit de l'intimée à une allocation pour impotent de degré moyen et à un supplément pour soins intenses avec effet au 30 septembre 2014 et, d'autre part, sur le refus de lui
BGE 143 V 261 S. 263
octroyer des mesures médicales au-delà de cette date. Il s'agit, en particulier, d'examiner si la juridiction cantonale a maintenu à juste titre le droit aux prestations de l'assurance-invalidité en cause, nonobstant l'absence d'assujettissement à l'AVS/AI des parents de l'enfant dès juin 2014.
3.
Selon l'
art. 6 al. 2 LAI
, les étrangers ont droit aux prestations de l'assurance-invalidité, sous réserve de l'
art. 9 al. 3 LAI
, aussi longtemps qu'ils conservent leur domicile et leur résidence habituelle (
art. 13 LPGA
) en Suisse, mais seulement s'ils comptent, lors de la survenance de l'invalidité, au moins une année entière de cotisations ou dix ans de résidence ininterrompue en Suisse. Aucune prestation n'est allouée aux proches de ces étrangers s'ils sont domiciliés hors de Suisse.
Sous la let. C du chapitre III ("Les prestations") de la LAI relatif notamment aux mesures de réadaptation - dont font partie les mesures médicales au sens de l'
art. 13 LAI
(
art. 8 al. 3 let. a LAI
) - l'
art. 9 al. 1
bis
à 3 LAI
prévoit ce qui suit:
"
1bis
Le droit aux mesures de réadaptation prend naissance au plus tôt au moment de l'assujettissement à l'assurance obligatoire ou facultative et s'éteint au plus tard à la fin de cet assujettissement.
2
Une personne qui n'est pas ou n'est plus assujettie à l'assurance a toutefois droit aux mesures de réadaptation jusqu'à l'âge de 20 ans au plus si l'un de ses parents:
a. est assuré facultativement;
b. est assuré obligatoirement pour une activité professionnelle exercée à l'étranger:
1. conformément à l'art. 1a, al. 1, let. c, LAVS,
2. conformément à l'art. 1a, al. 3, let. a, LAVS,
3. en vertu d'une convention internationale.
3
Les ressortissants âgés de moins de 20 ans qui ont leur domicile et leur résidence habituelle (
art. 13 LPGA
) en Suisse ont droit aux mesures de réadaptation s'ils remplissent eux-mêmes les conditions prévues à l'art. 6, al. 2, ou si:
a. lors de la survenance de l'invalidité, leur père ou mère compte, s'il s'agit d'une personne étrangère, au moins une année entière de cotisations ou dix ans de résidence ininterrompue en Suisse; et si
b. eux-mêmes sont nés invalides en Suisse ou, lors de la survenance de l'invalidité, résidaient en Suisse sans interruption depuis une année au moins ou depuis leur naissance. Sont assimilés aux enfants nés en Suisse les enfants qui ont leur domicile et leur résidence habituelle
BGE 143 V 261 S. 264
en Suisse, mais qui sont nés invalides à l'étranger, si leur mère a résidé à l'étranger deux mois au plus immédiatement avant leur naissance. Le Conseil fédéral décide dans quelle mesure l'AI prend en charge les dépenses occasionnées à l'étranger par l'invalidité."
Aux termes de l'
art. 42
bis
al. 2 LAI
, les étrangers mineurs ont également droit à l'allocation pour impotent s'ils remplissent les conditions prévues à l'
art. 9 al. 3 LAI
.
Selon l'
art. 35 RAI
(RS 831.201), le droit à l'allocation pour impotent prend naissance le premier jour du mois au cours duquel toute les conditions de ce droit sont remplies (al. 1). Lorsque, par la suite, le degré d'impotence subit une modification importante, les art. 87-88
bis
sont applicables. Le droit à l'allocation s'éteint à la fois du mois au cours duquel l'une des autres conditions de ce droit n'est plus remplie ou au cours duquel le bénéficiaire du droit est décédé.
4.
4.1
La juridiction cantonale a constaté que l'intimée, dont les deux parents étaient exemptés de l'assujettissement à l'AVS/AI depuis le 2 juin 2014, réalisait les conditions d'assurance définies à l'
art. 9 al. 3 LAI
au moment de la survenance de l'invalidité. C. avait en effet compté à ce moment-là plus d'une année entière de cotisations, alors que l'enfant résidait en Suisse depuis sa naissance. Pour les premiers juges, l'
art. 9 al. 3 LAI
constitue une norme spéciale en ce sens qu'il fait résulter le droit aux prestations directement du lien de filiation, faisant du statut des parents au regard de l'AVS/AI au moment de la survenance de l'invalidité de l'enfant le critère décisif pour déterminer si celui-ci réalise les conditions d'assurance. Au demeurant, ils ont rappelé que la qualité d'assuré ne constitue plus une condition générale d'octroi des prestations de l'assurance-invalidité, la clause d'assurance ayant été supprimée le 1
er
janvier 2001. Dans ces circonstances, et au vu du caractère strictement personnel de la qualité d'assuré, la juridiction cantonale a considéré que les motifs pouvant justifier de mettre un terme au droit aux prestations ne pouvaient résulter que de changements dans la situation de la personne assurée au regard des conditions d'assurance ou des conditions matérielles de la prétention; aucune règle légale ne permettait en effet d'exclure un enfant de l'assurance au seul motif que ses parents en sont exemptés en vertu de l'
art. 1a al. 2 let. a LAVS
. Elle en déduit que la seule condition que l'intimée doit respecter afin de continuer à bénéficier des prestations de l'assurance-invalidité est de conserver son domicile et sa résidence habituelle en Suisse; cette condition étant
BGE 143 V 261 S. 265
réalisée, l'office AI n'était pas en droit de mettre un terme aux prestations qu'il avait allouées.
4.2
Invoquant une violation du droit fédéral, l'office recourant fait valoir que l'
art. 9 al. 1
bis
LAI
relatif aux conditions d'assurance prévoit expressément un lien entre l'assujettissement à l'AVS/AI et le droit aux mesures de réadaptation. Selon lui, dès lors que les deux parents de l'enfant sont exemptés de cet assujettissement, l'intimée n'y est pas non plus assujettie. Elle ne saurait dès lors être assurée par le biais de l'activité lucrative exercée en Suisse par sa mère - ce que confirmerait l'arrêt 9C_254/2014 du 26 août 2014 publié aux
ATF 140 V 385
-, à la différence de ce qui était le cas au moment de la survenance du cas d'assurance. Aussi, l'intimée a-t-elle "perd[u] sa qualité d'assuré[e]", si bien qu'elle n'a plus droit aux prestations.
4.3
L'OFAS se rallie à l'argumentation du recourant, en soulignant que l'
art. 9 al. 1
bis
LAI
exige expressément et clairement un lien entre l'assujettissement à l'assurance et le droit aux mesures de réadaptation. Il invoque par ailleurs le principe de l'interdiction de la discrimination fondée sur la nationalité prévu par l'Accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse, d'une part, et la Communauté européenne et ses Etats membres, d'autre part, sur la libre circulation des personnes (Accord sur la libre circulation des personnes, ALCP; RS 0.142.112.681), compte tenu de la nationalité italienne de l'intimée. Il soutient qu'un enfant de parents suisses qui seraient exemptés de l'assujettissement à l'AVS se verrait également, dans un cas similaire, perdre ou refuser le droit à des mesures de réadaptation.
5.
5.1
En lui-même, le texte de l'
art. 9 al. 3 let. a LAI
- les conditions de la let. b ne sont pas en cause en l'espèce - ne prête pas à discussion: pour fonder le droit d'un ressortissant étranger âgé de moins de 20 ans ayant son domicile et sa résidence habituelle en Suisse à des mesures de réadaptation, il suffit que son père ou sa mère, s'il s'agit d'une personne étrangère, compte au moins une année entière de cotisations ou une résidence ininterrompue de dix ans en Suisse lorsque survient l'invalidité. La disposition ne prévoit pas que le père ou la mère doive être assuré au moment de la survenance de l'invalidité. Comme l'a rappelé la juridiction cantonale, cette condition d'assurance a été supprimée avec l'entrée en vigueur, le 1
er
janvier 2001, du chiffre 1 de l'annexe à la modification de la LAVS du 23 juin 2000 (RO 2000 2677, 2683; voir aussi arrêt I 142/04 du 19 septembre 2006
BGE 143 V 261 S. 266
consid. 5.1, in SVR 2007 IV n° 20 p. 70). Depuis lors, la qualité d'assuré des parents ne représente plus une exigence pour l'octroi des mesures de réadaptation en faveur des enfants (Message du 28 avril 1999 concernant une modification de la loi fédérale sur l'assurance-vieillesse et survivants [révision de l'assurance facultative], FF 1999 4601 ss ch. 222 p. 4629). Les termes "est assuré" (dans la phrase "si lors de la survenance de l'invalidité, leur père ou mère est assuré et, lorsqu'il s'agit d'étrangers, compte au moins une année entière de cotisations [...]") mentionnés à l'ancien
art. 9 al. 3 LAI
dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 2000 ont été abrogés. Il s'ensuit que l'
art. 9 al. 3 let. a LAI
ne fait pas dépendre le bénéfice des mesures de réadaptation de l'assujettissement de l'ayant droit (
ATF 115 V 11
consid. 3b/bb p. 15) ou de l'un de ses parents à l'AVS/AI au moment de la survenance de l'invalidité.
5.2
Cela étant, à l'inverse de ce qu'a retenu la juridiction cantonale, l'exigence d'un lien d'assurance entre l'enfant ou l'un de ses parents et l'AVS/AI ou, en d'autres termes, le maintien de la qualité d'assuré pendant la durée de perception des prestations de l'assurance-invalidité en cause résulte de l'
art. 9 LAI
et de sa systématique.
5.2.1
Il ressort tant de l'
art. 8 al. 1 LAI
, selon lequel "les assurés invalides ou menacés d'une invalidité ont droit à des mesures de réadaptation" aux conditions énumérées, que de l'
art. 9 al. 1
bis
LAI
qu'une personne doit en principe être assurée pour prétendre des mesures de réadaptation (cf.
ATF 132 V 244
consid. 6.3.2 p. 254; arrêt I 169/03 du 12 janvier 2005 consid. 5.1.3 in fine, in SVR 2005 IV n° 34 p. 125). Conformément à cette seconde disposition, dès que la personne concernée n'est plus couverte par l'assurance obligatoire ou facultative, son droit aux prestations s'éteint; elle perd donc son droit aux mesures de réadaptation en même temps qu'elle cesse d'être assurée (au sens de l'
art. 1b LAI
en relation avec les
art. 1a et 2 LAVS
). En d'autres termes, la condition d'assurance doit être réalisée dès et aussi longtemps que la personne concernée entend bénéficier de mesures de réadaptation (MEYER/REICHMUTH, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3
e
éd. 2014, n° 8 ad
art. 9 LAI
); la qualité d'assuré ne doit en revanche (pas forcément) avoir existé au moment de la survenance de l'invalidité (plus, depuis la suppression de la clause d'assurance au 1
er
janvier 2001, à l'ancien
art. 6 LAI
[modification de la LAVS du 23 juin 2000; RO 2000 2677, 2683]; sur ce point, arrêt I 169/03 cité consid. 5.1.3).
BGE 143 V 261 S. 267
A l'occasion des modifications de la LAI du 6 octobre 2006 (5
e
révision de l'AI), entrées en vigueur le 1
er
janvier 2008, le législateur a introduit l'
art. 9 al. 1
bis
LAI
afin d'inscrire dans la loi les conditions d'assurance qui figuraient jusqu'alors à l'ancien art. 22
quater
al. 1 RAI. La disposition réglementaire avait quant à elle été introduite (au 1
er
janvier 2001; RO 2001 89) pour préciser la notion d'assurance qui n'aurait sinon plus été suffisamment circonscrite en raison des modifications apportées à l'ancien
art. 6 al. 1 LAI
. Aussi, l'art. 22
quater
al. 1 RAI a-t-il prévu le lien entre l'assujettissement à l'assurance et l'octroi des mesures de réadaptation (Commentaire de l'OFAS concernant les modifications du RAI du 4 décembre 2000, p. 2).
5.2.2
En dehors des situations dans lesquelles une norme du droit conventionnel de la sécurité sociale permet de faire exception au principe de l'assurance (pour des exemples, SILVIA BUCHER, Eingliederungsrecht der Invalidenversicherung, 2011, p. 39 s. n. 67 ss), l'
art. 9 al. 2 LAI
prévoit les cas dans lesquels il est fait abstraction de la condition d'assurance de l'ayant droit ("une personne qui n'est pas ou n'est plus assujettie à l'assurance") parce que l'un de ses parents est assuré facultativement ou obligatoirement conformément aux dispositions mentionnées de la LAVS ou d'une convention internationale. Cette norme règle les exceptions à l'
art. 9 al. 1
bis
LAI
(
ATF 137 V 167
consid. 4.3 p. 172) et reprend, dans une formulation plus étendue, l'ancien art. 22
quater
al. 2 RAI (en vigueur du 1
er
janvier 2001 au 31 décembre 2007; Message du 22 juin 2005 concernant la modification de la loi fédérale sur l'assurance-invalidité [5
e
révision de l'AI], FF 2005 4215, 4316 ch. 2.1). La disposition réglementaire avait été introduite pour tenir compte, en tant qu'exception au principe de l'assujettissement, des enfants qui, contrairement à leurs parents, étaient dans l'impossibilité d'adhérer à l'assurance facultative (Commentaire de l'OFAS concernant les modifications du RAI du 4 décembre 2000, p. 2).
5.2.3
Comme l'
art. 9 al. 2 LAI
, l'al. 3 de la disposition fait dépendre le droit aux mesures de réadaptation non pas exclusivement du statut de l'ayant droit au regard de l'AVS/AI, mais également et, cas échéant, seulement de celui de l'un au moins de ses parents (dans ce sens, EVA SLAVIK, IV-Leistungen: Eingliederung [ohne Hilfsmittel] und Taggelder, in Recht der Sozialen Sicherheit, 2014, p. 688 s. n. 20.6). Il prévoit des conditions particulières pour les ressortissants étrangers qui n'ont pas atteint l'âge de vingt ans révolus, par rapport à celles de l'
art. 6 al. 2 LAI
. Cet alinéa a pour but d'éviter que
BGE 143 V 261 S. 268
les enfants invalides de ressortissants étrangers ne bénéficient de mesures de réadaptation plusieurs années seulement après la survenance de l'atteinte à la santé, ce qui compromettrait gravement le succès de ces mesures (
ATF 115 V 11
consid. 3b/aa p. 14). Avec l'introduction de l'
art. 9 al. 3 LAI
(initialement, art. 9 al. 4), "les conditions de durée de cotisations et d'assurance dev[aient] être considérées comme remplies par les enfants invalides d'étrangers et d'apatrides dont les parents rempliss[ai]ent eux-mêmes ces conditions" (Message du 24 octobre 1958 relatif à un projet de loi sur l'assurance-invalidité ainsi qu'à un projet de loi modifiant celle sur l'assurance-vieillesse et survivants, FF 1958 II 1161, 1195 s. sous 2
e
partie, E.I.3f). Comme l'a retenu la juridiction cantonale en se référant à l'
ATF 115 V 11
, l'
art. 9 al. 3 LAI
constitue une norme spéciale, dans la mesure où, dans un système légal qui ignore en principe la notion d'assurance familiale, il fait résulter le droit aux prestations directement du lien de filiation, et non de l'assujettissement de l'ayant droit lui-même à l'AVS/AI.
Toutefois, le fait que c'est le statut des parents dans l'AVS/AI qui constitue le critère décisif, et non pas celui de l'ayant droit (consid. 5.1 supra), ne permet pas d'ignorer la condition d'assurance prévue par l'
art. 9 al. 1
bis
LAI
et la seule exception à celle-ci prévue par l'
art. 9 al. 2 LAI
. Si pour l'ouverture du droit aux mesures de réadaptation, il suffit que l'un des parents ait cotisé au moins une année ou résidé de manière ininterrompue en Suisse pendant dix ans, il faut encore pour la naissance et le maintien du droit qu'il existe un lien d'assurance de l'ayant droit lui-même ou, conformément à l'
art. 9 al. 2 LAI
, de l'un de ses parents pendant la durée du versement des prestations. La condition d'assurance est dès lors réalisée si au moins l'un des parents est assujetti à l'AVS/AI, même si l'ayant droit ne l'est pas lui-même. En d'autres termes, le droit aux mesures de réadaptation au sens de l'
art. 9 al. 3 LAI
s'éteint - en vertu de l'
art. 9 al. 1
bis
LAI
- si l'assujettissement du (seul) parent assuré prend fin et que les conditions de l'
art. 9 al. 2 LAI
ne sont partant pas réalisées. En conclusion, compte tenu de la systématique de l'
art. 9 LAI
, il doit exister un lien d'assujettissement de l'ayant droit ou de l'un au moins de ses parents pendant la durée de l'allocation des prestations en cause également lorsque le droit à ces prestations est fondé sur l'
art. 9 al. 3 LAI
.
5.3
Il résulte de ce qui précède que la juridiction cantonale n'était pas en droit de maintenir les prestations en cause compte tenu de la fin
BGE 143 V 261 S. 269
de l'assujettissement de la mère de l'intimée à l'AVS/AI. Dans ces circonstances, elle ne pouvait pas s'abstenir d'examiner la question de savoir si l'intimée partageait les privilèges et immunités accordés à ses parents ou pouvait se prévaloir de son statut actuel au regard du droit des étrangers (consid. 4 du jugement entrepris). Dans l'hypothèse où A. réaliserait elle-même les conditions d'assujettissement à l'AVS/AI conformément à l'
art. 9 al. 1
bis
LAI
, le droit aux prestations litigieuses pourrait être maintenu.
En l'absence de toute constatation quant au statut de l'intimée au regard de l'assujettissement à l'AVS/AI, il convient de renvoyer la cause à la juridiction cantonale pour qu'elle examine ce point et rende une nouvelle décision.
5.4
On précisera qu'il n'y a pas lieu d'examiner plus avant les autres griefs du recourant et de son autorité de surveillance quant à l'application de l'ALCP et du principe de l'égalité de traitement que prévoit cet accord. A défaut de toute explication sur ce point, on ne peut déduire de leur argumentation quelle situation précise devrait être comparée à celle de l'intimée et en quoi l'administration est en droit de se prévaloir de l'interdiction de la discrimination. On ne voit pas non plus, faute de toute motivation sur ce point, en quoi l'application de l'ALCP devrait conduire à écarter celle du droit suisse. (...) | 4,537 | 3,950 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-143-V-261_2017-07-19 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=11&from_date=&to_date=&from_year=2017&to_year=2017&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=109&highlight_docid=atf%3A%2F%2F143-V-261%3Ade&number_of_ranks=283&azaclir=clir | BGE_143_V_261 |
|||
008f883d-dded-498d-983c-16f8be2304b6 | 1 | 83 | 1,346,739 | -189,388,800,000 | 1,964 | de | Beurteilung der Erheblichkeit neuer Beweismittel im Falle, dass dem frühern Urteil (Schwurgerichtsurteil) nicht zu entnehmen ist, auf welchen Sachverhalt es im fraglichen Punkte abstellte.
Feststellung dieses Sachverhalts im Wiederaufnahmeverfahren.
Entsprechende Anwendung von
Art. 277 BStP
?
Sachverhalt
ab Seite 254
BGE 90 IV 254 S. 254
Das Schwurgericht des Kantons Zürich verurteilte H. am 5. Juli 1949 u.a. wegen vollendeten Mordversuchs und Raubs gegenüber K. zu 20 Jahren Zuchthaus. Am 12. September 1962 stellte H. (der mit seinen Messerstichen einen nächtlichen homosexuellen Angriff seines Zimmergenossen K. abgewehrt haben will) beim Obergericht des Kantons Zürich das Gesuch um Wiederaufnahme des Strafverfahrens, weil er nachweisen könne, dass K. falsches Zeugnis abgelegt habe, indem er bestritt, homosexuell veranlagt zu sein und je homosexuelle Beziehungen unterhalten zu haben. Nach einer Aktenergänzung hat das Obergericht das Wiederaufnahmegesuch am 8. Juli 1964 abgewiesen; dies in erster Linie mit der Begründung, die Aktenergänzung habe zwar den Verdacht einer homosexuellen Annäherung K.s an H. verstärkt, doch habe sich dieser Verdacht schon im frühern Verfahren aufgedrängt.
Der Kassationshof weist die Nichtigkeitsbeschwerde H.s gegen das obergerichtliche Urteil ab.
BGE 90 IV 254 S. 255 | 296 | 214 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Wie das Schwurgericht die Frage beurteilte, ob K. homosexuell veranlagt sei und sich dem Beschwerdeführer in unzüchtiger Weise genähert habe, lässt sich seinem Urteil nicht entnehmen. Wollte die Vorinstanz prüfen, ob die aus den ergänzten Akten zu ziehenden Schlüsse in diesem Punkte wesentlich vom Beweisergebnis des frühern Verfahrens abweichen, so blieb ihr also nichts anderes übrig, als dieses Beweisergebnis anhand der Akten, die dem Schwurgericht vorlagen, selbst zu ermitteln. Indem sie dies tat, hat sie nicht gegen Bundesrecht verstossen.
Der Beschwerdeführer macht freilich geltend, dieses Vorgehen verletze
Art. 397 StGB
, weil es an die Stelle der fehlenden tatsächlichen Feststellungen des Schwurgerichts "fragwürdige Hypothesen" setze und weil die Verweigerung der Wiederaufnahme auf Grund solcher Vermutungen dem Zweck der genannten Bestimmung (Beseitigung von Justizirrtümern) zuwiderlaufe. Die Vorinstanz hat sich jedoch nicht auf Vermutungen darüber beschränkt, was die Geschworenen semerzeit gedacht haben dürften, sondern auf Grund ihrer eigenen Würdigung der Akten festgestellt, welche tatsächlichen Schlüsse sich im frühern Verfahren objektiv rechtfertigten. Ihr Urteil stützt sich also nicht auf blosse Hypothesen.
Dem Beschwerdeführer ist auch nicht zuzugeben, dass im Wiederaufnahmeverfahren
Art. 277 BStP
entsprechend anzuwenden sei, wenn das frühere Urteil nicht hinlänglich erkennen lässt, welche Tatsachen damals als feststehend und welche Anbringen des Anklägers oder Einwendungen des Angeklagten als nicht bewiesen oder rechtlich unerheblich betrachtet wurden, und daher Mängel aufweist, die eine Nachprüfung der Gesetzesanwendung verunmöglichen (vgl.
BGE 78 IV 134
ff.). Im Wiederaufnahmeverfahren ist nicht die Gesetzesanwendung zu überprüfen, die dem - rechtskräftig gewordenen - frühern Urteil zugrunde liegt. Daher können Mängel dieses Urteils im Wiederaufnahmeverfahren nicht geltend gemacht werden. Sie bilden
BGE 90 IV 254 S. 256
keinen Wiederaufnahmegrund und entbinden die mit dem Wiederaufnahmegesuch befasste Behörde nicht von der Prüfung der Frage, ob die neu beigebrachten Tatsachen oder Beweismittel im Sinne von
Art. 397 StGB
erheblich seien. Wenn es für die Beurteilung dieser Frage darauf ankommt, auf welchem Sachverhalt das frühere Urteil beruht, ist das, soweit dieses Urteil hierüber keinen Aufschluss gibt, im Wiederaufnahmeverfahren festzustellen, wie es im vorliegenden Falle geschehen ist.
Gegen die Feststellung der Vorinstanz, der Verdacht einer homosexuellen Annäherung habe sich schon im frühern Verfahren aufgedrängt, ist demnach vom Standpunkte des Bundesrechts aus nichts einzuwenden. Stellt man auf diese Feststellung ab, so ist aber auch nicht als bundesrechtswidrig zu beanstanden, dass die Vorinstanz fand, die Abnahme der neuen Beweise (die sich nicht auf den Hergang der Tat, sondern nur auf die Frage der homosexuellen Veranlagung K.s bezogen) habe am Beweisergebnis des frühern Verfahrens nichts Wesentliches geändert und die neuen Beweismittel seien deshalb unerheblich. | 629 | 493 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-90-IV-254_1964 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=1&from_date=&to_date=&from_year=1964&to_year=1964&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=1&highlight_docid=atf%3A%2F%2F90-IV-254%3Ade&number_of_ranks=190&azaclir=clir | BGE_90_IV_254 |
|||
0091cc41-4c9c-4086-9f61-d3de510f067b | 2 | 83 | 1,336,053 | 1,431,388,800,000 | 2,015 | fr | Sachverhalt
ab Seite 285
BGE 141 IV 284 S. 285
A.
Le 25 novembre 2010, la Banque G. a signalé au Bureau de communication en matière de blanchiment d'argent (MROS) une possible infraction de la part de l'un de ses clients; à l'appui de ses soupçons, la banque a notamment produit des rapports internes relatifs à la gestion de cette relation d'affaires. Le MROS a dénoncé ce cas le 6 décembre 2010 au Ministère public de l'Etat de Fribourg, lequel a ouvert une enquête pénale contre H. pour diverses infractions économiques. Une plainte pénale a été déposée le 27 juin 2011 et l'instruction a été suspendue le 27 mars 2012.
Le 22 mars et le 4 avril 2012, l'Autorité fédérale de surveillance des marchés financiers (FINMA) a dénoncé au Procureur fribourgeois les cosignataires de la dénonciation du 25 novembre 2010 au MROS, soit A., fondé de pouvoir à la Banque G. en charge des relations bancaires de H., ainsi que I., responsable du service "compliance" de la Banque G., pour défaut de vigilance en matière d'opérations financières et droit de communication (art. 305
ter
CP) et pour violation de son devoir d'annonce (art. 37 de la loi fédérale du 10 octobre 1997 concernant la lutte contre le blanchiment d'argent et le financement du terrorisme dans le secteur financier [LBA; RS 955.0]).Le 4 avril 2012, le Ministère public a ouvert une procédure pénale contre les deux banquiers, instruction ensuite étendue à l'infraction de
BGE 141 IV 284 S. 286
blanchiment d'argent (
art. 305
bis
CP
). Les procédures contre H. d'une part, A. et. I. d'autre part, ont été jointes par la suite.
B.
Le 4 septembre 2012, A. a notamment demandé que la dénonciation de la FINMA du 22 mars 2012, ainsi que de toutes ses annexes, en particulier la dénonciation au MROS qu'il avait lui-même signée, soient retirées du dossier pénal le concernant, sous peine de porter atteinte à son droit de ne pas contribuer à sa propre incrimination. Cette requête a été rejetée par ordonnance du 10 septembre 2012. Le Procureur a estimé qu'il disposait des pièces litigieuses depuis le 6 décembre 2010 dans le cadre de la première procédure; en l'absence de celles-ci, il aurait ordonné leur dépôt et dès lors, ces moyens de preuve devaient être considérés comme des découvertes fortuites exploitables.
Par arrêt du 17 septembre 2013, la Chambre pénale du Tribunal cantonal fribourgeois a admis partiellement le recours intenté par A. contre l'ordonnance du 10 septembre 2012. L'utilisation à charge de A. de certaines pièces produites avec la dénonciation au MROS - laquelle découlait d'une obligation légale de collaboration - violait le droit de ne pas s'auto-incriminer. Les pièces suivantes ont été retirées du dossier: la communication du 25 novembre et ses annexes (soit quatre classeurs de documents), notamment les documents internes rédigés par A., ainsi que des extraits de comptes bancaires.
C.
Par acte du 14 octobre 2013, le Ministère public de l'Etat de Fribourg forme un recours en matière pénale contre cet arrêt. Il requiert le maintien au dossier de la communication du 25 novembre 2010 et de ses annexes et, à titre subsidiaire, le renvoi de la cause à l'autorité précédente pour nouvelle décision au sens des considérants.
Le Tribunal fédéral a déclaré le recours irrecevable.
(résumé) | 1,245 | 626 | Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Une décision relative à l'exploitation des moyens de preuve (
art. 140 et 141 CPP
) ne met pas fin à la procédure pénale; elle a donc un caractère incident. Le recours en matière pénale contre une telle décision n'est dès lors recevable qu'aux conditions de l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
, soit en présence d'un préjudice irréparable, l'
art. 93 al. 1 let. b LTF
n'étant généralement pas applicable en matière pénale.
2.1
Vu la nécessité d'établir les modalités de prise en compte des
art. 140 et 141 CPP
dans le cadre d'un recours devant le Tribunal
BGE 141 IV 284 S. 287
fédéral, la cause 1B_363/2013 a donné lieu à une procédure de coordination de la jurisprudence au sens de l'
art. 23 al. 2 LTF
à laquelle ont participé la Cour de droit pénal et la Première Cour de droit public. Cet échange de vues a conduit à préciser la jurisprudence.
2.2
En matière pénale, le préjudice irréparable au sens de l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
se rapporte à un dommage de nature juridique qui ne puisse pas être réparé ultérieurement par un jugement final ou une autre décision favorable au recourant (
ATF 137 IV 172
consid. 2.1 p. 173 s.). Le seul fait qu'un moyen de preuve dont la validité est contestée demeure au dossier ne constitue en principe pas un tel préjudice, dès lors qu'il est possible de renouveler ce grief jusqu'à la clôture définitive de la procédure. En particulier, la question de la légalité des moyens de preuve peut être soumise au juge du fond (
art. 339 al. 2 let
. d CPP), autorité dont il peut être attendu qu'elle soit en mesure de faire la distinction entre les moyens de preuve licites et ceux qui ne le seraient pas, puis de fonder son appréciation en conséquence. Les motifs retenus par le juge de première instance peuvent ensuite être contestés dans le cadre d'un appel (
art. 398 CPP
) et, en dernier ressort, le prévenu peut remettre en cause ce jugement devant le Tribunal fédéral (
ATF 139 IV 128
consid. 1.6 et 1.7 p. 134 s.; arrêt 6B_883/2013 du 17 février 2014 consid. 2, in SJ 2014 I p. 348).
2.3
Cette règle comporte toutefois des exceptions. Tel est notamment le cas lorsque la loi prévoit expressément la restitution immédiate, respectivement la destruction immédiate, des preuves illicites (cf. par exemple les art. 248, 271 al. 3, 277 et 289 al. 6 CPP). Il en va de même quand, en vertu de la loi ou de circonstances spécifiques liées au cas d'espèce, le caractère illicite des moyens de preuve s'impose d'emblée. De telles circonstances ne peuvent être admises que dans la situation où l'intéressé fait valoir un intérêt juridiquement protégé particulièrement important à un constat immédiat du caractère inexploitable de la preuve.
En vertu de l'
art. 42 al. 1 LTF
, il incombe au recourant d'alléguer les faits qu'il considère comme propres à fonder sa qualité pour recourir (
ATF 141 IV 1
consid. 1.1;
ATF 138 IV 86
consid. 3 p. 88 et les arrêts cités) et ceux permettant de démontrer l'existence d'un préjudice irréparable lorsque celui-ci n'est pas d'emblée évident (
ATF 138 III 46
consid. 1.2 p. 47 et les arrêts cités).
2.4
La situation procédurale est différente lorsque, pendant la procédure préliminaire et contre l'avis du ministère public, l'autorité
BGE 141 IV 284 S. 288
cantonale de recours reconnaît le caractère non exploitable des moyens de preuve et ordonne de les retirer du dossier (
art. 141 al. 5 CPP
). Le ministère public risque de subir un préjudice irréparable lorsque, sans ces moyens de preuve, l'accusation est entravée au point de rendre impossible ou, à tout le moins, particulièrement difficile, la continuation de la procédure pénale. Tel n'est cependant pas le cas si le ministère public dispose d'autres mesures d'instruction pour continuer la procédure et, cas échéant, rendre une ordonnance de mise en accusation (cf.
ATF 139 IV 25
consid. 1 p. 27). Il appartient dans tous les cas au ministère public d'alléguer et de démontrer la réalisation des conditions d'application de l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
pour que son recours au Tribunal fédéral soit recevable (
ATF 138 III 46
consid. 1.2 p. 47 et les arrêts cités).
2.5
En l'occurrence, le Ministère public affirme que l'arrêt attaqué aurait pour conséquence de "vider entièrement de sa substance la procédure pénale visant l'intimé", dès lors que la majorité des pièces doivent être retirées du dossier. En particulier, les notes internes transmises au MROS exprimeraient les réflexions de l'intimé après que des clients aient fait part de leur inquiétude auprès de la banque, et démontreraient le temps écoulé entre l'intervention des clients et l'annonce au MROS. Faute de pouvoir utiliser ces pièces, les soupçons à l'encontre de l'intimé devraient être relativisés, ce qui pourrait conduire à une décision de classement.
2.5.1
Les procédures menées, d'une part, contre H. et, d'autre part, contre l'intimé et le responsable du service "compliance" de la banque ont été jointes formellement par décision du 10 octobre 2012, contre laquelle les parties n'ont pas recouru. Le dossier, tel qu'il a été produit au Tribunal fédéral, contient ainsi l'ensemble des pièces relatives aux deux procédures et il est loisible au Ministère public d'utiliser, à charge de l'intimé, l'ensemble des renseignements recueillis dans le cadre de l'instruction dirigée contre H. Comme le relève le Ministère public lui-même, des soupçons à l'égard de l'établissement bancaire étaient déjà évoqués dans la plainte déposée le 27 juin 2011, aux termes de laquelle les plaignants, citant nommément l'intimé, se demandaient si les responsables de la banque avaient rempli leurs obligations découlant de la LBA.
Indépendamment des renseignements ressortant des documents litigieux, le Ministère public pouvait déjà fonder ses soupçons sur la plainte de la FINMA et sur le simple fait qu'en dépit de l'intervention des plaignants, la banque avait attendu une seconde démarche
BGE 141 IV 284 S. 289
en septembre 2010 pour convoquer son client et mettre un terme à la relation d'affaires, puis pour dénoncer le cas le 2 novembre 2010. L'autorité d'instruction peut également obtenir des renseignements sur ce point auprès des plaignants, ou interroger le cas échéant les prévenus ou d'autres responsables de l'établissement bancaire.
2.5.2
Pour leur plus grande part, les pièces écartées de la procédure (pièces 20'000-21'286, trois classeurs) sont des documents bancaires (extraits, relevés, avis) que le Ministère public peut obtenir auprès de la banque, ainsi que le relève d'ailleurs la décision attaquée. Le quatrième classeur (pièces 21'287-21'380) contient la communication proprement dite faite par la banque. La question de savoir si les prévenus ont tardé à agir peut toutefois être instruite sans avoir recours à ces derniers documents, puisqu'il s'agit de rechercher en premier lieu si les inculpés ont fait preuve de l'attention nécessaire et s'ils devaient procéder à des clarifications. Le Ministère public relève qu'il y aurait lieu de déterminer l'intervalle de temps écoulé entre la prise de contact de la part des plaignants et le dépôt de l'annonce MROS; ces renseignements, qui paraissent ressortir de la plainte de la FINMA, peuvent facilement être obtenus sans utilisation des pièces litigieuses.
2.5.3
En définitive, rien ne permet d'affirmer qu'à défaut des pièces écartées du dossier, la procédure contre l'intimé aboutirait nécessairement et immédiatement à un classement. Le Ministère public ne parvient dès lors pas à démontrer, comme l'exige l'
art. 42 al. 1 LTF
, que la décision attaquée causerait un préjudice irréparable. | 2,930 | 1,477 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-141-IV-284_2015-05-12 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=18&from_date=&to_date=&from_year=2015&to_year=2015&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=179&highlight_docid=atf%3A%2F%2F141-IV-284%3Ade&number_of_ranks=280&azaclir=clir | BGE_141_IV_284 |
|||
009361bd-ece7-481e-a1dd-003e4465b949 | 2 | 82 | 1,363,864 | 283,996,800,000 | 1,979 | fr | Sachverhalt
ab Seite 101
BGE 105 III 101 S. 101
A.-
La société P. a accordé un prêt de 300'000 fr. à A. G., à Granges-Veveyse. Sa créance est incorporée dans diverses obligations et cédules hypothécaires grevant un immeuble sis à Granges-Veveyse, propriété du débiteur.
Le 31 mai 1978, la société P. adressa à l'Office des poursuites de la Veveyse une réquisition de poursuite en réalisation de
BGE 105 III 101 S. 102
gage pour une somme de 6'912 fr. 45, soit les intérêts échus le 31 décembre 1977. Par mégarde, l'Office y donna suite par l'ouverture d'une poursuite ordinaire par voie de saisie ou de faillite (poursuite No 21'741). Le débiteur n ayant pas fait opposition, la créancière requit la vente le 10 janvier 1979. Le préposé se rendit alors compte de sa méprise et, par lettre du 12 janvier 1979, invita la créancière à requérir la continuation de la poursuite ordinaire par voie de saisie. La créancière répondit le 8 février 1979 qu'elle renonçait à intervenir auprès de l'autorité de surveillance, à la condition que l'Office prit à sa charge les frais frustratoires.
Entre-temps la créancière avait, le 4 décembre 1978, requis l'ouverture de deux nouvelles poursuites en réalisation de gage, l'une pour 7'875 fr. représentant les intérêts échus le 30 juin 1978 (poursuite No 23'033), l'autre pour 300'000 fr., soit le capital du prêt dénoncé pour le 31 octobre 1978 (poursuite No 23'034). L'Office donna régulièrement suite à ces réquisitions. Le débiteur ne fit pas opposition. Le 12 juillet 1979, la créancière requit la vente, limitant toutefois sa réquisition à la poursuite No 23033.
Le 7 août 1979, l'Office prit la décision qui suit:
"L'Office des poursuites de la Veveyse
...
considérant
que le poursuivi allègue être actuellement, et dès le 12 mars 1979, dans un état d'incapacité totale de travail;
qu'il produit un certificat médical du 19 juillet 1979 délivré par la Policlinique universitaire de Lausanne;
qu'il y est mentionné que son incapacité de travail est de 100% pour une durée indéterminée...
décide
la suspension des poursuites ouvertes contre A. G., pour un délai d'un mois, dès la présente notification.
Cette suspension sera prolongée de mois en mois, sur présentation de certificats médicaux mensuels."
B.-
La société P. a déposé plainte auprès de l'autorité cantonale de surveillance le 14 août 1979. Elle a demandé que l'Office des poursuites de la Veveyse fût invité à donner suite à la réquisition du 31 mai 1978 par l'ouverture d'une poursuite en réalisation de gage. Elle a en outre conclu à la révocation de la suspension de poursuite accordée au débiteur le 7 août 1979. Elle a motivé le second chef de ses conclusions en exposant notamment ce qui suit:
BGE 105 III 101 S. 103
"... l'interruption du travail par suite de maladie doit être à l'origine
de l'insolvabilité existante.
Ceci n'est absolument pas réalisé dans le
présent cas. Aux termes de la décision attaquée l'incapacité de gain
indiquée a pris naissance le 12 mars 1979, alors que les derniers intérêts
payés ont été ceux de la période du 1er janvier au 30 juin 1977..."
Par arrêt du 12 septembre 1979, la Chambre des poursuites et faillites du Tribunal cantonal de l'Etat de Fribourg a rejeté la plainte dans la mesure où elle était recevable. La Chambre a refusé d'entrer en matière sur le premier chef des conclusions de la plaignante, qu'elle a déclarée forclose. Elle a jugé le second chef mal fondé, admettant un lien de causalité entre l'incapacité de travail du poursuivi et son insolvabilité. Se fiant au certificat délivré le 19 juillet 1979 par la Policlinique universitaire de Lausanne, l'autorité cantonale a en effet considéré que le poursuivi se trouvait dans l'incapacité de travailler depuis l'année 1978. Elle a ajouté:
"Quant à la date du début de cette incapacité, admise par l'Office au 12
mars 1978, elle n'est pas contestée non plus par la plaignante."
C.-
La société P. a recouru contre l'arrêt de la Chambre des poursuites et faillites du Tribunal cantonal. Elle conclut à la révocation de la suspension de poursuite accordée à A. G. le 7 août 1979. La recourante fait valoir que le certificat délivré le 19 juillet 1979 par la Policlinique universitaire de Lausanne contient une faute de frappe: l'auteur du certificat entendait attester le début de l'incapacité de travail d'A. G. au 8 mai 1979 et non au 8 mai 1978. A l'appui de son allégation, la recourante produit un nouveau certificat de la policlinique susmentionnée, daté du 19 juillet 1979 mais délivré le 21 septembre. Elle produit en outre des fiches de salaire établissant que le débiteur était son employé jusqu'au 11 septembre 1978 et n'a, en 1978, touché d'allocations pour cause de maladie que pour une durée de huit jours.
Dans ses observations, l'Office précise que l'auteur du premier certificat médical lui a personnellement confirmé avoir commis un " lapsus calami ".
A. G. n'a pas déposé d'observations.
La Chambre des poursuites et des faillites a admis le recours dans la mesure où il était recevable; elle a annule la décision de suspension de la poursuite.
BGE 105 III 101 S. 104 | 1,953 | 973 | Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Selon la jurisprudence constante (
ATF 97 III 38
consid. 2,
ATF 96 III 105
et les arrêts cités), la plainte à l'autorité de surveillance et le recours au Tribunal fédéral ont pour but de garantir le déroulement régulier de la procédure d'exécution et ne peuvent tendre à la simple constatation d'une irrégularité; partant, ils sont irrecevables lorsque l'acte attaqué ne peut plus être annule ni redressé.
L'Office des poursuites de la Veveyse a, le 7 août 1979, accordé à A. G. une suspension de poursuite d'une durée d'un mois. La mesure avait pris fin à la date du dépôt du recours au Tribunal fédéral, le 25 septembre 1979. Elle ne peut donc plus être révoquée ni redressée. Toutefois, la voie de la plainte et du recours conserve en l'espèce un intérêt pratique certain pour la créancière et lui demeure donc ouverte (
ATF 77 III 78
). L'Office des poursuites a en effet décidé de prolonger la suspension de mois en mois sur simple présentation de certificats médicaux. Tout en rejetant la plainte, l'autorité de surveillance a certes précisé que chaque prolongation devait faire l'objet d'une nouvelle décision prise sur la base d'un rapport médical circonstancié indiquant la durée probable de l'incapacité de travail. La mesure de l'Office prolongeant la suspension pourrait dès lors être attaquée par la voie d'une nouvelle plainte et d'un nouveau recours. Cependant, la nouvelle mesure, limitée à une durée d'un mois, aurait normalement pris fin au jour du dépôt du recours au Tribunal fédéral. De ce fait, la créancière serait pratiquement privée de son droit de recours tout en restant exposée à des décisions réitérées de suspension de poursuite. Elle a donc un intérêt légitime à faire examiner, dans la présente instance de recours, les conditions de l'octroi d'une suspension de poursuite à son débiteur.
3.
En cas de maladie grave du débiteur, le préposé peut, en vertu de l'
art. 61 LP
, suspendre la poursuite pendant un temps déterminé. Le préposé peut mettre au bénéfice de la disposition précitée le débiteur qui, ensuite de maladie, n'est pas en mesure de défendre ses droits ni de désigner un représentant. Pour des motifs d humanité, le législateur a également voulu permettre l'octroi d'un atermoiement au débiteur qui tire ses revenus de son travail et que la maladie prive de son gain (
ATF 58 III 20
); il faut toutefois, dans ce cas, que la cessation d'activité ensuite
BGE 105 III 101 S. 105
de maladie soit la cause de l'insolvabilité du poursuivi (
ATF 74 III 39
; FAVRE, Droit des poursuites, p. 114; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, t. 1, p. 96).
L'octroi d'une suspension est une question d'opportunité qui relève de l'appréciation de l'office ou, sur plainte, de celle de l'autorité de surveillance (
ATF 85 III 120
s.). L'office doit déterminer si la mesure de suspension paraît justifiée au vu des circonstances de l'espèce. Le recours au Tribunal fédéral pour violation de la loi n est ouvert que si la décision de suspension repose sur des motifs étrangers au but de l'institution ou si l'autorité cantonale a ignoré des facteurs déterminants pour l'application de l'
art. 61 LP
(
ATF 74 III 38
s.).
4.
Aucun élément ne permet de penser en l'espèce que le débiteur soit hors d'état de défendre ses intérêts ou de désigner un représentant. Il ne l'a d'ailleurs pas allégué. L'autorité cantonale a par contre constaté souverainement que le débiteur tire tous ses revenus de son activité professionnelle, activité qu'il n'est présentement plus en mesure d'exercer.
L'autorité de surveillance a fixé le début de l'incapacité de travail du débiteur au 12 mars 1978, ajoutant que cette date n'était pas contestée par la créancière. Ce faisant, elle a commis une inadvertance manifeste. Dans sa plainte, la créancière avait fait valoir que l'incapacité de travail du débiteur ne pouvait avoir causé son insolvabilité, puisqu'elle remontait au 12 mars 1979 seulement. La plaignante se référait sur ce point aux termes mêmes de la décision attaquée, laquelle ne faisait que reprendre les allégations du poursuivi. La constatation de l'arrêt attaqué ne lie donc pas le Tribunal fédéral (
art. 81 et 63 al. 2 OJ
).
La recourante a produit, devant le Tribunal fédéral, des pièces destinées à prouver l'existence d'une faute de frappe dans le certificat délivré le 19 juillet 1979 par la Policlinique universitaire de Lausanne. Dans l'instance cantonale de plainte, la recourante s'en était remise, pour les faits, à la motivation de la décision attaquée, laquelle ne faisait que reproduire les allégations du débiteur. Elle n'avait donc aucune raison de consulter le certificat en cause et d'en établir le caractère erroné. Partant, en produisant des pièces nouvelles devant le Tribunal fédéral, elle n'offre pas des moyens de preuve qui auraient pu être présentés dans la procédure cantonale (
art. 79 al. 1 OJ
;
ATF 102 III 132
s.,
ATF 84 III 78
consid. 1 et les arrêts cités).
BGE 105 III 101 S. 106
Les pièces versées par la recourante sont concluantes. Leur exactitude est confirmée dans les observations de l'Office. La Chambre de céans admet donc que le débiteur n est incapable de travailler que depuis le 8 mai 1979 ou, au plus tôt, le 12 mars 1979.
La poursuite No 21741 a été ouverte par un commandement de payer du 5 juin 1978. Les poursuites Nos 23'033 et 23'034 ont été ouvertes le 6 décembre 1978. Le débiteur n a ni payé ni fait opposition. Son insolvabilité est donc antérieure à son incapacité de travail et n'est pas l'effet de sa maladie. Le débiteur ne peut bénéficier d'une suspension de poursuite accordée en application de l'
art. 61 LP
.
On peut se demander si la jurisprudence n'est pas rigoureuse à l'excès et si la suspension prévue à l'
art. 61 LP
ne devrait pas être parfois accordée au débiteur que la maladie prive de son gain, mais dont l'insolvabilité est due à des causes différentes. Les délais du droit des poursuites reposent certes sur un examen attentif des intérêts des parties et ne peuvent être éludés par un recours systématique à l'
art. 61 LP
. On peut cependant concevoir que dans certains cas un atermoiement d'une durée déterminée permette au débiteur de rétablir durablement sa situation financière, tandis que la continuation de la procédure le conduirait à la ruine: la suspension de la poursuite pourrait alors être accordée, à moins qu'elle ne constitue une atteinte inéquitable aux intérêts des créanciers poursuivants. La question peut rester ouverte en l'espèce, car aucun des éléments du dossier ne permet de conclure à l'existence d'une telle situation. Il manque notamment un rapport médical détaille indiquant la nature et la durée prévisible de la maladie du débiteur. Les rapports que l'Office des poursuites a produits devant le Tribunal fédéral ne peuvent être pris en considération, bien qu'ils soient datés des 26 septembre et 7 novembre 1979. L'Office aurait pu et même dû inviter d'emblée le débiteur à fournir un rapport médical circonstancié. Or l'
art. 79 al. 1 OJ
, qui restreint la production de moyens nouveaux, s'applique aussi à l'office. | 2,712 | 1,354 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-105-III-101_1979 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=4&from_date=&to_date=&from_year=1979&to_year=1979&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=34&highlight_docid=atf%3A%2F%2F105-III-101%3Ade&number_of_ranks=371&azaclir=clir | BGE_105_III_101 |
|||
00948dc2-c647-4043-9e89-3b991b6fb316 | 1 | 80 | 1,347,504 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 497
BGE 117 Ib 497 S. 497
Der Hörnligraben ist eine bisher weitgehend unüberbaute, landwirtschaftlich genutzte Talmulde östlich des Dorfes Rieden im Gemeindebann Wallisellen. Im Jahre 1970 wurde in diesem Gebiet ein privates Quartierplanverfahren durchgeführt. Der Vollzug des Quartierplans kam nicht über die Grundbuchmutationen hinaus. Am 14. Juni 1981 wurde in Wallisellen eine Initiative angenommen, gemäss welcher das Hörnligrabengebiet, soweit es noch nicht überbaut war, der Freihaltezone zugeteilt wurde. Dieser Entscheid
BGE 117 Ib 497 S. 498
blieb unangefochten und wurde vom Regierungsrat des Kantons Zürich am 14. Oktober 1981 genehmigt.
In den Jahren 1981 und 1982 meldeten die meisten Eigentümer von Grundstücken in der Freihaltezone Entschädigungsforderungen aus materieller Enteignung bzw. für unnütz gewordene Planungskosten an. Die Schätzungskommission verpflichtete mit Entscheid vom 13. Mai 1985 die Gemeinde Wallisellen zu Bauverbotsentschädigungen. Sie ging übereinstimmend mit den Parteien davon aus, dass die Zuweisung zur Freihaltezone für das gesamte erfasste Gebiet eine materielle Enteignung bedeute, merkte allerdings den Vorbehalt der Gemeinde an, in einem allfälligen verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren eine materielle Enteignung zu bestreiten.
Das Verwaltungsgericht behandelte die von der Gemeinde Wallisellen erhobene Einsprache als verwaltungsrechtliche Klage der Gemeinde gegen die erwähnten Grundeigentümer und hiess mit Entscheid vom 29. September 1989 die Klage teilweise gut. Die betroffenen Grundeigentümer führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerden ab und tritt auf die staatsrechtlichen Beschwerden nicht ein. | 365 | 252 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
7.
Die Beschwerdeführer Erben G. haben im kantonalen Verfahren für den Fall, dass das Verwaltungsgericht keine materielle Enteignung annähme und keinen vollen Verkehrswert für den Heimschlag zuspräche, eine Ersatzforderung geltend gemacht, das heisst jenen Betrag, den sie gemäss ihren Angaben für den Quartierplan Nr. 40 aufwenden mussten. Diese Forderung ist vom Verwaltungsgericht abgewiesen worden. Die Erben G. verlangen mit staatsrechtlicher Beschwerde die Aufhebung des Entscheids in diesem Punkte wegen Verletzung von
Art. 4 BV
.
a) Gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Entschädigungen als Folge von Eigentumsbeschränkungen (
Art. 5 RPG
) sieht
Art. 34 Abs. 1 RPG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor.
Art. 5 RPG
handelt von Ausgleich und Entschädigung. Für Planungen, die zu Eigentumsbeschränkungen führen, die einer Enteignung gleichkommen, sieht Abs. 2 der Bestimmung volle Entschädigung vor. Im vorliegenden Fall kommt aber die Zuweisung der Grundstücke der Beschwerdeführer zur Freihaltezone keiner
BGE 117 Ib 497 S. 499
Enteignung gleich, soweit das Verwaltungsgericht diese Wirkung verneint hat. Es fragt sich daher, ob die von den Erben G. erhobene Forderung auf Ersatz ihrer Planungskosten im verwaltungsgerichtlichen oder im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren zu beurteilen ist.
In
BGE 108 Ib 352
ff. E. 4 beurteilte das Bundesgericht die Frage, ob das Berner Verwaltungsgericht eine Entschädigung für aufgewendete Planungskosten zu Recht als Sonderopferentschädigung zusprechen durfte, auf Beschwerde des entschädigungspflichtigen Gemeinwesens hin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Dies lag nahe, weil zu entscheiden war, ob das vom Verwaltungsgericht besonders konzipierte Sonderopfer unter den Tatbestand der materiellen Enteignung zu subsumieren war. Im nicht veröffentlichten Entscheid vom 27. September 1989 i.S. G. c. Gemeinde Birsfelden beurteilte das Bundesgericht eine entsprechende Forderung der beschwerdeführenden Eigentümer ebenfalls im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, ohne sich mit der Rechtsmittelfrage näher auseinanderzusetzen (E. 7). ENRICO RIVA (Hauptfragen der materiellen Enteignung, Bern 1990, S. 329 ff.) möchte zwischen dem Tatbestand der materiellen Enteignung und einer aus dem Grundgedanken des Vertrauensschutzes hergeleiteten Entschädigung unterscheiden, wobei er u.a. auf
BGE 102 Ia 252
E. 7 verweist. In dieser im Jahre 1976 entschiedenen Sache ging es um eine auf eine Denkmalschutzmassnahme gestützte Entschädigungsforderung, die das Bundesgericht im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren beurteilte, wobei es u.a. auch seine Rechtsprechung zu einem aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Anspruch auf Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen präzisierte. Aus diesem vor Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes ergangenen Entscheid kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, entsprechende Ansprüche seien ausschliesslich im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren zu beurteilen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur materiellen Enteignung kommt dem Gedanken des Vertrauensschutzes erhebliche Bedeutung zu, was auch RIVA anerkennt. Selbst wenn man eine ausgeprägtere Differenzierung der Entschädigungstatbestände, die auf Planungen zurückzuführen sind, in Erwägung ziehen wollte, wäre hieraus nicht ohne weiteres zu schliessen, dass Forderungen auf Ersatz von Projektierungskosten, die zufolge von Planfestsetzungen nutzlos werden, nur im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren zu prüfen wären. Zu beachten ist vielmehr, dass das
BGE 117 Ib 497 S. 500
Vertrauen, das aus der verfassungsrechtlichen Bestandesgarantie fliesst, vielfach mit den weiteren Vertrauensschutzerwägungen, die an Rechtsänderungen anknüpfen, verflochten ist. Eine unterschiedliche Behandlung von Forderungen auf Ersatz von Planungskosten im Rechtsmittelverfahren würde zu unnötigen Komplikationen führen und hätte u.a. zur Folge, dass dem entschädigungspflichtigen Gemeinwesen der Rechtsweg ans Bundesgericht verschlossen wäre.
Auch die umfassende Verweisung in
Art. 34 Abs. 1 RPG
auf
Art. 5 RPG
- nicht nur auf
Art. 5 Abs. 2 RPG
- weist darauf hin, dass der Gesetzgeber zur Beurteilung von Forderungen, die auf Nachteile von Planungsmassnahmen zurückzuführen sind, das verwaltungsgerichtliche Verfahren zur Verfügung stellen wollte. Im vorliegenden Falle liegt dies auch deshalb nahe, weil die Beschwerdeführer in erster Linie eine materielle Enteignung geltend machen, die sie aus der Festsetzung der Freihaltezone herleiten, mit der sie auch die Nutzlosigkeit ihrer Planungsaufwendungen begründen. Im übrigen kann die Frage aufgeworfen werden, ob in einem solchen Falle nicht insoweit von einer im Sinne von
Art. 5 Abs. 2 RPG
enteignungsgleichen Wirkung der Planungsmassnahme gesprochen werden müsste, als Projektierungskosten nutzlos werden. Mit dem Ersatz der unnützen Aufwendungen würde in diesem Falle voll entschädigt (HEINZ AEMISEGGER, Besprechung des Werkes von Enrico Riva, SJZ 87/1991 161, 163 f., Ziff. 5). Die Frage kann offengelassen werden. Eine einheitliche Beurteilung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren liegt jedenfalls nahe. Soweit sich die Beschwerdeführer auf eine Verletzung ihrer verfassungsmässigen Rechte berufen, ist zu beachten, dass insoweit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Rolle der staatsrechtlichen Beschwerde übernimmt (
BGE 115 Ib 208
E. 3;
BGE 110 Ib 257
E. 1).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat ein Bauherr keinen Anspruch auf Ersatz nutzlos gewordener Planungskosten, wenn sein Vorhaben aufgrund der geltenden Bauvorschriften nicht bewilligt werden kann. Dies würde selbst dann gelten, wenn der Bauherr ein dem geltenden Recht entsprechendes Baugesuch eingereicht hätte, dann aber bis zum Entscheid über die Bewilligung die gesetzlichen Grundlagen zum Nachteil des Gesuchstellers geändert worden wären. Hat jedoch gerade die Einreichung eines bestimmten Baugesuchs Anlass zur Änderung der Bauordnung gegeben, weil die Baubehörden die Ausführung des Vorhabens auf
BGE 117 Ib 497 S. 501
diese Weise verhindern wollten, so kann eine Entschädigung für die nutzlos gewordenen Aufwendungen ohne Verletzung von
Art. 4 BV
in Verbindung mit
Art. 22ter BV
nicht verweigert werden, wenn die Absicht der Baubehörden für den Grundeigentümer nicht voraussehbar war. Ersatz muss sodann auch in denjenigen Fällen geleistet werden, in welchen dem Bauwilligen vor Einreichung des Baugesuchs Zusicherungen auf den Fortbestand der geltenden Bauvorschriften gegeben worden waren und dieser im Vertrauen darauf Projektierungskosten aufgewendet hatte.
c) Wie das Verwaltungsgericht zutreffend annehmen durfte, sind auch diese Voraussetzungen für den Ersatz der von den Beschwerdeführern für die Quartierplanung aufgewendeten Kosten nicht erfüllt. Diese hatten den Quartierplan für die Feinerschliessung im damaligen privaten Quartierplanverfahren in Kenntnis der Erschliessungsproblematik aufgestellt. Der Verlauf ihrer Bemühungen bestätigt, dass sie aus eigener Initiative die Quartierplanung in der Hoffnung durchführten, der Anschluss des Quartierplangebietes an das übergeordnete Strassennetz lasse sich verwirklichen. Dass die Gemeinde am privaten Quartierplanverfahren mitgewirkt und verlangt hatte, das Areal für die geplante Haupterschliessungsstrasse, die Hörnligrabenstrasse, müsse ausgeschieden werden, entspricht dem Quartierplanrecht, ist aber für die Beurteilung der Entschädigungsfrage nicht entscheidend: die Mitwirkung der Gemeinde war für die Planungsarbeiten nicht kausal und bedeutete auch keine Zusicherung, den Plan ausführen zu dürfen. Weil das Hörnligrabengebiet nicht an das übergeordnete Strassennetz angeschlossen und daher auch die Hörnligrabenstrasse nicht realisiert werden konnte, konnten die Beschwerdeführer ihre Grundstücke nicht überbauen. Aus der Zustimmung der Gemeinde zum privaten Quartierplan kann keine Verpflichtung der Gemeinde zum Ausbau des übergeordneten Strassennetzes abgeleitet werden. Vertrauen in den Bestand des Planes, das gegebenenfalls eine Entschädigungspflicht des Gemeinwesens zu begründen vermöchte, könnten die Beschwerdeführer nur geltend machen, wenn es ihnen möglich gewesen wäre, aus eigener Kraft ihre Grundstücke in naher Zukunft baureif zu machen. Da ihnen das nicht möglich war und sie die private Quartierplanung auf ihr Risiko ausführten, entfällt ein Anspruch auf Ersatz der für das Quartierplanverfahren aufgewendeten Kosten. | 1,661 | 1,279 | 2 | 0 | CH_BGE_003 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_003_BGE-117-Ib-497_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=13&from_date=&to_date=&from_year=1991&to_year=1991&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=121&highlight_docid=atf%3A%2F%2F117-IB-497%3Ade&number_of_ranks=420&azaclir=clir | BGE_117_Ib_497 |
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0095d8bc-a8d9-46a8-a6d7-194a31904825 | 1 | 78 | 1,362,526 | 0 | 1,970 | de | Sachverhalt
ab Seite 283
BGE 96 I 282 S. 283
Aus dem Tatbestand:
A.-
Die Kollektivgesellschaft Gebr. Abegg betreibt in Horgen eine Fabrik zum Bleichen, Färben und Appretieren von Textilien, die seit dem Jahre 1815 besteht. In diesem Betrieb wurde von Anfang an das Wasser des Horgener Dorfbachs, eines öffentlichen Gewässers des Kantons Zürich, zur Gewinnung von Wasserkraft und "zum Waschen" benutzt. Die Wasserkraftanlage wurde ursprünglich mit zwei Wasserrädern betrieben, von denen eines "ehehaft" (= wasserzinsfrei) war, während für das andere schon unter der Herrschaft des zürch. Wasserrechtsgesetzes von 1836 ein Wasserzins verlangt wurde. Über die Brauchwasserbenützung fehlen Angaben aus früherer Zeit, insbesondere auch jeder Anhaltspunkt, dass dafür je eine Abgabe erhoben worden wäre.
Nach dem Inkrafttreten des zürch. Wasserbaugesetzes vom 15. Dezember 1901 (WBG) wurde am bisherigen Zustand während über 10 Jahren weder tatsächlich noch rechtlich etwas geändert.
Im Jahre 1915 baute der damalige Betriebsinhaber die Wasserkraftanlage um, indem er die zwei bisherigen Wasserräder durch eine Turbine ersetzte. Auf das in der Folge eingereichte Gesuch hin verlieh ihm der Regierungsrat des Kantons Zürich durch Beschluss vom 26. Juli 1917 ohne zeitliche Beschränkung einerseits das Recht, mit dem Wasser des Dorfbachs die Turbine zu betreiben, und anderseits das Recht, das gesamte nutzbare Wasser des Dorfbachs auch fernerhin zum Waschen usw. zu verwenden. Eine Gebühr für die Brauchwassernutzung wurde nicht festgesetzt. Dagegen war für die Kraftgewinnung ein Wasserzins von Fr. 36.- jährlich zu entrichten. Ferner wurde der Konzessionär verpflichtet, die Verleihung ins Grundbuch eintragen zu lassen.
Mit Beschlüssen vom 8. Juli 1943 ersetzte der Regierungsrat diese Verleihung durch zwei getrennte Konzessionen. Mit der einen (RRB Nr. 1867) verlieh er den Gebr. Abegg das Recht zur Verwendung des Wassers des Dorfbachs zum Betrieb einer
BGE 96 I 282 S. 284
Turbine, mit der andern (RRB Nr. 1868) das Recht, das gesamte Wasser der Wasserkraftanlage in Waschtröge, Bleichmaschinen, Kondensatoren usw. zu leiten, es für die Textilveredlung zu verwenden und das Abwasser in für das öffentliche Gewässer unschädlichem Zustand in den Ablauf der Wasserkraftanlage abzuleiten. Für diese zweite Verleihung sollten nach Ziff. I a die "beigelegten allgemeinen Bedingungen für Wasserrechte" gelten, ferner nach Ziff. I b besondere Bedingungen, von denen Ziff. 3 lautet:
"Der Regierungsrat behält sich vor, diese Bewilligung jederzeit aufzuheben, sofern das öffentliche Interesse es erfordert, insbesondere dann, wenn der Reinigungsgrad des Abwassers den Anforderungen nicht entspricht."
Weiter wurde in dieser zweiten Verleihung den Beliehenen eine jährliche Benutzungsgebühr von Fr. 330.-- auferlegt (Ziff. II) und bestimmt, dass die Verleihung "von Amtes wegen als selbständiges und dauerndes Recht ins Grundbuch einzutragen" sei (Ziff. III).
Da diese Verleihung für die Konzessionäre eine Verschlechterung ihrer bisherigen Rechtslage bedeutete, reichten sie am 10. August 1943 ein Wiedererwägungsgesuch ein, mit dem sie geltend machten, dass ihnen ein uneingeschränktes ehehaftes Recht auf die Wasserbenutzung zustehe, und den Regierungsrat ersuchten, die Konzession aufzuheben, eventuell von der Erhebung einer Benutzungsgebühr abzusehen. Der Regierungsrat wies das Hauptbegehren am 7. September 1944 ab, verzichtete aber auf die Benutzungsabgabe, dies mit der Begründung, es sei bei der Neuabfassung der Konzession übersehen worden, dass das Recht zur Benützung des gesamten Bachwassers als Brauchwasser im Jahre 1917 zeitlich unbeschränkt und unentgeltlich verliehen worden war.
B.-
Beim Bau der Nationalstrasse N 3 wurden im Einzugsgebiet des Horgener Dorfbachs umfangreiche Erdbewegungen notwendig. Der in den Dorfbach fliessende Mühlebach, der von der N 3 überquert wird, musste in einen aus Kunstbauten bestehenden Durchlass verlegt werden und wurde überdies in einem ausgedehnten Bereich als Vorfluter für Oberflächen- und Grundwasser-Entwässerung eingesetzt. Im Anpassungsbereich herrschen ungünstige Bodenverhältnisse. Alles zusammen bewirkte, dass namentlich bei Regenfällen und Schneeschmelzen
BGE 96 I 282 S. 285
das Bachwasser durch Abraum und andere Stoffe verschmutzt und deswegen für die gewerbliche Benutzung durch die Gebr. Abegg zeitweilig unbrauchbar wurde. Diese erstellten daher eine eigene Anlage zur Reinigung und Enthärtung des Bachwassers und mussten überdies von der Wasserversorgung Horgen Ersatzwasser beziehen.
Die Gebr. Abegg verlangten vom Kanton Zürich Ersatz des erlittenen Schadens und wandten sich an die Eidg. Schätzungskommission des Kreises VI (ESchK) mit dem Begehren, der Kanton Zürich sei - unter Vorbehalt des Nachklagerechts - zu verpflichten, ihnen Fr. 257 000.-- nebst Verzugszins seit 1. Mai 1966 zu bezahlen. Nachdem der Schriftenwechsel durchgeführt worden war und der Präsident der ESchK die nachträgliche Forderungseingabe in Anwendung von
Art. 41 EntG
als zulässig erklärt hatte, schlossen die Parteien am 21. Januar 1969 einen Teilvergleich ab. Darin übertrugen sie den Entscheid über den Bestand der von der Klägerin als Konzessionsinhaberin behaupteten nachbarrechtlichen Ansprüche gemäss
Art. 69 Abs. 2 EntG
der ESchK und einigten sich für den Fall, dass die Entschädigungspflicht der Beklagten letztinstanzlich bejaht werden sollte, auf eine Entschädigungssumme von Fr. 200 000.-- unter allen Titeln (Wert per Datum des Vergleichsabschlusses).
Mit Entscheid vom 4./9. Juni 1969 erkannte die ESchK, der Beklagte habe die Klägerin mit Fr. 200 000.--, Wert per Datum des Vergleichsabschlusses, zu entschädigen.
C.-
Der Kanton Zürich hat den Entscheid der ESchK an das Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag, die Entschädigungsforderung der Klägerin sei abzuweisen.
D.-
Die Kollektivgesellschaft Gebr. Abegg beantragt die Abweisung des Weiterzuges und die Bestätigung des Urteils der ESchK.
E.-
Auf Ersuchen des Bundesgerichtes hat der Kanton Zürich die Akten ergänzt, indem er am 4. Juni 1970 weitere, die fragliche Konzession betreffende Aktenstücke einreichte, die bei der vorstehenden Darstellung des Sachverhaltes berücksichtigt wurden und auch für die rechtliche Beurteilung in Betracht fallen.
BGE 96 I 282 S. 286 | 1,365 | 1,028 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Parteien haben sich schon vor der ESchK über die Höhe der gegebenenfalls zu leistenden Entschädigung geeinigt. Streitig und im vorliegenden Weiterzugsverfahren zu beurteilen ist einzig, ob der Beklagte entschädigungspflichtig ist. Dabei geht es um eine reine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht ohne Beizug von Experten zu beurteilen ist. In solchen Fällen wird nach der Praxis von der Zustellung eines Urteilsentwurfes des Instruktionsrichters nach
Art. 84 EntG
abgesehen und die Sache unmittelbar durch das Bundesgericht entschieden (
BGE 82 I 56
E. 2,
BGE 88 I 194
E. 1).
2.
Mit dem angefochtenen Entscheid hat die ESchK zunächst festgestellt, dass die Klägerin ein wohlerworbenes, unter dem Schutz der Eigentumsgarantie stehendes Recht besitzt, das Wasser des Horgener Dorfbaches als Brauchwasser in ihrem Textilveredlungsbetrieb zu benutzen. Sodann hat sie entschieden, dass der Kanton Zürich verpflichtet ist, die Klägerin zu entschädigen für die Beeinträchtigung der Wasserqualität, die infolge der Veränderung am Oberlauf des Baches eingetreten ist. Zur Beurteilung der ersten Frage war die ESchK nur zuständig, weil ihr die Parteien den Entscheid hierüber im Sinne von
Art. 69 Abs. 2 EntG
übertragen haben. Das hat nach dieser Bestimmung zur Folge, dass auch der Entscheid über diese Frage beim Bundesgericht anfechtbar ist. Er bildet im vorliegenden Rechtsstreit sogar die Hauptsache, weil der Schaden und der Kausalzusammenhang zwischen ihm und den Bauarbeiten des Kantons nicht bestritten sind und die Parteien die Höhe der Entschädigung für den Fall, dass der Kanton ersatzpflichtig sein sollte, durch den Teilvergleich vom 21. Januar 1969 festgelegt haben.
3.
Die Klägerin machte vor der ESchK zur Begründung ihres Entschädigungsanspruchs geltend, sie besitze ein 150 Jahre altes, wohlerworbenes Recht auf Wasserbenutzung, und dieses Recht habe der Kanton Zürich verletzt. Der Beklagte bestreitet das Bestehen eines wohlerworbenen Rechts und beruft sich dafür auf den Inhalt der Konzession vom 8. Juli 1943, welche diejenige vom 26. Juli 1917 ersetzte.
Als diese frühere Konzession erteilt wurde, hatten die Rechtsvorgänger der Klägerin das Wasser des Horgener Dorfbaches schon etwa 100 Jahre lang für ihren Textilveredlungsbetrieb
BGE 96 I 282 S. 287
als Brauchwasser verwendet, und zwar, wie nicht streitig ist, ohne dafür eine Abgabe zu bezahlen. Der Umstand, das die Konzession von 1917 zeitlich unbeschränkt und dass danach keine Benutzungsgebühr zu entrichten war, spricht dafür, dass die bisherige Wassernutzung aufgrund eines Rechts erfolgte. Was für ein Recht dies war, ist allerdings nicht abgeklärt. Nach der Weiterziehungsbegründung ist es möglich, dass es sich um eine privatrechtliche Dienstbarkeit (nach altem kantonalen Recht) handelte; auch ein sog. ehehaftes Recht erscheint nicht als ausgeschlossen. Wie es sich damit verhielt, kann jedoch dahingestellt bleiben. Seit der Verleihung von 1917, die unangefochten blieb, bildete diese die Rechtsgrundlage der Wasserbenutzung und ersetzte, wie im RRB vom 7. September 1944 zutreffend ausgeführt ist, ein bisher allfällig bestehendes ehehaftes (oder anderes) Recht. An die Stelle der Verleihung von 1917 ist dann diejenige von 1943 getreten, die ebensowenig mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten wurde. Seither bestimmte sich die Rechtslage der Klägerin, was die Benützung des Dorfbachwassers als Brauchwasser betrifft, nach der zweiten Konzession von 1943. Von ihr ist auch bei der Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreites auszugehen.
4.
Die Konzession von 1943 sichert, wie der Kanton Zürich mit Recht geltend macht, der Klägerin weder ein minimales Wasserquantum noch eine minimale Wasserqualität zu. Es wird ihr einfach gestattet, dasselbe Wasser aus dem Dorfbach, mit dem sie Strom erzeugen darf, auch noch als Brauchwasser für die Bedürfnisse ihres Textilveredlungsbetriebes zu verwenden. Diese Bewilligung erstreckt sich, wie aus Erw. 3 des RRB vom 7. September 1944 hervorgeht, auf das gesamte Bachwasser. Inbezug auf die Qualität enthält die Konzession zwar eine Vorschrift, aber ausschliesslich zulasten der Klägerin: die nach der doppelten Benutzung abgeleiteten Abwässer dürfen "keine schädigenden Einwirkungen ausüben und insbesondere den Fischbestand der Gewässer, in die sie gelangen, nicht gefährden" (Ziff. I b 2). Mit der Feststellung, dass die Konzession keine ausdrückliche Gewähr für die Qualität des der Klägerin zufliessenden Wassers enthält, ist jedoch noch nicht gesagt, dass keine solche Gewähr besteht, und noch weniger, dass der Kanton berechtigt ist, die Qualität des Wassers durch eigene Vorkehren zu verschlechtern oder sie durch Dritte verschlechtern zu lassen. Vielmehr ist zu prüfen,
BGE 96 I 282 S. 288
ob sich eine Gewähr für die Qualität des Wassers oder doch ein Verbot der Verschlechterung derselben aus dem übrigen Inhalt der Konzession ableiten lässt. Zu diesem Zweck ist die Konzession auszulegen. Dabei fällt neben dem Inhalt des RRB vom 8. Juli 1943 und des ihn ergänzenden RRB vom 7. September 1944 auch die Konzession vom 26. Juli 1917 in Betracht, denn bei der Erteilung der Konzession von 1943 ging es, wie im RRB vom 7. September 1944 ausgeführt wird, im wesentlichen nur um die Bereinigung oder Neufassung derjenigen von 1917.
Wiewohl das Bundesgericht nach bisheriger Rechtsprechung die Konzession als einseitigen staatlichen Hoheitsakt versteht (
BGE 65 I 313
), schliesst es nicht aus, dass ihr Inhalt, soweit er nicht durch zwingende Regeln des öffentlichen Rechts vorausbestimmt ist, durch Vereinbarung zwischen dem Konzedenten und dem Konzessionär festgelegt wird (
BGE 80 I 246
). Insofern ist die Konzession "einem durch Vertrag begründeten Rechtsverhältnis vergleichbar" (
BGE 57 I 334
/35).
Dass ein Rechtssatz des Zürcher Rechts bei Brauchwasserkonzessionen die Gewähr einer bestimmten Wasserqualität ausschliesse oder aber eine solche Gewähr vorschreibe, wird von keiner Seite behauptet. Es wäre daher zulässig gewesen, in die der Klägerin erteilten Konzessionen eine Bestimmung über die Qualität des Wassers aufzunehmen. Da dies nicht geschehen ist, weist die Konzession eine Lücke auf, die vom Richter auszufüllen ist. Dabei fragt sich, wie das Problem der Wasserqualität bei der Verleihung von 1943 geordnet worden wäre, wenn es sich schon damals gestellt hätte, d.h. welche Ordnung richtigen administrativen Gesichtspunkten und den Regeln von Treu und Glauben gemäss ist, im Rahmen des ganzen Konzessionsinhaltes einer angemessenen Interessenabwägung gerecht wird und insofern dem mutmasslichen Parteiwillen entspricht (
BGE 61 I 77
E. 4,
BGE 78 I 389
,
BGE 93 I 231
und 511/12; IMBODEN, Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl. Nr. 332 VIII).
Für die Auslegung der Konzession von 1943 fallen die "Allgemeinen Bedingungen für auf Zusehen hin bewilligte Wasserbenützungsanlagen" vom 4. März 1948, auf die der Beklagte verweist und die offenbar auch der von ihm angerufenen Auffassung von KURT SINTZEL (Die Sondernutzungsrechte an öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch im Kanton
BGE 96 I 282 S. 289
Zürich, Diss. 1962 S. 151) zugrunde liegen, schon deshalb ausser Betracht, weil die in der Konzession von 1943 als anwendbar erklärten "Allgemeinen Konzessionsbedingungen für Wasserrechte" mit den erst 5 Jahre später erlassenen nicht identisch sind und im Gegensatz zu diesen keinen Ausschluss jeglicher Gewähr für die Qualität des benützten Wassers enthalten. Davon abgesehen handelt es sich, wie nachher zu zeigen sein wird, bei der Konzession von 1943 nicht um eine "auf Zusehen hin" erteilte Bewilligung, sondern um die Einräumung eines Rechts, das zeitlich unbegrenzt ist und vom Regierungsrat nur unter einer bestimmten Voraussetzung wieder aufgehoben werden kann.
Dass das Recht zur Wasserbenutzung für die Bedürfnisse des Textilveredlungsbetriebs der Klägerin in der Konzession von 1943 wie schon in derjenigen von 1917 zeitlich unbeschränkt und unentgeltlich verliehen wurde, dürfte seinen Grund darin haben, dass die Rechtsvorgänger der Klägerin das Wasser schon seit 1815 unentgeltlich zu diesem Zwecke benutzt hatten und manches dafür sprach, dass sie dies aufgrund einer privatrechtlichen Dienstbarkeit oder eines ehehaften Rechtes getan hatten. Wie dem auch sei, darfaus der Erteilung der Bewilligung geschlossen werden, dass der Regierungsrat die Fortführung eines sehr alten und auf die Benutzung des Wassers angewiesenen Industriebetriebes erleichtern wollte. Anderseits verbietet sich nach der ganzen Sachlage und insbesondere angesichts der Unentgeltlichkeit der gestatteten Benutzung die Annahme, dass der Regierungsrat mit der Erteilung der Konzession zulasten des Kantons eine im Text der Konzession nicht ausgesprochene Gewähr für die gleichbleibende Qualität des der Klägerin natürlich zufliessenden Wassers übernehmen wollte. Das konnte die Konzessionärin nach Treu und Glauben unmöglich erwarten, umso weniger, als die Konzession nicht einmal zeitlich begrenzt war. Dagegen durfte sie, zumal da ihr das Recht zur Wasserbenutzung ausdrücklich für die Bedürfnisse ihres Textilveredlungsbetriebes eingeräumt wurde, nach Treu und Glauben darauf vertrauen, dass der Regierungsrat während der Dauer der Konzession weder selber etwas unternehmen werde, was das Wasser für den angegebenen Zweck unbrauchbar machen könnte, noch Dritten irgendwelche Vorkehren oder Massnahmen mit dieser Folge gestatten werde.
Diese mit der Konzessionserteilung übernommene Pflicht,
BGE 96 I 282 S. 290
die Qualität des der Klägerin natürlich zufliessenden Wassers nicht in einer die bestimmungsgemässe Verwendung verunmöglichenden oder sie erheblich beeinträchtigenden Weise zu verändern noch verändern zu lassen, hat der Kanton durch die der Erstellung der Nationalstrasse dienenden Bauarbeiten im Einzugsgebiet des Baches verletzt. Ob dabei Fehler begangen oder nicht begangen wurden, braucht nicht geprüft zu werden. Indem der Kanton die Konzession bestehen liess, aber als Bauherr zeitweilig der Klägerin die Sondernutzung verunmöglichen liess, die er ihr als Konzedent zugestanden hatte, hat er sie enteignet. Er hat sie daher zu entschädigen, sofern durch die Konzession ein durch die Eigentumsgarantie geschütztes Recht begründet wurde.
5.
Der Kanton Zürich bestreitet dies und beruft sich dabei auf § 33 (heute 62) WBG und insbesondere auf die in der Konzession von 1943 enthaltene Widerrufsklausel.
a) Nach
§ 33 WBG
können bestehende Wasserrechte, die weder auf beschränkte Zeit noch auf Zusehen oder mit dem Vorbehalt des Rückkaufs erteilt worden sind, nur auf dem Wege der freien Verständigung oder der Expropriation zurückgenommen werden. Diese Bestimmung spricht nicht für, sondern gegen den Standpunkt des Beklagten. Die Konzession von 1943 wurde, wie schon diejenige von 1917, auf unbeschränkte Zeit erteilt und enthält keinen Vorbehalt des Rückkaufs. Sie wurde auch nicht bloss auf Zusehen hin erteilt im Sinne einer "autorisation à bien plaire", wie sie HENRI ZWAHLEN in RDAF 25/1969 S. 161 ff. gekennzeichnet hat. Vielmehr muss daraus, dass der Regierungsrat angeordnet hat, die Konzession sei als "selbständiges und dauerndes Recht" ins Grundbuch einzutragen, geschlossen werden, dass mit ihr ein eigentliches Sondernutzungsrecht begründet werden wollte. Denn diese Eintragung hat nach
Art. 655 ZGB
zur Folge, dass das Recht "Gegenstand des Grundeigentums" wird, was jedenfalls das Bestehen eines wirklichen Rechtsverhältnisses im Gegensatz zu einem bloss prekaristischen Verhältnis voraussetzt, auch wenn die Eintragung am Inhalt und an der öffentlich-rechtlichen Natur des Rechts nichts ändert (MEIER-HAYOZ N. 5 und 19 zu
Art. 655 ZGB
). Dass es sich nicht um eine bloss auf Zusehen hin erteilte Bewilligung handelt, ergibt sich auch daraus, dass sich der Regierungsrat eine Aufhebung der Konzession nur vorbehielt für den Fall, dass "das öffentliche
BGE 96 I 282 S. 291
Interesse es erfordert, insbesondere dann, wenn der Reinigungsgrad des Abwassers den Anforderungen nicht entspricht".
b) Der Beklagte behauptet, aufgrund dieser Klausel (gegen deren Aufnahme in die Konzession die Klägerin im Wiedererwägungsgesuch vom 10. August 1943 erfolglos protestiert hat) hätte der Regierungsrat die Konzession jederzeit entschädigungslos aufheben können, und dieser vollständigen Aufhebung gegenüber stelle die Verschmutzung des Wassers ein minus dar. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die Klausel nennt als Beispiel eines öffentlichen Interesses, das zur Aufhebung der Konzession berechtigt, einen mangelhaften Reinigungsgrad des Abwassers. Ob auch ein ganz anders geartetes öffentliches Interesse oder gar ein fiskalisches Interesse wie dasjenige an einer möglichst billigen Erstellung der Nationalstrasse die Aufhebung zu rechtfertigen vermag, erscheint zweifelhaft, und erst recht ist fraglich, ob die Konzession beim Vorliegen eines hinreichenden öffentlichen Interesses im Widerspruch zu
§ 33 WBG
entschädigungslos aufgehoben werden könnte. Diese Fragen können indessen offen bleiben, da die Konzession vom Regierungsrat nicht aufgehoben worden ist und noch immer besteht. Auf keinen Fall haltbar ist die vom Beklagten vertretene Auffassung, in der Befugnis zur Aufhebung der Konzession sei das Recht enthalten, durch irgendwelche Vorkehren die Qualität des Wassers zum Nachteil der Konzessionärin zu verändern und ihr dadurch die durch die Konzession zugestandene Sondernutzung zu verunmöglichen. Ein solches Recht wäre nur anzunehmen, wenn es in der Konzession ausdrücklich vorbehalten wäre. Es lässt sich im Hinblick auf
§ 33 WBG
und nach Treu und Glauben nicht auf dem Wege der Auslegung aus jener Klausel ableiten.
c) Dass eine Sondernutzungskonzession wie die vorliegende ein durch die Eigentumsgarantie geschütztes Vermögensrecht sein kann, steht ausser Zweifel und wird vom Beklagten mit Recht nicht bestritten. Die Einräumung einer Sondernutzungskonzession kommt in der Regel der rechtsgeschäftlichen Einräumung eines beschränkten dinglichen Rechtes an der öffentlichen Sache praktisch gleich (so IMBODEN, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, ZSR 1958 S. 170 a; ebenso ZWAHLEN, Le contrat de droit administratif, daselbst S. 581 a ff.). Hier kommt hinzu, dass die Befugnis der Konzessionärin nach dem Willen des Konzedenten als selbständiges und dauerndes Recht
BGE 96 I 282 S. 292
ins Grundbuch aufgenommen wurde, also "Gegenstand des Grundeigentums" der Konzessionärin geworden ist. Die Eigentumsgarantie schützt das Eigentum und darüber hinaus einen weiten Kreis vermögenswerter Rechte (
BGE 94 I 448
,
BGE 91 I 419
und dort zitierte Urteile), namentlich auch solche, die durch Konzessionen verliehen wurden (
BGE 74 I 470
/71,
BGE 65 I 302
/03; MEIER-HAYOZ, N. 192 zu
Art. 664 ZGB
). Der zeitweilige Entzug der durch die Konzession bewilligten Sondernutzung bildet daher einen Enteignungstatbestand (
Art. 5 Abs. 2 EntG
), der den Enteigner zur Entschädigung verpflichtet. Der Umstand, dass davon weder in der Konzession, noch in den ihr beigelegten "Allgemeinen Konzessionsbedingungen für Wasserkräfte" noch im WBG die Rede ist, verschlägt nichts. Die Eigentumsgarantie war schon vor dem Inkrafttreten des
Art. 22ter BV
(AS 1969 S. 1250) Bestandteil des Bundesverfassungsrechts (
BGE 89 I 98
,
BGE 93 I 137
und 711,
BGE 94 I 610
). Die Frage, ob der zeitweilige Entzug der Sondernutzung sich als Enteignung qualifiziere und den Kanton Zürich entschädigungspflichtig mache, ist daher eine solche des Bundesrechts.
6.
Ist die Entschädigungspflicht des Beklagten aus den dargelegten Gründen zu bejahen, so braucht nicht geprüft zu werden, ob sie sich auch rein nachbarrechtlich begründen lässt, wie dies im angefochtenen Entscheid geschehen ist.
7.
Über die Höhe der Entschädigung ist nicht zu befinden; sie ist durch den Teilvergleich vom 21. Januar 1969 festgelegt worden. | 3,339 | 2,659 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Der Weiterzug des Kantons Zürich wird abgewiesen und das Urteil der Schätzungskommission des Kreises VI vom 4./9. Juni 1969 bestätigt. | 40 | 29 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-96-I-282_1970 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=17&from_date=&to_date=&from_year=1970&to_year=1970&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=169&highlight_docid=atf%3A%2F%2F96-I-282%3Ade&number_of_ranks=283&azaclir=clir | BGE_96_I_282 |
||
009d6ed2-f55c-4902-bee0-10ef4e703c3b | 1 | 84 | 1,356,525 | 504,921,600,000 | 1,986 | de | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 112 V 1 S. 1
Furler war ab 1. Januar 1982 einziger Verwaltungsrat der Firma M. AG, einer Tochtergesellschaft der Firma A. Holding AG. Am 6. September 1982 legte er dieses Mandat mit sofortiger Wirkung nieder; die entsprechende Publikation im Handelsamtsblatt erfolgte am 22. Februar 1983. Am 10. März 1983 fiel die Firma M. AG in Konkurs, und am 21. April 1983 wurde dieses Verfahren mangels
BGE 112 V 1 S. 2
Aktiven eingestellt. Dabei kam die Ausgleichskasse Basel-Stadt mit einer Beitragsforderung von Fr. ... zu Verlust.
Mit Entscheid vom 7. Februar 1985 hiess die Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen die Schadenersatzklage der Ausgleichskasse im wesentlichen gut, wogegen Furler Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben lässt. | 170 | 131 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
I.2.
a) Es steht fest, dass die Firma M. AG entgegen der Vorschrift von
Art. 14 Abs. 1 AHVG
paritätische bundesrechtliche Sozialversicherungsbeiträge sowie Verwaltungskostenbeiträge, Verzugszinsen, Betreibungs- und Mahngebühren der Ausgleichskasse nicht bezahlt hat und dass dieser dadurch ein Schaden entstanden ist. Dazu macht der Beschwerdeführer jedoch geltend, es hätten entgegen der Annahme der Vorinstanz "komplexe Verhältnisse im Sinne der Rechtsprechung" vorgelegen, weshalb er "nicht verpflichtet war, die Zahlungen an die Ausgleichskassen ständig zu kontrollieren". Dem vorinstanzlichen Vorwurf, sich zu wenig bzw. gar nicht um den Zahlungsverkehr der Gesellschaft gekümmert zu haben, hält er entgegen, dass er unbestrittenermassen gar keine Möglichkeit gehabt habe, Einblick in Buchhaltung und Zahlungsverkehr zu nehmen, weil die administrativen Geschäfte über die Holding bzw. andere Gesellschaften abgewickelt worden seien. Überdies habe er die Angaben der in ihrer Eigenschaft als Verwaltungsräte der Muttergesellschaft A. Holding AG effektiv massgebenden Herren X und Y, welche über alle wesentlichen Vorgänge der Firma M. AG informiert gewesen seien und die Abrechnungen teilweise selber vorgenommen hätten, als glaubhaft erachten dürfen, wonach die Sozialversicherungsbeiträge pünktlich abgerechnet und bezahlt würden. Zudem könne aus seiner Tätigkeit als Unternehmensberater bzw. Treuhänder nichts in bezug auf seine Sorgfaltspflicht abgeleitet werden, weil er sich als juristischer Laie lediglich mit Fragen der Werbung und Sicherheit befasst habe.
b) Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. Bei der Firma M. AG handelte es sich um ein kleines Unternehmen mit einfacher Verwaltungsstruktur; das Aktienkapital belief sich auf Fr. 50'000.--; der Beschwerdeführer war einziger und einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat. Bei derart einfachen und leicht überschaubaren Verhältnissen muss vom einzigen Verwaltungsrat
BGE 112 V 1 S. 3
einer Aktiengesellschaft, der als solcher die Verwaltung der Gesellschaft als einzige Person in Organstellung zu besorgen hat, der Überblick über alle wesentlichen Belange der Firma selbst dann verlangt werden, wenn gewisse Befugnisse von aussenstehenden Personen wahrgenommen werden. Er kann mit der Delegation von Funktionen an Dritte nicht zugleich auch seine Verantwortung als einziges Verwaltungsorgan an diese Dritten delegieren. Es liegt hier daher kein Sonderfall eines Grossunternehmens im Sinne von
BGE 103 V 124
vor, was allenfalls eine Beschränkung der Kontrollpflicht des Beschwerdeführers gerechtfertigt hätte. Er kann sich seiner gesetzlichen Verantwortung auch nicht mit der Begründung entschlagen, er habe keine Einsicht in Buchführung und Zahlungsverkehr gehabt. Wenn er sich aufgrund des sog. Treuhandvertrages vom 1. Januar 1982 als blosser Strohmann der Holding zur Verfügung stellte und seine Kontrollrechte nicht ausübte, so liegt darin eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne der Rechtsprechung. Dass er sich dessen auch tatsächlich bewusst war, geht aus dem Treuhandvertrag hervor, wo er sich die "ihm in seiner Eigenschaft als Verwaltungsrat nach Gesetz zustehenden Rechte und Pflichten" vorbehielt, "insbesondere seine Kontrollrechte gemäss
Art. 722 OR
". Der Einwand, dass er Treuhänder bzw. Unternehmensberater "ohne bestimmte Qualifikationen" gewesen sei und dass es an den Herren X und Y gelegen hätte, die Sozialversicherungsbeiträge abzurechnen, worauf er sich verlassen habe, vermag den Beschwerdeführer somit nicht zu entlasten. Auch wenn es zutreffen mag, dass die genannten Personen teilweise die AHV-Abrechnungen selbst vornahmen und über diese Belange im einzelnen besser orientiert waren, so ändert dies doch nichts daran, dass dem Beschwerdeführer selber im Sinne der vorstehenden Darlegungen grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Er kann sich als einziger Verwaltungsrat - entgegen seinen Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - namentlich auch nicht darauf berufen, dass sich seine Tätigkeit vor allem "auf die Beratung ... bezüglich Fragen der Sicherheit und der Werbung" beschränkt habe.
I.3.
a) Somit ist zu prüfen, in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf einem Verschulden des Beschwerdeführers im Sinne von
Art. 52 AHVG
beruht. Diesbezüglich lässt der Beschwerdeführer beantragen, er sei nur in reduziertem Umfang für schadenersatzpflichtig zu erklären und die Sache sei "zur Ermittlung des Quantitativs an die Vorinstanz zurückzuweisen". Zur
BGE 112 V 1 S. 4
Begründung macht er im wesentlichen geltend, er sei laut seinem Schreiben an die Firma A. Holding AG vom 6. September 1982 mit sofortiger Wirkung als Verwaltungsrat der Firma M. AG zurückgetreten; nach diesem Zeitpunkt habe er keine Möglichkeit zur Beeinflussung der Geschäftsführung mehr gehabt, weshalb er für die Beiträge vom 3. Quartal 1982 hinweg nicht haftbar gemacht werden könne. Auf die gleichen, schon vor der Rekurskommission erhobenen Einwände hat diese darauf hingewiesen, wohl habe der Beschwerdeführer am 6. September 1982 seinen Rücktritt als Verwaltungsrat der Gesellschaft erklärt; indessen habe er noch am 1. November 1982 namens der Firma M. AG eine Vollmacht für Herrn Y ausgestellt; sodann habe er mit Schreiben vom 2. Dezember 1982 an die Firma A. Holding AG festgehalten, dass es entgegen den Abmachungen unterlassen worden sei, seinen Rücktritt dem Handelsregister zu melden, weshalb er diese Mitteilung selber vornehmen werde; im weiteren habe er angekündigt, er werde für seine Bemühungen im Interesse der Firma A. Holding AG resp. der betroffenen Tochtergesellschaft seit 6. September 1982 eine Honorarrechnung stellen. Damit stehe aber fest, dass der Beschwerdeführer am 6. September 1982 nicht effektiv aus dem Verwaltungsrat ausgeschieden sei, weil er auch nach diesem Datum die Geschäftsführung noch massgeblich habe beeinflussen können (
BGE 109 V 86
ff.). Als Zeitpunkt des effektiven Austritts müsse daher die Löschung im Handelsregister betrachtet werden.
b) Soweit diese Ausführungen der Vorinstanz Feststellungen tatsächlicher Natur - insbesondere solche über die konkreten Handlungen des Beschwerdeführers nach dem 6. September 1982 - betreffen, sind sie für das Eidg. Versicherungsgericht verbindlich (
Art. 105 Abs. 2 OG
). Näher zu prüfen ist dagegen, ob die nach dem Zeitpunkt der Demission vorgenommenen Handlungen die Schlussfolgerung der Vorinstanz zulassen, der Beschwerdeführer habe dadurch die Geschäftsführung noch massgeblich beeinflussen können bzw. es liege trotz der Rücktrittserklärung kein effektives Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat vor (
BGE 109 V 94
f.). Bei dieser vorinstanzlichen Schlussfolgerung geht es - entgegen der Auffassung des Bundesamtes für Sozialversicherung - nicht um eine Sachverhaltsfeststellung, sondern um eine Rechtsfrage, die durch das Eidg. Versicherungsgericht frei überprüfbar ist (
Art. 104 lit. a OG
).
c) Der Beschwerdeführer hat der Firma A. Holding AG mit Schreiben vom 6. September 1982 erklärt, dass er sein Mandat als
BGE 112 V 1 S. 5
Verwaltungsrat der Firma M. AG per sofort niederlege. Mit dieser - an sich unbestrittenermassen korrekt erklärten - Demission trat die Beendigung des Amtes als Verwaltungsrat ein, und zwar mit sofortiger Wirkung (BÜRGI, Zürcher Kommentar, N. 8 zu
Art. 705 OR
; VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl., S. 226 f.; SCHUCANY, Kommentar zum Schweizerischen Aktienrecht, 2. Aufl., N. 2 zu
Art. 705 OR
; PATRY, Précis du droit Suisse des Sociétés, vol. II, S. 250;
BGE 104 Ib 323
Erw. 2b). Eine faktische Fortsetzung des Mandats über den genannten Zeitpunkt hinaus mit der Möglichkeit, die Geschäftsführung der Gesellschaft noch massgeblich zu beeinflussen, ist trotz der Vollmachterteilung vom 1. November 1982 bzw. des Schreibens vom 2. Dezember 1982 zu verneinen. Es erscheint nämlich als glaubhaft, dass der Beschwerdeführer gewisse Handlungen nur noch zur Liquidation seines Mandats im Sinne der Erfüllung einer Sorgfaltspflicht vornahm, weil die Aktiengesellschaft infolge der fristlosen Demission ihres einzigen Verwaltungsrates formell handlungsunfähig wurde. Wenn sich der Beschwerdeführer zu diesen Handlungen - sei es zu Recht oder zu Unrecht - berechtigt oder verpflichtet fühlte, so kann daraus nicht abgeleitet werden, er habe seine Demission vorläufig suspendiert. Dies muss vorliegend um so mehr gelten, als er bereits im Schreiben vom 6. September 1982 um die entsprechende Publikation im Handelsregister ersucht hatte und in der Folge wiederholt und unwidersprochen geltend machte, die Löschung des Eintrages sei durch die Verantwortlichen der Firma A. Holding AG hinausgezögert worden (vgl. hiezu FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Aktienrecht, 2. Aufl., S. 171 N. 23;
BGE 104 Ib 324
f. Erw. 2b und 3b). Bei diesen Gegebenheiten kann entgegen der Meinung von Verwaltung und Vorinstanz nicht auf die Löschung des Eintrags im Handelsregister abgestellt werden. Als massgebender Zeitpunkt des effektiven Ausscheidens aus dem Verwaltungsrat muss vielmehr der 6. September 1982 betrachtet werden.
d) Da der Beschwerdeführer am 6. September 1982 effektiv aus dem Verwaltungsrat ausgeschieden ist, hatte er ab diesem Datum keine Möglichkeit mehr, Zahlungen an die Ausgleichskasse zu veranlassen. Es wird auch von keiner Seite behauptet, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Sonderfall einer grobfahrlässig verursachten Zahlungsunfähigkeit, welche die Bezahlung der Forderungen innert den jeweiligen Zahlungsfristen zum vornherein verunmöglicht hätte, gegeben war (ZAK 1985 S. 581 f.). Demnach
BGE 112 V 1 S. 6
kann der Beschwerdeführer namentlich für die Beiträge des 3. Quartals 1982, welche erst am 30. September 1982 fällig geworden sind und die bis zum 10. Oktober 1982 hätten bezahlt werden müssen (
Art. 34 Abs. 1 lit. a und Abs. 4 AHVV
), nicht haftbar gemacht werden. Eine Schadenersatzpflicht fällt vielmehr nur für die von der Kasse in der Abrechnung angeführten ersten drei Positionen (22. Juli, 5. und 12. August 1982) sowie allenfalls noch teilweise für jene vom 2. August 1983 (Nachforderung für das Jahr 1982) in Betracht.
Hinsichtlich der zuletzt genannten Position geht aus den Akten nicht hervor, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie sich auf Beiträge bezieht, die vor dem Demissionsdatum vom 6. September 1982 hätten bezahlt werden müssen. Sodann ist auch unklar, auf welche Schadenpositionen die in der "Schlussabrechnung 1982" vom 25. April 1983 vermerkten Zahlungen, welche zu einer Gutschrift von insgesamt Fr. ... führten, angerechnet worden sind. Hiezu ist zu sagen, dass diese Zahlungen vorab an die ältesten und nicht an jüngere, allenfalls dem Beschwerdeführer nicht mehr zur Last fallende Schadenpositionen anzurechnen sind. Dabei ist - entgegen der Auffassung der Kasse - der Zeitpunkt dieser Zahlungen unerheblich; auch wenn sie erst nach dem 6. September 1982 geleistet worden sein sollten, liegt insoweit kein Schaden (mehr) vor, als sie auf die fraglichen Positionen anrechenbar sind. Ob und allenfalls inwieweit diese Zahlungen bei der Schadenersatzforderung richtig berücksichtigt worden sind, lässt sich aufgrund der vorliegenden Akten nicht abschliessend beurteilen. Die Sache ist daher an die Verwaltung zurückzuweisen. Diese wird die notwendigen Erhebungen durchzuführen und hernach über die Schadenersatzforderung neu zu befinden haben. In diesem Sinne erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Beschwerdeführers teilweise als begründet. | 2,333 | 1,885 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-112-V-1_1986 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=37&from_date=&to_date=&from_year=1986&to_year=1986&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=366&highlight_docid=atf%3A%2F%2F112-V-1%3Ade&number_of_ranks=378&azaclir=clir | BGE_112_V_1 |
|||
009e67b9-891d-472a-afc2-a94ffdfc48d1 | 1 | 81 | 1,361,378 | null | 2,024 | de | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 276
BGE 104 II 275 S. 276
Erwägungen:
3.
Die Klägerin behauptete im kantonalen Verfahren, sie habe vollständige und dem Akkreditiv entsprechende Dokumente vorgelegt. Nach dem angefochtenen Urteil traf das nicht zu, weil die Police der Transportversicherung Haftung für "all risks" zusagte, gemäss Akkreditiv aber Deckung "gegen alle Risiken inkl. Rost, Verbeulen, Verbiegen und Verlust" auszuweisen war, und weil die Versicherung bis zum Bestimmungsort in der Schweiz, statt bis zur deutschen Inlandstation galt. Die Klägerin anerkennt auch vor Bundesgericht nur, dass bei Ablauf des Akkreditivs am 20. August 1976 die Versicherungspolice in den erwähnten Punkten mit dem Wortlaut der Bedingungen nicht genau übereinstimmte; nach ihrer Ansicht hätte die Police gleichwohl genügt, weil sie gemäss einer ausdrücklichen Bestätigung der Versicherungsgesellschaft auch die besonderen
BGE 104 II 275 S. 277
Risiken umfasste und die Deckung bis zum schweizerischen Bestimmungsort erheblich über diejenige bis zur deutschen Inlandstation hinausging.
Damit übergeht die Klägerin nicht nur die Pflicht aller Beteiligten, auf den Wortlaut des Akkreditivs abzustellen, sondern verkennt auch die Bedeutung der Dokumentenstrenge, die für das Institut als solches gilt (J.C.D. ZAHN, Zahlung und Zahlungszusicherung im Aussenhandel, 5. Aufl. 1976, S. 103 ff.; F. EISEMANN, Recht und Praxis des Dokumenten-Akkreditivs, 1963, S. 69 ff.). Die Auffassung der Klägerin geht selbst über eine nach Treu und Glauben zulässige Auslegung von Akkreditivbestimmungen hinaus (
BGE 88 II 344
/5). Die Problematik allgemeiner Wendungen, wie "gegen alle Risiken versichert", ist längst bekannt; die Internationale Handelskammer empfiehlt in ihren "Einheitlichen Richtlinien und Gebräuchen für Dokumenten-Akkreditive" (ERG) von 1974 denn auch nähere Angaben (Art. 29 a und 30; ZAHN, a.a.O. S. 140). Enthält das Akkreditiv, wie hier, besondere Angaben über den Versicherungsschutz, so müssen diese auch für die Dokumentenprüfung massgebend bleiben; es geht nicht an, sie durch eine unklare Wendung ersetzen zu wollen. Unhaltbar ist auch der Einwand, man habe ja nach Ankunft des Schiffes in Antwerpen unschwer feststellen können, dass die Sendung unbeschädigt war. Damit versucht die Klägerin, die Prüfung der Dokumente durch eine solche der Ware zu ersetzen, was dem Begriff des Akkreditivs widerspricht. Sie übersieht zudem, dass das Akkreditiv der Beklagten am 20. August ablaufen sollte, das Schiff aber erst am 27. August eintraf.
Nicht anders verhält es sich mit dem Bestimmungsort, gleichviel aus welchen Gründen die Versicherungspolice in diesem Punkte vom Akkreditiv abwich und wer den Mangel zu beheben versprach. Die in der Berufungsantwort erhobene Behauptung, die Abweichung sei unerheblich gewesen, steht der Klägerin umsoweniger an, als diese bei Einreichung der Dokumente am 16. August 1976 selber davon ausging, der Versicherungsschutz sei durch einen Zusatz für die Bundesrepublik zu ergänzen. Gegen ihre Behauptung spricht ferner, dass die Ergänzung mit einer Mehrprämie von Fr. 2'921.67 verbunden war.
(4.- Ausführungen darüber, ob die Beklagte die ihr eingereichten Dokumente ausdrücklich genehmigt oder zumindest nicht rechtzeitig beanstandet habe.)
BGE 104 II 275 S. 278
5.
Das Handelsgericht hat die Klage unabhängig vom Vorhalt der Verspätung auch gutgeheissen, weil die Beklagte die Dokumente nicht zur Verfügung der Klägerin gehalten, sondern sie ohne deren Einverständnis am 25. August 1976 einer Speditionsfirma ausgehändigt hat. Es ist der Auffassung, dass die Beklagte wegen dieser eigenmächtigen Verfügung über die Dokumente gemäss
BGE 90 II 307
verpflichtet ist, der Klägerin die Akkreditivsumme zu bezahlen.
a) Im zitierten Urteil führte das Bundesgericht zum Sinn und Zweck des Akkreditivs und zu Art. 10 Abs. 1 ERG (Fassung 1951) insbesondere aus, der Verkäufer müsse sich auf die vollständige und unbeschwerte Rückgabe der Dokumente verlassen können, damit ihm die Verfügungsgewalt über die Ware erhalten bleibe, wenn die Akkreditivbank die eingereichten Papiere aus irgendwelchen Gründen nicht aufnehme; nur dann erfülle das Akkreditiv seinen Sicherungszweck zum Schutze des Verkäufers. Dieser Zweck verlange auch, dass jedes Verhalten der Bank, die dem Verkäufer die Verfügungsgewalt über die Ware nehme, die gleichen Folgen habe wie die vorbehaltlose Aufnahme der Dokumente. Die Akkreditivbank widerspreche sich selbst, wenn sie die Dokumente als ungenügend bezeichne, aber gleichzeitig über sie und damit über die Ware in irgendeiner Weise verfüge; sie sei auch diesfalls zur Zahlung verpflichtet.
Diese Erwägungen haben grundsätzliche Bedeutung und gelten auch für die Richtlinien der Internationalen Handelskammer in der 1974 revidierten Fassung, insbesondere für Art. 3 und 8 ERG. Sie decken sich zudem mit der herrschenden Lehre, wonach die Akkreditivbank zur Zahlung verpflichtet ist, wenn sie die eingesandten Dokumente mangels Übereinstimmung mit dem Akkreditiv nicht aufnehmen will, aber darüber zum Nachteil des Einsenders anderweitig verfügt (ZAHN, a.a.O. S. 143 und 146; EISEMANN, a.a.O. S. 79; H. REICHWEIN, in SJZ 61/1965 S. 56).
Die Beklagte hält dem unter Berufung auf ein Rechtsgutachten entgegen, dass die in
BGE 90 II 306
ff. enthaltenen Grundsätze sowie Art. 8 lit. b-g ERG nur im Verhältnis zwischen zwei Banken, nicht aber für die Beziehungen des Begünstigten zur Akkreditivbank gälten. Darin ist dem Gutachten indes nicht zu folgen. Gewiss beziehen sich diese Richtlinien teilweise nur auf den Verkehr unter Banken; das gilt z.B. für die in Art. 8 lit.
BGE 104 II 275 S. 279
enthaltene Regel, dass Reklamationen unter Angabe der Gründe auf schnellstem Wege mitzuteilen sind. Andere Bestimmungen, so Art. 8 lit. d, enthalten dagegen zu Recht keine solchen Einschränkungen. Es versteht sich schon nach dem Zweck des Akkreditivs, dass sich der Begünstigte ebenfalls auf den Grundsatz berufen kann, wonach nicht aufgenommene Dokumente zur Verfügung gehalten oder zurückgegeben werden müssen (Art. 8 lit. e in fine); wenn eine Akkreditivbank weder das eine noch das andere tut, braucht er sich folglich auch die in Art. 8 lit. f erwähnten Einreden nicht gefallen zu lassen (ZAHN, a.a.O. S. 143 und 145/6; EISEMANN, a.a.O. S. 79). Was nach
BGE 90 II 307
schon früher allgemein anerkannt war, wurde 1974 in Art. 8 lit. f ERG für das Verhältnis unter Banken ausdrücklich bestätigt, aber nicht auf deren Beziehungen beschränkt, weil dies der Funktion des Akkreditivs stracks zuwiderliefe.
b) Die Beklagte bestreitet nicht, dass sie die von der Klägerin vorgelegten Seekonnossemente am 25. August 1976 einer Speditionsfirma zugestellt und dafür von dieser eine "Spediteur-Übernahmebescheinigung" erhalten hat. Sie hält dagegen daran fest, dass sie dadurch ihre Pflichten aus dem Besitz der Dokumente nicht mehr habe verletzen können, da ihr Akkreditiv bereits am 20. August abgelaufen sei. Dieser Standpunkt ist schon von der Vorinstanz zu Recht als unhaltbar bezeichnet worden. Die Beklagte blieb auch nach Ablauf des Akkreditivs verpflichtet, die als ungenügend erachteten Dokumente zurückzugeben. Sie verkennt erneut, dass die Dokumente die Ware repräsentieren und der Anspruchsberechtigte sich damit auszuweisen hat, eine pflichtwidrige Abtretung der Dokumente an einen Dritten folglich einer unzulässigen Verfügung über die Ware gleichkommt.
Dank der Konnossemente konnte die Speditionsfirma das am 27. August in Antwerpen eintreffende Schiff denn auch löschen lassen, was die Beklagte nicht zu widerlegen sucht; sie anerkennt vielmehr, die Dokumente gerade zu diesem Zweck hingegeben zu haben. Streitig ist, ob die Speditionsfirma hierauf die Ware zur eigenen oder zur Verfügung des Zweitkäufers gehalten hat. Das ist jedoch unerheblich, da die Sendung nach der Übernahmebescheinigung des Spediteurs nicht nur zuhanden des Zweitkäufers entgegengenommen, sondern vom Erstkäufer auch übergeben worden ist. Damit war die Ware der
BGE 104 II 275 S. 280
Verfügungsgewalt der Beklagten und der Klägerin entzogen, was dieser am 7. September 1976 von der Speditionsfirma bestätigt, aber nur gestützt auf die zu Unrecht ausgehändigten Konnossemente möglich wurde.
c) ...
d) Es bleibt daher beim Vorwurf des Handelsgerichtes, dass die Beklagte die ihr vorgelegten Seekonnossemente ohne Zustimmung der Klägerin weitergegeben hat, wie wenn sie alle Dokumente als ordnungsgemäss aufgenommen hätte. Unter diesen Umständen konnte sie die Aufnahme nicht nachträglich mit der Begründung ablehnen, dass ihr innert der vorgesehenen Frist keine einwandfreien Dokumente eingereicht worden seien. Als Akkreditivbank hätte sie sich auf die ihr zukommenden Aufgaben beschränken sollen, statt sich mit Rücksicht auf Interessen und das Verhalten anderer Beteiligter um Einzelheiten des Grundgeschäftes zu kümmern, die aus dem Akkreditiv begünstigte Klägerin dagegen unbedacht zu übergehen. Dass die Formstrenge des Akkreditivrechts keiner Partei unredliche Vorteile verschaffen darf, hilft der Beklagten nicht, da solche Wirkungen jedenfalls zugunsten der Klägerin nicht zu ersehen sind. Diese hatte Anspruch darauf, entweder aus dem Akkreditiv bezahlt zu werden oder alle Dokumente unverändert zurückzubekommen und damit die Verfügungsgewalt über die Ware zu behalten. Letzteres aber hat die Beklagte durch ihr eigenmächtiges Vorgehen vereitelt, weshalb die Klägerin die Akkreditivsumme beanspruchen kann. | 2,068 | 1,599 | 2 | 0 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-104-II-275_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=12&from_date=&to_date=&from_year=1978&to_year=1978&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=120&highlight_docid=atf%3A%2F%2F104-II-275%3Ade&number_of_ranks=339&azaclir=clir | BGE_104_II_275 |
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ab Seite 125
BGE 135 V 124 S. 125
A.
Der im Kanton Luzern wohnhafte Arzt C. führt im Kanton Aargau eine Praxis. Gemäss einer vom 26. April 2007 datierenden Vereinbarung verpflichtete sich C., der INTRAS Versicherungen unter dem Titel "Abgeltung Rückforderung für die Jahre 2005-2006" den Betrag von pauschal Fr. 16'100.- (entsprechend 40 % der fakturierten Leistungen bis Ende 2006) innert 30 Tagen zu überweisen. Da die Zahlung ausblieb, leitete die INTRAS Krankenkasse (nachfolgend: Intras) die Betreibung ein. Gegen den Zahlungsbefehl vom 22. Dezember 2007 erhob C. Rechtsvorschlag. Mit Entscheid vom 15. Mai 2008 erteilte der Präsident des Amtsgerichts Luzern-Stadt der Intras für den Betrag von Fr. 16'100.- provisorische Rechtsöffnung.
B.
Am 5. August 2008 liess C. beim Schiedsgericht gemäss
Art. 89 KVG
des Kantons Luzern Aberkennungsklage einreichen und zur Hauptsache beantragen, es sei festzustellen, dass er der Intras nichts schulde, und die am 22. Dezember 2007 eingeleitete Betreibung aufzuheben.
BGE 135 V 124 S. 126 | 250 | 188 | 2 | 0 | Mit Entscheid des Präsidenten vom 13. August 2008 trat das Schiedsgericht auf die Klage nicht ein (Dispositiv-Ziffer 1) und überwies die Akten dem Amtsgericht Luzern-Stadt zur Behandlung (Dispositiv-Ziffer 2).
C.
C. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 13. August 2008 sei aufzuheben und das Schiedsgericht nach
Art. 89 KVG
des Kantons Luzern anzuweisen, auf die Aberkennungsklage einzutreten.
Die Intras beantragt Nichteintreten auf die Beschwerde oder deren Abweisung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid kann als Endentscheid im Sinne von
Art. 91 BGG
(Urteil 9C_740/2008 vom 10. Oktober 2008 E. 1) oder als - selbständig eröffneter - Vor- oder Zwischenentscheid über die Zuständigkeit nach
Art. 92 Abs. 1 BGG
betrachtet werden. Die dagegen erhobene Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten ist somit zulässig und es ist darauf einzutreten, da auch die übrigen formellen Gültigkeitserfordernisse gegeben sind.
2.
Die Vorinstanz hat ihr Nichteintreten auf die Aberkennungsklage damit begründet, bei der in Betreibung gesetzten Forderung von Fr. 16'100.- sei es ursprünglich um die Rückforderung von angeblich zu hohen Rechnungsstellungen des Klägers zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gegangen. Am 26. April 2007 sei deswegen eine Vereinbarung getroffen worden, wonach sich der Leistungserbringer zwecks Abgeltung sämtlicher Forderungen der Jahre 2005 und 2006 verpflichtete, dem beklagten Krankenversicherer diese Summe zu bezahlen. Der Einwand des Klägers, die auf der Vereinbarung aufgeführte Unterschrift stamme nicht von ihm, sei vom Rechtsöffnungsrichter verworfen worden. Mit der Vereinbarung vom 26. April 2007 sei unter den Parteien eine neue Verpflichtung begründet worden (sog. Novation). Damit werde diese zu einem privatrechtlichen Vertrag. Allenfalls daraus entstehende Streitigkeiten seien somit privatrechtlicher Natur. Mithin stütze sich die Forderung der Beklagten nicht mehr auf die Bestimmungen des Krankenversicherungsgesetzes. Vielmehr habe sie mit der Vereinbarung ein direktes zivilrechtliches Forderungsrecht gegenüber dem
BGE 135 V 124 S. 127
Kläger erhalten (Urteil U 537/06 vom 13. Juni 2007). Zuständig zum Entscheid über die Aberkennungsklage sei somit nicht das Schiedsgericht nach
Art. 89 KVG
, sondern das Zivilgericht am Ort der Betreibung nach
Art. 83 Abs. 2 SchKG
. Selbst wenn im Übrigen Sozialversicherungsrecht zur Anwendung käme, wäre das Schiedsgericht des Kantons Aargau, wo die Praxis des Klägers liegt, und nicht dasjenige das Wohnsitzkantons Luzern örtlich zuständig.
Der Beschwerdeführer bestreitet einen "animus novandi" im Sinne von
Art. 116 OR
. Mit der Vereinbarung vom 26. April 2007 sei - soweit die Unterschrift überhaupt von ihm stamme - nicht ein anderes Schuldverhältnis begründet, sondern eine zulässige aussergerichtliche Vereinbarung über die pauschale Abgeltung der vom Krankenversicherer behaupteten zu hohen Abrechnungen für die Behandlungsjahre 2005 und 2006 getroffen worden. Hätte er sich dem Abschluss einer Vereinbarung verschlossen, hätte die Beschwerdegegnerin gestützt auf dieselben tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen eine Rückforderungsklage eingereicht. Dieser wäre dasselbe Schuldverhältnis zugrunde gelegen. Das von der Vorinstanz erwähnte Urteil U 537/06 vom 13. Juni 2007 sei aufgrund des ganz verschiedenen Sachverhalts nicht einschlägig. Schliesslich sei für die Frage der örtlichen Zuständigkeit der Betreibungsort im Kanton Luzern und nicht der Praxisstandort im Kanton Aargau massgebend.
3.
Der in Verneinung der sachlichen und eventualiter örtlichen Zuständigkeit ergangene Nichteintretensentscheid der Vorinstanz erging als Entscheid des Präsidenten des Schiedsgerichts nach
Art. 89 KVG
des Kantons Luzern.
3.1
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen die formellen Gültigkeitserfordernisse des vorinstanzlichen Verfahrens. Dazu gehört auch die Frage der (numerisch) richtigen Besetzung des Schiedsgerichts. Dabei gilt folgende Kognitionsregelung: Auslegung und Anwendung kantonalen Gesetzesrechts beurteilen sich lediglich unter dem eingeschränkten Blickwinkel der Willkür (
Art. 9 BV
). Dagegen ist frei und ohne Bindung an allfällige Vorbringen der Parteien zu prüfen, ob die - als vertretbar erkannte - Auslegung kantonaler Vorschriften mit der in
Art. 30 Abs. 1 BV
gewährleisteten Garantie eines durch Gesetz geschaffenen, zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gerichts und mit dem übrigen Bundesrecht, namentlich
Art. 89 KVG
, vereinbar ist
BGE 135 V 124 S. 128
(vgl.
BGE 129 V 335
E. 1.3.2 S. 338 und
BGE 123 V 280
E. 1 S. 283; je mit Hinweisen; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 139/04 vom 27. März 2006 E. 2.2, nicht publ. in:
BGE 132 V 303
, aber in: SVR 2006 KV Nr. 31 S. 111).
3.2
Nach
Art. 89 KVG
entscheidet ein Schiedsgericht Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern (Abs. 1). Zuständig ist das Schiedsgericht desjenigen Kantons, dessen Tarif zur Anwendung gelangt, oder desjenigen Kantons, in dem die ständige Einrichtung des Leistungserbringers liegt (Abs. 2). Der Kanton bezeichnet ein Schiedsgericht. Es setzt sich zusammen aus einer neutralen Person, die den Vorsitz innehat, und aus je einer Vertretung der Versicherer und der betroffenen Leistungserbringer in gleicher Zahl. Die Kantone können die Aufgaben des Schiedsgerichts dem kantonalen Versicherungsgericht übertragen; dieses wird durch je einen Vertreter oder eine Vertreterin der Beteiligten ergänzt (Abs. 3).
Im Kanton Luzern gilt die in
Art. 89 Abs. 3 Satz 2 KVG
vorgesehene Regelung. Dabei ist der Präsident der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Verwaltungsgerichts (= Versicherungsgericht) vorsitzendes Mitglied des Schiedsgerichts. Die Parteien können je einen Schiedsrichter oder eine Schiedsrichterin ernennen resp. bezeichnen (§ 7 Abs. 2 des Einführungsgesetzes vom 23. März 1998 zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung [SRL Nr. 865] und § 19 Abs. 4 der Geschäftsordnung für das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern vom 16. Mai 1973 [SRL Nr. 43]).
3.2.1
Die in
Art. 89 Abs. 4 KVG
vorgeschriebene Zusammensetzung des Schiedsgerichts stellt eine bundesrechtliche Minimalvorschrift dar, an welche die Kantone gebunden sind (
Art. 49 Abs. 1 BV
). Die paritätische Besetzung mit Vorsitz einer neutralen Person ist gleichsam Wesensmerkmal des Schiedsgerichts. Einzelrichterliche Entscheide können sich daher höchstens auf rein formelle Entscheide beziehen wie etwa Prozesserledigungen zufolge Rückzugs oder Vergleichs oder Ausstandsbegehren (SVR 2008 KV Nr. 17 S. 65, 9C_149/2007 E. 2.2.3). Dagegen fallen Nichteintretensentscheide mangels sachlicher Zuständigkeit des Schiedsgerichts nach
Art. 89 Abs. 1 KVG
grundsätzlich nicht in die Kategorie der Einzelrichter-Befugnisse. Die aufgrund zwingender Gesetzesvorschriften sowie unter Berücksichtigung der aus
Art. 30 Abs. 1 BV
fliessenden grundrechtlichen Ansprüche zu beurteilenden
BGE 135 V 124 S. 129
Fragen der Sachzuständigkeit sind generell - auch mit Blick auf die Interessenlage der Beteiligten - als gewichtig einzustufen. Ob eine Streitigkeit zwischen Versicherer und Leistungserbringer im Sinne von
Art. 89 Abs. 1 KVG
vorliegt, lässt sich nicht losgelöst von mitunter komplexen materiellrechtlichen Erwägungen wie beispielsweise über die Natur des betreffenden Rechtsverhältnisses, dessen konkrete Rechtswirkungen und die Zuordnung der ihm zu Grunde liegenden Rechtsnormen zum Privatrecht oder zum öffentlichen Recht beurteilen. Dies trifft auch auf die materiell streitige Aberkennungsklage des Beschwerdeführers gegen die von der Beschwerdegegnerin gestützt auf die Vereinbarung vom 26. April 2007 auf dem Betreibungsweg geltend gemachte Forderung zu. Dass die Prüfung der sachlichen Zuständigkeit nach
Art. 89 Abs. 1 KVG
primär juristisches Fachwissen voraussetzt, stellt keinen triftigen Grund dar, um von der ordentlichen, paritätischen Besetzung des Schiedsgerichts gemäss
Art. 89 Abs. 4 KVG
und den diese Vorschrift konkretisierenden kantonalen Bestimmungen abzusehen (Urteil K 139/04 vom 27. März 2006 E. 3.3.1 und 3.3.2, nicht publ. in:
BGE 132 V 303
, aber in: SVR 2006 KV Nr. 31 S. 111).
3.2.2
Der Präsident des Schiedsgerichts nach
Art. 89 KVG
des Kantons Luzern hat seine Zuständigkeit als Einzelrichter damit begründet, mangels Zuständigkeit des Schiedsgerichts sei er nicht befugt, die Parteien zur Bestellung von Schiedsrichtern aufzufordern. Dabei hat er auf § 8a Abs. 1 lit. e der Geschäftsordnung für das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern verwiesen. Nach dieser Bestimmung entscheiden die Abteilungs- und Kammerpräsidenten oder die von ihnen bezeichneten Verwaltungsrichter als Einzelrichter u.a. Klagen, die wegen offensichtlicher Unzuständigkeit nicht materiell zu beurteilen sind. Es kann offenbleiben, ob mit Bezug auf die Aberkennungsklage des Beschwerdeführers, auf welche der vorinstanzliche Richter nicht eingetreten ist, ein Anwendungsfall offensichtlicher Unzuständigkeit im Sinne von § 8a Abs. 1 lit. e der Geschäftsordnung für das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern vorliegt (vgl. E. 4). Die Frage der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit für die Beurteilung dieser Klage ist von Bundesrechts wegen zwingend in der ordentlichen Besetzung des Schiedsgerichts, somit unter Mitwirkung von zwei Schiedsrichtern zu entscheiden.
Von der Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu erneuter Entscheidung in gehöriger Besetzung ist indessen aus prozessökonomischen Gründen abzusehen. Die Parteien haben sich zur
BGE 135 V 124 S. 130
sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Schiedsgerichts nach
Art. 89 Abs. 1 und 2 KVG
, welche Frage in diesem Verfahren einzig streitig ist (
BGE 116 V 265
E. 2a S. 266), geäussert, sodass darüber abschliessend entschieden werden kann.
4.
4.1
Bei der Rückforderung von in Verletzung des Gebots der Wirtschaftlichkeit der Leistungen erbrachten Vergütungen aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (
Art. 56 Abs. 1 und 2 KVG
sowie
Art. 32 Abs. 1 KVG
) handelt es sich um eine Streitigkeit im Sinne von
Art. 89 Abs. 1 KVG
, zu deren Beurteilung - von der hier nicht interessierenden Zuständigkeit der kantonalen Versicherungsgerichte (vgl. RKUV 2002 S. 468, K 25/02 E. 3) abgesehen - das nach Abs. 2 dieser Bestimmung örtlich zuständige Schiedsgericht berufen ist (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 119/04 vom 6. Oktober 2005 E. 2.2; Urteil 9C_393/2007 vom 8. Mai 2008 E. 3; vgl. auch RKUV 2003 S. 216, K 9/00 E. 4.1).
4.2
Das Gesetz umschreibt die Neuerung oder Novation in
Art. 116 Abs. 1 OR
als Tilgung einer alten Schuld durch Begründung einer neuen. Darunter ist die vertragliche Einigung von Gläubiger und Schuldner zu verstehen, eine bestehende Obligation untergehen zu lassen und durch eine neue zu ersetzen (
BGE 126 III 375
E. 2e/bb S. 381), also die rechtliche Grundlage des bestehenden Schuldverhältnisses auszuwechseln (Urteil 4C.60/2002 vom 16. Mai 2002 E. 1.4 mit Hinweisen auf die Lehre). Der tatsächliche übereinstimmende Wille der Kontrahenten, das alte Schuldverhältnis in seiner Identität zu beseitigen ("animus novandi"), muss klar zum Ausdruck kommen und ist im Streitfalle von derjenigen Partei zu beweisen, welche sich darauf beruft (
BGE 107 II 479
E. 3 S. 481). Eine blosse Schuldanerkennung resp. die Ausstellung eines neuen Schuldscheins begründet in der Regel keine Neuerung (
Art. 116 Abs. 2 OR
;
BGE 131 III 586
E. 4.2.3.3 S. 592), wohl häufig aber ein aussergerichtlicher Vergleich (
BGE 105 II 273
E. 3a S. 277 mit Hinweisen).
In dem von der Vorinstanz erwähnten Urteil U 537/06 vom 13. Juni 2007 qualifizierte die I. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts unter den gegebenen Umständen, welche hier nicht näher darzulegen sind, eine Zahlungsvereinbarung zwischen einem Unfallversicherer und einem diesem unterstellten Betrieb als Novation der Prämienschuld. Die - von der Firma bestrittene - neue
BGE 135 V 124 S. 131
Schuld sei vom ursprünglichen Verpflichtungsgrund losgelöst. Bei der Zahlungsvereinbarung handle es sich (somit) um einen privatrechtlichen Vertrag. Das kantonale Versicherungsgericht sei somit nicht zuständig für die Beurteilung der bei ihm anhängig gemachten Aberkennungsklage (E. 3.3).
4.3
Es kann offenbleiben, ob die Vereinbarung vom 26. April 2007 zwischen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin eine Novation im Sinne von
Art. 116 OR
darstellt und demzufolge der ursprüngliche Verpflichtungsgrund (Verletzung des Gebots der Wirtschaftlichkeit der Leistungen) für die Frage der Begründetheit der Forderung des Krankenversicherers, auf deren Aberkennung der Leistungserbringer geklagt hat (
Art. 83 Abs. 2 SchKG
), ohne Bedeutung ist.
4.3.1
Das einer Rückforderung wegen unwirtschaftlicher Behandlung nach
Art. 56 Abs. 1 und 2 KVG
zu Grunde liegende Rechtsverhältnis ist öffentlich-rechtlicher Natur. Inwieweit es das Gesetz zulässt, dass eine solche Forderung durch Vereinbarung, beispielsweise im Rahmen eines aussergerichtlichen Vergleichs, von ihrem Verpflichtungsgrund losgelöst und auf eine gänzlich neue tatsächliche und rechtliche Grundlage gestellt werden kann, braucht hier nicht abschliessend beurteilt zu werden. Durch einen solchen Vertrag kann jedenfalls der öffentlich-rechtliche Charakter der Rechtsbeziehung zwischen Krankenversicherer und Leistungserbringer nicht geändert werden. Der Versicherer handelt nach wie vor als Durchführungsorgan der sozialen Krankenversicherung in Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe des Bundes (RKUV 2002 S. 1, K 34/01 E. 5a; Urteil 2P.147/1999 vom 8. September 1999 E. 2b). Das neu begründete Schuldverhältnis ist somit wie das ursprüngliche öffentlich-rechtlicher Natur (vgl.
BGE 114 Ib 142
E. 3b/aa-cc S. 147 ff. [Enteignungsvertrag]), was von der Vorinstanz und auch im Urteil U 537/06 vom 13. Juni 2007 verkannt worden ist. Es kann sich nicht anders verhalten als bei einem Vergleich in Streitigkeiten über sozialversicherungsrechtliche Leistungen zwischen Versicherern und Versicherten (
Art. 50 Abs. 1 ATSG
[SR 830.1] in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 KVG
). Dieser Vergleich ist öffentlich-rechtlicher Natur, was sich schon daraus ergibt, dass er vom Versicherungsträger in Form einer anfechtbaren Verfügung zu eröffnen ist (
Art. 50 Abs. 2 ATSG
). Streitigkeiten über die Bedeutung und Tragweite einer Vereinbarung zwischen Krankenversicherer und Leistungserbringer wie diejenige vom 26. April 2007 zwischen den
BGE 135 V 124 S. 132
am Recht stehenden Parteien sind daher im Klageverfahren vor dem örtlich zuständigen Schiedsgericht nach
Art. 89 KVG
auszutragen, unabhängig davon, ob die Vereinbarung novierend ist oder nicht. Wird der (neu begründete) Anspruch auf dem Betreibungsweg verfolgt und dem Gläubiger provisorische Rechtsöffnung erteilt, kann der Schuldner nach
Art. 83 Abs. 2 SchKG
auf dem Weg des ordentlichen Prozesses auf Aberkennung der Forderung klagen. Dabei gilt die gleiche sachliche Zuständigkeit wie für die entsprechende Klage ausserhalb eines Betreibungsverfahrens (
BGE 133 III 645
E. 5.2 S. 652;
BGE 99 V 78
E. 1a in fine S. 80; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 341/00 vom 15. März 2001 E. 2a; ADRIAN STAEHELIN UND ANDERE, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs [Unter Einbezug der Nebenerlasse] SchKG I [Art. 1-87], 1998, N. 39 und 43 zu
Art. 83 SchKG
). Vorliegend ist somit unabhängig davon, ob die Vereinbarung vom 26. April 2007 alle Merkmale einer Neuerung im Sinne von
Art. 116 OR
aufweist, ein Schiedsgericht nach
Art. 89 Abs. 1 KVG
zuständig zum Entscheid über die Aberkennungsklage des Beschwerdeführers. Der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid verletzt insoweit Bundesrecht (
Art. 95 lit. a BGG
).
4.3.2
In Bezug auf die örtliche Zuständigkeit ergibt sich Folgendes: Nach
Art. 83 Abs. 2 SchKG
ist beim Gericht des Betreibungsortes auf Aberkennung der Forderung zu klagen. Der in die Rolle des Klägers gedrängte Schuldner soll nicht des ordentlichen Betreibungsstandes an seinem Wohnsitz (
Art 46 Abs. 1 SchKG
) verlustig gehen (
BGE 124 III 207
E. 3b/aa S. 209; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite [art. 1-88], 1999, N. 83 zu
Art. 83 SchKG
; STAEHELIN UND ANDERE, a.a.O., N. 34 zu
Art. 83 SchKG
). Der Wohnsitz des Beschwerdeführers ist im Kanton Luzern, wo er auch betrieben wurde. Gemäss
Art. 83 Abs. 2 SchKG
wäre somit das Schiedsgericht nach
Art. 89 KVG
des Kantons Luzern auch örtlich zuständig zum Entscheid über dessen Aberkennungsklage. Nach
Art. 89 Abs. 2 KVG
ist indessen das Schiedsgericht desjenigen Kantons zuständig, in welchem die ständige Einrichtung des Leistungserbringers liegt; dies ist vorliegend der Kanton Aargau, wo die Arztpraxis des Beschwerdeführers liegt. Es stellt sich somit die Frage des Verhältnisses zwischen
Art. 83 Abs. 2 SchKG
und
Art. 89 Abs. 2 KVG
. Diese Frage ist weder im SchKG noch im KVG ausdrücklich geregelt. Sie wird auch nicht dadurch beantwortet, dass
Art. 1 Abs. 2
BGE 135 V 124 S. 133
lit. b GestG
(SR 272) die Zuständigkeitsbestimmungen des SchKG vorbehält. Denn das Gerichtsstandsgesetz regelt insgesamt nur die Zuständigkeit in Zivilsachen (
Art. 1 Abs. 1 GestG
).
Entscheidend ist jedoch, dass der Gerichtsstand des Betreibungsortes nach
Art. 83 Abs. 2 SchKG
nicht zwingend ist (GILLIÉRON, a.a.O., N. 90 zu
Art. 83 SchKG
; STAEHELIN UND ANDERE, a.a.O., N. 35 zu
Art. 83 SchKG
mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung). Die Parteien können somit einen anderen Gerichtsstand vereinbaren. Eine solche, allerdings gesetzliche Prorogation kann auch in der Regelung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit zum Entscheid über die Aberkennungsklage eines Leistungserbringers gegen einen Versicherer gemäss
Art. 89 Abs. 1 und 2 KVG
gesehen werden.
Art. 89 Abs. 2 KVG
, wonach das Schiedsgericht des Kantons zuständig ist, in welchem die ständige Einrichtung des Leistungserbringers liegt, derogiert somit dem ordentlichen Gerichtsstand des Betreibungsortes am Wohnsitz des Schuldners nach
Art. 83 Abs. 2 und
Art. 46 Abs. 1 SchKG
(im Ergebnis gleich aber mit anderer Begründung STAEHELIN UND ANDERE, a.a.O., N. 34 zu
Art. 83 SchKG
). Örtlich zuständig für die Beurteilung der Klage auf Aberkennung der von der Beschwerdegegnerin auf dem Betreibungsweg geltend gemachten Forderung aus der Vereinbarung vom 26. April 2007 ist somit das Schiedsgericht nach KVG des Kantons Aargau. Der vorinstanzliche Entscheid verletzt somit Bundesrecht nicht, soweit er im Eventualstandpunkt dieses Gericht als zuständig bezeichnet.
4.3.3
Was die in E. 4.3.1 und 4.3.2 entschiedenen Zuständigkeitsfragen betrifft, hat die erkennende Abteilung die Zustimmung der I. sozialrechtlichen Abteilung und der II. zivilrechtlichen Abteilung eingeholt (
Art. 23 Abs. 2 BGG
).
5.
Der angefochtene Entscheid ist somit im Ergebnis richtig, soweit die Vorinstanz auf die Klage nicht eintritt, aber falsch und zu korrigieren, soweit er die Akten dem Amtsgericht Luzern-Stadt zur Behandlung überweist.
Der Beschwerdeführer beantragt nicht, auch nicht im Sinne eines Eventualantrags, die Überweisung der Sache an das Schiedsgericht des Kantons Aargau. Das Bundesgericht kann daher keine solche Überweisung vornehmen (
Art. 107 Abs. 1 BGG
). Es steht dem Beschwerdeführer jedoch frei, die Aberkennungsklage beim zuständigen Gericht neu einzureichen. Dafür läuft ihm eine neue 20-tägige
BGE 135 V 124 S. 134
Frist ab Zustellung dieses Urteils (
Art. 83 Abs. 2 SchKG
und
Art. 139 OR
analog;
BGE 109 III 49
E. 4 S. 51 f.), sofern mit der fälschlicherweise beim Luzerner Gericht eingereichten Klage die Frist nach
Art. 83 Abs. 2 SchKG
gewahrt wurde, was nicht hier zu entscheiden ist. | 4,486 | 3,476 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-135-V-124_2009-03-25 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=18&from_date=&to_date=&from_year=2009&to_year=2009&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=177&highlight_docid=atf%3A%2F%2F135-V-124%3Ade&number_of_ranks=241&azaclir=clir | BGE_135_V_124 |
|||
00a54f56-8a3f-4ba0-8f1d-f6692d7f5e99 | 1 | 80 | 1,345,894 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 174
BGE 102 Ib 173 S. 174
Für den Bau der N 1 enteignete der Kanton Zürich u.a. auch einen Teil (rund 3300 m2 von insgesamt 10837 m2) einer in der Gemeinde Dübendorf gelegenen, seit 1970 zur Industriezone gehörenden, bisher aber landwirtschaftlich genutzten, unüberbauten Parzelle (Schätzungsstichtag: 12. September 1973). Das Grundstück war im Jahre 1947 von der Stadt Zürich erworben und von dieser im Jahre 1954 an die Gemeinde Dübendorf abgetreten worden, welche es ihrerseits, im Zusammenhang mit der Landbeschaffung für den Bau einer Kläranlage, einem Landwirtschaftsbetrieb als Realersatz zur Verfügung stellte. Anlässlich der Veräusserung des Grundstückes im Jahre 1954 hatte die Stadt Zürich darauf zu ihren Gunsten folgende Personaldienstbarkeit im Grundbuch eintragen lassen: "Das Grundstück) ... darf nur mit einer Kläranlage überbaut oder landwirtschaftlich genützt werden."
BGE 102 Ib 173 S. 175
Die Schätzungskommission sprach den beiden heutigen Eigentümern des Grundstückes für die abzutretende Teilfläche von 3300 m2 eine Entschädigung von Fr. 20.--/m2 zu. Sie ging davon aus, dass das Grundstück, wiewohl in der Industriezone gelegen, wegen der darauf lastenden Servitut nur landwirtschaftlich genutzt werden könne. Die Grundeigentümer fochten diesen Entscheid der Kommission nicht an.
Die Stadt Zürich, welche durch die teilweise Enteignung der Parzelle insoweit mitbetroffen war, als die zu ihren Gunsten darauf lastende Nutzungsbeschränkung in bezug auf die vom Kanton in Anspruch genommene Fläche von Gesetzes wegen (
Art. 91 Abs. 1 EntG
) dahinfiel, verlangte hiefür im Schätzungsverfahren eine Entschädigung von Fr. 230.--/m2. Sie stellte sich auf den Standpunkt, der ihr zu ersetzende Wert der Servitut entspreche der Differenz zwischen dem Verkehrswert, den das in der Industriezone liegende Land ohne Belastung aufweisen würde (Fr. 250.--/m2), und jenem, den es wegen der darauf lastenden Dienstbarkeit tatsächlich aufweise (Fr. 20.-- /m2). Die Schätzungskommission wies dieses Entschädigungsbegehren ab. Die Stadt Zürich führt hiegegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde und hält an ihrer Forderung fest, - Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden | 481 | 360 | Erwägungen
Erwägungen:
1.
Nach
Art. 5 EntG
können neben dem Grundeigentum u.a. auch Dienstbarkeiten unmittelbares, selbständiges Objekt einer Enteignung bilden. Das trifft dann zu, wenn das Enteignungsverfahren auf Begründung einer neuen Dienstbarkeit (z.B. eines Durchleitungsrechtes) ausgerichtet ist oder wenn, ohne gleichzeitigen Erwerb des belasteten Grundstückes, eine bestehende Dienstbarkeit aufgehoben werden soll, weil sie einem öffentlichen Werk im Wege steht. Hievon abgesehen können Servituten über den Erwerb von Grundstücken auch mittelbar enteignet werden, entweder in dem Sinne, dass der Enteigner ein Grundstück mitsamt den ihm dienenden Grunddienstbarkeiten erwirbt (HESS, N. 10 zu
Art. 91 EntG
), oder aber in dem Sinne, dass infolge Enteignung eines Grundstückes die darauf lastenden Dienstbarkeiten mangels gegenteiliger Parteivereinbarung untergehen (
Art. 91 Abs. 1 EntG
). Um diesen letzteren Fall handelt es sich hier.
BGE 102 Ib 173 S. 176
2.
Wiewohl Dienstbarkeiten, wie ausgeführt, auch selbständig enteignet werden können, bilden sie doch für sich allein kein Handelsobjekt und weisen daher, im Gegensatz zu den Grundstücken, keinen eigentlichen Verkehrswert auf. Die Regeln des Enteignungsgesetzes über die Entschädigungsbemessung sind daher, soweit sie einen "Verkehrswert des enteigneten Rechtes" voraussetzen (z.B.
Art. 19 lit. a EntG
), in bezug auf die Enteignung von Dienstbarkeiten nur sinngemäss anwendbar. Es ist auch in diesem Zusammenhang zwischen verschiedenen möglichen Fällen zu unterscheiden: Soll eine neue Dienstbarkeit begründet werden, so richtet sich das Verfahren gegen den Eigentümer des zu belastenden Grundstückes, und es gelangen hinsichtlich der Entschädigungsbemessung die Grundsätze über die Teilenteignung zur Anwendung (
Art. 19 lit. b EntG
; ZBl 77/1976 S. 158). Handelt es sich lediglich um die mittelbare Enteignung einer bestehenden Grunddienstbarkeit durch Erwerb des herrschenden Grundstückes, so ergeben sich überhaupt keine Besonderheiten; die Dienstbarkeitsberechtigung des herrschenden Grundstückes erhöht in der Regel dessen Verkehrswert (
Art. 19 lit. a EntG
), und allfällige besondere Nachteile, die dem Eigentümer aus dem Verlust des Grundeigentums und der damit verbundenen Befugnisse erwachsen, sind nach Massgabe der allgemeinen Regel des
Art. 19 lit. c EntG
bei der Entschädigungsbemessung zu berücksichtigen.
Anders stellt sich die Frage nach der Bewertung von Dienstbarkeiten, wenn solche durch die Enteignung mittelbar oder unmittelbar aufgehoben werden. Auf diesen Fall bezieht sich die Vorschrift des
Art. 23 Abs. 1 EntG
, wonach für "enteignete" Dienstbarkeiten - von einem hier keine Rolle spielenden Vorbehalt abgesehen (Schutz der Grundpfand- und Grundlastberechtigten vor nachträglicher Überbelastung des Grundstückes,
Art. 21 Abs. 3 EntG
) - dem Berechtigten der "ganze aus ihrer Beschränkung oder ihrem Erlöschen (Art. 91) entstehende Schaden" zu vergüten ist. - Durch eine Dienstbarkeit wird in der Regel der Verkehrswert des belasteten Grundstückes, je nach Inhalt der Servitut, mehr oder weniger beeinträchtigt. Nach den im Enteignungsrecht geltenden Grundsätzen wird dem Eigentümer eines dienstbarkeitsbelasteten Grundstückes bei dessen Enteignung nur jener Verkehrswert ersetzt, den das Grundstück bei Berücksichtigung
BGE 102 Ib 173 S. 177
der darauf lastenden Servituten tatsächlich hatte (
Art. 21 Abs. 1 EntG
; HESS, N. 1 zu
Art. 21 EntG
). Hat die Enteignung mangels anderweitiger Parteivereinbarung gemäss
Art. 91 Abs. 1 EntG
den Untergang der auf dem Grundstück lastenden Servituten zur Folge, so bestimmt sich jedoch die dem Dienstbarkeitsberechtigten nach
Art. 23 Abs. 1 EntG
zu leistende Entschädigung völlig unabhängig vom Minderwert, den das belastete Grundstück infolge der Dienstbarkeit aufwies, bzw. vom Mehrwert, in dessen Genuss der Enteigner infolge des Hinfalles der Dienstbarkeit kommt (HESS, N. 1 zu
Art. 21 EntG
; WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung, Diss. Zürich 1966, S. 53 ff.; LAFONT, Die Subjekte der Enteignung mit besonderer Berücksichtigung der Nebenberechtigten, Diss. Bern, S. 67 f.; MERKER, Der Grundsatz der "vollen Entschädigung" im Enteignungsrecht, Diss. Zürich 1975, S. 131 ff.). Massgebend ist allein die Veränderung der Vermögenslage auf Seite des Dienstbarkeitsberechtigten. Dieser hat nach
Art. 23 Abs. 1 EntG
Anspruch auf Ersatz des Schadens, den er durch den Untergang (oder die Beschränkung) der Servitut erfährt. Für die Bemessung der Entschädigung gelten mithin die gleichen Regeln wie für die Festsetzung der Ablösungssumme bei richterlicher Aufhebung oder Veränderung von Dienstbarkeiten gemäss
Art. 736 Abs. 2 ZGB
(so LIVER, N. 181 zu
Art. 736 ZGB
). Der zu ersetzende Schaden kann sich, wenn es sich um eine Grunddienstbarkeit handelt, vorab in einer Verkehrswerteinbusse des herrschenden Grundstückes äussern; er kann aber auch, je nach Art und Inhalt der Dienstbarkeit, zusätzlich oder ausschliesslich in einem persönlichen Vermögensnachteil des Berechtigten bestehen (WIEDERKEHR, a.a.O. S. 55, 57; LAFONT, a.a.O. S. 67).
Art. 19 lit. c EntG
und die hiezu in der Praxis entwickelten Grundsätze sind sinngemäss anwendbar (vgl. HESS, N. 6 zu
Art. 23 EntG
).
3.
Da der Bau einer Kläranlage auf dem streitigen Grundstück heute unbestrittenermassen nicht mehr in Frage kommt, hat die zugunsten der Stadt Zürich darauf lastende Servitut praktisch ein Bauverbot zum Inhalt. Eine derartige Nutzungsbeschränkung bildet in der Regel Gegenstand einer Grunddienstbarkeit; ein Privater, der nicht Nachbar des belasteten Grundstückes ist, wird an dessen Freihaltung kaum je ein eigenes sachliches Interesse haben. Dass die Stadt Zürich ein Bauverbot zum Gegenstand einer Personaldienstbarkeit
BGE 102 Ib 173 S. 178
machte, ist nur mit den besonderen städteplanerischen Interessen erklärbar, die sie auf diesem Wege verfolgte.
a) Die Stadt Zürich begründet ihre Entschädigungsforderung vor allem damit, dass ihr infolge der Enteignung die Chance entgehe, vom Belasteten für den Verzicht auf die Dienstbarkeit eine Ablösungssumme zu erhalten, welche der Differenz zwischen dem Verkehrswert unbelasteten Industrielandes und jenem bauverbotsbelasteten Kulturlandes entsprechen würde. Die Beschwerdeführerin macht geltend, entgegen der Annahme der Schätzungskommission habe im vorliegenden Fall die Möglichkeit einer derartigen Vereinbarung konkret bestanden. Die bisherigen Eigentümer des belasteten Grundstückes hätten sich in den Jahren 1964-1968 nachgewiesenermassen um eine Ablösung der Servitut bemüht. Mit der Zuweisung des Landes in die Industriezone sei das Interesse an der Ablösung noch ausgeprägter geworden.
Überlegungen dieser Art sind für die Entschädigungsbemessung unbeachtlich. Der Berechtigte hat nach
Art. 23 Abs. 1 EntG
bzw.
Art. 736 ZGB
Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm aus dem Dahinfallen der Dienstbarkeit entsteht, d.h. auf Schadloshaltung für seine Dienstbarkeitsinteressen. Für den Wegfall von Vorteilen, die ausserhalb des eigentlichen Dienstbarkeitsinteresses liegen, hat der Enteigner nicht einzustehen (vgl. LIVER, N. 181 zu
Art. 736 ZGB
). Welchen Betrag der Eigentümer des belasteten Grundstückes für eine freiwillige Ablösung der Servitut gegebenenfalls zu zahlen bereit gewesen wäre, kann daher auf die Bemessung der Entschädigung keinen Einfluss haben (
BGE 73 II 36
f., 27 II 139 E. 2). Massgebend ist einzig das vermögenswerte, sachbezogene Interesse, das der Dienstbarkeitsberechtigte am Fortbestand der Servitut hat.
b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe das Grundstück im Jahre 1954 wegen der von ihr darauf errichteten Servitut zu einem Preis abgetreten (Fr. 10.--/m2), der erheblich unter dem damaligen Verkehrswert von unbelastetem Land in vergleichbarer Situation (Fr. 25.--/m2) gelegen habe. Sie habe somit der servitutarischen Belastung einen Geldwert beigemessen und die Baufreiheit gegen einen entsprechenden Preisnachlass nicht mitverkauft.
Das mag zutreffen. Welche Gegenleistung für die Einräumung der Dienstbarkeit seinerzeit erbracht worden ist, ist für
BGE 102 Ib 173 S. 179
die Bemessung der Enteignungsentschädigung indessen nicht entscheidend (WIEDERKEHR, a.a.O. S. 55; LAFONT, S. 65 f.). Massgebend ist vielmehr der Vermögenswert, den die Dienstbarkeit unter den im Zeitpunkt der Enteignung gegebenen Verhältnissen für den Berechtigten tatsächlich hat. Der Dienstbarkeitsberechtigte befindet sich in keiner besseren Stellung als der Eigentümer eines enteigneten Grundstückes, der unter Umständen ebenfalls in Kauf nehmen muss, dass ihm sein Land zu einem Verkehrswert abgenommen wird, der unter dem bezahlten Einstandspreis liegt.
c) Es bleibt zu prüfen, ob und wieweit die Stadt Zürich an der Aufrechterhaltung des auf dem fraglichen Grundstück lastenden Bauverbotes ein vermögenswertes Interesse hat. Wie aus den Akten hervorgeht, erfolgte die Errichtung der Personaldienstbarkeit aus städteplanerischen Gründen. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass es im Kanton Zürich früher (bis 1959) an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage gefehlt habe, um eigentliche Landwirtschafts- und Grünzonen zu schaffen. Die Stadt Zürich sei daher gezwungen gewesen, ihre planerischen Ziele durch Landkäufe zu verfolgen, um als Grundeigentümerin die unerwünschte Überbauung bestimmter Gebiete zu verhindern und namentlich zwischen den Stadtquartieren und den in baulicher Entwicklung stehenden Agglomerationsgemeinden einen Trenngürtel zu schaffen. Diesem Zweck habe auch der Erwerb von Land ausserhalb des Gemeindebannes in den unmittelbar an die Stadt angrenzenden Gebieten der Nachbargemeinden dienen können. Aus solchen planerischen Überlegungen habe die Stadt Zürich - die im fraglichen Gebiet noch zahlreiche andere, bisher landwirtschaftlich genutzte Grundstücke besitze - im Jahre 1947 die streitige Parzelle Nr. 10735 erworben. Um den Gemeinden Dübendorf und Wallisellen den Landerwerb für eine Kläranlage zu erleichtern, habe die Stadt das Grundstück im Jahre 1954 abgetreten, unter gleichzeitiger Sicherung des Planungszweckes durch Errichtung einer Nutzungsbeschränkung. Wiewohl bereits im Zeitpunkt der Abtretung bekannt gewesen sei, dass die Kläranlage auf einem andern, benachbarten Terrain erstellt werden sollte und die Gemeinde Dübendorf die von der Stadt zur Verfügung gestellte Parzelle Nr. 10735 nur benötigte, um einem betroffenen Landwirtschaftsbetrieb Realersatz leisten zu können, habe man bei der Umschreibung der
BGE 102 Ib 173 S. 180
Nutzungsbeschränkung den eventuellen Bau einer Kläranlage vorbehalten, einerseits weil der Standort der geplanten Anlage damals noch nicht definitiv festgelegt gewesen sei, anderseits auch deshalb, um eine künftige Erweiterung dieser Anlage nicht auszuschliessen. - Das mit den Landkäufen verfolgte Planungsziel sei durch die tatsächliche Entwicklung in den Aussengemeinden bisweilen durchkreuzt worden, so auch in Dübendorf insofern, als das Gebiet nördlich der Überlandstrasse der Industriezone zugewiesen worden sei. In diesen Fällen sei das städtische Grundeigentum eine sinnvolle Kapitalanlage für das Finanzvermögen; es könne oftmals auch zur Befriedigung von Realersatzbegehren verwendet werden.
Dass die Stadt Zürich als Eigentümerin eines enteigneten Grundstückes gegebenenfalls genau gleich zu entschädigen wäre wie ein privater Grundeigentümer, steht ausser Zweifel. Im vorliegenden Fall handelt es sich indessen nicht um den Entzug von Grundeigentum, sondern um die Frage, ob und inwiefern die Stadt durch den teilweisen Hinfall einer zu ihren Gunsten auf einem Drittgrundstück bestehenden Bauverbotsservitut nach Massgabe von
Art. 23 Abs. 1 EntG
geschädigt ist. Ein geldwerter Schaden läge namentlich dann vor, wenn die betreffende Nutzungsbeschränkung als Grunddienstbarkeit ausgestaltet, d.h. wenn die Bauverbotsservitut zugunsten eines benachbarten Grundstückes errichtet worden wäre, um diesem im Hinblick auf seine Überbauung oder Erschliessung gewisse Vorteile zu sichern. Die fragliche Servitut ist indessen als Personaldienstbarkeit ausgestaltet; sie ist als solche, da nichts Gegenteiliges vereinbart wurde, unübertragbar (
Art. 781 Abs. 2 ZGB
) und kann daher nicht Handelsobjekt bilden. Dass die Möglichkeit, sich vom Eigentümer des belasteten Grundstückes den Verzicht auf die Servitut erkaufen zu lassen, kein zu entschädigendes Dienstbarkeitsinteresse darstellt, wurde bereits ausgeführt. Hätte die Gemeinde Dübendorf das belastete Grundstück - entsprechend den von der Stadt Zürich bei Begründung der Dienstbarkeit verfolgten planerischen Absichten - in eine Bauverbotszone eingewiesen, so wäre die Möglichkeit des Erhaltes einer Ablösungssumme praktisch ebenfalls entfallen, ohne dass die Dienstbarkeitsberechtigte hiefür einen Entschädigungsanspruch hätte geltend machen können.
BGE 102 Ib 173 S. 181
Damit ist noch nicht gesagt, dass dem berechtigten Gemeinwesen durch den Hinfall einer derartigen Personaldienstbarkeit kein Vermögensschaden entstehen kann. Eine Gemeinde, die zur Erfüllung einer ihr obliegenden Aufgabe eine Servitut nach
Art. 781 ZGB
erworben hat, kann infolge der Enteignung dieses Rechtes gezwungen sein, den angestrebten Zweck unter Aufwendung neuer Geldmittel auf anderem Wege zu erreichen. Im vorliegenden Fall erscheint ein Entschädigungsanspruch der Beschwerdeführerin aber auch unter diesem Gesichtswinkel nicht als begründet. Zunächst ist hervorzuheben, dass die Bauverbotsservitut auf dem von der Enteignung nicht betroffenen Teil des Grundstückes, der immerhin noch rund 70% der ursprünglichen Parzellenfläche ausmacht, weiterhin besteht. Man kann sich ferner auch fragen, ob die Funktion eines Trenngürtels zwischen Stadt und Agglomeration nicht in gewisser Weise von der neuerstellten N 1 übernommen wird. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass und inwiefern die Stadt Zürich infolge der streitigen Enteignung zu neuen geldwerten Aufwendungen gezwungen wäre. Es wird weder behauptet noch dargetan, dass die flächenmässige Beschränkung der fraglichen Bauverbotsservitut eine entsprechende Ersatzvorkehr notwendig mache, sei es durch eine entschädigungspflichtige öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung, sei es durch den Einsatz von Mitteln auf privatrechtlicher Ebene. Wohl mag die Enteignung die seinerzeitigen planerischen Absichten der Stadt Zürich durchkreuzen und diese insoweit in ihren Interessen beeinträchtigen, doch begründet ein Nachteil dieser Art keinen Vermögensschaden, der vom Enteigner zu vergüten wäre. Der Entscheid der Schätzungskommission hält einer Überprüfung in jeder Hinsicht stand. | 3,049 | 2,338 | 2 | 0 | CH_BGE_003 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_003_BGE-102-Ib-173_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=26&from_date=&to_date=&from_year=1976&to_year=1976&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=251&highlight_docid=atf%3A%2F%2F102-IB-173%3Ade&number_of_ranks=354&azaclir=clir | BGE_102_Ib_173 |
|||
00a60de7-cc2c-44ec-9e76-1d93f2a29b30 | 1 | 83 | 1,343,535 | -347,155,200,000 | 1,959 | de | Sachverhalt
ab Seite 204
BGE 85 IV 204 S. 204
A.-
Der in Zürich wohnhafte X. wird beschuldigt, seiner Geliebten Y., die sich zumindest seit April 1959 vorwiegend in Zürich, bisweilen aber auch an andern
BGE 85 IV 204 S. 205
Orten, so in Basel, regelmässig als Dirne betätigte, aus Eigennutz bei Ausübung ihres Gewerbes Schutz gewährt und seinen Unterhalt zum Teil aus deren Dirnenlohn bestritten zu haben.
Am 13. November 1959 wurden X. und Y. in Basel auf Anzeige eines Freiers hin polizeilich angehalten.
B.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt ersucht mit Eingabe vom 11. Dezember 1959 die Anklagekammer des Bundesgerichtes, für die Verfolgung und Beurteilung der dem Beschuldigten zur Last gelegten strafbaren Handlungen die Behörden des Kantons Zürich, in dessen Gebiet das Schwergewicht der strafbaren Tätigkeit liege, zuständig zu erklären.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt demgegenüber unter Berufung auf
Art. 346 Abs. 2 StGB
, es sei der Kanton Basel-Stadt mit der Sache zu befassen. | 227 | 184 | Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
Das Verbrechen der Zuhälterei (
Art. 201 StGB
) scheint nach den Umständen des vorliegenden Falles den Tatbestand eines Dauerdeliktes zu erfüllen. Der dieser Straftat beschuldigte X. hat an verschiedenen Orten, namentlich im Kanton Zürich, bisweilen auch in Basel gehandelt. Da die Untersuchung zuerst in Basel angehoben wurde, wären nach
Art. 346 Abs. 2 StGB
die Basler Behörden zuständig.
2.
Indessen rechtfertigt es sich hier, von der gesetzlichen Norm abzuweichen.
Art. 262 und 263 BStP
sehen zwar nur Ausnahmen von den Gerichtsständen der
Art. 349 und 350 StGB
vor. Die Anklagekammer hat sich jedoch von jeher für befugt erachtet, aus Gründen der Zweckmässigkeit auch vom Gerichtsstand des
Art. 346 StGB
abzugehen (
BGE 79 IV 57
und dort angeführte Entscheidungen). Dazu kann insbesondere begründeter Anlass bestehen, wenn dem Beschuldigten ein Dauerdelikt vorgeworfen wird, das mehrere getrennte Handlungen in sich schliesst.
BGE 85 IV 204 S. 206
Die Rechtsprechung hat je nach den Umständen des Einzelfalles bei Zusammentreffen mehrerer Straftaten schon wiederholt die Behörden desjenigen Kantons für zuständig erklärt, in dem das Schwergewicht oder das Zentrum der strafbaren Tätigkeit lag (vgl. statt vielerBGE 72 IV 96). Was aber bei einer Mehrheit von strafbaren Handlungen möglich ist, muss es auch sein, wenn nur eine Straftat, jedoch ein Dauerdelikt in Frage steht, das sich aus einer Mehrzahl an verschiedenen Orten ausgeführter Handlungen zusammensetzt (vgl.
BGE 69 IV 43
).
Im allgemeinen ist jedoch Begehren um eine von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Bestimmung des Gerichtsstandes, die damit begründet werden, dass der Schwerpunkt der strafbaren Tätigkeit in einem andern Kanton liege, nicht leichthin zu entsprechen. Die Tatsache beispielsweise, dass die hauptsächlichste Ausführungshandlung des in Frage stehenden Delikts in einem andern als dem ersuchenden Kantons verübt wurde, rechtfertigt für sich allein sowenig ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand (
BGE 71 IV 59
) wie der Umstand, dass die rein zahlenmässige Mehrheit der einem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten in ein anderes Kantonsgebiet fällt.
Die Umstände des vorliegenden Falles sind jedoch nach ihrer tatsächlichen wie rechtlichen Seite hin derart, dass man ohne Bedenken von einem Schwergewicht der strafbaren Tätigkeit des Beschuldigten im Kanton Zürich sprechen kann.
3.
In tatsächlicher Beziehung haben die bisherigen Erhebungen ergeben, dass Frau Y. in Zürich wohnt und dass sie dort zumindest seit April 1959 regelmässig der gewerbsmässigen Unzucht nachgegangen ist. Aus den Untersuchungsakten geht überdies hervor, dass X. ebenfalls in Zürich lebt, dass er seit ungefähr zwei Jahren mit Frau Y. ein Liebesverhältnis unterhält und dass seine
BGE 85 IV 204 S. 207
Beziehungen zu dieser Frau ernstlich auf Zuhälterei schliessen lassen. X. hat zudem im Kanton Zürich nicht nur seinen Wohnsitz, sondern ist dort auch heimatberechtigt.
Die Erhebungen der Basler Behörden haben ferner zur Feststellung geführt, dass Frau Y. und X. nur gelegentlich, etwa zwei bis vier Male nach Basel gefahren sind. Nach der vorläufigen Aktenlage hat demnach der Beschuldigte, was auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich nicht bestreitet, die ihm zur Last gelegten Handlungen als Zuhälter vorwiegend in Zürich begangen.
4.
Dazu fällt in rechtlicher Beziehung entscheidend in Betracht, dass das Verbrechen der Zuhälterei hier als Dauerdelikt erscheint. Die Beurteilung einer solchen Straftat verlangt vom Richter eine Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten, die das Verhalten des Beschuldigten in seiner Gesamtheit, jedenfalls in grösstmöglichem Rahmen erfasst. Dass der Richter am Ort, wo die strafbare Tätigkeit zur Hauptsache ausgeübt wurde, zu einer so umfassenden Beurteilung in der Regel am besten in der Lage ist, versteht sich von selbst.
Da das Verbrechen der Zuhälterei in hohem Masse die öffentliche Sittlichkeit berührt, liegt es auch in der Natur der Sache, dass der Täter an dem Orte abgeurteilt werde, an dem er vorwiegend gehandelt hat. Der Auffassung der Staatsanwaltschaft von Basel-Stadt, dass es gerade der Verfolgung der Zuhälterei abträglich wäre, wenn diejenige Behörde zur Durchführung des Verfahrens verpflichtet würde, in deren Gebiet der Täter zufällig, anlässlich eines sporadischen Auftauchens, festgestellt und angehalten werde, ist daher in vollem Umfang beizupflichten.
5.
Schliesslich sei noch darauf hingewiesen, dass die Beziehungen des Beschuldigten zu weiteren Dirnen in Zürich einer näheren Abklärung bedürfen. Es sprechen daher auch prozessuale Gründe dafür, die Zürcher Behörden mit der weiteren Verfolgung des X. zu betrauen.
BGE 85 IV 204 S. 208 | 960 | 808 | Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Die Behörden des Kantons Zürich werden berechtigt und verpflichtet erklärt, X. für alle ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen. | 40 | 34 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-85-IV-204_1959 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=1&from_date=&to_date=&from_year=1959&to_year=1959&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=8&highlight_docid=atf%3A%2F%2F85-IV-204%3Ade&number_of_ranks=234&azaclir=clir | BGE_85_IV_204 |
||
00a7e6e5-e788-4c8b-9bdd-8d3fb24fd797 | 1 | 81 | 1,336,235 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 239
BGE 93 II 239 S. 239
A.-
Jakob Denzler beurkundete am 27. August 1963 als Notar des Kreises Stäfa einen Kaufvertrag zwischen der Sponda Wohnbau AG. als Verkäuferin und August Fleischli als Käufer, über die beiden in Uerikon-Stäfa, im unteren Schooren gelegenen Grundstücke Kat. No. 6967 und 6968. Der Kaufpreis für beide Grundstücke wurde auf Fr. 340'000.-- festgesetzt, woran Fleischli der Sponda AG. am Tage der Beurkundung eine Anzahlung von Fr. 80'000.-- leistete. Der Rest von Fr. 260'000.-- sollte bei der Eigentumsübertragung bezahlt werden. In den "weiteren Bestimmungen" des Kaufvertrages wurde u.a. folgendes vereinbart:
"6. Das Vorliegen der Baubewilligung ist Voraussetzung für die Eigentumsübertragung.
Sollte keine Baubewilligung erteilt werden, ist die Anzahlung von Fr. 80'000.-- (Franken achtzigtausend) durch die SPONDA an den Käufer A. Fleischli zurückzuerstatten.
7. Die Verkäuferin hat die Grundstücke pfandfrei an den Käufer zu übertragen. Sie ist für die Ablösung bestehender Hypotheken besorgt.
BGE 93 II 239 S. 240
8. Der Käufer verzichtet für heute auf Sicherstellung für die geleistete Kaufsanzahlung von Fr. 80'000.--(Franken achtzigtausend).
9. Vollzugsbeschränkungen: 1. Die bestehenden Grundpfandrechte sind abzulösen und zu löschen...".
Zur Zeit des Abschlusses und der Beurkundung dieses Kaufvertrages lasteten auf dem Grundstück Kat. No. 6967 vier Grundpfandrechte im Gesamtbetrage von Fr. 185'290.--. Notar Denzler führte sie im Kaufvertrag weder einzeln auf noch erwähnte er den Gesamtbetrag der Belastung.
Die Baubewilligung wurde in der Folge nicht erteilt. Die Sponda Wohnbau AG. war jedoch nicht in der Lage, Fleischli die anbezahlten Fr. 80'000.-- und zwei weitere Beträge von je Fr. 2500.-- zurückzuerstatten, da am 24. November 1964 der Konkurs über sie eröffnet wurde. Das Verfahren wurde am 17. Dezember 1964 mangels Aktiven eingestellt.
B.-
Am 16. Juni 1965 klagte Fleischli beim Bezirksgericht Meilen gegen Denzler auf Zahlung von Fr. 80'000.-- nebst 5% Zins seit 27. August 1963 und Fr. 5000.-- nebst 5% Zins seit 7. November 1963 und behielt sich das Nachklagerecht vor.
Der Kläger machte geltend, der Beklagte habe pflichtwidrig unterlassen, die genaue grundpfändliche Belastung der in Frage stehenden Grundstücke in den Kaufvertrag aufzunehmen. Ferner habe er ihn über die bestehende Grundpfandbelastung nicht aufgeklärt und über die Tragweite der Ablösungsverpflichtung und über ihre Tauglichkeit zur Sicherung der von ihm geleisteten Anzahlung von Fr. 80'000.-- nicht unterrichtet. Bei Kenntnis der genauen Belastung hätte er der Sponda Wohnbau AG. weder die Anzahlung von Fr. 80'000.-- geleistet, noch die beiden "Darlehen" von je Fr. 2500.-- gewährt. Mindestens in diesem Umfange sei er durch das schuldhafte und rechtswidrige Verhalten des Beklagten geschädigt worden.
Das Bezirksgericht Meilen wies die Klage am 2. Juni 1966 ab. Gegen diesen Entscheid appellierte der Kläger an das Obergericht des Kantons Zürich, das am 3. November 1966 die Klage ebenfalls abwies.
C.-
Der Kläger hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage gutzuheissen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und das vorinstanzliche Urteil zu bestätigen.
BGE 93 II 239 S. 241 | 812 | 559 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt, fehlt es an einer kantonalen Vorschrift, die den Notar verpflichten würde, die genaue grundpfändliche Belastung eines Grundstückes im öffentlich beurkundeten Kaufvertrag anzugeben.
Die Vorinstanz hat die Frage einer entsprechenden Beurkundungspflicht des Beklagten auch unter dem Gesichtspunkt des Bundesrechts geprüft und verneint. Das wird vom Kläger unter Hinweis auf
BGE 90 II 274
ff. als Verletzung "eidgenössischer Vorschriften über die öffentliche Beurkundung" gerügt.
Der angerufene Entscheid erklärt, das kantonale Recht regle die Pflichten der Urkundsperson nicht abschliessend; den Urkundspersonen, die ein beurkundungspflichtiges Geschäft des Bundeszivilrechtes beurkunden, würden ausserdem kraft Bundesrechts gewisse Pflichten auferlegt. Diese ergäben sich für gewisse Fälle aus ausdrücklichen Bestimmungen des Bundesrechts (vgl.
Art. 499 ff. ZGB
über die letztwillige Verfügung, die auch für den Erb- und den Verpfründungsvertrag gelten) und im übrigen aus dem Begriff der öffentlichen Beurkundung, welcher, soweit das Bundesrecht diese Form fordert, trotz dem Fehlen einer bundesgesetzlichen Umschreibung dem Bundesrecht angehöre. Nach diesem beurteile sich, was unter der öffentlichen Beurkundung zu verstehen sei und welchen Mindestanforderungen sie zu genügen habe.
Das Bundesgericht vertritt im zitierten Entscheid die Auffassung (S. 282/83), im Falle eines Verkaufes sei es für die Vertragsparteien, namentlich für den Käufer, von grosser Bedeutung, welche Grundpfandrechte eine Liegenschaft belasten. Die unrichtige Darstellung der Grundpfandbelastung im öffentlich beurkundeten Kaufvertrag bilde also einen klaren Verstoss gegen die Pflichten, die der Urkundsperson nach Bundesrecht obliegen.
Die Vorinstanz hat die vom Beklagten unterlassene Beurkundung der einzelnen Pfandrechte deshalb nicht als Pflichtverletzung betrachtet, weil sich der vorliegende Fall vom Tatbestand des zitierten Entscheides wesentlich unterscheide. Während im Falle
BGE 90 II 274
ff. der Kaufpreis durch Übernahme der Grundpfandschulden und durch Verrechnung von Fr. 40'000.-- zu tilgen war, habe sich hier die Verkäuferin, die Sponda Wohnbau AG., verpflichtet, die Grundstücke
BGE 93 II 239 S. 242
pfandfrei auf den Käufer zu übertragen und für die Ablösung bestehender Pfandrechte besorgt zu sein. Zudem habe der Beklagte in der öffentlichen Urkunde nicht eine bewusst unrichtige Feststellung getroffen, und er habe die Verpflichtung der Verkäuferin zur Löschung der Grundpfandrechte nicht unerwähnt gelassen, sondern sie in Ziff. 7 und 9 des Kaufvertrages festgehalten.
Dieser Auffassung ist beizupflichten. Die in
BGE 90 II 274
ff. aufgestellten Beurkundungspflichten des Notars drängten sich im damals beurteilten Fall auf. Die Grundpfandschulden waren vom Erwerber zu übernehmen und mussten daher als Bestandteil des Kaufpreises gleich wie dieser genau bestimmt werden. Dieses Erfordernis war jedoch im vorliegenden Fall weder im Interesse der Parteien, noch zum Schutze des Klägers geboten, sondern es genügte, dass der Beklagte in der Urkunde die Pflicht der Verkäuferin zur Ablösung der Pfandrechte auf den Zeitpunkt der grundbuchlichen Fertigung erwähnte. Die fehlenden Angaben über die Grundpfandbelastung hatten - im Gegensatz zu
BGE 90 II 274
ff. - auch keine grundbuchtechnischen Nachteile zur Folge. | 722 | 536 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 3. November 1966 bestätigt. | 45 | 37 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-93-II-239_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=12&from_date=&to_date=&from_year=1967&to_year=1967&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=113&highlight_docid=atf%3A%2F%2F93-II-239%3Ade&number_of_ranks=203&azaclir=clir | BGE_93_II_239 |
||
00a8dcc3-ad18-4e46-af1f-c90a76f30d8a | 1 | 80 | 1,357,398 | null | 2,024 | de | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 606
BGE 112 Ib 606 S. 606
Aus den Erwägungen:
b)
Art. 321 StGB
stellt u.a. die Verletzung des Berufsgeheimnisses durch Rechtsanwälte unter Strafe. Diese Bestimmung wurde erlassen, um die Ausübung der darin aufgezählten Berufe im öffentlichen Interesse zu erleichtern, und findet ihre Rechtfertigung in der Überlegung, dass diese Berufe nur dann richtig und einwandfrei ausgeübt werden können, wenn das Publikum auf Grund einer unbedingten Garantie der Verschwiegenheit das unentbehrliche Vertrauen zum Inhaber des Berufes hat (
BGE 87 IV 108
E. 2b). Bei der Beziehung zwischen Anwalt und Klient muss vorausgesetzt werden dürfen, dass der Klient voll auf die Verschwiegenheit des Anwalts vertrauen darf. Wenn der Klient sich ihm nicht rückhaltslos
BGE 112 Ib 606 S. 607
anvertraut und ihm nicht Einblick in alle erheblichen Verhältnisse gewährt, so ist es für den Anwalt schwer, ja unmöglich, den Klienten richtig zu beraten und ihn im Prozess wirksam zu vertreten. Soll der Anwalt auf das für ihn notwendige Vertrauen zählen können, setzt dies daher voraus, dass ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht in bezug auf diejenigen Tatsachen zusteht, die ihm infolge seines Berufes anvertraut worden sind oder die er in dessen Ausübung wahrgenommen hat. Andernfalls müsste der Klient damit rechnen, dass der von ihm beigezogene Anwalt eines Tages möglicherweise zur Preisgabe der ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauten Tatsachen gezwungen würde, obwohl dem Klient selber möglicherweise in bezug auf diese Tatsachen ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen könnte (vgl. dazu
BGE 91 I 205
/206 E. 3 mit Hinweisen). Dass mit diesem Zeugnisverweigerungsrecht die Schwierigkeiten bei der Wahrheitsfindung möglicherweise erhöht werden, muss in einem Rechtsstaat in Kauf genommen werden.
Im Hinblick auf diese Konsequenzen und die für den Geheimnisträger bestehende Verpflichtung zur Geheimniswahrung erstreckt sich das Berufsgeheimnis, wie der Wortlaut von
Art. 321 StGB
deutlich zeigt, nur auf Tatsachen, die der Klient seinem Anwalt anvertraut, um ihm die Ausübung des Mandates zu ermöglichen, oder die der Anwalt in Ausübung seines Berufes wahrnimmt. Insoweit dürfen die Geheimnisse weder durch mündliche oder schriftliche Mitteilung noch indirekt durch Aushändigung von Schriftstücken oder andern Sachen, die das Geheimnis betreffen, verraten werden. Es handelt sich hiebei um eine strikte Verpflichtung, die auch nach der Aufhebung der vertraglichen Beziehungen zwischen Anwalt und Klient weiterbesteht; dabei ist bedeutungslos, ob diese Beziehungen infolge von Erfüllung, Kündigung oder Widerruf des Mandats, Tod des Mandanten oder andern Umständen enden (vgl.
BGE 87 IV 107
E. 2 mit Hinweisen; RStrS 1973 S. 25/26 Nr. 455). Auf der andern Seite ist der Anwalt nicht zur Verschwiegenheit bezüglich solcher Tatsachen gehalten, die er als Privatperson wahrgenommen hat oder die allgemein bekannt sind, so dass der Klient zum vornherein kein Interesse haben kann, sie gegenüber irgendwem geheimzuhalten (vgl.
BGE 101 Ia 11
/12 E. 5c mit Hinweisen;
BGE 75 IV 73
/74 E. 1). In gleicher Weise ist beim Anwaltsgeheimnis und dem damit korrespondierenden Zeugnisverweigerungsrecht des Anwalts zwischen Anwalts- und Geschäftstätigkeit zu unterscheiden. Diese Unterscheidung
BGE 112 Ib 606 S. 608
drängt sich namentlich in Fällen auf, in denen der Anwalt ein Verwaltungsratsmandat bekleidet. Überwiegt in diesen Fällen das kaufmännische Element derart, dass die Tätigkeit des Anwalts nicht mehr als eine anwaltliche betrachtet werden kann, kann sich das Berufsgeheimnis auf diese Tätigkeit jedenfalls nicht in einem umfassenden Sinn erstrecken (vgl. hiezu den nicht veröffentlichten BGE vom 2. Juni 1986 i.S. M.; PETER BÖCKLI, Anwaltsgeheimnis und Fiskus im Rechtsstaat, in: Mitteilungen des Schweizerischen Anwaltsverbandes 1979, Nr. 64, S. 12 und 14; ALBERT-LOUIS DUPONT-WILLEMIN, Le secret professionnel et l'indépendance de l'avocat, in derselben Zeitschrift, 1986, Nr. 101, S. 22 ff.). Im Bereiche des ärztlichen Berufsgeheimnisses hat das Bundesgericht eine Verletzung desselben durch einen Arzt verneint, der, von der zuständigen IV-Kommission mit einer medizinischen Abklärung des Beschwerdeführers betraut, dessen schriftlich angebrachte Zweifel an der Zweckmässigkeit der Untersuchung der Kommission zur Kenntnis brachte. Das Bundesgericht erwog, die vom Beschwerdeführer geäusserten Zweifel seien nicht im Rahmen der zwischen Arzt und Patient bestehenden besonderen Beziehungen erfolgt (
BGE 106 IV 132
E. 2).
c) Diese Beispiele zeigen, dass die Entscheidung darüber, welche Tatsachen vom Berufsgeheimnis umfasst werden, nicht schematisch, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles getroffen werden kann. Dabei ist in jedem Fall zu prüfen, ob die Tätigkeit des Anwalts im Zeitpunkt, in dem ihm die strittigen Tatsachen anvertraut wurden, tatsächlich eine anwaltliche war. Hat der Anwalt vertrauliche Tatsachen im Zusammenhang mit einer privaten, politischen, sozialen oder einer andern, nicht berufsspezifischen Tätigkeit erfahren, steht insoweit das Berufsgeheimnis und das damit korrespondierende Zeugnisverweigerungsrecht einer Auskunftserteilung nicht entgegen. Dabei sind zu den nicht berufsspezifischen Tätigkeiten namentlich auch Vermögensverwaltungen oder die Anlage von Geldern zu zählen, dies jedenfalls dann, wenn sie nicht mit einem zur normalen Anwaltstätigkeit gehörenden Mandat - so z.B. mit einer Güterausscheidung oder einer Erbteilung - verbunden sind. Von diesen Ausnahmen abgesehen stellen die erwähnten Tätigkeiten Aktivitäten dar, die normalerweise von Vermögensverwaltern, Treuhandbüros oder Banken wahrgenommen werden und nicht unter dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses stehen. Wollte man die Dinge anders betrachten, so hätte es ein Beschuldigter in der Hand, durch
BGE 112 Ib 606 S. 609
Einschaltung eines Anwalts als Mittelsmann einen Erlös aus einer Straftat unter Umständen dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen.
d) Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der eigenen Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde, dass sich Y. einzig an ihn gewandt hatte, um die streitigen Gelder - allenfalls mittels Errichtung einer Familienstiftung nach Liechtensteiner Recht - anzulegen. Diese Geldanlage stellt eine Tätigkeit dar, bei der das kaufmännische Element überwiegt und die auch regelmässig von Banken und Treuhandbüros wahrgenommen wird. Nach dem Gesagten geniesst sie deshalb nicht den Schutz des Anwaltsgeheimnisses bzw. des entsprechenden Zeugnisverweigerungsrechts. Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob eine Bank, die von einem Anwalt Geld eines Klienten erhält, als dessen Hilfsperson im Sinne von
Art. 321 StGB
gelten kann. Ebenso stösst die Rüge des Beschwerdeführers, es werde ihm entgegen dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit eine Verletzung der Standesregeln zugemutet, ins Leere. | 1,445 | 1,121 | 2 | 0 | CH_BGE_003 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_003_BGE-112-Ib-606_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=1&from_date=&to_date=&from_year=1986&to_year=1986&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=5&highlight_docid=atf%3A%2F%2F112-IB-606%3Ade&number_of_ranks=378&azaclir=clir | BGE_112_Ib_606 |
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00a9ac09-3de9-47b4-a988-027b4475a729 | 1 | 78 | 1,358,446 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 284
BGE 90 I 283 S. 284
Aus dem Tatbestand:
Im August 1960 wurde in der Gemeinde Habsburg ein Güterzusammenlegungsverfahren eröffnet, das gemäss der aarg. Verordnung über Bodenverbesserungen vom 21. Juni 1957 (BVV) durchgeführt wird.
Der Beschwerdeführer Gottlieb Senn, von Beruf Revisor und in Paris wohnhaft, ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Heimwesens, das er verpachtet hat und das aus 29 über das ganze Gemeindegebiet zerstreuten, zusammen 1027,11a haltenden Flurparzellen und 6 Waldparzellen besteht. Das Hausgrundstück liegt am Westausgang des Dorfes an der Strasse. Drei Flurparzellen befinden sich nahe beim Dorf in den "Letten" an einem gegen Süden abfallenden, windgeschützten Hang und halten zusammen 20,82 a.
Nach der dem Beschwerdeführer am 24. Januar 1963 zugestellten Besitzstandstabelle wurde sein gesamter Grundbesitz mit Fr. 137'255.-- bewertet. Der Beschwerdeführer hat die Bonitierung nicht angefochten.
In der Zeit vom 14.-24. Oktober 1963 wurde der Neuzuteilungsentwurf öffentlich aufgelegt. Nach diesem erhält der Beschwerdeführer an Stelle der früheren 29 Flur- und 6 Waldparzellen zwei grössere arrondierte Flurparzellen und eine Waldparzelle mit einem seinem Zuteilungsanspruch fast genau entsprechenden Bonitierungswert. Die grössere Flurparzelle (Flachsäcker/Äschmatten) schliesst unmittelbar an das Hausgrundstück an und grenzt mit der einen Längsseite an die Ortsverbindungsstrasse, während die kleinere (in den Krucken) in der Südwestecke des Gemeindegebietes liegt.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diese Zuteilung Einsprache und, nach deren Abweisung durch die Schätzungskommission, Beschwerde mit dem Antrag, es sei ihm in den "Letten" an Stelle der bisherigen Parzellen im Ausmass von 20,82 a eine entsprechende Neuzuteilung zu geben, die ihm die Erstellung eines Einfamilienhauses mit Umschwung ermöglichen werde.
BGE 90 I 283 S. 285
Die Kantonale Bodenverbesserungskommission (KBK) wies die Beschwerde mit Entscheid vom 30. April 1964 ab.
B.-
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt Gottlieb Senn den Antrag, dieser Entscheid der KBK sei aufzuheben. Er beruft sich auf die Eigentumsgarantie (Art. 22 KV) sowie auf
Art. 4 BV
.
C.-
Die KBK und die Schätzungskommission der Bodenverbesserungsgenossenschaft Habsburg beantragen Abweisung der Beschwerde.
D.-
Eine Instruktionskommission des Bundesgerichts hat am 10. November 1964 mit den Parteien bzw. ihren Vertretern in Habsburg einen Augenschein vorgenommen. | 1,046 | 408 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1./4. - (Ausführungen darüber, dass der kantonale Instanzenzug erschöpft ist [
BGE 90 I 229
Erw. 2], dass die Berufung auf die Eigentumsgarantie mit der Rüge der Willkür zusammenfällt [
BGE 85 I 89
] und dass das Bundesgericht sich bei der Überprüfung von Neuzuteilungen Zurückhaltung auferlegt [
BGE 90 I 231
Erw. 4]).
5.
Der Beschwerdeführer beanstandet vor allem, dass ihm in den "Letten" wertvolles Bauland zu einem extrem niedrigen, nur nach landwirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmten Bonitierungswert weggenommen werde. Damit macht er dem Sinne nach auch eine Verletzung von § 77 Abs. 1 BVV geltend, wonach die Bonitierung "unter billiger Berücksichtigung des Verkehrswertes" zu erfolgen hat. Die KBK bestreitet nicht, dass der Verkehrswert des Landes den Bonitierungswert erheblich übersteigt, wendet aber ein, die Bonitierung sei rechtskräftig geworden. Es ist somit zu prüfen, ob der Bonitierungswert für die Zuteilung massgebend ist oder bei dieser noch in Frage gestellt werden kann.
Wie die meisten kantonalen Rechtsordnungen, lässt auch die aargauische BVV den ersten und wichtigsten Teil des Güterzusammenlegungsverfahrens in zwei Abschnitte zerfallen, die Aufnahme und Bonitierung (Schätzung) des alten Besitzstandes einerseits und die Aufstellung des
BGE 90 I 283 S. 286
Zuteilungsentwurfes anderseits (§ 73 Abs. 1 Ziff. 1 und 2), wobei für jeden Abschnitt eine öffentliche Auflage mit der Möglichkeit der Beschwerde vorgeschrieben ist (§§ 73 Abs. 2, 80 und 86). Hieraus ist zu schliessen, dass das Ergebnis des ersten Verfahrensabschnittes, die Feststellung des alten Besitzstandes und dessen Bewertung, mit der Erledigung allfälliger dagegen erhobener Rechtsmittel rechtskräftig wird und im nächsten Verfahrensabschnitt, bei der Neuzuteilung, grundsätzlich nicht mehr angefochten werden kann. Diese Ordnung hat ihren guten Sinn. Eine geordnete Durchführung der Güterzusammenlegung ist nur möglich, wenn der Umfang des Regulierungsgebietes sowie die Bewertung des Landes für alle Beteiligten vor der Neuzuteilung endgültig und verbindlich festgestellt werden, denn sie bilden die Grundlage für das weitere Verfahren. Könnten sie bei der Neuzuteilung noch in Frage gestellt werden, so würde das ohnehin komplizierte und oft langwierige Verfahren übermässig erschwert und in die Länge gezogen. In der Literatur wird denn auch allgemein angenommen, dass jeder Grundeigentümer bei der Auflage des Bonitierungsplanes die Schätzung sowohl der eigenen als auch aller andern in die Güterzusammenlegung einbezogenen Grundstücke anzufechten habe und im Zuteilungsverfahren nicht mehr geltend machen könne, bei der Bonitierung sei sein früherer Besitz zu tief oder das ihm zugeteilte Land zu hoch bewertet worden (VOGEL, Die rechtliche Struktur der Güterzusammenlegung S 41/42; FLUCK, Das Verfahren zur Durchführung öffentlicher Meliorationen S. 65; STAUB, Die Güterzusammenlegung im Kanton Bern S. 47 und 61; JOST, Die Güterzusammenlegung im Kanton Luzern S. 66). Ferner hat das Bundesgericht in mehreren nicht veröffentlichten Urteilen entschieden, es könne ohne Willkür angenommen werden, dass die Bonitierung des gesamten in eine Güterzusammenlegung einbezogenen Landes für alle Beteiligten rechtskräftig und verbindlich werde und im Zuteilungsverfahren nicht mehr angefochten werden könne (Urteile
BGE 90 I 283 S. 287
vom 27. Februar 1947 i.S. Hess c. Regierungsrat des Kantons Bern Erw. 4, vom 6. März 1947 i.S. Nägeli c. Obergericht des Kantons Zürich Erw. 1, vom 23. Dezember 1947 i.S. Häni c. Regierungsrat des Kantons Bern Erw. 4 und vom 22. Juni 1958 i.S. Gutzwiller c. Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft Erw. 2 und 3, wo beigefügt wurde, eine Ausnahme hievon liesse sich nur rechtfertigen, wenn nachträglich neue und entscheidende Tatsachen eintreten, also ein Revisionsgrund vorliege, der das Zurückkommen auf die Bonitierung gebieten würde). In einem einzigen Urteil (vom 27. Oktober 1949 i.S. Haussener c. Tribunal du district de Neuchâtel) wurde bezweifelt, ob ein Grundeigentümer mangels einer dahingehenden Vorschrift verhalten werden könne, die Bewertung fremder Grundstücke schon im Bonitierungsverfahren anzufechten. In der Tat kann man sich fragen, ob dem einzelnen Grundeigentümer zuzumuten ist, neben der Schätzung seines eigenen Landes auch die Bewertung aller übrigen oder doch der für eine Zuteilung an ihn in Betracht fallenden, häufig sehr zahlreichen Grundstücke des Perimeters zu überprüfen und gegebenenfalls anzufechten. Auch kann dies zu vielen Streitigkeiten führen, die sich später als nutzlos erweisen, wenn das betreffende Land dem Beschwerdeführer gar nicht zugeteilt wird. Im Hinblick hierauf vertritt GYGI (Das bundesrechtliche Gebot zur ausführlichen Ordnung des Verfahrensrechts bei Güterzusammenlegungen, MBVR 1954 S. 329/31) die Auffassung, der Grundeigentümer sei im Bonitierungsverfahren zur Anfechtung der Bewertung fremder Grundstücke nicht legitimiert, könne dafür aber im Zuteilungsverfahren geltend machen, das ihm zugewiesene Land sei bei der Bonitierung zu hoch bewertet worden. Die erwähnten Unzukömmlichkeiten vermögen indes die verschiedene Behandlung der Anfechtung der Bonitierung eigener und fremder Grundstücke nicht zu rechtfertigen. Der Bonitierungswert ist, auch wenn bei seiner Bestimmung der Ertragswert und der Verkehrswert zu berücksichtigen sind
BGE 90 I 283 S. 288
(§ 77 Abs. 1 BVV), ein reiner Tauschwert, der nur für den Abtausch der Grundstücke im Zuteilungsverfahren von Bedeutung ist und daher für jedes Grundstück nur im Verhältnis zur Bewertung der andern Grundstücke richtig zu sein braucht (nicht veröffentlichtes Urteil vom 23. Januar 1963 i.S. Erben Schwenk c. Regierungsrat des Kantons Aargau S. 10; STAUB a.a.O. S. 44, FLUCK a.a.O. S. 57, JOST a.a.O. S. 62). Wer behauptet, ein einzelnes oder mehrere Grundstücke seien zu hoch oder zu tief eingeschätzt, macht geltend, sie seien im Verhältnis zu den andern Grundstücken unrichtig bewertet worden. Mit der Anfechtung der Bonitierung der eigenen Grundstücke wird daher immer auch diejenige der fremden in Frage gestellt und umgekehrt. Dies spricht gegen eine verschiedene Behandlung der Anfechtung der Bonitierung des eigenen und des fremden Landes und lässt die im oben angeführten Schrifttum und in den erwähnten Urteilen des Bundesgerichts vertretene Auffassung als richtig erscheinen, dass jeder Grundeigentümer im Bonitierungsverfahren die Bewertung nicht nur des eigenen, sondern auch des fremden Landes zu überprüfen und gegebenenfalls anzufechten habe, ansonst die gesamte Bonitierung für ihn rechtskräftig und verbindlich wird. Eine Ausnahme könnte höchstens in Frage kommen in Fällen, wo das Zusammenlegungsgebiet besonders ausgedehnt und die Bodenzersplitterung sehr gross ist und daher dem einzelnen Grundeigentümer nicht wohl zuzumuten ist, die Bonitierung aller Grundstücke des Perimeters zu überprüfen. Das trifft jedoch vorliegend nicht zu, da der Perimeter ein verhältnismässig kleines Gebiet umfasst und leicht zu übersehen ist. Der Beschwerdeführer, der im Anschluss an die Auflage der Bonitierungspläne und -register keine Einsprache erhoben hat, muss daher im Zuteilungsverfahren sowohl die Bonitierung seines bisherigen Grundeigentums als auch diejenige des ihm neu zugeteilten Landes gegen sich gelten lassen.
Mangels rechtzeitiger Anfechtung der Bonitierung braucht
BGE 90 I 283 S. 289
nicht entschieden zu werden, ob der letztinstanzliche kantonale Entscheid über die Bonitierung selbständig mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
angefochten werden kann oder sogar muss, oder ob diese Beschwerde erst im Anschluss an den in der Neuzuteilung liegenden Endentscheid zulässig ist. Dass der Entscheid einen blossen Zwischenentscheid darstellt, lässt sich zwar kaum bestreiten. Zweifelhaft ist dagegen, ob er für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von
Art. 87 OG
zur Folge hat und ob es sich nicht, wie beim Entscheid über die Zusammensetzung eines Gerichts sowie über die sachliche oder örtliche Zuständigkeit (vgl.
BGE 69 I 16
und
BGE 87 I 177
mit Verweisungen), um einen Entscheid über eine Frage handelt, die ihrer Natur nach vorweg endgültig zu erledigen ist und im Anschluss an den Endentscheid nicht mehr aufgeworfen werden kann. Wie dem auch sei, könnte jedenfalls die Bonitierung als Zwischenentscheid nur dann noch im Anschluss an die Neuzuteilung mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen
Art. 4 BV
angefochten werden, wenn seinerzeit bei der öffentlichen Auflage der Bonitierungspläne die zur Verfügung stehenden kantonalen Rechtsmittel ergriffen worden sind. Das ist hier nicht geschehen, sodass die Bewertung der Grundstücke des Beschwerdeführers in den "Letten" mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde aufkeinen Fall mehr angefochten werden kann. Auf die dem Sinne nach erhobene Rüge der Verletzung von § 77 Abs. 1 BVV ist daher nicht einzutreten. Zu prüfen ist nur, ob
§ 84 Abs. 2 BV
willkürlich missachtet worden ist.
6.
Nach dieser Bestimmung ist bei der Neuzuteilung jedem Grundeigentümer für die eingeworfenen Grundstücke "nach Möglichkeit Ersatz in Land und Waldbestand von ähnlicher Beschaffenheit und Lage" zuzuweisen. Mit den Worten "nach Möglichkeit" und "ähnlich" wird, wie das Bundesgericht inbezug auf entsprechende Bestimmungen anderer Kantone wiederholt festgestellt hat, dem Ermessen
BGE 90 I 283 S. 290
der für die Zuteilung zuständigen Behörden ein weiter Spielraum gelassen. Mit gewissen Unterschieden bezüglich Beschaffenheit und Lage hat sich jeder Eigentümer abzufinden. Das Bundesgericht kann nur einschreiten, wenn die kantonale Behörde ihr Ermessen überschritten oder missbraucht hat (erwähnte Urteile i.S. Hess Erw. 5, Häni Erw. 4 und Gutzwiller Erw. 6).
a) Die KBK erachtet das Begehren des Beschwerdeführers um Zuteilung einer Bauparzelle in den "Letten" schon deshalb als unbegründet, weil in der Gemeinde Habsburg weder eine rechtskräftige Bauzone bestehe noch ein nichtlandwirtschaftlicher Perimeter ausgeschieden worden sei und die Zuteilung daher nach rein landwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu erfolgen habe, was - wie in der Beschwerdeantwort ergänzend bemerkt wird - auch aus dem in § 1 BVVniedergelegten Zweckgedanken folge. Damit legt sie jedoch § 84 Abs. 2 BVV in unhaltbarer Weise zu eng aus. Nach § 77 Abs. 1 BVV ist bei der Bonitierung neben dem Ertragswert auch der Verkehrswert in billiger Weise zu berücksichtigen, und dieser bestimmt sich weitgehend danach, ob sich das Grundstück zur Überbauung eignet und diese in näherer oder fernerer Zeit zu erwarten ist. Sind aber für die Bonitierung auch andere als landwirtschaftliche Gesichtspunkte und insbesondere die Möglichkeit der Überbauung zu berücksichtigen, so muss dies folgerichtig auch für die Zuteilung gelten. § 84 Abs. 2 BVV spricht denn auch von "ähnlicher Beschaffenheit und Lage" schlechthin und schreibt nicht vor, dass dabei ausschliesslich die landwirtschaftliche Nutzung in Betracht falle. Das folgt auch nicht aus § 1 Abs. 1 BVV, wonach als Bodenverbesserungen alle den landwirtschaftlich benützten oder nutzbaren Boden betreffenden Verbesserungen gelten, die geeignet sind, unfruchtbares oder wenig fruchtbares Land in fruchtbares umzuwandeln oder die Bearbeitung oder den Betrieb wirtschaftlicher zu gestalten. Die BVV schliesst die Einbeziehung landwirtschaftlich benützter, aber zur Überbauung geeigneter Grundstücke in die Güterzusammenlegung
BGE 90 I 283 S. 291
nicht aus. Werden aber solche Grundstücke in das Unternehmen einbezogen, so ist es geboten, ihren besonderen Charakter auch bei der Zuteilung zu berücksichtigen, ändert doch die Zuteilung solchen Landes nach rein landwirtschaftlichen Gesichtspunkten an diesem Charakter nichts und vermag die spätere Überbauung nicht auszuschliessen. Das Bundesgericht hat im nicht veröffentlichten Urteil vom 22. Januar 1958 i.S. Heinis c. Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft ausgeführt, dass in der Zone eines Bebauungsplanes gelegene Parzellen und solche, die voraussichtlich auf lange Dauer rein landwirtschaftlich genutzt werden, nicht ohne Verkennung von Wortlaut und Sinn des Gesetzes als "Grundstücke von gleicher Gattung" betrachtet werden können. Das gleiche muss gelten, wenn zwar keine Bauzone besteht, für das Land aber im Hinblick auf die Eignung zur Überbauung Baulandpreise bezahlt werden, die den Ertragswert weit übersteigen, wie es in den "Letten" unbestrittenermassen der Fall ist. Die Behauptung der KBK, die Zuteilung sei allgemein nach rein landwirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt, trifft übrigens nicht restlos zu, sind doch nicht nur in den "Letten", sondern auch im "Zelgli" (vgl. heutiges Urteil i.S. Harnisch Erw. 3 a), wenn auch nur vereinzelt, Parzellen gebildet worden, die nach Grösse und Form offensichtlich zur Überbauung bestimmt sind. Unbehelflich ist der am Augenschein erfolgte Hinweis auf die nur für landwirtschaftliches Gebiet erhältliche Bundessubvention, da diese nicht von der Beachtung von § 84 Abs. 2 BVV entbindet.
b) Auch wenn man die Eignung des Landes in den "Letten" für die Überbauung berücksichtigt, ist der angefochtene Entscheid indes aus dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür nicht zu beanstanden. Zwar hätte es sich sehr wohl rechtfertigen lassen, dem Beschwerdeführer, dem drei Grundstücke in den "Letten" im Halt von zusammen 20,82 a gehören, dort eine Bauparzelle zuzuweisen. Doch kann nicht gesagt werden, dass die
BGE 90 I 283 S. 292
kantonalen Behörden damit, dass sie dies ablehnten, das ihnen nach § 84 Abs. 2 BVV bei der Neuzuteilung zustehende Ermessen überschritten oder missbraucht haben. Das aus 29 Parzellen bestehende und über ein weites Gebiet zerstreute Flurland des Beschwerdeführers konnte in nur 2 Parzellen zusammengefasst werden, von denen die grössere unmittelbar an das Hausgrundstück grenzt. Angesichts dieser besonders günstigen Arrondierung des Heimwesens darf dem Beschwerdeführer zugemutet werden, in anderer Beziehung gewisse Nachteile in Kauf zu nehmen. Das Land in den "Letten" und in den "Flachsäckern" ist zwar inbezug auf die Überbauung nicht von gleicher Beschaffenheit und Lage, aber doch nicht so verschieden, dass die Nichtzuteilung einer Bauparzelle in den "Letten" als mit § 84 Abs. 2 BVV unvereinbar erschiene. Das Gebiet in den "Letten" ist oberhalb des Dorfes an einem windgeschützten Hang gelegen, bietet einen umfassenden Blick auf das Mittelland und die Berge und ist in den projektierten Kanalisationsrayon einbezogen. Die Erstellung der Kanalisation wird jedoch, wie die kantonalen Behörden am Augenschein erklärten, noch längere Zeit auf sich warten lassen; auch ist das Land noch nicht mit Wasser- und Elektrizitätsleitungen erschlossen. Anderseits ist auch ein kleiner Teil des dem Beschwerdeführer in den "Flachsäckern" zugeteilten Landes in den Kanalisationsrayon einbezogen worden. Die "Flachsäcker" liegen zudem unweit vom Dorf und grenzen auf eine weite Strecke an die im Wegnetzentwurf vorgesehene Ortsverbindungsstrasse, sodass es nicht unwahrscheinlich ist, dass später noch ein weiterer Teil in den Kanalisationsrayon einbezogen wird. Auch ist die Aussicht, wie der Augenschein gezeigt hat, im obern Teil der "Flachsäcker" ebenfalls weit und ansprechend. Der Beschwerdeführer behauptet freilich, es sei ihm nicht möglich und würde ihm auch nicht gestattet, auf diesem Land ein Einfamilienhaus zu erstellen. Das ist jedoch von der KBK im angefochtenen Entscheid und in der Beschwerdeantwort bestritten und vom Beschwerdeführer
BGE 90 I 283 S. 293
nicht dargetan worden. Zwischen dem Land in den "Letten" und dem obern Teil der "Flachsäcker" besteht somit, was die Möglichkeit der Erstellung eines Einfamilienhauses betrifft, kein so grosser Unterschied, dass in der Nichtzuteilung einer Bauparzelle in den "Letten" an den Beschwerdeführer ein Ermessensmissbrauch zu erblicken und der angefochtene Entscheid als geradezu willkürlich zu bezeichnen wäre. | 6,909 | 2,647 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | 46 | 18 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-90-I-283_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=2&from_date=&to_date=&from_year=1964&to_year=1964&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=19&highlight_docid=atf%3A%2F%2F90-I-283%3Ade&number_of_ranks=190&azaclir=clir | BGE_90_I_283 |
||
00aabd7d-8b71-49fc-9958-16a04a8cfa5d | 1 | 83 | 1,338,992 | 63,072,000,000 | 1,972 | de | Sachverhalt
ab Seite 314
BGE 98 IV 314 S. 314
Aus dem Tatbestand:
A.-
Dem in Frankfurt wohnhaften Oertli wurde im Laufe des Jahres 1970 bekannt, dass im Kassenschrank der Firma Novelectric AG in Buchs/ZH jeden Monat vor der Gehaltsauszahlung
BGE 98 IV 314 S. 315
ca. Fr. 300'000.-- aufbewahrt werden. In der Absicht, sich der Dezember-Lohnauszahlung der genannten Firma zu bemächtigen, fuhr Oertli im Auto mit zwei Komplizen am 17. Dezember 1970 nach Zürich. Dort hielten er und seine Bekannten um ca. 23.00 Uhr den die Kassenschrankschlüssel der Firma Novelectric AG auf sich tragenden Prokuristen Walther unter Bedrohung mit einer Pistole vor dessen Wohnhaus an und zwangen ihn, in ihren Wagen zu steigen, wo sie ihm den Kopf auf den hinteren Rücksitz drückten. Anschliessend fuhren sie nach Buchs vor das Gebäude der Novelectric AG, wo sie den Prokuristen fesselten und ihm Kopf und Augen mit breitem Klebeband umwickelten. Sie verabreichten ihm sodann zwei bis drei Spritzen eines unbekannten Schlaf- oder Betäubungsmittels, worauf Walther das Bewusstsein verlor. Hierauf führte Oertli einen der zwei Mittäter, der dem Prokuristen die Schlüssel abgenommen hatte, ins Gebäudeinnere und zeigte ihm den Kassenschrank. Diesem entnahmen die beiden Zahltagstaschen im Gesamtbetrag von ca. Fr. 340'000.--. Nachher wurde Prokurist Walther in bewusstlosem Zustand ins Gebäude getragen und dort mit den Füssen an ein Treppengeländer gefesselt. Die Täter fuhren danach unverzüglich nach Deutschland zurück.
B.-
Am 10. Februar 1972 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich an Stelle des Geschworenengerichts Oertli wegen Raubes im Sinne von
Art. 139 Ziff. 1 und 2 Abs. 4 StGB
, sowie wegen Freiheitsberaubung im Sinne von
Art. 182 Ziff. 1 StGB
zu sieben Jahren Zuchthaus, abzüglich 218 Tage erstandener Untersuchungshaft.
C.-
Gegen diesen Entscheid führt der Angeschuldigte eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt Verurteilung ausschliesslich wegen einfachen Raubes im Sinne von
Art. 139 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
und entsprechende Herabsetzung der ausgefällten Freiheitsstrafe. | 496 | 357 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Die Vorinstanz hat Oertli nicht nur des Raubes, sondern zusätzlich auch der Freiheitsberaubung im Sinne von
Art. 182 Ziff. 1 StGB
schuldig befunden. Sie vertritt die Ansicht, dass das Verbringen des betäubten und gefesselten Prokuristen nach ausgeführtem Diebstahl in das Innere des Gebäudes und namentlich das Fesseln und Festbinden der Füsse am Treppengeländer
BGE 98 IV 314 S. 316
eine zweite, vom Raub unabhängige und für diesen entbehrliche Handlung darstelle, die nicht bloss als straflose Nachtat betrachtet werden dürfe.
Demgegenüber wendet der Beschwerdeführer ein, der ganze Ablauf der Tat sei als Handlungseinheit zu qualifizieren; sämtliche Handlungen der Täter stellten aufeinanderfolgende kausale Beiträge zum gleichen Erfolg dar, wobei die Strafandrohung für den Raub zugleich die zur Sicherung der Flucht verübte Gewalt allseitig abgelte.
Es ist davon auszugehen, dass Oertli nicht wissen konnte, wie lange die Bewusstlosigkeit des Prokuristen anhalten werde. Deshalb wollten er und seine Komplizen mit dem zusätzlichen Festbinden des Opfers am Treppengeländer die Zeitspanne bis zur Entdeckung der Tat verlängern und sich damit eine unbehelligte Flucht sichern. Daran ändert der Umstand nichts, dass Walther im Zeitpunkt der Fesselung noch bewusstlos war. Die Gewaltanwendung zur Sicherung der Flucht steht demnach in direktem Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Raub. Angesichts des engen zeitlichen Zusammenhanges, der bei natürlicher Betrachtungsweise das gesamte Tätigwerden des Beschwerdeführers und seiner Komplizen als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen lässt, rechtfertigt sich somit die Annahme, der im Fesseln und Festbinden des Prokuristen liegenden Freiheitsbeschränkung komme keine selbständige Bedeutung zu und sie werde durch die Verurteilung wegen Raubes abgegolten. Die Beschwerde ist daher in diesem Punkte begründet. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie Oertli von der Anschuldigung der Freiheitsberaubung freispreche und die Strafe dementsprechend neu bemesse. | 420 | 319 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-98-IV-314_1972 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=2&from_date=&to_date=&from_year=1972&to_year=1972&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=14&highlight_docid=atf%3A%2F%2F98-IV-314%3Ade&number_of_ranks=374&azaclir=clir | BGE_98_IV_314 |
|||
00acb527-ff3f-4be0-980f-6f4fec165ded | 2 | 81 | 1,352,646 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 460
BGE 121 II 459 S. 460
Saisi d'une demande d'entraide judiciaire formée par la Cour d'appel de Rennes, le Juge d'instruction du canton de Genève est entré en matière par ordonnance du 14 février 1995.
Dans le cadre de ses investigations, il a entendu deux fois L. en qualité de témoin; la première fois le 12 janvier 1995 au sujet d'un versement de 100'000 US$ dont il était le destinataire et qui constituait selon ses explications le remboursement d'un prêt; la seconde fois le 4 avril 1995 au sujet d'un second versement, de 500'000 US$, destiné selon lui à un partenaire commercial sans rapport avec les personnes poursuivies en France.
Par deux ordonnances de clôture partielle du 19 juillet 1995, le juge d'instruction a décidé de transmettre les deux procès-verbaux d'audition de L.
Ce dernier a recouru auprès de la Chambre d'accusation du canton de Genève, en faisant valoir notamment que la demande d'entraide et ses mesures d'exécution violaient le principe de la proportionnalité.
Par deux ordonnances du 12 et du 19 septembre 1995, la Chambre d'accusation a déclaré les recours irrecevables, en déniant à L. la qualité pour agir: celui-ci avait été entendu au sujet d'opérations bancaires concernant des entités autres que lui; il ne s'était pas prévalu des dispositions lui permettant de refuser son témoignage; les renseignements transmis n'étaient pas susceptibles de l'affecter dans sa situation personnelle.
Agissant par la voie de deux recours de droit administratif, L. demande au Tribunal fédéral d'annuler les ordonnances de la cour cantonale, de lui
BGE 121 II 459 S. 461
reconnaître la qualité pour recourir devant la Chambre d'accusation et de renvoyer la cause à cette dernière afin qu'elle statue sur le fond. Le Tribunal fédéral a rejeté les recours. | 658 | 323 | Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) A qualité pour recourir au Tribunal fédéral au moyen d'un recours de droit administratif quiconque est atteint par la décision attaquée et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée (
art. 103 lettre a OJ
). Selon l'
art. 98a al. 3 OJ
qui a codifié la jurisprudence du Tribunal fédéral, la qualité pour recourir en instance cantonale pour violation du droit fédéral dans des causes susceptibles d'être déférées au Tribunal fédéral par un recours de droit administratif doit être admise au moins aussi largement que pour ce recours (
ATF 118 Ib 442
).
b) En matière d'entraide judiciaire, la qualité pour recourir est reconnue à la personne physique ou morale directement touchée par un acte d'entraide, sans qu'elle n'ait à se prévaloir d'un intérêt juridiquement protégé. Point n'est besoin qu'elle soit affectée dans ses droits et obligations; il suffit qu'elle soit concrètement touchée - matériellement ou juridiquement - par la mesure ordonnée (
ATF 119 Ib 56
, 59 consid. 2a). La jurisprudence considère que seul mérite la protection légale celui qui se trouve dans un rapport suffisamment étroit avec la décision attaquée, ce qui n'est pas le cas de celui qui n'est atteint que de manière indirecte ou médiate. Elle reconnaît en principe la qualité pour recourir au titulaire d'un compte bancaire au sujet duquel des renseignements sont demandés, ou à la personne qui doit se soumettre à une mesure de contrainte (perquisition, saisie ou interrogatoire; cf.
ATF 121 II 38
consid. 1b,
ATF 118 Ib 442
, 444 consid. 2a,
ATF 116 Ib 106
, 109 consid. 2a).
c) La personne appelée à fournir son témoignage dans le cadre d'une demande d'entraide judiciaire se trouve directement soumise à une mesure de contrainte l'obligeant à se présenter devant le juge d'instruction et à y déposer. On ne saurait cependant reconnaître la qualité pour recourir du témoin en raison des seuls inconvénients liés à sa comparution, indépendamment des renseignements qu'il est appelé à fournir, car cela permettrait à la personne interrogée d'entraver la procédure d'entraide judiciaire, alors même qu'elle ne pourrait invoquer un intérêt légitime. Aussi convient-il de reconnaître la qualité du témoin pour s'opposer à la mesure d'entraide dans la seule mesure où les renseignements qu'il est appelé à fournir le concernent personnellement, ou lorsqu'il entend se
BGE 121 II 459 S. 462
prévaloir d'un droit dont il est personnellement titulaire, comme celui de refuser son témoignage (cf.
ATF 113 Ib 157
, 168 consid. 7a).
Lorsque les renseignements à transmettre figurent dans des documents, la jurisprudence relative à l'
art. 103 let. a OJ
ne reconnaît la qualité pour recourir qu'à la personne directement concernée et la dénie, lorsqu'il s'agit d'une société anonyme, à son actionnaire majoritaire ou unique, ou à l'ayant droit économique, car celui qui recourt à certaines formes juridiques (société anonyme ou rapport de fiducie) pour éviter d'apparaître directement, doit en général en accepter les conséquences (
ATF 114 Ib 156
, 158 consid. 2a et les arrêts cités). Par identité de motifs, le témoin ne peut donc être admis à recourir lorsque sa déposition ne porte pas sur ses propres rapports avec une société dont il est le bénéficiaire économique, mais sur la seule activité de cette société.
d) Or en l'espèce, les demandes d'entraide tendaient à déterminer le titulaire de deux comptes bancaires, destinataire, respectivement originaire de deux versements déterminés. Le premier versement, de 100'000 US$, daté du 21 mai 1987, provenait d'un compte bancaire détenu par la société I., à destination d'un compte global "X." ouvert auprès de la banque A., détenu économiquement par K.; entendu le 13 décembre 1994, ce dernier a indiqué que le versement était destiné au recourant; il a remis au magistrat les instructions données par le recourant quant à l'utilisation ultérieure de cette somme; selon les explications du recourant, il s'agirait du remboursement d'un prêt consenti à un partenaire commercial. Le second versement, de 500'000 US$, daté du 2 avril 1987, provenait d'un compte auprès de la banque B. dont le magistrat requérant désirait connaître le titulaire; il est apparu que la somme n'avait fait que transiter par le compte détenu par la société I. auprès de la banque B., et provenait du compte "X." précité; par lettres des 21 février et 9 mars 1995, K. a confirmé que le recourant était à l'origine de ce virement. Entendu le 4 avril 1995, le recourant a précisé que cette somme était destinée au même partenaire commercial.
Il apparaît que le recourant n'est pas titulaire des comptes visés par les demandes d'entraide; le fait qu'il soit, économiquement, à l'origine ou à la réception des versements concernés n'est pas suffisant pour justifier sa qualité pour agir. Par ailleurs, les renseignements donnés par le recourant au juge d'instruction ne font que confirmer les indications déjà données à son sujet par K., et à la transmission desquelles il ne pourrait de toute façon pas s'opposer; par ailleurs, il n'invoquait aucun motif propre qui
BGE 121 II 459 S. 463
aurait pu justifier une dispense de témoigner. Dans ces conditions, il y a lieu de considérer que le recourant ne pouvait pas se prévaloir d'un intérêt légitime suffisant pour s'opposer à l'octroi de l'entraide judiciaire. Les décisions attaquées ne violent donc pas le droit fédéral. | 2,075 | 1,020 | 2 | 0 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-121-II-459_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=2&from_date=&to_date=&from_year=1995&to_year=1995&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=17&highlight_docid=atf%3A%2F%2F121-II-459%3Ade&number_of_ranks=329&azaclir=clir | BGE_121_II_459 |
|||
00b10d5e-f858-45dc-8af1-b21112edebea | 1 | 82 | 1,363,116 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 109 III 7 S. 8
Am 23. April 1981 stellte das Konkursamt Werdenberg der H. AG für deren Forderung im Betrage von Fr. 3'188.10 gegenüber G. einen Konkursverlustschein aus und vermerkte darin, dass der Gemeinschuldner die Forderung anerkannt habe. Diese Forderung wurde in der Folge der F. AG abgetreten, die dem Schuldner am 16. August 1982 hiefür einen Zahlungsbefehl (Betreibung Nr. 4709) zustellen liess. Mit einem am 23. August 1982 beim Betreibungsamt eingegangenen Schreiben erhob der Schuldner in verschiedenen Betreibungen Rechtsvorschlag, so auch gegen den "Zahlungsbefehl Nr. 4009", und zwar mit folgender Formulierung: "Rechtsvorschlag da kein neues Vermögen vorhanden." Obwohl das Betreibungsamt es für möglich hielt, dass es sich bei der Angabe der Betreibungsnummer um einen Verschrieb des Schuldners handelte und der entsprechend begründete Rechtsvorschlag sich somit gegen die Betreibung Nr. 4709 richtete, teilte es der Gläubigerin auf der für diese bestimmten Ausfertigung des Zahlungsbefehls lediglich mit, der Schuldner habe Rechtsvorschlag erhoben; die Mitteilung der Begründung "da kein neues Vermögen vorhanden" unterblieb. Hierauf stellte die Gläubigerin beim Gerichtspräsidenten von Werdenberg das Gesuch um Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung gestützt auf den Konkursverlustschein. Diesem Gesuch wurde entsprochen, und die
BGE 109 III 7 S. 9
provisorische Rechtsöffnung wurde mit Entscheid vom 6. Oktober 1982 erteilt.
Gegen diesen Entscheid erhob der Schuldner Berufung an den Rekursrichter für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantonsgerichts St. Gallen. Darin machte er geltend, er habe gegen den Zahlungsbefehl mit der Begründung Rechtsvorschlag erhoben, dass er nicht zu neuem Vermögen gekommen sei; die Rechtsöffnung hätte deshalb nicht gewährt werden dürfen. Mit Entscheid vom 23. November 1982 hiess der Rekursrichter die Berufung gut und hob den Rechtsöffnungsentscheid auf. Die F. AG erhebt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt, den Entscheid des Rekursrichters wegen Willkür aufzuheben. | 424 | 326 | Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 265 Abs. 3 SchKG
ist über die Einrede des mangelnden neuen Vermögens vom Richter im beschleunigten Verfahren, somit also nicht im summarischen Rechtsöffnungsverfahren, zu entscheiden. Wenn ein Schuldner sowohl Rechtsvorschlag im gewöhnlichen Sinne als auch die Einrede des mangelnden neuen Vermögens erhoben hat, darf die Betreibung nicht fortgesetzt werden, bis die beiden Hindernisse in den hiefür vorgesehenen getrennten Verfahren beseitigt worden sind. Wird die Betreibung trotzdem fortgesetzt, steht dem Schuldner die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde zur Verfügung (
BGE 103 III 35
E. 3 mit Verweisen).
Der Rechtsöffnungsrichter hatte somit an sich keinen Anlass, sich darum zu kümmern, ob der Schuldner die Einrede des mangelnden neuen Vermögens anlässlich der Erklärung des Rechtsvorschlags erhoben habe, sondern er hätte den Schuldner diesbezüglich an die Aufsichtsbehörde verweisen können. Es fragt sich, ob die Auffassung des Rekursrichters, es obliege ihm, die Parteien soweit als möglich so zu stellen, wie wenn das Versehen des Betreibungsamtes nicht passiert wäre, nicht nur als unrichtig, sondern geradezu als unhaltbar und daher als willkürlich zu betrachten sei.
3.
Der Rekursrichter kann sich für seine Auffassung auf die von ihm angeführten Zitate im Kommentar JAEGER stützen (Bd. I, 3. Aufl., insbesondere N. 10 zu Art. 82 und N. 7 zu
Art. 80 SchKG
). Die Meinung JAEGERS, wonach die Rechtsöffnung zu verweigern sei, solange über die Einrede des mangelnden neuen
BGE 109 III 7 S. 10
Vermögens noch kein Entscheid des Richters im beschleunigten Verfahren vorliege, ist allerdings durch die seitherige Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht bestätigt worden. Es gibt indessen durchaus Gründe, die dafür sprechen, dass über die Erteilung der Rechtsöffnung so lange nicht entschieden wird, bis ein Urteil über die Einrede des mangelnden neuen Vermögens vorliegt. Das beschleunigte Verfahren sollte logischerweise vor dem Rechtsöffnungsverfahren durchgeführt werden, da es dabei um die Frage geht, ob die Betreibung überhaupt rechtsgültig angehoben werden kann, währenddem im Rahmen der Rechtsöffnung über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Betreibung zu entscheiden ist (so ausdrücklich
BGE 35 I 804
E. 1). Lässt sich der angefochtene Entscheid aber mit dieser Überlegung rechtfertigen, so erweist er sich mindestens nicht als völlig unhaltbar und damit nicht als willkürlich. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn sich der Rekursrichter nicht darauf beschränkt hätte, den Rechtsöffnungsentscheid aufzuheben, sondern wenn er den Rechtsöffnungsrichter angewiesen hätte, das Rechtsöffnungsgesuch abzuweisen. Ein solcher Entscheid hätte nicht getroffen werden dürfen, ohne dass über den Anspruch der Gläubigerin auf Erteilung der Rechtsöffnung materiell geurteilt worden wäre.
4.
Gegen die beantragte Aufhebung des angefochtenen Entscheids spricht noch eine weitere Überlegung. Es fragt sich nämlich, ob der Schuldner mit seinem Rechtsvorschlag die Forderung oder deren Fälligkeit überhaupt habe bestreiten oder ob er nicht bloss die Einrede des mangelnden neuen Vermögens habe erheben wollen. Entgegen der Auffassung des Rekursrichters muss nämlich angenommen werden, der Schuldner habe nur das Vorhandensein neuen Vermögens bestreiten wollen. Dafür spricht vor allem das Wörtchen "da" ("Rechtsvorschlag da kein neues Vermögen vorhanden"), womit zum Ausdruck gebracht wurde, dass der Rechtsvorschlag nur aus diesem Grund erhoben wurde (vgl.
BGE 103 III 34
f. E. 2). Falls das Betreibungsamt im konkreten Fall zu dieser Überzeugung gelangen und es der Beschwerdeführerin gelingen sollte, die vom Schuldner erhobene Einrede im anzuhebenden gerichtlichen Verfahren zu beseitigen, müsste sie den Rechtsöffnungsrichter gar nicht mehr anrufen, um die Fortsetzung der Betreibung erwirken zu können. Sollte die Gläubigerin oder der Schuldner dieser Betrachtungsweise nicht zustimmen, wäre es Sache der Aufsichtsbehörden, auf entsprechende Beschwerde hin darüber zu entscheiden.
BGE 109 III 7 S. 11
Der angefochtene Entscheid erweist sich mithin mindestens im Ergebnis nicht als willkürlich, so dass die Beschwerde abzuweisen ist. | 847 | 693 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-109-III-7_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=31&from_date=&to_date=&from_year=1983&to_year=1983&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=303&highlight_docid=atf%3A%2F%2F109-III-7%3Ade&number_of_ranks=345&azaclir=clir | BGE_109_III_7 |
|||
00b4c7bf-912d-4805-b754-e9e8e0f1c0d0 | 3 | 84 | 1,361,408 | 441,763,200,000 | 1,984 | it | Sachverhalt
ab Seite 83
BGE 110 V 83 S. 83
A.-
Mediante decisione del 10 dicembre 1982 la Cassa di compensazione ha affiliato Valerio Pellanda in qualità di indipendente dal 1o gennaio 1977 e fissato il contributo AVS/AI/IPG dal 1o gennaio al 31 dicembre 1977 su un reddito medio di Fr. 3900.--, come indicato dall'Ufficio di tassazione.
B.-
Valerio Pellanda è insorto contro il provvedimento amministrativo con ricorso al Tribunale cantonale delle assicurazioni, chiedendo l'annullamento della decisione. In sostanza l'insorgente ha addotto di aver locato - a partire dal settembre 1977 - un appartamento di vacanza di cui egli aveva indicato, nella dichiarazione d'imposta, l'utile quale reddito della sostanza. L'autorità fiscale aveva invece classificato l'entrata quale reddito aziendale. Chieste informazioni all'amministrazione tributaria, quest'ultima gli aveva precisato che comunque l'importo da solvere non sarebbe mutato. Secondo l'insorgente
BGE 110 V 83 S. 84
doveva essere operata una distinzione tra la locazione di un appartamento e l'attività di affittacamere. Benché la tassazione fosse cresciuta in giudicato doveva pur essere stabilito se erano dati i presupposti per un'imposizione contributiva.
La Cassa di compensazione, nella risposta al gravame, ricordata che l'attività dell'insorgente era iniziata nel settembre del 1977, ha proposto di sostituire la decisione con altra che tenesse conto di un periodo ridotto.
Con giudizio dell'11 marzo 1983 il Tribunale cantonale delle assicurazioni ha parzialmente tutelato il gravame fissando l'obbligo di contribuzione dell'insorgente per il periodo decorso dal 1o settembre al 31 dicembre 1977. Per i primi giudici i proventi derivanti da locazione di camere o appartamenti di vacanza costituivano un reddito aziendale. L'insorgente, proprietario di un appartamento che veniva messo a disposizione di turisti, rinnovando la locazione con persone diverse più volte durante la medesima stagione, esercitava come tale una certa attività di rigoverno, di ricerca di clienti e di amministrazione. Ininfluente era sapere se egli non fosse titolare di un permesso di affittacamere, termine che nel senso tecnico era da intendere inclusivo pure della locazione di appartamenti di vacanza. Per i primi giudici il reddito aziendale esposto in sede fiscale, corrispondente di regola al reddito netto considerato dall'
art. 9 LAVS
, era stato rettamente posto dalla cassa alla base del computo del contributo personale dovuto dall'insorgente.
C.-
Con il ricorso di diritto amministrativo Valerio Pellanda chiede l'annullamento della decisione che fissa il periodo di contribuzione dal 1o settembre al 31 dicembre 1977 e implicitamente l'annullamento del querelato giudizio. Adduce di aver nel 1976/77, costruendo la propria casa, aggiunto un appartamento di 4 letti, successivamente locato a turisti per periodi da 2 a 3 settimane. Per far conoscere l'appartamento egli ha fatto inserzioni e si è iscritto al servizio alloggi dell'ente turistico locale, pagando per questo servizio una tassa fissa oltre alle tasse di soggiorno. Ne deduce che minima sarebbe l'attività svolta per locare l'appartamento, non riconducibile a attività indipendente nel senso indicato dalla Cassa di compensazione. Infatti, l'effettivo lavoro sarebbe assolutamente irrilevante, quantificabile in pochi minuti all'arrivo e alla partenza degli ospiti: a suo parere quindi non sarebbe dato il presupposto di un'attività lucrativa. Precisa che il fisco l'aveva inizialmente tassato
BGE 110 V 83 S. 85
per un reddito aziendale di Fr. 3350.--, senza tener conto delle deduzioni. A seguito di un reclamo e poi di un ricorso, la tassazione era stata modificata nel senso di un aumento del reddito aziendale da un canto, ma di aumento delle deduzioni dall'altro, in misura tale da comportare una diminuzione globale dell'imponibile. Per il ricorrente le deduzioni avevano avuto luogo sul reddito complessivo della sostanza, quindi anche dell'appartamento. Rifiuta di subire le conseguenze del fatto che la tassazione, pur distinguendo reddito della sostanza da reddito aziendale, operi una deduzione globale. A suo parere, se del caso, il contributo sarebbe da versare sul reddito reale e non su introiti gravati da oneri. Una volta ammortizzata la proprietà, un eventuale reddito effettivo potrà essere soggetto all'AVS. Conclude dichiarando incomprensibile come la Cassa di compensazione consideri un reddito aziendale ciò che in effetti altro non sarebbe che un reddito della sostanza e ravvisa, nel fatto che altre persone nella sua stessa condizione non siano tenute a contribuire all'AVS, una violazione dell'art. 4 della Costituzione. A sostegno del gravame produce documentazione fiscale.
Cassa di compensazione e Ufficio federale delle assicurazioni sociali propongono la reiezione del gravame. | 1,765 | 795 | Erwägungen
Estratto dai considerandi:
3.
Giusta l'
art. 9 cpv. 1 LAVS
il reddito proveniente da un'attività lucrativa indipendente comprende qualsiasi reddito che non sia mercede per lavoro a dipendenza d'altri. Per l'
art. 17 OAVS
è considerato reddito proveniente da un'attività lucrativa indipendente nel senso dell'
art. 9 cpv. 1 LAVS
il reddito conseguito in proprio nell'agricoltura, nella selvicoltura, nel commercio, nelle arti e mestieri, nell'industria e nelle professioni liberali.
Secondo l'
art. 8 cpv. 2 LAVS
(nel testo in vigore sino al 30 aprile 1978 ed applicabile in concreto) se il reddito di un'attività lucrativa indipendente era inferiore a Fr. 2000.-- l'anno doveva essere versato un contributo fisso di Fr. 78.-- l'anno e siffatto contributo era prelevato solo a richiesta dell'assicurato se il reddito inferiore a Fr. 2000.-- l'anno proveniva da un'attività lucrativa indipendente accessoria.
4.
Nell'evenienza concreta la Cassa di compensazione si è basata, nel determinare il contributo personale del ricorrente, sulla
BGE 110 V 83 S. 86
comunicazione del competente ufficio di tassazione. Essa si è prevalsa nei suoi allegati dell'
art. 23 cpv. 4 OAVS
, giusta il quale le indicazioni fornite dall'autorità fiscale sono vincolanti per le casse di compensazione. Mette conto di essere osservato che il vincolo assoluto per le casse di compensazione e relativo per il giudice delle assicurazioni alle indicazioni dell'autorità di tassazione è limitato al reddito determinante e al capitale proprio investito nell'azienda dell'assicurato. Detto vincolo non concerne invece la qualifica contributiva del reddito e nemmeno lo statuto del contribuente e in particolare non discrimina sempre il reddito di attività indipendente da quello di attività dipendente e non permette di asserire se un assicurato sia o meno tenuto a contribuire. Quindi spetta alle casse di compensazione, in questo caso svincolate dalle indicazioni delle autorità fiscali, e sulla sola scorta del diritto sull'AVS di stabilire la natura del reddito. È comunque evidente che le casse di compensazione debbano agire in questo modo e quindi procedere a ulteriori accertamenti solo nella misura in cui possano insorgere dubbi seri sulla qualifica dell'assicurato. Necessari sono comunque ulteriori chiarimenti ogni volta che si debba stabilire se l'assicurato svolge o meno un'attività soggetta a contributi. Altrimenti è lecito scostarsi dalle tassazioni cresciute in giudicato solo nella misura in cui esse contengano errori manifesti e debitamente comprovati che possano essere immediatamente corretti (
DTF 106 V 130
consid. 1, 102 V 30 consid. 3a; RCC 1983 pag. 21 consid. 5).
5.
La presente controversia verte, da un lato, sulla questione di sapere come debba essere qualificato il reddito proveniente dall'attività accessoria del ricorrente, dall'altro sulla determinazione, subordinata alla soluzione del primo quesito, di tale reddito ai fini contributivi nell'ambito dell'AVS/AI/IPG.
a) È pacifico che il ricorrente dia in locazione - a titolo accessorio - un appartamento ammobiliato a turisti. Irrilevante dal profilo delle assicurazioni sociali è che - come asserito dal ricorrente stesso - ciò possa aver luogo secondo il diritto cantonale senza il conseguimento di un particolare permesso di affittacamere. Da detto profilo deve unicamente essere stabilito se il reddito costituisca reddito della sostanza oppure reddito aziendale, qualificabile come provento di un'attività lucrativa indipendente esercitata a titolo accessorio.
Il reddito netto derivante dall'amministrazione dei propri beni non è soggetto a contribuzione AVS/AI/IPG nella misura in cui
BGE 110 V 83 S. 87
tale attività non ecceda la mera amministrazione degli stessi e non sia qualificabile come attività lucrativa (STFA 1966 pag. 205, 1965 pag. 65; RCC 1979 pag. 270; v. anche
DTF 104 Ib 166
consid. 1a). Ne scende che il reddito di un immobile si sottrae all'obbligo contributivo soltanto quando costituisca provento della sola amministrazione dello stabile e non della destinazione dello stesso ad attività che ne oltrepassi l'ambito acquistando così carattere di reddito derivante dall'esercizio di un'attività lucrativa.
Secondo la giurisprudenza la locazione di immobili con camere e appartamenti ammobiliati oltrepassa di regola l'ambito della mera amministrazione della sostanza ed è occupazione equiparabile all'esercizio di un'attività a carattere lucrativo preponderante. Già i necessari controlli del mobilio e il rinnovo periodico dei supellettili vanno oltre il lavoro di ordinaria amministrazione di un immobile, motivo per cui in questi casi ricorrono gli estremi di un'attività lucrativa indipendente, il cui reddito è sottoposto all'obbligo contributivo (STFA 1965 pag. 65; RCC 1965 pag. 36, 1952 pag. 89).
In concreto, ai principi giurisprudenziali sopra richiamati, nulla immuta il fatto che il ricorrente sia locatore, a lato di un'attività professionale quale dipendente a tempo pieno, di un solo appartamento ammobiliato della casa di sua proprietà. Anche se per la locazione egli ricorre ai servizi dell'ente turistico locale, l'attività da lui esercitata e richiesta dalla locazione dell'appartamento, rinnovata a turisti più volte all'anno, oltrepassa la mera amministrazione dei propri beni e deve essere qualificata come attività lucrativa indipendente, il cui reddito è soggetto a contribuzione ai sensi della LAVS.
b) Rimane da esaminare se il reddito realizzato dal ricorrente dal 1o settembre al 31 dicembre 1977 costituisca i 4/12 dell'importo di Fr. 2000.-- (
art. 8 cpv. 2 LAVS
nel tenore allora vigente), il che consentirebbe di assoggettarne a contribuzione la quota parte come fatto dall'istanza cantonale in accoglimento della proposta della Cassa di compensazione.
Nella comunicazione del 2 giugno 1982 l'amministrazione tributaria ha indicato un reddito proveniente da attività indipendente di Fr. 3900.-- per il 1977. Manifestamente si trattava degli esiti di una procedura di ricorso conclusa il 18 gennaio 1982 e riassunta nella decisione di tassazione definitiva resa alla stessa data. Da essa risulta che il reddito aziendale è stato stabilito a Fr. 3900.--, quello della sostanza a Fr. 5327.--, con una deduzione complessiva sul reddito della sostanza di Fr. 12'562.--.
BGE 110 V 83 S. 88
Emerge comunque dal verbale del 18 gennaio 1982 che parte delle deduzioni, almeno quelle per acqua calda, erano state operate sul reddito dell'appartamento di vacanza. Orbene, giusta l'
art. 9 cpv. 2 LAVS
il reddito proveniente da un'attività lucrativa indipendente è stabilito deducendo, tra l'altro, da tale reddito, le spese generali necessarie per conseguirlo (lett. a) e un interesse del capitale proprio investito nell'azienda (lett. e) fissato dal Consiglio federale su proposta della Commissione federale dell'assicurazione per l'AVS, che nel tenore dell'
art. 18 cpv. 2 OAVS
vigente dal 1o gennaio 1976 ed applicabile in concreto era di un tasso del 6 1/2%.
È evidente che l'esercizio dell'attività di locatore di un appartamento ammobiliato di vacanza imponga un certo investimento di capitale, determinate spese e che dal reddito lordo, per la mobilia, debba essere operata una deduzione per l'ammortamento della stessa. In concreto, la tassazione non indicava da un canto il capitale investito nell'azienda, segnatamente quello essenzialmente destinato a permettere la locazione dell'appartamento, né operando le deduzioni il fisco ha fatto una distinzione tra quelle in generale necessarie a conseguire il reddito della sostanza e quelle destinate a realizzare il reddito dell'attività lucrativa accessoria esercitata dal ricorrente. Se questi elementi sono irrilevanti ai fini della tassazione per l'imposta diretta, essi risultano tuttavia di rilievo per la determinazione dei contributi AVS/AI/IPG.
In queste condizioni questa Corte non può che confermare l'assoggettamento a contribuzione del ricorrente ... e costatare la carenza negli allegati di causa degli elementi necessari di giudizio per definire l'ammontare del contributo personale dovuto dal ricorrente come indipendente per il 1977. Si giustifica pertanto l'accoglimento del gravame, l'annullamento del querelato giudizio, della decisione amministrativa del 10 dicembre 1982 e il rinvio degli atti alla Cassa di compensazione affinché, dopo complemento d'istruttoria, determini con nuova decisione il contributo personale dovuto dal ricorrente sul reddito realizzato nel 1977 con l'attività lucrativa accessoria come indipendente. | 3,150 | 1,442 | Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale delle assicurazioni
pronuncia:
Il ricorso di diritto amministrativo è accolto e il querelato giudizio dell'11 marzo 1983 e la decisione amministrativa del
BGE 110 V 83 S. 89
10 dicembre 1982 annullati nel senso che gli atti vengono ritrasmessi alla Cassa di compensazione per complemento d'istruttoria e nuova decisione secondo i considerandi. | 140 | 67 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-110-V-83_1984 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=23&from_date=&to_date=&from_year=1984&to_year=1984&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=229&highlight_docid=atf%3A%2F%2F110-V-83%3Ade&number_of_ranks=332&azaclir=clir | BGE_110_V_83 |
||
00b92fd3-973b-4dfe-945f-a47d44bf7ac8 | 1 | 78 | 1,331,258 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 91
BGE 93 I 90 S. 91
A.-
Die Lussolin AG in Stansstad vertreibt u.a. die Produkte Lussolin 24, 25, 28, 29, 100 und 220 S. Im Mai 1965 ersuchte sie die Eidg. agrikulturchemische Versuchsanstalt Liebefeld-Bern um die Bewilligung, das Lussolin 100, das sie als "Durchfallpulver für Mastschweine" bezeichnete, in Verkehr zu bringen. Die Versuchsanstalt erklärte sich für nicht zuständig, da dieses Produkt nach Dosierung und Bezeichnung nicht als landwirtschaftlicher Hilfsstoff, sondern als Heilmittel zu betrachten sei. Darauf stellte die Firma im Juni 1965 ein neues Gesuch für das Lussolin 100, welches sie diesmal als "Aureomycin-Konzentrat" bezeichnete. Am 2. Juli 1965 entsprach die Versuchsanstalt diesem Gesuch, wobei sie der Gesuchstellerin vorschrieb, die Bezeichnung "Aureomycin-Konzentrat" zu verwenden.
Am 31. Januar 1966 führte die Versuchsanstalt bei der Lussolin AG eine Kontrolle durch. Es wurden Erhebungen in Lagern in Frauenfeld vorgenommen. Auf Grund der Kontrolle nahm die Versuchsanstalt an, dass die Firma das Lussolin 100 vorschriftswidrig wieder als Mittel gegen Durchfall bezeichnet habe. Sie entzog ihr daher mit Verfügung vom 10. März 1966 die erteilte Vertriebsbewilligung.
Bei der erwähnten Kontrolle wurden Proben von den Produkten Lussolin 24, 25, 28, 29, 100 und 220 S erhoben. Die Versuchsanstalt unterzog diese Proben einer Prüfung; die Proben von Lussolin 24, 25 und 28 liess sie auch vom Schweiz. Vitamininstitut Basel untersuchen. Alle Proben mussten beanstandet werden. Mit Verfügung vom 10. März 1966 verpflichtete die Versuchsanstalt die Lussolin AG, Gebühren von
BGE 93 I 90 S. 92
Fr. 565.-- für die von ihr vorgenommene Prüfung zu bezahlen. Mit zwei weiteren Verfügungen vom 26. April und 1. Juni 1966 belastete sie die Firma mit Gebühren von Fr. 290.-- und Fr. 600.-- für die Untersuchungen im VItamininstitut.
B.-
Die Lussolin AG führte gegen den Entzug der Bewilligung des Vertriebs von Lussolin 100 und gegen die Belastung mit Gebühren für die Untersuchung der Proben von Lussolin 24, 25, 28 und 29 Beschwerde bei der Abteilung für Landwirtschaft und nachher beim Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. Sie wurde von beiden Instanzen abgewiesen.
C.-
Gegen den Entscheid dcs Departements vom 2. November 1966 erhebt die Lussolin AG Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, der Entzug der Bewilligung für den Vertrieb des Produktes Lussolin 100 und die Belastung mit Gebühren (für die Untersuchung der Proben von Lussolin 24, 25, 28 und 29) seien aufzuheben.
Es wird geltend gemacht, der Entzug der Vertriebsbewilligung beruhe auf der Annahme, dass vorschriftswidrig Etiketten mit dem Aufdruck "Durchfallpulver" verwendet worden seien. Dies sei jedoch nicht bewiesen; die Darstellung des Kontrolleurs Jordi, auf welche die Verwaltung abstelle, sei nicht glaubwürdig. Die Bewilligung sei daher zu Unrecht entzogen worden.
Die Proben von Lussolin 24, 25, 28 und 29 seien In einem Lager ("Zürcherhof" in Frauenfeld) erhoben worden, welches nicht der Beschwerdeführerin, sondern der Lussolin GmbH Konstanz gehöre. Zudem sei die dort eingelagerte Ware ausschliesslich für die Ausfuhr bestimmt gewesen. Sie sei deshalb zu Unrecht der Kontrolle der Versuchsanstalt unterstellt worden. Sodann seien "die minimalen Anforderungen einer einwandfreien Musterziehung und Untersuchung" nicht beachtet worden. Die Gebührenrechung von Fr. 600.-- sei auf jeden Fall übersetzt.
D.-
Das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement beantragt die Abweisung der Beschwerde. | 798 | 605 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Bewilligung für den Vertrieb des Produktes Lussolin 100 ist auf Grund des Art. 73 Abs. 1 des Landwirtschaftsgesetzes (LWG) und des Art. 8 der Verordnung über den Verkehr mit landwirtschaftlichen Hilfsstoffen vom 4. Februar 1955 (Hilfsstoffverordnung) erteilt worden. Soweit der angefochtene
BGE 93 I 90 S. 93
Entscheid des Eidg. Volkswirtschaftsdepartementes den Entzug dieser Bewilligung bestätigt, unterliegt er nach
Art. 107 lit. b LWG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Dieses Rechtsmittel ist nach
Art. 97 OG
auch gegeben, soweit der Entscheid des Departementes die Erhebung von Gebühren für die in der Versuchsanstalt und dem Vitamininstitut vorgenommenen Untersuchungen betrifft.
2.
Nach Art. 14 Abs. 1 lit. b Hilfsstoffverordnung kann die Versuchsanstalt eine Bewilligung nachträglich befristen, mit Auflagen versehen, ihren Weiterbestand an Bedingungen knüpfen oder sie entziehen, wenn der Inhaber der Bewilligung den Hilfsstoff nicht wie vorgeschrieben bezeichnet.
Die Versuchsanstalt hat in der Verfügung vom 2. Juli 1965, mit welcher sie der Beschwerdeführerin die Bewilligung zum Vertrieb des Lussolin 100 erteilt hat, gemäss Art. 13 Abs. 3 lit. a Hilfsstoffverordnung bestimmt, dass das Produkt als "Aureomycin-Konzentrat" bezeichnet werden muss. Der Beschwerdeführerin wird vorgeworfen, sie habe entgegen dieser Anordnung das Lussolin 100 als Mittel gegen Durchfall bezeichnet. Der Vorwurf stützt sich u.a. auf die Angaben des Kontrolleurs Jordi, er habe anlässlich der Kontrolle vom 31. Januar 1966 von einem Angestellten der Beschwerdeführerin namens Brandes eine Etikette mit der Aufschrift "Durchfallpulver" ausgehändigt erhalten und ferner gesehen, dass gleiche Etiketten auf den Verpackungen des Produktes im Lager angebracht gewesen seien. Die Beschwerdeführerin hält diese Darstellung für unzutreffend; sie beruft sich auf die abweichenden Auskünfte ihres Angestellten Brandes. Indes besteht kein Grund, die Richtigkeit der Angaben des Kontrolleurs, der in der Sache nicht persönlich interessiert ist, in Zweifel zu ziehen. Dies umsoweniger, als die Verwaltung feststellt, dass die unzulässige Bezeichnung auch auf einer von der Beschwerdeführerin herausgegebenen, vom 2. Februar 1966 an gültigen Preisliste sowie auf Bestellkarten (Geschäftsantwortkarten), insbesondere solchen mit der neuen Telephonnummer der Beschwerdeführerin, aufgedruckt worden ist. Diese Feststellung ist nicht widerlegt; in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird sie mit Stillschweigen übergangen.
Muss demnach angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin das Lussolin 100 nicht wie vorgeschrieben bezeichnet hat, so ist Art. 14 Abs. 1 lit. b Hilfsstoffverordnung anwendbar.
BGE 93 I 90 S. 94
3.
Indes ist bei der Anwendung des Art. 14 Hilfsstoffverordnung der verfassungsmässige Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Verwaltungsmassnahmen zu beachten (vgl.
BGE 91 I 464
,
BGE 90 I 343
). Im Sinne dieses Grundsatzes sieht jene Verordnungsbestimmung eine Reihe von Massnahmen mit steigender Schwere vor. Der Bewilligungsentzug ist der schwerste Eingriff und darf daher nur verfügt werden, wenn andere, weniger einschneidende Massnahmen erfolglos waren oder angesichts der besonderen Umstände des Falles von vornherein nicht als geeignet erscheinen, die im Landwirtschaftsgesetz und in der Hilfsstoffverordnung angestrebte gute Ordnung zu sichern.
Hier hat die Verwaltung festgestellt, dass Etiketten, Preislisten und Bestellkarten mit vorschriftswidriger Bezeichnung vorhanden waren, doch steht nicht mit Sicherheit fest, dass Kunden der Beschwerdeführerin solches Material erhalten haben. Der von der Beschwerdeführerin begangene Verstoss erscheint demnach nicht als derart schwerwiegend, dass es zur Sicherung der Ordnung notwendig wäre, die Bewilligung zum Vertrieb des - an sich offenbar unbedenklichen - Hilfsstoffes kurzerhand ganz und dauernd zu entziehen. Andere, mildere Massnahmen, wie sie in Art. 14 Hilfsstoffverordnung vorgesehen sind, genügen zunächst vollauf. In Betracht kommt vor allem die Weisung, innerhalb einer kurzen Frist alle vorhandenen Drucksachen und Packungen mit der vorschriftswidrigen Bezeichnung zu vernichten. Ergäbe eine Kontrolle, dass der Auflage nicht nachgelebt wird, so könnte die Vertriebsbewilligung suspendiert werden, bis der überzeugende Nachweis der Durchführung der Anordnung erbracht wäre.
Die Beschwerde gegen den verfügten Entzug der Vertriebsbewilligung ist daher begründet.
4.
Nach der Hilfsstoffverordnung unterliegen landwirtschaftliche Hilfsstoffe unter näher umschriebenen Voraussetzungen der Kontrolle der eidg. Versuchs- und Untersuchungsanstalten (Art. 1 ff., 17 ff.). Die Anstalten können von solchen Stoffen Proben nehmen und untersuchen oder durch ein Vitamininstitut untersuchen lassen (Art. 18 Abs. 1). Sie beziehen dafür die in einem Tarif vorgesehenen Gebühren (Art. 18 Abs. 3). Veranlasst eine Firma durch ihr Verhalten eine Probenahme und Untersuchung, so hat sie die vollen Kosten auch dann zu tragen, wenn sich die Probe als einwandfrei erweist
BGE 93 I 90 S. 95
(Art. 18 Abs. 5). Die Gebührenrechnungen, welche die Beschwerdeführerin beanstandet, entsprechen dieser Ordnung. Die Einwendungen, welche die Beschwerdeführerin erhebt, sind offensichtlich unbegründet.
a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie könne für die Kosten der Untersuchung der im "Zürcherhof" in Frauenfeld erhobenen Proben schon deshalb nicht belangt werden, weil das dortige Lager nicht ihr, sondern der Schwesterfirma Lussolin GmbH in Konstanz gehöre. Diese Behauptung ist jedoch in keiner Weise bewiesen oder auch nur glaubhaft gemacht. Besässe die deutsche Firma wirklich ein Lager in der Schweiz, so müssten entsprechende Belege (Mietvertrag, Ausweise über den Erwerb der Ware in der Schweiz oder deren Import) beigebracht werden können. Die Beschwerdeführerin hat aber keinerlei ernsthaften Versuch nach dieser Richtung gemacht. Die Versuchsanstalt durfte und musste aus den gegebenen Umständen schliessen, dass das Lager der Beschwerdeführerin gehört. Sie hatte allen Grund zur Annahme, dass seine Existenz von der Beschwerdeführerin verheimlicht worden war.
b) Die Beschwerdeführerin wendet sodann ein, die im "Zürcherhof" gelagerten Hilfsstoffe seien ausschliesslich zur Ausfuhr bestimmt und daher nach Art. 1 Abs. 2 lit. a Hilfsstoffverordnung der Kontrolle nicht unterstellt. Diese Behauptung wird jedoch in der Beschwerdeschrift selbst entkräftet, indem dort zugestanden wird, dass es "praktisch unmöglich sein wird, für bestimmte Produkte, die vielleicht an sich für den Export bestimmt sind, den Verkauf im Inland schlechterdings auszuschliessen". Es ist nicht bestritten und steht fest, dass die in Frage stehenden Produkte Lussolin 24, 25, 28 und 29 auch im Inland angeboten werden. Sind sie mithin nicht ausschliesslich zur Ausfuhr bestimmt, so unterstehen sie der Kontrolle der Versuchsanstalt. Die Beschwerdeführerin meint, es komme nur darauf an, "dass die konkrete Warenpartie eindeutig für den Export bestimmt ist". Diese Auffassung ist irrtümlich. Würde ihr gefolgt, so wäre eine wirksame Kontrolle in vielen Fällen nicht möglich. Übrigens kann keine Rede davon sein, dass die im "Zürcherhof" gelagerten Bestände an Lussolin 24, 25, 28 und 29 "eindeutig für den Export bestimmt" waren.
c) Der Beschwerdeführerin hilft auch der Einwand nicht, dass die "minimalen Anforderungen einer einwandfreien Musterziehung
BGE 93 I 90 S. 96
und Untersuchung" nicht beachtet worden seien. Darüber, wie die Proben zu erheben sind, fehlen Vorschriften; es sind daher auch keine solchen verletzt worden. Der Kontrolleur hat bei der Probenahme das übliche einfache Verfahren befolgt. Es wäre Sache der Beschwerdeführerin gewesen, den Nachweis zu erbringen, dass nicht die im "Zürcherhof" erhobenen Muster, sondern andere Warenpartien untersucht worden seien. Dieser Nachweis fehlt. Die Beschwerdeführerin macht im Ernst nicht einmal geltend, das Ergebnis der Untersuchungen spreche dafür, dass nicht ihre Produkte, sondern andere geprüft worden seien.
Ist demnach davon auszugehen, dass die im "Zürcherhof" entnommenen Proben untersucht wurden, so hat die Beschwerdeführerin gemäss Art. 18 Abs. 5 Hilfsstoffverordnung die vollen Kosten dieser Untersuchung zu tragen, falls sie die Probenahme und Untersuchung durch ihr Verhalten veranlasst hat; in diesem Falle wäre sie selbst dann kostenpflichtig, wenn die Proben sich als einwandfrei erwiesen hätten, was nicht zutrifft. Tatsächlich hat die Beschwerdeführerin zu der Probenahme und Untersuchung Anlass gegeben, indem sie, wie angenommen werden muss, ihr Lager im "Zürcherhof" verheimlicht hat.
d) Die Beschwerdeführerin beanstandet die Höhe der Gebührenrechnung von Fr. 600.-- für eine Untersuchung im Vitamininstitut. Nach den Darlegungen im angefochtenen Entscheid, mit denen sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde überhaupt nicht auseinandersetzt, ist aber diese Rechnung nicht übersetzt. Die Beanstandung ist unbegründet. | 1,803 | 1,472 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, indem der Entzug der Vertriebsbewilligung für Lussolin 100 aufgehoben wird.
2.- Soweit die Beschwerde mehr verlangt, wird sie abgewiesen. | 53 | 38 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-93-I-90_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=20&from_date=&to_date=&from_year=1967&to_year=1967&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=194&highlight_docid=atf%3A%2F%2F93-I-90%3Ade&number_of_ranks=203&azaclir=clir | BGE_93_I_90 |
||
00bc82d2-d1fa-43d3-a7e8-c442a1d8c2be | 2 | 83 | 1,339,436 | null | 2,024 | fr | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 82
BGE 82 IV 81 S. 82
Le juge cantonal a en outre tenu compte du fait que Thiébaud n'a manifesté aucun repentir à l'audience. Le fait que l'inculpé n'a pas pris conscience du caractère répréhensible de ses actes justifie, il est vrai, un pronostic défavorable selon l'art. 41 ch. 1 al. 1 CP; seul celui qui se repent de son acte mérite la confiance que l'on doit pouvoir accorder au condamné pour le mettre au bénéfice du sursis (RO 79 IV 161, etc.). Le juge cantonal a cru pouvoir conclure du seul comportement de Thiébaud pendant les débats à l'absence d'un repentir sincère. Il n'a pas indiqué in concreto en quoi consistait ce comportement. Motivée d'une façon aussi abstraite, la conclusion est injustifiée. Le simple silence d'un inculpé, à l'audience, sur la façon dont il juge son acte ne permet pas encore de conclure qu'il n'en voit pas le caractère répréhensible et ne le regrette pas; il faut au moins que certaines constatations précises permettent de se rendre compte en quoi l'attitude de l'inculpé révèle son inconscience ou encore qu'interrogé par le juge sur le point dont il s'agit, ses réponses manifestent son manque de repentir. Or on ne voit rien de tel dans l'arrêt entrepris, de sorte que le défaut de repentir ne peut être admis. | 510 | 245 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-82-IV-81_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=10&from_date=&to_date=&from_year=1956&to_year=1956&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=95&highlight_docid=atf%3A%2F%2F82-IV-81%3Ade&number_of_ranks=207&azaclir=clir | BGE_82_IV_81 |
||||
00bd8bc4-b845-4ab1-a367-81fc697dd9ad | 2 | 82 | 1,349,112 | 1,468,540,800,000 | 2,016 | fr | Sachverhalt
ab Seite 545
BGE 142 III 545 S. 545
A.
A.A. est la mère de B.A., née le 3 juin 2015. Le 8 juin suivant, le Service de l'Etat civil de Fribourg a avisé la Justice de paix de l'arrondissement de la Gruyère (Justice de paix) que la filiation entre l'enfant et son père biologique n'avait pas été établie; le 10 juin 2015, la Justice de paix a dès lors requis la mère de la révéler ou d'inviter le père à reconnaître sa fille, faute de quoi une procédure en protection de l'enfant serait ouverte et l'instauration d'une curatelle aux fins d'établir la filiation et faire valoir la créance alimentaire serait envisagée.
BGE 142 III 545 S. 546
Le 24 juin 2015, la mère a informé la Justice de paix que, "pour des motifs strictement personnels", elle ne désirait pas divulguer l'identité du père; elle a ajouté qu'elle était capable d'assumer l'entretien de sa fille et de veiller à ses intérêts, si bien qu'il n'y avait pas lieu de nommer un curateur. Elle a maintenu cette position lors de l'audience qui s'est tenue le 10 septembre 2015 devant la Justice de paix.
B.
Statuant le 10 septembre 2015, la Justice de paix a institué en faveur de l'enfant une "curatelle de représentation en paternité et aliments" au sens de l'
art. 308 al. 2 CC
(ch. I), désigné la curatrice (ch. II) et défini son mandat (ch. III-V). La Cour de protection de l'enfant et de l'adulte du Tribunal cantonal de l'Etat de Fribourg a rejeté le recours de la mère et confirmé cette décision par arrêt du 16 février 2016. (...)
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en matière civile formé par la mère.
(extrait) | 631 | 338 | Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.1
Jusqu'au 30 juin 2014, l'
art. 309 al. 1 CC
disposait que, dès qu'une femme enceinte non mariée en fait la demande à l'autorité de protection de l'enfant ou que celle-ci a été informée de l'accouchement (cf. art. 50 al. 1 let. a de l'ordonnance du 28 avril 2004 sur l'état civil [OEC; RS 211.112.2]), elle nomme un curateur chargé notamment d'établir la filiation paternelle. Dans sa dernière jurisprudence, le Tribunal fédéral a jugé que la loi ne prévoit aucune exception, en sorte que l'autorité compétente doit désigner un curateur à l'enfant dont la mère n'est pas mariée, même si elle jouit d'une bonne situation économique et est en mesure de subvenir elle-même aux besoins de l'enfant; en effet, celui-ci a droit à ce que la filiation paternelle soit établie, et le père a aussi un intérêt digne de protection à connaître son enfant; l'action en paternité doit dès lors être introduite indépendamment des intérêts éventuels de l'enfant et de la position de la mère, car, dans l'optique du législateur, la mise en danger du bien de l'enfant provient déjà de la naissance hors mariage (arrêt 5A_645/2013 du 6 décembre 2013 consid. 3.2.1).
2.2
Le Conseil fédéral prévoyait d'abroger la disposition précitée lors de la révision du droit de l'autorité parentale (FF 2011 8315). Estimant que la curatelle instituée aux fins de recherche de paternité équivalait à une "mise sous tutelle des mères non mariées", il a
BGE 142 III 545 S. 547
considéré que le simple fait "que la mère qui met au monde l'enfant n'est pas mariée ne justifie pas un tel besoin de protection", car "rien ne permet de croire qu'une mère non mariée est moins à même de protéger ses intérêts et ceux de ses enfants qu'une mère mariée" (FF 2011, ibid., 8333 ch. 1.5.4). Par ailleurs, l'abrogation envisagée "n'affecte en rien le droit de l'enfant de connaître son ascendance, [garanti par la Constitution (
art. 119 al. 2 let
. g Cst.) et le droit international public (
art. 8 CEDH
)]"; cependant, à lui seul, "ce droit ne suffit pas (...) à justifier la nomination d'un curateur à l'enfant dont la mère n'est pas mariée", d'autant que "les tests ADN permettent aujourd'hui de déterminer à tout moment de manière fiable la filiation paternelle" (FF 2011, ibid., 8346). Partant, un "curateur ne doit être nommé à l'enfant que si la protection de ce dernier l'exige" (loc. cit.).
Cette suppression ayant été critiquée (cf. sur la question: HÄFELI, Das Recht des Kindes auf Feststellung der Vaterschaft und die Regelung des Unterhaltsanspruchs nach der ZGB-Änderung von 21. Juni 2013, RMA 2014 p. 189 ss, avec les références), la Commission des affaires juridiques du Conseil national a proposé de préciser à l'
art. 308 al. 2 CC
que le curateur peut se voir conférer le pouvoir de "représenter l'enfant pour la constatation de la paternité". Cette proposition a été approuvée par le Conseil national (BO 2012 CN 1656), puis le Conseil des Etats (BO 2013 CE 15); à cette occasion, il a été rappelé que "le seul fait qu'une femme non mariée mette au monde un enfant n'implique pas en soi qu'il existe un besoin de protection de l'enfant" (Seydoux-Christe, rapporteuse de la Commission des affaires juridiques du CE, loc. cit., qui affirme que les "droits de l'enfant et ses intérêts sont ainsi protégés").
2.3
Il résulte de ce qui précède que, en cas de naissance d'un enfant hors mariage, une curatelle tendant à faire établir la filiation paternelle ne doit être instituée que si cette mesure apparaît nécessaire (cf. pour la curatelle éducative au sens de l'
art. 308 al. 1 CC
:
ATF 140 III 241
consid. 2.1 et les citations). Conformément au principe général énoncé à l'
art. 307 al. 1 CC
, tel est le cas lorsque le développement de l'enfant est menacé et que la mère n'y remédie pas d'elle-même ou soit hors d'état de le faire.
L'autorité qui ordonne une mesure de protection de l'enfant dispose à cet égard d'un large pouvoir d'appréciation (
art. 4 CC
), dont le Tribunal fédéral ne revoit l'exercice qu'avec retenue; il n'intervient que si cette autorité a pris en considération des éléments qui ne jouent
BGE 142 III 545 S. 548
aucun rôle au sens de la loi ou a omis de tenir compte de facteurs essentiels (arrêt 5A_7/2016 du 15 juin 2016 consid. 3.3.3 et la jurisprudence citée). Quoi qu'en pense - non sans témérité - la recourante, la mesure contestée n'est pas inadéquate parce qu'elle a "clairement démontré (...) qu'elle ne cédera pas à la pression et qu'elle ne révélera pas le nom du père", sauf à affirmer que les autorités devraient systématiquement renoncer à intervenir face à la rénitence caractérisée du justiciable.
3.
3.1
Il est manifeste que le bien-être de l'enfant ne se résume pas à la satisfaction de ses seuls besoins matériels (
art. 276 CC
; cf. sur cette composante: BREITSCHMID, in Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, vol. I, 5
e
éd. 2015, n
os
20 ss ad
art. 276 CC
, avec les références), mais comprend tout ce qui est propre à favoriser et à protéger son développement corporel, intellectuel et moral (
art. 302 al. 1 CC
); à elle seule, la bonne situation professionnelle et financière de la mère (non mariée) n'exclut dès lors pas l'institution d'une curatelle de paternité (BREITSCHMID, op. cit., n° 10 ad
art. 308 CC
).
Au reste, outre le fait que la situation financière de la recourante - en particulier son salaire - n'apparaît nullement aussi "confortable" qu'elle le prétend (cf. consid. 4.2 non publié), son opposition à la désignation d'un curateur de paternité porte préjudice au droit de sa fille de bénéficier d'une contribution d'entretien qui soit également fixée en considération des ressources du père (
art. 285 al. 1 CC
), puisqu'un rapport juridique de filiation est une condition nécessaire de l'obligation d'entretien que la loi met à la charge des deux parents (
art. 276 CC
;
ATF 129 III 646
consid. 4.1); si cette obligation peut être assumée contractuellement par le père biologique, elle ne découle alors pas du droit de la famille (
ATF 136 IV 122
consid. 2.1 et la jurisprudence citée). En outre, faute de reposer sur un jugement (
art. 80 al. 1 LP
) ou une convention ratifiée par l'autorité de protection de l'enfant (
art. 80 al. 2 ch. 2 LP
, en relation avec l'
art. 287 al. 1 CC
; arrêt 5A_950/2014 du 16 avril 2015 consid. 3.7 et les citations), un tel engagement ne constitue pas un titre apte à la mainlevée définitive (cf. sur la pertinence d'un pareil titre:
ATF 111 II 2
consid. 2a). Enfin, comme la qualité de "descendant" (
art. 457 et 471 ch. 1 CC
) est rattachée à la notion juridique de la famille (
ATF 134 III 467
consid. 2 et les citations), la vocation d'héritière légale de l'enfant serait compromise en l'absence d'un lien de filiation
BGE 142 III 545 S. 549
paternelle (MEIER, in Commentaire romand, Code civil, vol. I, 2010, n° 13 ad
art. 309 CC
).
3.2
Comme l'a retenu l'autorité précédente, l'enfant a le droit de faire établir sa filiation paternelle (art. 7 al. 1 de la Convention du 20 novembre 1989 relative aux droits de l'enfant [CDE];
art. 8 par. 1 CEDH
;
art. 119 al. 2 let
. g Cst.;
ATF 134 III 241
, avec les citations), la "connaissance de l'ascendance [étant] un élément important de la construction de sa personnalité". Ce constat est assurément exact (cf. sur cette question, parmi plusieurs: BÜCHLER/RYSER, Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, FamPra.ch 2009 p. 1 ss, avec de nombreuses références). La position du Conseil fédéral, d'après laquelle le droit de l'enfant de connaître son ascendance ne justifie pas, en lui-même, la nomination d'un curateur de paternité (cf. supra, consid. 2.2), ne peut être suivie que dans l'éventualité où la mère entend faire constater la filiation paternelle, mais non lorsqu'elle s'y refuse: l'établissement de ce lien ne saurait être laissé à sa libre disposition (en ce sens: HÄFELI, op. cit., p. 201; GEISER/REUSSER, Sorge um die gemeinsame elterliche Sorge, RJB 148/2012 p. 764; MEIER/ STETTLER, Droit de la filiation, 5
e
éd. 2014, n. 1268; cf. aussi: BUCHER, Autorité parentale conjointe dans le contexte suisse et international, in La famille dans les relations transfrontalières, 2013, p. 29 n. 72).
Il faut concéder à la recourante - qui parle de "désavantages sociaux et psychologiques destructeurs" - que la révélation de l'identité du père peut s'avérer contraire à l'intérêt de l'enfant. En l'occurrence, il ressort de l'arrêt attaqué (
art. 105 al. 1 LTF
;
ATF 140 III 16
consid. 1.3.1) que l'intéressée refuse de la divulguer pour des "raisons personnelles", qui ne sont pas explicitées. Cela étant, il n'est pas possible de déterminer si celles-ci permettraient exceptionnellement au curateur de renoncer à l'action en paternité, sous réserve du consentement de l'autorité de protection de l'enfant (
art. 416 ch. 9 CC
; cf. MEIER, ibid., n° 15). En tout état de cause, une telle renonciation doit être motivée par l'intérêt de l'enfant, et non par celui des parents à ne pas voir dévoilée une relation susceptible de compromettre leur propre réputation (MEIER, ibid., n° 13 et les citations); au demeurant, elle ne priverait pas l'enfant (capable de discernement) d'intenter lui-même action (
art. 19c al. 1 CC
, en relation avec l'
art. 261 CC
; parmi d'autres: MEIER/DE LUZE, Droit des personnes, 2014, n. 179; SCHWENZER/COTTIER, in Basler Kommentar, op. cit., n° 5 ad
art. 261 CC
).
BGE 142 III 545 S. 550
Pour autant qu'un tel moyen soit pertinent, le grief de la recourante tiré d'une violation de sa "sphère privée" (
art. 13 Cst.
) est infondé. D'une part - comme on l'a vu -, l'intéressée n'a jamais expliqué les "raisons personnelles" qui feraient obstacle à la révélation de l'identité du père biologique ni, partant, démontré qu'elles l'emporteraient sur l'intérêt de son enfant à faire constater la filiation paternelle. D'autre part, elle ne saurait arguer de ce que sa fille peut "faire établir la paternité juridique jusqu'à ses 19 ans" (cf.
art. 263 al. 1 ch. 2 CC
); la juridiction cantonale objecte à juste titre qu'une paternité établie à l'âge adulte "n'aura pas le bénéfice de l'établissement d'un tel lien durant son enfance et son adolescence, phases importantes [de son] développement" (cf. pour le droit aux relations personnelles [
art. 273 CC
]: arrêt 5A_459/2015 du 13 août 2015 consid. 6.2.2 et les références, in SJ 2016 I p. 133). De surcroît, l'écoulement du temps pourrait mettre en péril l'administration de certaines preuves.
3.3
En résumé, il apparaît que la décision entreprise - dont la mise en oeuvre promet d'être ardue vu l'opposition de la mère (MEIER/STETTLER, op. cit., n. 1268 et 1273), encore qu'une partie de la doctrine tende à admettre son obligation de renseigner le curateur (cf. les citations de GUILLOD, in Commentaire romand, op. cit., n° 8 ad
art. 261 CC
) - ne comporte aucune violation du pouvoir d'appréciation: elle sanctionne le droit de l'enfant de faire constater sa filiation paternelle et protège ses intérêts patrimoniaux. Il appartiendra ensuite au curateur, sur la base des éléments à disposition, d'examiner s'il est dans l'intérêt de l'enfant d'établir sa filiation paternelle, sans préjudice du droit de celui-ci d'agir lui-même (s'il est capable de discernement). (...) | 4,404 | 2,427 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-142-III-545_2016-07-15 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=12&from_date=&to_date=&from_year=2016&to_year=2016&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=115&highlight_docid=atf%3A%2F%2F142-III-545%3Ade&number_of_ranks=293&azaclir=clir | BGE_142_III_545 |
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00be18ba-8a80-4990-bd98-a48eab92c336 | 2 | 81 | 1,347,692 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 332
BGE 100 II 332 S. 332
A.-
Le 28 juillet 1965, Pierre-André Barbay, Patrick Boven et Pierre-Alain Krumel, nés en 1956, s'amusaient avec des allumettes de bengale à Yvorne. Après avoir été invités à rentrer chez eux par une habitante du village, ils ont pénétré dans la grange d'André Müller. Patrick Boven a allumé et lancé en l'air la dernière allumette, qui est restée accrochée au foin et a provoqué un incendie. Alors que la grange était anéantie, la toiture, les combles et la cage d'escalier de la maison attenante d'André Denoréaz ont été détruits ou sérieusement brûlés.
Le 21 octobre 1965, le président de la Chambre des mineurs a reconnu les trois enfants coupables d'incendie par négligence au sens de l'art. 222 CP. Compte tenu de leur jeune âge et du fait qu'ils avaient déjà été punis par leurs parents, il a toutefois renoncé à de plus amples mesures, selon l'art. 88 CP.
BGE 100 II 332 S. 333
Denoréaz a reçu de l'Etablissement cantonal d'assuranceincendie 72000 fr. pour le dommage immobilier, 6500 fr. pour le dommage mobilier et 2530 fr. pour la perte de loyer. Il a vainement tenté d'obtenir la réparation du solde de son dommage auprès de l'Assurance mutuelle vaudoise, qui couvre la responsabilité civile d'André Barbay - père de Pierre-André - puis auprès de celui-ci. Il a requis une expertise hors procès aux fins d'établir le dommage non couvert par l'assuranceincendie.
B.-
Par demande du 5 mai 1970, André Denoréaz a ouvert action contre Pierre-André et André Barbay en paiement de 20 375 fr. 70 avec intérêt.
Les défendeurs ont conclu au rejet de la demande et ont appelé en cause Patrick Boven, qui a dénoncé à son tour le litige à Pierre-Alain Krumel.
Modifiant ses conclusions, le demandeur a fait valoir ses prétentions solidairement contre Pierre-André et André Barbay, Patrick Boven et Pierre-Alain Krumel.
Les défendeurs ont conclu à libération. Ils ont transigé entre eux et renoncé à leurs conclusions réciproques.
Par jugement du 8 juillet 1974, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a rejeté les conclusions du demandeur contre le défendeur André Barbay et condamné solidairement Pierre-André Barbay, Patrick Boven et Pierre-Alain Krumel à payer au demandeur 11 113 fr. avec intérêt à 5% dès le 29 juillet 1965 et 4256 fr. avec intérêt à 5% dès le 5 mai 1970, sous déduction de 3000 fr., et rejeté toutes autres ou plus amples conclusions. Ses motifs sont en bref les suivants:
L'action du demandeur contre les auteurs de l'incendie n'est pas prescrite, puisqu'elle a été introduite dans les cinq ans qui ont suivi l'acte punissable (art. 60 al. 2 CO, 70 et 222 CP). Les trois enfants ayant agi ensemble dans leur jeu commun, il y a solidarité parfaite entre eux. Agés d'environ neuf ans, ils pouvaient discerner le caractère dangereux de leur comportement et ils répondent dès lors de leur acte illicite. Une réduction de l'indemnité selon l'art. 43 CO ne doit pas être admise, du moment que la faute des enfants, qui ont désobéi à leurs parents et enfreint une règle de prudence élémentaire, ne peut être qualifiée de légère. Une certaine réduction s'impose cependant en vertu de l'art. 44 al. 2.CO pour ne pas les exposer à la gêne. Sur le vu de l'expertise hors procès et de
BGE 100 II 332 S. 334
l'expertise judiciaire, le dommage du demandeur s'élève en tout à 15 375 fr. Le montant à retrancher en application de l'art. 44 al. 2 CO est fixé ex aequo et bono à 3000 fr.
C.-
Pierre-André Barbay, Patrick Boven et Pierre-Alain Krumel recourent chacun en réforme au Tribunal fédéral. Ils concluent principalement au rejet de la demande, subsidiairement à la réduction à 4000 fr. des dommages-intérêts alloués au demandeur.
Le Tribunal fédéral a rejeté les recours. | 1,408 | 729 | Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Appréciant l'exception de prescription des défendeurs au regard de l'art. 60 al. 2 CO, le Tribunal cantonal considère que, selon cette disposition, le juge civil est lié par la décision du juge pénal quant au caractère punissable de l'acte. Le juge des mineurs ayant expressément admis en l'espèce que les trois enfants avaient commis l'infraction de l'art. 222 CP, l'acte était punissable tant objectivement que subjectivement. Le délit d'incendie par négligence se prescrit par cinq ans. Cette prescription de plus longue durée s'applique à l'action civile et court du jour de la commission de l'acte. L'action du demandeur contre les auteurs de l'incendie du 28 juillet 1965 n'était donc pas prescrite le 5 mai 1970.
Les recourants contestent ce point de vue. Tout en admettant la commission, objectivement, d'un incendie par négligence au sens de l'art. 222 CP, ainsi que la prescription quinquennale de ce délit, ils mettent en doute l'application de l'art. 60 al. 2 CO, s'agissant d'une répression aussi particulière que celle des enfants selon les art. 82 ss. CP. En l'espèce d'autre part, l'absence de sanctions pénales exclurait l'existence d'un "acte punissable" au sens de l'art. 60 al. 2 CO. La ratio legis voudrait que cette disposition ne soit pas appliquée, du moment que la décision du juge des mineurs a établi que les enfants n'étaient plus exposés à une mesure pénale.
a) L'art. 60 al. 2 CO a pour but d'étendre la possibilité du lésé d'agir sur le plan civil contre l'auteur d'une infraction pénale. Cette disposition repose sur l'idée, généralement admise en doctrine et en jurisprudence, qu'il serait illogique que le lésé perde ses droits contre l'auteur responsable aussi longtemps que ce dernier demeure exposé à une poursuite
BGE 100 II 332 S. 335
pénale généralement plus lourde de conséquences pour lui (RO 91 II 432 s. consid. 5 et les arrêts cités). L'enchaînement des deux alinéas de l'art. 60 CO révèle la volonté du législateur d'empécher que l'action civile ne se prescrive aussi longtemps que la prescription pénale n'est pas acquise (RO 77 II 319). L'application de l'art. 60 al. 2 ne suppose pas qu'une poursuite pénale ait été engagée (RO 93 II 500 et les arrêts cités), ni à plus forte raison qu'une condamnation ait été prononcée (RO 96 II 43 consid. 3 a). Il suffit que les dommagesintérêts dérivent d'un acte punissable et que le délai de prescription de l'action pénale soit plus long que celui de l'action civile (RO 93 II 500). A moins que le juge pénal n'ait prononcé une condamnation ou un acquittement (ou qu'il ait statué d'une autre manière sur l'existence de l'action publique), le juge civil décide librement si l'acte de l'auteur constitue une infraction à la loi pénale (RO 93 II 501). La prescription de l'art. 60 al. 2 CO est soumise, sauf en ce qui concerne le point de départ et la durée du délai, aux règles du droit privé, soit aux art. 127 ss. CO, faute de quoi le sort de la prétention du lésé serait exposé aux aléas de la poursuite pénale, sur laquelle celui-ci ne peut exercer aucune influence; peu importe dès lors quand et comment prend fin l'action pénale (RO 91 II 434 ss., 96 II 44 s., 97 II 138 s. consid. 2).
b) L'art. 60 al. 2 CO suppose un acte objectivement punissable, crime, délit ou contravention (RO 60 II 35). Se fondant sur l'arrêt RO 44 II 176 ss., la doctrine dominante exige en outre que l'auteur de l'infraction soit subjectivement punissable (OSER/SCHÖNENBERGER, n. 15 ad art. 60 CO; GUHL/MERZ/KUMMER, Das schweizerische Obligationenrecht, p. 187; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, p. 388; VON BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, p. 427 ch. 5 et note 74; PÉTERMANN, La prescription des actions, Revue suisse d'assurances 1959/60, p. 362; GIRSBERGER, Die Verjährung der aus einer strafbaren Handlung hergeleiteten Zivilansprüche, RSJ 1962 p. 215; W. SCHWANDER, Die Verjährung ausservertraglicher und vertraglicher Schadenersatzforderungen, thèse Fribourg 1963, p. 26 s.). BECKER est cependant d'avis que l'existence de l'action publique ("öffentlich-rechtlicher Strafanspruch") suffit; il appartient au juge civil de rechercher si cette condition est réalisée, sauf en cas de jugement pénal définitif; dans cette hypothèse, le juge civil
BGE 100 II 332 S. 336
peut toujours rechercher s'il existe un acte illicite, mais il est lié sur le point de savoir s'il est pénalement punissable (n. 3 ad art. 60 CO). VON TUHR/SIEGWART (I p. 375) paraissent laisser la question indécise. BÄR considère en revanche que l'action publique existe en principe contre tout délinquant, même s'il ne peut être puni en raison de son incapacité de discernement ou de son décès (Gedanken zur praktischen Anwendung der Strafrechtlichen Verjährungsfristen im Zivilprozess, RSJ 1965 p. 74). ROSSEL (Manuel du droit fédéral des obligations, 4e éd. 1920, p. 116) et FUNK (Handkommentar des Obligationenrechtes, n. 3 ad art. 60 CO) se prononcent dans le même sens.
c) Cette dernière conception répond mieux à la ratio legis de l'art. 60 al. 2 CO, qui tend à favoriser le lésé victime d'une infraction pénale en le mettant au bénéfice d'un délai de prescription plus long. Cet avantage ne doit pas dépendre des aléas qu'implique la prise en considération de l'élément subjectif par le juge pénal. L'infraction objectivement établie à la charge d'une personne déclarée irresponsable à la suite d'une expertise psychiatrique, ou décédée avant sa condamnation, fait courir le délai de l'art. 60 al. 2 malgré l'extinction de l'action pénale. Le délai de prescription de cette action n'est pas modifié par la date à laquelle elle prend fin dans un cas d'espèce. Il suffit donc que l'acte comme tel soit punissable et qu'il puisse être attribué au défendeur à l'action civile. Peu importe que celui-ci soit subjectivement punissable. La prescription prolongée de l'art. 60 al. 2 CO est une institution du droit civil indépendante de la sanction pénale. La sécurité du droit commande que le lésé puisse benéficier des informations que seule l'enquête pénale peut souvent lui apporter, sans pour autant que sa prétention souffre des incertitudes de la poursuite pénale, liées à la culpabilité subjective de l'auteur de l'acte.
d) En l'espéce, les trois recourants, âgés de neuf ans au moment de l'infraction, étaient soumis aux dispositions du code pénal (art. 82 al. 2, 83 ss. CP). Dans sa décision du 21 octobre 1965, le juge des mineurs constate de manière à lier le tribunal civil que "les prévenus ont ainsi commis le délit d'incendie par négligence au sens de l'art. 222 CP". Peu importe que le code pénal ne prévoie pour les enfants âgés de six à quatorze ans que des mesures éducatives, des traitements spéciaux ou une répression disciplinaire, voire la renonciation
BGE 100 II 332 S. 337
à toute mesure aux conditions de l'art. 88 CP, et que le juge des mineurs ait fait application de cette disposition en l'espèce. Le délit d'incendie par négligence commis par les défendeurs étant soumis à la prescription quinquennale de l'art. 70 CP, cette prescription s'applique à l'action civile du demandeur selon l'art. 60 al. 2 CO.
e) Sur le plan civil, le Tribunal cantonal constate souverainement, après avoir apprécié les preuves administrées, que les trois enfants pouvaient discerner le caractère dangereux de leur comportement. Il en conclut avec raison qu'ils ont commis une faute et doivent répondre de leur acte illicite.
Les recourants ne discutent pas leur responsabilité solidaire. Même si l'un d'eux seul a lancé l'allumette fatale, ils ont agi de concert, animés d'une même volonté de pratiquer ensemble un jeu dangereux. Après avoir été morigénés, ils se sont soustraits sciemment à la surveillance des adultes. Leur désobéissance, constatée par l'autorité cantonale, procède d'un entraînement mutuel qui engage leur responsabilité civile solidaire selon l'art. 50 al. 1 CO.
f) On ne saurait non plus considérer comme abusive l'intervention civile du lésé parce qu'il a introduit son action quelques semaines seulement avant l'expiration de la prescription pénale. Le déroulement des circonstances, et notamment l'établissement préalable du préjudice par la voie d'une expertise hors procès, expliquent et justifient ce retard.
L'exception de prescription soulevée par les défendeurs doit dès lors être rejetée.
3.
Les recourants reprochent au Tribunal cantonal d'avoir refusé d'appliquer l'art. 43 CO, "en estimant que la faute des enfants n'était pas légère, autrement dit en considérant qu'elle était grave". Le jugement déféré serait sur ce point en contradiction avec la jurisprudence, qui aurait toujours tenu compte du facteur que représente le jeune âge. Ce facteur, ajouté à celui de la gêne des débiteurs, ne justifierait pas une responsabilité supérieure à 30%.
a) Il est vrai que le Tribunal fédéral opère généralement une réduction sensible de l'obligation de réparer le dommage, lorsque le débiteur est un enfant. L'importance de la réduction dépend de la gravité de la faute et de l'âge du responsable (cf. notamment les arrêts RO 43 II 205, 67 II 49, 70 II 136, 82 II 25 et 90 II 9, cités dans les recours).
BGE 100 II 332 S. 338
Les recourants se trompent lorsqu'ils affirment que le Tribunal cantonal a considéré leur faute comme grave. Ce point de vue est contredit par l'appréciation du jugement déféré selon laquelle la faute, sans être légère, "ne revêt... pas un caractère de gravité tel qu'il exclurait l'application de l'art. 44 al. 2 CO". Avec raison, la Cour civile vaudoise s'écarte ainsi implicitement de la division bipartite des fautes, fréquemment présentée en doctrine, qui assimile toute faute non légère à une faute grave. Une telle division heurte l'expérience de la vie qui fait couramment apparaître des fautes "moyennes" ni graves ni légères. Le fait que certains textes légaux attachent des conséquences juridiques à la gravité ou à la légèreté de la faute ne signifie nullement qu'il ne puisse y avoir de fautes intermédiaires.
En l'espèce, les recourants perdent totalement de vue que les dommages-intérêts auxquels ils ont été condamnés ne représentent qu'une part minime du préjudice qu'ils ont causé, part nettement inférieure á celle de 30% qu'ils admettent eux-mêmes. Le dommage total du demandeur excède 96000 fr. Condamnés par le jugement déféré à payer 12375 fr. en capital, les défendeurs ne sont appelés à couvrir qu'environ 1/8 de ce dommage. Ils ne sauraient en effet bénéficier des indemnités versées par l'Etablissement cantonal d'assurance-incendie à son assuré, en contrepartie des primes versées par celui-ci. Le dossier ne révèle aucun indice d'une intention de l'établissement d'assurance d'exercer une action récursoire contre les auteurs du dommage, action qui serait d'ailleurs prescrite. Les défendeurs eux-mêmes n'allèguent pas qu'ils seraient exposés à une telle action, ni que la prescription aurait été interrompue.
Dans ces conditions, une réduction supérieure à celle dont bénéficient déjà les auteurs ne se justifie pas, et le recours doit être rejeté sur ce point.
b) A l'appui de la réduction de 3000 fr. opérée en application de l'art. 44 al. 2 CO, le Tribunal cantonal relève que les trois défendeurs "sont aujourd'hui âgés de dix-huit ans" et qu'"à cet âge-là, les jeunes gens sont en général au début de leur formation professionnelle et ne gagnent pas encore leur vie ou du moins dans une mesure très partielle".
En raisonnant ainsi, les premiers juges n'ont pas procédé à une appréciation concrète des motifs de réduction pour
BGE 100 II 332 S. 339
chaque responsable, comme l'exige en principe l'art. 44 al. 2 CO. Mais même dans l'hypothèse, qu'ils ont retenue, de jeunes gens de dix-huit ans en cours de formation professionnelle et dénués de fortune, la réparation solidaire entre trois d'un préjudice de 12375 fr. en capital représente un effort financier parfaitement supportable, compte tenu du salaire que gagneront les responsables une fois leur formation professionnelle achevée. La réduction de 3000 fr. n'était donc pas justifiée. Faute de recours du demandeur, elle doit néanmoins être maintenue. | 4,675 | 2,279 | 2 | 0 | CH_BGE_004 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_004_BGE-100-II-332_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=3&from_date=&to_date=&from_year=1974&to_year=1974&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=28&highlight_docid=atf%3A%2F%2F100-II-332%3Ade&number_of_ranks=355&azaclir=clir | BGE_100_II_332 |
|||
00bece2a-6395-4e1f-8e97-f03bc29418e5 | 1 | 84 | 1,357,782 | 94,694,400,000 | 1,973 | de | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 48
BGE 99 V 48 S. 48
Aus den Erwägungen:
Die Versicherte erhält nur dann eine Rente, wenn sie im Rahmen des Zumutbaren bestmöglich eingegliedert ist. Wer Leistungen der Invalidenversicherung fordert, muss das ihm Zumutbare vorkehren, um die Folgen seiner Invalidität möglichst zu mildern (EVGE 1969 S. 163, 1967 S. 33 und 75; nicht veröffentlichtes Urteil i.S. Scherer vom 8. Juni 1971), und sich jeder zumutbaren Massnahme unterziehen, welche die Invalidenversicherung zu seiner Eingliederung oder Wiedereingliederung ins Erwerbsleben anordnet.
Im vorliegenden Fall hielten sich Verwaltung und Vorinstanz an diese Grundsätze und gingen davon aus, eine Rente könne der Versicherten erst gewährt werden, wenn sie im Sinne des Gesetzes eingegliedert sei. Die Ausgleichskasse sprach ihr daher nach Abklärung des medizinischen Sachverhalts durch die Invalidenversicherungs-Kommission ein Hilfsmittel und medizinische
BGE 99 V 48 S. 49
Massnahmen zu, ohne aber in der Verfügung zum Ausdruck zu bringen, dass die Rentenfrage erst nach Durchführung der Eingliederungsmassnahmen entschieden werden könne. Zwar hatte die Invalidenversicherungs-Kommission die Versicherte in ihrem Brief vom 11. Dezember 1970 auf den Vorrang der Eingliederungsmassnahmen aufmerksam gemacht. Dies genügte indessen nicht. Vielmehr muss in einem solchen Fall verlangt werden, dass die Ausgleichskasse im erwähnten Sinne über das gestellte Rentengesuch ausdrücklich verfügt. Denn die Versicherte hat - auch im Hinblick auf eine allfällige Beschwerde - Anspruch darauf, dass in der Verfügung zu ihrem Rentenbegehren Stellung genommen wird. | 328 | 259 | 2 | 0 | CH_BGE_007 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_007_BGE-99-V-48_1973 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=33&from_date=&to_date=&from_year=1973&to_year=1973&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=323&highlight_docid=atf%3A%2F%2F99-V-48%3Ade&number_of_ranks=359&azaclir=clir | BGE_99_V_48 |
||||
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ab Seite 61
BGE 109 IV 60 S. 61
Considerando in diritto:
1.
Dato che contro l'ordine di arresto in vista d'estradizione è ammissibile il reclamo alla Camera d'accusa del Tribunale federale (art. 48 cpv. 2 della legge federale sull'assistenza internazionale in materia penale, del 20 marzo 1981, in vigore dal 1o gennaio 1983, AIMP) e che la persona perseguita può chiedere in ogni tempo d'essere scarcerata (art. 50 cpv. 3 AIMP), il reclamo alla Camera d'accusa deve essere ammissibile anche contro ogni decisione che neghi la scarcerazione; tale decisione non è infatti altro che una conferma dell'ordine di arresto originariamente emanato. Detta ammissibilità è d'altronde espressamente ribadita nel messaggio del Consiglio federale dell'8 marzo 1976 concernente l'AIMP (FF 1976 II 463).
2.
Il reclamante si duole che gli siano stati sottoposti, il 23 febbraio 1983, anziché i documenti in originale o in copia ufficialmente autenticata, su cui si fonda la domanda d'estradizione, solo fotocopie malfatte e affrancate in modo errato, in violazione di quanto prescritto dall'art. 6 cpv. 2 del Trattato tra la Svizzera e il Belgio per la reciproca estradizione dei delinquenti, del 13 maggio 1874 (RS 0.353.917.2). Egli assume che non gli è stata comunicata la documentazione originale pervenuta all'Istruzione giudiziaria sottocenerina il 28 febbraio 1983. Ne discende che, a suo avviso, l'arresto a fini estradizionali doveva cessare, ai sensi dell'art. 6 cpv. 2 del menzionato Trattato, tre settimane dopo che era stato effettuato.
Come risulta dall'art. 47 cpv. 1 AIMP, l'Ufficio federale di polizia può prescindere dall'arresto - e di conseguenza anche dalla prosecuzione della carcerazione a fini estradizionali - non solo per i motivi specificati nelle lettere a e b di detto articolo, bensì
BGE 109 IV 60 S. 62
anche per altri. È quindi consentito al reclamante di addurre nel proprio reclamo contro la decisione con cui è stata respinta la sua istanza di scarcerazione un motivo fondato sul Trattato di estradizione concluso tra la Svizzera e il Belgio.
Secondo l'art. 6 cpv. 2 della citata convenzione, l'arresto provvisorio deve cessare d'aver seguito quando entro tre settimane, contando dal momento in cui sia stato effettuato, l'incolpato non abbia ricevuto comunicazione di uno dei documenti menzionati nell'articolo 5 del Trattato. L'art. 6 cpv. 2 del Trattato non dice in quale forma debba avvenire tale comunicazione; in particolare, non vi si esige che essa abbia luogo mediante l'esibizione dei documenti in originale o in copia autenticata. Se appare ovvio che per l'esame della domanda d'estradizione i documenti su cui la stessa si basa debbano essere prodotti in originale o in copia ufficialmente autenticata (art. 5 cpv. 1 del Trattato), tale requisito formale non vale necessariamente per quanto concerne la loro comunicazione all'arrestato. Il riferimento fatto dall'art. 6 cpv. 2 del Trattato ai documenti menzionati nell'art. 5 del medesimo non può quindi giovare alla tesi sostenuta dal reclamante. Il testo e il senso dell'art. 6 cpv. 2 del Trattato inducono, al contrario, a ritenere che il precetto stabilito in questa norma è adempiuto mediante la comunicazione all'arrestato del contenuto dei documenti su cui si basa la domanda d'estradizione. La comunicazione può pertanto avvenire senz'altro mediante l'esibizione di fotocopie, sempreché debba presumersi che esse corrispondano agli originali; tale conformità non è peraltro contestata dal reclamante. Le fotocopie litigiose sono state esaminate dalla Camera d'accusa; è risultato che le censure del reclamante circa il loro ordine e la loro qualità sono infondate.
Poiché il reclamante ha potuto prendere conoscenza, mediante l'esibizione delle relative fotocopie, dei documenti a cui si riferisce la domanda d'estradizione, in modo conforme a quanto richiesto dall'art. 6 cpv. 2 del Trattato, è irrilevante sapere se l'arrivo degli originali presso l'Istruzione giudiziaria gli sia stato comunicato e se ne abbia potuto prendere visione. | 1,502 | 753 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-109-IV-60_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=25&from_date=&to_date=&from_year=1983&to_year=1983&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=249&highlight_docid=atf%3A%2F%2F109-IV-60%3Ade&number_of_ranks=345&azaclir=clir | BGE_109_IV_60 |
||||
00bf76f4-f129-4dca-ae32-1305f3c0c653 | 1 | 82 | 1,337,565 | 1,522,022,400,000 | 2,018 | de | 2 | 0 | Erwägungen
ab Seite 253
BGE 144 III 253 S. 253
Aus den Erwägungen:
1.
(...)
1.3
Die Beschwerde ist in der Regel erst gegen Endentscheide zulässig (
Art. 90 BGG
). Rückweisungsentscheide kantonaler Rechtsmittelinstanzen schliessen das Verfahren nicht ab und sind somit nach der Rechtsprechung keine End-, sondern Vor- und Zwischenentscheide (
BGE 143 III 290
E. 1.4;
BGE 135 III 212
E. 1.2 S. 216 mit weiteren Hinweisen). Als solche können sie - sofern sie nicht die Zuständigkeit oder den Ausstand im Sinne von
Art. 92 BGG
zum Gegenstand haben - gemäss
Art. 93 BGG
nur direkt mit
BGE 144 III 253 S. 254
Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden, wenn sie entweder einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Die selbständige Anfechtbarkeit von Vor- und Zwischenentscheiden bildet eine Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll. Sie ist restriktiv zu handhaben, können Vor- und Zwischenentscheide doch gemäss
Art. 93 Abs. 3 BGG
durch Beschwerde gegen den Endentscheid angefochten werden, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken (
BGE 143 III 290
E. 1.3 und 1.4;
BGE 138 III 94
E. 2.2;
BGE 135 I 261
E. 1.2;
BGE 134 III 188
E. 2.2;
BGE 133 III 629
E. 2.1 S. 631;
BGE 133 IV 288
E. 3.2).
1.4
Die Beschwerdeführer weisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung hin, gemäss der Rückweisungsentscheide ausnahmsweise unter dem Titel von
Art. 90 BGG
anfechtbar sind, wenn der erstinstanzlichen Verwaltungsbehörde kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt, sondern die Rückweisung allein der (rechnerischen) Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient (siehe
BGE 142 II 20
E. 1.2 S. 24;
BGE 140 V 321
E. 3.2;
BGE 138 I 143
E. 1.2;
BGE 135 V 141
E. 1.1;
BGE 134 II 124
E. 1.3 S. 127; zum Teil mit weiteren Hinweisen; vgl. auch
BGE 134 III 136
E. 1.2 mit Hinweis auf
BGE 112 III 90
E. 1). Auch die beiden zivilrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts erwähnen jeweils die entsprechende Möglichkeit, qualifizieren Rückweisungen in Zivilprozessen an das erstinstanzliche Gericht aber regelmässig als Vor- und Zwischenentscheide und nicht als Endentscheide (so etwa die Urteile 4A_573/2017 / 4A_575/2017 vom 27. November 2017 E. 5; 5A_693/2017 vom 14. September 2017 E. 1; 5A_784/2016 vom 20. Dezember 2016 E. 2.3; 4A_166/2015 vom 29. Juli 2015 E. 2.2; 5A_643/2014 vom 24. Februar 2015 E. 1.1; 5A_655/2012 vom 13. Dezember 2012 E. 1.2; 5A_56/2012 vom 30. März 2012 E. 2.1; 5A_43/2011 vom 18. Februar 2011 E. 1.1; 4A_625/2010 vom 22. November 2010; 5A_695/2009 vom 21. Januar 2010 E. 1.1; 4A_427/2008 vom 28. November 2008 E. 1.3). In keinem der zitierten Entscheide bildete ein fehlender Entscheidungsspielraum des erstinstanzlichen Gerichts Grund für ein Eintreten auf die Beschwerde.
Es erscheint denn auch zweifelhaft, ob im Zivilprozess überhaupt je Raum dafür bestehen kann, die Rückweisung an die erste Gerichtsinstanz mangels Entscheidungsspielraums als Endentscheid im
BGE 144 III 253 S. 255
Sinne von
Art. 90 BGG
zu behandeln. Zu beachten ist insbesondere, dass
Art. 318 Abs. 1 lit. c ZPO
die Rückweisung im Berufungsverfahren lediglich für den Fall erlaubt, dass (1.) ein wesentlicher Teil der Klage nicht beurteilt wurde, oder (2.) der Sachverhalt in wesentlichen Teilen zu vervollständigen ist, was beides einen entsprechenden Entscheidungsspielraum der Erstinstanz mit sich bringt. Dass die Rechtsmittelinstanz die Sache mit der Instruktion zurückweist, die Erstinstanz habe die Klage abzuweisen, ist damit etwa nicht mehr möglich (siehe auch
Art. 327 Abs. 3 lit. b ZPO
; vgl. demgegenüber noch Urteil 5D_18/2008 vom 15. Mai 2008 E. 1.1). Im Übrigen hat das Bundesgericht in einer kürzlich publizierten Urteilserwägung die Möglichkeit bejaht, unter der Geltung des BGG einen obergerichtlichen Rückweisungsentscheid als Vor- und Zwischenentscheid
im Anschluss an den erstinstanzlichen Endentscheid
durch eine direkt gegen den letzteren gerichtete Beschwerde beim Bundesgericht anzufechten. Dieser Weg steht dann offen, wenn nur die Erwägungen im früheren Rückweisungsentscheid der oberen kantonalen Instanz angefochten werden und ein erneutes kantonales Rechtsmittel daher von vornherein nutzlos wäre (
BGE 143 III 290
E. 1.1-1.7).
Angesichts dessen sind Rückweisungsentscheide des Berufungsgerichts richtigerweise generell als Vor- und Zwischenentscheide zu qualifizieren, die nur unter den Voraussetzungen von
Art. 92 und 93 BGG
direkt beim Bundesgericht angefochten werden können. Dies muss auch dann gelten, wenn dem erstinstanzlichen Zivilgericht nach der Rückweisung bloss ein vergleichsweise kleiner Entscheidungsspielraum verbleibt. Denn nur durch diesbezügliche Rechtssicherheit kann vermieden werden, dass die Parteien systematisch jeden mit Instruktionen versehenen Rückweisungsentscheid des Berufungsgerichts beim Bundesgericht anfechten müssen, um nicht Gefahr zu laufen, dass sie später wegen der Qualifikation als Endentscheid mit ihren Einwänden ausgeschlossen sein werden (siehe bereits
BGE 140 V 321
E. 3.3 S. 326 und Urteil 4A_166/2015 vom 29. Juli 2015 E. 2.2; vgl. zur unbefriedigenden Situation aufgrund der bisherigen Praxis SEILER, Die Berufung nach ZPO, 2013, N. 176 S. 83 f.).
An dieser Sachlage vermag auch das von den Beschwerdeführern zitierte Urteil 5A_358/2016 vom 1. Mai 2017 nichts zu ändern. In diesem Fall hatte die Berufungsinstanz die Scheidungssache betrefend die berufliche Vorsorge an das erstinstanzliche Gericht zurückgewiesen, damit es das Teilungssubstrat der während der Ehe erworbenen Austrittsleistungen der Parteien feststellt und die erforderlichen
BGE 144 III 253 S. 256
Anordnungen gegenüber den beteiligten Vorsorgeeinrichtungen trifft. Vor Bundesgericht war aber gerade nicht die Rückweisung in diesem Punkt angefochten, sondern der reformatorische Entscheid des Kantonsgerichts betreffend nachehelichen Unterhalt. Wenn die II. zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichts erwog, der angefochtene Entscheid erweise sich "insgesamt als Endentscheid" (E. 1.2.2), ist dies vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Scheidungsverfahrens zu verstehen (vgl. dazu insbesondere
BGE 134 III 426
E. 1.2 sowie Urteil 5A_769/2015 vom 1. September 2016 E. 4.2). An dieser Stelle braucht nicht erörtert zu werden, unter welchen Umständen ein Entscheid der Rechtsmittelinstanz, der die Sache bloss in einzelnen Punkten an die Erstinstanz zurückweist, während er andere Punkte abschliessend beurteilt, als
Teilentscheid
im Sinne von
Art. 91 lit. a BGG
zu qualifizieren ist (siehe bloss
BGE 135 III 212
E. 1.2.1). | 1,702 | 1,233 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-144-III-253_2018-03-26 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=18&from_date=&to_date=&from_year=2018&to_year=2018&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=179&highlight_docid=atf%3A%2F%2F144-III-253%3Ade&number_of_ranks=236&azaclir=clir | BGE_144_III_253 |
||||
00c071d0-31da-4aea-a641-b48b3569cbab | 2 | 82 | 1,349,807 | 1,301,529,600,000 | 2,011 | fr | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 137 III 130 S. 130
Par jugement du 23 décembre 2010, la I
re
Cour civile du Tribunal cantonal neuchâtelois a partiellement accueilli une action en paiement fondée sur un contrat d'entreprise. Ce jugement n'a pas été prononcé en audience. Le 27 décembre 2010, le Tribunal cantonal en a adressé une expédition motivée à toutes les parties. Les défendeurs l'ont reçue le lendemain 28 décembre 2010; la demanderesse l'a reçue le 4 janvier 2011.
BGE 137 III 130 S. 131
Le Tribunal fédéral est saisi d'un recours en matière civile formé par la demanderesse. En l'état de la cause, les défendeurs n'ont pas été invités à répondre.
La I
re
Cour de droit civil du Tribunal fédéral a délibéré en public le 22 mars 2011. Appelée à trancher une question juridique concernant plusieurs cours, elle a suspendu la cause en vue d'une décision commune des cours concernées.
Une décision commune des deux cours de droit civil est intervenue le 31 mars 2011.
La I
re
Cour de droit civil a prononcé que le recours est recevable au regard de l'
art. 75 al. 1 LTF
; pour le surplus, la cause est renvoyée au juge rapporteur.
(résumé) | 426 | 236 | Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La communication visée par l'
art. 405 al. 1 CPC
(RS 272) est une notion autonome de droit fédéral; il n'y a pas de renvoi ni de référence au droit cantonal. Pour appréhender cette notion dans le système du code de procédure unifié, il faut se référer d'abord à l'
art. 239 CPC
(MARC PASCAL FISCHER, in Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [éd.], 2010, n° 2 ad
art. 405 CPC
; opinion contraire: DENIS TAPPY, Le droit transitoire applicable lors de l'introduction de la nouvelle procédure civile unifiée, JdT 2010 III 11 p. 31/32, auteur pour qui le droit cantonal est déterminant). La communication peut donc intervenir par remise d'un dispositif à l'audience (
art. 239 al. 1 let. a CPC
), par notification d'un dispositif écrit (
art. 239 al. 1 let. b CPC
) ou par notification d'une expédition motivée, incluant le dispositif. En cas de notification, il faut, à première vue, se référer aussi à l'
art. 138 CPC
; selon cette disposition, la notification est accomplie lorsque l'acte est remis à son destinataire, à l'un de ses employés ou à une personne de son ménage âgée de seize ans au moins (
art. 138 al. 2 CPC
).
Toutefois, le critère adopté par le législateur fédéral pose un problème bien prévu par les commentateurs de l'
art. 405 CPC
: il est possible que l'une des parties à l'instance reçoive le jugement en 2010 et que l'autre le reçoive en 2011 (FISCHER, loc. cit.; FREI/WILLISEGGER, in Commentaire bâlois, CPC, 2010, n° 4 ad
art. 405 CPC
; TAPPY, op. cit., p. 32; TANJA DEMEJ, in Schweizerische Zivilprozessordnung, Paul Oberhammer [éd.], 2010, n° 2 ad
art. 405 CPC
); c'est
BGE 137 III 130 S. 132
précisément la situation de la présente affaire. La notification aux défendeurs est intervenue le 28 décembre 2010; celle à la demanderesse s'est accomplie le 4 janvier 2011. Les commentateurs proposent de prendre pour référence la date d'envoi du jugement par le tribunal (TAPPY et DEMEJ, loc. cit.). En pratique, le plus souvent, les tribunaux envoient toutes les copies d'un jugement le même jour et cette date est donc, en principe, commune à toutes les parties. Il est surtout indiscutable que les voies de recours doivent être les mêmes pour toutes les parties, et que seule une date, soit en 2010, soit en 2011, est donc décisive. Il faut aussi que le tribunal puisse indiquer avec sûreté, dans le jugement, la voie de recours disponible. La solution ainsi proposée par la doctrine est donc pertinente, alors même qu'elle ne s'accorde pas entièrement avec le système du code unifié et qu'elle diverge, en particulier, de la théorie de la réception consacrée par l'
art. 138 CPC
.
En conséquence, les deux cours de droit civil du Tribunal fédéral ont décidé en commun, le 31 mars 2011 et en application de l'
art. 23 al. 2 LTF
, que la date de la "communication de la décision aux parties", aux termes de l'
art. 405 al. 1 CPC
, est celle de l'envoi de l'acte par le tribunal. Elles ont par ailleurs décidé, également, que la remise aux parties d'un dispositif écrit, le cas échéant, est suffisante, et que la communication n'est pas reportée à la remise d'une expédition motivée. | 1,224 | 701 | 2 | 0 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-137-III-130_2011-03-31 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=21&from_date=&to_date=&from_year=2011&to_year=2011&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=204&highlight_docid=atf%3A%2F%2F137-III-130%3Ade&number_of_ranks=265&azaclir=clir | BGE_137_III_130 |
|||
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ab Seite 146
BGE 124 I 145 S. 146
Der Kantonsrat des Kantons Zürich verabschiedete am 3. Februar 1997 ein neues (totalrevidiertes) Steuergesetz (StG), das in der kantonalen Volksabstimmung vom 8. Juni 1997 angenommen wurde.
Im Unterabschnitt über die Einkommenssteuer der natürlichen Personen enthält das Gesetz folgende Bestimmung:
" § 21 Unbewegliches Vermögen
(1) Steuerbar sind alle Erträge aus unbeweglichem Vermögen, insbesondere:
a) ...
b) der Mietwert von Liegenschaften oder Liegenschaftsteilen, die dem Steuerpflichtigen aufgrund von Eigentum oder eines unentgeltlichen Nutzungsrechts für den Eigengebrauch zur Verfügung stehen;
c) ...
d) ...
(2) Der Regierungsrat erlässt die für die durchschnittlich gleichmässige Bemessung des Eigenmietwertes selbstbewohnter Liegenschaften oder Liegenschaftsteile notwendigen Dienstanweisungen. Dabei kann eine schematische, formelmässige Bewertung der Eigenmietwerte vorgenommen werden. Es sind jedoch folgende Leitlinien zu beachten:
a) der Eigenmietwert ist unter Berücksichtigung der Förderung von Eigentumsbildung und Selbstvorsorge in der Regel auf 60% des Marktwertes festzulegen;
b) Qualitätsmerkmalen der Liegenschaften oder Liegenschaftsteile, die im Falle der Vermietung auch den Mietzins massgeblich beeinflussen würden, ist im Rahmen einer schematischen, formelmässigen Bewertung der Eigenmietwerte angemessen Rechnung zu tragen;
BGE 124 I 145 S. 147
c) bei am Wohnsitz selbstbewohnten Liegenschaften ist der Eigenmietwert
zudem unter Berücksichtigung der tatsächlichen Nutzung festzulegen."
Im Unterabschnitt über die Vermögenssteuer der natürlichen Personen wird bestimmt:
"§ 39 Bewertung
(1) Das Vermögen wird zum Verkehrswert bewertet.
(2) Immaterielle Güter und bewegliches Vermögen (ausgenommen Wertschriften), die zum Geschäftsvermögen des Steuerpflichtigen gehören,
werden zum Einkommenssteuerwert bewertet.
(3) Der Regierungsrat erlässt die für eine gleichmässige Bewertung von Grundstücken notwendigen Dienstanweisungen. Es kann eine schematische, formelmässige Bewertung vorgesehen werden, wobei jedoch den Qualitätsmerkmalen der Grundstücke, die im Falle der Veräusserung auch den Kaufpreis massgeblich beeinflussen würden, angemessen Rechnung zu tragen ist. Der Verkehrswert soll in der Regel 60% des Marktwertes betragen."
Der Kantonsrat erwahrte mit Beschluss vom 18. August 1997 das Ergebnis der Volksabstimmung vom 8. Juni 1997. Dieser Beschluss wurde im Amtsblatt des Kantons Zürich vom 22. August 1997 veröffentlicht.
Im Anschluss an die Publikation dieses Erwahrungsbeschlusses führen Niklaus Scherr sowie der Mieterinnen- und Mieterverband Zürich mit gemeinsamer Eingabe staatsrechtliche Beschwerde ("ev. Verwaltungsgerichtsbeschwerde") mit dem Hauptantrag, das Steuergesetz vom 8. Juni 1997 gesamthaft aufzuheben; eventuell seien nur § 21 Abs. 2 und § 39 Abs. 3 des Steuergesetzes aufzuheben. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von
Art. 4 BV
(Ungleichbehandlung von Wohnungseigentümern und Mietern) sowie einen Verstoss gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV; Missachtung der Vorgaben des Steuerharmonisierungsgesetzes).
Die Finanzdirektion des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
In ihrer gestützt auf
Art. 93 Abs. 2 OG
eingereichten Beschwerdeergänzung halten die Beschwerdeführer an ihrem Standpunkt fest, ebenso die Finanzdirektion in ihren Gegenbemerkungen zur Beschwerdeergänzung.
Die II. öffentlichrechtliche Abteilung führte vorgängig der öffentlichen Sitzung einen vorsorglichen Meinungsaustausch mit der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts durch, bei welcher gleichzeitig Stimmrechtsbeschwerden im Zusammenhang mit der Besteuerung von Eigenmietwerten hängig waren.
BGE 124 I 145 S. 148
Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde teilweise gut und hebt § 21 Abs. 2 lit. a sowie § 39 Abs. 3 Satz 3 des kantonalen Steuergesetzes vom 8. Juni 1997 auf aus folgenden | 834 | 630 | Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Beim angefochtenen Gesetz handelt es sich, da der Kanton Zürich die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle nicht kennt, um einen letztinstanzlichen kantonalen Hoheitsakt (
Art. 86 OG
). Ein anderes eidgenössisches Rechtsmittel als die staatsrechtliche Beschwerde steht nicht zur Verfügung (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Das gilt auch insoweit, als eine Verletzung des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14. Dezember 1990 (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG; SR 642.14) gerügt wird. Das in
Art. 73 StHG
vorgesehene Rechtsmittel der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann während der achtjährigen Übergangsfrist gemäss
Art. 72 Abs. 1 StHG
noch nicht ergriffen werden (
BGE 123 II 588
E. 2d S. 592 f.). Dazu kommt, dass sich die vorliegende Beschwerde nicht gegen einen "Entscheid" im Sinne von
Art. 73 StHG
, sondern unmittelbar gegen einen kantonalen (rechtsetzenden) Erlass richtet, der als solcher nicht Anfechtungsobjekt einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde bilden kann (
BGE 112 Ia 180
E. 2c S. 185 f., mit Hinweisen; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. Bern 1983, S. 133 f.). Das in
Art. 73 StHG
vorgesehene Rechtsmittelverfahren dient nicht der abstrakten Normenkontrolle. Die gegen die beiden angefochtenen Gesetzesbestimmungen erhobene staatsrechtliche Beschwerde ist somit zulässig.
b) Die dreissigtägige Beschwerdefrist gemäss
Art. 89 Abs. 1 OG
zur Anfechtung des Gesetzes begann mit der Publikation des kantonsrätlichen Erwahrungsbeschlusses im Amtsblatt des Kantons Zürich zu laufen (
BGE 108 Ia 140
E. 1;
BGE 120 Ia 126
, nicht publ. E. 2b). Die vorliegende Beschwerde wurde rechtzeitig erhoben.
c) Zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen kantonalen Erlass ist legitimiert, wer durch die angefochtenen Bestimmungen unmittelbar oder virtuell (das heisst mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal) in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen ist (
BGE 123 I 221
E. I/2 S. 224 f.;
BGE 122 I 222
E. 1a S. 224, mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer Niklaus Scherr beruft sich auf seine Eigenschaft als im Kanton Zürich wohnhafter und dort steuerpflichtiger Mieter. Als solcher ist er durch die beanstandete
BGE 124 I 145 S. 149
Bestimmung über die Festsetzung des Eigenmietwertes, die sich allein auf die Steuerpflicht der Eigentümer selbstbewohnter Liegenschaften bezieht, an sich nicht direkt betroffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts steht jedoch die Legitimation zur Anfechtung eines Erlasses wegen rechtsungleicher Begünstigung Dritter auch Bürgern zu, welche nicht Adressaten der beanstandeten Bestimmungen sind, sofern sie sich in einer vergleichbaren Lage befinden und der Dritten gewährte Vorteil sich für sie als Nachteil auswirkt, das heisst sofern zwischen der beanstandeten Drittprivilegierung und ihrer eigenen Situation ein relevanter Zusammenhang besteht (sogenannte AVLOCA-Praxis, BGE
BGE 109 Ia 252
E. 4;
BGE 110 Ia 7
E. 1a S. 10 f.;
BGE 114 Ia 221
E. 1b S. 223; ASA 64 S. 666, E. 1c). Nach diesen Grundsätzen sind Mieter legitimiert, Bestimmungen über die Festsetzung des Eigenmietwertes oder des Vermögenssteuerwerts, welche die Hauseigentümer steuerlich begünstigen können, mittels staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten (
BGE 109 Ia 252
, nicht publizierte E. 4e/f; ASA 63 587 E. 1b/cc S. 591;
BGE 124 I 161
E. 1c). Die Befugnis des Mieters Niklaus Scherr zur Anfechtung der Bestimmungen in § 21 Abs. 2 und § 39 Abs. 3 des neuen kantonalen Steuergesetzes über die Bemessung des Eigenmietwertes bzw. des Verkehrswertes von Grundstücken ist daher zu bejahen. Dasselbe gilt für den beschwerdeführenden Mieterverband, der als juristische Person konstituiert ist, nach seinen Statuten die hier in Frage stehenden Mitgliederinteressen zu wahren hat und dessen Mitglieder jedenfalls zu einem grossen Teil als im Kanton Zürich wohnhafte und steuerpflichtige Mieter grundsätzlich zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert wären (
BGE 123 I 221
E. I/2 S. 225, mit Hinweisen).
d) Seitens der Finanzdirektion des Kantons Zürich wird die Legitimation der Beschwerdeführer mit dem Einwand bestritten, die beiden angefochtenen Gesetzesbestimmungen über die Festlegung der Eigenmietwerte und der Grundstücks- Verkehrswerte richteten sich nicht unmittelbar an die Steuerpflichtigen, sondern sie enthielten lediglich eine Anweisung an den Regierungsrat für die Abfassung der notwendigen Dienstanweisungen; der einzelne Steuerpflichtige könne aus den betreffenden Gesetzesbestimmungen keine durchsetzbaren Ansprüche ableiten. Es stehe heute zudem noch nicht fest, in welcher Höhe sich die Eigenmiet- und Vermögenssteuerwerte unter der Herrschaft des neuen Steuergesetzes dannzumal tatsächlich bewegen würden.
Diese Einwendungen sind unbehelflich. Das Gesetz enthält, auch wenn es sich formell um eine Anweisung an den Regierungsrat handelt,
BGE 124 I 145 S. 150
verbindliche Anordnungen über die Bemessung der Eigenmiet- und Vermögenssteuerwerte, durch deren Auswirkungen die Beschwerdeführer in ihrem Gleichbehandlungsanspruch berührt werden.
e) Die Beschwerdeführer beantragen nicht nur die Aufhebung der konkret beanstandeten beiden Gesetzesbestimmungen, sondern die Aufhebung des gesamten neuen Steuergesetzes; dies mit der Begründung, die streitigen beiden Bestimmungen hätten Teil eines politischen Tauschhandels gebildet, indem zur Kompensation des Verzichtes auf eine Senkung des Höchststeuersatzes für natürliche Personen um 1% die beiden 60%-Klauseln ins Gesetz aufgenommen worden seien. Damit sei den unzufriedenen Hauseigentümerkreisen, welche in der Folge zur Annahme der Vorlage in der Volksabstimmung aktiv beigetragen hätten, die Zustimmung zum Gesetz schmackhaft gemacht worden. Bei einer blossen Aufhebung der streitigen beiden Bestimmungen werde unter Umständen der Wille jener Stimmberechtigten verfälscht, die dem Gesetz trotz kritischer Haltung bloss wegen der 60%-Klauseln zugestimmt hätten.
Für eine solche Betrachtungsweise besteht im vorliegenden Verfahren kein Raum. Das Bundesgericht kann ein formell gültig zustandegekommenes kantonales Gesetz auf eine staatsrechtliche Beschwerde hin nur aufheben, wenn und soweit es Bestimmungen enthält, die inhaltlich gegen übergeordnetes Recht verstossen und ordnungsgemäss mit entsprechenden Rügen angefochten worden sind. Daran fehlt es hier bezüglich des Gesetzes als ganzen. Der blosse Umstand, dass das Gesetz ohne die im nachträglichen Verfahren der abstrakten Normenkontrolle allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen vom Volk (oder vom Parlament) möglicherweise gar nicht angenommen worden wäre, kann nicht dazu führen, mehr als die als verfassungswidrig erkannten Teile des Gesetzes aufzuheben. Auf den Antrag, das Steuergesetz insgesamt zu annullieren, ist mangels einer tauglichen materiellen Begründung nicht einzutreten. Einzutreten ist hingegen auf den Eventualantrag, § 21 Abs. 2 und § 39 Abs. 3 des Gesetzes aufzuheben.
f) Die Beschwerdeführer rügen im Rubrum ihrer Beschwerdeschrift auch eine Verletzung von Art. 19 Abs. 1 der zürcherischen Kantonsverfassung. Sie legen jedoch nicht dar, inwiefern diese Bestimmung verletzt sein soll, so dass darauf nicht einzutreten ist (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
).
g) Bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines kantonalen Erlasses im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle ist nach der
BGE 124 I 145 S. 151
Rechtsprechung des Bundesgerichts massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn beigemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungsgarantien vereinbar erscheinen lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, wenn sie sich jeder verfassungskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist (
BGE 122 I 18
E. 2a S. 20, mit Hinweisen).
2.
Die Beschwerdeführer erblicken in der in § 21 Abs. 2 des totalrevidierten Steuergesetzes enthaltenen Anweisung, wonach der Eigenmietwert in der Regel 60% des Marktwertes betragen solle, eine Verletzung des in
Art. 4 BV
enthaltenen Gleichbehandlungsgebotes wie auch einen Verstoss gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV) durch Missachtung der Regelung von
Art. 7 Abs. 1 StHG
.
Soweit sich die Beschwerdeführer gegenüber den angefochtenen Gesetzesbestimmungen auf die Vorgaben des Steuerharmonisierungsgesetzes berufen und eine Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes rügen, stellt sich vorab die Frage, wieweit dieses Bundesgesetz während der achtjährigen Anpassungsfrist gemäss
Art. 72 StHG
bereits Wirkungen entfaltet.
Das Steuerharmonisierungsgesetz ist vom Bundesrat (gestützt auf
Art. 79 Abs. 2 StHG
) auf den 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt worden. Es gewährt den Kantonen für die Anpassung ihrer Gesetzgebung eine Frist von acht Jahren seit Inkrafttreten des Steuerharmonisierungsgesetzes, d.h. bis zum 1. Januar 2001 (
Art. 72 Abs. 1 StHG
). Nach Ablauf dieser Frist findet das Bundesrecht direkt Anwendung, wenn ihm das kantonale Steuerrecht widerspricht (Abs. 2); die Kantonsregierung erlässt die erforderlichen vorläufigen Vorschriften (Abs. 3).
Aus dieser Regelung ergibt sich, dass harmonisierungswidriges kantonales Recht bis zum Ablauf der achtjährigen Übergangsfrist in Kraft bleibt. Wohl sind die Kantone gehalten, ihr Steuerrecht innert der gesetzten Frist den Vorgaben des Steuerharmonisierungsgesetzes anzupassen. Die in
Art. 72 Abs. 1 StHG
vorgesehene Sanktion - Verdrängung der harmonisierungswidrigen kantonalen Vorschriften durch das direkt anwendbare Bundesrecht - greift jedoch nach dem klaren Wortlaut erst nach Ablauf der Übergangsfrist Platz; auch die in
Art. 72 Abs. 3 StHG
statuierte Regelungskompetenz der Kantonsregierung kann erst ab diesem Zeitpunkt zum Zuge kommen, wenn es darum geht, die zum Teil bloss rahmenhaften Vorgaben des Steuerharmonisierungsgesetzes durch die notwendigen näheren
BGE 124 I 145 S. 152
Vorschriften zu ergänzen. Unsicherheit besteht in der Frage, wieweit die Kantone während dieser Übergangsfrist harmonisierungswidriges oder entharmonisierendes Recht neu setzen dürfen. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, aus
Art. 72 StHG
ergebe sich für den kantonalen Gesetzgeber ein "Entharmonisierungsverbot" (so namentlich ein Gutachten von PETER BÖCKLI, zitiert bei Bernhard Greminger, in: Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht I/1, Basel 1997,
Art. 72 StHG
N. 4). Nach anderen Autoren behalten die Kantone ihre bisherige gesetzgeberische Freiheit bis zum Ablauf der gesetzten Übergangsfrist (so DANIELLE YERSIN, Steuerharmonisierung und kantonales Recht, ASA 64 [1995] 97-121, 106 f.), oder sie dürfen zumindest noch so lange frei legiferieren, als durch ihr Vorgehen die Harmonisierungskonformität der Steuerordnung per 1. Januar 2001 nicht gefährdet wird (so MARKUS REICH, Gedanken zur Umsetzung des Steuerharmonisierungsgesetzes, ASA 62 [1994] 577-618, 598 f.; im gleichen Sinn GREMINGER, a.a.O.,
Art. 72 StHG
N. 9 ff.).
Die Frage kann vorliegend offenbleiben, wenn sich ergibt, dass das Steuerharmonisierungsgesetz, selbst wenn seine Vorgaben bereits zu beachten wären, dem kantonalen Gesetzgeber keine engeren Schranken setzt, als sie schon in
Art. 4 BV
enthalten sind.
3.
a) Gemäss
Art. 21 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11)
ist unter anderem steuerbar "der Mietwert (la valeur locative, il valore locativo) von Liegenschaften oder Liegenschaftsteilen, die dem Steuerpflichtigen aufgrund von Eigentum oder eines unentgeltlichen Nutzungsrechts für den Eigengebrauch zur Verfügung stehen". Das Bundesrecht geht damit bei der direkten Bundessteuer für die Bemessung des Eigenmietwertes vom Marktwert aus (
BGE 123 II 9
E. 4b S. 15; AGNER/JUNG/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, 1995, N. 6 zu Art. 21). Die Eidgenössische Steuerverwaltung interveniert - durch Auferlegung von Zuschlägen -, wenn der Durchschnittswert der in einem Kanton geltenden Eigenmietwerte die Limite von 70% der Marktmiete unterschreitet (vgl.
BGE 123 II 9
E. 4b S. 15 f.); mit der neuen Regelung in
Art. 21 DBG
war keine Verschärfung der bisherigen Praxis beabsichtigt.
b) Nach
Art. 7 Abs. 1 StHG
unterliegen der Einkommenssteuer alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte, unter anderem diejenigen aus Vermögensertrag, "eingeschlossen die Eigennutzung von Grundstücken" ("y compris la valeur locative de l'habitation du contribuable dans son propre immeuble", "compresa l'utilizzazione a scopo personale di fondi").
BGE 124 I 145 S. 153
Das Steuerharmonisierungsgesetz unterscheidet sich somit in seiner deutschen und italienischen Fassung vom Gesetz über die direkte Bundessteuer. Dieser Unterschied in der Formulierung ist nicht zufällig, wie sich namentlich aus der Entstehungsgeschichte ergibt: Die entsprechenden Fassungen finden sich schon im Entwurf des Bundesrates (BBl 1983 III 290 [Art. 8 Abs. 1 E-StHG] und 323 [Art. 21 lit. b E-DBG]). In der Botschaft wurde zum Steuerharmonisierungsgesetz ausgeführt: "Lediglich der Klarstellung dient dabei der Hinweis auf die Besteuerung der Eigennutzung von Liegenschaften als Vermögensertrag, entspricht doch eine solche Besteuerung schon heute allgemein geltender Regelung" (BBl 1983 III 90). Demgegenüber wurde zur direkten Bundessteuer ausgeführt: "Dazu gehört vorab auch die in Buchstabe b vorgesehene Besteuerung des sog. Eigenmietwertes zum Marktwert" (BBl 1983 III 164).
Im Ständerat als Erstrat wurde die Bestimmung im Steuerharmonisierungsgesetz kommentarlos angenommen (AB 1986 S 108, 133 f.). Demgegenüber wurde für die Bemessung des Eigenmietwerts im Rahmen der direkten Bundessteuer zunächst ein (in der Differenzbereinigung später wieder gestrichener) Vorschlag angenommen, den marktgerechten Eigenmietwert um 30% zu ermässigen (AB 1986 S 175 ff.), wobei Bundesrat Stich klarstellte, dass diese Harmonisierung der Bewertungsmethode nicht für kantonale Steuern, sondern für die Bundessteuer gelte (a.a.O., 178). Auch im Nationalrat wurden Anträge hinsichtlich der Bemessung des Eigenmietwerts ausschliesslich im Zusammenhang mit der Bundessteuer gestellt (AB 1987 N 1744 ff.), während die Bestimmung des Steuerharmonisierungsgesetzes kommentarlos angenommen wurde (AB 1989 N 32). Dies lässt darauf schliessen, dass der Gesetzgeber den Kantonen im Rahmen des Steuerharmonisierungsgesetzes bewusst einen grösseren Spielraum belassen wollte als bei der direkten Bundessteuer.
c) Auch die Lehre ist mehrheitlich der Auffassung, dass das Steuerharmonisierungsgesetz für die Bemessung des Eigenmietwerts im Rahmen der kantonalen Steuern keine weitergehenden Schranken enthält, als sie sich schon bisher aus dem Gleichbehandlungsgebot von
Art. 4 BV
ergeben; die Kantone sind insbesondere nicht verpflichtet, die Eigenmietwerte nach den für die direkte Bundessteuer geltenden Grundsätzen festzulegen. Das Steuerharmonisierungsgesetz schreibt den Kantonen zwar zwingend die Besteuerung des Eigenmietwertes vor, enthält jedoch keine näheren Vorgaben darüber, wie dieser zu bestimmen ist, sondern belässt den Kantonen einen
BGE 124 I 145 S. 154
Spielraum (MARKUS REICH, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht 1/I, Basel 1997,
Art. 7 StHG
N. 43 f.; KLAUS A. VALLENDER, Mittelbare Rechtsetzung im Bereich der Steuerharmonisierung, in Cagianut/Vallender [Hrsg.], Steuerrecht, Festschrift Ernst Höhn, 1995, S. 421-460, 444 f.; YERSIN, a.a.O., S. 115; dies., L'impôt sur le revenu, étendue et limites d'harmonisation, ASA 61 [1992] 297-308, 305; BERNHARD ZWAHLEN, in: Höhn/Athanas, Das neue Bundesrecht über die direkten Steuern, Bern 1993, S. 84 f. Fn. 117). Im gleichen Sinne äusserte sich auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 23. September 1996 zur Motion der Ständeratskommission für Wirtschaft und Abgaben betreffend massvolle Eigenmietwerte im Steuerharmonisierungsgesetz (AB 1996 S 691).
Wie weit der Eigenmietwert unterhalb des Marktwertes festgelegt werden kann, richtet sich somit auch unter der Herrschaft des Steuerharmonisierungsgesetzes nach wie vor nach den Grundsätzen von
Art. 4 BV
. Da
Art. 9 StHG
die möglichen Abzüge abschliessend aufzählt und für einen Mietkostenabzug, welcher allzu niedrige Eigenmietwerte allenfalls ausgleichen könnte (vgl. ASA 59 733 E. 3), keinen Raum lässt, müssen die für die kantonalen Steuern geltenden Eigenmietwerte mindestens so hoch sein, dass das Gleichbehandlungsgebot von
Art. 4 BV
keine derartige Ausgleichsregelung verlangt.
4.
a) Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts ergibt sich aus
Art. 4 BV
, dass Steuerpflichtige in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen gleich zu besteuern sind. Bezüglich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist die Vergleichbarkeit in vertikaler Richtung, das heisst zwischen Personen in verschiedenen finanziellen Verhältnissen, geringer als in horizontaler Richtung, das heisst bei Personen gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts würde die vollständige und undifferenzierte Abschaffung der Besteuerung des Eigenmietwertes ohne ausgleichende Massnahmen den Wohnungseigentümer gegenüber anderen Steuerpflichtigen mit gleicher finanzieller Leistungsfähigkeit in einer Weise begünstigen, welche vor
Art. 4 BV
nicht standhält (
BGE 123 II 9
E. 3 S. 12;
BGE 116 Ia 321
E. 3d S. 324;
BGE 112 Ia 240
E. 5a S. 244 f.).
Indessen hat das Bundesgericht zugelassen, dass der Eigenmietwert tiefer festgesetzt werden kann als der Marktmietwert (
BGE 116 Ia 321
E. 3f/g S. 324 f.). Das wird unter anderem mit der geringeren Disponibilität in der Nutzung des Eigentums begründet sowie
BGE 124 I 145 S. 155
damit, dass die Selbstnutzung anderer Vermögenswerte auch nicht besteuert wird (
BGE 116 Ia 321
E. 3f/g S. 324 f.). Zulässig ist auch das Anliegen, die Selbstvorsorge durch Eigentumsbildung fiskalisch zu fördern (
BGE 112 Ia 240
E. 6 S. 246 f.; ASA 53 383 E. 5d S. 394; vgl.
Art. 34quater Abs. 6 sowie
Art. 34sexies BV
). Solche Abzüge haben sich allerdings an die durch
Art. 4 BV
gesetzten Schranken zu halten (
BGE 112 Ia 240
E. 7; ASA 64 662 E. 3c/aa S. 670). Bei zu niedrigen Eigenmietwerten kommt ein entsprechend grosser Teil der Hauseigentümer, je nach Höhe der Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten, zu steuerlich abziehbaren negativen Liegenschaftserträgen, was zu einer entsprechenden Benachteiligung der Mieter führen kann, denen die Möglichkeit des Abzuges der Mietkosten verwehrt bleibt (vgl. zum ganzen Problemkreis auch
BGE 123 II 9
E. 3/4).
b) Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den bisher beurteilten Beschwerden vorab dadurch, dass für die Bemessung des Eigenmietwertes auf Gesetzesstufe eine Abweichung vom Marktmietwert festgelegt wird. In den bisherigen Entscheidungen beruhten die beanstandeten Abweichungen vom Marktwertprinzip nicht auf einer expliziten gesetzlichen Anordnung (vgl. immerhin
BGE 116 Ia 321
betreffend die Zulässigkeit einer entsprechenden generellen Dienstanweisung), sondern sie ergaben sich aus Eigenheiten der jeweiligen Schätzungsverfahren und Anpassungsmechanismen; allfällige Mängel derselben können nicht nur zu fragwürdigen oder nicht mehr zeitgerechten Bewertungen, sondern auch zu grossen Ungleichheiten unter den Grundeigentümern führen. Die Festsetzung der Eigenmietwerte bleibt insoweit, wenn nicht politisch, so doch formell häufig dem Verordnungsgeber oder sonstigen nachgeordneten Organen überlassen. Weder
Art. 7 Abs. 1 StHG
noch
Art. 4 BV
schliessen aus, dass der kantonale Gesetzgeber sich dieser Frage annimmt und die für die Bewertung massgebenden Grundsätze selber verbindlich festlegt, zum Beispiel dadurch, dass er für das Ergebnis der vorzunehmenden Schätzungen Vorgaben in Form von Prozenten des Marktmietwertes setzt. Wenn der Gesetzgeber vorschreibt, dass der Eigenmietwert in einem bestimmten Masse unterhalb des Marktmietwertes liegen müsse, so liegt darin nicht die Einführung eines in
Art. 9 StHG
nicht vorgesehenen und damit unerlaubten anorganischen Abzuges. Abgesehen davon, dass eine solche Schätzungs- oder Bewertungsvorschrift formell gar nicht als Gewährung einer Abzugsmöglichkeit ausgestaltet ist, lässt
Art. 7 Abs. 1 StHG
den Kantonen, wie oben ausgeführt, bei der Bestimmung
BGE 124 I 145 S. 156
der Eigenmietwerte einen gewissen Spielraum. Wenn es zulässig ist, dass die besteuerten Eigenmietwerte bis zu einem bestimmten Mass unterhalb der Marktmietwerte liegen, dann muss es dem kantonalen Gesetzgeber gestattet sein, diesen Zustand, sei es als Ziel oder als Schranke, auch rechtssatzmässig zu normieren; sowohl
Art. 4 BV
als auch das Steuerharmonisierungsgesetz als Rahmengesetz lassen für solche Konkretisierungen Raum.
c) Wie weit der Eigenmietwert vom Marktmietwert abweichen darf, ohne dass das in
Art. 4 BV
enthaltene Gleichbehandlungsgebot verletzt wird, wurde vom Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung noch nie in Form eines minimalen Prozentsatzes definiert; es wurde jeweils lediglich entschieden, ob bei den konkret zur Diskussion stehenden Werten die Grenze des Zulässigen noch eingehalten oder bereits überschritten sei.
So betrachtete das Bundesgericht eine im Kanton Zürich bestehende Regelung, wonach bei der Festsetzung des Eigenmietwertes von Eigentumswohnungen gegenüber dem Marktmietwert ein Abzug von 30% gemacht wird, als mit
Art. 4 BV
vereinbar (
BGE 116 Ia 321
). Andererseits hiess es die staatsrechtliche Beschwerde eines Mieters aus dem Kanton Bern gut, der für das von ihm gemietete Einfamilienhaus, dessen Eigenmietwert nur rund 27% des von ihm effektiv bezahlten Mietzinses betrug, vergeblich einen entsprechenden Abzug geltend gemacht hatte, obwohl das damalige kantonale Steuergesetz die Eigenmietwertbesteuerung zum Marktwert vorschrieb (ASA 59 733). Schliesslich erachtete das Bundesgericht eine solothurnische Verordnung, die zu steuerbaren Eigenmietwerten von durchschnittlich 54,25% (Einfamilienhäuser) bzw. 58,26% (Eigentumswohnungen) des Marktmietwertes führte, aufgrund der besonderen Umstände als mit
Art. 4 BV
vorläufig noch knapp vereinbar (ASA 64 662; Übersicht über die bundesgerichtliche Rechtsprechung in
BGE 123 II 9
E. 4 sowie bei YERSIN, a.a.O. [1992], S. 303 ff.).
d) Im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit drängt sich auf, die untere Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen in genereller Weise festzulegen. Aus den ergangenen Urteilen lässt sich schliessen, dass diese Limite bei 60-70% der Marktmiete liegen muss. Nachdem die Eidgenössische Steuerverwaltung im Rahmen der direkten Bundessteuer eine Limite von 70% bei den Durchschnittswerten toleriert und der Spielraum der Kantone bei den kantonalen Steuern grösser ist (vorne E. 3b), erscheint es richtig, die verfassungsrechtliche Limite bei 60% anzunehmen. Es ist somit
BGE 124 I 145 S. 157
festzuhalten, dass für die Bemessung der Eigenmietwerte 60% des effektiven Marktwertes in jedem Fall die untere Grenze dessen bilden, was mit
Art. 4 BV
noch vereinbar ist.
5.
a) Nach der vorliegend angefochtenen Regelung des zürcherischen Gesetzgebers (
§ 21 Abs. 2 lit. a StG
) soll der Eigenmietwert "in der Regel" 60% des Marktwertes betragen. Diese Formulierung lässt nach ihrem klaren Wortlaut Abweichungen sowohl nach oben als auch nach unten zu. Wie aus dem Bisherigen hervorgeht, ist jedoch eine Abweichung nach unten verfassungsrechtlich unzulässig, da die 60% in jedem Fall eine Untergrenze darstellen. Insoweit die angefochtene Gesetzesbestimmung dazu führt, dass die Eigenmietwerte weniger als 60% des effektiven Marktwertes betragen können, ist sie somit unzulässig.
b) Fragen kann sich einzig, ob eine verfassungskonforme Auslegung der angefochtenen Bestimmung möglich ist. Die Formulierung "in der Regel" ging auf einen Antrag im Kantonsrat zurück, der damit begründet wurde, die vom Regierungsrat vorgeschlagene Fassung lasse einen Spielraum offen, der von 60-90% reiche; das müsse geändert werden (Protokoll Kantonsrat, Sitzung vom 20. Januar 1997, S. 6593 f., Votum Rietiker). Mit der Aufnahme des Wertes von 60% wollte somit der Kantonsrat tiefer gehen als nach bisheriger Praxis. Dabei war er sich bewusst, dass eine fixe Prozentzahl in der Praxis nie ganz genau erreicht werden kann. Die Festlegung eines Regelwertes von 60% bedeutet unter diesen Umständen, dass auch Eigenmietwerte von weniger als 60% resultieren können (Votum Regierungsrat Honegger, a.a.O., S. 6605). Der Gesetzgeber hat somit zumindest in Kauf genommen, dass die Eigenmietwerte auch mehr oder weniger deutlich unterhalb dieser verfassungsrechtlichen Untergrenze liegen können.
c) Das Bundesgericht kann im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde Gesetzesbestimmungen, die sich als verfassungswidrig erweisen, bloss aufheben, nicht aber sie anders formulieren. Die angefochtene Bestimmung wäre als zulässig zu betrachten, wenn sie die 60% nicht als Regelwert, sondern als Mindestwert festlegte. Indessen kann das Bundesgericht nicht die Formulierung in diesem Sinne ändern. Es kann auch nicht bloss die Worte "in der Regel" streichen, da damit nicht nur eine Abweichung nach unten, sondern auch eine Flexibilität nach oben verunmöglicht würde, was zu einer inhaltlichen Änderung des Gesetzes führte, die einzig in der Zuständigkeit des zürcherischen Gesetzgebers liegt. Unter diesen Umständen muss
§ 21 Abs. 2 lit. a StG
aufgehoben werden.
BGE 124 I 145 S. 158
6.
a) Nach
§ 39 Abs. 1 StG
wird das Vermögen zum Verkehrswert bewertet. § 39 Abs. 3 schränkt diese Regel - als Vorgabe für die Weisungen über die Grundstücksschätzungen - aber dahin ein, dass der Verkehrswert von Grundstücken in der Regel 60% des Marktwertes betragen soll.
Diese Regelung erscheint insoweit widersprüchlich, als der Begriff des Verkehrswertes gemeinhin mit jenem des Marktwertes übereinstimmt. Der Sinn der Vorschrift ist jedoch klar: Grundstücke sollen, vorbehältlich der Sonderregelung in
§ 40 StG
für land- und forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke, "in der Regel" nur zu 60% ihres Marktwertes der Vermögenssteuer unterliegen.
b) Eine solche Regelung ist mit Art. 14 Abs. 1 des Steuerharmonisierungsgesetzes nicht vereinbar und verletzt damit den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV). Danach wird das Vermögen, unter Vorbehalt der nachfolgenden, hier nicht interessierenden Ausnahmen in
Art. 14 Abs. 2 und 3 StHG
, für die Vermögenssteuer zum Verkehrswert bewertet, wobei jedoch der Ertragswert angemessen berücksichtigt werden kann. Der zürcherische Gesetzgeber statuiert in
§ 39 Abs. 1 StG
zwar das Prinzip der Vermögensbewertung zum Verkehrswert, will aber bei Grundstücken lediglich 60% dieses Wertes der Vermögenssteuer unterwerfen. Eine solche generelle Reduktion dient nicht einer "angemessenen Berücksichtigung" des Ertragswertes, wie sie nach
Art. 14 Abs. 1 StHG
gestattet bleibt. Das liegt zum vornherein auf der Hand, soweit es sich um vermietete Liegenschaften handelt. Insbesondere bei Mehrfamilienhäusern bestimmt sich der Verkehrswert weitgehend nach dem Ertragswert, weshalb die Gewährung eines Einschlages von 40% in solchen Fällen über eine blosse "angemessene Berücksichtigung" des Ertragswertes offensichtlich hinausgeht. Zwar soll die streitige 60%-Klausel nach der angefochtenen Bestimmung nur "in der Regel" gelten. Bei der Bewertung von vermieteten Liegenschaften handelt es sich aber nicht um Ausnahmetatbestände, für welche die Einhaltung der "Regel" nicht verlangt werden könnte. Wohl verbleibt den Kantonen auch unter der Herrschaft des Steuerharmonisierungsgesetzes bei der Bestimmung der Steuerwerte von Grundstücken nach wie vor ein erheblicher Spielraum, der die Berücksichtigung eigentumspolitischer Aspekte nicht ausschliesst und im Ergebnis dazu führen kann, dass die Steuerwerte allgemein mehr oder weniger deutlich unter dem eigentlichen Verkehrswert liegen. Eine gesetzliche Anweisung, wonach die Steuerwerte für Immobilien generell, d.h. grundsätzlich
BGE 124 I 145 S. 159
unabhängig vom jeweiligen Ertragswert, 40% unter dem Marktwert liegen sollen, lässt sich mit
Art. 14 Abs. 1 StHG
aber nicht vereinbaren (YERSIN, a.a.O. [1995], S. 117; RAINER ZIGERLIG/GUIDO JUD, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht 1/I, Basel 1997,
Art. 14 StHG
N. 4).
c) Eine solche Regelung verstösst aber auch gegen
Art. 4 BV
. Wie das Bundesgericht an seiner Sitzung vom heutigen Tag entschieden hat, ist es mit dem Gebot der Rechtsgleichheit im Steuerrecht nicht vereinbar, den steuerbaren Wert von Grundstücken generell auf 70% des Verkehrswertes festzulegen. Zwar ist es zulässig, den Steuerwert aufgrund vorsichtiger Schätzungen zu bemessen, die der notwendigen Schematisierung und der zwangsläufigen Unsicherheit der Bewertung Rechnung tragen. Wenn daraus Steuerwerte resultieren, welche unterhalb des effektiv realisierbaren Verkehrswertes liegen, so ist das in einem gewissen Rahmen verfassungsrechtlich haltbar. Unzulässig ist es hingegen, eine generell deutlich unter dem realen Wert liegende Bewertung anzustreben (
BGE 124 I 167
E. 2h). Dieselben Überlegungen führen a fortiori dazu, dass die angefochtene zürcherische Regelung, welche den Steuerwert nicht bloss auf 70%, sondern sogar auf in der Regel nur 60% des Verkehrswertes festlegt, ebenfalls aufzuheben ist. Unter diesen Umständen braucht nicht entschieden zu werden, in welchem Ausmass das Steuerharmonisierungsgesetz überhaupt heute bereits Wirkung entfaltet (vgl. vorne E. 2). | 6,538 | 5,024 | 2 | 0 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-124-I-145_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=25&from_date=&to_date=&from_year=1998&to_year=1998&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=241&highlight_docid=atf%3A%2F%2F124-I-145%3Ade&number_of_ranks=320&azaclir=clir | BGE_124_I_145 |
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ab Seite 124
BGE 96 III 124 S. 124
A.-
La maison Stromeyer Kohlenhandel AG a introduit contre Raymond Jubin, à Courgenay, une poursuite en réalisation d'un gage constitué par une cédule hypothécaire qui appartient à la société Von Dach Frères SA, dont Raymond Jubin est l'unique administrateur.
Le 16 juin 1970, l'Office des poursuites de Porrentruy a informé Raymond Jubin qu'il avait reçu une réquisition de vente. Il n'a pas adressé un pareil avis à Von Dach Frères SA Le 28 août, il a communiqué à Raymond Jubin et à Von Dach Frères SA un exemplaire de la publication de la vente aux enchères de la cédule hypothécaire.
B.-
Le 2 septembre 1970, Von Dach Frères SA a porté plainte à l'autorité de surveillance. Elle a conclu à ce que l'office
BGE 96 III 124 S. 125
des poursuites fût invité à lui notifier un avis de réception de la réquisition de vente et à surseoir à la publication de la vente. Statuant le 15 septembre 1970, l'Autorité de surveillance pour les offices des poursuites et des faillites du canton de Berne a rejeté la plainte.
C.-
Contre cette décision, Von Dach Frères SA recourt au Tribunal fédéral et reprend les conclusions de sa plainte. | 288 | 241 | Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 155 al. 2 LP, l'office informe dans les trois jours le débiteur de la réquisition de vente. Il est aussi tenu, bien que la loi ne le précise pas, de communiquer le même avis au tiers propriétaire du gage (JAEGER, n. 5 à l'art. 155 LP). Ce dernier ne saurait toutefois se prévaloir de l'omission d'un tel avis pour s'opposer, jusqu'à ce qu'elle soit réparée, aux opérations subséquentes de la poursuite en cours, lorsqu'il a eu connaissance de la réquisition de vente suffisamment tôt pour sauvegarder ses intérêts. A cet égard, la situation est analogue à celle du débiteur qui, bien que n'ayant pas reçu l'avis de saisie prévu par l'art. 90 LP, ne peut porter plainte contre la saisie, s'il y a effectivement assisté et s'il a été ainsi en mesure de faire valoir ses droits (RO 79 III 152, 89 IV 80/81).
2.
En l'espèce, Raymond Jubin a reçu l'avis de réception de la réquisition de vente plus d'un mois avant qu'un exemplaire de la publication de la vente aux enchères lui soit communiqué. Comme il est administrateur unique de la recourante, on doit admettre que celle-ci a également appris que la créancière avait adressé une réquisition de vente à l'office des poursuites. Elle a donc été à même de prendre en temps utile toutes les mesures qu'elle jugeait nécessaires. Cela étant, elle ne peut pas, après avoir reçu un exemplaire de la publication de la vente aux enchères, exiger par la voie de la plainte que l'office sursoie à cette publication et lui transmette un avis de réception de la réquisition de vente. | 377 | 335 | Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours. | 24 | 19 | CH_BGE_005 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_005_BGE-96-III-124_1970 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=9&from_date=&to_date=&from_year=1970&to_year=1970&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=81&highlight_docid=atf%3A%2F%2F96-III-124%3Ade&number_of_ranks=283&azaclir=clir | BGE_96_III_124 |
||
00c26635-ab21-4a98-afd7-2d72df9b1e31 | 1 | 78 | 1,350,647 | null | 2,024 | de | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 84 I 1 S. 1
A.-
Mit Tauschvertrag vom 18. Dezember 1956 übertrug Maurermeister Gottfried Benz ein am 9. Mai 1953 erworbenes, aus einem Bauernhaus mit 221,52 a Land bestehendes Heimwesen in Spiez an die Petunia AG gegen Überlassung von 48,50 a Wiesland in Wilderswil.
BGE 84 I 1 S. 2
Die Vertragsparteien ersuchten den Regierungsstatthalter von Niedersimmental um Abkürzung der Sperrfrist des
Art. 218 OR
für die Liegenschaft in Spiez, wurden aber abgewiesen. Hiegegen rekurrierten sie an die Landwirtschaftsdirektion des Kantons Bern mit dem Begehren um Feststellung, dass der Tauschvertrag überhaupt nicht unter die Sperrfrist falle, eventuell um Abkürzung der Sperrfrist.
Die Landwirtschaftsdirektion wies den Rekurs am 27. Dezember 1957 ab. Sie ging davon aus, dass der Verkehrswert der Liegenschaft in Spiez nicht wesentlich höher liege als der Ertragswert von Fr. 20'490.--, während das Grundstück in Wilderswil einen Ertragswert von Fr. 2760.-- und einen Verkehrswert von Fr. 19'400.-- habe. Entgegen der Behauptung der Rekurrenten handle es sich bei der Liegenschaft in Spiez um ein landwirtschaftliches Grundstück im Sinne von
Art. 218 Abs. 1 OR
, nicht um Bauland im Sinne von Abs. 2. Unter letzterem sei baureifes Land zu verstehen, das durch Kanalisation, Wasser- und Lichtleitungen, Verbindungsstrassen usw. für die Überbauung erschlossen sei. Das treffe bei der Liegenschaft in Spiez nicht zu (wird näher ausgeführt). Als Veräusserung im Sinne von
Art. 218 Abs. 1 OR
habe sodann nicht nur der Kauf, sondern jede Form der Eigentumsübertragung zu gelten, also auch der Tausch, da sonst Umgehungsgeschäfte allzu leicht möglich wären. Eine Ausnahme von der Sperrfrist könnte nur gemacht werden beim Tausch gleich grosser und gleichwertiger landwirtschaftlicher Liegenschaften zu Arrondierungszwecken. Von einem solchen reinen Tausch könne aber hier nicht gesprochen werden angesichts der verschiedenen Werte und Grössen der Liegenschaften. Schliesslich seien auch keine wichtigen Gründe im Sinne des (als Ausnahmebestimmung eher restriktiv auszulegenden)
Art. 218bis OR
für die Abkürzung der zehnjährigen Sperrfrist vorhanden. Die bedrängte Lage des Veräusserers gebe, zumal wenn sie wie hier selbst verschuldet sei, keinen Freibrief für eine vorzeitige Veräusserung.
BGE 84 I 1 S. 3
Aus dem Wortlaut von
Art. 218bis OR
ergebe sich, dass nicht jeder vorzeitige Verkauf zur Verhinderung einer Zwangsverwertung gestattet werden müsse. Eine Abkürzung der Sperrfrist liesse sich im vorliegenden Falle höchstens rechtfertigen, wenn das Heimwesen an einen Selbstbewirtschafter veräussert würde.
B.-
Gegen diesen Entscheid führen Gottfried Benz und die Petunia AG staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
(Willkür).
C.-
Die Landwirtschaftsdirektion des Kantons Bern beantragt die Abweisung der Beschwerde. | 652 | 483 | Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1./3. - (Prozessuales).
4.
Die in
Art. 218 Abs. 1 OR
aufgestellte Sperrfrist für die Weiterveräusserung von landwirtschaftlichen Grundstücken ist nach Abs. 2 u.a. auf "Bauland" nicht anwendbar. Während der Begriff des "landwirtschaftlichen Grundstücks" in Art. 1 Abs. 2 VO vom 16. November 1945 über die Verhütung der Überschuldung landwirtschaftlicher Liegenschaften näher umschrieben wird, wurde der Begriff "Bauland" in keinem eidgenössischen Erlass über das ländliche Bodenrecht, insbesondere auch nicht im EGG, durch das die
Art. 218-218ter OR
ihre heutige Fassung erhielten, noch in der Botschaft dazu (BBl 1948 I 21 ff.) oder in der parlamentarischen Beratung definiert. Es ist daher Aufgabe der mit der Anwendung des EGG betrauten Behörden, diesen Begriff zu bestimmen und auf Grund der konkreten Verhältnisse zu entscheiden, ob ein Grundstück als Bauland zu gelten habe.
Nach der Auffassung der Landwirtschaftsdirektion handelt es sich bei der Liegenschaft in Spiez deshalb nicht um Bauland, weil sie noch nicht durch Kanalisation, Wasserzuleitung und hinreichende Zufahrtsstrassen für die Überbauung erschlossen ist. Die Beschwerdeführer bestreiten das Fehlen solcher Erschliessung nicht, behaupten aber, für die Qualifizierung als Bauland komme es ausschliesslich
BGE 84 I 1 S. 4
auf die Absicht des Eigentümers an, die Liegenschaft zu überbauen oder zum Zwecke der Überbauung zu veräussern.
Die blosse Absicht, ein Grundstück in näherer oder weiterer Zukunft zu überbauen, vermag ihm jedoch, wie ohne jede Willkür angenommen werden kann, den Charakter von Bauland noch nicht zu verleihen, da es der Eigentümer sonst in der Hand hätte, die Sperrfrist dadurch zu umgehen, dass er behauptet, er beabsichtige zu bauen. Diese Absicht könnte höchstens genügen, wenn ein konkretes Bauprojekt vorläge, dessen Ausführung unmittelbar bevorsteht und als gesichert erscheint. Dass ein solches Projekt bestehe, haben die Beschwerdeführer aber nie behauptet und noch weniger dargetan. Dann ist es aber jedenfalls nicht willkürlich, wenn die Landwirtschaftsdirektion den Baulandcharakter mangels baulicher Erschliessung des Grundstücks verneinte. Dass es darauf ankomme, ob das Land baureif und erschlossen sei, hat auch der Regierungsrat des Kantons Aargau in mehreren Entscheiden angenommen. Das Bundesgericht hat dazu in den nicht veröffentlichten Urteilen vom 2. März 1955 i.S. Rechsteiner und Ochsner, vom 30. Mai 1956 i.S. Lüscher und vom 31. Oktober 1956 i.S. Stutz (je Erw. 3) ausgeführt, es möge zwar diskutabel sein, ob die Erschliessung das richtige Kriterium sei; diese Auffassung halte jedoch dem Vorwurfe der Willkür stand, denn sie werde durch den Wortlaut des Gesetzes nicht ausgeschlossen, trage dem Gesetzeszweck, den bäuerlichen Grundbesitz zu schützen und zu erhalten und die Spekulation mit solchem zu bekämpfen, am wirksamsten Rechnung und werde auch in der Literatur (KAUFMANN, Das neue ländliche Bodenrecht der Schweiz, S. 105 und 218) vertreten. Mit der von den Beschwerdeführern zitierten Ansichtsäusserung des st.gallischen Volkswirtschaftsdepartements (ZBGR 1954 S. 151/2) lässt sich die behauptete gegenteilige communis opinio nicht dartun, denn sie betrifft lediglich die Frage, ob nur dort von Bauland die Rede sein könne, wo Bauzonen ausgeschieden sind. Zudem kann auch eine von der
BGE 84 I 1 S. 5
herrschenden Meinung abweichende Gesetzesauslegung nicht als willkürlich bezeichnet werden, sofern sie mit dem Wortlaut sowie mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar ist, wie es hier zutrifft.
Die angefochtene Gesetzesauslegung erscheint umso weniger als willkürlich, als die Erwerberin Petunia AG das mit Vertrag vom 18. Dezember 1956 eingetauschte Grundstück in Spiez nicht zur Überbauung behalten, sondern schon Ende Dezember 1956 an die (ihr angeblich nahestehende) Aarhalde AG weiterveräussert hat. Sie begründet das mit der Verlegung ihres Sitzes in den Kanton Waadt, tut aber nicht dar, warum deswegen die Überbauung durch sie selber nicht möglich gewesen wäre, noch behauptet sie, sie habe das zur Zeit des Abschlusses des Tauschvertrages noch nicht gewusst. Unter diesen Umständen drängt sich die Annahme auf, dass sie die Liegenschaft nicht zur Überbauung, sondern zur sofortigen Weiterveräusserung erworben hat. Gerade gegen derartige spekulative Geschäfte richtet sich aber die Sperrfrist des
Art. 218 OR
.
5.
Nach seinem Wortlaut erfasst
Art. 218 OR
nicht nur den Verkauf landwirtschaftlicher Grundstücke, sondern die Veräusserung schlechthin. Dass darunter auch der Tausch fällt, bestreiten die Beschwerdeführer nicht. Sie machen aber geltend, es sei willkürlich,
Art. 218 OR
auch auf den Tausch ungefähr gleich grosser und gleichwertiger Grundstücke anzuwenden. Die Landwirtschaftsdirektion hat jedoch angenommen, dass ein solcher Tausch nicht vorliege, da Art und Flächeninhalt der hier ausgetauschten Liegenschaften grosse Unterschiede aufweisen. Wieso diese Annahme unhaltbar, willkürlich sein soll, wird in der Beschwerde nicht darzutun versucht und ist auch nicht ersichtlich.
6.
Für den Fall der Anwendbarkeit der Sperrfrist auf das vorliegende Tauschgeschäft rügen die Beschwerdeführer als Willkür, dass es die Landwirtschaftsdirektion ablehne, ihnen auf Grund von
Art. 218bis OR
die vorzeitige
BGE 84 I 1 S. 6
Veräusserung zu bewilligen. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde eine solche Ausnahmebewilligung aus wichtigen Gründen, wie namentlich zur Verhinderung einer Zwangsverwertung, erteilen. Somit ist die Erteilung der Ausnahmebewilligung in ihr Ermessen gestellt und könnte daher das Bundesgericht auf Grund von
Art. 4 BV
nur einschreiten, wenn die Behörde ihr Ermessen offensichtlich überschritten oder missbraucht hätte. Das ist aber im vorliegenden Falle nicht dargetan. Es steht nicht einmal mit Sicherheit fest, dass die Liegenschaft in Spiez ohne den Tauschvertrag zur Zwangsverwertung kommen wird. Die Beschwerdeführer machen in dieser Beziehung nur geltend, dass Benz in den Jahren 1956 und 1957 mit Fr. 1046.40 und Fr. 706.85 Hypothekarzinsen in Rückstand gekommen sei, diese Beträge nicht bezahlen könne und für einen Teil derselben schon betrieben sei. Sie haben aber nicht dargetan, warum es Benz bei gutem Willen nicht möglich wäre, die Zwangsverwertung auch ohne Veräusserung der Liegenschaft abzuwenden, und haben keine Angaben über seine Einkommens- oder Vermögensverhältnisse gemacht, während die Landwirtschaftsdirektion in der Beschwerdeantwort ausführt, Benz sei ständig für kleinere Beträge betrieben, habe sie aber dann jeweils doch bezahlen können und sollte bei seinem Einkommen als Maurermeister auch jetzt dazu in der Lage sein. Übrigens ist nicht einzusehen, wieso das Tauschgeschäft seine finanzielle Lage verbessern sollte, da es sich um einen Tausch ohne Aufgeld handelt und die Liegenschaft in Wilderswil, die Benz eintauscht, mit einer gleich hohen Grundpfandschuld belastet ist wie diejenige in Spiez. Seine Schwierigkeiten inbezug auf die Zahlung der Hypothekarzinsen werden daher durch den Tausch nicht behoben, sondern lediglich von einer Liegenschaft auf die andere verlegt. Unter solchen Umständen lässt sich aber die Verweigerung der ins Ermessen der kantonalen Behörden gestellten Abkürzung der Sperrfrist jedenfalls nicht als willkürlich bezeichnen, ohne dass zu prüfen ist, ob wichtige Gründe im Sinne
BGE 84 I 1 S. 7
von
Art. 218bis OR
nicht nur beim Veräusserer, sondern auch beim Erwerber vorliegen müssen, wie die Landwirtschaftsdirektion anzunehmen scheint (vgl. dazu das nicht veröffentlichte Urteil vom 31. Oktober 1956 i.S. Stutz S. 9). | 1,623 | 1,277 | Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | 17 | 13 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-84-I-1_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=16&from_date=&to_date=&from_year=1958&to_year=1958&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=158&highlight_docid=atf%3A%2F%2F84-I-1%3Ade&number_of_ranks=206&azaclir=clir | BGE_84_I_1 |
||
00c4e106-30f6-4039-bc5f-92c919beffc0 | 1 | 83 | 1,335,922 | 883,612,800,000 | 1,998 | de | Sachverhalt
ab Seite 162
BGE 124 IV 162 S. 162
In den Ausgaben einer Wochenzeitung vom 18. Oktober 1990, 8. November 1990, 10. Januar 1991 und 11. April 1991 erschienen vier Artikel, in denen der als Verfasser zeichnende G. sich kritisch mit den Geschäftsgepflogenheiten unter anderem der A. AG und von B. auseinandersetzte. Diese erstatteten mit Eingabe vom 9. Juli 1991 gegen G. sowie gegen den damaligen Chefredaktor und Herausgeber X. Strafantrag wegen Kreditschädigung gemäss Art. 160 aStGB und wegen Widerhandlungen im Sinne von Art. 23 i.V.m. Art. 3 lit. a des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241).
BGE 124 IV 162 S. 163
Die Bezirksanwaltschaft III des Kantons Zürich erhob nach Durchführung einer umfangreichen Strafuntersuchung am 13. Februar 1995 gegen G. und X. Anklage wegen mehrfachen unlauteren Wettbewerbs im Sinne von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
, angeblich begangen als Mittäter durch verschiedene unrichtige, irreführende und/oder unnötig verletzende Äusserungen im Artikel vom 11. April 1991. In Bezug auf die übrigen drei Artikel sowie hinsichtlich des Vorwurfs der Kreditschädigung (Art. 160 aStGB) stellte die Bezirksanwaltschaft III gleichentags das Verfahren ein.
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte G. am 19. März 1997 wegen mehrfacher Widerhandlung im Sinne von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
zu einer Busse von 10'000 Franken, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr. G. wurde verpflichtet, der A. AG und B. eine Genugtuung von je Fr. 5'000.-- zu bezahlen.
G. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 20. Januar 1998 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich die von G. gegen das Urteil des Obergerichts erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
Die A. AG und B. stellen in ihrer Vernehmlassung den Antrag, die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Das Bundesgericht hat diese teilweise gutgeheissen. | 507 | 376 | Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
3.
Das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten (
Art. 1 UWG
). Unlauter und widerrechtlich ist jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst (
Art. 2 UWG
). Unlauter handelt unter anderem insbesondere, wer andere, ihre Waren, Werke, Leistungen, deren Preise oder ihre Geschäftsverhältnisse durch unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen herabsetzt (
Art. 3 lit. a UWG
). Wer vorsätzlich unlauteren Wettbewerb unter anderem nach
Art. 3 UWG
begeht, wird auf
BGE 124 IV 162 S. 164
Antrag mit Gefängnis oder Busse bis zu 100'000 Franken bestraft (
Art. 23 Satz 1 UWG
).
a) Dem Beschwerdeführer wird im Wesentlichen vorgeworfen, der von ihm verfasste Zeitungsartikel enthalte zum Nachteil der Beschwerdegegner 1 und 2 Tatsachenbehauptungen und Darstellungen, die teils nicht der Wahrheit entsprechen und teils durch Verdrehungen, Weglassungen und Suggerierung falscher Zusammenhänge irreführend oder unnötig verletzend seien. Dadurch seien die Beschwerdegegner 1 und 2 in unzulässiger, gegen Treu und Glauben verstossender Weise im Sinne des Schlechtmachens und Anschwärzens in ihrer Stellung im Wettbewerb beeinträchtigt worden.
aa) In der Anklageschrift der Bezirksanwaltschaft werden unter dem Anklagepunkt A. («Einzeldarstellungen») 18 Textpassagen aus dem 1 1/2 Seiten umfassenden Zeitungsartikel wiedergegeben, die nach Auffassung der Anklägerin tatbestandsmässig sind. Unter dem Anklagepunkt B. («Einzeldarstellungen im Zusammenhang») werden drei Eindrücke genannt, die der Leser aus einzelnen unter dem Anklagepunkt A. eingeklagten Textpassagen gewinne, nämlich dass erstens die Beschwerdegegnerin 1 als Produktionsbetrieb nicht überlebensfähig sei, weil entscheidende Grundlagen für Bestand und Fortführung der angestammten Unternehmenstätigkeit nicht mehr vorhanden seien; dass zweitens die Schliessung der Beschwerdegegnerin 1 als eigenständiger Betrieb in Aussicht stehe, da die massgebliche Unternehmensleitung es anscheinend auf die Schliessung angelegt und die Substanz im Auge habe; dass drittens der Beschwerdegegner 2 ganz allgemein ein unfähiger und unredlicher Unternehmer sei.
bb) Die Vorinstanz und die 1. Instanz setzten sich eingehend mit den inkriminierten Äusserungen im Einzelnen und im Gesamtzusammenhang des Artikels auseinander. Sie legten dar, wie der unbefangene Leser die einzelnen Textpassagen im Gesamtzusammenhang verstehen musste, und sie befassten sich dabei auch eingehend mit den vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Einwänden. Die kantonalen Instanzen führten aus, inwiefern und weshalb die so verstandenen Textpassagen grösstenteils unrichtig und im Übrigen jedenfalls zumindest irreführend seien. Sie legten dar, weshalb und inwieweit der Beschwerdeführer um die Unrichtigkeit etc. gewusst bzw. diese zumindest in Kauf genommen habe.
cc) Die 1. Instanz legte dar, inwiefern der Beschwerdeführer durch die eingeklagten «Einzeldarstellungen» und durch die eingeklagten «Einzeldarstellungen im Zusammenhang» den Tatbestand des
BGE 124 IV 162 S. 165
unlauteren Wettbewerbs im Sinne von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
erfüllt habe. Sie sprach den Beschwerdeführer in Bezug auf 12 von 18 eingeklagten «Einzeldarstellungen» und in Bezug auf eine der drei eingeklagten «Einzeldarstellungen im Zusammenhang» frei und verurteilte ihn in den übrigen Anklagepunkten wegen mehrfacher Widerhandlung im Sinne von Art. 3 lit. a i.V.m.
Art. 23 UWG
.
dd) Die Vorinstanz lehnt es demgegenüber ab, die verschiedenen eingeklagten Äusserungen, soweit sie ihres Erachtens unrichtig etc. sind und der Beschwerdeführer dies zumindest in Kauf genommen hat, jeweils einzeln unter dem Gesichtspunkt von
Art. 3 lit. a UWG
zu prüfen. Sie stellt vielmehr auf das negative «Gesamtbild» ab, welches durch den Zeitungsartikel über die Beschwerdegegner 1 und 2 ihres Erachtens gezeichnet worden ist. Sie führt aus, wer den gesamten Zeitungsartikel vom 11. April 1991 lese, erhalte den Eindruck, der Beschwerdegegner 2 habe es darauf abgesehen, die von ihm beherrschte Beschwerdegegnerin 1 zu schliessen und damit die ganze Belegschaft zu entlassen, ohne dazu aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen gewesen zu sein. Nicht zuletzt habe sich der Beschwerdegegner 2 damit einen persönlichen Vorteil erhofft. Im Zeitungsartikel werde das finanzielle Fundament der Beschwerdegegnerin 1 als äusserst schlecht dargestellt, weshalb von Seiten der Banken zu unüblichen Mitteln habe gegriffen werden müssen. Der Beschwerdegegner 2 werde aufgrund des ganzen Textes auch sonst in einem negativen Licht dargestellt, indem der Eindruck erweckt werde, er habe sich auf dem Wege zur Erreichung des suggerierten Ziels unredlicher Machenschaften bedient. Die Vorinstanz führt eine Reihe von «sinngemässen und als unrichtig oder zumindest irreführend anzusehenden Behauptungen» des Beschwerdeführers an, welche das ungünstige Gesamtbild «prägen», und nennt sodann verschiedene für sich nicht in jedem Fall zu beanstandende Äusserungen, durch die «das im Artikel gezeichnete negative Bild ... abgerundet» wird. Die Vorinstanz hält fest, dass «die erwähnte Kernaussage» des Zeitungsartikels vom 11. April 1991 den objektiven Tatbestand von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
erfülle, werde doch dem Leser und Mitbewerber ein negatives Bild der Beschwerdegegner 1 und 2 entworfen, welches einen erheblichen Einfluss auf deren Stellung im wirtschaftlichen Wettbewerb haben könne.
Gemäss den weiteren Ausführungen der Vorinstanz ist auch der subjektive Tatbestand von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
zweifellos erfüllt. Der Beschwerdeführer habe die falschen Darstellungen zumindest in Kauf genommen. Er habe abschätzen können, welcher
BGE 124 IV 162 S. 166
Eindruck beim Durchschnittsleser entstehen könnte. Dies gelte bezüglich einzelner Äusserungen, aber insbesondere auch hinsichtlich des gesamten Artikels. Der Beschwerdeführer habe zumindest in Kauf genommen, die Beschwerdegegner 1 und 2 in ihren Leistungen oder Geschäftsverhältnissen herabzusetzen. Selbst wenn er einzelne Auskünfte erhalten haben sollte, welche seine Behauptungen im inkriminierten Text zu unterstützen vermöchten, habe es sich um Teilbereiche gehandelt, mit denen sich das im Artikel zum Ausdruck kommende Gesamturteil nicht begründen liesse. Das vom Beschwerdeführer gezeichnete Bild liesse sich auch diesfalls nicht rechtfertigen, da so oder so falsche Darstellungen verblieben. Der Beschwerdeführer habe jedenfalls gewusst, dass das von ihm vermittelte Gesamtbild aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnisse nicht stimmen konnte. Selbst wenn man ihm zubilligen wollte, Anhaltspunkte für die Feststellung gefunden zu haben, der Beschwerdegegner 2 scheine - zu einem bestimmten Zeitpunkt - am Garnverkauf gar nicht interessiert zu sein, hätte ihn dies keinesfalls zu der von ihm gezogenen Schlussfolgerung berechtigt. Dass unternehmerische Entscheide zur Frage gestanden hätten, die durchaus diskutabel und für einen Aussenstehenden auf den ersten Blick teilweise nicht nachvollziehbar gewesen seien, sei das eine; einer diesbezüglichen Kritik habe nichts im Wege gestanden. Was der Beschwerdeführer dem Leser jedoch als Begründung für das Verhalten der Leitung der Beschwerdegegnerin 1 präsentiert habe, sei eine Folgerung, welche letztlich auf einer blossen Vermutung beruhe und deshalb in der dargestellten Weise unzulässig sei, worüber sich der Beschwerdeführer als erfahrener Journalist im Klaren gewesen sei. Dass mit der (gesamten) Publikation des Zeitungsartikels vom 11. April 1991 die Beschwerdegegner 1 und 2 im wirtschaftlichen Wettbewerb erheblich herabgesetzt worden seien, habe sich dem Beschwerdeführer als derart wahrscheinlich aufgedrängt, dass daraus zwingend geschlossen werden müsse, er habe diesen Erfolg gebilligt.
Die Vorinstanz sieht in der Schaffung des negativen Gesamtbildes eine einzige Tat. Zwar hat auch sie den Beschwerdeführer wegen mehrfacher Widerhandlung im Sinne von Art. 3 lit. a i.V.m.
Art. 23 UWG
verurteilt. Dies wird im angefochtenen Entscheid aber allein damit begründet, dass mehrere Personen geschädigt worden seien. «Im Verhältnis jedes einzelnen Geschädigten» liegt nach Auffassung der Vorinstanz «dagegen eine Tateinheit vor, welche in der Gesamtheit des Presseartikels zum Ausdruck kommt». Soweit der
BGE 124 IV 162 S. 167
Anklage und dem erstinstanzlichen Entscheid die gegenteilige Auffassung zugrunde liege, sei dies richtig zu stellen. Da die Vorinstanz es ausdrücklich ablehnt, die insgesamt 21 Anklagepunkte einzeln zu beurteilen, nimmt sie, im Unterschied zur 1. Instanz, auch in ihrem Urteilsdispositiv nicht auf die einzelnen Anklagepunkte Bezug.
Dieser Betrachtungsweise der Vorinstanz kann nach den zutreffenden Einwänden in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht gefolgt werden. Im angefochtenen Urteil fehlt u.a. die erforderliche klare Trennung zwischen der Interpretation einer Äusserung anhand des Gesamtzusammenhangs einerseits und der anschliessenden rechtlichen Beurteilung der fraglichen Äusserung andererseits.
b) aa) Strafbare Handlung im Sinne von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
ist nicht die Schaffung eines unrichtigen negativen «Gesamtbildes» durch die im Zeitungsartikel enthaltenen Äusserungen. Straftaten im Sinne von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
sind vielmehr Äusserungen, soweit sie den Betroffenen als Teilnehmer am wirtschaftlichen Wettbewerb herabsetzen, unrichtig, irreführend oder unnötig verletzend sind und der Urheber der Äusserung dies weiss oder zumindest in Kauf nimmt. Das durch den Zeitungsartikel gezeichnete «Gesamtbild» bzw. der dadurch geschaffene «Gesamteindruck» ist insoweit bloss, aber immerhin für die Interpretation der einzelnen eingeklagten Äusserungen von Bedeutung, d.h. für die Beantwortung der Rechtsfrage, wie der unbefangene Leser die einzelnen eingeklagten Äusserungen im Gesamtzusammenhang versteht.
bb) Das Bundesgericht beurteilt denn auch bei Äusserungsdelikten, etwa bei Ehrverletzungen gemäss
Art. 173 ff. StGB
und bei herabsetzenden Äusserungen im Sinne von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
, die einzelnen eingeklagten Äusserungen, so wie sie vom Adressaten im Gesamtzusammenhang verstanden werden (siehe zum Beispiel
BGE 117 IV 193
E. 3 S. 198 ff.;
BGE 118 IV 153
ff.;
BGE 121 IV 76
E. 2a S. 82 f.; Urteil des Kassationshofes vom 13. Dezember 1994, wiedergegeben in SMI 1995 438 ff.; vgl. auch SCHUBARTH, Grundfragen des Medienstrafrechtes im Lichte der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung, ZStrR 113/1995 S. 141 ff., 154 ff., mit Hinweisen auf weitere Entscheide). Das gilt unabhängig davon, ob beispielsweise ein Zeitungsartikel nur einige wenige oder aber viele angeblich tatbestandsmässige Äusserungen enthält. Auch im letzteren Falle sind die einzelnen Äusserungen die Straftaten, nicht die Schaffung eines «Gesamtbildes» durch den Zeitungsartikel.
BGE 124 IV 162 S. 168
cc) Es ist dem Richter aber von Bundesrechts wegen unbenommen und kann im übrigen sinnvoll sein, eine Vielzahl von eingeklagten Textpassagen, soweit möglich, zu einigen Aussagen zusammenzufassen, die seines Erachtens der Leser daraus entnimmt. So ist die Vorinstanz im Grunde verfahren, indem sie in ihrem Urteil einerseits die ihres Erachtens «sinngemässen und als unrichtig oder zumindest irreführend anzusehenden Behauptungen» des Beschwerdeführers aufzählte, welche das ungünstige Gesamtbild prägen, und andererseits die Eindrücke beschrieb, die ihres Erachtens der Leser des ganzen Zeitungsartikels gewinnt. Die Vorinstanz hat es aber unterlassen, diese ihres Erachtens sinngemässen bzw. nach dem Eindruck des Lesers im Artikel enthaltenen Äusserungen unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 lit. a i.V.m.
Art. 23 UWG
strafrechtlich zu beurteilen, und sie hat stattdessen zu Unrecht ein durch den Zeitungsartikel insgesamt geschaffenes «Gesamtbild» beurteilt.
dd) Aus dem angefochtenen Urteil geht im Übrigen nicht hervor, worin das durch den Zeitungsartikel geschaffene «Gesamtbild» nach der Auffassung der Vorinstanz besteht, ausser darin, dass es für die Betroffenen «negativ» bzw. «ungünstig» ist. Unklar ist auch, inwiefern dieses nicht näher beschriebene Gesamtbild die Beschwerdegegnerin 1 und inwiefern es den Beschwerdegegner 2 betreffe. Aus den vorinstanzlichen Erwägungen ergibt sich nur, dass das negative Gesamtbild durch die im angefochtenen Urteil aufgelisteten, sinngemässen und als unrichtig oder zumindest irreführend anzusehenden Behauptungen des Beschwerdeführers «geprägt» und durch die im angefochtenen Entscheid im Sinne von Beispielen genannten weiteren Äusserungen «abgerundet» wird, dass mit andern Worten das «negative Bild ... durch eine Anreihung verschiedener unwahrer, halbwahrer oder auch bloss missverständlicher Behauptungen erzeugt (wird)» und dem «Leser ... im wesentlichen der damit vermittelte Gesamteindruck haften (bleibt), weshalb dieser für die rechtliche Bedeutung entscheidend ins Gewicht fällt». Worin dieser dem Leser vermittelte «Gesamteindruck» aber besteht, ergibt sich aus den vorinstanzlichen Erwägungen nicht. Sowohl das «Gesamtbild» als auch der «Gesamteindruck», die nach der Auffassung der Vorinstanz durch den Zeitungsartikel geschaffen bzw. erweckt werden, sind mithin unklar.
ee) Wohl kann die Wirkung eines Zeitungsartikels für die davon Betroffenen umso nachteiliger und nachhaltiger sein, je mehr negative Äusserungen darin enthalten sind. Strafbare Handlungen im Sinne von Art. 3 lit. a i.V.m.
Art. 23 UWG
sind aber die Äusserungen.
BGE 124 IV 162 S. 169
Ihre Gesamtwirkung ist strafrechtlich allenfalls bei der Strafzumessung von Bedeutung.
c) Indem die Vorinstanz die relevante Tathandlung in der Schaffung eines nicht näher beschriebenen, unrichtigen negativen «Gesamtbildes» durch den Zeitungsartikel erblickt, die Unlauterkeit im Sinne von
Art. 3 lit. a UWG
darin sieht, dass durch dieses Gesamtbild die Beschwerdegegner 1 und 2 im wirtschaftlichen Wettbewerb erheblich herabgesetzt worden seien, und den Vorsatz damit begründet, dass der Beschwerdeführer um die Unrichtigkeit des Gesamtbildes gewusst und die Herabsetzung im wirtschaftlichen Wettbewerb als Folge des negativen Gesamtbildes in Kauf genommen habe, hat sie Art. 3 lit. a i.V.m.
Art. 23 UWG
verletzt. Die Vorinstanz hätte nicht ein durch den Zeitungsartikel insgesamt geschaffenes Gesamtbild rechtlich beurteilen dürfen. Vielmehr hätte sie darlegen müssen, inwiefern der Beschwerdeführer durch bestimmte Äusserungen, sei es durch die in der Anklage unter den Anklagepunkten A. («Einzeldarstellungen») und/oder B. («Einzeldarstellungen im Zusammenhang») eingeklagten Äusserungen, sei es durch die ihres Erachtens das ungünstige Gesamtbild prägenden, sinngemässen und als unrichtig oder zumindest irreführend anzusehenden Behauptungen des Beschwerdeführers, sei es durch die Äusserungen, die ihres Erachtens der Zeitungsartikel nach dem Eindruck des Lesers enthält, sei es durch bestimmte, konkret zu benennende «Kernaussagen», den Straftatbestand von Art. 3 lit. a i.V.m.
Art. 23 UWG
unter Beachtung der massgeblichen Auslegungsgrundsätze objektiv und subjektiv erfüllt habe.
Der Kassationshof kann diese Fragen im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht selbst beurteilen, weil es insoweit an einem letztinstanzlichen kantonalen Entscheid fehlt.
Die Sache ist daher in teilweiser Gutheissung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Punkt an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird im neuen Verfahren darlegen, inwiefern sich der Beschwerdeführer durch welche Äusserungen im Sinne der vorstehenden Erwägung der Widerhandlung gemäss Art. 3 lit. a i.V.m.
Art. 23 UWG
schuldig gemacht habe. | 3,379 | 2,618 | 2 | 0 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-124-IV-162_1998 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=14&from_date=&to_date=&from_year=1998&to_year=1998&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=136&highlight_docid=atf%3A%2F%2F124-IV-162%3Ade&number_of_ranks=320&azaclir=clir | BGE_124_IV_162 |
|||
00c527fe-a608-4f8e-8cd5-114469db4d0f | 2 | 83 | 1,361,545 | null | 2,024 | fr | Sachverhalt
ab Seite 263
BGE 102 IV 263 S. 263
A.-
X. fait exploiter à Lausanne, sous le nom de "permanence dentaire", des cabinets dentaires, qui sont ouverts de 8 à 22 h. du lundi au vendredi, de 9 à 12 h. et de 15 à 18 h. les samedis, dimanches et jours fériés.
La Société vaudoise des médecins-dentistes (SVMD) a déposé une plainte pour concurrence déloyale en lui reprochant d'utiliser le terme "permanence" pour désigner ses cabinets dentaires, et en soutenant que cet usage est de nature à créer auprès du public l'idée fausse que le cabinet est ouvert à toute heure du jour et de la nuit.
B.-
Le 18 juin 1976, le Juge informateur de Lausanne a rendu une ordonnance de non-lieu.
Le 26 août 1976, le Tribunal d'accusation du Tribunal cantonal du canton de Vaud a confirmé cette ordonnance et rejeté le recours interjeté par la SVMD.
BGE 102 IV 263 S. 264
C.-
La SVMD se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Elle conclut au renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle traduise X. en tribunal sous la prévention de concurrence déloyale. | 407 | 220 | Erwägungen
Considérant en droit:
a) Selon l'arrêt attaqué, il serait excessif de restreindre l'emploi du terme "permanence" aux seuls cabinets dentaires ouverts sans interruption et de le refuser pour désigner ceux dont l'horaire d'ouverture est sensiblement plus étendu que celui des autres, car le public ne fait généralement appel à un médecin-dentiste que durant la journée, voire dans la soirée, mais très exceptionnellement durant la nuit. Il n'est ainsi pas probable in casu, au vu des heures d'ouverture des cabinets de l'intimé, que le public soit induit en erreur par la désignation de "permanence", et cela d'autant plus que ce terme peut être interprété en ce sens que le cabinet ne ferme pas ses portes en l'absence de l'un de ses praticiens (vacances, service militaire, etc.) à la différence des cabinets indépendants.
La société recourante critique le raisonnement du Tribunal cantonal en invoquant la définition même du mot "permanence", ainsi que le sens que lui aurait donné le Tribunal fédéral en matière administrative dans une autre affaire concernant l'intimé et publiée aux
ATF 100 Ib 350
. Pour la recourante, la caractéristique d'une permanence est d'être ouverte 24 heures sur 24, et celui qui emploie cette désignation sans offrir des services réellement permanents donne sur son activité des renseignements qui trompent le public, lequel aura tendance à assimiler un cabinet ainsi désigné aux permanences médicales et chirurgicales officielles qui, elles, sont ouvertes sans interruption.
b) Que ce soit dans la langue courante ou dans les dictionnaires (cf. ROBERT, Dictionnaire alphabétique et analogique en 6 volumes, 1962), la permanence est le caractère de ce qui est durable, permanent, ou la longue durée de quelque chose; par extension, une permanence est un service chargé d'assurer le fonctionnement ininterrompu d'une administration, d'un organisme public ou privé (et ROBERT cite notamment comme exemple: les bureaux sont fermés le samedi, mais il y a une permanence); par extension, permanence désigne aussi le local
BGE 102 IV 263 S. 265
où fonctionne ce service. Quant à l'adjectif "permanent", il désigne ce qui dure, demeure sans discontinuer ni changer, soit éternellement, soit dans un certain espace de temps.
Au vu de ce qui précède, on doit constater que la longue durée déjà, de même que la continuité dans un certain espace de temps, autorise l'emploi du mot permanence, qui peut également servir à désigner un service ou un établissement qui fonctionne au-delà des heures des services ou établissements ordinaires, soit les jours où ceux-ci ne fonctionnent pas - ainsi la permanence d'une assemblée (cf. Nouveau Larousse illustré) -, et ceci sans que cela implique nécessairement un travail ininterrompu de 24 heures sur 24. L'exemple cité plus haut est particulièrement probant à cet égard: un service fonctionnant le samedi, alors que les bureaux sont fermés, peut être qualifié de permanence. De même, dans le langage commun, peut être désigné comme "permanent" un cinéma qui fonctionne pendant plusieurs heures sans discontinuer, sans que cela implique chez qui que ce soit l'idée d'une ouverture jour et nuit.
In casu, un cabinet dentaire qui, en plus des heures d'ouverture ordinaires, reste ouvert entre midi et 14 h., le soir jusqu'à 22 h., et les fins de semaine aux heures qui sont à peu près celles des cabinets ordinaires durant les jours ouvrables, assure incontestablement, et en bon français, une permanence. Certes, dans le domaine médical et chirurgical, "permanence" a, pour le public, le sens d'un établissement ouvert jour et nuit. Cela tient à l'urgence et à la gravité des cas qui peuvent se présenter et qui sont censés être traités à toute heure du jour et de la nuit. Mais, en matière dentaire, le caractère d'urgence du traitement n'est d'une manière très générale jamais tel que chacun attende d'une permanence qu'elle soit ouverte jour et nuit. Dès lors, l'emploi de la désignation litigieuse par l'intimé ne peut pas être qualifié d'indication inexacte et fallacieuse, au sens de l'art. 13 litt. b LCD. C'est donc à juste titre que la Cour cantonale a confirmé l'ordonnance de non-lieu rendue par le Juge instructeur.
c) C'est à tort et en vain, enfin, que la recourante se réfère à l'arrêt publié aux
ATF 100 Ib 350
, qui mentionne qu'une permanence est astreinte à fonctionner d'une manière ininterrompue 24 heures par jour. Cet arrêt, rendu par la Ire Cour civile du Tribunal fédéral, concerne une tout autre espèce. De
BGE 102 IV 263 S. 266
plus, cette "définition" de la permanence n'est ni une notion de droit fédéral, ni une définition se rapportant au sens du terme dans la langue française; ainsi que cela ressort clairement d'un autre arrêt rendu le même jour dans une affaire similaire, et publié aux pages précédentes du recueil officiel, cette "définition" est celle qui découle du règlement genevois de la loi sur l'exercice des professions médicales et auxiliaires (
ATF 100 Ib 347
). Or rien n'empêche les cantons, dans les limites de leur compétence en matière d'organisation sanitaire, de se montrer plus exigeants que le langage commun dans la définition de certains termes ou dans la réglementation de certaines activités. Mais rien de semblable n'est avancé en l'espèce à propos du canton de Vaud et de sa réglementation. | 1,975 | 997 | Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi. | 30 | 15 | CH_BGE_006 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_006_BGE-102-IV-263_nodate | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=4&from_date=&to_date=&from_year=1976&to_year=1976&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=34&highlight_docid=atf%3A%2F%2F102-IV-263%3Ade&number_of_ranks=354&azaclir=clir | BGE_102_IV_263 |
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00c52bdc-e0ac-457b-8fd1-9ff8d90683a0 | 1 | 78 | 1,347,241 | 31,536,000,000 | 1,971 | de | Sachverhalt
ab Seite 46
BGE 97 I 45 S. 46
A.-
§ 76 der zürcherischen Strafprozessordnung (StPO) lautet wie folgt:
"Die Untersuchungsverhafteten werden, wenn nicht besondere Gründe entgegenstehen, in Einzelhaft verwahrt.
Sie werden bezüglich Nahrung und Kleidung wie die zu Haft Verurteilten gehalten.
Im übrigen dürfen sie in ihrer Freiheit nicht mehr beschränkt werden, als der Zweck des Verhaftes es erfordert.
Ordnungswidriges Betragen des Verhafteten wird mit Ordnungsbusse oder mit den in der Hausordnung für die Bezirksgefängnisse vorgesehenen Disziplinarstrafen geahndet, und zwar während der Untersuchung vom Untersuchungsbeamten und nach Überweisung an das Gericht durch das letztere".
Die zürchereische Verordnung über die Bezirksgefängnisse vom 7. Februar 1963 (GefängnisVO) enthält hiezu folgende ergän zende Bestimmungen:
§ 60
"Untersuchungsgefangene können sich gemäss § 33 Absatz 2 selbst beschäftigen.
Die Untersuchungs- oder Anklagebehörde kann die Zuweisung von Arbeit schriftlich untersagen."
§ 33 Abs. 2 und 3
"Gefangene, die berechtigt sind, sich selbst Arbeit zu beschaffen..., können dies nur im Rahmen der Gefängnisordnung tun (insbesondere
BGE 97 I 45 S. 47
Einhaltung der Tagesordnung, Beschränkung hinsichtlich der Besuche und Briefe). Die Arbeit nach eigener Wahl ist in Einzelhaft auszuführen. Arbeiten, welche die Sicherheit des Gefängnisses oder den Zweck der Inhaftierung gefährden oder die der Verwaltung erhebliche zusätzliche Umtriebe verursachen, sind unzulässig.
Beschäftigt sich der hiezu berechtigte Gefangene nicht selber, so hat er die ihm zugewiesene Arbeit zu verrichten".
B.-
Frl. X. steht bei der Bezirksanwaltschaft Zürich in Strafuntersuchung und befindet sich seit 31. August 1970 in Untersuchungshaft. Ihr Verteidiger liess der Gefängnisverwaltung mit Zustimmung des zuständigen Bezirksanwalts Malutensilien zugehen mit der Bitte, diese der Untersuchungsgefangenen auszuhändigen. Die Wärterin lehnte dieses Begehren jedoch ab mit der Begründung, Frl. X. weigere sich, die ihr zugewiesenen Klebearbeiten auszuführen, weshalb ihr auch keine Freizeitbeschäftigung gestattet werden könne. Der Verteidiger stellte hierauf beim zuständigen Bezirksanwalt das förmliche Gesuch, es sei Frl. X. das erwähnte Malzeug auszuhändigen. Dieser wies indessen das Gesuch am 16. November 1970 ab und verwies zur Begründung auf die Vernehmlassung der Gefängnisverwaltung, in welcher ausgeführt wurde, dem Begehren könne mit Rücksicht auf die Gefängnisordnung nicht stattgegeben werden.
C.-
Frl. X. erhob gegen die Verfügung des Bezirksanwalts Rekurs bei der Justizdirektion mit dem Antrag, die Gefängnisverwaltung sei anzuweisen, ihr das Malen in der Untersuchungshaft zu gestatten. Die Justizdirektion wies den Rekurs am 2. Dezember 1970 ab, und zwar im wesentlichen mit folgender Begründung: Der angefochtene Entscheid des Bezirksanwalts stelle eine Disziplinarmassnahme dar. Der Rekurrentin werde das Malzeug vorenthalten, weil sie sich weigere, die ihr zugewiesene Arbeit zu verrichten. Hinsichtlich der Arbeitspflicht der Untersuchungsgefangenen gälten grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie für die Strafgefangenen, mit der Ausnahme, dass sich jene selbst eine Beschäftigung verschaffen könnten (§§ 33 und 60 GefängnisVO). Die Rekurrentin mache zu Unrecht geltend, die Arbeitspflicht der Untersuchungsgefangenen verstosse gegen die verfassungsmässig gewährleistete persönliche Freiheit. Wohl dürften die Untersuchungshäftlinge in ihrer Freiheit nicht mehr beschränkt werden, als es der Zweck der Verhaftung erfordere (
§ 76 Abs. 3 StPO
); ebenso sei richtig, dass diese Bestimmung bezwecke, den Untersuchungsgefangenen
BGE 97 I 45 S. 48
eine dem Leben ausserhalb der Anstalt möglichst angenäherte Lebensführung zu ermöglichen. Da jedoch die grosse Mehrheit der Bevölkerung einer auf den Erwerb ausgerichteten Arbeit nachgehe, dürften auch die Untersuchungsgefangenen zur Arbeit verhalten werden, da ihnen
§ 76 Abs. 3 StPO
keine grösseren Freiheiten gewährleiste, als sie der Bürger nach allgemein herrschender Überzeugung geniesse, zumal es heute noch einer ethisch begründeten Auffassung entspreche, dass ein gesunder Mensch im arbeitsfähigen Alter einer geordneten Beschäftigung nachzugehen habe; wer dies nicht tue, stehe ausserhalb der Gesellschaft. Die resozialisierende Wirkung der Arbeit solle im übrigen auch dem Untersuchungsgefangenen zuteil werden; dies gelte insbesondere für die zur Verwahrlosung neigenden Elemente, die keiner geordneten Arbeit nachgingen. Da mithin auch Untersuchungsgefangene zur Arbeit angehalten werden dürften, bleibe lediglich zu prüfen, ob die Rekurrentin ihrer Arbeitspflicht in genügendem Masse nachkomme, wenn sie sich durch Malen selbst beschäftige. Dies sei zu verneinen, denn sie habe eine kaufmännische Ausbildung genossen, so dass in der Malerei lediglich ein Zeitvertreib erblickt werden könne, der einer Erwerbstätigkeit, wie sie in der Freiheit üblich sei, offensichtlich nicht entspreche. Die Rekurrentin, welche ihrer Arbeitspflicht nicht nachkomme, sei daher disziplinarisch zu bestrafen. Die angefochtene Massnahme sei angemessen und gebe somit keinen Anlass zu Kritik.
D.- | 1,063 | 818 | Frl. X. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 7 KV). Sie beantragt, der Entscheid vom 2. Dezember 1970 sei aufzuheben und die Justizdirektion sei anzuweisen, ihr die freie Beschäftigung, namentlich das Malen, in der Untersuchungshaft zu gestatten. Die Beschwerdebegründung ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
E.-
Die Justizdirektion des Kantons Zürich beantragt in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Bezirksanwaltschaft Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Formelles).
2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der angefochtene Entscheid verstosse gegen die in Art. 7 KV gewährleistete
BGE 97 I 45 S. 49
persönliche Freiheit. Dieses Grundrecht gehört nach heute herrschender Auffassung dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes an (
BGE 95 I 359
,
BGE 90 I 34
Erw. 3,
BGE 89 I 98
Erw. 3). Die entsprechenden Garantien in den Kantonsverfassungen haben demnach keine selbständige Bedeutung, sofern sie nicht weiter gehen als die bundesrechtliche Gewährleistung. Dass dies für Art. 7 KV zutreffe, behauptet die Beschwerdeführerin mit Recht nicht. Zu prüfen bleibt demnach bloss, ob der angefochtene Entscheid vor dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes standhält.
3.
Das Bundesgericht hat im grundlegenden Entscheid
BGE 90 I 36
ausgeführt, dem Grundrecht der persönlichen Freiheit komme insoweit überragende Bedeutung zu, als es als notwendige Voraussetzung für die Ausübung der übrigen verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheitsrechte zu gelten habe; die persönliche Freiheit garantiere somit nicht bloss das Recht auf freie Bewegung bzw. körperliche Unversehrtheit, sondern schütze den Bürger vielmehr auch in der ihm eigenen Fähigkeit, eine bestimmte tatsächliche Begebenheit zu würdigen und danach zu handeln. Mit dieser Rechtsprechung hat sich das Bundesgericht zwar nicht die Auffassung GIACOMETTIS zu eigen gemacht, wonach die Verfassung - unter Vorbehalt ausdrücklicher Ausnahmen - überhaupt jede individuelle Freiheit gewährleistet, die durch einen staatlichen Eingriff je verletzt werden könnte (Z. GIACOMETTI, Die Freiheitsrechtskataloge als Kodifikation der Freiheit, ZSR 74/1955, S. 149 ff.; vgl. dazu auch Y. HANGARTNER, Die Freiheitsgarantie der Bundesverfassung, ZBl 70/1969, S. 337 ff.; kritisch JÖRG P. MÜLLER, Die Grundrechte der Verfassung und der Persönlichkeitsschutz des Privatrechts, Diss. Bern 1964, S. 134 ff., und P. SALADIN, Grundrechte im Wandel, Bern 1970, S. 289 sowie
BGE 96 I 107
, 223/4). Es hat sich jedoch im erwähnten Urteil
BGE 90 I 36
in unzweideutiger Weise zu einer Wertordnung bekannt, die es sich zur Aufgabe macht, "die Menschenwürde und den Eigenwert des Individuums sicherzustellen" (GIACOMETTI a.a.O., S. 165). Die in diesem Sinne institutionell verstandene persönliche Freiheit gewährleistet somit als verfassungsrechtlicher Leitgrundsatz alle Freiheiten, welche elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen; sie bietet auf diese Weise einen umfassenden Grundrechtsschutz, der sich auf den Inhalt und Umfang der übrigen verfassungsmässig gewährleisteten
BGE 97 I 45 S. 50
Freiheitsrechte entscheidend auswirkt. Die persönliche Freiheit in diesem Sinne ist zwar mit den andern Freiheitsrechten der Verfassung nicht identisch und kann deshalb grundsätzlich nicht zum Schutz gegen Beschränkungen derselben angerufen werden (
BGE 88 I 272
); sie gilt indessen als notwendige Voraussetzung für deren Ausübung und wirkt überdies als unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht in dem Sinne komplementär, als sich der Bürger in Fällen, in denen kein dem geschriebenen oder ungeschriebenen Verfassungsrecht angehörendes Freiheitsrecht in Frage steht, zum Schutz seiner Persönlichkeit und Menschenwürde auf sie berufen kann.
Die persönliche Freiheit gehört zum Kreis der unverzichtbaren und unverjährbaren Rechte (
BGE 90 I 37
mit Verweisungen). Daraus folgt namentlich, dass der Bürger dem Staate gegenüber nicht zum voraus und endgültig darauf verzichten kann. Das heisst indessen nicht, dass die persönliche Freiheit keinen Beschränkungen unterliegt. Eingriffe sind jedoch nur zulässig, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und wenn sie das Grundrecht überdies weder völlig unterdrücken noch seines Gehalts als fundamentale Institution unserer Rechtsordnung entleeren (
BGE 95 I 360
Erw. 2,
BGE 91 I 34
Erw. 2,
BGE 90 I 36
/7). Der Wesenskern der persönlichen Freiheit geniesst somit einen absoluten Schutz. Welche Beschränkungen vor der Freiheitsgarantie standhalten, lässt sich jedoch mit Rücksicht auf die dem Wandel unterworfene ethische Wertordnung und in Anbetracht der sich verändernden Sozialverhältnisse nicht ein für allemal verbindlich festsetzen. Ob staatliche Eingriffe mit der persönlichen Freiheit vereinbar sind, ist vielmehr von Fall zu Fall zu entscheiden (
BGE 90 I 37
). Als Leitidee hat dabei die Erhaltung eines Staatswesens zu gelten, welches dem Bürger in jedem Fall ein bestimmtes Mindestmass an persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten belässt. Ebenso sind der Entscheidung je nach den Verhältnissen des konkreten Falles die einer rechtsstaatlichen Freiheitsidee entsprechenden philosophischen und ethischen Prinzipien zugrunde zu legen, die jedoch ihrerseits gewissen Wandlungen unterworfen sein können. Weiter hat der Verfassungsrichter bei der Umschreibung der geschützten Freiheitssphäre den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten und eine Wertung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter und Interessen vorzunehmen. Nicht zuletzt hat er auch rechtsvergleichende Überlegungen
BGE 97 I 45 S. 51
anzustellen und nötigenfalls Grundsätze zu berücksichtigen, wie sie den von überstaatlichen Organisationen aufgestellten Normen innewohnen.
4.
Wohl obliegt die Mehrzahl der gesunden und arbeitsfähigen Bürger einer Erwerbstätigkeit, um daraus den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Eine Rechtspflicht hiezu besteht indessen grundsätzlich nicht (vgl. Art. 1 des Internationalen Übereinkommens von Genf über Zwangs- und Pflichtarbeit vom 28. Juni 1930; BS 14, S. 38 ff.). In der Tat entspricht es einer freiheitlichen abendländischen Rechtsauffassung, dass ein freier Bürger, dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse es ihm gestatten, auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten, grundsätzlich nicht zur Arbeit gezwungen werden darf (vgl. dazu auch Art. 4 Ziff. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (abgedruckt in BBl 1968, S. 1147 ff.), der die Schweiz allerdings noch nicht beigetreten ist; vgl. die entsprechende Botschaft des Bundesrats vom 9. Dezember 1968, BBl 1968, S. 1057). Dieser Grundsatz, der seine Rechtfertigung unmittelbar in der soeben umschriebenen persönlichen Freiheit (Erw. 3) findet, gilt indessen nicht schrankenlos. In den erwähnten internationalen Konventionen werden denn auch Verpflichtungen zu gewissen Arbeitsleistungen (namentlich solche der rechtskräftig verurteilten Strafgefangenen) ausdrücklich vorbehalten (Art. 2 Ziff. 2 des Übereinkommens vom 28. Juni 1930, BS 14, S. 39; Art. 4 Ziff. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, BBl 1968, S. 1148). Derartige Beschränkungen der persönlichen Freiheit halten indessen vor der Bundesverfassung nur stand, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen bzw. verhältnismässig sind und den Wesenskern der individuellen Freiheit unangetastet lassen. Nach diesen Grundsätzen ist somit im vorliegenden Fall zu prüfen, ob der Untersuchungsgefangene während der Untersuchungshaft zu Arbeitsleistungen verhalten werden darf.
a) Die Beschwerdeführerin steht als Untersuchungsgefangene in einem sog. besonderen Gewaltverhältnis zum Staat. Wohl bedarf die zwangsweise Begründung eines solchen Gewaltverhältnisses (z.B. Eintritt in den Militärdienst, Anstaltsversorgung, Einweisung in eine Strafanstalt) als Beschränkung der individuellen Freiheit in jedem Fall einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage, welche das Bundesgericht frei prüft, wenn
BGE 97 I 45 S. 52
die Freiheitsbeschränkung - was für den vorliegenden Fall offensichtlich zutrifft - besonders schwer wiegt (vgl.
BGE 90 I 39
Erw. 4 a.E.). Das Bundesgericht hat jedoch stets davon abgesehen, für jede einzelne Beschränkung der persönlichen Freiheit, die sich aus der Natur des in Frage stehenden besonderen Gewaltverhältnisses ergibt, eine entsprechende explizite gesetzliche Grundlage zu verlangen. Die Gewaltunterworfenen haben die sich aus dem Gewaltverhältnis notwendigerweise ergebenden Eingriffe in ihre individuelle Freiheit auf sich zu nehmen, unbekümmert darum, ob sie in einer Norm ausdrücklich vorgesehen sind (vgl. A. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 166). Selbst wenn davon auszugehen wäre, es sei in diesem Fall zum mindesten eine gesetzliche Generalklausel erforderlich, welche es dem Gewaltinhaber erlauben würde, die Freiheitssphäre des Gewaltunterworfenen angemessen zu beschränken (vgl. G. KÖHL, Die besonderen Gewaltverhältnisse im öffentlichen Recht, Diss. Zürich 1955, S. 92), so wäre im vorliegenden Fall eine hinreichende gesetzliche Grundlage vorhanden, denn
§ 76 Abs. 3 StPO
sieht vor, dass der Untersuchungsgefangene in seiner Freiheit beschränkt werden darf, soweit es der Zweck der Haft erfordert. Es braucht daher nicht geprüft zu werden, ob sich der umstrittene Arbeitszwang allenfalls unmittelbar auf die von der Justizdirektion angerufenen Bestimmungen der Gefängnisverordnung (§ 60 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 und 3) stützen liesse.
b) Die Zulässigkeit der angefochtenen Freiheitsbeschränkung hängt nach dem Gesagten entscheidend davon ab, ob sie als verhältnismässig bezeichnet werden kann, d.h. ob das öffentliche Interesse an der Durchführung einer auf die Erforschung der materiellen Wahrheit ausgerichteten Strafuntersuchung eine Beschränkung der sich unmittelbar aus dem Grundrecht der persönlichen Freiheit ergebenden elementaren Befugnis auf freie Beschäftigung erheischt. Diese Frage prüft das Bundesgericht frei.
Die Untersuchungshaft bezweckt, die ordnungsgemässe Durchführung einer Strafuntersuchung sicherzustellen; sie soll verhindern, dass der Angeschuldigte sich dem Verfahren durch Flucht entzieht oder dass er die Spuren seiner Straftat verwischen und damit die Abklärung des Sachverhalts vereiteln kann (
BGE 96 IV 46
; vgl. auch V. SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., S. 236 ff.; F. CLERC, La détention
BGE 97 I 45 S. 53
avant jugement, in: Recueil de travaux suisses présentés au VIIIe Congrès international de droit comparé, Bâle 1970, p. 396 ss.; MARKUS MEYER, Der Schutz der persönlichen Freiheit im rechtsstaatlichen Strafprozess, Diss. Zürich 1962, S. 94). Die Anordnung der Untersuchungshaft ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft (Bestehen hinreichender Verdachtsgründe, Flucht- oder Kollusionsgefahr) und darf den Betroffenen in seiner individuellen Freiheit nicht weiter beschränken, als es der Zweck der Untersuchung bzw. die Aufrechterhaltung einer vernünftigen Gefängnisordnung erfordert (
§ 49 Abs. 1 und
§ 76 Abs. 3 StPO
; vgl. auch
Art. 48 Abs. 1 BStP
und die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes, z.B. Entscheidungen Bd. 27 S. 219, Bd. 20 S. 49 und 147, Bd. 19 S. 347). Die Untersuchungshaft ist von der Strafhaft, d.h. vom Vollzug einer vom Richter ausgesprochenen Freiheitsstrafe i.S. von
Art. 35 ff. StGB
streng zu trennen, denn sie bezweckt nach dem Gesagten nicht das gleiche wie diese (vgl.
Art. 37 StGB
und V. SCHWANDER, a.a.O., S. 168 ff.). Dass die Untersuchungshaft unter bestimmten Voraussetzungen auf die Freiheitsstrafe anzurechnen ist (
Art. 69 StGB
), ändert daran nichts. Für resozialisierende Massnahmen zum Zwecke der Arbeitserziehung bleibt somit während der Untersuchungshaft kein Raum, denn es kann nicht ernstlich behauptet werden, der Untersuchungsgefangene müsse im Interesse der Strafuntersuchung zur Arbeit verhalten werden. Das Grundrecht der persönlichen Freiheit garantiert vielmehr auch dem Untersuchungsgefangenen das Recht auf freie Beschäftigung, soweit dadurch die Anstaltsordnung nicht gefährdet wird. Die schweizerische Lehre geht denn auch einhellig davon aus, dass der Untersuchungshäftling nicht zur Arbeit gezwungen werden darf (F. CLERC, a.a.O., S. 405; derselbe, Réflexions sur la détention préventive, in: Etudes pénologiques dédiées à la mémoire de Sir Lionel Fox, La Haye, 1964, p.60; MARKUS MEYER a.a.O., S. 138; M. SANDMEIER, Die Untersuchungshaft im Schweiz. Strafprozessrecht, Diss. Bern 1909, S. 178). Zum gleichen Ergebnis gelangen auch die französische Doktrin (vgl. H. DONNEDIEU DE VABRES, Traité de droit criminel, 3e éd. no 1311 p. 752; BOUZAT-PINATEL, Traité de droit pénal et de criminologie, Tome II, Procédure pénale, 1970, no 1282 p. 1224) und die deutsche Lehre (vgl. H. GERLAND, Der deutsche Strafprozess, Leipzig 1927, S. 262; EBERHARDT SCHMIDT, Lehrkommentar zur
BGE 97 I 45 S. 54
Strafprozessordnung, Teil II, 1957, N. 8 zu
§ 116 StPO
, S. 304; LÖWE-ROSENBERG-DÜNNEBIER, Die Strafprozessordnung, 21. Aufl., Ergänzungsband 1967, S. 209 unten; BRUN-HAGEN HENNERKES, Die Grundrechte des Untersuchungsgefangenen, Diss. Freiburg i.Br. 1966, S. 116). Ebenso wird die Arbeitspflicht der Untersuchungsgefangenen in Art. 2 Ziff. 2 lit. c des zitierten Genfer Übereinkommens über Zwangs- oder Pflichtarbeit vom 28. Juni 1930 sinngemäss verpönt (vgl. Rapport de la trentehuitième session (1968) de la Commission d'experts pour l'application des conventions et recommendations; Bureau International du Travail, Genève 1968, S. 222). Schliesslich sieht Ziff. 89 der "Règles minima pour le traitement des détenus", wie sie vom "Premier Congrès des Nations Unies pour la Prévention du Crime et le Traitement des Délinquants" (Genève, 22 août - 3 septembre 1955) aufgestellt (vgl. Rapport, New York, 1956, S. 79) und vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinigten Nationen am 31. Juli 1957 genehmigt worden sind (Doc. E/3048, p. 12), ausdrücklich vor, dass Untersuchungsgefangene nicht zur Arbeit verhalten werden dürfen.
5. | 3,182 | 2,392 | Da die Beschwerdeführerin nicht zur Arbeit verpflichtet werden kann, erweist sich die gegen sie verhängte Disziplinarmassnahme als verfassungswidrig. Das Grundrecht der persönlichen Freiheit erheischt, der Beschwerdeführerin während der Untersuchungshaft wie den übrigen Untersuchungsgefangenen das Recht auf freie Beschäftigung zuzuerkennen, wie es der zürcherische Gesetzgeber im übrigen in § 60 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 GefängnisVO ausdrücklich vorgesehen hat. Dabei ist unerheblich, ob die von der Beschwerdeführerin gewählte Beschäftigung als eigentliche Erwerbstätigkeit bezeichnet werden kann oder als blosser Zeitvertreib anzusehen ist. Dass das Malen in der Zelle die Gefängnisordnung in unzulässiger Weise beeinträchtige oder den Zweck der Untersuchung gefährde, wird im übrigen weder von der Gefängnisverwaltung noch von der Justizdirektion behauptet, so dass einer entsprechenden Erlaubnis grundsätzlich nichts entgegensteht. Die Gefängnisverwaltung hat freilich das Recht, der Beschwerdeführerin bestimmte, sich aus den räumlichen Verhältnissen ergebende Beschränkungen aufzuerlegen. Mit Rücksicht darauf ist davon abzusehen, die kantonalen Behörden im Dispositiv des vorliegenden Entscheids in der von der Beschwerdeführerin begehrten allgemeinen Form anzuweisen, ihr das
BGE 97 I 45 S. 55
Malen zu gestatten (vgl. oben Erw. 1). Das ändert indessen nichts daran, dass die Gefängnisverwaltung gehalten ist, dem Begehren der Beschwerdeführerin in einem mit der Gefängnisordnung vereinbaren Mass zu entsprechen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid der Justizdirektion des Kantons Zürich vom 2. Dezember 1970 aufgehoben. | 322 | 252 | CH_BGE_001 | CH_BGE | CH | Federation | CH_BGE_001_BGE-97-I-45_1971 | https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=29&from_date=&to_date=&from_year=1971&to_year=1971&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=281&highlight_docid=atf%3A%2F%2F97-I-45%3Ade&number_of_ranks=328&azaclir=clir | BGE_97_I_45 |